Entscheidungsdatum: 26.02.2015
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent EP 0 938 615
(DE 597 12 199)
hat der 7. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Rauch, der Richter Dipl.-Ing. Hildebrandt und Dipl.-Ing. Küest, der Richterin Dr. Schnurr und des Richters Dipl.-Ing. Univ. Richter
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des europäischen Patents 0 938 615, das auf die internationale Anmeldung WO 98/22669 vom 8. November 1997 zurückgeht und in deutscher Sprache u. a. für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist. Das Patent, das die Priorität von vier deutschen Voranmeldungen, nämlich der DE 196 47 361 A1 vom 16. November 1996, der DE 197 04 165 A1 vom 5. Februar 1997, der DE 197 25 692 A1 vom 18. Juni 1997 sowie der DE 197 29 230 A1 vom 9. Juli 1997 in Anspruch nimmt, wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 597 12 199 geführt. Es ist bezeichnet mit „Bodenflächenintegriertes Wasserspeicher-, Führungs- und Behandlungssystem mit integrierbarem Boden- und Gewässerschutz“ und umfasst zwölf Ansprüche, die alle mit der vorliegenden Klage angegriffen werden. Anspruch 1 und die darauf rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 5 stellen ein Verfahren zur Aufnahme und Zwischenlagerung von anfallendem Regenwasser, Anspruch 6 und die darauf rückbezogenen Unteransprüche 7 bis 12 eine Bodenfläche als Aufnahme und Zwischenspeicherung von anfallendem Regenwasser unter Schutz.
Die Patentansprüche 1 und 6 haben folgenden Wortlaut:
1. Verfahren zur Aufnahme und Zwischenlagerung von anfallendem Regenwasser unter Einsatz eines Speicherreservoirs aus einer Wasser aufnehmenden Schotterschicht auf einer wasserundurchlässigen Sperrschicht sowie einer die Schotterschicht überdeckenden, Belastungen standhaltenden Nutzschicht als Verkehrs-, Wege-, Gewerbe-, Industrie-, Gartenbau-, Landwirtschaftsfläche,
dadurch gekennzeichnet,
dass anfallendes Regenwasser über ein Drainagerohrsystem der Schotterschicht zugeführt und gezielt über ein Drainagerohrsystem aus der Schotterschicht gedrosselt einem Abwasserkanalsystem zugeleitet wird.
6. Bodenfläche als Aufnahme und Zwischenspeicherung von anfallendem Regenwasser mit einer wasserundurchlässigen Sperrschicht sowie einer darauf angeordneten wasseraufnehmenden Schotterschicht als Speicherreservoir sowie einer die Schotterschicht überdeckenden, Belastungen standhaltenden Nutzschicht als Verkehrs-, Wege-, Gewerbe-, Industrie-, Gartenbau-, Landwirtschaftsfläche,
gekennzeichnet durch
ein Drainagerohrsystem zur Zuführung des Regenwassers in die Schotterschicht und ein Drainagerohrsystem zur gezielten Abgabe des Wassers an ein Drosselorgan eines Kanalsystems.
Wegen des Wortlauts der Unteransprüche wird auf die Streitpatentschrift EP 0 938 615 B1 Bezug genommen.
Die Klägerin macht die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a und c EPÜ) geltend.
Zum Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung trägt sie u. a. vor, die ursprüngliche Anmeldung (WO 98/22669) sei – ebenso wie die Prioritätsanmeldungen – allein von einer Bodenfläche ausgegangen. Erst mit Eingabe vom 25. April 2002 habe der damalige Anmelder im Prüfungsverfahren neue Ansprüche eingereicht, in denen erstmals auch ein Verfahren zur Aufnahme und Zwischenlagerung von anfallendem Regenwasser beansprucht worden sei. Des Weiteren seien die Begriffe „Abwasserkanalsystem“ und „Drainagerohrsystem“ in der WO-Schrift nicht enthalten. Die Anmeldung unterscheide zwischen Drainagerohren einerseits und Drainagerohrsystemen andererseits, weshalb nicht erkennbar sei, worin die Kombination beider Begriffe bestehen solle. Im Unterschied zur Ursprungsanmeldung sei in den Ansprüchen 1 und 6 des Streitpatents zudem von zwei Drainagerohrsystemen, nämlich von einem für die Zuführung des Regenwassers in die Schotterschicht und einem für die gezielte Abgabe des Wassers an ein Drosselorgan eines Kanalsystems die Rede.
Den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit stützt die Klägerin auf folgenden Stand der Technik:
D1 US 4 878 780
D2 DE 296 11 700 U1
D3 DE 40 33 117 A1
D4 W. Geiger/H. Dreiseitl, Neue Wege für das Regenwasser - Handbuch zum Rückhalt und zur Versickerung von Regenwasser in Baugebieten, Hrsg. Emschergenossenschaft, Essen, und Internationale Bauausstellung Emscher Park GmbH, Gelsenkirchen, 1995, Seiten 98 bis 131 und 228 bis 232
D5 Prof. Dr. F. Sieker, Ein neuer Weg der Regenwasserentsorgung, in: Regenwasserversickerung, Hrsg. Kommunale Umwelt-Aktion U.A.N., 2. Aufl., 1994, Seiten 60 bis 65
D6 EP 0 704 573 A2
D7 CH 683851 A5
D8 Prof. Dr.-Ing. F. Sieker et al., Naturnahe Regenwasserbewirtschaftung in Siedlungsgebieten, Hrsg. Prof. Dr.-Ing. W. J. Bartz, Technische Akademie Esslingen, 1996, Seiten 1 bis 107
D9 D. Grotehusmann et al., Naturnahe Regenwasserentsorgung durch Mulden-Rigolen-Systeme, in Korrespondenz Abwasser, Heft 5, 1992, Seiten 666 bis 687
D10 DE 38 28 209 A1
Zum fachmännischen Wissen verweist die Klägerin außerdem auf die Anlagen
DKK5 DIN 1187: Dränrohre aus weichmacherfreiem Polyvinylchlorid (PVC hart), Ausgabe November 1982
DKK6 Regelwerk der Abwassertechnischen Vereinigung e.V. (ATV) in Zusammenarbeit mit dem Verband Kommunaler Städtereinigungsbetriebe (VKS): Bau und Bemessung von Anlagen zur dezentralen Versickerung von nicht schädlich verunreinigtem Niederschlagswasser; Arbeitsblatt A 138, Januar 1990
DKK7 Wendehorst, Bautechnische Zahlentafeln, Hrsg. Prof. Dr.-Ing. Otto W. Wetzell, 1994, Seiten 970f., 982 bis 985, 1042 bis 1045, 1048 bis 1053
DKK8 DIN 4045: Abwassertechnik, Begriffe, Ausgabe Dezember 1985
DKK9 DIN 4262, Teil 1: Sicker- und Mehrzweckrohre aus PVC-U und PE-HD für Verkehrswege- und Tiefbau, Anforderungen und Prüfungen, Ausgabe März 1989
DKK10 Friedhelm Sieker, Armin Stecker und Peter Staack, Auswirkungen von Flächenabkoppelungen auf die Speicherraumbemessung nach ATV-Arbeitsblatt A 128, gwf Wasser Abwasser 137 (1996) Nr. 12, Seiten 637 bis 645.
