Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 09.12.2010


BPatG 09.12.2010 - 7 W (pat) 334/05

Patenteinspruchsverfahren - "Verfahren zur Erzeugung eines Dichtbereiches an einer Flachdichtung, sowie Flachdichtung" – zur vollständigen Erledigung eines Einspruchsverfahrens in der Hauptsache – Erlöschen des Patents - Patentinhaberin muss die Einsprechende sowie alle Dritten von allen möglichen Ansprüchen freistellen


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
09.12.2010
Aktenzeichen:
7 W (pat) 334/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Einspruchssache

hat der 7. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 9. Dezember 2010 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Ing. Univ. Höppler und die Richter Dipl.-Ing. Hilber, Schwarz und Dipl.-Ing. Schlenk

beschlossen:

1. Das Einspruchsverfahren ist in der Hauptsache erledigt.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Einsprechende hat gegen das am 5. August 2002 angemeldete Patent 102 35 742 mit der Bezeichnung

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Verfahren zur Erzeugung eines Dichtbereiches an einer Flachdichtung, sowie Flachdichtung

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dessen Erteilung am 18. November 2004 veröffentlicht worden ist, mit Schriftsatz vom 16. Februar 2005, der am selben Tag beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen ist, Einspruch erhoben.

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Das Patent ist wegen Nichtzahlung der Jahresgebühr erloschen, was am 3. März 2009 in das Patentregister eingetragen worden ist.

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Auf den entsprechenden Hinweis des Senats hat die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 16. August 2010 gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt erklärt, die Einsprechende sowie alle Dritte, seien sie ihr bekannt oder nicht, von allen möglichen Ansprüchen, gleich ob bekannt oder geltend gemacht, freizustellen.

II.

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A. Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der - mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten - Aufhebung der Übergangsvorschriften des § 147 Abs. 3 PatG auf Grund des Grundsatzes der "perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG zuständig (vgl. BGH GRUR 2009, 184, 185 - Ventilsteuerung; GRUR 2007, 862 f. - Informationsübermittlungsverfahren II).

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B. Nachdem das Patent nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 PatG erloschen ist und die frühere Patentinhaberin alle von dem Patent Betroffenen von Ansprüchen aus der Vergangenheit ausdrücklich freigestellt hat, so dass solche möglichen Ansprüche aus dem angemeldeten und erteilten Patent nach § 362 BGB ebenfalls erloschen sind, ist das Einspruchsverfahren in der Hauptsache erledigt.

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1. Nach allgemeiner Meinung ist ein Gerichtsverfahren erledigt, wenn ein nach Verfahrenseinleitung eingetretenes außerprozessuales Ereignis vorliegt, welches das ursprünglich zulässige und begründete Rechtsschutzziel nachträglich rechtlich oder tatsächlich gegenstandslos macht, weil dieses entweder bereits außerhalb des Prozesses erreicht wurde oder nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg weiterverfolgt werden kann (vgl. BGHZ 155, 392 [398]; BGH NJW 2007, 3721 [3722]; BVerwG NVwZ 1989, 48; NVwZ 1993, 979; BVerwGE 46, 81 [83]; 73, 312 [314]; s. a. Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 91a Rn. 3 m. w. N.; Sodann/Ziekow/Neumann, VwGO, 3. Aufl., § 161 Rn. 130 ff.). Diese Grundsätze sind auch für das patentamtliche bzw. (für bis zum 30. Juni 2006 eingelegte Einsprüche) patentgerichtliche Einspruchsverfahren wie auch das patentgerichtliche Beschwerdeverfahren anwendbar (vgl. BPatG [7. Senat], Beschluss vom 20. Oktober 2010, Az. 7 W (pat) 333/06 - Vorrichtung zum Heißluftnieten , abrufbar unter juris).

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2. Eine (vollständige) Erledigung der Hauptsache im Einspruchsverfahren ist allerdings nicht schon mit dem Erlöschen des Streitpatents nach § 20 PatG gegeben, weil hiermit das Rechtsschutzziel des Einspruchs nur zum Teil verwirklicht wird (vgl. BPatG [7. Senat], a. a. O. - Vorrichtung zum Heißluftnieten ). Sie liegt aber in erweiternder Fortführung von BGH GRUR 1995, 571 - Künstliche Atmosphäre vor, wenn aufgrund konkreter Feststellungen im jeweiligen Einzelfall feststeht, dass es über das bloße, nur für die Zukunft geltende Erlöschen des Streitpatents hinaus auszuschließen ist, dass für die Zeit vor dem Erlöschen des Streitpatents noch Ansprüche aus diesem gegenüber (irgendeinem) Dritten geltend gemacht werden können.

