Entscheidungsdatum: 24.06.2015
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent 1 601 167
(DE 697 37 778)
hat der 6. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 24. Juni 2015 durch die Richterin Martens als Vorsitzende, die Richter Dr.-Ing. Scholz und Dipl.-Ing. J. Müller, die Richterin Dr. Hoppe sowie den Richter Dipl.-Ing. Matter
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 601 167 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 601 167 (Streitpatent), das am 27. Januar 1997 unter Inanspruchnahme der Priorität der finnischen Anmeldung 960 859 vom 23. Februar 1996 angemeldet worden ist. Das in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlichte Streitpatent ist durch Teilung aus der europäischen Anmeldung 97 101 190.3 hervorgegangen, die zum europäischen Patent 0 792 077 geführt hat. Das Streitpatent trägt die Bezeichnung „Multi-service mobile station (Mobiltelefon mit einer Vielzahl von Servicefunktionen)“ und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 697 37 778.4 geführt. Es umfasst nach der Streitpatentschrift (EP 1 601 167 B1) fünf Ansprüche, die alle mit der Nichtigkeitsklage angegriffen sind.
Patentanspruch 1 lautet in der erteilten Fassung wie folgt:
1. A multi-service mobile station (1) which comprises means (42) for connecting the device by radio to the telecommunication network for using typical mobile communication services, such as speech and data services, wherein the multi-service mobile station comprises:
Means (41, 40, 47) for processing different information processing services (P1, P2),
a user interface (11, 12, 15, 16, 17, 21, 22, 23) for selecting an information processing service (P1, P2) between at least two processed services, a notebook service (P1) and a telephone service (P2),
a first memory (40) for storing information when using an information processing service;
a second memory (47) that is suitable for storing information without current; and
characterized by:
means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first
memory to the second memory, when an incoming call is detected.
In deutscher Übersetzung nach der Streitpatentschrift lautet Patentanspruch 1 wie folgt:
1. Mehrfach-Dienst-Mobilstation (1), welche Mittel (42) zum Verbinden der Vorrichtung über Funk mit dem Telekommunikationsnetz umfasst, um typische Mobilkommunikationsdienste zu verwenden, wie etwa Sprache und Datendienste, wobei die Mehrfach-Dienst-Mobilstation umfasst:
Mittel (41, 40, 47) zum Verarbeiten unterschiedlicher Informationsverarbeitungsdienste (P1; P2),
eine Benutzerschnittstelle (11, 12, 15, 16, 17, 21, 22, 23) zum Auswählen eines Informationsverarbeitungsdienstes (P1, P2) aus mindestens zwei verarbeiteten Diensten: einem Notebook-Dienst (P1) und einem Telefon-Dienst (P2),
ein erstes Speicherelement (40) zum Speichern von Informationen bei Verwendung eines Informationsverarbeitungsdienstes;
ein zweites Speicherelement (47) das geeignet ist, stromlos Informationen zu speichern; und
gekennzeichnet durch
Mittel (40, 41, 47) zum automatischen Speichern von Informationen bezüglich der Informationen des Notebookdienstes, die von dem Benutzer verarbeitet werden, von dem ersten Speicherelement zu dem zweiten Speicherelement, wenn ein eingehender Anruf erfasst wird.
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 direkt oder indirekt rückbezogenen Ansprüche 2 bis 5 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.
Die Klägerin ist der Ansicht, das Streitpatent sei bereits wegen unzulässiger Erweiterung des Gegenstands (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ) für nichtig zu erklären. Es sei ferner wegen fehlender Neuheit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 54 EPÜ) nicht patentfähig, jedenfalls aber durch den vorgelegten Stand der Technik für den Fachmann nahegelegt (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 56 Satz 1 EPÜ).
Hierbei stützt sie sich auf folgende Vorbenutzungen bzw. Entgegenhaltungen:
D1: PDA (= Personal Digital Assistant) „Apple Newton MessagePad 120”,
D1-1: „Apple MessagePad Handbook“, Benutzerhandbuch zur D1, Copyright 1995,
D1-2: „Important Late-Breaking Information“, Addendum zur D1-1, Copyright 1995,
D1-3: „Newton Programmers Guide for Newton 2.0“, Addison-Wesley Publishing Company, Copyright 1996,
D1-4: Veröffentlichung „Apple Facts 10.95“, Oktober 1995,
D1-5: Zeitschrift „Newton Technology Journal“, Bd. 1, Ausgabe 2, April 1995,
D2: PDA (= Personal Digital Assistant) „Motorola Envoy”,
D2-1: Motorola Envoy, Wireless Communicator, User’s Guide, Copyright 1994
D2-2: Motorola Envoy, Informationsbroschüre, Copyright 1994
D2-3: Motorola Envoy, 10 Fotos
D3: DE 44 96 561 T1,
D4: US 5 337 346 A,
D5: US 5 375 230 A,
D6: US 5 422 656 A,
D7: DE 33 23 435 C2.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 1 601 167 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent in der jeweiligen Fassung des Patentanspruchs 1 nach den Hilfsanträgen I bis VI, eingegangen mit Schriftsatz vom 2. April 2015, in dieser Reihenfolge richtet, mit der Maßgabe, dass sich Anspruch 1 jeweils die erteilten Ansprüche 2 bis 5 anschließen.
Sie hat in der mündlichen Verhandlung die weiteren Hilfsanträge IIa und IIb überreicht und erklärt, dass diese in der Reihenfolge nach dem bisherigen Hilfsantrag II und vor Hilfsantrag III zur Entscheidung gestellt werden sollen.
Die Beklagte beantragt ergänzend,
hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent in der jeweiligen Fassung der Patentansprüche 1 bis 5 nach Hilfsantrag IIa und IIb richtet.
In sämtlichen hilfsweise verteidigten Fassungen, die in den Akten teilweise auch mit arabischen Ziffern bezeichnet sind, ist jeweils der Oberbegriff gegenüber der erteilten Fassung unverändert, während der kennzeichnende Teil des Patentanspruchs 1 geändert ist (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung jeweils hervorgehoben).
