Entscheidungsdatum: 25.07.2012
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das deutsche Patent 198 47 403
hat der 5. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2012 durch den Vorsitzenden Richter Gutermuth, die Richterin Martens sowie die Richter Dipl.-Ing. Gottstein, Dipl.-Ing. Kleinschmidt und Dipl.-Geophys. Univ. Dr.rer.nat. Wollny
für Recht erkannt:
I. Das deutsche Patent 198 47 403 wird im Umfang des Patentanspruchs 3 sowie der Patentansprüche 4 bis 9, soweit letztere - direkt oder indirekt - auf Patentanspruch 3 zurückbezogen sind, für nichtig erklärt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 14. Oktober 1998 angemeldeten deutschen Patents 198 47 403 (Streitpatent), das die innere Priorität der deutschen Anmeldung mit dem Aktenzeichen 197 46 482.3 vom 22. Oktober 1997 in Anspruch nimmt. Das Streitpatent trägt die Bezeichnung "Bildaufzeichnungssystem (interaktive Raumbilderfassung)" und umfasst 9 Patentansprüche, von denen Patentanspruch 3 sowie die Patentansprüche 4 bis 9, letztere soweit direkt oder indirekt auf Patentanspruch 3 rückbezogen, mit der Nichtigkeitsklage angegriffen sind.
Der nebengeordnete Patentanspruch 3 hat nach der Streitpatentschrift (DE 198 47 403 B4) folgenden Wortlaut:
3. Bildaufzeichnungssystem mit einer Aufnahmeeinrichtung (1), einer Speichereinheit (2) sowie mindestens einer Wiedergabeeinheit (3), wobei die Aufnahmeeinrichtung (1)zur Erfassung eines vollständigen 360°-Sichtfeldes eine Vielzahl nebeneinander angeordneter, feststehender, hochauflösender elektronische Aufnahmeeinheiten aufweist, und die Speichereinheit (2) eine mehreren Benutzern zugängliche elektronische Speichereinheit (2) ist, von der jeder Benutzer frei wählbare Bildausschnitte zur Darstellung auf der jeweiligen Wiedergabeeinheit (3) abrufen kann.
Mit ihrer Teilnichtigkeitsklage macht die Klägerin im angegriffenen Umfang mangelnde Patentfähigkeit geltend. Der Gegenstand des Patentanspruchs 3 und die Gegenstände der darauf direkt oder indirekt zurückbezogenen Patentansprüche 4 bis 9 des Streitpatents seien durch den Stand der Technik neuheitsschädlich getroffen, jedenfalls beruhten sie nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Die Klägerin stützt ihr Vorbringen auf folgende Unterlagen:
K1 Berechtigungsanfrage der P… Video UG, K…… in K1…, vom 19. August 2010 an die deutsche Niederlassung der Klägerin
K2 Antwortschreiben der Klägerin vom 14. September 2010
K3 E-Mail der P… Video UG, K… in K1…, an die Klägerin vom 23. Dezember 2010
K4 Streitpatentschrift DE 198 47 403 B4
K5 Merkmalsgliederung des angegriffenen Patentanspruchs 3
K6 WO 97/31482 A1
K7 ANDERSON, Paul I.: From Telepresence to True Immersive Imaging: Into Real-Life Video-Now!, In: ADVANCED IMAGING, Juli 1995, Seiten 48, 50, 95
K8 US 5,539,483 mit deutscher Maschinenübersetzung (Anlage K8a)
K9 US 5,130,794 mit deutscher Maschinenübersetzung (Anlage K9a).
Die Klägerin beantragt,
das deutsche Patent 198 47 403 im Umfang des Patentanspruchs 3 sowie der Patentansprüche 4 bis 9, soweit letztere auf Patentanspruch 3 zurückbezogen sind, für nichtig zu erklären.
Der Beklagte, der den angegriffenen Teil des Streitpatents nur mehr in eingeschränkter Form verteidigt, beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen die nach Haupt- und Hilfsantrag verteidigten Fassungen des Streitpatents, überreicht in der mündlichen Verhandlung, richtet.