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a) Entgegen einem Teil der Rechtsprechung (vgl. BGH GRUR 1981, 515 - Anzeigegerät [Gebrauchsmusterlöschungsverfahren]; GRUR 1997, 615 ff. - Vornapf [Fall der Nichtzahlung der Jahresgebühr]; BPatG [20. Senat] GRUR 2009, 612 - Auslösevorrichtung ; letzterem folgend der 9. und 12. Senat des Bundespatentgerichts, vgl. Nachweise bei BPatG [21. Senat] GRUR 2010, 363 f. - Radauswuchtmaschine ) kann die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens nach dem Erlöschen des Streitpatents nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Einsprechende ein (eigenes) Rechtsschutzbedürfnis - oder, wie der 21. Senat des Bundespatentgerichts in Anlehnung an § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO annimmt, ein berechtigtes Interesse (vgl. BPatG [21. Senat] GRUR 2010, 363 - Radauswuchtmaschine) - geltend macht. Dem steht die besondere Ausgestaltung des Einspruchsverfahrens entgegen, weil der Einspruch - abweichend vom allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass die Anrufung von Gerichten nur bei Geltendmachung subjektiver Rechte möglich ist (vgl. Art. 19 Abs. 1 GG) - als Popularrechtsbehelf, für dessen Einlegung es keines Rechtsschutzbedürfnisses bedarf, ausgestaltet ist und dem Einspruchsverfahren, wie sich aus § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG ergibt, auch dem Interesse der Allgemeinheit an der Klärung der Schutz(un) fähigkeit der Erfindung besonderes Gewicht zukommt (vgl. BGH GRUR 1999, 571, 572 - Künstliche Atmosphäre ). Für die Annahme, mit Erlöschens des Streitpatents sei demgegenüber ein Rechtsschutzbedürfnis für die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens erforderlich (so BPatG [21. Senat] GRUR 2010, 363, 364 - Radauswuchtmaschine ), fehlt es an einer Rechtsgrundlage; diese kann nicht daraus hergeleitet werden, das ausnahmsweise Absehen vom Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses sei nur solange berechtigt, wie der Einspruch auch im Allgemeininteresse liege, dieses sei aber nach dem Erlöschen des Streitpatents generell, d. h. unabhängig vom jeweiligen Einzelfall entfallen, weil es die vom Einspruch begehrte rückwirkende Beseitigung der Patenterteilung nur so lange rechtfertige, wie das Patent noch wirksam und in Kraft sei (so BPatG 4 W (pat) 9/86, wiedergegeben in: BGH GRUR 1997, 615 - Vornapf ; daran anschließend BPatG [21. Senat] GRUR 2010, 363, 364 - Radauswuchtmaschine ). Für eine solche Beschränkung des von einem Rechtsschutzbedürfnis absehenden Popularrechtsbehelfs des Einspruchs fehlt es nicht nur an einer Grundlage im Gesetz, vielmehr kann der Begriff des Allgemeininteresses auch nicht nur auf die Interessen derjenigen beschränkt werden, die an der Klärung der Frage der Schutzfähigkeit der Erfindung nur für deren zukünftige freie Benutzung interessiert sind; hierzu gehören nämlich auch die Interessen derjenigen, welche diese Frage für eine bereits in der Vergangenheit erfolgte Benutzung - also als Verletzer oder Lizenznehmer - geklärt wissen wollen (vgl. BPatG [7. Senat], a. a. O. - Vorrichtung zum Heißluftnieten ; ähnlich van Hees/Braitmayer , Verfahrensrecht in Patentsachen, 4. Aufl., Rn. 543). Daher kann das vom Gesetz vorausgesetzte Allgemeininteresse an der Prüfung der Schutz(un) fähigkeit des Streitpatents nach dessen Erlöschen nur dann verneint werden, wenn im konkreten Einzelfall feststeht, dass nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit nicht nur der Einsprechende, sondern auch keine Dritten mehr von der Patenterteilung betroffen sind. Da in diesem Fall auch das vom Einsprechenden verfolgte rechtliche und wirtschaftliche Ziel verwirklicht wäre, entfiele, ohne dass es hierzu noch der Prüfung eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses des Einsprechenden bedarf, in diesem Fall jeglicher Grund für eine weitere Durchführung des Einspruchsverfahrens (vgl. BPatG [7. Senat], a. a. O. - Vorrichtung zum Heißluftnieten ).

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b) Soweit entsprechende Feststellungen zum Fortfall des Allgemeininteresses von Amts wegen (§§ 46, 87 PatG) nicht getroffen werden können, liegt eine vollständige Erledigung der Hauptsache in erweiternder Fortführung von BGH GRUR 1995, 571 - Künstliche Atmosphäre vor, wenn der Patentinhaber darlegt (und bei Bestreiten nachweist), dass eine Geltendmachung von Ansprüchen aus dem angemeldeten und erteilten Patent auch für die Vergangenheit nicht (mehr) möglich ist; hierfür reicht eine Freistellungserklärung des Patentinhabers oder ein Beschränkungsverfahren nach § 64 PatG mit dem Ziel des Widerrufs aus (vgl. BPatG [7. Senat], Beschluss vom 20. Oktober 2010, Az. 7 W (pat) 333/06 - Vorrichtung zum Heißluftnieten , abrufbar unter juris). Da in diesen Fällen Ansprüchen aus der streitgegenständlichen (angeblichen) Erfindung auch für die Vergangenheit ausgeschlossen sind, so dass in Verbindung mit der Patenterlöschung dieselben (wirtschaftlichen) Folgen wie beim Widerruf des Streitpatents eintreten, ist das Einspruchsverfahren in der Hauptsache erledigt (vgl. BPatG [7. Senat], a. a. O. - Vorrichtung zum Heißluftnieten ).

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4. Nachdem die Patentinhaberin vorliegend eine solche umfassende Freistellungserklärung gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt abgegeben hat, ist nach den vorstehenden Überlegungen das Einspruchsverfahren in der Hauptsache für erledigt zu erklären.

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C. Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 62 Abs. 1 Satz 1 PatG sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Stellt nämlich in ständiger Rechtsprechung der Erfolg des Einspruchs in Form eines vollständigen Patentwiderrufs schon keinen Billigkeitsgrund nach dieser Vorschrift dar, besteht kein Anlass für eine Kostenauferlegung, wenn das Einspruchsziel wie vorliegend auf andere Art und Weise erreicht wird und sich das Einspruchsverfahren hierdurch erledigt hat.

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D. Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, weil die Frage, welche Auswirkungen das Erlöschen des Streitpatents hat, zwischen den einzelnen Senaten des Bundespatentgerichts streitig ist, so dass sie sowohl eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellt (§ 100 Abs. 2 Nr. 1 PatG) als auch zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 100 Abs. 2 Nr. 2 PatG).