Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 07.11.2012


BPatG 07.11.2012 - 5 Ni 39/10 (EP)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – „Verfahren zur Kommunikation und insbesondere ein Mehrträger-Kommunikationssystem und Verfahren, mit denen eine Overhead-Kanalübertragungsgeschwindigkeit steuerbar geändert werden kann“ (europäisches Patent) – unzulässige Erweiterung des Inhalts


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsdatum:
07.11.2012
Aktenzeichen:
5 Ni 39/10 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze
Art 2 § 6 Abs 1 Nr 3 IntPatÜbkG
Art 138 Abs 1 Buchst c EuPatÜbk

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 090 490

(DE 699 20 226)

hat der 5. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 7. November 2012 durch den Vorsitzenden Richter Gutermuth, die Richterin Martens sowie die Richter Dipl.-Ing. Gottstein, Dipl.-Ing. Kleinschmidt und Dipl.-Geophys. Dr. Wollny

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 1 090 490 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 15 bis 17 insoweit für nichtig erklärt, als diese über folgende Fassung hinausgehen:

„15. Digitaler Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation in einer Ausgestaltung zum Senden einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal und dadurch gekennzeichnet, dass der Transceiver so ausgestaltet ist, dass die Sendegeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbyte für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, derart, dass die Anzahl von Overhead-Datenbyte für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead-Datenbyte für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz.

16. Digitaler Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation in einer Ausgestaltung zum Empfangen einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal und dadurch gekennzeichnet, dass der Transceiver so ausgestaltet ist, dass die Empfangsgeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbyte für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, derart, dass die Anzahl von Overhead-Datenbyte für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead-Datenbyte für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz.

17. Transceiver nach Anspruch 15 oder 16, bei dem die Anzahl von Overhead-Datenbyte in dem zumindest einen Rahmen null ist.“

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin ¾, die Beklagte ¼.

IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des aus der internationalen Anmeldung PCT/US1999/014467 (veröffentlicht als Druckschrift WO 00/01127 A1) hervorgegangenen, auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 090 490 (Streitpatent), das am 25. Juni 1999 unter Inanspruchnahme der Priorität der US-amerikanischen Patentanmeldung 60/090,891 vom 26. Juni 1998 angemeldet worden ist. Das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 699 20 226 geführte Streitpatent trägt in der Verfahrenssprache Englisch die Bezeichnung „Multicarrier Communication with variable overhead rate“ („Mehrträgerkommunikation mit variabler Rahmenkopfrate“) und umfasst 17 Patentansprüche, von denen nur die Patentansprüche 15 bis 17 mit der Nichtigkeitsklage angegriffen sind.

2

In der erteilten Fassung (EP 1 090 490 B1) lauten diese Patentansprüche in der Verfahrenssprache Englisch wie folgt:

3

15. A digital subscriber line transceiver using multicarrier modulation configured to transmit a sequence of frames over a communications channel and characterized in that the transceiver is configured to control a transmission rate of overhead data by selecting a variable number of overhead data bits for each frame in the frame sequence such that the number of overhead data bits for at least one frame in the frame sequence is different from the number of overhead data bits for at least one other frame in the frame sequence.

4

16. A digital subscriber line transceiver using multicarrier modulation configured to receive a sequence of frames over a communications channel and characterized in that the transceiver is configured to control a reception rate of overhead data by selecting a variable number of overhead data bits for each frame in the frame sequence such that the number of overhead date bits for at least one frame in the frame sequence is different from the number of overhead data bits for at least one other frame in the frame sequence.

5

17. The transceiver of claim 15 or 16 wherein the number of overhead data bits in the at least one frame is zero.“

6

In deutscher Sprache haben die Patentansprüche nach der Patentschrift (EP 1 090 490 B1) folgenden Wortlaut:

7

15. Digitaler Anschlußleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation in einer Ausgestaltung zum Senden einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal und dadurch gekennzeichnet, daß der Transceiver so ausgestaltet ist, daß die Sendegeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, daß eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, derart, daß die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz.

8

16. Digitaler Anschlußleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation in einer Ausgestaltung zum Empfangen einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungs-Kanal und dadurch gekennzeichnet, daß der Transceiver so ausgestaltet ist, daß die Empfangsgeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, daß eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, derart, daß die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz.

9

17. Transceiver nach Anspruch 15 oder 16, bei dem die Anzahl von Overhead-Datenbits in dem zumindest einen Rahmen null ist.“

10

Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die jetzige Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin der wegen Verschmelzung nach Klageerhebung inzwischen erloschenen ursprünglichen Klägerin (T… T… Corp.) geltend, der Gegenstand des Streitpatents im angegriffenen Umfang gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (WO 00/01127 A1) hinaus und sei auch nicht patentfähig.

11

Zur Stützung ihres Vorbringens beruft sich die Klägerin auf folgende Unterlagen:

12

NK1 EP 1 090 490 B1 (Streitpatentschrift),

13

NK2 DE 699 20 266 T2 (deutsche Übersetzung des Streitpatents),

14

NK3 Merkmalsgliederung der Ansprüche 15 bis 17 des Streitpatents,

15

NK4 Klageschrift der Beklagten im Verletzungsverfahren LG Düsseldorf vom 25. Februar 2010,

16

NK5 WO 00/01127 A1,

17

NK6 im Prüfungsverfahren vorgelegte geänderte Anspruchsfassung vom 27. Juli 2000,

18

NK7 im Prüfungsverfahren vorgelegte geänderte Anspruchsfassung vom 12. Januar 2001,