Patentanspruch 3 der mit Hauptantrag verteidigten Fassung lautet wie folgt:
3. Bildaufzeichnungssystem für Video und Fernsehen mit einer Aufnahmeeinrichtung (1), einer Speichereinheit (2) sowie mindestens einer Wiedergabeeinheit (3), wobei die Aufnahmeeinrichtung (1) zur Erfassung eines vollständigen 360°-Sichtfeldes eine Vielzahl nebeneinander angeordneter, feststehender, hochauflösender elektronische Aufnahmeeinheiten aufweist, und die Speichereinheit (2) eine mehreren Benutzern zugängliche elektronische Speichereinheit (2) ist, von der jeder Benutzer frei wählbare Bildausschnitte zur Darstellung auf der jeweiligen Wiedergabeeinheit (3) abrufen kann, wobei jede der Aufnahmeeinheiten als Stereoaufnahmeeinheit mit zwei nebeneinander angeordneten Aufnahmeeinheiten ausgebildet ist.
Patentanspruch 3 der mit Hilfsantrag verteidigten Fassung lautet wie folgt:
3. Bildaufzeichnungssystem für Video und Fernsehen mit einer Aufnahmeeinrichtung (1), einer Speichereinheit (2) sowie mindestens einer Wiedergabeeinheit (3), wobei die Aufnahmeeinrichtung (1) zur Erfassung eines vollständigen 360°-Sichtfeldes eine Vielzahl nebeneinander angeordneter, feststehender, hochauflösender elektronische Aufnahmeeinheiten aufweist, und die Speichereinheit (2) eine mehreren Benutzern zugängliche elektronische Speichereinheit (2) ist, von der jeder Benutzer frei wählbare Bildausschnitte zur Darstellung auf der jeweiligen Wiedergabeeinheit (3) abrufen kann, wobei jede der Aufnahmeeinheiten als Stereoaufnahmeeinheit mit zwei nebeneinander angeordneten Aufnahmeeinheiten ausgebildet ist, und wobei in der Aufnahmeeinrichtung (1) wenigstens zwei Mikrophone (10) zur räumlichen Klang-/Geräuscherfassung vorgesehen sind, indem die Aufnahmeeinrichtung (1) eine Anzahl von beabstandet angeordneten Mikrophonen (10) aufweist, so dass für jede Aufnahmerichtung aus verschiedenen Mikrophonsignalen ein Stereoton ausgewählt oder generiert werden kann.
Wegen des Wortlauts der verteidigten Fassungen im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25. Juli 2012 Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 29. Juli 2011 hat der Senat den Antrag des Beklagten, ihm Verfahrenskostenhilfe für das Nichtigkeitsverfahren zu bewilligen, wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung zurückgewiesen. Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung und unter Berücksichtigung eines zwischenzeitlich geänderten Verteidigungsbegehrens des Beklagten hat der Senat den Parteien seine vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Hinweis vom 16. Mai 2012 nach § 83 Abs. 1 PatG mitgeteilt.
Der Beklagte tritt den Ausführungen der Nichtigkeitsklägerin in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent im verteidigten Umfang für patentfähig. Die von der Klägerin zum Stand der Technik genannten Druckschriften K8 und K9 seien nicht zu berücksichtigen, da sie in englischer Sprache abgefasst seien. In der Kürze der Zeit habe er weder eine Übersetzung beschaffen noch eine sachgerechte Stellungnahme abgeben können. Die von der Klägerin übermittelten Maschinenübersetzungen seien unbrauchbar.
In der mündlichen Verhandlung hat die patentanwaltliche Vertreterin des Beklagten unter Vorlage einer fachärztlichen Stellungnahme um Vertagung gebeten, da der Beklagte krankheitsbedingt nicht reisefähig sei, seine Anwesenheit im Termin aber für dringend erforderlich halte. Die Klägerin tritt dem Vertagungsantrag ebenso entgegen, wie einer Nichtberücksichtigung der Entgegenhaltungen K8 und K9.
