Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 15.02.2012


BPatG 15.02.2012 - 5 Ni 59/10 (EP)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – unwirksame Inanspruchnahme einer Priorität –


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsdatum:
15.02.2012
Aktenzeichen:
5 Ni 59/10 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
nachgehend BGH, 21. Januar 2013, Az: X ZR 49/12, Beschlussnachgehend BGH, 16. April 2013, Az: X ZR 49/12, Urteil
Zitierte Gesetze
Art II § 6 Abs 1 IntPatÜbkG
Art 87 EuPatÜbk
Art 88 EuPatÜbk
Art 89 EuPatÜbk
Art 139 Abs 2 EuPatÜbk

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 240 041

(DE 600 18 608)

hat der 5. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2012 durch den Vorsitzenden Richter Gutermuth, den Richter Dipl.-Ing. Bork, die Richterin Martens sowie die Richter Dipl.-Ing. Reinhardt und Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Weber

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 1 240 041 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 10 und 12, soweit dieser nicht auf Patentanspruch 11 zurückbezogen ist, für nichtig erklärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des u. a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 240 041 (Streitpatent), das die Priorität der deutschen Voranmeldung DE 199 61 706 vom 21. Dezember 1999 in Anspruch nimmt, als deren Inhaberin die Firma S… -… GmbH & Co. KG, ein Tochterunternehmen der Beklagten, im Register einge-tragen ist. Das Streitpatent geht auf die internationale Patentanmeldung (Aktenzeichen: PCT/FR2000/003656) vom 21. Dezember 2000 zurück, ist in der Verfahrenssprache Französisch veröffentlicht und betrifft eine "Anordnung zum Verbinden einer fest eingebauten Fahrzeugscheibe mit einem angrenzenden Bauteil". Es wird beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) unter der Nummer DE 600 18 608 geführt und umfasst 12 Patentansprüche, die mit Ausnahme von Patentanspruch 11 alle mit der Nichtigkeitsklage angegriffen sind.

2

Patentanspruch 1 des Streitpatents lautet in deutscher Übersetzung wie folgt:

Abbildung

3

Wegen des Wortlauts der direkt oder indirekt auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 12 wird auf die Streitpatentschrift (EP 1 240 041 B1) Bezug genommen.

4

Die Klägerin trägt vor, das Streitpatent nehme zu Unrecht den Zeitrang der deutschen Voranmeldung in Anspruch, da Anmelder des Streitpatents nicht derjenige sei, der die Prioritätsanmeldung eingereicht habe. Zudem sei der Gegenstand des Streitpatents - insbesondere mangels Neuheit gegenüber dem Stand der Technik - nicht patentfähig. Hierzu beruft sich die Klägerin auf folgende Druckschriften:

5

D1 - GB 2 132 130 A

6

D2 - DE 32 04 351 A1

7

D3 - EP 0 304 351 A1

8

D4 - DE 36 04 389 A1

9

D5 - US 5 154 028 B1

10

D6 - DE 42 32 554 C1

11

D7 - DE 43 26 650 A1

12

D8 - DE 44 04 348 A1.

13

Die Klägerin beantragt,

14

das europäische Patent 1 240 041 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 10 und 12, soweit dieser nicht auf Patentanspruch 11 rückbezogen ist, für nichtig zu erklären.

15

Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags gemäß Anlage zum Schriftsatz vom 31. Januar 2012.