19

NK8 T1E1.4 Interim meeting Report, April 5, 1998, Rosemont, Illinois,

20

NK9 T1E1.4/98-007R1; Standards Project for Interfaces Relating to Carrier to Customer Connection of Asymmetrical Digital Subscriber Line (ADSL) Equipment; T1.413 Issue 2, May 4, 1998,

21

NK10 ITU-T J.112 (03/98); Series J: Transmission of television, sound programme and other multimedia signals; Interactive Systems for digital television distribution, Transmission systems for interactive cable television services

22

NK11 WO 98/10549 A2,

23

NK12 US 5 511 073 A,

24

NK13 US 5 208 810 A,

25

NK14 US 5 323 383 A,

26

NK15 US 4 791 652,

27

NK16 T1E1.4/98-230. T1E1.4 Meeting Report, June 1-4, 1998, Huntsville, Alabama,

28

NK17 T1E1.4/98-226. T1E1.4 Interim Meeting Report, May 4-7, 1998, Dallas, Texas,

29

NK18 ITU - Telecommunication Standardization Sector, STUDY GROUP 15, Temporary Document NF-065, Nice, France, 11-14 May 1998, Question: 4/15, SOURCE: Centillium Technology Corporation; TITLE: Considerations for G.lite Framing,

30

NK18a List of Documents for May 1998 Rapporteur Meeting: NF-0xx,

31

NK18b ITU - Telecommunication Standardization Sector, STUDY GROUP 15, Temporary Document NF-001-E, Nice, France, 11-14 May 1998, Question: 4/15, SOURCE: Rapporteur Question 4/15 - DCEs for Subscriber Access Systems (Richard L. Stuart, 3Com); TITLE: Proposed Agenda - Q4/15 - xDSL Network Access Systems,

32

NK18c ITU - Telecommunication Standardization Sector, STUDY GROUP 15, Temporary Document WH-002R1, Waikiki, Hawaii, 29 June – 3 July, 1998, Question: 4/15, SOURCE: Rapporteur Q4/15 Network Access Systems - xDSLs; TITLE: Draft Report of the May 1998 Q4/15 Rapporteur Meeting,

33

NK18d ITU - Telecommunication Standardization Sector, STUDY GROUP 15, Temporary Document NF-018, Nice, France, 11-14 May 1998, Question: Q4/15, SOURCE: Chris Hansen, Editor G.lite; TITLE: Updated G.lite Issue List,

34

NK18e T1E1.4/98-190. ADSL Standards Project, TITLE: Considerations for G.lite and G.DMT Framing; SOURCE: Centillium Technology and Nortel (Northern Telecom Inc.), June 1-5, 1998, Huntsville, AL,

35

NK18f ITU. SG15/Q4 May 98 Document List,

36

NK18g ITU - Telecommunication Standardization Sector, STUDY GROUP 15, Temporary Document NF-018, Nice, France, 11-14 May 1998, Question: Q4/15, SOURCE: Chris Hansen, Editor G.lite; TITLE: Updated G.lite Issue List (vgl. NK18d),

37

NK19 ITU-T G.992.2 (06/99); Series G: TRANSMISSION SYSTEMS AND MEDIA, DIGITAL SYSTEMS AND NETWORKS. Digital transmission systems - Digital sections and digital line system - Access networks, Splitterless asymmetric digital subscriber line (ADSL) transceivers;

38

NK19a ITU - Telecommunication Standardization Sector, STUDY GROUP 15, Temporary Document NF-008, Nice, France, 11-14 May 1998, Question: Q4/15, SOURCE: Chris Hansen, Editor G.lite, TITLE: Recommendation G.lite Draft Document,

39

NK20 Internet-Auszüge: „ITU-T in brief“ und „Study Group 15 at a Glance“ (URL: http://www.itu.int/net/ITU-T/info/Default.aspx),

40

NK20a Anlagenkonvolut zum „Merger Agreement“ zwischen der R… T… Corporation und der T… T…- … Corporation vom 11. März 2010 in chinesischer Sprache mit englischer Übersetzung in Auszügen,

41

NK 21 Antrag auf Vorabentscheidung gemäß § 718 Abs. 1 ZPO vom 19. Oktober 2011 im Verletzungsverfahren vor dem OLG Düsseldorf (Az. I-2 U 65/11).

42

Die Klägerin beantragt,

43

das europäische Patent 1 090 490 im Umfang der Patentansprüche 15 bis 17 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

44

Die Beklagte beantragt,

45

die Klage abzuweisen.

46

Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent im angegriffenen Umfang mit insgesamt 4 Hilfsanträgen (Hilfsantrag 1 bis 3 sowie Hilfsantrag 3a als Anlagen zum Schriftsatz vom 16. Oktober 2012), wobei sie die Fassung gemäß Hilfsantrag 2 vorrangig zur Entscheidung stellt.

47

Diese lautet wie folgt:

48

„15. Digitaler Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation in einer Ausgestaltung zum Senden einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal und dadurch gekennzeichnet, dass der Transceiver so ausgestaltet ist, dass die Sendegeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbyte für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, derart, dass die Anzahl von Overhead-Datenbyte für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead-Datenbyte für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz.

49

16. Digitaler Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation in einer Ausgestaltung zum Empfangen einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal und dadurch gekennzeichnet, dass der Transceiver so ausgestaltet ist, dass die Empfangsgeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbyte für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, derart, dass die Anzahl von Overhead-Datenbyte für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead-Datenbyte für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz.

50

17. Transceiver nach Anspruch 15 oder 16, bei dem die Anzahl von Overhead-Datenbyte in dem zumindest einen Rahmen null ist.“

51

Wegen des Wortlauts der weiteren Hilfsanträge wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 16. Oktober 2012 Bezug genommen.