Der Senat hat im Termin nach Erörterung mit den Parteien den Streitwert für das Nichtigkeitsverfahren auf 250.000,-- € endgültig festgesetzt. In diesem Beschluss hat er gleichzeitig dem Antrag des Beklagten auf Streitwertbegünstigung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 PatG, den die Klägerin für rechtsmißbräuchlich ansieht, stattgegeben und angeordnet, dass sich die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Gerichtskosten nach einem Teilstreitwert in Höhe von 25.000,-- € bestimmt.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Akteninhalt, insbesondere die gewechselten Schriftsätze, sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
I.
Die auf Nichtigerklärung des Streitpatents im Umfang des nebengeordneten Patentanspruchs 3 sowie der auf diesen direkt oder indirekt zurückbezogenen Unteransprüche 4 bis 9 gerichtete Klage ist zulässig und begründet, da der Gegenstand des Streitpatents - soweit angegriffen und vom Beklagten verteidigt - nicht als neu gilt (§ 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 PatG) bzw. sich in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt und damit nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend angesehen werden kann (§ 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 4 PatG).
Der Antrag der Klägerin war dahingehend auszulegen, dass von ihrem Teilangriff auf das Streitpatent neben Patentanspruch 3 auch die diesem nachgeordneten Unteransprüche 4 bis 9 umfasst sein sollten und zwar auch insoweit, als sich dieser Rückbezug nur in mittelbarer Hinsicht ergibt.
1. Es konnte im Termin in der Sache verhandelt werden, da dem Vertagungsantrag des Beklagten mangels erheblicher Gründe im Sinne des § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG nicht stattzugeben war.
Zwar ist die krankheitsbedingte Verhinderung einer Partei, die durch die im Termin überreichte fachärztliche Stellungnahme vom 19. Juli 2012 erneut bescheinigt wurde, als unverschuldet anzusehen (§ 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO). Jedoch erscheint vorliegend die Fortdauer der Erkrankung des Beklagten nicht absehbar, da bereits ein ärztliches Attest vom 14. Mai 2012 die Unfähigkeit des Beklagten, zu reisen, bestätigt hatte, so dass nicht gewährleistet ist, dass er etwa zwei oder drei Monate später an einer mündlichen Verhandlung werde teilnehmen können, wobei die angespannte Terminslage des Senats eine entsprechende kurzfristige Verlegung ohnehin nicht zugelassen hätte. Somit träte eine längere Verzögerung des Rechtsstreits ein, die aber weder der Klägerin zuzumuten wäre, die glaubhaft ausgeführt hat, aufgrund der behaupteten Patentverletzung einer massiven Marktverunsicherung ausgesetzt zu sein, noch vereinbar erscheint mit dem auch im Patentnichtigkeitsverfahren geltenden Beschleunigungs- und Konzentrationsgebot. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Beklagte durch seine Patentanwältin im Termin vertreten war und schriftsätzlich mehrfach Stellung genommen sowie neue Anspruchsfassungen vorgelegt hat, ist sein Anspruch auf rechtliches Gehör unter den aufgezeigten Gesamtumständen hinreichend gewährleistet.
2. Nachdem das Streitpatent im Umfang des Teilangriffs nur mehr in einer gegenüber der Erteilung eingeschränkten Fassung verteidigt wird, ist es ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären, soweit es nicht mehr verteidigt wird (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2006 - X ZR 236/01, GRUR 2007, 404 Rn. 15 - Carvedilol II).
II.