18

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent in den verteidigten Fassungen für rechtsbeständig. In der mündlichen Verhandlung hat sie zur Frage des Prioritätsübergangs der Erstanmeldung DE 199 61 706, die von ihrer deutschen Tochtergesellschaft S… -… GmbH & Co. KG eingereicht worden war, auf sich als Muttergesellschaft und Inhaberin des Streitpatents erklärt, alle Schutzrechte der konzernverbundenen Unternehmen stünden grundsätzlich der Muttergesellschaft zu. Da es der Beklagten nach französischem Recht aber verwehrt gewesen sei, selbst eine Erstanmeldung in Deutschland zu tätigen, habe die deutsche Tochtergesellschaft die Prioritätsanmeldung vorgenommen. Zum Nachweis, dass eine Übertragung des Prioritätsrechts auf die Patentinhaberin stattgefunden habe, hat die Beklagte als Anlage D23 ein Schreiben vom 6. Januar 2000 an den Leiter der Patentabteilung der Muttergesellschaft, Herrn L…, vorgelegt. Es sei von einem da-maligen Mitarbeiter der deutschen Tochtergesellschaft zu dem Zweck verfasst worden, den Chef von der Einreichung der nationalen Anmeldung zu unterrichten, damit dieser über die Erstreckung auf andere Länder entscheide. Das Schreiben, in dem der Absender in Absatz 4 ausdrücklich um eine Entscheidung über die Schutzerstreckung nachsuche, sei als Angebot zur Übertragung des Prioritätsrechts zu werten. Die Muttergesellschaft habe dieses Angebot konkludent angenommen. Das ergebe sich aus dem als D24 eingereichten Auszug aus der PCT-Anmeldeakte. Darin habe Herr L… am 4. Dezember 2000 entschieden, dass eine Schutzerstreckung auf die dort im Einzelnen näher bezeichneten Länder vorgenommen werden solle, und zwar im Namen und auf Kosten der Beklagten. Da dieses Schreiben das übereinstimmende interne Aktenzeichen VE 955 wie die Anlage D23 trage und an deren Absender gerichtet war, bringe es den Willen der Beteiligten zur Übertragung des Prioritätsrechts zum Ausdruck. Die Übertragung habe vor Abgabe der Prioritätserklärung und damit auch rechtzeitig stattgefunden, so dass die Beklagte die Voraussetzungen einer wirksamen Inanspruchnahme der Priorität für das Streitpatent nachgewiesen habe. Ihrer Ansicht nach komme es jedoch hierauf letztlich nicht an, da alle Formalien der wirksamen Inanspruchnahme der Priorität bei Anmeldung des Streitpatents abschließend geprüft worden seien.

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Auf den Hinweis des Vorsitzenden, der Senat habe nach vorläufiger Einschätzung Bedenken gegen die Annahme des Nachweises einer wirksamen Übertragung des Prioritätsrechts, hat die Beklagte als Anlage D25 Kopien eines "AVENANT ALL CONTRAT DE POOL DE RECHERCHE ET DE DEVELOPPEMENT DES TECHNIQUES INDUSTRIELLES DU VITRAGE" vom 19. Dezember 1991 mit Nachtrag vom 17. Dezember 2001 vorgelegt. Sie führt dazu aus, dieser Vertrag enthalte in Artikel 13.02 die Vereinbarung, dass alle Schutzrechte Eigentum der Patentinhaberin seien, bei der es sich um die Rechtsnachfolgerin der dort genannten S1… handele. Dies könne durch weitere Unterlagen, insbesondere Handelsregisterauszüge, belegt werden.

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Die Klägerin rügt, die Anlagen D23 bis D25 seien in französischer Sprache abgefasst, ohne dass eine Übersetzung ins Deutsche vorgelegt worden sei. Hierfür hätte der Beklagten ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden, da die Übertragung des Prioritätsrechts bereits in der Klageschrift behandelt worden sei und die Beklagte in der Klageerwiderung angeboten hatte, hierzu Unterlagen vorzulegen. Sie weist zudem darauf hin, dass eine materielle Prüfung der Priorität durch die Erteilungsbehörde bei der Hinterlegung einer Anmeldung nicht erfolge. Häufig werde die wirksame Inanspruchnahme eines Prioritätsrechts erst zu einem späteren Zeitpunkt streitig und könne dann geprüft werden. Die Klägerin bestreitet, dass sich aus der Anlage D24 entnehmen lasse, Anmeldungen ausländischer Tochterunternehmen gehörten automatisch der Muttergesellschaft. Die Anlage D23 enthalte kein Angebot der Tochtergesellschaft an die Mutter zur Übertragung des Prioritätsrechts, sondern sei auf ein reines Informationsschreiben beschränkt. Aus der Tatsache der Hinterlegung der Anmeldung des Streitpatents durch die Beklagte könne nicht automatisch auf eine wirksame Übertragung des unabhängigen Prioritätsrechts geschlossen werden. Im Zusammenhang mit Anlage D25 bestreitet die Klägerin die von der Beklagten vorgetragenen Rechtsübergänge mit Nichtwissen. Vorsorglich rügt sie die Vertretungsbefugnis der die Vereinbarung unterzeichnenden Personen, deren Namen nicht angegeben seien, so dass auch die von der Beklagten angebotene registerrechtliche Überprüfung keine weitere Aufklärung verspreche.

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Der Senat hat den Parteien einen gerichtlichen Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG vom 20. Dezember 2011 übermittelt. Insoweit wird ebenso wie wegen des weiteren Vorbringens der Parteien auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

22

Die Klage ist zulässig und begründet, denn das Streitpatent ist nicht patentfähig gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 139 Abs. 2, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 54 EPÜ i. V. m. § 3 Abs. 2 PatG. Die ältere nachveröffentlichte deutsche Anmeldung 199 61 706 nimmt das Streitpatent neuheitsschädlich vorweg, nachdem die Inanspruchnahme der Priorität aus diesem Schutzrecht nicht wirksam ist.