52

Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Der Gegenstand des Streitpatents im angegriffenen Umfang sei gegenüber der Ursprungsoffenbarung nicht unzulässig erweitert. Außerdem hält sie den Gegenstand des Streitpatents in allen verteidigten Fassungen durch die von der Klägerin eingeführten Entgegenhaltungen weder für offenbart noch für nahegelegt, wobei die Beklagte bestreitet, dass die Dokumente NK8, NK9 und NK18 vor dem Prioritätstag des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich waren.

53

Zur Stützung ihres Vorbringens legt die Beklagte folgende Unterlagen vor:

54

NB1 Wikipedia-Auszug zu „Byte“; URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Byte&printable=yes [recherchiert am 19. Januar 2011], 7 S.

55

NB2 LG Düsseldorf, Urteil vom 7. Juni 2011, Az.: 4b O 31/10,

56

NB3 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. September 2012, Az.: I – 2 U 65/11.

57

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie den Hinweis des Senats nach § 83 PatG vom 26. Juli 2012 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

58

Die zulässige Klage, mit der im Umfang der Patentansprüche 15 bis 17 die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung gegenüber dem Inhalt der ursprünglichen Anmeldung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ) und der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ) geltend gemacht werden, ist teilweise begründet.

59

Soweit sich die Klage im angegriffenen Umfang gegen das Streitpatent in der erteilten Fassung richtet, hat sie Erfolg, da der Gegenstand des Streitpatents insoweit über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Das Streitpatent hat jedoch in der Fassung des Hilfsantrags 2 Bestand, da sein Gegenstand insoweit zulässigerweise beschränkt wurde und gegenüber dem von der Klägerin eingeführten Stand der Technik neu und erfinderisch ist, so dass im Ergebnis die Bedenken der Beklagten gegen eine Vorveröffentlichung der Dokumente NK8, NK9 und NK18 dahingestellt bleiben können.

I.

60

1. Das Streitpatent betrifft laut Absatz [0002] der deutschen Übersetzung der europäischen Patentschrift (NK2) ein Verfahren zur Kommunikation und insbesondere ein Mehrträger-Kommunikationssystem und Verfahren, mit denen eine Overhead-Kanaldatenübertragungsgeschwindigkeit steuerbar geändert werden kann.

61

Mit dem öffentlichen Wählnetz sei die am weitesten verfügbare Form elektronischer Kommunikation für die meisten Einzelpersonen und Geschäfte bereitgestellt. Aufgrund der leichten Verfügbarkeit und der beträchtlichen Kosten der Bereitstellung von Alternativeinrichtungen werde dieses heute auch zur Deckung des wachsenden Bedarfs an digitalen Datenübertragungen mit hohen Geschwindigkeiten herangezogen (NK2, Absatz [0003]).

62

Um in diesem Netz eine hochratige digitale Übertragung zu implementieren, sei der wesentliche begrenzende Faktor der Teilnehmeranschluss zwischen der Fernsprechvermittlungsstelle und dem Grundstück des Teilnehmers. Dieser Anschluss umfasse meist ein einzelnes verdrilltes Aderpaar, um niederfrequente Sprachkommunikation einer Bandbreite von 0-4 kHz gut zu führen, was aber nicht ausreiche, Breitbandkommunikationen in der Größenordnung von Hunderten von Kilohertz oder mehr aufzunehmen, ohne neue Verfahren für die Kommunikation anzuwenden (NK2, Absatz [0004]).

63

Ein Lösungsansatz für eine Breitbandkommunikation sei die Entwicklung diskreter Mehrfrequenz-DSL-Technik (DMT DSL - Discrete Multitone Digital Subscriber Line) mit ihren Weiterentwicklungen (z. B. ADSL, HDSL) gewesen. Bei der DSL-Technik werde Kommunikation über den örtlichen Teilnehmeranschluß zwischen der Fernsprechvermittlungsstelle und dem Teilnehmergrundstück durch Aufmodulieren der zu übertragenden Daten auf mehrere diskrete Frequenzträger erreicht, die summiert und dann über den Teilnehmeranschluss übertragen würden. Einzeln bildeten die Träger diskrete nichtüberlappende Kommunikations-Unterkanäle mit jeweils begrenzter Bandbreite, zusammen jedoch letztlich einen Breitband-Kommunikationskanal. Am Empfängerende würden die Träger demoduliert und die Daten wiedergewonnen. Jedes Sender-Empfänger-Paar, das miteinander in Verbindung stehe, nutze identische Informationen für die Kommunikation untereinander, die beispielsweise Aussagen über das Signal-Rausch-Verhältnis des Übertragungskanals oder den gültigen Standard etc. beinhalteten. Diese Kommunikation finde mittels „Rahmen“ statt, die aus Daten und Steuerinformationen bestünden (NK2, Absätze [0005] bis [0009]).

64

Bei herkömmlichen DSL-Kommunikationen sei stets ein Byte aus jedem dieser Rahmen, die zusammen zu einem so genannten Superrahmen zusammengefasst sind, Overhead-Daten zugeordnet. Dies führe dazu, dass die entsprechende Overhead-Datengeschwindigkeit festgelegt sei und sich nicht ändere, auch wenn sich die Randbedingungen änderten. Zu jeder gegebenen Zeit während einer bestehenden Kommunikationssitzung sei die gesamte Kommunikationsbandbreite konstant. Da die gesamte Datenkommunikationsübertragungsrate entweder in Aufwärtsrichtung (uplink) oder in Abwärtsrichtung (downlink) zu jeder gegebenen Zeit während einer DSL-Kommunikationssitzung konstant sei, bedeute dies daher, dass die Kommunikationsbandbreite, die zur Übertragung von Nutzlastdaten zur Verfügung stehen würde, gegebenenfalls unnötigerweise zum Übertragen von Overhead-Daten verbraucht werde (NK2, Absatz [0016]).

