Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 27.10.2015


BPatG 27.10.2015 - 4 Ni 7/14 (EP)

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
27.10.2015
Aktenzeichen:
4 Ni 7/14 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 395 851

( DE 602 13 235 )

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2015 durch den Vorsitzenden Richter Engels sowie die Richterin Kopacek, die Richter Dr. Müller und Dr. Zebisch und die Richterin Zimmerer

für Recht erkannt.

I. Das europäische Patent 1 395 851 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 9, sowie 11, 13 und 15, soweit sich diese jeweils auf einen der vorgenannten Ansprüche rückbeziehen, für nichtig erklärt.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens ist das auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilte europäische Patent 1 395 851 (Streitpatent), das am 17. Mai 2002 unter Inanspruchnahme der Priorität der Patentanmeldung GB 0 111 979 vom 17. Mai 2001 angemeldet wurde. Das Streitpatent wurde in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlicht und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. 602 13 235 geführt. Es betrifft eine Überwachungsvorrichtung für Fahrzeuge (Sensing apparatus for vehicles) und umfasst 22 Patentansprüche, die teilweise, nämlich im Umfang der erteilten Ansprüche 1 bis 9, 11 (soweit auf einen der Ansprüche 6 bis 9 rückbezogen), 13 und 15 angegriffen sind.

2

Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:

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3

und in der deutschen Übersetzung

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4

Hinsichtlich der auf den Patentanspruch 1 unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 22 wird auf die Streitpatentschrift EP 1 395 851 B1 Bezug genommen.

5

Mit ihrer zunächst auf Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 und 3 IntPatÜG gestützten Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand der angegriffenen Ansprüche gehe über den Inhalt der ursprünglichen, in der WO 02/092376 A2 veröffentlichten internationalen Anmeldung hinaus, und der Gegenstand des Streitpatents sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2015 (Bl. 254 ff. d. A.) hat die Klägerin zudem die Klage auf den Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit erweitert und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei im Umfang der angegriffenen erteilten Ansprüche nicht neu und beruhe zudem nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG). Insoweit hat die Klägerin sich auf folgende Schriften berufen:

6

D1 (=BM5) EP 890 470 A2 (aus EP-Prüfungsverfahren)

7

D2 US 5 999 874 A

8

D3 US 5 617 085 A

9

D4 U. Hofmann et al: „EMS-Vision: Application to Hybrid Adaptive Cruise Control“, Proceedings of the IEEE Intelligent Vehicles Symposium 2000, Dearborn (MI), USA, October 3-5, 2000, S. 468 – 473.

10

Die Klägerin macht geltend, dass die Lehre des Streitpatents gegenüber den Schriften D1 bis D4 auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die abhängigen Ansprüche des Streitpatents enthielten ebenfalls keine patentfähigen Merkmale. Sie seien aus dem Stand der Technik bekannt und gingen nicht über ein einfaches fachmännisches Handeln hinaus. Soweit die Beklagte das Streitpatent mit den Hilfsanträgen 1 bis 4 verteidige, seien deren Gegenstände unzulässig erweitert, die Fassungen der Hilfsanträge mithin unzulässig. Zudem seien diese darüber hinaus auch nicht patentfähig.

11

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

12

das Patent EP 1395851 B1 für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 9, sowie 11, 13 und 15, soweit sich diese jeweils auf einen der vorgenannten Ansprüche rückbeziehen für nichtig zu erklären.

13

Die Beklagte beantragt,

14

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent mit den in der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2015 eigereichten Hilfsanträgen 1 bis 4 verteidigt werde.

15

Wegen des Wortlauts der Hilfsanträge 1 bis 4 wird auf die Anlage 2 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2015 verwiesen.

16

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin uneingeschränkt entgegen. Sie trägt vor, eine unzulässige Erweiterung liege nicht vor. Die Streitpatentschrift offenbare die Erfindung auch ausreichend und ausführbar. Darüber hinaus sei keine der von der Klägerin herangezogenen Entgegenhaltungen D1 bis D4 geeignet, die Neuheit der Gegenstände des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag oder einem der vier Hilfsanträge in Frage zu stellen. Auch beruhten sie gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns. Der Sichtweise der Klägerin liege ein unzutreffendes Verständnis der Anspruchsmerkmale zugrunde.

17

Der Senat hat den Parteien einen frühen qualifizierten Hinweis vom 6. März 2015 nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 192 ff. d. A.).

18

Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt allen Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

19

Die zulässige Klage ist begründet soweit mit ihr der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit nach Art. II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Absatz 1 lit. a) EPÜ i. V. m. Art. 52, 56 EPÜ geltend gemacht wird, da sich sowohl die geltende Fassung des Streitpatents hinsichtlich der angegriffenen Patentansprüche als auch die nach den Hilfsanträgen verteidigten Anspruchssätze, soweit diese zulässig sind, als nicht patentfähig erweisen, so dass das Streitpatent im Umfang des Angriffs für nichtig zu erklären ist.

20

1. Das Streitpatent betrifft eine Zielobjektpositionserfassungsvorrichtung für ein Stammfahrzeug, das den Ort eines Zielfahrzeugs oder eines anderen Zielobjekts aus einer Reihe von Fahrzeugen oder anderen Objekten bezüglich eines projizierten Weges eines Stammfahrzeugs zu schätzen vermag. In einem weiteren Aspekt sieht die Erfindung ein adaptives Geschwindigkeitssteuersystem vor, das eine derartige Vorrichtung beinhaltet (siehe DE 602 13 235 T2, im Folgenden DE-Streitpatent genannt, Abs. [0001]).

21

In der Beschreibung wird erläutert, dass in den Jahren vor dem Prioritätsdatum die Einführung verbesserter Sensoren und die Erhöhung der Rechenleistung zu beträchtlichen Verbesserungen bei automobilen Steuerungssystemen geführt hätten. Ein Beispiel für den neuesten Fortschritt sei das Vorsehen einer adaptiven Geschwindigkeitssteuerung („ACC = Adaptive Cruise Control“) für Fahrzeuge (vgl. DE-Streitpatent Abs. [0003]).

22

Ferner wird ausgeführt, dass ACC-Systeme um Positionssensoren herum strukturiert sind, die das Vorhandensein anderer Fahrzeuge oder das von Hindernissen detektieren, die sich auf der vor dem Stammfahrzeug liegenden Straße befinden. Die Detektion wird üblicherweise unter Verwendung eines oder mehrerer radar- oder lidarbasierter Sensoren durchgeführt, die an der Vorderseite des Stammfahrzeugs angebracht sind. Die Sensoren identifizieren den Ort der detektierten Objekte relativ zu dem Stammfahrzeug und speisen Informationen in einen Prozessor. Der Prozessor bestimmt, ob das Zielobjekt auf einem für das Stammfahrzeug projizierten Weg liegt oder nicht (vgl. DE-Streitpatent Abs. [0004]).

23

Nach den Angaben der Streitpatentschrift treten bei der Konstruktion eines zuverlässigen ACC-Systems verschiedene inhärente Probleme auf, u. a bei der Bestimmung der Trajektorie beziehungsweise des projizierten Weges des Stammfahrzeugs mittels Giersensoren.