Hilfsantrag I:
means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when an incoming call is detected in an automatic answering mode in which mode the telephone service is automatically activated upon said incoming call.
Hilfsantrag II:
means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when shifting from the notebook service to the telephone service, namely when an incoming call is detected.
Hilfsantrag IIa:
means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when an incoming call is detected and when shifting from the notebook service to the telephone service.
Hilfsantrag IIb:
means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when the telephone service is automatically activated upon an incoming call, namely when an incoming call is detected.
Hilfsantrag III:
means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when shifting from the notebook service to the telephone service, namely when an incoming call is detected in an automatic answering mode in which mode the telephone service is automatically activated upon said incoming call.
Hilfsantrag IV:
means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when an incoming call is connected, namely when an the incoming call is detected.
Hilfsantrag V:
means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when an incoming call is detected, namely when the incoming call is connected.
Hilfsantrag VI:
means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when an incoming call is detected and connected.
Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Das Streitpatent sei gegenüber der ursprünglich eingereichten Fassung der Stammanmeldung nicht unzulässig geändert. Sein Gegenstand sei patentfähig, da er zum Prioritätszeitpunkt durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik weder vorweggenommen gewesen sei noch demgegenüber nahegelegen habe.
Der Senat hat den Parteien einen Hinweis nach § 83 PatG vom 26. Februar 2015 zugestellt und in der mündlichen Verhandlung einen ergänzenden Hinweis erteilt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Die zulässige Klage ist begründet, da der Gegenstand des Streitpatents über den Inhalt der Stammanmeldung (veröffentlicht als EP 0 792 077 A1, NK6) in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht und somit unzulässig erweitert ist (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ). Somit ist das Streitpatent in der erteilten Fassung für nichtig zu erklären.
Es hat auch in keiner der Fassungen gemäß den Hilfsanträgen I, II, IIa, IIb sowie III bis VI, mit denen die Beklagte das Streitpatent hilfsweise verteidigt, Bestand, denn diese sind sämtlich unzulässig, da sie entweder den Schutzbereich des erteilten Patents erweitern (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. d) EPÜ) oder es an der ursprünglichen Offenbarung der jeweiligen Merkmalskombination in der Stammanmeldung fehlt (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ).
Vor diesem Hintergrund kann die Patentfähigkeit der Ansprüche nach Haupt- und Hilfsanträgen dahinstehen.
I.
1. a) Das Streitpatent betrifft eine Mehrfach-Dienst-Mobilstation (multi-service mobile station) mit einer Vielzahl von Servicefunktionen, die über eine Funkverbindung mit einem mobilen Kommunikationsnetzwerk verbunden ist. Neben den normalen Sprach- und Datendiensten soll die Mehrfach-Dienst-Mobilstation auch als vielseitiges Datenkommunikations-Endgerät geeignet sein. Sie bietet nach Absatz [0001] der Streitpatentschrift Telefax-, Kalender- und Notizbuchdienste an und ermöglicht eine Funkverbindung zu anderen Datenkommunikations-Netzwerken wie dem Internet.
Aus dem Stand der Technik seien neben Mobiltelefonen, die hauptsächlich für Sprachkommunikation verwendet würden, auch sogenannte elektronische Notizbücher – z. B. PDAs (Persönliche Digitale Assistenten) – bekannt. Diese wären typischerweise so groß wie ein größerer Taschenrechner, seien oftmals mit einem berührungsempfindlichen Bildschirm ausgestattet und böten Funktionen wie Kalender, Notizbuch, Telefonbuch und Taschenrechner (Patentschrift, Abs. [0004]).
Wenn man die Merkmale einer Mobilstation, eines Computers und eines PDAs in einer Vorrichtung geringer Größe integriere, sei das Ergebnis ein sehr vielseitiges schnurloses Datenkommunikations-Endgerät (Patentschrift, Abs. [0005]).
Eine solche Vorrichtung, die einen Sensor-Bildschirm, wie er von PDAs bekannt sei, ein DOS-Betriebssystem, wie es von Computern bekannt sei und eine übliche Mobilstation umfasse, sei aus der US 5 422 656 bekannt (Patentschrift, Abs. [0005]).
Ein Problem dieses aus der US 5 422 656 bekannten Gerätes sei es, dass bei einem Wechsel von einem ersten zu einem zweiten Dienst (z. B. von dem Telefax-Dienst zu dem Telefondienst) die in dem ersten Dienst verwendeten Informationen manuell vom Benutzer abgespeichert werden müssten. Nur auf diese Weise sei sichergestellt, dass sie durch den Wechsel auf den zweiten Dienst nicht verloren gingen, sondern bei einem erneuten Wechsel von dem zweiten zu dem ersten Dienst wieder verfügbar seien. Dies sei aufwändig und könne in der Eile leicht vergessen werden (Patentschrift, Abs. [0007]).
In der Beschreibung werden noch weitere Probleme des Standes der Technik geschildert, so z. B. das langsame Booten des DOS-Betriebssystems, das langsame Laden der einzelnen Dienste in den Speicher, die fehlende Fähigkeit des Betriebssystems zur gleichzeitigen Verwendung mehrerer Dienste, ein Datenverlust bei zu niedriger Batteriespannung, sowie hohe Kosten und Stromverbrauch durch den SRAM-Speicher, der bei PDAs üblich sei (Patentschrift Abs. [0006],[0007], [0010] und [0036]).