65

Daher stelle sich die Aufgabe, ein Mehrträger-Kommunikationssystem und ein zugehöriges Verfahren bereitzustellen, das es erlaube, die Overhead-Datenübertragungsrate während einer Kommunikationssitzung zu ändern und/oder auszuwählen, um sie dann an die jeweils aktuellen Randbedingungen anzupassen (NK2, Absatz [0017]).

66

Zur Lösung dieser Aufgabe geht das Streitpatent von einer DSL-Rahmensequenz (Superrahmen) aus, in der die Zuteilung von Overhead-Daten flexibel erfolge und zwar dergestalt, dass sowohl die Anzahl von Byte als auch der (die) Overhead-Daten umfassende(n) Rahmen ausgewählt werden könnten. Dies habe zur Folge, dass durch Auswählen der Anzahl von Rahmen, die Overhead-Daten umfassen, und der Anzahl der Overhead-Daten zugeordneten Byte in diesen Rahmen die Overhead-Daten zugeordnete Durchsatzmenge abgeändert werden könne, was eine bedeutende Abweichung von herkömmlichen DSL-Systemen darstelle, bei denen die Overhead-Daten zugeordnete Durchsatzmenge unveränderlich festgelegt sei. Auf ähnliche Weise sei es auch möglich, in dieser Ausführungsform der vorliegenden Erfindung, auszuwählen, welcher der Superrahmen Overhead-Daten enthaltende Rahmen führen solle (NK2, Absatz [0020] und [0021]).

67

2. Die Gegenstände der Ansprüche 15 bis 17 des Streitpatents richten sich an einen Diplomingenieur der Nachrichtentechnik oder Informatik und mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Übertragungstechnik in Telekommunikationsnetzwerken.

68

3. Ausgehend vom Fach- und Erfahrungswissen dieses Fachmanns legt der Senat den in den Anspruchsfassungen enthaltenen Begrifflichkeiten jeweils folgendes Verständnis zu Grunde:

69

Ein Bit stellt eine Binärziffer dar, kann also beispielsweise die Werte „0“ oder „1“ annehmen. Ein Byte ist hingegen ein Datenwort, welches aus mehreren einzelnen, aufeinanderfolgenden Bits besteht, deren sequentielle Abfolge mit einer konkreten digitalen Information verbunden ist, wie etwa der Adresse eines digitalen Elementes, dem Code einer Ziffer oder eines Buchstabens. Die Anzahl der einem Byte zugeordneten Bits beträgt zwar im Verbund mit der Adressierung von digitalen Informationselementen in der Regel 8 Bit, ist aber nicht allgemeingültig bestimmt, sondern muss je nach Einzelfall per definitionem festgelegt werden.

70

Ein Overhead Datenbyte – wie es im gegebenen nachrichtentechnischen Kontext beansprucht wird – besteht aus Sicht des Fachmanns aus einer zunächst als beliebig anzusehenden, aber für eine konkrete Anwendung stets konstanten Anzahl von einzelnen Bits in einer für das Overhead-Datenbyte relevanten Ordnung und Abfolge. Overhead Datenbyte sind als Steuer- und/oder Übertragungsinformation in einem eigens hierfür vorgesehenen Bereich eines digitalen Rahmens angeordnet, der dazu dient, Daten zwischen einem Sender und einem Empfänger zu übertragen. Ein derartiger Rahmen weist neben einem Bereich für Overhead Datenbyte weitere Bereiche auf, die dazu dienen, Nutzinformationen aufzunehmen. Mit diesem Rahmen oder mehreren zusammengehörigen Rahmen, die eine Rahmensequenz bilden, werden folglich Steuer- und Nutzinformationen gemeinsam von einem Sender zu einem Empfänger übermittelt.

71

Soll nun im Sende- oder Empfangsbetrieb, ausgehend von einer Rahmensequenz, für jeden einzelnen Rahmen derselben eine variable Anzahl von Overhead Datenbyte ausgewählt werden, bedeutet dies bei Berücksichtigung der sonstigen Randbedingungen für die Bestückung eines solchen Rahmens, dass jeder einzelne Rahmen ein ganzzahliges Vielfaches eines Bytes als Overhead aufweist, also 0, 1, 2 usw. Byte.

72

4. Zur erteilten Fassung

73

Die von der Patentinhaberin in erster Linie verteidigte erteilte Fassung der nebengeordneten Patentansprüchen 15 und 16 kann in deutscher Fassung wie folgt gegliedert werden:

74

Patentanspruch 15:

75

15.1) Digitaler Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation

76

15.2) in einer Ausgestaltung zum Senden einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal und dadurch gekennzeichnet, dass

77

15.3) der Transceiver so ausgestaltet ist, dass

78

15.3a) die Sendegeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird,

79

15.3b) derart, dass die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead Daten Bits für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz.

80

Patentanspruch 16:

81

16.1) Digitaler Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation

82

16.2) in einer Ausgestaltung zum Empfangen einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal und dadurch gekennzeichnet, dass

83

16.3) der Transceiver so ausgestaltet ist, dass

84

16.3a) die Empfangsgeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird,

85

16.3b) derart, dass die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead Daten Bits für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz.