23

1. Der Beklagten ist der Nachweis, dass sie Inhaberin der prioritätsbegründend für das Streitpatent in Anspruch genommenen deutschen Anmeldung 199 61 706 geworden ist, nicht gelungen. Dies geht insbesondere nicht aus dem beim DPMA geführten Register hervor. Ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung, wonach sämtliche Schutzrechte im Firmenverbund ihr als Konzernmutter gehörten, hat die Beklagte nicht belegen können. Soweit sie ausführt, die Einreichung der deutschen Anmeldung 199 61 706 durch die Firma S… … GmbH & Co. KG sei für die Beklagte erfolgt, müsste sich dies aus ei-ner Vereinbarung zwischen den konzernverbundenen Unternehmen ergeben. Die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überreichten Anlagen D23 und D24 bieten für ein treuhänderisches Verhältnis zwischen ihr und der Anmelderin der Prioritätsanmeldung keinen Anhaltspunkt. Gleiches gilt für den mit Anlage D25 vorgelegten Vertrag. Wenn die Beklagte insoweit ihre Auffassung auf "ARTICLE 13 - PROPRIETE INDUSTRIELLE - BREVETS NOUVEAUX" stützt, spricht Absatz 13.02 eher gegen ein solches Treuhandverhältnis. Zwar kann der Bestimmung möglicherweise entnommen werden, dass Anmeldungen grundsätzlich im Namen eines "coordinateur S1…" eingereicht werden sollen. Für den Fall, dass es sich aber um eine erste Hinterlegung handelt, soll vereinbarungsgemäß die Anmeldung auf "S1…" zu übertragen sein, was ein im Hinterlegungszeitpunktbestehendes Treuhandverhältnis zwischen dem Anmelder und jedenfalls dem Koordinator gerade ausschließen würde. Welches Unternehmen sich hinter dem Firmenkürzel "S1…" verbirgt, ergibt sich weder ohne Weiteres aus dem Vertragstext noch konnte die Beklagte dies letztlich aufklären. Sie trägt zwar vor, die Abkürzung stehe für die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Firma S2… -…. Unterstellt, diese Aussage sei zutreffend, könnte hieraus ebenfalls nicht auf ein Treuhandverhältnis mit der Beklagten geschlossen werden. Da diese aber gleichzeitig nicht ausschließen konnte, dass mit "S1…" auch die Firma S3 … International gemeint sein könnte, besteht letztlich keine Klarheit, welches Unternehmen als Koordinator eingesetzt war. Der Umstand, dass beide Unternehmen bei den Unterschriften auf Seite 20 der D25 in der obersten Zeile und damit an hervorgehobener Stelle nebeneinander aufgeführt sind, könnte ebenfalls dafür sprechen, dass die Firma S3… International laut der Vereinbarung im Konzern die Koordination des Patentwesens verantworten sollte und mit dem Kürzel "S1…" bezeichnet wurde. Abgesehen von den Zweifeln, ob im Zeitpunkt der Hinterlegung der Prioritätsanmeldung überhaupt und gegebenenfalls zwischen wem ein Treuhandverhältnis bestanden haben könnte, verweist die Klägerin zurecht darauf, dass in der von der Beklagten angeführten Vertragsklausel 13.02 allenfalls eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Übertragung von Schutzrechten vereinbart sein kann. Ob eine solche Übertragung bezüglich der deutschen Anmeldung, deren Priorität das Streitpatent beansprucht, auch tatsächlich stattgefunden habe, kann der Bestimmung jedenfalls nicht entnommen werden, worin der Klägerin zuzustimmen ist.

24

2. Soweit die Beklagte hilfsweise vorträgt, das Prioritätsrecht sei ihr vor Inanspruchnahme für ihre internationale Anmeldung wirksam übertragen worden, und meint, dies könne im Nichtigkeitsverfahren nicht mehr überprüft werden, kann dieser Auffassung aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ genießt derjenige, der eine dort näher bezeichnete Anmeldung vorschriftsmäßig hinterlegt hat, oder sein Rechtsnachfolger, für die Anmeldung derselben Erfindung zum europäischen Patent innerhalb der Prioritätsfrist nach dem Anmeldetag der ersten Anmeldung ein Prioritätsrecht. Somit ist die isolierte Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität auf einen Rechtsnachfolger zulässig und unter der Voraussetzung wirksam vorgenommen, dass sie spätestens bei Inanspruchnahme für die Nachanmeldung vorgelegen hat.