Die zwischen den Parteien umstrittene Vorveröffentlichung der D8 vor dem 16. November 1996 ergebe sich insbesondere daraus, dass die D8 als Literaturstelle in dem als Anlage DKK10 zur Akte gereichten Aufsatz genannt sei; unter den Literaturstellen-Nachweisen auf Seite 645 befinde sich dort der Hinweis „Manuskripteingang: 5. 8. 1996“. Darüber hinaus existiere eine Notiz, nach der der Druckauftrag für das die D8 enthaltende Buch aus dem März 1996 stamme. Unabhängig von der Frage, ob nicht bereits die Beauftragung der Druckerei eine Veröffentlichung darstelle, sei seitens des die D8 verlegenden expert-verlages in Renningen außerdem mitgeteilt worden, dass nach der damaligen Arbeitsweise und Technik im Verlag der Erscheinungstermin des Buches ca. acht Wochen nach Erteilung des Druckauftrags liege. Zum Beweis dafür, dass dies damals im expert-Verlag regelmäßig der Fall gewesen sei, hat die Klägerin den Verlagsmitarbeiter
P… als Zeugen benannt.
Das Streitpatent könne sich zudem, wie die Klägerin näher ausführt, lediglich auf die jüngere Priorität vom 5. Februar 1997 stützen, weil die älteste in Anspruch genommene Priorität aus der DE 196 473 61 A1 nicht wirksam sei.
Die Klägerin hält die Schriften D1, D4, D5, D8 und D10 für neuheitsschädlich. Überdies sei der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents dem Fachmann am frühesten Prioritätstag, ausgehend von D4 sowie durch eine Zusammenschau der Schriften D9 und D8 sowie D2 oder D7 mit D6 bzw. D3, nahe gelegt gewesen.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 0 938 615 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage insgesamt abzuweisen,
hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen die Patentansprüche in der Fassung der mit Schriftsatz vom 29. Januar 2015 (Bl. 266 ff. d. A.) eingereichten, in der Reihenfolge ihrer Nummerierung gestellten Hilfsanträge 1 bis 5 richtet.
Wegen des Wortlauts der Hilfsanträge 1 bis 5 wird auf Bl. 266 ff. d. Gerichtsakte verwiesen.
Der Beklagte bestreitet die von der Klägerin behaupteten Anknüpfungstatsachen zur Vorveröffentlichung der D8 und hält den Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung, zumindest aber in der Fassung eines seiner Hilfsanträge gegenüber sämtlichen Angriffen für bestandsfähig.
Zum Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung vertritt der Beklagte die Auffassung, dass die im Streitpatent verwendete, im Vergleich zu den Ursprungsunterlagen geänderte Wortwahl für den Fachmann verständlich sei.
Auch dem Vortrag der Klägerin zum Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit widerspricht der Beklagte in allen Punkten.
Der Senat hat den Parteien mit Schreiben vom 9. Oktober 2014 einen frühen gerichtlichen Hinweis gemäß § 83 Abs. 1 PatG übersandt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2015 haben die Parteien ihre gegenseitigen Standpunkte vertieft. Die Klägerin hat den Nachlass einer Frist zur Einreichung eines Schriftsatzes betreffend die Veröffentlichung der Druckschrift D8 vor dem Prioritätsdatum des 16. November 1996 beantragt.
Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere auf die Schriftsätze der Parteien mit sämtlichen Anlagen, Bezug genommen.
Vor dem Landgericht Düsseldorf ist die Klägerin vom Beklagten wegen angeblicher Verletzung des Streitpatents verklagt worden (Az. 4b O 21/13). Das Landgericht hat diesen Rechtsstreit bis zu einer Entscheidung des vorliegenden Nichtigkeitsverfahrens mit Beschluss vom 3. Juli 2014 ausgesetzt.
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Die von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung und mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a und c EPÜ) liegen nicht vor.
I.
1. Die Streitpatentschrift nimmt einleitend (Beschreibung Absätze 2 und 3) auf verschiedene im Stand der Technik bekannte Vorgehensweisen bzw. technische Lösungen Bezug, die dazu dienen sollen, plötzlich anfallendes Regenwasser so aufzufangen, das es nachfolgend beispielsweise einer landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden kann, etwa durch Nutzung von porösen Schotterschichten. So zeige die US 4 878 780 (= Entgegenhaltung D1) einen Bodenaufbau aus Schottern oder dergleichen, um einen künstlichen Wasserspiegel über die dortige Einrichtung permanent auf gleichem Niveau zu halten, sowie einen Wasserüberlauf. Einen unterirdischen, großflächigen Regenwasserregulator zeige auch das Gebrauchsmuster DE 296 11 700 U1 (= Entgegenhaltung D2), wobei eine der Pflanzenaufzucht dienende Lösung aus der DE 40 33 117 A1 (= Entgegenhaltung D3) hervorgehe. Andere Lösungen, die insbesondere das Eindringen von Schadstoffen, z. B. Chemikalien oder an Tankstellen überlaufende Treibstoffe, in das umgebende Erdreich verhindern sollen, zeigten z. B. GB 2 294 077 A, EP 0 704 573 A2 (= Entgegenhaltung D6), DE 93 16 175 U oder DE 93 06 131 U.
Es habe sich gezeigt, dass bei Anfallen plötzlicher größerer Regenmengen die bestehenden Abwassersysteme vielfach überfordert seien. Neubausysteme seien zwar auf Grund ihrer Größe dem größtmöglich denkbaren Wasserzufluss gewachsen, jedoch sehr preisaufwändig (Streitpatentschrift, Beschreibung Absatz 4).