86

Im Umfang des Angriffs war das Streitpatent in der erteilten Fassung für nichtig zu erklären, da sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (WO 00/01127 A1; vgl. NK5) hinausgeht und somit unzulässig geändert wurde (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ).

87

Ausgehend von der fachmännischen Definition von Byte und Bit war der Auffassung der Klägerin zuzustimmen, dass die Beanspruchung von „overhead data bits“ anstatt von „overhead bytes“ in den Ansprüchen 15 und 16 gegenüber der ursprünglichen Offenbarung (NK5) eine unzulässige Erweiterung darstellt, da von der ursprünglich vorgegebenen Zusammenfassung einer Anzahl von Bits zu einem Byte abgewichen wird.

88

Es bleibt entgegen der ursprünglich durch den Begriff des „overhead byte“ festgelegten Anzahl der „overhead data bits“ nach der Fassung der Streitpatentschrift zum Einen deren genaue Anzahl völlig offen und ausdrücklich variabel - sie kann also auch eine Anzahl umfassen, die geringer ist als die Anzahl von Bits, die ein Byte bilden - zum Anderen ist auch die ursprüngliche unmittelbar aufeinanderfolgende sequentielle Abfolge der Datenbits innerhalb des Rahmens aufgehoben, wodurch zusätzlich eine beliebige Verteilung der Datenbits innerhalb des Rahmens mit umfasst ist. Laut erteilter Fassung ist nach Ansicht des Senats auch einzig die Anzahl der Bits und nicht mehr die Anzahl der Bytes ausschlaggebend. Da nunmehr die Anzahl der Bits variabel ist, widerspricht dies der ursprünglich vorgegebenen Zusammenfassung mehrerer Bits zu einem Datenwort mit der Länge von einem Byte.

89

Auch der ursprünglich offenbarte Begriff „overhead data“ rechtfertigt keine Verallgemeinerung auf „overhead data bits“, zumal bezüglich der Overheaddaten in den ursprünglichen Unterlagen entnehmbar ist, dass diese wieder aus mehreren Bytes zusammengesetzt sind oder Bytes den Overheaddaten zugeordnet sind (vgl. NK5 beispielsweise Seite 8, Zeilen 14 bis 15; Seite 9, Zeilen 5 bis 7 und 19 bis 22; Seite 21, Zeile 23; Seite 22, Zeilen 9 bis 10).

90

In den ursprünglichen Unterlagen ist daher zur Überzeugung des Senats nicht unmittelbar und eindeutig offenbart, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird (Merkmal 15.3a / 16.3a), und dass die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead Datenbits für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz (Merkmal 15.3b / 16.3b).

91

5. Zur Fassung nach Hilfsantrag 2

92

Soweit die Beklagte das Streitpatent im angegriffenen Umfang hilfsweise vorrangig mit der Fassung des Hilfsantrags 2 verteidigt, ist es rechtsbeständig. Die unabhängigen Patentansprüche 15 und 16 gemäß Hilfsantrag 2 können in deutscher Fassung wie folgt gegliedert werden (Abweichungen zum Wortlaut der erteilten Ansprüche fett bzw. durchgestrichen):

93

Patentanspruch 15:

94

15.1) Digitaler Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation

95

15.2) in einer Ausgestaltung zum Senden einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal und dadurch gekennzeichnet, dass

96

15.3) der Transceiver so ausgestaltet ist, dass

97

15.3a2) die Sendegeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits byte für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird,

98

15.3b2) derart, dass die Anzahl von Overhead-Datenbits byte für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead Datenbits byte für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz.

99

Patentanspruch 16:

100

16.1) Digitaler Anschlussleitungstransceiver mit Mehrträgermodulation

101

16.2) in einer Ausgestaltung zum Empfangen einer Sequenz von Rahmen über einen Übertragungskanal und dadurch gekennzeichnet, dass

102

16.3) der Transceiver so ausgestaltet ist, dass

103

16.3a2) die Empfangsgeschwindigkeit von Overhead-Daten dadurch gesteuert wird, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits byte für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird,

104

16.3b2) derart, dass die Anzahl von Overhead-Datenbits byte für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead Datenbits byte für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz.

105

a) Die Patentansprüche 15 und 16 gemäß Hilfsantrag 2 sind zulässig, da die vorgenommenen Änderungen im Streitpatent ursprünglich offenbart sind und im Vergleich zur erteilten Fassung eine Beschränkung darstellen.

106

Die Änderungen, die den Merkmalen 15.3a2 / 16.3a2 und 15.3b2 / 16.3b2 innewohnen, führen nicht zu einem anderen Gegenstand, als er ursprünglich durch das Streitpatent geschützt war, sondern schränken diesen Gegenstand wesentlich ein. Die Formulierung der Merkmale 15.3a / 16.3a im Streitpatent, dass eine variable Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz ausgewählt wird, beschreibt in ihrer Allgemeinheit nämlich, dass eine veränderliche Anzahl von Bits beliebiger Ordnung ausgewählt werden kann. Im Rahmen der Merkmale 15.3a2 / 16.3a2 gemäß Hilfsantrag 2 ist jedoch diese unzulässige Verallgemeinerung dahingehend zurückgeführt, dass nur noch die Auswahl einer sequenziell geordneten Anzahl von Bits im Rahmen von Bytes möglich ist. Diese neue Auswahlvorschrift stellt somit eine echte Teilmenge aus der Menge der Möglichkeiten dar, die in den erteilten Patentansprüchen 15 und 16 durch die Formulierung der Merkmale 15.3a / 16.3a bereits umfasst war. Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt somit keine Schutzbereichserweiterung (Art. 123 Abs. 3 EPÜ vor).