1. Das Streitpatent, umfassend neun Patentansprüche, betrifft ein Bildaufzeichnungssystem (interaktive Raumbilderfassung) mit einer Aufnahmeeinrichtung und einer Speichereinheit sowie zumindest einer Wiedergabeeinheit (vgl. Streitpatentschrift, Absatz [0001]). Bei einem derartigen, in der Praxis bekanntem Bildaufzeichnungssystem wird als Nachteil empfunden, dass der Benutzer zu jeder Zeit sich nur den Bildausschnitt wiedergeben kann, der bei der Bildaufzeichnung durch den Bediener der Aufnahmeeinheit vorgegeben worden ist. Zur Behebung dieses Nachteils sei daher vorgeschlagen worden, mehrere Bildaufzeichnungssysteme parallel zur Aufnahme eines Ereignisses zu betreiben, so dass der Benutzer sich wahlweise eine andere Ansicht wiedergeben lassen könne, was aufgrund der Bereitstellung mehrere Aufnahmeeinheiten aber sehr kostspielig sei (vgl. Streitpatentschrift, Absatz [0003]). Diese Nachteile würden im Stand der Technik nach der EP 0 599 470 A1 und der DE 197 06 392 A1 dadurch überwunden, dass Aufnahmeeinrichtungen zur Anwendung kämen, die zur Aufnahme eines Rundumbildes in einem Winkel zur Aufnahmeeinrichtung rotierende Aufnahmeeinheiten aufwiesen. Die damit aufgenommenen Daten würden in einer Datenverarbeitung gespeichert und könnten über Wiedergabeeinheiten ständig in beliebiger Weise ausgelesen werden (vgl. Streitpatentschrift, Absatz [0004]). Problematisch bei dieser Methode sei, dass mit den Aufnahmeeinheiten rotierende Bauteile mit einer entsprechenden Masse vorgesehen seien und dass eine Signalübertragung von einem rotierenden auf ein feststehendes Bauteil erforderlich sei (vgl. Streitpatentschrift, Absatz [0005]).
Der Patentinhaber schlägt zur Überwindung der vorstehenden Probleme mit dem unabhängigen Patentanspruch 3 gemäß Hauptantrag ein Bildaufzeichnungssystem vor, das sich in folgende Merkmale gliedern lässt:
Bildaufzeichnungssystem für Video und Fernsehen, mit
M1 einer Aufnahmeeinrichtung (1);
M2 einer Speichereinheit (2); sowie
M3 mindestens einer Wiedergabeeinheit (3), wobei
M4 die Aufnahmeeinrichtung (1) zur Erfassung eines vollständigen 360°-Sichtfeldes eine Vielzahl nebeneinander angeordneter, feststehender, hochauflösender elektronische Aufnahmeeinheiten aufweist und
M5 die Speichereinheit (2) eine mehreren Benutzern zugängliche elektronische Speichereinheit ist, von der
M6 jeder Benutzer frei wählbare Bildausschnitte zur Darstellung auf der jeweiligen Wiedergabeeinheit (3) abrufen kann, wobei
M7 jede der Aufnahmeeinheiten als Stereoaufnahmeeinheit mit zwei nebeneinander angeordnete Aufnahmeeinheiten ausgebildet ist.
2.1 Das Streitpatent wendet sich bezüglich der anstehenden Fragen nach der Neuheit und des Zugrundeliegens einer erfinderischen Tätigkeit an einen Diplomingenieur (FH) der elektrischen Nachrichtentechnik, der mit der Entwicklung von Bildaufnahme- und Bildwiedergabesystemen beschäftigt ist.
2.2 Ausgehend vom Fach- und Erfahrungswissen dieses Fachmanns legt der Senat die Begrifflichkeit "Bildaufzeichnungssystem für Video und Fernsehen" als eine zweckgebundene Gerätschaft aus, mit der Bilder aufgezeichnet werden, die einem Betrachter auf einer dafür geeigneten Bildanzeige dargestellt werden können. Das Bildaufzeichnungssystem umfasst in seiner Allgemeinheit sowohl die Aufzeichnung bewegter Bilder im Sinne eines Films, die Aufzeichnung von Bildsequenzen als auch die Aufzeichnung von Einzelbildern (still video), um diese bspw. im Rahmen eines Diavortrags auf einer Bildanzeigevorrichtung, bspw. einem Fernsehgerät, wiederzugeben.
