Entscheidungsdatum: 21.06.2012
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2006 037 558.0
…
hat der 6. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 21. Juni 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr.-Ing. Lischke sowie der Richter Dr. Kortbein, Dipl.-Ing. Küest und
Dipl.-Ing. Richter
beschlossen:
Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F 16 C des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. Juni 2010 wird aufgehoben und das Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:
- Patentansprüche 1 bis 6, eingegangen am 11. Mai 2012,
- Beschreibung Seiten 1 bis 8, eingegangen am 11. Mai 2012,
- Zeichnung Figur 1, gemäß Offenlegungsschrift.
I.
Die Patentanmeldung ist am 10. August 2006 beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 10 2006 037 558.0 erfolgt.
Mit Prüfungsbescheid vom 19. August 2009 hat die Prüfungsstelle für Klasse F 16 C der Anmelderin mitgeteilt, dass sie in der Summe der einfachen handwerklichen Maßnahmen des Hauptanspruchs vom 26. Juli 2007 keinen Beitrag zur notwendigen erfinderischen Tätigkeit sehe.
Dabei sind im Prüfungsverfahren folgende Druckschriften herangezogen worden:
D1: WO 00/04297 A1
D2: DE 42 38 508 A1
D3: EP 806 260 B1
D4: DE 1 894 141 U
D5: DE 36 05 731 A1
D6: DE 23 58 809 A1
D7: DE 16 99 508 U.
Mit Eingabe vom 19. Mai 2010 hat die Anmelderin eine Entscheidung nach Lage der Akten beantragt, woraufhin die Prüfungsstelle für Klasse F 16 C mit Beschluss vom 9. Juni 2010 die Anmeldung zurückgewiesen hat.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie ist der Ansicht, dass der Gegenstand gemäß der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anspruchsfassung gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik neu sei und auch nicht durch diesen oder das Fachwissen des Fachmanns nahegelegt werde.
Im Rahmen einer Nachrecherche ist senatsseitig noch die
D8: DE 29 30 186 A1
als relevanter Stand der Technik ermittelt und der Anmelderin mit Zwischenbescheid vom 7. März 2012 zugestellt worden.
Mit Eingabe vom 10. Mai 2012, eingegangen am 11. Mai 2012, hat die Anmelderin neue Unterlagen eingereicht und eine Patenterteilung auf deren Grundlage beantragt.
Der geltende Anspruch 1 lautet:
"Verfahren zum Instandsetzen einer mit einem Reibbelag versehenen Antriebs- und Fördereinrichtung, insbesondere einer Antriebs-, Umlenk- oder Förderwalze, wobei
- der Reibbelag aus einem Industriekeramikmaterial besteht,
- der Reibbelag mit einem Klebstoff auf die Oberfläche der Antriebs- oder Fördereinrichtung aufgebracht ist,
- der Reibbelag unter Verwendung mindestens einer separaten Wärmequelle lokal erwärmt wird, wodurch
- der Klebstoff zum Erweichen gebracht wird,
- der Reibbelag abgelöst wird,
- die Oberfläche der Antriebs- oder Fördereinrichtung nach dem Entfernen des Reibbelags in einem weiteren Schritt sandgestrahlt wird, und
- ein neuer Reibbelag aufgebracht wird."
Zu den jeweiligen Unteransprüchen 2 bis 6 sowie hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist auch insoweit erfolgreich, als sie zur Erteilung eines Patents im beantragten Umfang führt.
2. Die geltenden Unterlagen sind zulässig.
Die geltenden Ansprüche wurden auf Grundlage der ursprünglich eingereichten Ansprüche und Beschreibungsunterlagen gebildet.