Gegenstand des durch Teilung entstandenen Streitpatents ist der bereits genannte Aspekt des Dienstwechsels, d. h. das Bewegen des Nutzers von einem Dienst zu einem anderen und das damit verbundene automatische Speichern der zu dem vorhergehenden Dienst gehörenden Informationen, damit diese nicht verloren gehen. Hierzu wird in der Beschreibung als Beispiel für einen Dienstwechsel der Wechsel des Nutzers von einem beliebigen Nicht-Sprach-Dienst hin zu dem Sprachdienst angegeben (Patentschrift Abs. [0012]).
b) Der erteilte Anspruch 1 soll diesen Betriebsfall weiter konkretisieren. Die unter Schutz gestellte Mehrfach-Dienst-Mobilstation verfügt über Mittel zum Verarbeiten von Diensten, wobei eine Benutzerschnittstelle die Auswahl aus mindestens zwei Diensten, und zwar einem Notebook-Dienst und einem Telefon-Dienst, zulässt. Die Mehrfach-Dienst-Mobilstation umfasst darüber hinaus Speicherelemente, und zwar ein sog. erstes Speicherelement zum Speichern von Informationen beim Benutzen eines Dienstes und ein zweites Speicherelement, das zum stromlosen Speichern von Informationen geeignet ist. Anspruchsgemäß verfügt die Mehrfach-Dienst-Mobilstation über Mittel zum automatischen Speichern von Informationen bezüglich der Informationen des Notebookdienstes, die von dem Benutzer verarbeitet werden, von dem ersten Speicherelement zu dem zweiten Speicherelement, wenn ein eingehender Anruf erfasst wird.
2. Patentanspruch 1 stellt in der Verfahrenssprache Englisch in der erteilten Fassung (Hauptantrag) eine Mehrfach-Dienst-Mobilstation mit folgenden Merkmalen (Gliederungspunkte hinzugefügt) unter Schutz:
1. A multi-service mobile station (1) which comprises means (42) for connecting the device by radio to the telecommunication network for using typical mobile communication services, such as speech and data services, wherein the multi-service mobile station comprises:
1.1 Means (41, 40, 47) for processing different information processing services (P1, P2),
1.2 a user interface (11, 12, 15, 16, 17, 21, 22, 23) for selecting an information processing service (P1, P2) between at least two processed services, a notebook service (P1) and a telephone service (P2),
1.3 a first memory (40) for storing information when using an information processing service;
1.4 a second memory (47) that is suitable for storing information without current; and
characterized by
1.5 means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when an incoming call is detected.
3. Maßgeblicher Fachmann ist ein Diplom-Ingenieur (Universität) der Fachrichtung Elektrotechnik, der über eine mehrjährige Berufserfahrung bei der Entwicklung von Schaltungskonzepten und hardwarenaher Software für Mobiltelefone und PDAs verfügt.
II.
Der Gegenstand des mit dem Hauptantrag verteidigten erteilten Patentanspruchs 1 geht über den Inhalt der europäischen Stammanmeldung 97 101 190.3 in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, so dass das Patent in dieser Fassung für nichtig zu erklären war (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ).
1. Nach dem Verständnis des Fachmanns stellt sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 wie folgt dar:
Gemäß Merkmal 1 handelt es sich bei dem unter Schutz gestellten Gegenstand um eine Mobilstation, die den Zugang zu mehreren Diensten ermöglicht. Merkmal 1 nennt die für einen Benutzer wesentliche Eigenschaft eines herkömmlichen Mobiltelefons, nämlich dass es ein Telefonmodul aufweist, um sich über Funk mit dem Mobilfunknetzwerk zu verbinden. Damit ist die Mehrfach-Dienst-Mobilstation in der Lage, typische mobile Kommunikationsdienste, wie Sprach- und Datendienste, zur Verfügung zu stellen. Unter Sprachdiensten versteht der Fachmann das Führen von Telefongesprächen, aber auch Dienste wie Anrufweiterleitung oder Gruppengesprächsdienst (vgl. auch Patentschrift Absatz [0031]). Datendienste sind nach dem Verständnis des Fachmanns Kurznachrichtendienste (z. B. SMS), Telefax-Dienste, E-Mail-Dienste und Verbindungen zum Internet. Unter den einleitend genannten mehreren Diensten der Mehrfach-Dienst-Mobilstation versteht der Fachmann jedoch auch solche Dienste, die dem Benutzer unabhängig von der Mobiltelefonfunktionalität zur Verfügung stehen, also beispielsweise Kalender, Telefonbuch, Notizbuch und Taschenrechner.
Unter den im Merkmal 1.1 genannten Mitteln zum Verarbeiten von informationsverarbeitenden Diensten versteht der Fachmann im Zusammenhang mit einer Mehrfach-Dienst-Mobilstation typischerweise einen Mikroprozessor mit zugehörigen Speicherelementen, in erster Linie einem sogenannten Arbeitsspeicher, sowie die zugehörige Betriebssystemsoftware. Der Mikroprozessor lädt das Betriebssystem sowie die einzelnen Dienste in den Arbeitsspeicher, sobald diese von dem Benutzer der Mehrfach-Dienst-Mobilstation aktiviert werden. Darüber hinaus verarbeitet der Mikroprozessor Nutzereingaben und steuert den Bildschirm sowie das die Mobiltelefonfunktionalität ermöglichende Telefonmodul. Unter informationsverarbeitenden Diensten versteht der Fachmann keine anderen Dienste als die bereits im Merkmal 1 genannten mehreren Dienste, die die Mehrfach-Dienst-Mobilstation dem Benutzer anbietet.
Unter der im Merkmal 1.2 genannten Benutzerschnittstelle versteht der Fachmann spezielle Tasten oder Knöpfe, eine herkömmliche Tastatur, einen berührungsempfindlichen Bildschirm oder auch ein Mikrofon zur Entgegennahme von Auswahlbefehlen des Benutzers.
Das im Merkmal 1.3 genannte erste Speicherelement zum Speichern von Informationen bei Verwendung eines Informationsverarbeitungsdienstes versteht der Fachmann als den Arbeitsspeicher, der – wie vorstehend zum Merkmal 1.1 ausgeführt – ein Bestandteil der dort genannten Mittel ist. In dem ersten Speicherelement, dem Arbeitsspeicher, befinden sich bei eingeschalteter Mehrfach-Dienst-Mobilstation typischerweise neben dem Betriebssystem auch die momentan verwendeten Dienste mit ihren jeweiligen Ein- und Ausgabedaten.