107

Der Erfindungsgegenstand mit den gemäß Hilfsantrag 2 geänderten Merkmalen ist in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen auch als zur Erfindung gehörig offenbart.

108

Im Streitpatent (NK1, Absatz [0011]) und in den Ursprungsunterlagen (NK5, Seite 5, Zeilen 21 bis 23) ist dargelegt, dass die im Zusammenhang mit dem Gegenstand des Streitpatents verwendeten Rahmen einer Rahmensequenz aus einer Anzahl von Byte aufgebaut sind („A frame … is made up of a collection of bytes … .“), und dass vergleichbare Rahmen im DSL-Umfeld Overhead Daten in Form genau eines Bytes aufweisen („… one byte out of each frame in each superframe during conventional DSL communications is dedicated to overhead data, …“; NK1, Absatz [0017]; NK5, Seite 7, Zeilen 5 bis 6). Als erfindungswesentlich für das Streitpatent ist beispielsweise in NK1, Absatz [0020] offenbart, dass Rahmen aus einer Rahmensequenz ausgewählt werden können und geändert und/oder ausgewählt werden kann, wie viele Bytes als Overhead und/oder Nutzdaten in diesem einen ausgewählten Rahmen verwendet werden („Within each frame is a number of bytes that are allocated to payload and overhead data. The allocation of the bytes to either overhead or payload data is flexible (i. e., changeable and/or selectable).“; Unterstreichungen hinzugefügt; vgl. auch NK5, Seite 8, Zeilen 14 bis 17), womit letztlich erreicht wird, dass die Overhead Datenübertragungsrate während des Betriebs geändert werden kann. Dies kann beispielsweise dergestalt erfolgen, dass bei Auswahl einer kleinen Byteanzahl der Overhead Daten für einen Rahmen entsprechend mehr Nutzdaten aufgenommen werden, was in direkter Folge zu einem größeren und folglich beschleunigten Nutzdatendurchsatz führt. Die Übertragungsgeschwindigkeit der Nutzdaten wird durch diese Maßnahme also variiert („… the overhead data transmission rate is determined during start-up and can be modified during steady state mode. Due to the construction of frames in DSL Systems, decreasing the overhead data transmission rate during steady state mode results in a higher payload data transmission rate … .“; vgl. auch NK5, Seite 8, Zeilen 19 bis 22). Somit ist der Sachgehalt der Merkmale 15.3a2 / 16.3a2 auch ursprünglich offenbart.

109

Die gegenüber den entsprechenden Merkmalen in den erteilten Patentansprüchen 15 und 16 geänderten Merkmale 15.3b2 / 16.3b2, nämlich, dass die Anzahl von Overhead-Datenbyte für zumindest einen Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead Datenbyte für zumindest einen anderen Rahmen in der Rahmensequenz, stellen lediglich eine kausal folgerichtige und somit zulässige Anpassung an die im vorangegangenen Merkmal veränderte Bezugsgröße (Byte statt Bit) dar.

110

b) Die mit den Patentansprüchen 15 und 16 verteidigten Gegenstände gelten als neu und beruhen auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, da diese, wie nachfolgend dargelegt, dem Fachmann durch den entgegengehaltenen Stand der Technik nicht nahe gelegt sind.

111

Als nächstkommenden Stand der Technik erachtet der Senat die Druckschrift NK18 (ITU - NF-065). Ob die Druckschrift NK18 im patentrechtlichen Sinn vorveröffentlicht ist, was von der Beklagten bestritten wird, kann dahinstehen, da sie sich selbst bei zugunsten der Klägerin unterstellter Vorveröffentlichung nicht als patenthindernd erweist.

112

Die Druckschrift NK18 beschäftigt sich wie das Streitpatent unter anderem mit der Belegung des Overheads in digitalen Datenrahmen für die Übertragung von Informationen zwischen einem Sender und einem Empfänger (Seite 1). Die Overhead-Datenbyte werden im ADSL-Kontext im Rahmen des G.DMT (heute als ITU-Standard G.992.1 bekannt) und des zur Zeit der Veröffentlichung projektierten G.lite-Standards (heute als ITU-Standard G.992.2 bekannt) thematisiert. Es wird auch eine Bandbreitenanpassung durch die Variation der Größe eines Overheads in den Rahmen ausgeführt, jedoch ist in dieser Druckschrift an keiner Stelle davon die Rede, dass entsprechende Maßnahmen wie im Streitpatent explizit auf einen digitalen Anschlussleitungstransceiver ausgerichtet sind. Dass dieser zudem auf der Basis einer Mehrträgermodulation arbeitet, ist aus Sicht des Senats in der Druckschrift NK18 nicht offenbart, da der dort beschriebene Standard namens „G.lite“, der mit sehr geringen Bitraten laufen soll, explizit dem Standard „G.DMT“, der für eine Mehrträgermodulation geschaffen wurde, gegenübergestellt wird. Über den Standard „G.DMT“ heißt es auf Seite 1 (unter „1.Introduction“), dass dieser eine sehr schlechte Effizienz bzgl. der zur Verfügung stehenden Bandbreite aufweist. Es mag jedoch – die Vorveröffentlichung der Druckschrift unterstellt – für einen Fachmann zum Prioritätszeitpunkt vorstellbar gewesen sein, dass es sich bei „G.lite“ um eine Art Weiterentwicklung von „G.DMT“ handelt, dass beide „Standards“ auf der gemeinsamen Grundlage einer Mehrträgermodulation basieren und hierfür ein Anschlussleitungstransceiver notwendig gewesen sein könnte (Merkmal 15.1). Beide Standards finden sich nämlich letztlich in der ADSL-Technik wieder.