Unter dem Begriff "Aufnahmeeinrichtung", respektive "elektronische Aufnahmeeinrichtung" ist in Anbetracht der technischen Zielrichtung des Streitpatents jedes Gerät zu verstehen, mit dem optische Bildsignale in elektrische Signale umgesetzt werden können.
Der Aufbau der Aufnahmeeinrichtung ist patentgemäß als eine Vielzahl hochauflösender elektronischer Aufnahmeeinheiten vorgegeben, die feststehend nebeneinander angeordnet sein sollen (Merkmal M4).
Die Lehre des verteidigten Patentanspruchs 3, jede der Aufnahmeeinheiten als Stereoaufnahmeeinheit mit zwei nebeneinander angeordnete Aufnahmeeinheiten auszubilden (Merkmal M7), will der Beklagte ausschließlich dahingehend verstanden wissen, dass jede der Aufnahmeeinheiten als Pärchen zweier Aufnahmeeinheiten gebildet wird. Eine solche einschränkende Auslegung des Merkmals M7 hält der Senat nicht für gerechtfertigt. Neben der von dem Beklagten in Betracht gezogenen räumlich-körperlichen Ausgestaltung als "Stereokamera" sind zahlreiche weitere Ausbildungen der Stereoaufnahmeeinheit denkbar, die zwei nebeneinander angeordnete Aufnahmeeinheiten aufweisen. Die beiden nebeneinander angeordneten Aufnahmeeinheiten sollen nämlich lediglich einen gewünschten dreidimensionalen Bildeindruck beim Betrachter mittels einer stereometrischen Abbildung eines Bildbereichs hervorzurufen. Damit umfasst das Merkmal zur Überzeugung des Senats aber auch die rein wirkungsmäßige Zusammenfassung zweier nebeneinander angeordneter Aufnahmeeinheiten zu einer Stereoaufnahmeeinheit, ohne eine konkrete Ausgestaltung der Stereoaufnahmeeinheit auf eine herkömmliche Stereokamera festzulegen.
Mit dem Begriff Wiedergabeeinheit verbindet der Fachmann sämtliche Gerätschaften, die elektronische Bildsignale für den Benutzer wahrnehmbar darstellen können. Darunter fallen neben den allgemein üblichen Bildschirmen und Projektoren auch visuelle Ausgabegeräte in Brillenform (Head-Mounted-Display).
Der Begriff Bildausschnitt definiert im Allgemeinen einen beliebigen Teilbereich eines Bildes.
3. Hauptantrag
Unter Zugrundelegung der vorstehenden Auslegung gilt das Bildaufzeichnungssystem für Video und Fernsehen nach dem Patentanspruch 3 gemäß Hauptantrag nicht als neu.
Aus dem Fachartikel K7 ist ein Bildaufzeichnungssystem für Video und Fernsehen als vorbekannt entnehmbar, das eine auf einem Stativ montierte Rundumsichtkamera aufweist, die aus 11 in einem zwölfflächigem Körper (Dodekaeder) angeordneten hochauflösenden Miniatur-Videokameras zusammengesetzt ist (vgl. Bild auf Seite 48 i. V. m. Seite 50 linke Spalte, Zeilen 56 bis 65 und rechte Spalte, Zeilen 41 bis 44) (Merkmal M1), wodurch eine Aufnahmeeinrichtung realisiert ist, bei der eine Vielzahl feststehender hochauflösender elektronischer Aufnahmeeinheiten nebeneinander angeordnet sind, so dass ein vollständiges 360°-Sichtfeld erfassbar ist (Merkmal M4).