Unter dem zweiten Speicherelement, das gemäß Merkmal 1.4 geeignet ist, stromlos Informationen zu speichern, versteht der Fachmann ein Speicherelement, das zwar Strom bzw. Energie benötigt, um Informationen in ihm abzuspeichern, das aber dann in der Lage ist, die einmal abgespeicherten Informationen ohne eine Stromversorgung zu behalten. Daher versteht der Fachmann im Zusammenhang mit einer Mehrfach-Dienst-Mobilstation unter dem zweiten Speicherelement in erster Linie einen sogenannten Flash-Speicher. Einen sogenannten ROM-Speicher (Read-only-memory) sieht der Fachmann dagegen nicht als zweites Speicherelement an, weil ein solcher Speicher nicht in der Lage wäre, Informationen im laufenden Betrieb der Mehrfach-Dienst-Mobilstation zu speichern (wie es Merkmal 1.5 fordert), da ROM-Speicher nur einmal – bei ihrer Herstellung – beschrieben werden können.
Die im Merkmal 1.5 genannten Mittel zum automatischen Speichern von Informationen von dem ersten zu dem zweiten Speicherelement setzt der Fachmann mit den im Merkmal 1.1 genannten Mitteln, nämlich dem Mikroprozessor mit den Speicherelementen und der Betriebssystemsoftware, insofern gleich, als dass das Merkmal 1.5 nichts anderes als eine spezielle Funktionalität des Betriebssystems darstellt. Diese Funktionalität sorgt dafür, dass der Mikroprozessor, der mit dem auf ihm laufenden Betriebssystem die zentrale Steuerungsinstanz der Mobilstation darstellt, die beiden Speicherelemente geeignet ansteuert. Das „Speichern von Informationen […] von dem ersten Speicherelement zu dem zweiten Speicherelement“ („storing information […] from the first memory to the second memory“) im Merkmal 1.5 versteht der Fachmann als das Anlegen einer Kopie der genannten Informationen in dem zweiten Speicherelement im Sinne eines „copy-and-paste“-Vorgangs und nicht eines „cut-and-paste“-Vorgangs (vgl. EP 0 792 077 A1, Sp. 8, Z. 15 – 30).
Unter dem im Merkmal 1.5 genannten Erfassen eines eingehenden Anrufs versteht der Fachmann den Zeitpunkt der Übertragung eines entsprechenden Ausgangssignals von dem Telefonmodul an den Mikroprozessor (vgl. Figur 4 in der Patentschrift).
Die Angabe „zum automatischen Speichern […] wenn ein eingehender Anruf erfasst wird“ („automatically storing […] when an incoming call is detected“) im Merkmal 1.5 des erteilten Anspruchs 1 sieht der Fachmann als die das automatische Speichern von dem ersten zu dem zweiten Speicherelement auslösende Bedingung an. Das Speichern der im Merkmal 1.5 näher bezeichneten Informationen von dem ersten in das zweite Speicherelement vollzieht sich unmittelbar im Anschluss an die Erfüllung der Bedingung, d. h. an das Erfassen eines eingehenden Anrufs durch den Mikroprozessor, ohne dass weitere Bedingungen erfüllt sein müssten. Eine minimale Zeitverzögerung im Bereich einiger Prozessortakte, die sich durch die Verarbeitung der vom Telefonmodul an den Mikroprozessor gelieferten Information über den eingehenden Anruf und die Ausgabe eines Prozessorbefehls zur Speicherung an die beiden Speicherelemente ergibt, ist bei der konkreten technischen Realisierung einer Mobilstation unvermeidlich, dies liest der Fachmann daher als selbstverständlich mit (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 – X ZR 89/07 – Olanzapin). Prozessortaktfrequenzen mobiler Stationen lagen zum Prioritätszeitpunkt im Bereich von ca. 10 MHz bis ca. 30 MHz (vgl. D1-4, Seite 146: „Processor: ARM 610 RISC Speed: 20 megahertz“; D2-2, Seite 2: „Specifications Processor Motorola Dragon I 68349, 32-bit 16 MHz 3.3 V“; Nokia Communicator 9000 hatte eine Taktfrequenz von 24 MHz). Bei einer Taktfrequenz von 20 MHz und einer angenommenen Verarbeitungsdauer von 100 Takten ergäbe sich eine Verzögerung von ca. 5 µs; für eine Verarbeitungsdauer von 10.000 Takten entsprechend 0,5 ms).
Von dem im Merkmal M1.5 genannten Erfassen eines eingehenden Anrufs durch den Mikroprozessor der Mehrfach-Dienst-Mobilstation klar zu trennen sind zeitlich nachfolgende Ereignisse, wie z. B. die akustische und/oder optische Signalisierung des eingehenden Anrufs für den Nutzer der Mehrfach-Dienst-Mobilstation, die mögliche Anrufannahme, sowie die sich anschließende Anrufverbindung (Aufbau des stabilen Sprachkanals für die bidirektionale Kommunikation).
Demzufolge erhält der Fachmann aus dem Anspruch 1 im Zusammenhang mit der Beschreibung eine Anweisung, wie er ein automatisches Speichern von dem ersten Speicherelement zu dem zweiten Speicherelement bei Erfassen eines eingehenden Anrufs umsetzen soll. Die Lehre des Streitpatents ist deshalb entgegen der Auffassung der Klägerin vollständig und deutlich offenbart.
2. a) Vor dem Hintergrund des fachmännischen Verständnisses geht der erteilte Patentanspruch 1 über den Inhalt der Stammanmeldung 97 101 190.3 (veröffentlicht als EP 0 792 077 A1) in der Fassung hinaus, in der sie ursprünglich eingereicht worden ist. Merkmal 1.5, wonach eine Speicherung vom ersten zum zweiten Speicherelement bereits infolge des Erfassens eines Anrufs erfolgt, ist der Stammanmeldung nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen.