24

Bewegt sich ein Stammfahrzeug entlang einer geraden Straße, ist die Implementierung trivial. Es müssen lediglich Ziele verfolgt werden, die sich genau vor dem Fahrzeug befinden. Wenn die Straße gekrümmt ist, ist das Problem bei weitem nicht trivial. Bei der ersten Generation von ACC-Systemen wird die Identifikation der Fahrspur, auf der sich ein voraus befindliches Zielfahrzeug fortbewegt, durch die Verwendung einer Kombination aus einem Radar zum Detektieren der Position der Zielobjekte und an dem Stammfahrzeug angeordneten Giersensoren zum Bestimmen der Trajektorie beziehungsweise des zukünftigen Weges des Stammfahrzeugs erreicht. Die Ausgabe des Giersensors ermöglicht eine Bestimmung des Radius des projizierten Weges des Fahrzeugs, d.h. des Radius, entlang dem sich das Stammfahrzeug zu dem Zeitpunkt fortbewegt, zu dem die Messung gemacht wurde. Die Krümmung des Wegs wird dann vor das Fahrzeug projiziert und es werden Ziele verfolgt, die auf dem so bestimmten Weg liegen.

25

Das Leistungsvermögen dieser Systeme ist jedoch beschränkt, da die Projektion bzw. Vorausberechnung der Positionen der Fahrzeuge nur dann sinnvoll sind, wenn das Stammfahrzeug und das behindernde Fahrzeug einem Weg mit dem gleichen Radius folgen. Zudem ist die Information, die man von einem Giersensor erhaltenden kann, üblicherweise von geringer Qualität, was zu einer geringen Zuverlässigkeit des Systems führt. Dies kann zu Fehlern in dem vorausberechneten (projected) Weg führen (vgl. DE-Streitpatent Abs. [0006] bis [0009]).

26

2. Die Streitpatentschrift bezeichnet es als Ziel der Erfindung, einige der genannten Probleme des Standes der Technik zu vermindern (vgl. DE-Streitpatent Abs. [0011]). Dadurch soll eine zuverlässigere Bestimmung des Ortes eines behindernden Fahrzeuges ermöglicht werden (vgl. DE-Streitpatent Abs. [0013]).

27

3. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 eine Zielobjektpositionserfassungsvorrichtung mit folgenden Merkmalen vor (Merkmalsgliederung hinzugefügt):

28

1.1. A target object position sensing apparatus for a host vehicle (1), the apparatus comprising:

29

1.2 a lane detection apparatus provided on the host vehicle

30

1.2.1 which includes an image acquisition means (100)

31

1.2.2 adapted to capture an image of at least a part of the road ahead of the host vehicle (1);

32

1.3 a vehicle path estimation means adapted to estimate a projected path for the host vehicle (1);

33

1.4. a target vehicle detection apparatus (103) located on the host vehicle

34

1.4.1 which is adapted to identify the position of any target objects located on the road ahead of the host vehicle,

35

1.4.2 the position including data representing the distance of a target vehicle (2) from the host vehicle;

36

1.5 first data processing means (104) adapted to determine a target lane in which the host vehicle will be located;

37

1.6 and second processing means (104) adapted to compare the position of the target vehicle determined by the target vehicle detection means with the position of the target lane to provide a processed estimate of the actual position of the target object,

38

characterised by

39

1.7.1 the first data processing means being adapted to determine the target lane as the lane in which the host vehicle will be located

40

1.7.2 when the host vehicle has travelled along the projected path by the distance to the target object and

41

1.8. the processed estimate comprising an indicator of whether or not the target vehicle (2) is in the same lane as the host vehicle (1) is projected to be in when at the point of the target vehicle (2).

42

In deutscher Übersetzung:

43

1.1 Zielobjektpositionserfassungsvorrichtung für ein Stammfahrzeug (1), wobei die Vorrichtung umfasst:

44

1.2 - eine an dem Stammfahrzeug vorhandene Fahrspurdetektionsvorrichtung,

45

1.2.1 die eine Bilderfassungseinrichtung (100) umfasst,

46

1.2.2 die ein Bild von zumindest einem Teil der vor dem Stammfahrzeug (1) liegenden Straße zu erfassen vermag;

47

1.3 - eine Fahrzeugwegschätzeinrichtung, die einen projizierten Weg für das Stammfahrzeug(1) zu schätzen vermag;

48

1.4 - eine sich an dem Stammfahrzeug befindende Zielfahrzeugdetektionsvorrichtung(103),

49

1.4.1 die die Position eines beliebigen Zielobjekts zu identifizieren vermag, das sich auf der vor dem Stammfahrzeug liegenden Straße befindet,

50

1.4.2 wobei die Position Daten umfasst, die den Abstand eines Zielfahrzeugs (2) von dem Stammfahrzeug repräsentieren;

51

1.5 - erste Datenverarbeitungsmittel (104), die eine Zielfahrspur zu bestimmen vermögen, auf der sich das Stammfahrzeug befinden, wird;

52

1.6 - und zweite Verarbeitungsmittel (104), die die Position des Zielfahrzeugs, die durch die Zielfahrzeugdetektionsmittel bestimmt ist, mit der Position der Zielfahrspur vergleichen können, um eine verarbeitete Schätzung der tatsächlichen Position des Zielobjektes zur Verfügung zu stellen,

53

dadurch gekennzeichnet,

54

1.7.1 dass die ersten Datenverarbeitungsmittel dazu ausgelegt sind, die Zielfahrspur als diejenige Fahrspur zu bestimmen, auf der sich das Stammfahrzeug befinden wird,

55

1.7.2 wenn sich das Stammfahrzeug entlang des projizierten Weges um den Abstand zu dem Zielobjekt bewegt hat,

56

1.8 und dass die verarbeitete Schätzung einen Indikator umfasst, ob das Zielfahrzeug (2) auf der gleichen Fahrspur ist oder nicht, auf der das Stammfahrzeug (1) projektionsgemäß sein wird, wenn es sich an dem Punkt des Zielfahrzeugs (2) befindet.

57

Die folgenden Ansprüche 2 bis 18 sind auf den jeweils unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen. Wegen dieser Unteransprüche wird wie auch zu den Ansprüchen 19 bis 22 auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

58

3.1 Patentanspruch 1 in der mit dem Hilfsantrag 1 verteidigten Fassung ist mit Patentanspruch 1 nach Hauptantrag (erteilte Fassung) identisch, lediglich der erteilte Unteranspruch 13 wurde im Hilfsantrag 1 gestrichen und die Rückbezüge wurden angepasst.

59

In Patentanspruch 1 in der mit dem Hilfsantrag 2 verteidigten Fassung wurden vor Merkmal 1.7.1 die folgenden Merkmale hinzugefügt:

60

1.9.1 the vehicle path estimation means (104) is adapted to use lane information to determnine which lane the host vehicle (19) is presently travelling in and the projected path corresponds to the path of the lane,

61

1.9.2 and includes a yaw sensor which is adapted to determine the rate of yaw of the host vehicle (1) in order to provide a measure of the radius of curvature of the path a vehicle is following, and

62

Patentanspruch 1 in der mit dem Hilfsantrag 3 verteidigten Fassung beinhaltet gegenüber dem Hauptantrag das folgende zusätzliche an das Ende des Anspruchs gesetzte Merkmal:

63

1.9.2' wherein the vehicle path estimation means (104) includes a yaw sensor which is adapted to determine the rate of yaw of the host vehicle (1) in order to provide a measure of the radius of curvature of the path a vehicle is following.