Der Zugriff auf die mit der Aufnahmeeinrichtung generierten Bilddaten durch Personalcomputer und Kuppelkinos kann, wie im Weiteren beschrieben, über ein Verteilsystem erfolgen, welches sich aus Breitbandnetzwerken, hochentwickelten Speichersystemen und Dateiservern zusammensetzt (vgl. Seite 50, rechte Spalte, Zeilen 50 bis 53). Aus den vorstehenden Gegebenheiten entnimmt der Fachmann der Druckschrift K7 unmittelbar, dass ein dort beschriebenes Bildaufzeichnungssystem neben der Aufnahmeeinrichtung mindestens eine jedem Nutzer zugängliche elektronische Speichereinheit aufweisen muss (Merkmale M2 und M5), wobei nutzerseitig für die Bildwiedergabe mindestens eine Wiedergabeeinheit, bspw. in Form der Projektionseinrichtung eines Kuppelkinos, eines Monitors eines Personalcomputers oder nicht zuletzt eines Head Mounted Displays bereitgehalten wird (vgl. Seite 50, rechte Spalte, Zeilen 15 bis 17) (Merkmal M3).
In dem Head Mounted Display kann sich der Nutzer auch ausgewählte Bildausschnitte des Gesamtbildes anzeigen lassen und zwar in einer Weise, dass er in jede beliebige Bildrichtung blicken und den in dieser Blickrichtung erfassten Teilbildausschnitt des aufgenommenen Rundumbildes betrachten kann (vgl. Seite 50, rechte Spalte, Zeilen 10 bis 21) (Merkmal M6).
In der Druckschrift K7 ist des Weiteren im Hinblick auf die Erzielung eines dreidimensionalen Bildeindrucks auch die Weiterentwicklung der dort in Rede stehenden Aufnahmeeinrichtung dahingehend angesprochen, dass benachbarte Aufnahmeeinheiten (Pentagons) mit Extra-Weitwinkellinsen ausgestattet werden, so dass die für die Generierung eines 3-D-Bildes notwendige stereoskopische Überlappung gewährleistet ist (vgl. Seite 50, rechte Spalte, Zeilen 41 bis 44). Mithin wird auch in der Druckschrift K7 zumindest die vom Anspruchswortlaut mitumfasste (vgl. hierzu Ausführungen unter 2.2) wirkungsmäßige Zusammenfassung zweier, nebeneinander angeordneter Aufnahmeeinheiten (Pentagons) zu einer funktionsmäßigen Stereoaufnahmeeinheit vorweggenommen (Merkmal M7).
Im Ergebnis wird dem Fachmann mit dem Fachartikel K7 ein Bildaufzeichnungssystem offenbart, das alle Merkmale des verteidigten Patentanspruchs 3 gemäß Hauptantrag aufweist.
Hinsichtlich der Unteransprüche 2 und 6 bis 9 ist ein weitergehender erfinderischer Gehalt von dem Beklagten weder geltend gemacht noch sonst für den Senat ersichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 - X ZR 131/02, GRUR 2007, 309 Rn. 42 - Schussfädentransport).
4. Hilfsantrag
Der Patentanspruch 3 in seiner hilfsweise verteidigten Fassung umfasst die Merkmale des Patentanspruchs 3 gemäß Hauptantrag und unterscheidet sich von diesem durch das weitere Merkmal
M8 wobei in der Aufnahmeeinrichtung (1) wenigstens zwei Mikrophone (10) zur räumlichen Klang-/Geräuscherfassung vorgesehen sind, indem die Aufnahmeeinrichtung (1) eine Anzahl von beabstandet angeordneten Mikrophonen aufweist, so dass für jede Aufnahmerichtung aus verschiedenen Mikrophonsignalen ein Stereoton ausgewählt oder generiert werden kann.
Soweit der Patentinhaber die Auffassung vertritt, dass sich der Gegenstand nach dem Patentanspruch 3 gemäß Hilfsantrag von dem in der K7 beschriebenen Bildaufnahmesystem in erfinderischer Weise dadurch unterscheide, dass dort Mikrophone für eine Tonaufnahme explizit nicht erwähnt seien, geschweige denn Mikrophone so einzusetzen seien, dass aus jeder Raumrichtung ein Stereoton erzeugt werden könne, kann er damit nicht durchdringen.