113

Der Fachmann mag der Druckschrift NK18 auch noch prinzipiell entnehmen, dass Sequenzen von Rahmen über einen Übertragungskanal gesendet werden, da sich sonst die Frage nach einer effektiven Bandbreitennutzung für ihn gar nicht stellen würde (Merkmal 15.2). Jedoch ist aus der Figur auf Seite 2 und der unteren Figur „G.lite Mode“ auf Seite 3 nicht - wie die Klägerin behauptet - bekannt, dass die Sendegeschwindigkeit von Overhead-Daten durch die Auswahl einer variablen Anzahl von Overhead-Datenbits für jeden Rahmen in der Rahmensequenz gesteuert wird. Auch ist hieraus nicht bekannt, dass die Anzahl von Overhead-Datenbits für zumindest einen dieser Rahmen in der Rahmensequenz verschieden ist von der Anzahl von Overhead Daten Bits für zumindest einen anderen Rahmen in besagter zu übertragender Rahmensequenz. Das ist aufgrund der Ausrichtung der in der NK18 beschriebenen Entwicklung von „G.lite“ auch in keiner Textstelle zum Ausdruck gebracht. Vielmehr zeigt die Figur auf Seite 2 einen Rahmen („Mux data frame“), der einen Overhead zeigt, der mit „SYNC“ bezeichnet wird und entsprechend der Legende der Figur eine Größe „Ns“ von 1, 2 oder 4 Byte annehmen kann. Ferner weist derselbe Rahmen einen mit „PAYLOAD“ bezeichneten Bereich der Größe „Np“ für die zu übertragenden reinen Nutzdaten auf. Dieser Rahmen bestehend aus Overhead und Nutzdaten wird in Folge in einen so genannten „Mux Frame 1“ der Länge „Ki“ gemultiplext, welcher im angegebenen Beispiel daran anschließend in ein Tupel von vier so genannten „4 kHz frames“ der Länge „Ni“ gewandelt wird. Die Ausprägung der Größe „Ns“ in Form unterschiedlich langer Datenworte bedeutet folglich nicht, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung argumentiert hat, die generelle Variabilität dieser Größe für jeden Einzelrahmen, denn „Ns“ wird für den gezeigten Rahmen nur einmal und zwar für den anfänglichen „Mux Data Frame“ angegeben. Nirgends kann im weiteren Verlauf der ursprünglich durch diese Größe „Ns“ im „Mux Data Frame“ festgelegter Bytewert des Overheads an anderer Stelle variiert werden. Vielmehr ist dieser durch die fortschreitende Verarbeitung und/oder Kodierung des Ausgangsrahmens einmal festgelegt von außen unveränderbar in den Nachfolgerahmen des „Mux Data Frame“ aufgegangen. Eine Betrachtung der unteren Figur auf Seite 3 der Druckschrift NK18 vermittelt ebenfalls nur, dass Nutzdaten („Payload Data P") und Overhead-Daten („Sync Data S“) in Rahmen FRM 0 bis FRM 3 einer Rahmensequenz („Mux Data Frame“) untergebracht werden, wobei die Overhead-Daten in einer Sequenz stets dieselbe Byte-Anzahl „S“ (hier 16 Byte) aufweisen. Da die Overhead-Daten „S“ per Handshake aufgrund der Übertragungsbedingungen im System zu Beginn des Aufnehmens einer Kommunikationsverbindung zwischen zwei Teilnehmern in einem TK-Netz festgelegt werden, wird damit auch bereits die Übertragungsgeschwindigkeit für diese Datenmenge im „Mux Data Frame“ (bestehend aus FRM 0 bis FRM 3) festgelegt. Eine anschließende Zerstückelung dieser Daten und Verteilung auf mehrere andere Rahmen, wie im Kontext des „FEC Frame“ angegeben, ändert in Folge nichts mehr an der ursprünglich bereits durch den Wert von „S“ festgelegten Übertragungsgeschwindigkeit. Somit sind die Merkmale 15.3a und 15.3b nicht offenbart. Auch andere Textstellen oder Figuren dieser Druckschrift vermögen es nicht, den Fachmann anzuleiten, eine Sendegeschwindigkeit dergestalt zu variieren, wie es die im Patentanspruch 15 gemäß Hilfsantrag 2 formulierte Ausgestaltung des Transceivers vorsieht.

114

Da sich der Anschlussleitungstransceiver gemäß Patentanspruch 16 lediglich durch Merkmale vom verteidigten Patentanspruch 15 unterscheidet, die statt dem Senden und der Steuerung der Sendegeschwindigkeit von Overheaddatenbyte nun das Empfangen und die Steuerung der Empfangsgeschwindigkeit derselben thematisieren, greift für diese Vorrichtung, die vom Sinngehalt des Fachbegriffes her ohnehin für den Sende- und Empfangsbetrieb ausgelegt ist, bezogen auf die Druckschrift NK18, dieselbe Argumentation wie für den Patentanspruch 15 ausgeführt.

115

Somit ist der Gegenstand der Ansprüche 15 und 16 gemäß Hilfsantrag 2 neu gegenüber der Druckschrift NK18 und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

116

Gleiches gilt im Lichte der Druckschrift NK18e (T1E1.4/98-190), da sowohl die NK18 als auch die NK18e in den wesentlichen Teilen denselben technischen Sachverhalt beschreiben, der vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents zwei Standardisierungskommissionen, nämlich der ITU (NK18) und der ANSI (NK18e), zur Kenntnis gebracht wurde.