64

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 weist gegenüber dem Hauptantrag folgendes zusätzliche Merkmal nach Merkmal 1.3 auf:

65

1.3.1 wherein the vehicle path estimation means determines the curvature of a path that the vehicle is expected to follow in several ways;

66

4. Als zur objektiven Problemlösung berufener Fachmann sieht der Senat einen Ingenieur auf dem Gebiet der Elektrotechnik mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Fahrer-Assistenz-Systeme an. Insoweit wird ein derartiger Fachmann hinsichtlich der Algorithmen zur Bildauswertung und der Zielobjekt/-positionserkennung und deren Implementierung einen Informatiker hinzuziehen und ein entsprechendes Team bilden, zumal auf dem vorliegend angesprochenen Gebiet der Fahrer-Assistenz-Systeme die Entwicklung durchaus mit hohem Personal- und Sachaufwand betrieben wird.

67

Das genannte Team besitzt Fachkenntnis auf dem Gebiet der Radar-Sensorik und Giersensoren (für Anti-Kollisionssysteme), aber auch hinsichtlich kamerabasierter Systeme und der benötigten Bildverarbeitung sowie der Berechnungsmethoden zur Ermittlung eines zukünftigen Fahrwegs aus Bild- und/oder Bewegungsinformationen.

68

Die kamerabasierten Fahrer-Assistenz-Systeme waren zum Prioritätszeitpunkt Gegenstand der Fahrzeugentwicklung, wobei die Entwicklung kommerziell verfügbarer Fahrer-Assistenz-Systeme noch am Anfang stand (siehe auch Streitpatent Abs. [0003]). Es zeigen u. a. die Druckschriften D1 bis D4, dass die Forschung und Entwicklung einige Jahre vor dem Prioritätszeitpunkt an Universitäten oder Automobil-/Zulieferfirmen betrieben wurde, und damit für das hochqualifizierte Team von einer mehrjährigen Berufserfahrung auf diesem Gebiet der Fahrer-Assistenz-Systeme auszugehen ist.

II.

69

Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung und der Fassung nach den Hilfsanträgen ist zunächst unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen nach Art. 69 Abs. 1 EPÜ gemäß einer am technischen Sinn- und Gesamtzusammenhang der Patentschrift orientierenden Betrachtung durch den angesprochenen Fachmann auszulegen. Insoweit bedürfen einige Aspekte der Erläuterung:

70

1. Mit der erfindungsgemäßen Vorrichtung soll eine verbesserte Schätzung der Position eines Zielobjekts auf dem Weg eines Stammfahrzeugs durch das Kombinieren tatsächlicher Zielpositionsinformationen mit den Fahrspurdaten zur Verfügung gestellt werden (vgl. DE-Streitpatent Abs. [0061]).

71

Die erfindungsgemäße Vorrichtung setzt sich aus den Grundbestandteilen Fahrspurdetektionsvorrichtung (Merkmale 1.2, 1.2.1, 1.2.2) und Zielfahrzeug-detektionsvorrichtung (Merkmale 1.4, 1.4.1, 1.4.2), sowie Fahrzeugwegschätzeinrichtung (Merkmal 1.3) und erste und zweite Datenverarbeitungsmittel (Merkmale 1.5, 1.7.1, 1.7.2 bzw. 1.6, 1.8) zusammen. Dabei betrifft die erste Gruppe die Sensorik und die zweite Gruppe die Verarbeitung der von den Sensoren gemessenen Daten. Zentrale Bedeutung kommt der Ermittlung der Zielfahrspur zu, wie sie in den Merkmalen 1.7.1 und 1.7.2 definiert ist.

72

2. Die Besonderheit der im Anspruch 1 definierten Erfindung liegt nach der Streitpatentschrift in der Kombination beziehungsweise Verschmelzung der Informationen von der Fahrspurdetektionsvorrichtung und der Fahrzeugpositiondetektionsvorrichtung, um eine zuverlässige Bestimmung des Ortes eines behindernden Fahrzeugs zu ermöglichen. Die Verwendung der Fahrspurdetektion erübrige den Bedarf nach Informationen bezüglich des projizierten Wegs, welche von einem Giersensor zur Verfügung gestellt werden, indem real identifizierte Fahrspurinformationen verwendet werden, um die Position eines Ziel- oder behindernden Fahrzeugs und des Stammfahrzeugs zu schätzen (siehe DE-Streitpatent Abs. [0013] bis [0014]).

73

Wesentlich für die technische Lehre der beanspruchten Zielobjektpositionserfassungsvorrichtung mit Fahrspurdetektionsvorrichtung [Merkmalsgruppe 1.2], Fahrzeugwegschätzeinrichtung [Merkmal 1.3] und Zielfahrzeugdetektionsvorrichtung [Merkmalsgruppe 1.4] ist dabei, dass die Datenverarbeitungsmittel [Merkmal 1.5] die Zielfahrspur als diejenige Fahrspur bestimmen, auf der sich das Stammfahrzeug befinden wird, wenn sich das Stammfahrzeug entlang des projizierten Weges um den Abstand zu dem Zielobjekt bewegt hat [Merkmalsgruppe1.7]. Auf Grundlage dieser derart festgelegten Fahrspur wird dann ein Indikator ermittelt, ob das Zielfahrzeug auf der gleichen Fahrspur ist oder nicht, auf der das Stammfahrzeug projektionsgemäß sein wird, wenn es sich an dem Punkt des Zielfahrzeugs befindet [Merkmale 1.6 und 1.8].

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Die wiedergegebene Zeichnung stammt aus der Streitpatentschrift und zeigt in der Figur 6 die Komponenten des erfindungsgemäßen Systems mit Fahrspurdetektionsvorrichtung (Bilderfassungseinrichtung /Videokamera (100)), Zielfahrzeugdetektionsvorrichtung (103) und Datenverarbeitungsmittel / Datenprozessor (104).

Abbildung

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75

Figur 5 der Streitpatentschrift stellt ein Flussdiagramm dar, das einen Überblick über die Strategie bietet, wie im Datenprozessor 10 die Ausgabe des Radarsensors (Radarzielinformation) und der Bildverarbeitungsbaugruppe (Videospurinformation) weitergeleitet und die Bild- sowie die Objektdetektionsdaten kombiniert werden, um einen Zielfahrzeugort zu schätzen (siehe DE-Streitpatent Abs. [0035], [0042]):

76

3. Im Einzelnen ist den Merkmalen nach Anspruch 1 folgendes Verständnis zugrunde zu legen:

77

Die Fahrspurdetektionsvorrichtung (Merkmale 1.2, 1.2.1, 1.2.2) umfasst eine Bilderfassungseinrichtung (Videokamera 100), die ein Bild von der vor dem Stammfahrzeug liegenden Straße aufnimmt.

78

Mit der Fahrzeugwegschätzeinrichtung (Merkmal 1.3) wird der voraussichtliche (projected) Weg für das Stammfahrzeug ermittelt. Da dieser Wert nicht exakt berechnet werden kann, da Einflussgrößen in der Zukunft liegen (u. a. Fahrtrichtungsänderungen), kann dieser Wert nur mit einer Unsicherheit ermittelt, d. h. geschätzt werden. Der Anspruch macht keine Aussage darüber, welche Daten für die Berechnung verwendet werden (u. a. Daten von Giersensoren siehe Anspruch 15, Bilddaten/Fahrspurinformationen siehe Ansprüche 11 bis 14), dies steht im Belieben des Fachmanns. Es ist auch nicht vorgegeben, ob der zukünftige Weg einen Fahrspurwechsel beinhaltet oder nicht.