Zum Offenbarungsgehalt einer Anmeldung gehört nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur das, was den ursprünglich eingereichten Unterlagen unmittelbar und eindeutig als zu der zum Patent angemeldeten Erfindung gehörend zu entnehmen ist, nicht hingegen eine weitergehende Erkenntnis, zu der der Fachmann auf Grund seines allgemeinen Fachwissens oder durch Abwandlung der offenbarten Lehre gelangen kann. Eine unzulässige Erweiterung liegt vor, wenn der Gegenstand des Patents sich für den Fachmann erst auf Grund eigener, von seinem Fachwissen getragener Überlegungen ergibt, nachdem er die ursprünglichen Unterlagen zur Kenntnis genommen hat (vgl. BGH, Urteil v. 25.11.14 – X ZR 119/09 – Schleifprodukt, Rz. 19 m. w. N.)
Das Merkmal 1.5 des erteilten Anspruchs 1
1.5 means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when an incoming call is detected.
geht insofern über den Inhalt der Stammanmeldung hinaus, als dass hiernach die automatische Speicherung der Informationen des von dem Nutzer genutzten Notizbuchdienstes von dem ersten in das zweite Speicherelement bereits durch die Erfassung („is detected“) eines eingehenden Anrufs ausgelöst wird. Wie vorstehend zum Verständnis des Anspruchs 1 ausgeführt, erfolgt das Speichern der Notizbuchdienstinformationen gemäß erteiltem Anspruch 1 somit zeitlich unmittelbar nach dem Erfassen eines eingehenden Anrufs, unabhängig davon, ob es zu einer Verbindung des eingehenden Anrufs kommt.
Dagegen lehren die ursprünglichen Unterlagen allgemein, dass erst der Befehl des Nutzers zum Dienstwechsel bzw. der bereits erfolgte Dienstwechsel die Speicherung auslöst. So heißt es z. B. in Spalte 8, Zeilen 15 – 20 der NK6:
„When a user moves from a first service P1 to a second service P2, e.g. by pushing menu keys 21, processor 41 of the multi-service mobile station 1 saves the information from the display 15 of first service P1 and the user input P1‘ in memory 40 of multi-service mobile station 1.”
Speziell für den im Anspruch 1 des Streitpatents genannten Betriebsfall eines eingehenden Anrufs lehrt die Stammanmeldung, dass vor dem automatischen Speichern der Nutzer nicht nur den Dienstwechsel eingeleitet haben muss (durch Rufannahme z. B. pushing menu keys 21), sondern zusätzlich, dass der Dienstwechselbefehl auch Erfolg hatte, d. h. im Fall des eingehenden Anrufs dieser verbunden wurde, denn Sp. 2, Z. 46 ff. der EP 0 792 077 A1 sagt aus (Unterstreichungen hinzugefügt):
“Moving from one service to another is executed either by selecting the required service using specific service keys or by touching the part of a touch screen which indicates the required service. When the user moves from one service to another, the information belonging to the previous service is stored automatically. This is the case e.g. when the user is using some service other than speech service at the moment when an incoming call is connected and preferably no information is lost even if the user moves directly to speech service.”
Die ursprüngliche Offenbarung besagt somit, dass im konkreten Betriebsfall des Patentanspruchs 1, d. h. während der Nutzung speziell des Notizbuchdienstes, bei einem eingehenden Anruf die Speicherung der Notizbuchdaten erst zu dem Zeitpunkt erfolgt, wenn der eingehende Anruf verbunden wurde.
Dagegen setzt Merkmal 1.5 des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung weder einen Befehl des Nutzers für einen Dienstwechsel noch einen verbundenen Anruf voraus. Hier wird nur das Erfassen („is detected“) eines eingehenden Anrufs durch die Mehrfach-Dienst-Mobilstation als Bedingung angegeben, die das automatische Speichern auslösen soll. Gemäß Anspruch 1 erteilter Fassung findet also grundsätzlich bereits durch das Erfassen des eingehenden Anrufs eine automatische Speicherung statt, z. B. auch dann, wenn zwar ein eingehender Anruf erfasst wird, der Nutzer jedoch den Anruf nicht annimmt und somit eine Verbindung des eingehenden Anrufs nicht stattfindet.
Ein solcher Fall ist jedoch ursprünglich nicht offenbart; der erteilte Gegenstand des Streitpatents stellt daher eine Mehrfach-Dienst-Mobilstation mit Verarbeitungs- bzw. Speichermitteln unter Schutz, deren Ausgestaltung den Anmeldeunterlagen nicht zu entnehmen ist. Diese Abwandlung betrifft auch keinen verallgemeinerten Gegenstand, der nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. Schleifprodukt a. a. O.) den Rechtsbestand regelmäßig nicht in Frage stellt, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung - sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, Urteil vom 11. Fe-bruar 2014 - X ZR 107/12 – Kommunikationskanal).
Vielmehr nimmt die Mehrfach-Dienst-Mobilstation die Speicherung nach der erteilten Fassung unabhängig von einem Befehl zum Dienstwechsel vor, da sie bei einem eingehenden Anruf ausschließlich an einen der Verbindung vorgelagerten Zeitpunkt geknüpft ist, und zwar an das Erfassen („is detected“) des Anrufs durch die Mehrfach-Dienst-Mobilstation. Damit ergibt sich das Speichern nach dem erteilten Anspruch 1 aufgrund einer anderen Bedingung und zu einem anderen Zeitpunkt als es gemäß der ursprünglichen Offenbarung der Fall ist. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs ist daher weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend offenbart.