Die K7 befasst sich zwar schwerpunktmäßig mit dem elektrooptischen Aufbau und den Betriebsmöglichkeiten einer 360°-Anordnung mehrerer elektronischer hochauflösender Kameras, lässt aber im Hinblick auf damit herzustellende sphärische Videoproduktionen, bspw. eines Basketball-Spieles, die Unterlegung desselben mit 3-D "holophonem" Audio nicht unerwähnt (vgl. K7, Seite 50, linke Spalte, letzter Absatz bis rechte Spalte, erster Absatz). Der Fachmann erhält damit unmittelbar den Hinweis, dem Nutzer als Endprodukt ein sphärischen Video anzubieten, welches nicht nur einen räumlichen Bildeindruck, sondern auch einen mit diesem synchronisierten Höreindruck vermittelt. Aus seinem Fachwissen heraus ist dem Fachmann bewusst, dass ein derartiger audio-visueller Gesamteindruck nur dann vermittelt werden kann, wenn für die Aufnahme der akustischen Ereignisse eine Vielzahl von Mikrophonen eingesetzt wird, von denen einzelne gezielt mit den jeweils in einer gewünschten Blickrichtung ausgerichteten Kameras synchron aktiviert werden. In Anbetracht des beabsichtigten holophonen Eindrucks und der damit einhergehenden akustischen Tiefenwirkung sind dafür selbstverständlich, je nach darzustellendem Bildausschnitt und den diesen charakterisierenden akustischen Ereignis, mehrere Mikrophonsignale zusammenzuschalten.
Die Anordnung und die Verschaltung von Mikrophonen gemäß dem Merkmal M8 sind dem Fachmann, ausgehend von der K7, somit nahe gelegt.
Mit dem Patentanspruch 3 in der mit dem Hilfsantrag verteidigten Fassung kann das Patent somit keinen Bestand haben. Dass in den direkt oder indirekt rückbezogenen Unteransprüchen 4, 8 und 9 eigenständig erfinderische Gegenstände enthalten seien, hat der Beklagte weder geltend gemacht, noch ist dies für den Senat ersichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 - X ZR 131/02, GRUR 2007, 309 Rn. 42 - Schussfädentransport).
5. Bei dieser Sachlage konnte es auch dahingestellt bleiben, ob die dem Gegenstand des Streitpatents im angegriffenen Umfang näher kommende Entgegenhaltung K8, die in englischer Sprache abgefasst ist, trotz der Einlassung des Beklagten, er verfüge diesbezüglich nicht über ausreichende Sprachkenntnisse, zur Beurteilung der Patentfähigkeit hätte herangezogen werden können. Nach der im Patentnichtigkeitsverfahren maßgeblichen Vorschrift des § 142 Abs. 3 ZPO liegt es im Ermessen des Gerichts, ob es Übersetzungen fremdsprachlicher Entgegenhaltungen anfordert. Insoweit ist jedoch auf die Sprachkenntnisse des Gerichts abzustellen und nicht auf die der Parteien. Letztere sind gehalten, sich gegebenenfalls selbst Übersetzungen anfertigen zu lassen (vgl. Schulte, PatG, 8. Auflage, § 126, Rz. 15 sowie BPatGE 44, 47 - Künstliche Atmosphäre). Jedenfalls hat die Klägerin die Druckschrift K8 innerhalb der im Hinweis des Gerichts den Parteien gesetzten Frist zum Vorbringen neuer Angriffs- oder Verteidigungsmittel, die am 20. Juni 2012 endete, und damit rechtzeitig eingereicht. Inwieweit entgegen der Ansicht des Beklagten, der sich zu den ebenfalls in englischer Sprache abgefassten Druckschriften K6 und K7 nicht gehindert sah, sachgerecht Stellung zu nehmen, die nachgereichte Maschinenübersetzung zusammen mit seinem und dem Sachverstand seiner anwaltlichen Vertreterin ausreichend erscheinen könnten, um sein Recht auf ein faires Verfahren zu gewährleisten, braucht daher ebenfalls nicht näher erörtert zu werden.