79

In der Beschreibung des Streitpatents sind in den Absätzen [0022] bis [0025] Ausführungsbeispiele zur Bestimmung des zukünftigen Weges angegeben (vgl. Streitpatent [0022]: „The vehicle path estimation means may determine the curvature of a path that the vehicle is expected to follow in several ways.“). So kann im einfachsten Fall die aktuelle Fahrspur ermittelt werden und angenommen werden, dass diese Fahrspur beibehalten wird, und der voraussichtliche Weg der aktuellen Fahrspur entspricht und dieser folgt (vgl. Streitpatent [0022]: „For example, the lane information may be used to determine which lane the host vehicle is presently travelling in and it may be assumed that the host vehicle will remain in that lane. Thus, the projected path may correspond to the path of the lane. It will be assumed to have the same curvature as that lane.“).

80

Entgegen der Auffassung der Beklagten wird damit die Berechnungsmethode für den vorausbestimmten Weg festgelegt und nicht das Ergebnis einer Berechnung. In diesem Sinn sind auch die Unteransprüche 11 und 13 zu verstehen, wonach die Fahrzeugwegschätzeinrichtung (104) dazu ausgelegt ist, Fahrspurinformationen zur Bestimmung der aktuellen Fahrspur des Stammfahrzeugs zu verwenden und der vorausberechnete Weg der Bahn der Fahrspur entspricht.

81

Soll auch ein Spurwechsel berücksichtigt werden, so wird in der Beschreibung als alternative Möglichkeit zur Berechnung des voraussichtlichen Wegs angegeben, den Weg auf Basis der Fahrtrichtung des Stammfahrzeugs unabhängig von der Fahrspurausrichtung zu schätzen (vgl. Streitpatent [0023]: „To accommodate the situation where the host vehicle may change lane before it reaches the target vehicle the vehicle path estimation means may estimate the path by projecting a path based upon the heading of the host vehicle. This may coincide with the path of a lane but is actually independent of the lane orientation.“).

82

Nach einer weiteren möglichen Ausführung kann die Fahrzeugwegschätzeinrichtung die verarbeiteten Bilder auswerten und damit den Weg durch Annahme eines Fahrspurwechsel vorhersagen (vgl. Streitpatent [0025]: „In another arrangement, if a, or the, processed image indicates that the host vehicle is towards the left hand side of a lane and heading left relative to the road the path estimation means may predict that the path of the host vehicle will continue for a short while to stay in that lane but will shortly change to a different lane to the left. A similar prediction may be made for a change to the right.“). Darüber hinaus ist alternativ oder zusätzlich die Schätzung des voraussichtlichen Weges mittels Giersensoren möglich (vgl. Streitpatent [0024]: „In a further alternative or in addition the vehicle path estimation means may include a yaw sensor which determines the rate of yaw of the host vehicle to provide a measure of the radius of curvature of the path the host vehicle is following. This can be combined with heading of the vehicle obtained from the captured image.“). Diese Ausführungsform findet Ihren Niederschlag in den Unteransprüchen 14 und 15.

83

Die offenbarten Berechnungsmethoden zur Bestimmung des zukünftigen Weges sind als Ausführungsbeispiele zu sehen, die die Fahrzeugwegschätzung in der Fahrzeugwegschätzeinrichtung spezifizieren. Entgegen der Auffassung der Beklagten stehen dieser Auslegung auch die Unteransprüche 15 bis 18 nicht entgegen. So beinhaltet der Anspruch 13 i. V. m Unteranspruch 11 die Schätzung des zukünftigen Weges ohne Gierratensensoren, wie es auch im Streitpatent nach Abs. [0014] als vorteilhaft angesehen wird (vgl. Streitpatent [0014]: „The use of lane detection eliminates the need for projected path information provided from a yaw sensor by using real identified lane information to estimate the position of a target or impeding vehicle and the host vehicle.“). Nach dem Unteranspruch 15 können zusätzlich Gierratensensoren vorhanden sein, die zusätzlich zur Bestimmung des voraussichtlichen Weges genutzt werden können (bei Rückbezug auf Unteranspruch 13). Die Giersensoren können aber auch allein zur Bestimmung des zusätzlichen Weges genutzt werden (bei Rückbezug auf Anspruch 1).

84

Darüber hinaus ist insb. dem Abs. [0024] als technische Lehre ebenfalls zu entnehmen, dass die Aussage über einen möglichen Fahrspurwechsel Teil der Schätzung des vorausbestimmten Fahrwegs ist und nicht bereits eine Aussage über die „Zielfahrspur“ beinhaltet (vgl. Streitpatent [0024]: „In another arrangement, ... the path estimation means may predict that the path of the host vehicle will continue for a short while to stay in that lane but will shortly change to a different lane to the left. A similar prediction may be made for a change to the right.“). Zu beachten ist, dass damit die Frage, wo sich das Stammfahrzeug befinden wird (projected path for the host vehicle) ohne Berücksichtigung des Zielfahrzeugs erfolgt. Die diesbezügliche Argumentation der Beklagten hinsichtlich des Unterschieds zum Stand der Technik geht daher ins Leere. Der Abstand zum Zielfahrzeug ist lediglich für den Indikator, der auf Grundlage der zukünftigen Fahrspur und des Abstands ermittelt wird, beachtlich.

85

Die Zielfahrzeugdetektionsvorrichtung (Merkmale 1.4, 1.4.1, 1.4.2) (radar- oder lidar-ähnlicher Sensor 103, vgl. DE-Streitpatent Abs. [0042]) befindet sich wie die Kamera ebenfalls am Stammfahrzeug. Hiermit wird die Position eines beliebigen Zielobjekts – in den Merkmalen 1.4.2 und 1.6 als Zielfahrzeug präzisiert – identifiziert, das sich auf der vor dem Stammfahrzeug liegenden Straße befindet. Dabei enthalten die Daten auch den Abstand des Zielfahrzeugs vom Stammfahrzeug. Dieser Abstand wird durch den Distanz-Sensor (Zieldetektionsvorrichtung) nach der Merkmalsgruppe 1.4 ermittelt. Er kann nach der Beschreibung des Streitpatents verwendet werden, um die Geschwindigkeit des Stammfahrzeugs derart zu regeln, dass eine Kollision vermieden oder ein vorherbestimmter Abstand eingehalten werden kann (vgl. DE-Streitpatent Abs. [0031]: „Die Signalerzeugungsmittel können ferner zumindest ein Fahrzeuggeschwindigkeitssteuersignal erzeugen, das, wenn es an ein Bremssystem oder ein Gaspedalsteuersystem des Fahrzeugs angelegt wird, bewirkt, dass das Fahrzeug einen vorbestimmten Abstand hinter dem behindernden Fahrzeug aufrechterhält.“). Als Abstand zweier Fahrzeuge ist somit die Distanz (range r bzw. distance p) zwischen Sensor und Zielfahrzeug zu verstehen und nicht – wie von der Klägerin ebenfalls als Alternative angesprochen – der laterale Abstand p, da dieser für eine Geschwindigkeitsregelung ungeeignet ist.

