Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 22.05.2012


BPatG 22.05.2012 - 4 Ni 69/09 (EU)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Massagegerät (europäisches Patent)" – zu den Voraussetzungen einer wirksamen Inanspruchnahme einer Priorität


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
22.05.2012
Aktenzeichen:
4 Ni 69/09 (EU)
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze
Art 87 Abs 1 EuPatÜbk

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 009 354

(DE 598 10 100)

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. Mai 2012 durch den Vorsitzenden Richter Engels, die Richterin Friehe und die Richter Dipl.-Phys. Dr. rer. nat. Müller, Dipl.-Ing. Veit und Dipl.-Ing. Univ. Schmidt-Bilkenroth für

Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 1 009 354 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 009 354 (Streitpatent), das am 23. Januar 1998 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 197 02 334 vom 23. Januar 997 angemeldet wurde. Die Erteilung des Streitpatents in der Verfahrenssprache Deutsch wurde am 5. November 2003 veröffentlicht. Das Streitpatent wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. 598 10 100 geführt und betrifft ein Massagegerät. Es weist 14 Patentansprüche auf, die sämtlich angegriffen sind.

2

Die erteilten Patentansprüche 1, 10, 11 und 12 lauten in der Verfahrenssprache Deutsch:

Abbildung

Abbildung

3

Wegen der Ansprüche 2 bis 9 und 13 bis 14 wird auf die Streitpatentschrift EP 1 009 354 B1 Bezug genommen.

4

Nach Ansicht des Klägers ist der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig. Zur Begründung bezieht er sich insbesondere auf folgende Druckschriften:

5

Anlage 4 (A4) DE 44 08 867 A1

6

Anlage 5 (A5) DE 44 43 756 C1

7

Anlage 6 (A6) DE 196 15 793 C1

8

Der Kläger beantragt,

9

das europäische Patent 1 009 354 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

10

Der Beklagte beantragt,

11

die Klage abzuweisen,

12

hilfsweise, die Klage abzuweisen, soweit sie Patentanspruch 11 betrifft,

13

weiter hilfsweise, die Klage abzuweisen, soweit sie die Kombination der Patentansprüche 11 und 12 betrifft.

14

Der Senat hat den Parteien einen frühen gerichtlichen Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet. Auf den Hinweis vom 8. Februar 2012 (Bl. 77 ff. der Akten) wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

15

Die Klage ist zulässig und begründet, denn der Gegenstand des Streitpatents ist weder in der Fassung des Hauptantrags noch in der Fassung nach den Hilfsanträgen I und II gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik patentfähig (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 56 EPÜ).

16

1. Das Streitpatent betrifft ein Massagegerät zur Behandlung von akuten und chronischen Mikrozirkulationserkrankungen bei warmblütigen Lebewesen (vgl. Streitpatentschrift, Abs. [0001]).

17

Gemäß den Angaben in der Streitpatentschrift sind derartige Massagegeräte bekannt. So zeigt die DE 44 08 867 A1 (= Druckschrift A4) ein Massagegerät, das an einem in der Hand halt- und führbaren Gehäuse eine mit dem Gehäuse um eine Achse schwenkbar verbundene Wirkoberfläche trägt (vgl. Abs. [0002]).

18

In der DE 44 43 756 C1 (= Druckschrift A5) ist ein Massagegerät mit einer Wirkoberfläche beschrieben, deren Radius, von einer Schwenkachse des Geräts aus gemessen, in verschiedene Richtungen unterschiedlich ist. Dieses Gerät ist ein großformatiges Standgerät, bei dem der Patient einen ganzen Körperteil wie etwa einen Unterschenkel auf die Wirkoberfläche legt, so dass der zu behandelnde Körperteil im Wesentlichen als Ganzes der Bewegung der Wirkoberfläche folgt. Da die Position des Patienten relativ zum Gerät während einer Behandlung nicht ohne weiteres geändert werden kann, ist die vom Gerät auf den zu behandelnden Körperteil übertragene Bewegung während einer Behandlung immer dieselbe (vgl. Abs. [0003]).