b) Die Klägerin hat zu dem Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung darüber hinaus vorgetragen, im Zusammenhang mit einem eingehenden Anruf sei überhaupt kein automatisches Speichern von einem ersten in ein zweites stromloses Speicherelement offenbart. Diese Wertung teilt der Senat nicht. Das genannte Speichern ist nicht nur, wie die Klägerin argumentiert, für die Fälle eines Batteriespannungsabfalls und des Aktivierens eines Stromsparmodus unmittelbar und eindeutig offenbart (EP 0 792 077 A1, Sp. 10, Z. 1 – 9 für den Fall des Spannungsabfalls der Batterie unter einen Schwellwert; Sp. 11, Z. 13 – 43 für den Fall des Stromsparmodus; in beiden Fällen werden alle dienstbezogenen Informationen von dem ersten Speicher 40 in den zweiten stromlosen Speicher 47 (um)gespeichert). Die EP 0 792 077 A1 zeigt das anspruchsgemäße Speichern von dem ersten zum zweiten Speicherelement auch für den Fall eines Dienstwechsels. Spalte 8, Zeilen 15 – 28 der EP 0 792 077 A1 sind relevant, denn dort heißt es (Unterstreichungen hinzugefügt):
„When a user moves from a first service P1 to a second service P2, e.g. by pushing menu keys 21, processor 41 of the multi-service mobile station 1 saves the information from the display 15 of first service P1 and the user input P1‘ in memory 40 of multi-service mobile station 1. When the application program P1 so commands, which is preferable for securing the information, the user input is stored also in flash memory 47 . In order to secure user information, it is possible, according to commands given by service P1 to Pn, to store information from memory 40 to flash memory 47 also according to other criteria. The information can be stored e.g. at five minute intervals, or the storing process can be connected to the power saving automation.”
Dieser Absatz lässt zwar durch die Angabe “saves […] the user input P1‘ in memory 40 […] When the application program P1 so commands […] the user input is stored also in flash memory 47” zunächst offen, ob hiermit bereits ein Speichern vom ersten Speicher 40 in den zweiten Speicher 47 im Sinne eines „copy-and-paste“-Vorgangs gemeint ist. Der unmittelbar folgende Satz konkretisiert den Speichervorgang jedoch dahingehend, dass zweifelsfrei von einem Speichervorgang im Sinne einer Kopie der Information die Rede ist („from memory 40 to flash memory 47“). Damit ist nach Überzeugung des Senats ein Speichern vom ersten in den zweiten Speicher im Zusammenhang mit einem Dienstwechsel unmittelbar und eindeutig offenbart. Da in der genannten Textstelle die beiden Dienste nicht näher benannt sind, ist jeder in der Stammanmeldung genannte Dienst als Konkretisierung geeignet und als ursprünglich offenbart anzusehen. Dies gilt somit auch für den Notizbuchdienst als ersten Dienst (EP 0 792 077 A1, Sp. 1, Z. 11; Sp. 6, Z. 58) und den bereits mehrfach genannten Telefondienst als zweiten Dienst (Sp. 2, Z. 18, 53; Sp. 3, Z. 14; Sp. 5, Z. 40).
Unabhängig davon fehlt es jedoch - wie oben unter 2a) ausgeführt - an der Offenbarung, dass bereits das Erfassen des eingehenden Anrufs den automatischen Speichervorgang startet.
Im Ergebnis weist daher die erteilte Fassung des Streitpatents gegenüber den ursprünglichen Unterlagen der Stammanmeldung eine unzulässige Erweiterung auf, so dass es in dieser Fassung für nichtig zu erklären war (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ).
III.
In den Fassungen der Hilfsanträge kann das Streitpatent nicht in zulässiger Weise verteidigt werden.
Die Hauptansprüche der Hilfsanträge I, II, IIa, IIb, III bis VI weisen im Vergleich zum Anspruch 1 in der erteilten Fassung jeweils Ergänzungen im Merkmal 1.5 auf. Die Unteransprüche 2 bis 5 sind demgegenüber unverändert.
1.1 Hilfsantrag I ist unzulässig, da der Gegenstand des Anspruchs 1 in dieser Fassung über den Inhalt der europäischen Stammanmeldung 97 101 190.3 hinausgeht (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ).
Merkmal 1.5 des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag I lautet:
„means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when an incoming call is detected in an automatic answering mode in which mode the telephone service is automatically activated upon said incoming call. ”
Der neu hinzugekommene Merkmalsteil ist als solcher in Sp. 3, Z. 11 – 16 der EP 0 792 077 A1 zwar ursprünglich offenbart:
„Because the multi-service mobile station automatically stores the information processed by it, it is possible to set the multi-service mobile station in automatic answering mode, in which mode speech service or respectively telefax service is automatically activated upon an incoming message.”
Hier wird ein automatischer Antwortmodus angesprochen, in dem der Sprachdienst (= Telefondienst) nach einer eingehenden Nachricht automatisch aktiviert würde. Eine eingehende Nachricht kann gemäß Sp. 5, Z. 39 – 41 der EP 0 792 077 A1 ein eingehender Anruf sein.
Dieser automatische Antwortmodus würde durch das automatische Speichern der durch die Mehrfach-Dienst-Mobilstation verarbeiteten Information ermöglicht.
Die vorstehend zitierte Textstelle der EP 0 792 077 A1 in der Spalte 3 befindet sich in dem allgemeinen Beschreibungsteil vor den Ausführungsbeispielen. In der Spalte 5, Zeile 33 ff. wird der automatische Antwortmodus im Zusammenhang mit einem Ausführungsbeispiel erneut aufgegriffen. Hier ist zu entnehmen, dass im Gegensatz zu einem herkömmlichen Mobiltelefon ein eingehender Anruf nicht nur durch Drücken einer Taste angenommen werden kann, sondern auch durch das Aufklappen des zweiteiligen Gehäuses durch den Benutzer. Bei aufgeklapptem Gehäuse würde der Telefon-Dienst als Folge eines eingehenden Anrufs automatisch aktiviert. Die Beklagte hat hierzu in der mündlichen Verhandlung - anders als in ihrem schriftsätzlichen Vortrag – ausgeführt, dass die automatische Aktivierung des Telefondienstes nicht mit einer automatischen Rufannahme gleichzusetzen sei. Diese Auffassung wird bestätigt durch Sp. 5, Z. 54 und 55 der EP 0 792 077 A1, denn dort ist davon die Rede, dass der Benutzer in dem automatischen Antwortmodus einen eingehenden Anruf blockieren kann. D. h., dass sogar in dem automatischen Antwortmodus ein eingehender Anruf nicht automatisch angenommen wird, sondern der Benutzer der Mehrfach-Dienst-Mobilstation die Anrufannahme verweigern kann.