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Im Rahmen der Inanspruchnahme einer Priorität für eine europäische Nachanmeldung sind Gegenstand der Eingangsprüfung nach Art. 90 Abs. 3 EPÜ jedoch lediglich deren förmliche Voraussetzungen nach Art. 88 Abs. 1 EPÜ. Unbeschadet dessen hat eine Überprüfung, ob die materiellen Voraussetzungen der Inanspruchnahme zum maßgeblichen Zeitpunkt vorgelegen haben, im Erteilungs-, Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren zu erfolgen mit dem Ziel der Feststellung, ob einem Schutzrecht der beanspruchte Zeitrang vor dem Anmeldetag auch tatsächlich zusteht (vgl. für das Erteilungsverfahren BPatG, Beschluss vom 28. Oktober 2010, Aktenzeichen 11 W (pat) 14/09, veröffentlicht in BPatGE 52, 207, 212 f. - Unterbekleidungsteil). Zu den materiellen Voraussetzungen zählt bei fehlender Anmelderidentität auch der Nachweis eines wirksam erfolgten Rechtsübergangs. Da die unbestritten denselben Patentgegenstand betreffende deutsche Erstanmeldung 199 61 706 als älteres Recht nach Art. 139 Abs. 2 EPÜ i. V. m. § 3 Abs. 2 PatG der Bestandskraft des Streitpatents entgegenstehen kann, soweit das Streitpatent nicht durch die Rechtswirkungen des Art. 89 EPÜ geschützt ist, ist zu prüfen, ob die Inanspruchnahme der Priorität wirksam erfolgt ist und dem Streitpatent daher zurecht der Prioritätstag als Zeitrang gebührt.

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Dies hätte zur Voraussetzung, dass es der Beklagten gelungen wäre, zur Überzeugung des Senats nachweisen, dass ihr das Prioritätsrecht aus der Erstanmeldung von der Firma S4… GmbH & Co. KG als Inhaberin des älteren Rechts wirksam übertragen wurde. Im Ergebnis lassen die hierzu vorgelegten Anlagen D23 und D24 jedoch zumindest mehrere Interpretationsmöglichkeiten zu. So ist die Ansicht der Klägerin nicht von der Hand zu weisen, beim Schreiben vom 6. Januar 2000 an den Leiter der Patentabteilung der Muttergesellschaft handele es sich um die bloße firmeninterne Mitteilung, dass die deutsche Anmeldung getätigt worden sei. Es sind dem Schreiben nach Ansicht des Senats keine konkreten Anhaltspunkte zu entnehmen, aus denen sich ergäbe, dass die auf Seiten der Beklagten bzw. der deutschen Tochtergesellschaft handelnden Personen sich bewusst gewesen wären, für die zum Streitpatent führende Nachanmeldung, bei der der Zeitrang der Erstanmeldung beansprucht werden sollte, könnte eine Übertragung des Prioritätsrechts auf die Beklagte erforderlich sein. Mit der Anlage D23, die gut zwei Wochen nach Einreichung der deutschen Anmeldung datiert, ist vielmehr erkennbar lediglich die schlichte Information seitens eines konzernverbundenen Unternehmens an die zentrale Patentabteilung bezweckt, dass sie beim DPMA eine Neuanmeldung getätigt habe (1. Absatz des Schreibens), die die Verbindung einer Fahrzeugscheibe mit einem angrenzenden Bauteil betreffe und inwiefern sich diese Erfindung vom Stand der Technik unterscheide (2. Absatz). Der Adressat wird im 3. Absatz über den Kern der Erfindung, speziell über das Profilteil ("le profilé") und seine Beschaffenheit in Kenntnis gesetzt. Im 4. Absatz des Schreibens wird berichtet, dass ein Prüfungsantrag bereits gestellt sei und der Adressat informiert werde, sobald der erste Prüfungsbescheid vorläge, um ihm die Entscheidung bezüglich einer möglichen Schutzerstreckung im Ausland zu erleichtern. Die am Schluss des Schreibens durch Fettdruck deutlich hervorgehobene Bitte an den Adressaten, das entsprechende "SCB"-Aktenzeichens dem Absender auf der beigefügten Kopie mitzuteilen, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass dem Schreiben Bedeutung nur als Erstinformation über ein entstandenes Schutzrecht zukommt, das es firmenintern zu erfassen und verwaltungsmäßig einzuordnen gilt.