19

2. Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, ein flexibel anwendbares und therapeutisch hochwirksames Massagegerät zu schaffen (vgl. Abs. [0004]).

20

3. Zur Lösung dieser Aufgabe sieht das Streitpatent im Patentanspruch 1, der nach Hauptantrag in der erteilten Fassung verteidigt wird, einen Gegenstand mit folgenden Merkmalen vor (einschließlich Korrekturen von offensichtlichen Fehlern und ergänzt durch Merkmalsgliederung):

21

M1 Massagegerät mit

22

M2 einer Wirkoberfläche (5) zum Inkontaktbringen mit einem zu behandelnden Gewebe und

23

M3 einem Mittel zum Antreiben der Wirkoberfläche

24

M3a in einer oszillierenden Schwenkbewegung

25

M3b um eine Achse (A),

26

M4 wobei die Wirkoberfläche (5) ferner parallel zur Achse (A) um einen Winkel drehbar ist,

27

M4a um jeweils unterschiedliche Zonen der Wirkoberfläche (5) mit dem Gewebe in Kontakt zu bringen

28

dadurch gekennzeichnet, dass

29

M5 die Wirkoberfläche im Querschnitt senkrecht zur Achse (A) in verschiedene Richtungen unterschiedliche Radien aufweist,

30

M5a so dass sie einen achsnahen (13) und einen achsfernen Bereich (12) aufweist,

31

M5b die entlang der Wirkoberfläche (5) durch Abschnitte (10, 11) mit monoton zunehmendem Radius verbunden sind.

32

Nach Hilfsantrag I wird der Patentanspruch 11, der sich auf den Patentanspruch 10 rückbezieht, isoliert verteidigt; Patentanspruch 10 bezieht sich sowohl direkt als auch indirekt auf den Patentanspruch 1 zurück. Damit betrifft der Patentanspruch 1 ein Massagegerät mit den im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen, welches dahingehend weiter ausgestaltet ist, dass

33

M11 die Wirkoberfläche (5) mit einer Frequenz im Bereich von 8 bis 12 Hz oszilliert,

34

da der engere Frequenzbereich gemäß dem kennzeichnenden Merkmal des Patentanspruchs 11 den weiteren Frequenzbereich gemäß dem kennzeichnenden Merkmal des Patentanspruchs 10 einschränkt.

35

Nach Hilfsantrag II werden die Patentansprüche 11 und 12 in Kombination verteidigt; auch Patentanspruch 12 bezieht sich sowohl direkt als auch indirekt auf den Patentanspruch 1 zurück. Damit betrifft die Kombination von Patentanspruch 11 und 12 ein Massagegerät mit den im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen, welches dahingehend weiter ausgestaltet ist, dass

36

M11 die Wirkoberfläche (5) mit einer Frequenz im Bereich von 8 bis 12 Hz oszilliert und

37

M12 die Bewegungsamplitude eines Punktes der Wirkoberfläche (5) 4 bis 7 mm beträgt.

38

4. Der zur Beurteilung der objektiven und auch im Streitpatent angesprochenen Problemstellung berufene Fachmann (BGH GRUR 2010, 602, Rn. 27 - Gelenkanordnung) ist nach Überzeugung des Senats ein Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Medizintechnik, der über eine mehrjährige Erfahrung in der Konstruktion und Entwicklung von medizinischen Massagegeräten verfügt und dabei auch Grundkenntnisse des Maschinenbaus besitzt. Bei seiner Tätigkeit wird er eng mit Physiotherapeuten und Ärzten auf dem Gebiet der Sport- oder Rehabilitationsmedizin zusammenarbeiten und diese hinzuziehen, um gemeinsam im Team derartige Massagegeräte weiter zu entwickeln (BGH GRUR 2012, 803, Rn. 34 – Calcipotriol-Monohydrat; GRUR 2012, 482, Rn. 18 – Pfeffersäckchen).

II.