So wurden zur Bildung des geltenden Anspruchs 1 in den ursprünglichen Anspruch 1 als Ausgangszustand die Merkmalsgruppen der ersten beiden Spiegelstriche aufgenommen, die bspw. aus der ursprünglich eingereichten Beschreibungsseite 6, 5. Absatz, sowie den Ansprüchen 3 und 10 hervorgehen. Das gezielte Erweichen des Klebstoffes durch thermische Erwärmung sowie das hierdurch ermöglichte Ablösen des Reibbelages wird auf der ursprünglichen Beschreibungsseite 3 im letzten Absatz beschrieben. Das nachfolgende Sandstrahlen ist im ursprünglichen Anspruch 6 offenbart und das Aufbringen eines neuen Reibbelages geht schließlich aus der ursprünglichen Beschreibungsseite 5, letzter Satz, oder dem ursprünglichen Anspruch 7 hervor.
Die rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6 finden ihre Stütze in den ursprünglichen Ansprüchen 2, 3, 4, 8 und 9.
Bei den Änderungen in der Beschreibung handelt es sich im Wesentlichen um Anpassungen an die geltende Anspruchsfassung.
3. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist patentfähig.
Die Anmeldung betrifft ein Verfahren zum Instandsetzen einer mit einem Reibbelag versehenen Antriebs- oder Fördereinrichtung, insbesondere einer Antriebs-, Umlenk- oder Förderwalze.
Dem beanspruchten Verfahren liegt die Aufgabe zugrunde, die Nachteile bei gängigen Verfahren zu beheben. So erfordert bspw. das maschinelle Entfernen der Beläge durch Abdrehen ein Ausbauen des Belagträgers und kann auf Grund der Notwendigkeit einer Drehmaschine nicht vor Ort durchgeführt werden; des Weiteren unterliegt das mechanische Abdrehen insbesondere bei keramischen Reibbelägen einem hohen Verschleiß und kann beim Belagträger zu einer unerwünschten Reduzierung der Wandstärke oder zumindest zu einer Schädigung von dessen Oberfläche führen (vgl. Absatz 7 der OS).
Das erfindungsgemäße Verfahren ermöglicht mit relativ einfachen Mitteln ein verschleißarmes Instandsetzen vor Ort, wobei durch die Kombination der einzelnen Verfahrensschritte der Belagträger beim Entfernen des Reibbelages nicht übermäßig beansprucht oder geschädigt wird. Dabei wird durch eine lokale Erwärmung der Klebstoffschicht das Ablösen der Beläge erleichtert (Absatz 11 der OS), wobei im Gegensatz zum Abbrennen der Beläge, was bspw. bei Gummibelägen praktiziert wird (vgl. D1, Seite 2, letzter Abs.), keine unzulässige Erwärmung bzw. ein Verzug des Belagträgers, insb. der Walzentrommel, zu befürchten ist (vgl. Absatz 12 und 24 der OS). Die nachfolgende Endreinigung vor dem Aufbringen der neuen Beläge erfolgt durch Sandstrahlen, was im Vergleich zum Abdrehen ebenfalls materialschonender ist (vgl. Abs. 28 der OS).
Als Fachmann wird im vorliegenden Fall ein Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit Erfahrung auf dem Gebiet der Fördertechnik, insbesondere in der Herstellung und Instandsetzung von Förderwalzen bei Förderbandanlagen, angesehen.
Ein Verfahren zum Instandsetzen von verklebten Reibbelägen aus Industriekeramikmaterial bei Antriebs- oder Fördereinrichtungen, bei dem das Ablösen des alten Belages durch Erwärmen der Klebstoffschicht erleichtert und die Oberfläche nachfolgend sandgestrahlt wird, geht aus dem ermittelten Stand der Technik nicht hervor und gilt damit als neu.
Den nächstkommenden Stand der Technik stellt die D8 dar, die sich ebenfalls mit dem Instandsetzen von Keramikreibbelägen auf Förderbandtreibwalzen beschäftigt. Die Reibbeläge bestehen aus Industriekeramikmaterial und sind bei der D8 durch thermische Verklebung oder mittels einer Klebstoffschicht mit der Oberseite einer Gummischicht verbunden (siehe Ansprüche 1 und 2), die wiederum mit der Oberfläche einer Walzentrommel verklebt ist (vgl. S. 21, letzter Absatz i. V. m. Figur 7). Für den Reparatur- bzw. Instandsetzungsfall lehrt die D8, dass der neue Belag vor Ort in der Weise angebracht werden kann, indem der alte Belag durch Auf- und Wegschneiden der Gummischicht entfernt wird (vgl. Seite 10, 4. Absatz).