Die Aufgabe der vorliegenden Erfindung soll der Streitpatentschrift (Beschreibung Absatz 5) zufolge darin liegen, anfallendes Regenwasser gezielt zwischenzulagern, um es dem herkömmlichen Abwasserleitungssystem gedrosselt wieder zuführen zu können.
2. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent in Anspruch 1 ein Verfahren und in Anspruch 6 eine Bodenfläche vor, wobei die Merkmale dieser Ansprüche wie folgt gegliedert werden können:
Anspruch 1
1. Verfahren zur Aufnahme und Zwischenlagerung von anfallendem Regenwasser,
2. unter Einsatz eines Speicherreservoirs aus einer Wasser aufnehmenden Schotterschicht,
a) wobei die Schotterschicht auf einer wasserundurchlässigen Sperrschicht angeordnet ist und
b) von einer Belastungen standhaltenden Nutzschicht als Verkehrs-, Wege-, Gewerbe-, Industrie-, Gartenbau-, Landwirtschaftsfläche überdeckt wird.
3. Anfallendes Regenwasser wird
a) über ein Drainagerohrsystem der Schotterschicht zugeführt
b) und gezielt über ein Drainagerohrsystem aus der Schotterschicht gedrosselt einem Abwasserkanalsystem zugeleitet.
Anspruch 6
1. Bodenfläche als Aufnahme und Zwischenspeicherung von anfallendem Regenwasser
2. mit einer wasserundurchlässigen Sperrschicht sowie
3. einer darauf angeordneten wasseraufnehmenden Schotterschicht als Speicherreservoir sowie
4. einer die Schotterschicht überdeckenden, Belastungen standhaltenden Nutzschicht als Verkehrs-, Wege-, Gewerbe-, Industrie-, Gartenbau-, Landwirtschaftsfläche sowie
5. einem Drainagerohrsystem zur Zuführung des Regenwassers in die Schotterschicht und
6. einem Drainagerohrsystem zur gezielten Abgabe des Wassers an ein Drosselorgan eines Kanalsystems.
Zuständiger Durchschnittsfachmann, auf dessen Wissen und Können es insbesondere für die Auslegung der Merkmale des Streitpatents und für die Interpretation des Standes der Technik ankommt, ist im vorliegenden Fall ein Bauingenieur (FH) der Fachrichtung Tiefbau mit Erfahrung in der Entwässerungstechnik, wobei dieser ggf. einen im Bereich des Landschaftsbaus kundigen Kollegen zu Rate ziehen wird.
3. Für diesen Fachmann ist ersichtlich, dass es bei dem Verfahren nach Anspruch 1 und bei der Vorrichtung nach Anspruch 6 darum geht, plötzlich (insbesondere auf Grund starken Regenfalls) anfallendes Wasser in einer Schotterschicht zwischenzulagern, wobei es erfindungswesentlich darauf ankommt, dass das Wasser aus der Schotterschicht nicht in das darunter liegende Erdreich versickern soll, sondern dass es vielmehr in gedrosselter Weise dem Abwasserkanalsystem, das nach den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten allgemein für die Aufnahme von Regenwasser vorgesehen ist, zugeführt werden soll. Aus diesem Grund wird der Fachmann den Begriff „Kanalsystem“ in Anspruch 6 (Merkmal 6) in Entsprechung zu Anspruch 1 (Merkmal 3b) i. S. v. „Abwasserkanalsystem“ interpretieren. Die Schotterschicht soll dabei die Aufgabe eines Rückhalte- bzw. Sammelbeckens erfüllen (Streitpatentschrift Spalte 3, Zeilen 25 f.).
Zudem erkennt der Fachmann, dass es der vorliegenden Erfindung gleichermaßen darum geht (insoweit über die in der Streitpatentschrift formulierte Aufgabe hinausgehend), den Flächenverbrauch dadurch zu verringern, dass die Schotterschicht zugleich als Tragschicht (vgl. Streitpatentschrift Spalte 3, Zeile 11) für eine darüber liegende, Belastungen standhaltenden Nutzschicht in Gestalt einer Verkehrs-, Wege-, Gewerbe-, Industrie-, Gartenbau- oder Landwirtschaftsfläche dienen soll. Dadurch soll es möglich sein, auf die sonst üblichen naturflächenintensiven Stauseen, Rückhaltebecken, Zisternen oder Staustrecken zu verzichten (Streitpatentschrift Spalte 3, Zeilen 27 bis 31).
II.
Der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung liegt nicht vor.
1. Soweit die Klägerin zur Begründung dieses Nichtigkeitsgrunds darauf abstellt, dass ein Verfahren, wie es Gegenstand der Ansprüche 1 bis 5 des erteilten Patents ist, in der ursprünglichen Anmeldung WO 98/22669 nicht offenbart gewesen sei, ist dem entgegenzuhalten, dass im Patenterteilungsverfahren der Übergang auf eine andere Patentkategorie ebenso zulässig ist wie die Wahl mehrerer Patentkategorien, sofern dadurch der Rahmen der ursprünglichen Offenbarung nicht überschritten wird (Schulte/Moufang, PatG, 9. Aufl., § 1 Rdnr. 169, 177).
Vorliegend ist die Aufnahme von Verfahrensansprüchen durch die ursprüngliche Offenbarung hinreichend gedeckt. So weist schon die dort formulierte Aufgabe, wonach die Flüssigkeitsableitung aus der Speicherfläche nicht schwallartig, sondern gedrosselt oder in Intervallen erfolgen soll (siehe WO 98/22669, Seite 3, Zeilen 34 f.), auf ein Verfahren i. S. der Arbeitsweise einer Vorrichtung hin. Ferner sind zwar sämtliche Ansprüche der Ursprungsanmeldung formal auf einen Gegenstand („Bodenfläche“) gerichtet; zahlreiche dieser Ansprüche beinhalten jedoch auch oder sogar überwiegend verfahrensmäßige Merkmale, in denen die von den erteilten Verfahrensansprüchen umfassten Merkmale ihre Stütze finden. Insbesondere sei hierzu für den erteilten Patentanspruch 1 auf die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 (zu Merkmalen 1 und 2b), 12 (zu Merkmalen 2 und 2a), 19 (zu Merkmal 3a), 5 und 38 (zu Merkmal 3b) verwiesen. Im Übrigen geben auch zahlreiche Stellen der Beschreibung genügend Hinweise auf den Charakter der beanspruchten Lehre auch als Arbeitsverfahren.