39

Es kann dahinstehen, ob dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag gegenüber einem Schwingkopf für Massagegeräte, wie er aus der vom Kläger benannten DE 196 15 793 C1 (Anlage A6) bekannt ist, bereits die Neuheit fehlt. Denn der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ist nicht patentfähig, da er dem Fachmann durch die Druckschrift A6 in Verbindung mit seinem Fachwissen bzw. der Druckschrift A4 nahegelegt worden ist (Art. 52 Abs. 1, 56 EPÜ). Dies gilt ebenso für den Gegenstand des Patentanspruchs 11, der nach Hilfsantrag 1 isoliert verteidigt wird, und den Gegenstand von Patentanspruch 11 und 12 in Kombination, wie er nach Hilfsantrag II verteidigt wird.

40

1. Zum Stand der Technik gehört hierbei nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 54 Abs. 2 EPÜ auch die am 30. Oktober 1997 veröffentlichte Patentschrift DE 196 15 793 C1 (Anlage A6), da das Streitpatent die Priorität der deutschen Patentanmeldung 197 02 334 vom 23. Januar 1997 nicht wirksam in Anspruch nehmen kann und ihm deshalb nur den Zeitrang des Anmeldetags am 23. Januar 1998 zukommt.

41

a. Bei Anmeldung eines europäischen Patents kann die Priorität einer vorangegangenen Anmeldung in Anspruch genommen werden, wenn beide dieselbe Erfindung betreffen (Art. 87 Abs. 1 EPÜ). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 2012, 149, Rn. 34 – Sensoranordnung; GRUR 2008, 597, Rn. 17 – Betonstraßenfertiger; GRUR 2002, 146, Rn. 42 – Luftverteiler), wobei das Prioritätsrecht der Nachanmeldung nicht davon berührt wird, dass ihr Gegenstand erst nach Patenterteilung in Folge nachträglicher Beschränkung deckungsgleich mit der prioritätsbegründenden Anmeldung wird. Entscheidend ist, dass der beschränkte Gegenstand in der Nachanmeldung enthalten war und insoweit mit der ersten Anmeldung übereinstimmt. Dabei muss der Gegenstand der beanspruchten Erfindung der früheren Anmeldung in ihrer Gesamtheit unmittelbar und eindeutig entnommen werden können. Maßgeblich ist das Verständnis der Fachmanns zum Zeitpunkt der Einreichung der (prioritätsbeanspruchenden) europäischen Patentanmeldung. Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung, wobei der Gegenstand der Erfindung bei der prioritätsbeanspruchenden Anmeldung aus den Patentansprüchen zu ermitteln ist, bei der prioritätsbegründenden Anmeldung aus der Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 2008, 597, Rn. 17 – Betonstraßenfertiger; GRUR 2004, 133, Rn. 44 – Elektronische Funktionseinheit).

42

Nach diesen Grundsätzen kann entgegen der Auffassung des Beklagten im vorliegenden Fall keine Identität der mit Patentanspruch 1 beanspruchten Lehre mit derjenigen festgestellt werden, welche in der Voranmeldung DE 197 02 334 unter der Bezeichnung „Archimedes'schen Spiralexzenters auf einem Antrieb für die Matrix-Rhythmus-Therapie“ als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist. Hierbei ist sich der Senat bewusst, dass aus dem engen Verständnis des Begriffs „derselben Erfindung” nicht gefolgert werden kann, dass die Identität bei jeder äußerlichen Inkongruenz von Text oder Zeichnung der prioritätsbegründenden und -beanspruchenden Anmeldung entfällt. Wenn beide nur deshalb nicht deckungsgleich sind, weil in Letzterer erkennbar lediglich sprachliche oder zeichnerische Unvollkommenheiten der Ersteren behoben worden sind, ohne dass unterschiedliche Erfindungsgegenstände oder Erweiterungen vorliegen, ist die erforderliche unmittelbare und eindeutige Übereinstimmung gewahrt (BGH GRUR GRUR 2008, 597, Rn. 17 – Betonstraßenfertiger). Auch ist der Senat sich bewusst, dass nach den Prinzipien der Neuheitsprüfung über das explizit Beschriebene hinaus auch das als offenbart und damit vorweggenommen anzusehen ist, was zwar nicht ausdrücklich erwähnt, aus der Sicht des Fachmanns jedoch für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich ist und vom Fachmann mitgelesen wird und daher keiner besonderen Offenbarung bedarf.