Das Verfahren der D8 unterscheidet sich somit vom beanspruchten Verfahren dadurch, dass bei der D8 im Ausgangszustand der Reibbelag über eine Trägerschicht aus Gummimaterial auf der Oberfläche der Walze aufgebracht ist und das Entfernen des Reibbelages durch mechanisches Zerschneiden dieser (weichen) Gummischicht erfolgt. Aufgrund des unterschiedlichen Aufbaus ergibt sich somit eine andere Verfahrensweise, die keine Hinweise oder Anregungen in Richtung auf die erfindungsgemäße Verfahrensweise liefert.
Im Hinblick auf eine Verbesserung der Instandsetzungsmaßnahmen von verklebten Reibbelägen aus Keramikmaterial erhält der Fachmann allerdings aus der D8 die allgemeine Anregung, die Instandsetzung bzw. den Austausch von verklebten Reibbelägen vor Ort durchzuführen (vgl. Seite 9, 2. Absatz i. V. m. Seite 10, 4. Abs.). Da bei einem auf dem Gebiet der Instandsetzung tätigen Fachmann auch entsprechende Kenntnisse von handwerklichen Montagemaßnahmen als bekannt vorausgesetzt werden können, erscheint es naheliegend, dass dieser zum Entfernen der verklebten Reibbeläge auch die Erwärmung der Klebstoffes zur Verminderung der Festigkeit der Klebstoffverbindung im Hinblick auf eine Erleichterung der Demontage in Betracht ziehen kann.
Der nachfolgende Schritt, bei dem die Oberfläche der Antriebs- oder Fördereinrichtung sandgestrahlt wird, stellt ebenfalls eine grundsätzlich bekannte Maßnahme zur Reinigung und Vorbehandlung (Aufrauhen) vor dem Aufbringen einer Kleberschicht dar (siehe auch D2, Spalte 1, Zeilen 15 bis 18 und 67 ff.); ein direkter Hinweis oder eine Veranlassung, dies im vorliegenden Fall konkret durch Sandstrahlen zu bewirken, ist dem Stand der Technik aber ebenso nicht entnehmbar, sondern liegt wiederum im Ermessen des Fachmanns.
Somit ist der Prüfungsstelle zwar dahingehend zuzustimmen, dass es sich bei den einzelnen Verfahrensschritten um allgemein bekannte, einfache handwerkliche Maßnahmen handelt. In der Kombination, d. h. in der gezielten Auswahl von bestimmten Einzelmaßnahmen, wird aber ein Verfahren beansprucht, das in seiner Gesamtheit
- eine Instandsetzung mit einfachen Mitteln, eine Durchführung vor Ort sowie eine die Walzenoberfläche schonende Belagentfernung bei gleichzeitig geringem Werkzeugverschleiß ermöglicht, und
- dem Fachmann weder durch den ermittelten Stand der Technik noch durch sein Fachwissen nahegelegt ist.
Der Senat hat sich davon überzeugt, dass auch der weitere im Verfahren befindliche Stand der Technik dem Anmeldungsgegenstand nicht näher kommt und damit dessen Patentfähigkeit ebenfalls nicht im Wege steht.
Damit ist das zweifellos gewerblich anwendbare Verfahren nach Anspruch 1 nicht nur neu, sondern es beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der geltende Patentanspruch 1 ist daher gewährbar.
4. Mit dem gewährbaren Anspruch 1 sind auch die auf vorteilhafte Ausgestaltungen ausgerichteten Unteransprüche 2 bis 6 gewährbar.