2. Eine unzulässige Erweiterung liegt auch nicht in der Verwendung der Begriffe „Abwasserkanalsystem“ (Anspruch 1, Merkmal 3b) und „Drainagerohrsystem“ (Anspruch 1, Merkmale 3a und 3b; Anspruch 6, Merkmale 5 und 6). Zwar werden diese Begriffe in der Anmeldung WO 98/22669 nicht wörtlich verwendet, jedoch durchaus der Sache nach. So ist dort auf Seite 9, Zeilen 33 f., die Rede vom Ableiten des Wassers in Regenwasserkanäle bzw. in den Schmutzwasserkanal, d. h. in gebräuchliche Abwasserkanaltypen. Und was die Bezeichnung „Drainagerohre“ betrifft, so steht diese in der Anmeldung nicht im Gegensatz zum Begriff „Drainagesystem“. Vielmehr wird die Verwendung von Drainagerohren als Unterfall eines Drainagesystems behandelt (siehe etwa WO 98/22669 Seite 3, Zeile 18: „Drainagerohre haben zudem den Vorteil zu anderen Drainagesystemen, ....“), weshalb sich für den Fachmann auch die Begriffskombination „Drainagerohrsystem“ i. S. eines Drainagesystems unter Verwendung von Rohren aus der Ursprungsanmeldung ohne weiteres erschließt.
3. Auch der Umstand, dass die Ansprüche 1 und 6 des erteilten Patents ein Verfahren bzw. eine Bodenfläche mit zwei Drainagerohrsystemen schützen (was u. a. im Umkehrschluss aus den Unteransprüchen 3 und 8, wonach für die Regenwasserzu- und abfuhr dasselbe Drainagerohrsystem verwendet wird, zu ersehen ist), stellt keine unzulässige Erweiterung dar. Zwar wird in den Anmeldungsunterlagen in Verbindung mit dem Schotteraufbau nur ein gemeinsames Drainagesystem wörtlich beschrieben. Jedoch zeigen die Figuren 9 und 12 Ausführungen eines speicherfähigen Oberbaus 100 (bei dem es sich auch um eine Schotterschicht handeln kann) mit getrennten Zu- und Ableitungssystemen (Versickerungsrohr 106 und Drainageleitung 98).
III.
Patentanspruch 1 hat in der erteilten Fassung Bestand. Die zur Begründung des Nichtigkeitsgrunds der mangelnden Patentfähigkeit vorgebrachten Angriffe der Klägerin haben im Ergebnis insoweit keinen Erfolg.
1. Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist gegenüber den von der Klägerin aufgezeigten Entgegenhaltungen neu. Aus keiner dieser Entgegenhaltungen ist für den Fachmann eindeutig und unmittelbar (vgl. hierzu BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin; GRUR 2014, 758 – Proteintrennung) ein Verfahren mit sämtlichen in Anspruch 1 genannten Merkmalen zu entnehmen.
a) So wird in der Schrift D1, die auf die Schaffung eines künstlichen Grundwasserspiegels gerichtet ist, in keiner der dort beschriebenen Ausführungsformen Regenwasser gemäß Merkmal 3a über ein Drainagerohrsystem einer Schotterschicht zugeführt.
b) Eine solche Zuführung mag bei der Schrift D2 zwar vorhanden sein, wenn man die dort gezeigten „Überlaufanschlüsse 13“ (D2 Figur 3) im weitesten Sinne als Drainagerohre auffassen will. Jedoch ist bei D2 jedenfalls das Merkmal einer gedrosselten Zuleitung des Wassers an ein Abwasserkanalsystem (Merkmal 3b) nicht vorhanden.
c) In der Abhandlung D4 werden verschiedene Anlagen zur unterirdischen Speicherung von Regenwasser mit Hilfe von Rigolen (d. h. von mit Kiespackungen gefüllte Gräben, in die das Regenwasser oberirdisch eingeleitet wird, siehe D4, Seite 98, fünfter Absatz) dargestellt, darunter auch Systeme der Rohr-/Rigolenversickerung, bei denen die Rigolen gegenüber darunter liegenden (z. B. kontaminierten) Böden abgedichtet sind (vgl. D4, Seite 112, vorletzter Absatz), und Mulden-Rigolen-Systeme, die einen Aus- und Überlauf in Richtung eines vorhandenen Gewässers aufweisen, wobei je nach Versickerungsfähigkeit des Bodens die Infiltration oder die stark gedrosselte Ableitung des Wassers überwiegt (D4, Seite 113, erster Absatz). Laut D4, Seite 113, zweiter Absatz, soll eine Kombination von Schacht- und Rohr-/Rigolenversickerung in stark versiegelten Baugebieten Anwendung finden, wobei dieses System u. a. dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Infiltration direkt in die sickerfähige Schicht stattfindet (D4, Seite 128, erster Absatz). Die in D4 gezeigten Anlagen sind als Versickerungssysteme konzipiert, d. h. anfallendes Regenwasser wird nicht gemäß Merkmal 3a über ein Drainagerohrsystem einer Schotterschicht zugeführt. Ebenso wird bei keiner der in D4 offenbarten Anlagen anfallendes Regenwasser i. S. d. Merkmals 3b gezielt über ein Drainagerohrsystem aus der Schotterschicht gedrosselt einem Abwasserkanalsystem, das allgemein für die Aufnahme von Regenwasser vorgesehen ist (s. o. I.3), zugeleitet. Darüber hinaus ist auch nirgendwo in D4 von einer Nutzschicht i. S. d. Merkmals 2b die Rede.
d) Entsprechendes gilt für die Schrift D5, die sich ebenfalls mit Mulden-Rigolen-Systemen befasst, und aus der die Merkmale 2b, 3a und 3b nicht hervorgehen.
e) Unabhängig davon, ob die Schrift D8 als zu berücksichtigender Stand der Technik anzusehen ist (hierzu nachfolgend unter III.3b), kann sie jedenfalls nicht als neuheitsschädlich gegenüber Anspruch 1 des Streitpatents angesehen werden. Auch in D8 werden verschiedene Systeme zur Wasserspeicherung beschrieben, darunter auch gedichtete Rigolen mit ausschließlicher Speicherfunktion, wobei die Entleerung durch einen gedrosselten Abfluss erfolgt (D8, Seite 50, letzter Absatz). Wohin das Wasser abfließen soll, bleibt dabei offen; es wird lediglich allgemein ausgeführt, dass die Rigolen „mit Abflusselementen“ kombiniert werden können (D8, Seite 51, Zeilen 4 f.). Somit ist der D8 an dieser Stelle jedenfalls das Merkmal 3b nicht zu entnehmen. Bei der Versickerungswanne gemäß Bild 3.6 (D8 Seite 42) wird zwar der Anschluss an einen Regen- oder Mischwasserkanal gezeigt, jedoch geschieht dort der Zufluss zu dem als Wasserspeicher dienenden Kiesbett ausschließlich im Wege der Einsickerung über den Mutterboden (d. h. es fehlt das Merkmal 3a).