Damit lässt sich der Stammanmeldung auch für den Fall der automatischen Aktivierung des Telefondienstes nicht unmittelbar und eindeutig entnehmen, dass bereits das Erfassen des eingehenden Anrufs den automatischen Speichervorgang starten würde. Vielmehr ist wie bei der durch den Nutzer eingeleiteten Rufannahme mangels einer anderen Offenbarung auch für den automatischen Antwortmodus die Verbindung des eingehenden Anrufs („when an incoming call is connected“) notwendig, um den Speichervorgang auszulösen. Auf die Ausführungen zum Hauptantrag wird insoweit Bezug genommen.
Insofern ist auch für den Fall des automatischen Antwortmodus eine automatische Speicherung erst mit der Verbindung des eingehenden Anrufs ursprünglich offenbart, nicht aber bereits mit dem Erfassen des eingehenden Anrufs.
1.2 Hilfsantrag II ist unzulässig, da der Gegenstand des Anspruchs 1 in dieser Fassung über den Inhalt der europäischen Stammanmeldung 97 101 190.3 hinausgeht (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ).
Merkmal 1.5 des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag II lautet:
“means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when shifting from the notebook service to the telephone service, namely when an incoming call is detected.”
In der mündlichen Verhandlung herrschte zwischen den Parteien Einigkeit darüber, dass das englische Wort „namely“ mit dem deutschen Begriff „nämlich“ zu übersetzen sei. Synonyme für „nämlich“ seien „und zwar“ oder „genauer gesagt“. Dieser Sichtweise schließt sich der Senat an. Der mit „namely“ eingeleitete Satzteil dient der näheren Erläuterung des vorhergehenden Satzteils.
Somit sagt das Merkmal 1.5 nach Hilfsantrag II aus, dass das automatische Speichern bei einem Dienstwechsel vom Notizbuch-Dienst zum Telefondienst aufgrund des Erfassens eines eingehenden Anrufs ausgelöst wird.
Es ist jedoch der Stammanmeldung nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass das automatische Speichern bei einem Dienstwechsel zum Telefondienst bereits durch das Erfassen eines eingehenden Anrufs ausgelöst wird. Vielmehr wird dieses Speichern im Fall des Dienstwechsels von dem Notizbuchdienst zum Telefondienst erst durch die der Anrufannahme nachfolgende Anrufverbindung („is connected“) ausgelöst (vgl. EP 0 792 077 A1, Sp. 2, Z. 54), wie auch schon zum Hauptantrag und Hilfsantrag I ausgeführt.
Danach geht der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag II über den Gegenstand der Stammanmeldung hinaus.
1.3 Hilfsantrag IIa ist unzulässig, da der Gegenstand des Anspruchs 1 in dieser Fassung den Schutzbereich gegenüber dem erteilten Patent erweitert (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. d) EPÜ).
Merkmal 1.5 des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag IIa lautet:
“means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when an incoming call is detected and when shifting from the notebook service to the telephone service .”
Gemäß Streitpatentschrift wird das Speichern stets durch den Eintritt einer Bedingung automatisch ausgelöst (Verbinden eines Anrufs bei Dienstwechsel zum Telefondienst, Abfall der Batteriespannung, Öffnen oder Schließen des Gehäuses, Energiesparmodus, Ablauf einer bestimmten Zeitspanne, Überschreiten einer bestimmten vom Nutzer eingegebenen Datenmenge). Der Fachmann versteht das automatische Speichern gemäß erteiltem Merkmal 1.5 in dem Sinne, dass es zeitlich unmittelbar nach Bedingungseintritt vollzogen wird. Anderenfalls wäre der Erfolg der Erfindung – das dauerhafte Abspeichern von Informationen bevor sie verloren gehen – in Gefahr, z. B. bei einem schnellen Abfall der Batteriespannung.
Der Fachmann versteht also den Anspruch 1 des erteilten Patents in dem Sinne, dass sich die automatische Informationsspeicherung zeitlich unmittelbar an das Erfassen eines eingehenden Anrufs anschließt, verzögert um die unvermeidliche Verarbeitungszeit des Mikroprozessors, die – wie zur Auslegung des Merkmals M1.5 dargelegt - im Bereich von einigen Mikrosekunden bis allenfalls einer Millisekunde liegt.
Die „UND“-Verknüpfung im Merkmal 1.5 nach Hilfsantrag IIa bedeutet, dass beide Bedingungen erfüllt sein müssen, um das automatische Speichern auszulösen. Dies führt zu einem anderen Gegenstand, denn im Gegensatz zum Anspruch 1 des erteilten Patents ist hier das automatische und zeitlich unmittelbar nach Erfassen des eingehenden Anrufs erfolgte Speichern nicht mehr gegeben. Vielmehr ist nun kumulativ die Erfüllung einer weiteren Bedingung notwendig, nämlich der Dienstwechsel hin zum Telefondienst. Dieser kann jedoch zeitlich erheblich später erfolgen (z. B. 20 Sekunden) als das Erfassen eines eingehenden Anrufs. Damit erfolgt gemäß Hilfsantrag IIa das automatische Abspeichern zu einem Zeitpunkt, der von einer anderen logischen Bedingung abhängt, als es gemäß dem erteilten Patent der Fall ist. Aus dem erteilten „so früh wie möglich“ würde ein „nicht früher als möglich, aber erst nach dem Wechsel vom Notebook-Dienst zum Telefon-Dienst“.
Das stellt keine bloße Beschränkung des Anspruchs, sondern eine Veränderung des Schutzbereichs dar, so dass der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag IIa wegen Erweiterung des Schutzbereichs gegenüber dem erteilten Patent unzulässig ist.