86

Mit dem ersten Datenverarbeitungsmittel (104) (Merkmal 1.5) wird die Zielfahrspur ermittelt. Diese Zielfahrspur ist nach Merkmalen 1.7.1 und 1.7.2 diejenige Fahrspur, auf der sich das Stammfahrzeug befinden wird, wenn sich das Stammfahrzeug entlang des voraussichtlichen Weges um den Abstand zu dem Zielobjekt bewegt hat. Zur Ermittlung der Zielfahrspur ist nicht nur notwendig, den zukünftigen Weg nach Merkmal 1.3 zu schätzen (vgl. DE-Streitpatent Abs. [0021]: „Die ersten Datenverarbeitungsmittel können die Zielfahrspur auf mehrere mögliche Arten bestimmen. Bevor dies erreicht werden kann, muss jedoch die Fahrzeugwegschätzeinrichtung einen projizierten Weg des Fahrzeugs bestimmen.“), sondern auch den aktuellen Abstand zum Zielfahrzeug entlang des vorausbestimmten Weges zu projizieren, um daraus die Zielfahrspur zu bestimmen.

87

4. Die technische Lehre nach dem Streitpatent beschränkt sich nicht darauf, eine zukünftige Zielfahrspur für das Stammfahrzeug an einer nicht genau definierten Stelle anzugeben. Es geht patentgemäß vielmehr konkret darum, eine bestimmte Stelle auf dem vorausbestimmten zukünftigen Weg des Stammfahrzeuges zu definieren, an welcher die Fahrspur, in der sich diese Stelle befindet, als „Zielfahrspur“ festgelegt wird (vgl. DE-Streitpatent Abs. [0056]-[0057]: „Wenn der projizierte Weg des Fahrzeugs dieses auf eine andere Fahrspur bringt, dann kann eines oder könne beide möglichen Verfahren angewendet werden. … . Dies wird dazu verwendet, einen Krümmungsradius für das Fahrzeug zu bestimmen. Dieser wird auf den Zielabstand projiziert und der Schnittpunkt dieses Weges mit den projizierten Fahrspurmarkierungen an dem Zielabstand wird dazu verwendet, die Fahrspur zu bestimmen, auf der sich das Stammfahrzeug befinden wird. … “).

88

Der Begriff „Zielfahrspur“ definiert jedoch lediglich eine Fahrspur, auf der sich nach Übertragung des Abstands auf den vorausberechneten Weg das Stammfahrzeug befinden wird. Eine besondere technische Lehre für das Stammfahrzeug oder das Zielfahrzeug ist mit der Festlegung dieses Ortes nicht verbunden, der Begriff „Zielfahrspur“ beinhaltet lediglich eine Fahrspur-Definition an einem speziellen Ort auf dem vorausbestimmten Weg, wobei diese Fahrspur für die Ermittlung des Indikators nach Merkmal 1.8 benötigt wird. Somit lehrt das Streitpatent, für den Indikator die zukünftige Fahrspur des Stammfahrzeugs auf Höhe des Zielfahrzeugs zu beachten.

89

Dieser Indikator wird mittels der zweiten Verarbeitungsmittel ermittelt. Das zweite Verarbeitungsmittel (Merkmale 1.6, 1.8) vergleicht die Position des Zielfahrzeugs mit der Position der Zielfahrspur und stellt eine verarbeitete Schätzung der tatsächlichen Position des Zielobjektes zur Verfügung (Merkmal 1.6). Nach Merkmal 1.8 umfasst die Schätzung einen Indikator, ob das Zielfahrzeug auf der gleichen Fahrspur ist oder nicht, auf der das Stammfahrzeug voraussichtlich (projektionsgemäß) sein wird, wenn es sich an dem Punkt des Zielfahrzeugs befindet. Somit sagt der Indikator aus, ob sich das Zielfahrzeug in derselben Spur befindet, in der sich das Stammfahrzeug gemäß der Projektion voraussichtlich befinden wird.

90

5. Auch die Merkmale nach den Hilfsanträgen bedürfen näherer Erörterung.

91

Der Patentanspruch 1 in der mit dem Hilfsantrag 1 verteidigten Fassung entspricht dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag (erteilte Fassung). Die Streichung des Unteranspruchs 13 führt nicht zu einer geänderten Auslegung der der Merkmalsgruppe 1.7, da der oben erläuterten Auslegung die Beschreibung, insb. die Abs. [0021] – [0023], zugrunde gelegt wird und damit auch bei Streichung des Unteranspruchs 13 – entgegen der Auffassung der Beklagten – die Ausführungsform mit der Annahme der unveränderten Fahrspur unter den Wortlaut des Anspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1 fällt.

92

In Patentanspruch 1 in der mit dem Hilfsantrag 2 verteidigten Fassung wird die Fahrzeugwegschätzeinrichtung (104) nach Merkmal 1.3 derart präzisiert, dass

93

1.9.1 die Fahrzeugwegschätzeinrichtung (104) dazu ausgelegt ist, Fahrspurinformationen zu verwenden, um zu bestimmen, auf welcher Fahrspur sich das Stammfahrzeug (1) momentan fortbewegt und der projizierte Weg der Bahn der Fahrspur entspricht.

94

1.9.2 die Fahrzeugwegschätzeinrichtung (104) einen Giersensor umfasst, der die Gierrate des Stammfahrzeugs (1) zu bestimmen vermag, um ein Maß für den Radius einer Krümmung einer Bahn, der ein Fahrzeug folgt, zur Verfügung zu stellen.

95

Nach Merkmal 1.9.1 werden Fahrspurinformationen, die nach der Beschreibung Abs. [0039] – [0044] (vgl. DE-Streitpatent Abs. [0044]: „Der Datenprozessor implementiert in dem Fahrspurdetektionssystem verwendete Softwarealgorithmen ...”) und den Unteransprüchen 6 bis 10 beispielsweise auf Grundlage der Daten der Bilderfassungseinrichtung ermittelt werden, verwendet, um damit die aktuelle Fahrspur des Stammfahrzeugs zu ermitteln. Diese Fahrspur wird anschließend als vorausbestimmter Weg angenommen, es wird somit bei der Schätzung des voraussichtlichen Wegs von der vereinfachten Annahme ausgegangen, dass kein Fahrspurwechsel vorgenommen wird.

96

Weiter umfasst nach Merkmal 1.9.2 die Fahrzeugwegschätzeinrichtung (104) einen Gierratensensor zur Bestimmung der Gierrate des Stammfahrzeugs (1). Dieser stellt selbstverständlich auch ein Maß für den Radius einer Krümmung einer Bahn, der das Stammfahrzeug folgt, zur Verfügung. Das Merkmal 1.9.2 enthält jedoch keine Aussage darüber, ob und wie diese Information in die Schätzung des zukünftigen Wegs einfließt, sondern nach Merkmal 1.9.2 muss lediglich ein derartiger Gierratensensor vorhanden sein.

97

Das Merkmal 1.9.2' in der mit dem Hilfsantrag 3 verteidigten Fassung entspricht inhaltlich dem Merkmal 1.9.2 nach Hilfsantrag 2.

98

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 enthält mit dem zusätzlichen Merkmal

99

1.3.1 wherein the vehicle path estimation means determines the curvature of a path that the vehicle is expected to follow in several ways;

100

gegenüber dem Hauptantrag die zusätzliche technische Lehre, dass die Krümmung eines Wegs, dem das Fahrzeug voraussichtlich folgen wird, auf mehrere Arten bestimmt wird. Folglich enthält die Fahrzeugwegschätzeinrichtung (104) in der Fassung nach Hilfsantrag 4 mehrere Berechnungsmethoden zur Schätzung des zukünftigen Wegs.