f) Schließlich gehen auch aus der von der Klägerin ebenfalls als neuheitsschädlich genannten Schrift D10 nicht sämtliche im erteilten Anspruch 1 aufgeführten Merkmale hervor. Auch bei D10 geht es um die Zwischenspeicherung von Regenwasser nach starken Niederschlägen, wobei das Wasser in Hohlräumen einer befestigten Oberfläche gespeichert und dann an einer Frostschutzschicht vorbei in den Untergrund geleitet wird und dort versickert oder zeitverzögert durch Dränrohre in die Kanalisation gelangt. Anders als beim Streitpatent sind die Sickerräume bei D10 aber nicht direkt unter der Belastungen standhaltenden Nutzschicht angebracht, sondern seitlich neben einer Tragschicht und/oder der Frostschutzschicht oder in zwischen befestigten Flächen angeordneten, nicht oder nur bedingt tragfähigen Bereichen (D10 Spalte 2, Zeilen 23 bis 27). Es fehlt bei D10 somit zumindest das Merkmal 2b.
2. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 war dem Fachmann durch die von der Klägerin genannten Entgegenhaltungen, soweit diese als vorveröffentlichter Stand der Technik angesehen werden können, auch nicht nahegelegt und beruht somit auf erfinderischer Tätigkeit. Dieses Ergebnis hat seinen Grund darin, dass (jedenfalls abgesehen von D8, dazu nachfolgend unter III.3a) keine der Entgegenhaltungen eine Anregung dahingehend vermittelt, die Zuführung, Zwischenlagerung und Ableitung von Regenwasser wie in Anspruch 1 durchzuführen, d. h. unter Einsatz einer Schotterschicht, die oberhalb einer wasserundurchlässigen Sperrschicht angeordnet ist und die von einer Belastungen standhaltenden Nutzschicht überdeckt wird, zudem unter Einsatz eines Drainagerohrsystems zur Zuführung des Wassers in die Schotterschicht und eines Drainagerohrsystems zur gezielten und gedrosselten Zuleitung des Wassers in ein Abwasserkanalsystem.
a) Die Klägerin beruft sich darauf, dass ein Regenwasserbewirtschaftungssystem mit den Merkmalen des Streitpatents durch eine Kombination der in D4, Bild 4-17, Seite 121, und 4-12, Seite 108, erläuterten Anwendungsbeispiele nahegelegt sei. Für einen Fachmann, der einen schadstoffbelasteten Untergrund vorfinde, sei es insbesondere naheliegend, oberhalb dieses Untergrundes ins Erdreich eintretendes Regenwasser von diesem durch eine Sperrschicht fern zu halten, oberhalb dieser Sperrschicht abzuleiten und für diesen Fall die in D4, Bild 4-17, eingezeichnete „schlecht durchlässige“ Schicht durch eine wasserundurchlässige Schicht zu ersetzen. Der Begriff „Abwasserkanalsystem“ impliziere lediglich die Ableitung von Wasser an einen anderen Ort. Zum Merkmal der Zuführung des Regenwassers über ein Drainagerohrsystem verweist die Klägerin in Bild 4-17 zum einen auf die Möglichkeit, mehrere, untereinander durch Dränrohre verbundene (Transport-) Rigolen miteinander zu kombinieren, und zum anderen auf den in Bild 4-17 eingezeichneten Notüberlauf am Rande der Mulde. Zum Merkmal der Belastungen standhaltenden Nutzschicht verweist die Klägerin auf die Bemerkung in D4, Seite 98, letzter Absatz, wonach die Anlagen mit leichten Bauten (z. B. Garagen, Gartenhäusern) überbaut werden könnten.
Mit dieser Argumentation kann die Klägerin aber nicht belegen, dass der Fachmann in Unkenntnis der Erfindung zum Verfahren gemäß Anspruch 1 gelangt wäre. Vor allem verkennt sie, dass es für das Verständnis dieses Anspruchs wesentlich darauf ankommt, dass das anfallende Regenwasser gezielt dem allgemein für die Aufnahme von Regenwasser vorgesehenen Abwasserkanalsystem zugeleitet wird (s. o. Abschnitt I.3). Hierfür findet der Fachmann in D4 jedoch keine Anregung. Zwar ist in D4 – wie bereits erwähnt – von der gedrosselten Abgabe des anfallenden Regenwassers in ein vorhandenes Gewässer die Rede, jedoch steht diese Bemerkung in Zusammenhang mit der Sickerfähigkeit des Bodens (Seite 113, erster Absatz), d. h. es geht gerade nicht um die gezielte Zuführung zum Abwasserkanalsystem.
b) Die Schrift D9, die sich mit Mulden-Rigolen-Systemen befasst, und auf die sich die Klägerin zur Begründung mangelnder Erfindungshöhe 1 ebenfalls beruft, führt den Fachmann von dem Verfahren gemäß Anspruchs 1 sogar eher weg. Es heißt dort nämlich (D9, Seite 672, linke Spalte, dritter Absatz), dass die betreffenden Systeme so konzipiert seien, dass sie ihren Zufluss in aller Regel nur über die Passage einer belebten Bodenschicht oder über einen künstlichen Reinigungsfilter erhalten, also nach Durchlaufen einer Reinigungsstufe. Ein direkter Anschluss von Regenentwässerungsleitungen an die Schächte werde deshalb ausgeschlossen.
c) Ferner kann der Klägerin auch nicht darin gefolgt werden, dass sich das streitpatentgemäße Verfahren für den Fachmann aus einer Kombination der Schriften D2 oder D7 mit D6 bzw. D3 ergeben habe.
Die Druckschrift D3 betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Aufzucht von Pflanzen und stellt daher keinen einschlägigen Stand der Technik für die Lehre des Streitpatents dar. Gemäß der dortigen Aufgabenstellung soll vielmehr eine künstliche Bewässerung für Pflanzen geschaffen werden, welche möglichst wenig Wasserzufuhr benötigt und ein Versalzen der Böden weitgehend vermeidet. Hinweise auf die Aufnahme und Zwischenlagerung von Regenwasser in einer Schotterschicht sowie dessen gedrosselte Zuleitung an ein Abwasserkanalsystem finden sich in der D3 nicht.