43

Wenn deshalb auch das „Mitlesen“ von Selbstverständlichem einzubeziehen ist, so berücksichtigt der Beklagte nicht hinreichend, dass jedoch immer maßgeblich bleibt, welche technische Information der Fachmann als Inhalt der gegebenen (allgemeinen) Lehre der früheren Anmeldung „unmittelbar und eindeutig“ entnimmt. Die Einbeziehung von Selbstverständlichem erlaubt jedoch keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern dient, nicht anders als die Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, lediglich der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt. Abwandlungen und Weiterentwicklungen dieser Information gehören deshalb ebenso wenig zum Offenbarten wie diejenigen Schlussfolgerungen, die der Fachmann kraft seines Fachwissens aus der erhaltenen technischen Information ziehen mag (BGH GRUR 2009, 119, Rn. 2 – Olanzapin; EPA GrBK 1/98 GRUR Int. 2002, 80, 83). Zu ermitteln ist deshalb auch nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen kann (st. Rspr., vgl BGH GRUR 2011, 999, Rn. 33 – Memantin, m. w. H.; GRUR 2008, 597, Rn 17 – Betonstraßenfertiger).

44

b. So hat der Senat bereits Zweifel, ob das Merkmal M1 (Massagegerät) in der DE 197 02 334 als zur Erfindung gehörend offenbart ist. Ebenso wie bereits die Bezeichnung der Erfindung in der Voranmeldung „Archimedes'scher Spiralexzenter auf einem Antrieb für die Matrix-Rhythmus-Therapie“ (vgl. S. 1 Bezeichnung; S. 2 oben und zweiter Absatz) lautet, ist auch der Inhalt der Beschreibung durchgehend auf einen erfindungsgemäßen „Archimedes'schen Spiralexzenter über einem Antrieb“ gerichtet (siehe Seite 4 vorletzter und letzter Absatz, Seite 5 erster und letzter Absatz, Seite 6 Bildunterschrift und erster und fünfter Aufzählungspunkt der als „Patentansprüche“ bezeichneten Liste). Insbesondere besteht die Erfindung gemäß der Beschreibung Seite 4 vorletzter Absatz „aus einem asymmetrisch konstruierten spiegelsymmetrischen Archimedes'schen Spiralexzenter über einem Antrieb, im Unterschied zu den bisherigen, symmetrisch als zylinderförmige Walzen gebauten Applikatoren.“ Entsprechend enthält der Text zur Abbildung auf Seite 6 nur den Hinweis auf die Wirkungsweise des Archimedes’schen Spiralexzenters über einem Antrieb durch die Übertragung der Oszillationsamplituden auf die Haut des dargestellten Unterarms. Unter einem Exzenter bzw. einer Exzenterscheibe versteht der Fachmann in diesem Zusammenhang eine auf einer Welle angebrachte Kurvenscheibe, deren Mittelpunkt außerhalb der Wellenachse liegt und deren Mantelfläche einen bestimmten Kurvenverlauf aufweist. Dagegen wird in der Voranmeldung an keiner Stelle von einem „Spiralexzenter mit einem Antrieb“ gesprochen wie auch nicht erkennbar wird, dass die Erfindung sich auf ein Gerät und nicht nur auf einen - wenn auch wesentlichen - Gerätebestandteil bezieht.

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Die Voranmeldung offenbart deshalb explizit als Erfindungsgegenstand nur einen neuartigen Applikator in Form eines Exzenters, dessen Mantelfläche einen Kurvenverlauf aufweist, der nach der Gesetzmäßigkeit einer Archimedischen Spirale konstruiert wird. Ob der der Fachmann der Offenbarung der Prioritätsschrift das Merkmal M1 als Teil der darin unmittelbar und eindeutig enthaltenen technischen Information mitlesen oder nicht vielmehr deren Information ergänzen müsste, um der Schrift auch dieses Merkmal zu entnehmen, erscheint unter Berücksichtung der vorgenannten Grundsätze zumindest zweifelhaft. Letztlich kann diese Frage aber dahin gestellt bleiben, denn jedenfalls sind die Merkmale M5a und M5b in der DE 197 02 334 nicht als zur Erfindung gehörend offenbart.