III.

101

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 4 erweist sich als nicht patentfähig, da die beanspruchte Lehre nach Haupt- und Hilfsantrag 1 nicht neu ist (Art. II § 6 Abs. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 52, 54 EPÜ), und die Vorrichtungen nach Anspruch 1 in der Fassung nach den Hilfsanträgen 2 bis 4 für den angesprochenen Fachmann im Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents durch den Stand der Technik nahegelegt war (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ, Art. 56 EPÜ); der auf fehlende Patentfähigkeit gerichtete Nichtigkeitsangriff erweist sich daher als begründet.

102

Bei dieser Sachlage kann dahingestellt bleiben, ob der weitergehende, auf die Nichtigkeitsgründe fehlender Ausführbarkeit und unzulässiger Änderung des Inhalts der Anmeldung gestützte Angriff ebenfalls erfolgreich ist und die geänderten die Ansprüche zulässig sind.

103

1. Patentfähigkeit von Patentanspruch 1 nach Hauptantrag:

104

Patentanspruch 1 nach Hauptantrag erweist sich gegenüber der D3 als nicht neu.

105

Die D3 zeigt ein Fahrerassistenzsystem, bei dem in die Ermittlung der Zielfahrspur und somit auch der Berechnung des Fahrspurindikators der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug berücksichtigt wird.

Abbildung

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106

Die Zielobjektpositionserfassungsvorrichtung (vgl. D3 Titel: „...apparatur for monitoring the surroundings of a vehicle...“ ) [= Merkmal 1.1] besitzt eine Fahrspurdetektionsvorrichtung mit Bilderfassungssystem (CCD camera 3) (vgl. D3 Sp. 6 Z. 33-36: „The first preferred embodiment proposes a surroundings monitoring method for monitoring the surroundings of a vehicle to judge whether or not an object detected by a beam-scan type laser radar is within a vehicle’s own lane, ...“, Fig. 2) [= Merkmale 1.2 bis 1.2.2] und eine Zielfahrzeugdetektionsvorrichtung (laser radar 4) zur Bestimmung der Position relativ zum Stammfahrzeug und der Bestimmung des Abstands (vgl. D3 Sp. 6 Z. 63-Sp. 7 Z. 3: „A laser radar mounted on the vehicle, whose optical axis center is coincident with an optical axis of the camera, monitors the surroundings of the vehicle by scanning horizontally with a laser beam. The positional information of a detected object is obtained by an R-Θ coordinate system, indicated by a distance to the detected object and an angle Θ, representing an angle between the direction of forward travel of the vehicle and the path indicated by the distance.“, Fig .2) [= Merkmale 1.4 bis 1.4.2].

107

Weiter ist eine Fahrzeugwegschätzeinrichtung vorhanden, die einen zukünftigen Weg für das Stammfahrzeug (vehicle's own lane) zu schätzen vermag (vgl. D3 Sp. 6 Z. 60-62: „That is, in the H-V coordinate plane, a vehicle’s own lane is indicated in a range from a coordinate position of the left white line to a coordinate position of the right white line.“). Dabei ist wie im einfachsten Fall zur Fahrwegsschätzung nach Abs. [0022] des Streitpatents der vorausbestimmte Weg für das Stammfahrzeug die aktuelle Fahrspur [= Merkmale 1.3 und 1.5]. Diese wird unter Verwendung der Bilddaten ermittelt (vgl. D3 Sp. 6 Z. 60-62). Da sich auf dem vorausbestimmten Weg die Fahrspur nicht ändert, stellt automatisch die aktuelle Fahrspur die zukünftige Fahrspur an jeder voraussichtlichen Position des Stammfahrzeugs dar.

108

Es sind Verarbeitungsmittel vorhanden, die die Position des Zielfahrzeugs mit der Position der zukünftigen Fahrspur vergleichen können (vgl. D3 Sp. 7 Z. 7-11: „The positional information of the detected object transformed to the H-V coordinate system is then compared with the white line positions detected by the camera and indicated in the H-V coordinate system.“) [= Merkmal 1.6], um einen Indikator zur Verfügung zu stellen, ob das Zielfahrzeug auf der gleichen Fahrspur ist oder nicht, auf der das Stammfahrzeug projektionsgemäß sein wird, wenn es sich an dem Punkt des Zielfahrzeugs befindet (vgl. D3 Sp. 8 Z. 2-4: „The forward vehicle detecting means judges whether the vehicle running ahead is in the same lane as the vehicle 1 and outputs a corresponding result.“).

109

Dabei wird für den Indikator auch der Abstand (positional information of the other vehicle) zum vorausfahrenden Fahrzeug berücksichtigt (vgl. D3 Sp. 7 Z. 60-Sp. 8 Z. 2: „The forward vehicle detecting means is connected to the lane detecting means 51 and to the coordinate transforming means 52. The forward vehicle detecting means 53 compares the positional information of the vehicle’s own lane, indicated on the H-V coordinate axes and received from the lane detecting means 51, with the information provided by the coordinate transforming means 52, which represents the positional information of the other vehicle 2 running ahead and indicated in H-V coordinates.“, Fig. 2). Dies beinhaltet die Ermittlung des Indikators unter Berücksichtigung der für die „Zielfahrspur“ definierten speziellen Position auf dem vorausbestimmten Weg und entspricht daher den Merkmalen 1.7.1, 1.7.2 und 1.8.

110

Der Einwand der Beklagten, die Figur 2 belege, dass das Zielfahrzeug erst berücksichtigt werde, nachdem die Fahrspur des Stammfahrzeugs über den Block (51) (vehicle’s own lane detecting means) bestimmt worden sei, greift nicht durch. In Block 51 wird mittels einer Spurdetektion (lane detecting means 51) die aktuelle und zukünftige Fahrspur des Stammfahrzeugs ermittelt. Dies entspricht dem projizierten Weg nach Merkmal 1.3 und nicht der „Zielfahrspur“ nach Merkmal 1.7.1. Der Einfluss des Zielfahrzeugs auf die zukünftige Fahrspur (= “Zielfahrspur“) erfolgt in Block 53 (detecting means of other running ahead). Somit stellt auch die D3 auf die Bestimmung eines bestimmten Ortes für den Indikator ab.

111

Damit ist die Vorrichtung nach der D3 neuheitsschädlich gegenüber der Vorrichtung nach Anspruch 1 gemäß Streitpatent.

112

2. Patentanspruch 1 nach Hilfsanträgen 1-3

113

Auch soweit das Streitpatent nach den Hilfsanträgen 1-3 verteidigt wird, erweist sich Patentanspruch 1 nicht als neu (Hilfsantrag 1) bzw. hinsichtlich der Hilfsanträge 2 bis 4 für den angesprochenen Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ).

114

2.1. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1

115

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 entspricht dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag, ohne die technische Lehre des erteilten Anspruch 1 einzuschränken. Es gelten daher die Ausführungen zum Hauptantrag bezüglich der fehlenden Neuheit.

116

2.2. Patentanspruch 1 nach Hilfsanträgen 2 und 3

117

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 nach den Hilfsanträgen 2 und 3 erweist sich zwar als neu, ist jedoch ausgehend von der D3 nahegelegt.