Auch in der D6 fehlt jegliche Anregung dazu, Regenwasser in einer nach unten abgedichteten Schotterschicht zwischenzulagern und anschließend gedrosselt einem Abwasserkanalsystem zuzuführen. Vielmehr erhält der Fachmann aus dieser Druckschrift die Anweisung, verschmutztes Wasser durch Versickern in Schichten aus Glasasche und Sand von Schadstoffen zu reinigen und dann einem Sammelbehälter zuzuführen, welcher unterhalb einer Sperrschicht angeordnet ist. Über die Art der Ableitung des Wassers aus diesem Sammelbehälter ist in D6 lediglich ausgesagt, dass dies über Drainagerohre erfolgen könne.
Ob der Fachmann eine Kombination der aus den Druckschriften D3 und D6 bekannten Verfahren überhaupt in Erwägung gezogen hätte, erscheint fraglich. Aber selbst dann hätte er noch keinen Hinweis auf das Merkmal 3b (gezielte und gedrosselte Zuleitung des Regenwassers aus der Schotterschicht in ein Kanalsystem) gewonnen. Auch die Druckschriften D2 bzw. D7 – sofern man diese zu den beiden anderen Schriften überhaupt noch weiter hinzukombinieren wollte – geben kein Vorbild für dieses Merkmal. In beiden Entgegenhaltungen ist nämlich lediglich ein Überlauf offenbart, welcher in Einzelfällen eines momentan erhöhten Wasseranfalls bzw. zu geringer Wasserentnahme den Überschuss tieferliegenden Wasserschichten (D2) bzw. einem Fließgewässer oder einer Brauchwasserleitung (D7) zuführt.
3. Die Entgegenhaltung D8 könnte dem Fachmann das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents am ehesten nahelegen; jedoch ist der Klägerin der Nachweis, dass es sich bei D8 um einen Stand der Technik handelt, der vor dem maßgeblichen Prioritätstag veröffentlicht wurde, nicht gelungen, weshalb diese Druckschrift außer Betracht zu bleiben hat.
a) Wie bereits erwähnt (s. o. Abschnitt III.1e), offenbart D8 eine gedichtete Rigole ohne vorgeschaltete Mulde mit ausschließlicher Speicherfunktion, wobei die Entleerung durch gedrosselten Abfluss erfolgt (D8 Seite 50, letzter Absatz). Zum Zufluss des Wassers in die Rigole wird ausgeführt, dass u. a. eine Beschickung durch Straßeneinläufe mit Schlammraum denkbar sei (D8 Seite 51, dritter Absatz).
Somit zeigt die in Bild 3.11 der D8 (Seite 51) dargestellte Variante ein Verfahren mit den streitpatentgemäßen Merkmalen 1, 2 und 2a (abgesehen davon dass die Rigolen in D8 nicht als Schotter-, sondern als Kiesbett angelegt sind), 2b und 3a. Nicht gezeigt wird in diesem Zusammenhang der Anschluss an ein Abwasserkanalsystem, vielmehr werden derartige Rigolen i. d. R. an eine Reinigungspassage angeschlossen (siehe D8, Seite 51, erster Absatz), wofür gemäß Bild 3.11 am Grunde der Rigole ein Dränrohr vorgesehen ist.
Demgegenüber wird an anderer Stelle in D8 - wie ebenfalls schon erwähnt - an Hand des Bildes 3.6 eine Rigolen-Versickerungswanne mit Anschluss an einen Regen- oder Mischwasserkanal beschrieben. Dazu wird in D8 ausgeführt (Seite 41, vierter Absatz), mittels einer unterhalb der Mutterbodenschicht eingebrachten Dichtung solle das Durchsickern des Wassers verhindert werden. Auf der Dichtung werde ein Dränsystem angeordnet, welches die durch den Oberboden gesickerte und gereinigte Regenwassermenge entweder direkt dem Grundwasser oder aber einem Ableitungssammler zuführe. Diese Ausführungen könnten den Fachmann u. U. veranlassen, auch bei der gedichteten Rigole gemäß Bild 3.11 eine Ableitung des Wassers zum Regen- oder Mischwasserkanal, d. h. dem Abwasserkanalsystem i. S. d. Merkmals 3b, vorzusehen.
b) Die Schrift D8 könnte bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit aber nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie vor dem Tag der ältesten vom Streitpatent in Anspruch genommenen, auf die deutsche Voranmeldung 196 47 361 A1 gestützten Priorität, d. h. vor dem 16. November 1996, veröffentlicht worden wäre. Davon kann aber nicht ausgegangen werden.
aa) Die Klägerin bestreitet die Wirksamkeit dieser Priorität, weil das Streitpatent Begriffe verwende, die aus der Voranmeldung nicht hervorgingen, nämlich in Anspruch 1 die Begriffe „Zwischenspeicherung“, „Nutzschicht“, „Speicherreservoir“ und „Abwasserkanalsystem“ sowie in Anspruch 6 die Begriffe „Nutzschicht“, „Speicherreservoir“, „Kanalsystem“ und „Drosselorgan“. Das Streitpatent könne daher nur die jüngere Priorität vom 5. Februar 1997 in Anspruch nehmen.
Dem ist entgegenzuhalten, dass unter den Voraussetzungen des Art. 87 Abs. 1 EPÜ die Priorität einer Voranmeldung für die Anmeldung „derselben Erfindung“ auch dann in Anspruch genommen werden kann, wenn in der Nachanmeldung teilweise andere Begriffe verwendet werden als in der Voranmeldung. Entscheidend ist, dass die wesentlichen Merkmale der Erfindung der Nachanmeldung in der Voranmeldung für den Fachmann klar erkennbar enthalten sind, sei es ausdrücklich oder implizit. Unter dieser Voraussetzung ist es unschädlich, wenn in der Nachanmeldung beanspruchte Merkmale in der Voranmeldung nicht ausdrücklich erwähnt sind (vgl. Schulte/Moufang, a. a. O., § 41 Rdnr. 31, 35 m. w. N.).