46

Durch die Merkmale M5a und M5b wird der Querschnitt der Wirkfläche, d. h. deren Kurvenform, in Beziehung zur Achse (Merkmal M3b) gesetzt, um die die Wirkoberfläche gemäß Merkmal M3 angetrieben wird.

47

Zwar kann der Fachmann der Abbildung auf Seite 6 der Voranmeldung

Abbildung

48

entnehmen, dass der Spiralexzenter als eine nockenförmige Kurvenscheibe zu verstehen ist, deren Mantelfläche in Kontakt mit dem Unterarm gebracht ist. Ferner erkennt der Fachmann in dieser Abbildung an dem Kreisbogen mit dem Doppelpfeil, dass der Spiralexzenter um eine Achse oszillierend rotiert. In Verbindung mit dem Begriff „Spiralexzenter“ in der Bildunterschrift entnimmt der Fachmann, dass die Drehachse des Spiralexzenters außerhalb seines Zentrums liegt. Wo aber die Achse für die oszillierende Drehbewegung des Spiralexzenters genau liegt, ist der Abbildung nicht zu entnehmen.

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Ferner wird in den Aufzählungspunkten 6, 7 und 8 der als „Patentansprüche“ bezeichneten Liste auf Seite 6 der Voranmeldung zwar angegeben, welchen Gesetzmäßigkeiten die Kurve für den Spiralexzenter folgen bzw. welche Formen die Kurve haben kann. Aus diesen Angaben mag sich letztlich die Kurvenform konstruieren lassen, jedoch fehlt dennoch eine Angabe darüber, wo die Drehachse in Bezug zur Kontur des Exzenters anzusetzen ist.

50

Schließlich sagt auch die Abbildung auf Seite 7 nichts über die Lage der Drehachse des Spiralexzenters aus. Diese zeigt die logarithmische Wachstumsspirale der Muschel und den Mittelpunkt der Spirale. Wie aber aus dieser Wachstumsspirale die Kurvenform des Spiralexzenters gebildet, insbesondere welcher Abschnitt der Spirale auszuwählen und an welcher Symmetrielinie dieser Abschnitt zu spiegeln ist, ist nicht offenbart. Damit bleibt weiter offen, wo die Lage der Drehachse des Spiralexzenters liegt.

51

Wenn aber in der Voranmeldung an keiner Stelle weder ausdrücklich die entsprechenden Merkmale genannt sind noch angegeben ist, wo in Bezug auf die Kurvenform des Spiralexzenters die Drehachse liegen soll, mithin also die Lage der Achse nicht definiert ist, kann der Fachmann der Voranmeldung auch nicht entnehmen, dass sie (die Wirkoberfläche im Querschnitt) einen achsnahen (13) und einen achsfernen Bereich (12) aufweist (= Merkmal M5a), die entlang der Wirkoberfläche (5) durch Abschnitte (10, 11) mit monoton zunehmendem Radius verbunden sind (= Merkmal M5b).

52

c. Damit sind die Merkmale M5a und M5b des Gegenstands des erteilten Patentanspruchs 1 nicht in der DE 197 02 334 als zur Erfindung gehörend offenbart, so dass die Priorität der Voranmeldung nicht wirksam in Anspruch genommen ist.