1.4 Hilfsantrag IIb ist unzulässig, da der Gegenstand des Anspruchs 1 in dieser Fassung über den Inhalt der europäischen Stammanmeldung 97 101 190.3 hinausgeht (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ).
Merkmal 1.5 des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag IIb lautet:
“means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when the telephone service is automatically activated upon an incoming call, namely when an incoming call is detected.”
Die hier genannte automatische Aktivierung des Telefondienstes nach einem eingehenden Anruf ist in der Stammanmeldung nur im Zusammenhang mit dem automatischen Antwortmodus offenbart (vgl. EP 0 792 077 A1, Sp. 3, Z. 11 – 16). Damit führt bereits das Weglassen dieses Merkmalsteils gegenüber der Stammanmeldung zu einer unzulässigen Erweiterung.
Selbst unter der Annahme, dass diese Verallgemeinerung zulässig wäre, ist jedoch der Stammanmeldung - wie bereits zum Hilfsantrag I ausgeführt – nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass im Falle des automatischen Antwortmodus die automatische Speicherung bereits durch die Aktivierung des Telefondienstes bzw. durch das Erfassen eines eingehenden Anrufs ausgelöst würde. Vielmehr ist im Lichte der ursprünglichen Offenbarung auch für diesen Fall davon auszugehen, dass die Abspeicherung erst nach Anrufannahme und nachfolgender Anrufverbindung stattfindet.
1.5 Hilfsantrag III ist unzulässig, da der Gegenstand des Anspruchs 1 in dieser Fassung über den Inhalt der europäischen Stammanmeldung 97 101 190.3 hinausgeht (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ).
Merkmal 1.5 des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag III lautet:
“means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when shifting from the notebook service to the telephone service, namely when an incoming call is detected in an automatic answering mode in which mode the telephone service is automatically activated upon said incoming call .”
Gemäß dem Satzteil vor „namely“ ist hier der Dienstwechsel vom Notizbuch-Dienst hin zum Telefondienst das Kriterium für das Speichern der Information von dem ersten zu dem zweiten Speicherelement. Der nächste Satzteil konkretisiert den Dienstwechsel insofern, als dass dieser durch das Erfassen eines eingehenden Anrufs im automatischen Antwortmodus ausgelöst werden soll.
Hier ergibt sich keine andere Beurteilung als zum Hilfsantrag IIb. Es ist ursprünglich nicht offenbart, dass das Speichern im automatischen Antwortmodus bereits durch das Aktivieren des Telefondienstes – gleichbedeutend mit Wechsel vom Notizbuchdienst zum Telefondienst – ausgelöst würde. Vielmehr ist im Lichte der ursprünglichen Offenbarung auch für diesen Fall davon auszugehen, dass die Abspeicherung erst nach Anrufannahme und nachfolgender Anrufverbindung stattfindet.
1.6 Hilfsantrag IV ist unzulässig, da der Gegenstand des Anspruchs 1 in dieser Fassung über den Inhalt der europäischen Stammanmeldung 97 101 190.3 hinausgeht (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ).
Merkmal 1.5 des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag IV lautet:
“means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when an incoming call is connected, namely when an the incoming call is detected.”
Die erläuternde Gleichsetzung („namely“ = nämlich, und zwar) der Bedingung bzw. des Zeitpunktes „when an incoming call is connected“ mit der Bedingung bzw. dem Zeitpunkt „when the incoming call is detected“ ist weder ursprünglich offenbart noch liest sie der Fachmann mit. Es handelt sich um unterschiedliche Zeitpunkte. Zu Beginn steht – aus Sicht der Mehrfach-Dienst-Mobilstation – das Erfassen („is detected“) eines eingehenden Anrufs, dann folgen verschiedene weitere Signalisierungsschritte und die Anrufannahme. Ganz am Ende steht dann das Verbinden des Anrufs („is connected“).
Zwei unterschiedliche Zeitpunkte können sich nicht gegenseitig konkretisieren. Insofern liegt hier ein anderer Sachverhalt vor als bei der von Beklagten zitierten Rechtsprechung (BGH Xa ZB 14/09 – Winkelmesseinrichtung).
1.7 Hilfsantrag V ist unzulässig, da der Gegenstand des Anspruchs 1 in dieser Fassung über den Inhalt der europäischen Stammanmeldung 97 101 190.3 hinausgeht (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ).
Merkmal 1.5 des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag V lautet:
“means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when an incoming call is detected, namely when the incoming call is connected.”
Die Identität der Bedingungen bzw. Zeitpunkte „when an incoming call is detected“ und „when an incoming call is connected“ ist nicht ursprünglich offenbart. Hier gilt das zum Anspruch 1 des Hilfsantrags IV Gesagte in entsprechender Weise.
Die von der Beklagten schriftsätzlich hierzu vorgetragene Auslegung des Begriffs „namely“ als „UND“-Verknüpfung der beiden Bedingungen würde zu einer Erweiterung des Schutzbereichs des erteilten Patents führen. Hierzu wird auf die Ausführungen zum Hilfsantrag VI verwiesen, in den diese „UND“-Verknüpfung explizit aufgenommen wurde.
1.8 Hilfsantrag VI ist unzulässig, da der Gegenstand des Anspruchs 1 in dieser Fassung den Schutzbereich gegenüber dem erteilten Patent erweitert (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. d) EPÜ).
Merkmal 1.5 des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag VI lautet:
“means (40, 41, 47) for automatically storing information related to said information of the notebook service processed by the user from the first memory to the second memory, when an incoming call is detected and connected.”
Durch die „UND“-Verknüpfung der beiden Bedingungen zum automatischen Speichern ergibt sich die zum Hilfsantrag IIa dargestellte zeitliche Situation mit dem Unterschied, dass das Verbinden des Anrufs zeitlich sogar noch nach dem Dienstwechsel erfolgt.
Dadurch würde der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag VI den Schutzbereich gegenüber dem erteilten Patents erweitern.
Im Ergebnis kann das Streitpatent in keiner der hilfsweise verteidigten Fassungen Bestand haben.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.