118

Für die Beurteilung, ob eine beanspruchte Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist von dem auszugehen, was der Gegenstand der Erfindung in der Gesamtheit seiner Lösungsmerkmale in ihrem technischen Zusammenhang (BGH GRUR 2007, 1055 – Papiermaschinengewebe) gegenüber dem Stand der Technik im Ergebnis tatsächlich leistet (BGH GRUR 2010, 607 – Fettsäurezusammensetzung), wobei verschiedene Ausgangspunkte in Betracht zu ziehen sein können (BGH GRUR 2009, 1039 – Fischbissanzeiger). Ausgangspunkt für die Beurteilung eines Naheliegens im vorliegenden Fall waren die bekannten Fahrer-Assistenz-Systeme, wie sie auch in den Schriften D1 bis D4 offenbart sind, so auch die D3.

119

Wie bereits erläutert, präzisieren die Merkmale 1.9.1 und 1.9.2 die Fahrzeugwegschätzeinrichtung (104) nach Merkmal 1.3 derart, dass diese dazu ausgelegt ist, Fahrspurinformationen zu verwenden, um zu bestimmen, auf welcher Fahrspur sich das Stammfahrzeug (1) momentan fortbewegt und der vorausbestimmte (projected) Weg der Bahn der Fahrspur entspricht, wobei die Fahrzeugwegschätzeinrichtung (104) einen Giersensor umfasst, der die Gierrate des Stammfahrzeugs (1) zu bestimmen vermag, um ein Maß für den Radius einer Krümmung einer Bahn, der ein Fahrzeug folgt, zur Verfügung zu stellen.

120

Der Fachmann, der vor die Aufgabe gestellt war, vorhandene Fahr-Assistenz-Systeme zu verbessern, insbesondere eine zuverlässigere Bestimmung des Ortes eines behindernden Fahrzeuges möglich zu machen, fand bei seiner Umschau im Stand der Technik wiederum in der D3 einen erfolgversprechendes Sprungbrett für seine Lösung. Denn die D3 lehrt bereits die Berechnung der aktuellen Fahrspur aus Fahrspurinformationen und die vereinfachte Annahme einer unveränderten Fahrspur für den zukünftigen Fahrweg [Merkmal 1.9.1] (vgl. D3 Sp .6 Z. 60-62: „That is, in the H-V coordinate plane, a vehicle’s own lane is indicated in a range from a coordinate position of the left white line to a coordinate position of the right white line.“).

121

Zwar lehrt die D3 nicht den Einsatz eines Gierratensensor nach den Merkmalen 1.9.2 und 1.9.2’, jedoch erweist sich der in Anspruch 1 nach den Hilfsanträgen 2 und 3 nicht näher spezifizierte Einsatz eines solchen Sensors zur Bestimmung der Gierrate des Stammfahrzeugs bei Fahrer-Assistenz-Systemen für den Fachmann als nahegelegt.

122

Denn bereits im Prioritätszeitpunkt des Streitpatents stellte der Einsatz eines Sensors zur Bestimmung der Gierrate des Stammfahrzeugs bei Fahrer-Assistenz-Systemen für den Fachmann eine bloß handwerkliche Maßnahme dar, wie die in der Beschreibungseinleitung aufgeführte D1 belegt, die eine Zielobjekt-positionserfassungsvorrichtung für ein Stammfahrzeug gemäß dem Oberbegriff des Anspruch 1 zeigt (vgl. D1 Abstract „A vehicle control system for controlling its own vehicle to follow another vehicle has a radar unit.“). Dies gilt auch für die D2, in der ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Steuerung der Geschwindigkeit eines Fahrzeugs in Abhängigkeit vom vorausfahrenden Fahrzeug beschrieben ist (vgl. D2 Abstract: „A method and an apparatus based thereon for automatically controlling the velocity of a vehicle (14) under consideration of preceding vehicles“). Beide Schriften zeigen die Verwendung eines Gierratensensors bei einem Fahrer-Assistenz-System (vgl. u. a. D1 Fig. 3 yaw rate sensor (51), Sp. 6 Z. 29-39: „The lane change detector 5 comprises a yaw rate sensor 51 for detecting a yaw rate of its own vehicle, ...“, D2 Fig. 2 (vehicle dynamics sensors (201), Sp. 3 Z. 16-19: „A block 201 symbolizes the sensors of vehicle dynamics. These include, for example, sensors which detect, individually or in combination, the yaw rate of the vehicle,...”).

123

So weist auch das Streitpatent auf die bekannte Verwendung eines Gierratensensors zum Stand der Technik in dem Absatz Abs. [0008]) ausdrücklich hin (vgl. DE-Streitpatent Abs. [0008]: „Bei der ersten Generation von ACC-Systemen wird ... und an dem Stammfahrzeug angeordneten Giersensoren zum Bestimmen der Trajektorie beziehungsweise des projizierten Weges des Stammfahrzeugs erreicht. Die Ausgabe des Giersensors ermöglicht eine Bestimmung des Radius des projizierten Weges des Fahrzeugs, d. h. des Radius, entlang dem sich das Stammfahrzeug zu dem Zeitpunkt fortbewegt, zu dem die Messung gemacht wurde.“). Der Einsatz eines Sensors zur Bestimmung der Gierrate bildete danach das Standard-Repertoire des Fachmanns (GRUR 2014, 461 - Kollagenase I; GRUR 2014, 647 – Farbversorgungssystem), denn der Fachmann wusste, was auch die Beschreibung des Streitpatents zum Stand der Technik belegt (siehe DE-Streitpatent Abs. [0006] bis [0009]), dass der Einsatz eines Giersensors eine Bestimmung des Radius des zukünftigen Weges des Fahrzeugs ermöglicht.

124

2.3. Der Gegenstand des Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 4 ist gleichfalls ausgehend von der D3 nahegelegt.

125

Wie bereits ausgeführt, ist mit dem hinzugefügten Merkmal 1.3.1 gegenüber dem Hauptantrag die zusätzliche technische Lehre verbunden, dass die Krümmung eines Wegs, dem das Fahrzeug voraussichtlich folgen wird, auf mehrere Arten bestimmt wird. Folglich enthält die Fahrzeugwegschätzeinrichtung (104) in der Fassung nach Hilfsantrag 4 mehrere Berechnungsmethoden zur Schätzung des zukünftigen Wegs.

126

2.3.1. Die alternativen Berechnungsmethoden sind zwar in den Abs. [0022] und [0023] angegeben (vgl. Streitpatent Abs. [0022]: „The first data processing means may determine the target lane in several possible ways. ….“), jedoch wird der Fachmann die dort angegebenen Ausführungen derart auslegen, dass diese Berechnungsmethoden grundsätzlich möglich sind. Eine Offenbarung, dass diese alternativen Berechnungsmethoden in einer einzigen Vorrichtung vorzusehen, ist der ursprünglichen Beschreibung nicht zu entnehmen.

127

Damit bestehen bereits erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit des Anspruchs 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 4. Diese können jedoch dahin stehen, da die technische Lehre nach Anspruch 1 auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

128

2.3.2. Wie bereits erläutert, lehrt die D3 bereits die vereinfachte Berechnungsmethode für den zukünftigen Weg auf Grundlage der Annahme, dass das Fahrzeug die Fahrspur beibehält.

129

Das Leistungsvermögen eines derartigen Systems war jedoch unbefriedigend, da es einen möglichen Fahrspurwechsel nicht berücksichtigt. Der Fachmann war deshalb veranlasst, das vorhandene System zu verbessern, um auch diese alltägliche Situation erfassen zu können und eine Fahrzeugwegschätzeinrichtung bei einem Fahrzeugweg mit und ohne Spurwechsel berücksichtigen zu können.

