Entscheidungsdatum: 08.12.2010
1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 28. Juli 2010 - 3 Sa 366/09 - wird als unzulässig verworfen, soweit das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt hat, an den Kläger 10.430,38 Euro brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes iHv. 2.626,56 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 7.803,82 Euro seit 1. Januar 2005 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird auf die Beschwerde der Beklagten das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 28. Juli 2010 - 3 Sa 366/09 - in Ziffer I. 1. und im Kostenausspruch aufgehoben.
3. Im Umfange der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens aus einem Streitwert von 11.638,50 Euro - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens aus einem Streitwert von 7.803,82 Euro zu tragen.
I. Die Parteien streiten über Vergütung nebst Urlaubs- und Weihnachtsgeld für das Jahr 2004 sowie Annahmeverzugsvergütung für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - der Klage teilweise stattgegeben. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die auf Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützte Beschwerde der Beklagten.
II. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit das Landesarbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung von Vergütung sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld für das Jahr 2004 iHv. 10.430,38 Euro brutto abzüglich in diesem Zeitraum erhaltenes Arbeitslosengeld iHv. 2.626,56 Euro netto nebst Zinsen verurteilt hat. Insoweit fehlt es an einer Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a Abs. 3 ArbGG).
III. Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
1. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt vor, wenn eine Entscheidung ohne entsprechenden Hinweis auf einen Gesichtspunkt gestützt wird, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielzahl von vertretbaren Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfG 17. Februar 2004 - 1 BvR 2341/00 - DStRE 2004, 1050; BAG 31. August 2005 - 5 AZN 187/05 - AP ArbGG 1979 § 72a Rechtliches Gehör Nr. 7 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 104; 20. März 2008 - 8 AZN 1062/07 - EzA ArbGG 1979 § 72 Nr. 38). Zum Prozessverlauf gehören auch erteilte oder unterbliebene Hinweise. Kann deshalb eine Partei damit rechnen, dass sie auf einen entscheidungserheblichen Punkt hingewiesen wird, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, wenn ein entsprechender Hinweis unterbleibt (BAG 31. Juli 2007 - 3 AZN 326/07 - AP ArbGG 1979 § 77 Nr. 11 = EzA GG Art. 103 Nr. 9).
a) Das Landesarbeitsgericht hat in der ersten Berufungsverhandlung ausweislich des Protokolls den Kläger auf die Entscheidung des Senats vom 5. November 2003 (- 5 AZR 562/02 - AP BGB § 615 Nr. 106 = EzA BGB 2002 § 615 Nr. 2) hingewiesen und in dem auf den 14. April 2010 anberaumten Entscheidungsverkündungstermin den Beschluss verkündet: „Dem Kläger wird Gelegenheit gegeben, zu der Frage der Leistungsfähigkeit im Annahmezeitpunkt Stellung zu nehmen“. In der genannten Entscheidung hat der Senat ausgeführt, die Darlegungs- und Beweislast für das Unvermögen des Arbeitnehmers, im Annahmeverzugszeitraum die Arbeitsleistung zu erbringen, trage der Arbeitgeber. Dazu reiche es aus, dass er Indizien vortrage, aus denen auf die Arbeitsunfähigkeit geschlossen werden könne. In Betracht kämen insbesondere Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vor und nach dem Verzugszeitraum. Habe der Arbeitgeber solche Indizien vorgetragen, sei es Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung zu erschüttern. Trage er dazu nichts vor, gelte die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei während des Verzugszeitraums leistungsunfähig gewesen, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Aus dem ausdrücklich an den Kläger gerichteten rechtlichen Hinweis durfte die Beklagte den Schluss ziehen, sie habe Indizien vorgetragen, aus denen auf eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Annahmeverzugszeitraum geschlossen werden könne, und deren Indizwirkung habe der Kläger bislang nicht erschüttert. Ansonsten wären der rechtliche Hinweis des Landesarbeitsgerichts und der von ihm verkündete Beschluss unverständlich.