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2. Hauptantrag

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Für die Beurteilung, ob eine beanspruchte Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist von dem auszugehen, was der Gegenstand der Erfindung in der Gesamtheit seiner Lösungsmerkmale in ihrem technischen Zusammenhang (BGH GRUR 2007, 1055 - Rn. 28 – Papiermaschinengewebe) gegenüber dem Stand der Technik im Ergebnis tatsächlich leistet (BGH GRUR 2010, 607, Rn. 18 - Fettsäurezusammensetzung; BGH GRUR 2010, 602, Rn. 27 – Gelenkanordnung), wobei verschiedene Ausgangspunkte in Betracht zu ziehen sein können (BGH GRUR 2009, 1039, Rn. 20 – Fischbissanzeiger; BGH GRUR 2009, 382, Rn. 51 – Olanzapin). Vorliegend richtete der Fachmann sein Augenmerk ausgehend von der Problemstellung, ein flexibel anwendbares und therapeutisch hochwirksames Massagegerät zu schaffen, zunächst auch auf die Druckschrift A6, die sich mit einem Lösungsansatz befasst, der bereits einen Schwingkopf für Massagegeräte (siehe Bezeichnung) zeigt, der (vgl. Fig. 3; Spalte 2 Zeilen 16 bis 23) eine Kopfaufnahme 4 aufweist, die eine Verbindung zu einem RNS-Massagegerät ermöglicht. Die durch das RNS-Massagegerät erzeugte Vibrationsenergie wird über den Schwingkopf in die periphere Muskulatur eingebracht (= Merkmal M2), wobei (vgl. Spalte 1 Zeilen 19 bis 25) auf Grund der konstruktiven Gestaltung des Grundgerätes und der Verbindung mit dem Behandlungskopf dieser in Abhängigkeit einer vorwählbaren und regelbaren Frequenzeinstellung sowohl eine oszillierende als auch eine Bewegungsform als Winkelamplitude mit einem Schwingbereich von ca. 2 bis 6 mm ausführt (= Merkmal M3a).

55

Die Kontur des Schwingkopfes ist (vgl. Spalte 1 Zeilen 32 bis 34) aus der Geometrie der „Fibonacci-Spirale“ gebildet, und seine Schwingachse ist im Mittelpunkt der Spirale angeordnet (= Merkmal M3b).

56

Die vorgegebene Amplitude von ca. 2 mm bis 6 mm kann (vgl. Spalte 2 Zeilen 25 bis 28) durch ein Drehen des Schwingkopfes während der Behandlung bis auf ca. 10 mm vergrößert werden, so dass (vgl. Spalte 1 Zeilen 37 bis 42) durch den Schwingkopf die Amplitude individuell an die augenblickliche Resonatorgüte des Muskels, welche sich während der Behandlung ändert und deshalb durch den Therapeuten zu erfühlen ist, sofort durch Drehen des Gerätes angepasst werden kann (= Merkmal M4). Dem entnahm der Fachmann in Verbindung mit der Fig. 2 zwangsläufig, dass durch Drehen des Schwingkopfes andere Bereiche der Mantelfläche des Schwingkopfes die Haut berühren (= Merkmal M4a).

57

Der vorbekannte Schwingkopf ist (vgl. Fig. 1, 2; Spalte 2 Zeilen 4 bis 18) aus der logarithmischen (vgl. Spalte 1 Zeile 65) „Fibonacci-Spirale“ entwickelt, wobei durch den Mittelpunkt der Spirale eine Längsachse 1 für den Schwingkopf gelegt ist. Diese schneidet die Spirale in den Punkten A und B, zwischen denen eine geschlossene Spirallinie 2 entsteht. Nach einer Spiegelung der Spirallinie 2 um die Längsachse 1 ist die vollständige Kontur des Schwingkopfes ausgebildet. Ferner ist in Fig. 3 dargestellt, dass der Schwingkopf eine Schwingachse 3 aufweist, die im Mittelpunkt der Spirale ihren Ursprung hat. Damit hat aber die Kontur des Schwingkopfes auch zur Schwingachse – ebenso wie zum Mittelpunkt der Spirale – senkrecht zur Achse unterschiedliche Abstände (= Merkmal M5). Ferner entnimmt der Fachmann der Fig. 2, dass die Spirallinie 2 zum Mittelpunkt der Spirale – und damit auch zur Schwingachse – einen Bereich kurzer Abstände und einen Bereich längerer Abstände aufweist (= Merkmal M5a). Zwischen diesen Bereichen nimmt der Abstand zwischen Spirallinie und Spiralmittelpunkt (vgl. Spalte 1 Zeile 65 bis Spalte 2 Zeile 6) gemäß den Wachstumsabschnitten einer logarithmischen Spirale zu (= Merkmal M5b).