Der Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die von der Klägerin genannten Merkmale der Sache nach durchaus in der Prioritätsschrift 196 47 361 A1 wiederfinden. Diese Schrift betrifft eine mehrschichtige Bodenfläche insbesondere für Verkehrs-, Wege-, Gewerbe-, Industrie-, Gartenbau- und Landwirtschaftsflächen (d. h. mit einer „Nutzschicht“ i. S. d. Streitpatents), wobei der Unterbau der Fläche mindestens eine Sperrschicht aufweist und ein Drainagesystem die angefallene Flüssigkeit aufnimmt und ableitet (Beschreibung, Spalte 1, Zeilen 3 bis 8). Offenbart ist ein Schutzsystem, bei dem eine Sperrschicht als Auffangwanne, -becken oder -schicht ausgebildet ist, und das von der baulichen Gestaltung her die Aufgabe eines Rückhalte- bzw. Sammelbeckens erfüllt (Patentanspruch 1 und Beschreibung Spalte 2, Zeilen 41 bis 50). An anderer Stelle heißt es, dass Wasser in die wasserdurchlässige Schotterschicht gelange, um dort bei starken Regenfällen einige Zeit zwischengelagert zu werden (Spalte 8, Zeilen 1 bis 4). Es handelt sich somit erkennbar um nichts anderes als eine „Zwischenspeicherung“ in einem „Speicherreservoir“. In Figur 1 mit zugehöriger Beschreibung (Spalte 7, Zeilen 7 bis 15) zeigt die Schrift eine Anordnung, bei der auf der Sperrschicht aufliegende Drainagerohre in einem Sammelrohr enden, das die Flüssigkeit zu einem manuell zu betätigenden Absperrventil leitet, von wo aus die zurückgehaltene Flüssigkeit nach Bedarf z. B. zu einer zentralen Kläranlage abgeleitet werden kann. Daraus entnimmt der Fachmann ein Verfahren, bei der das abfließende Wasser einem Abwasserkanalsystem zugeleitet wird (entsprechend Merkmal 1b des Anspruchs 1), bzw. eine Bodenfläche mit gezielter Abgabe des Wassers an ein Drosselorgan eines Kanalsystems (entsprechend Merkmal 6 des Anspruchs 6).
Somit nimmt das Streitpatent die Priorität vom 16. November 1996 wirksam in Anspruch.
bb) Der Entgegenhaltung D8 kann das Erscheinungsjahr 1996 entnommen werden; dabei bleibt offen, ob die Schrift vor oder nach dem maßgeblichen Prioritätstag veröffentlicht worden ist. Nachdem die Vorveröffentlichung vom Beklagten bestritten wird, könnte die D8 in den Stand der Technik nur einbezogen werden, wenn nachgewiesen wäre, dass sie vor dem Prioritätstag der Öffentlichkeit zugänglich war, wobei insoweit die Klägerin, die sich auf die Entgegenhaltung beruft, beweispflichtig ist (vgl. Benkardt/Mellulis, PatG, 10. Aufl., § 3 Rdnr. 69a; Schulte/Moufang, a. a. O., § 3 Rdnr. 31). Diesen Beweis hat die Klägerin nicht geführt.
Das Bestreiten der Vorveröffentlichung durch den Beklagten ist zulässig. Es ist auch nicht nach § 83 Abs. 4 PatG von der Berücksichtigung ausgeschlossen. Da in dem frühen gerichtlichen Hinweis vom 9. Oktober 2014 das Dokument D8 im Hinblick auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit als nicht relevant angesehen wurde, stellt sich die Befassung mit der Vorveröffentlichungsfrage durch den Beklagten in dessen Schriftsatz vom 29. Januar 2015 nicht als (verspätete) Reaktion i. S. d. § 123 Abs. 2 PatG dar. Davon abgesehen ist die Zurückweisung dieses Vorbringens auch deshalb ausgeschlossen, weil seine Berücksichtigung aus nachfolgenden Gründen keine Vertagung erforderlich machen würde (§ 83 Abs. 4 Nr. 1 PatG).
Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass die Schrift D8 bereits durch den Druckauftrag, der angeblich im März 1996 erteilt worden sei, öffentlich zugänglich geworden sei. Zum einen ist bei einem Druckwerk wie der D8 die Zugänglichkeit erst zu bejahen, wenn ein unbegrenzter Personenkreis in der Lage ist, das Druckwerk kennenzulernen. Dies ist nicht schon dann anzunehmen, wenn das Manuskript beim Verlag eingeht, weil es damit nur einem begrenzten Personenkreis bei Verlag, Druckerei, Binderei und Vertrieb bekannt wird und nicht davon auszugehen ist, dass der Einsender des Manuskripts mit einer unkontrollierten Weitergabe an beliebige Dritte vor der regulären Veröffentlichung einverstanden ist (vgl. BPatGE 35, 122, 126; Schulte/Moufang, a. a. O., § 3 Rdnr. 39). Zum anderen hat die Klägerin für ihren bestrittenen Vortrag zur Erteilung des Druckauftrags im März 1996 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keinen Beweis angeboten, so dass der Senat diesen Parteivortrag seiner Entscheidung nicht als erwiesen zu Grunde zu legen vermag.
Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass die D8 in dem Aufsatz DKK10 als Literaturstelle angeführt sei, lässt sich daraus ebenfalls keine Veröffentlichung vor dem 16. November 1996 herleiten. Denn der Aufsatz selbst ist – nach Angabe der Klägerin in der mündlichen Verhandlung – im Dezember 1996, d. h. nach dem Prioritätstag, erschienen (im Heft 1996 Nr. 12 der Zeitschrift „gwf Wasser Abwasser“). Die Angabe „Manuskripteingang: 5. 8. 1996“ am Ende des Aufsatzes stellt keinen Beleg dafür da, dass den Autoren des Aufsatzes zu diesem Zeitpunkt die in dem Aufsatz zitierte D8 bereits als öffentliches Druckwerk vorgelegen hat. Es ist nicht auszuschließen, dass die Aufsatzverfasser die Schrift D8 schon vor ihrer Veröffentlichung kannten, zumal es sich bei dem Verfasser der Schrift D8 zugleich um einen Co-Autor des Aufsatzes DKK10 handelt.
cc) Erkenntnisse über das Veröffentlichungsdatum der D8 lassen sich auch dann nicht gewinnen, wenn der bestrittene Tatsachenvortrag der Klägerin, wonach im e...-verlag die Drucklegung üblicherweise acht Wochen nach Einreichung des Manuskripts erfolgt sei, und für den sie den Zeugen P... benannt hat, als zutreffend unterstellt wird. Aus dieser Behauptung der Klägerin kann nicht mit der für eine Beweisführung erforderlichen Sicherheit gefolgert werden, dass die Schrift D8 vor dem maßgeblichen Prioritätstag veröffentlicht und damit für beliebige Dritte zugänglich wurde. Bereits die von Klägerseite behauptete Anknüpfungstatsache, das Manuskript sei im März 1996 beim Verlag eingereicht worden, ist nicht erwiesen. Da der Verlagsmitarbeiter P…, wie die Klägerin in der mündlichen
Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat, lediglich eine im Verlag allgemein übliche Vorgehensweise bezeugen soll, die an den zwischen den Parteien streitigen Tatsachenvortrag zur Erteilung des Druckauftrags anknüpft, ist dieses Beweisangebot zum Nachweis der Veröffentlichung der D8 vor dem Prioritätsdatum nicht geeignet. Aus dem Vorhandensein einer üblichen Praxis kann zudem nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass diese Praxis auch im vorliegenden Fall eingehalten wurde.
dd) Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung beantragt, ihr eine Frist zur Einreichung eines weiteren Beweisangebots nachzulassen. Diesem Antrag konnte nicht entsprochen werden.