Auf den rechtlichen Hinweis hat der Kläger erst mit Schriftsatz vom 22. Juni 2010 - einen Tag vor der zweiten Berufungsverhandlung - reagiert und Sachvortrag geleistet, auf den sich das Landesarbeitsgericht entscheidungserheblich stützt, wenn es unter 3. b) seiner Entscheidungsgründe ausführt, der Kläger habe „im Einzelnen dargelegt, dass er ab 01.01.2005 wieder arbeitsfähig war, nachdem im Jahre 2004 eine Nierentransplantation erfolgreich durchgeführt worden ist. Diesem Vorbringen ist die Beklagte auch nicht ansatzweise entgegengetreten, so dass von einer Leistungsunfähigkeit des Klägers ab 01.01.2005 nicht ausgegangen werden kann“.
b) Wenn das Landesarbeitsgericht in der ersten Berufungsverhandlung dem Kläger einen rechtlichen Hinweis zu seinen Gunsten erteilt und ihm - ohne zeitliche Einschränkung - Gelegenheit gibt, seinen Sachvortrag schriftsätzlich zu ergänzen, gebietet es der Grundsatz des „fairen Verfahrens“, dass das Landesarbeitsgericht in der zweiten Berufungsverhandlung nunmehr die Beklagte darauf hinweist, es gehe jetzt davon aus, der Kläger habe die Indizwirkung der von der Beklagten für eine Arbeitsunfähigkeit im Annahmeverzugszeitraum vorgetragenen Indizien erschüttert. An einem derartigen - dokumentierten (§ 139 Abs. 4 ZPO) - Hinweis fehlt es. Der Grundsatz des „fairen Verfahrens“ hätte es weiter geboten, der Beklagten ebenso wie zuvor dem Kläger die Möglichkeit einzuräumen, schriftsätzlich ergänzend vorzutragen. Dies gilt um so mehr, als die Beklagte nach dem zeitlichen Ablauf den neuen Sachvortrag des Klägers nicht vor der zweiten Berufungsverhandlung zur Kenntnis nehmen konnte und bereits im unmittelbaren Anschluss an die - erste - Entscheidungsverkündung darauf aufmerksam gemacht hatte, wenn der Kläger bis zum Termin der zweiten Berufungsverhandlung zu dem rechtlichen Hinweis Stellung nehmen könne, werde es ihr nicht möglich sein, sich darauf einzulassen und eine Schriftsatzfrist erforderlich.
2. Die Beklagte hat die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ausreichend dargetan. Es genügt der nachvollziehbare Vortrag, dass das Landesarbeitsgericht bei Beachtung seiner Hinweispflicht möglicherweise anders entschieden hätte (BAG 31. Juli 2007 - 3 AZN 326/07 - AP ArbGG 1979 § 77 Nr. 11 = EzA GG Art. 103 Nr. 9; 11. April 2006 - 9 AZN 892/05 - BAGE 117, 370). Dem hat die Beklagte dadurch entsprochen, dass sie in der Beschwerdebegründung vorgetragen hat, welchen Sachvortrag sie gehalten und welche Rechtsausführungen sie gemacht hätte. Ob das Landesarbeitsgericht dem gefolgt wäre, ist für die Frage der Verletzung des rechtlichen Gehörs ohne Bedeutung. Eine andere als die getroffene Entscheidung liegt jedenfalls im Bereich des Möglichen, weil das Landesarbeitsgericht sich entscheidungserheblich darauf stützt, die Beklagte sei dem Vorbringen des Klägers zu seiner Leistungsfähigkeit auch nicht ansatzweise entgegen getreten.
3. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 72a Abs. 7 ArbGG Gebrauch gemacht. Der Rechtsstreit wirft keine revisionsrechtlich bedeutsamen Fragen auf.
IV. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten hinsichtlich des erfolglosen Teils des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Eine gesonderte Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Klägers war nicht veranlasst, weil sein Prozessbevollmächtigter im Beschwerdeverfahren nicht tätig geworden ist.
V. Der Wert des erfolglosen Teils des Beschwerdeverfahrens beträgt 7.803,82 Euro. Seine Festsetzung beruht auf § 63 GKG.
Müller-Glöge |
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