58

Schließlich ist in der Druckschrift A6 angegeben, dass eine Kopfaufnahme 4 des Schwingkopfes eine Verbindung zu einem RNS-Massagegerät ermöglicht (vgl. Spalte 2 Zeilen 18 bis 20) und dass die durch das RNS-Massagegerät erzeugte Vibrationsenergie über den Schwingkopf in die periphere Muskulatur eingebracht wird (siehe Spalte 1 Zeilen 46 bis 49 und Spalte 2 Zeilen 21 bis 23). Aus diesen Angaben in der Druckschrift A6 konnte der Fachmann nicht nur die auf einen Schwingkopf für ein Massagegerät gerichtete technische Lehre, sondern explizit auch ein hiervon umfasstes Massagegerät selbst (= Merkmal M1) entnehmen, das dazu noch eines – nicht erwähnten – Antriebs (= Merkmal M3) bedarf, um Vibrationsenergie erzeugen zu können. Ob wegen des unerwähnt gebliebenen Antriebes die Annahme gerechtfertigt ist, dass die Druckschrift A6 den Gegenstand des Patentanspruchs 1 schon neuheitsschädlich vorwegnimmt, kann dahinstehen. Denn für den Fachmann war es im Anmeldezeitpunkt des Streitpatents eine Selbstverständlichkeit bei der in der Druckschrift A6 beschriebenen Vorrichtung einen Antrieb vorzusehen.

59

Insoweit ist ergänzend auch darauf hinzuweisen, dass die Druckschrift A6 in Spalte 1 Zeilen 7 bis 25 Bezug nimmt auf die Druckschrift DE 44 08 867 A1 (A4) und den aus dieser Druckschrift bekannten Stand der Technik wiedergibt. Danach schlägt (siehe Spalte 1 Zeilen 3 bis 10) die Druckschrift A4 ein Gerät zur Tiefentherapie der Bewegungsmuskulatur (= Merkmal M1) vor, das ein einen Antriebsmotor aufweisendes Handgerät (= Merkmal M3) mit auswechselbarem Behandlungskopf umfasst, das vorzugsweise zur Anwendung der Methode der Rhythmischen Neuromuskulären Stimulation (RNS) in Rehabilitationseinrichtungen eingesetzt wird.

60

Damit war dem Fachmann die Lehre nach Patentanspruch 1 nahegelegt.

61

3. Hilfsantrag I

62

Nach Hilfsantrag I wird das Streitpatent isoliert auf den Patentanspruch 11 beschränkt verteidigt. Danach unterscheidet sich der Gegenstand des Patentanspruchs 11 von dem des Patentanspruchs 1 durch das zusätzliche Merkmal M11, wonach die Wirkoberfläche mit einer Frequenz im Bereich von 8 bis 12 Hz oszilliert. Dieser eingeschränkte Gegenstand ergibt sich für den Fachmann gleichfalls in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik nach den Druckschriften A4 und A6 in Verbindung mit dem Fachwissen.

63

Es ist bereits fraglich, inwiefern die auf die Wirkungsweise der beanspruchten Vorrichtung gerichtete Frequenzangabe, mit der die Wirkoberfläche des Massagegeräts oszilliert, von Bedeutung für den Gegenstand eines Sachanspruchs ist. Denn derartige Angaben in einem Sachanspruch beschränken als solche regelmäßig dessen Gegenstand nicht und haben nur die Wirkung, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahin zu definieren, dass er nicht nur die räumlichkörperlichen Merkmale erfüllen, sondern auch so ausgebildet sein muss, um für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar zu sein (st. Rspr., zuletzt BGH GRUR 2012, 475, Tz. 17 – Elektronenstrahltherapiesystem, m. w. H.). Diese Angaben bilden deshalb nur ein Geeignetheitskriterium des geschützten Gegenstandes.