130

Bei Suche nach einer Problemlösung fand der Fachmann aber eine Lösung bereits in der D2.

131

Die D2 zeigt ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Steuerung der Geschwindigkeit eines Fahrzeugs in Abhängigkeit vom vorausfahrenden Fahrzeug (vgl. D2 Abstract: „A method and an apparatus based thereon for automatically controlling the velocity of a vehicle (14) under consideration of preceding vehicles are described.“) [= Merkmal 1.1].

132

Dabei ist eine Bilderfassungseinrichtung (video based lane detector 203) zur Fahrspurdetektion vorhanden, die ein Bild von zumindest einem Teil der vor dem Stammfahrzeug (1) liegenden Straße zu erfassen vermag (vgl. Sp. 3 Z. 22: „Block 203 symbolizes a video-based lane detector.“, Fig. 2 (203) [= Merkmale 1.2 bis 1.2.2].

133

Anhand der Daten aus der Bilderfassungseinrichtung und weiterer Sensordaten (201, 202) wird ein voraussichtlicher Weg für das Stammfahrzeug (area of future travel) ermittelt (vgl. D2 Sp. 4 Z. 23-26: „In the actual driving situation, block 204 now determines continuously the area of future travel on the basis of the driving dynamics values being supplied to it. This area, designated travel area 18, is in the ideal case identical to the path of the lane in the travel direction of vehicle 14.“, Fig. 2 (204)). Der Block (future course of lane determiner 204) stellt somit eine Fahrzeugwegschätzeinrichtung nach Merkmal 1.3 dar.

134

Das vorausfahrende Fahrzeug (Zielfahrzeug) wird mit Hilfe eines weiteren Sensors (sensor for detecting and measuring preceding vehicles 206) [= Zielfahrzeugdetektionsvorrichtung] detektiert und damit die Position eines beliebigen Zielobjekts identifiziert und dessen Abstand zum Stammfahrzeug erfasst (vgl. D2 Sp. 3 Z. 44-46: „A block 206 symbolizes a sensor for detecting preceding vehicles and for measuring the distance to them, their velocity, and their angular position.“) [= Merkmale 1.4 bis 1.4.2].

135

Die D2 offenbart weiter Verarbeitungsmittel (future course of lane determiner 204 und 205) mit denen Kriterien für eine Fahrspur, auf der sich das Stammfahrzeug befinden wird, ermittelt werden (vgl. Sp. 3 Z. 24-28: „The signals of at least one of blocks 201 and 203 are sent to a block 204, which determines the future travel area from the signals supplied to it. Simultaneously, the signals of at least one of blocks 201-203 are sent to a block 205, which is designated the lane-change anticipator.“, Fig. 2 (204), (205)) [= Merkmal 1.5]. Dabei werden zur Bestimmung der zukünftigen Fahrspur in Block 207 (data and signal receptor and designation assignor 207) auch die Daten des Zielfahrzeugdetektors einbezogen (vgl. D2 Sp. 3 Z.54-58: „Inside block 207, the radar objects detected by block 206 are assigned to one of three classes of objects, namely, “objects in the assumed area of future travel”, “objects in a lane to the left thereof”, and “objects in a lane to the right thereof.“, Fig. 2 (207)). In Block (207) wird bestimmt, auf welcher Fahrspur sich das Zielfahrzeug im Vergleich zum zukünftigen Weg des Stammfahrzeugs befindet, indem die Zielobjekte in Klassen abhängig vom zukünftigen Weg eingeteilt werden (vgl. die bereits zitierte Stelle D2 Sp. 3 Z. 54-58) [= Merkmal 1.6].

136

Der Einwand der Beklagten, dass aufgrund der vorbestimmten Zielfahrspur die Relevanz der Zielobjekte aufgrund der Zielfahrspur festgestellt wird, vermag den Senat nicht zu überzeugen. Die Relevanz der Zielobjekte wird auf Grundlage des zukünftigen Wegs und der Position der Zielfahrzeuge durchgeführt. Diese Berücksichtigung der zukünftigen Fahrspur und des Abstands des Zielfahrzeugs entspricht der Ermittlung der „Zielfahrspur“ nach der Merkmalsgruppe 1.7. Der Indikator in Block (208) wird unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse, also unter Einbeziehung des zukünftigen Weges (future course 204) und der Zielobjekte bestimmt und offenbart damit die technische Lehre nach den Merkmalen 1.7.1 und 1.7.2].

137

Unabhängig hiervon wird in Block (lane-change anticipator 205) ein Fahrspurwechsel vorausgesagt (vgl. D2 Sp.3 Z.25-29: „Simultaneously, the signals of at least one of blocks 201-203 are sent to a block 205, which is designated the lane-change anticipator. Here, indicators which signify that a change of lane is about to occur are determined from the signals supplied to the block.“). Dieser Block (205) bestimmt jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten nicht die Zielfahrspur sondern dient zu Ermittlung eines zukünftigen Wegs bzw. der zukünftigen Fahrspur.

138

Schließlich umfasst das Verfahren in Block (208) einen Verarbeitungsschritt mit Indikator, ob das Zielfahrzeug auf der gleichen Fahrspur ist oder nicht, auf der das Stammfahrzeug voraussichtlich (projektionsgemäß) sein wird, wenn es sich an dem Punkt des Zielfahrzeugs befindet, wobei nur Zielobjekte der Zielfahrspur berücksichtigt werden (vgl. D2 Sp. 4 Z. 2-Z. 6: „If either of the two preceding tests results in a “yes” answer, that is, if there are indicators of a lane change, then in steps 211 and 212 the objects in the current assumed travel area and the applicable adjacent lane are taken into consideration.“) [= Merkmal 1.8]. Insbesondere wird als Ergebnis der Datenverarbeitung in Block (208) einer Steuereinheit (215) mitgeteilt, welches Fahrzeug sich in der Zielfahrspur befindet, sodass dieses zur Geschwindigkeits- und Abstandssteuerung für das Stammfahrzeug herangezogen werden kann (vgl. D2 Sp. 4, Z. 20-22: „The data on the vehicle thus selected are sent from block 208 to a controller 215, which brings about the velocity and distance control.“).

139

Die Kombination der Verfahren der D2 und der D3 in einer Vorrichtung ergibt sich für den Fachmann in nahe liegender Weise, aufgrund der genannten Anforderung einen Fahrzeugweg mit und ohne Spurwechsel zu berücksichtigen.

140

3. Die Beklagte hat für rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9, 11, 13 und 15 keinen eigenständigen erfinderischen Gehalt geltend gemacht; ein solcher ist auch nicht ersichtlich. Sie hat zudem auf Befragen diese Ansprüche nicht isoliert verteidigt. Einer weiteren Sachprüfung bedarf es deshalb nicht, so dass das Streitpatent im Umfang des Urteilsausspruchs für nichtig zu erklären ist. Soweit der verkündete Urteilstenor abweichend hiervon nicht den korrekten Rückbezug enthält „soweit sich die Patentansprüche 9, 11, 13 und 15 jeweils auf einen der vorgenannten Ansprüche rückbeziehen“ handelt es sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit, da Anspruch 1 keinen derartigen Rückbezug aufweisen kann. Diese offensichtliche Unrichtigkeit war deshalb nach § 95 PatG von Amts wegen zu berichten war.

IV.

141

Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs. 1 PatG, 709 ZPO.