III.
Als Unterlegener hat der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Seine Verpflichtung zur Zahlung der Gerichtskosten bemisst sich jedoch nicht nach dem in der mündlichen Verhandlung festgesetzten Streitwert in Höhe von 250.000,-- €, sondern nach dem der wirtschaftlichen Lage des Beklagten angepassten Teilstreitwert von 25.000,-- € gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 PatG i. V. m. § 2 Abs. 2 Satz 5 PatKostG, den der Senat auf Antrag des Beklagten vom 20. Juni 2012 im Termin ebenfalls festgesetzt hat.
Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag einer Partei anordnen, dass sich ihre Kostentragungspflicht nach einem geringeren Wert berechnet, sofern die Belastung mit den Prozesskosten nach dem vollen Wert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde und sie dies glaubhaft macht. Der Beklagte, der entsprechende Bewilligungsunterlagen vorgelegt hat, ist derzeit Empfänger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und trägt vor, einschließlich geringer Lizenzzahlungen aus dem Streitpatent weniger als … € monatlich zur Verfügung zu haben und ansonsten mittellos zu sein. Eine erhebliche Gefährdung der wirtschaftlichen Lage des Beklagten bei Zugrundelegung des vollen Streitwertes, bei dem sich allein die Gerichtskosten auf ca. 15.000,-- € belaufen, liegt daher auf der Hand.
Der Antrag wurde vom Beklagten auch rechtzeitig vor der Verhandlung gestellt (§ 144 Abs. 2 Satz 2 PatG). Nachdem eine Festsetzung des Streitwerts erst in der Verhandlung erfolgte, erscheint überdies fraglich, ob diese Vorschrift dem Beklagten hätte entgegen gehalten werden können, wenn er den Antrag auf Streitwertherabsetzung erst im Rahmen der Verhandlung über dessen Festsetzung gestellt hätte.
Der Antrag auf Herabsetzung des Streitwerts ist entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht rechtsmissbräuchlich gestellt. Ihrem Vortrag, der Beklagte hätte es in der Hand gehabt, frühzeitig die Kosten eines Nichtigkeitsverfahrens durch Verzicht auf das Streitpatent zu mindern bzw. zu vermeiden, ist entgegen zu halten, dass sich der zunächst nicht anwaltlich vertretene Beklagte des Kostenrisikos bei einer Nichtigkeitsklage als Reaktion auf seine finanziellen Forderungen an die Klägerin wegen angeblicher Verletzung des Streitpatents wohl nicht bewusst war. Inzwischen hat er seine Bereitschaft zur Begrenzung des Schadens auf Seiten der Klägerin bekundet und dieser sogar eine Aufwandsentschädigung angeboten. Den nach dem Beschluss des Senats vom 29. Juli 2011 fehlenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung ist er durch mehrmalige Einschränkungen gegenüber der erteilten Fassung des Streitpatents entgegengetreten.
Dem Senat erscheint vorliegend ein Teilstreitwert von 25.000,-- € als angemessen. Er berücksichtigt, dass dem Beklagten ein gewisses Kostenrisiko verbleiben soll, das in einem angemessenen Verhältnis zum normalen Risiko, dem erhöhten Risiko der Gegenpartei und den Vermögensverhältnissen des Beklagten steht (vgl. BGH; Beschluss vom 29. Juli 2010 - Xa ZR 76/08; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Auflage, §144, Rdnr. 13; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Auflage, § 144 Rdnr. 7 m. w. N.). Dieser Betrag errechnet sich auf der Grundlage der vom Beklagten angegebenen Lizenzeinnahmen, gemessen an der Restlaufzeit des Streitpatents.
Wegen der Folgen der Streitwertherabsetzung auf die außergerichtlichen Kosten des Nichtigkeitsverfahrens wird auf § 144 Abs. 1 Satz 2 und 3 PatG Bezug genommen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG, § 709 ZPO.