117

Die genannten Ansprüche sind auch neu und erfinderisch hinsichtlich der (insgesamt) weiter ab liegenden Druckschrift NK9 (T1E1.4/98-007R1), denn in dieser Druckschrift wird lediglich beschrieben, dass neben dem in jedem Rahmen eines ADSL-Superrahmens vorhandenen Overhead-Byte zusätzlich ein weiteres ursprünglich hierfür nicht vorgesehenes Byte, das so genannte „LEX-Byte“ (z. B. Figur 13 und Figur 27), für den Transport von Overhead-Daten genutzt und wie dieses implementiert werden kann. Jedoch erfolgt dies entgegen den Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung weder explizit vor dem technischen Hintergrund, mittels solch einer Maßnahme bewusst eine Übertragungsgeschwindigkeit zu beeinflussen, noch werden Kriterien für diese Modifikation oder für die Auswahl hierfür in Frage kommender Rahmen des ADSL-Superrahmens beschrieben. Folglich wird in dieser Druckschrift auch keine Steuerung eines konkret als Übertragungsgeschwindigkeit benannten Parameters dergestalt beschrieben, dass hierfür explizit mindestens zwei Rahmen einer Rahmensequenz eine unterschiedliche Anzahl an Overhead-Datenbyte in nur hierfür vorgesehenen und für keine anderen Aufgaben bereitgehaltenen Bereichen enthalten sein sollen.

118

In gleicher Weise wie die NK9 ist auch die NK8 (T1E1.4 Interim meeting Report) zu betrachten, die im gegebenen technischen Zusammenhang noch weiter abliegt und somit ebenfalls den Patentansprüchen 15 und 16 gemäß Hilfsantrag 2 nicht patenthindernd entgegensteht. Dieser Teil eines Arbeitsgruppen-Reports, der sich mit einer verringerten Komplexität des zukünftigen Standards „G.lite“ auseinandersetzt (Seite 2, Zeile 1), weist lediglich ein kurzes Zitat eines im Streitpatent genannten Erfinders (Marcos Tzannes) auf, das jedoch selbst keine relevanten technischen Details bezogen auf die Merkmale der Patentansprüche 15 und 16 des Hilfsantrags 2 beinhaltet („Marcos Tzannes thought that RS overhead could be addressed by spanning codewords beyond frames, also a time domain method could put no overhead in some frames.“; Seite 2, Absatz 2, Zeilen 7 und 8). Darüber hinaus führt diese Druckschrift entgegen den Ausführungen der Klägerin auch rein thematisch betrachtet von der dem Streitpatent zugrundeliegenden Lehre weg. Dort wird schließlich mit der Etablierung von Auswahlkriterien für einzelne Rahmen einer Rahmensequenz, die wiederum entsprechend bestimmter Kriterien mit unterschiedlich bestücktem Overhead ausgestattet werden sollen, ein bestehender Standard zweifelsfrei zu einer größeren Komplexität hingeführt. Dies gilt allein schon aufgrund der gegenüber dem Standard hier offensichtlich notwendigen zusätzlichen Auswertung der für die Datenübertragung relevanten aktuellen Randbedingungen, von denen wiederum die zusätzlichen Datenverarbeitungsschritte zur Auswahl der jeweiligen Overheadbyte der einzelnen Rahmen abhängen. Das hier genannte Proposal (Seite 2, Absatz 1 und 2) zielt jedoch entsprechend seiner Titelzeile (Seite 2, Zeile 1) explizit auf die Reduzierung der Komplexität eines künftigen Standards („G.lite“) ab. Offensichtlich werden mit der Druckschrift NK8 und dem Streitpatent zwei vollkommen unterschiedliche Ziele verfolgt, weshalb die Druckschrift NK8 die Patentfähigkeit des Streitpatents in der Fassung gemäß Hilfsantrag 2 nicht in Frage stellen kann.

119

Auch eine Zusammenschau der Druckschriften NK18 / NK18e mit einer der Druckschriften NK8 oder NK9 führt nicht zum Gegenstand des mit dem Hilfsantrag 2 verteidigten Gegenstands. Die Druckschriften NK8 oder NK9 liefern – wie bereits im Rahmen ihrer Einzelbetrachtung ausgeführt - dem Fachmann keinen Anreiz, wie er ausgehend von der NK18 / NK18e zu einer Variation der Sende- und/oder Empfangsgeschwindigkeit gelangen sollte, wie sie gemäß Hilfsantrag 2 beansprucht wird.

120

Die weiteren Druckschriften NK10 bis NK17 kommen dem Streitgegenstand zur Überzeugung des Senats nicht näher als die vorgenannten und haben daher in der mündlichen Verhandlung keine Rolle gespielt.

121

c) Der im Rahmen der verteidigten Fassung gemäß Hilfsantrag 2 beanspruchte Patentanspruch 17, der sich auf die Patentansprüche 15 und 16 rückbezieht, ist nach Überzeugung des Senats ebenfalls zulässig. Die in Patentanspruch 17 vorgenommene Änderung ergibt sich in kausal notwendiger Weise durch die Anpassung an die mit Hilfsantrag 2 verteidigten Fassungen der Patentansprüche 15 und 16. Diese Änderung wird von der ursprünglichen Offenbarung umfasst und führt auch nicht zu einer Erweiterung des Schutzbereichs, wobei insoweit auf die Ausführungen unter 5a) verwiesen wird.

122

6. Eines Eingehens auf den Hilfsantrag 1 und die Hilfsanträge 3 und 3a bedarf es unter diesen Umständen nicht.

III.

123

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.