Gemäß § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 283 ZPO kann vom Gericht eine Frist zur Nachbringung eines Schriftsatzes bestimmt werden, wenn sich eine Partei in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Gegners nicht erklären konnte, weil es ihr nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Nach Darlegung der Klägerin hat der Beklagte die Veröffentlichung der D8 vor dem Prioritätstag 16. November 1996 in der mündlichen Verhandlung im parallelen Verletzungsprozess bestritten. Auf diesen Einwand hat die Klägerin im vorliegenden Nichtigkeitsverfahren mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2014 u. a. durch Benennung des Zeugen P… reagiert. Der Beklagte hat darauf mit Schriftsatz vom 29. Januar 2015 geantwortet, die Vorveröffentlichung der D8 ausdrücklich mit Nichtwissen bestritten und dabei die Ansicht vertreten, dass der Hinweis der Klägerin „auf eine fragwürdige Notiz auf irgendeine Beauftragung zum Drucken und eine theoretischen Arbeitsweise“ zum zweifelsfreien Nachweis der Vorveröffentlichung nicht ausreichend sei. Somit war der Klägerin der Einwand des Beklagten rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung bekannt, so dass sie sich darauf einstellen konnte.
Die Tatsache, dass die Klägerin seitens des Senats nicht vor Beginn der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen wurde, dass ihr Beweisangebot unzureichend sei, stellt im Übrigen keinen Umstand dar, der gemäß § 139 Abs. 5 ZPO i. V. m. § 99 Abs. 1 PatentG zum Nachlass einer Schriftsatzfrist nach Schluss der mündlichen Verhandlung berechtigte. Beim klägerischen Vortrag zur Vorveröffentlichung der D8 handelt es sich um ein selbständiges Angriffsmittel, das nicht etwa vom Beklagten provoziert wurde. Es entsprach also der der Klägerin obliegenden allgemeinen, auf § 282 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG beruhenden Prozessförderungspflicht, diesbezüglichen konkreten Tatsachenvortrag rechtzeitig, d. h. spätestens im Nachgang zum Schriftsatz der Gegenseite vom 29. Januar 2015 und rechtzeitig vor Beginn der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2015 vollständig zur Akte zu reichen sowie unter Beweis zu stellen. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin jedoch weiteren Sachvortrag weder vorgebracht, noch in Aussicht gestellt. Auch auf Hinweis des Senats im Termin zur mündlichen Verhandlung hat sie ihr bisheriges Beweisangebot bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung weder konkretisiert noch erweitert.
Hinzu kommt, dass, die aus § 139 ZPO i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG resultierende Hinweispflicht die Parteien lediglich vor Überraschungsentscheidungen bewahren soll. Sie umfasst daher keine Verpflichtung zur Wiederholung von Hinweisen, die die Gegenseite mit der oben zitierten Passage aus dem Schriftsatz vom 29. Januar 2015 bereits gegeben hatte.
Ebenso kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass in dem frühen gerichtlichen Hinweis die Beweisfrage nicht angesprochen wurde. Ihre Ausführungen zur möglichen Vorveröffentlichung der D8 hat die Klägerin erst mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2014, also nach Zustellung des gerichtlichen Hinweises vom 9. Oktober 2014 in das Nichtigkeitsverfahren eingeführt. Zudem hat der Senat in diesem Hinweis die Schrift D8 für das Vorliegen des Nichtigkeitsgrundes der mangelnden Patentfähigkeit nicht als relevant angesehen, was auch damit zusammenhängt, dass die Klägerin vor Erlass des Hinweises nur einen eingeschränkten Auszug der D8 vorgelegen hatte, in dem z. B. die Seiten 1f. mit Bild 3.6 nicht enthalten waren.
Da der Klägerin die Möglichkeit zur Nachreichung eines Schriftsatzes aus diesen Gründen nicht gewährt werden kann, kommt es im Übrigen nicht darauf an, ob ihr darauf gerichteter Antrag, mit dem sie etwaigen ergänzenden Tatsachenvortrag oder neue Beweismittel weder verbunden noch konkret in Aussicht gestellt hat, auch nach Maßgabe des § 83 Abs. 4 PatG zurückgewiesen werden könnte. Letzteres ist der Fall, weil anzunehmen ist, dass ein nachgebrachter Vortrag (u. U. mit neuem Beweisangebot) die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung erforderlich machen würde, weshalb der Termin hätte vertagt werden müssen, ohne dass sich die Klägerin dafür entschuldigen könnte (§ 83 Abs. 4 Nr. 1, 2 PatG).
4. Somit erweist sich Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung gegenüber den Angriffen der Klägerin als bestandsfähig. Die darauf rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 5 werden davon mitgetragen.
IV.
Die Patentfähigkeit des nebengeordneten Anspruchs 6 – der in Anpassung an die Formulierung eines Sachanspruchs („Bodenfläche“) dieselben Merkmale wie Anspruch 1 umfasst – wird ebenso nicht in Frage gestellt, wobei die Angriffe der Klägerin hier nicht anders zu beurteilen sind als in Bezug auf Anspruch 1. Dies hat seinen Grund darin, dass es sich bei dem Verfahren des Anspruchs 1 um ein Arbeitsverfahren handelt, bei welchem sich die einzelnen Merkmale als Wirkung aus den mitumfassten und in Anspruch 6 beanspruchten gegenständlichen Mitteln ergeben.
An der Bestandskraft des Anspruchs 6 haben die darauf rückbezogenen Unteransprüche 7 bis 12 Teil.
Die Klage war daher im Umfang des Hauptantrags des Beklagten abzuweisen.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.