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Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Formulierung in Absatz 4 des Schreibens infolgedessen nicht ein Angebot bzw. eine entsprechende Willenserklärung der Willen seines Absenders zur Übertragung des Prioritätsrechts zu entnehmen. Eine beim Leiter der Patentabteilung der Beklagten liegende Entscheidungskompetenz über Nachanmeldungen impliziert nicht ohne konkrete nähere Angaben zum Schutzrecht eine generelle Übung, jeweils ein eventuell bestehendes Prioritätsrecht zu übertragen. Weder im Gesamtzusammenhang des Schreibens noch speziell aus dem 4. Absatz der D23 wird dem Empfänger ein Bewusstsein dafür vermittelt, eventuelle Schutzerstreckungen auf der Basis der deutschen Voranmeldung bedürften einer solchen Übertragung. Daher kann bei einer Gesamtwürdigung des Schreibens D23 nicht unterstellt werden, aus der Sicht des Empfängers enthalte es erkennbar ein Angebot seitens des Anmelders zur Übertragung des Prioritätsrechts. Im Zusammenhang mit einem ernsthaften Angebot hätte es etwa eines Hinweises darauf bedurft, bis zum welchem Zeitpunkt (Ablauf der Prioritätsfrist) die Annahme des Angebots noch rechtswirksam erklärt werden könne. Gegen das Vorhandensein eines rechtsgeschäftlichen Erklärungswillen auf Seiten des deutschen Tochterunternehmens spricht im Übrigen der äußere Umstand, dass nicht dessen Leiter der Patentabteilung das Schreiben verfasst hat, sondern der von der Beklagten als Mitarbeiter der Tochtergesellschaft bezeichnete Herr K…. Rechtsgeschäftliche Vereinbarungen zwischen rechtlich selbständigen Unternehmen werden aber regelmäßig durch die hierzu satzungsgemäß berufenen Organe oder deren Vertreter abgeschlossen.

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Ein Nachweis, dass auf Seiten der Beklagten das Bewusstsein vorgelegen habe, für eine wirksame Inanspruchnahme des Zeitrangs der Voranmeldung bedürfe es einer Übertragung des Prioritätsrechts, kann auch nicht der Anlage D24 entnommen werden. Sie dokumentiert nichts weiter als die Entscheidung durch den Leiter der Patentabteilung der Beklagten vom 4. Dezember 2000, dass für die auf dem Formular angekreuzten Länder Nachanmeldungen im Namen und für Rechnung der Beklagten vorzunehmen sind. Ein Bezug zur Anlage D23 ist nur mit Hilfe des identischen internen Zeichens "VE 955" herzustellen. Weder wird das Schreiben vom 6. Januar 2000 erwähnt noch ist es an dessen Absender gerichtet. Der Tatsache, dass im Verteiler als Empfänger der D24 auch der damalige Leiter der Patentabteilung der deutschen Tochtergesellschaft aufgeführt ist, kann jedenfalls eine Annahme eines zugunsten der Beklagten hier unterstellten Angebots zur Übertragung der Priorität nicht entnommen werden. Die Mitteilung an den Leiter der Patentabteilung der deutschen Tochter kann ebenso der Information über das weitere Vorgehen in dieser Angelegenheit gedient haben.

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Fehlt es daher vorliegend am Nachweis einer wirksamen Übertragung des Prioritätsrechts aus der früheren deutschen Anmeldung 199 61 706, kann als Anmeldetag der europäischen Anmeldung und somit des Streitpatents nach Art. 89 EPÜ nicht der Prioritätstag 21. Dezember 1999 beansprucht werden. Für den Zeitrang des Streitpatents maßgeblich ist vielmehr der Tag des Eingangs der Anmeldung 21. Dezember 2000. Somit stellt die am 5. Juli 2001 offengelegte - und damit nachveröffentlichte - Druckschrift DE 199 61 706 A1 gegenüber dem Streitpatent ein älteres nationales Recht nach Art. 139 Abs. 2 EPÜ dar, weshalb nach § 3 Abs. 2 PatG die Neuheit in Frage gestellt ist. Dass inhaltlich Prioritätsanmeldung und Streitpatent sich entsprechen, hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt, eine Diskussion darüber sei nicht erforderlich. Das Streitpatent war daher wegen fehlender Neuheit im Umfang des Angriffs für nichtig zu erklären.

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Auf die Frage, ob im Hinblick auf die in französischer Sprache abgefassten Dokumente das rechtliche Gehör der Klägerin in ausreichendem Maße gewahrt wurde, kommt es ebenso wenig an wie auf die Frage, ob die Vorlage dieser Dokumente gemäß § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG präkludiert werden hätte können, wobei andererseits durch die Formulierung im Hinweis des Senats vom 20. Dezember 2011, Ziffer 3, bei der Beklagten möglicherweise der Eindruck entstehen konnte, auf Prioritätsfragen komme es voraussichtlich nicht an.

II.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG und § 709 ZPO.