64

Selbst wenn man die Frequenzangabe von 8 bis 12 Hz insoweit als beachtlich ansehen will, so lag es für den Fachmann nahe, die Wirkoberfläche mit einer Frequenz innerhalb des beanspruchten Frequenzbereichs oszillieren zu lassen. Denn in der Druckschrift A4 ist bereits angegeben (siehe Spalte 3 Zeilen 6 bis 16), dass die oszillierende Bewegung des runden Behandlungskopfes im Frequenzbereich von etwa 20 bis 30 Hz einstellbar ist. Wenn nun der Fachmann den aus der Druckschrift A6 bekannten Schwingkopf mit dem aus der Druckschrift A4 bekannten Massagegerät verwendet, wird er zunächst von dem Frequenzbereich ausgehen, wie er in der Druckschrift A4 angegeben ist. Da aber der aus der Druckschrift A6 bekannte Schwingkopf eine exzentrische Spiralform aufweist, wird der Fachmann orientierte Versuche anstellen, um im Hinblick auf die geänderte Kontur den optimalen Frequenzbereich zu suchen. Derartige Versuche einer Optimierung gehörten jedoch zum täglichen Handwerkszeug des Fachmanns und begründen keine erfinderische Tätigkeit. Überdies ist hierzu in der Druckschrift A6 angegeben (siehe Spalte 1 Zeilen 36 bis 42), dass neben der bisherigen Frequenzvariation am Steuergerät, wie sie aus der in der Druckschrift A6 in Spalte 1 Zeile 7 zitierten Druckschrift A4 bekannt ist, durch den Schwingkopf die Amplitude individuell an die augenblickliche Resonatorgüte des Muskels, welche sich während der Behandlung ändert und deshalb durch den Therapeuten zu erfühlen ist, sofort durch Drehen des Gerätes angepasst werden kann. Damit lag es dem Fachmann nahe, das Massagegerät, das Oszillationen von 20 bis 30 Hz erzeugen kann, bei Bedarf auch bei niedrigeren Frequenzen für die Schwingung des Schwingkopfes zu betreiben, je nachdem, wie sich der oszillierend schwingende Schwingkopf auf den behandelten Muskel auswirkt.

65

4. Hilfsantrag II

66

Nach Hilfsantrag II wird das Streitpatent auf die Patentansprüche 11 und 12 in Kombination beschränkt verteidigt. Danach unterscheidet sich dieser Gegenstand von dem des Patentanspruchs 1 im Ergebnis durch

67

- das zusätzliche Merkmal M11, das mit Blick auf die Ausführungen zum Hilfsantrag I dem Fachmann vom Stand der Technik nach den Druckschriften A4 und A6 in Verbindung mit dem Fachwissen nahegelegt ist und

68

- das zusätzliche Merkmal M12, wonach die Bewegungsamplitude eines Punktes der Wirkoberfläche 4 bis 7 mm beträgt.

69

Auch dieser eingeschränkte Gegenstand ergibt sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik nach den Druckschriften A4 und A6 in Verbindung mit dem Fachwissen, denn das weitere Merkmal M12 ist aus der Druckschrift A6 bekannt.

70

So ist in der Druckschrift A6 in Spalte 2 ab Zeile 21 angegeben, dass beim Einbringen der durch das RNS-Massagegerät erzeugten Vibrationsenergie über den Schwingkopf in die periphere Muskulatur in Abhängigkeit von der eingestellten Frequenz am Steuergerät eine Amplitude von ca. 2 mm bis 6 mm vorgegeben ist. Durch ein Drehen des Schwingkopfes während der Behandlung kann die Amplitude bis auf ca. 10 mm vergrößert werden. Damit ergibt sich insgesamt für die Amplitude ein Bereich von ca. 2 mm bis ca. 10 mm, in den der im Merkmal M12 beanspruchte Bereich für die Bewegungsamplitude hineinfällt.

71

5. Damit beruhen weder der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1, wie er nach Hauptantrag verteidigt wird, noch der Gegenstand des Patentanspruchs 11, wie er isoliert gemäß Hilfsantrag I verteidigt wird, noch der Gegenstand der Patentansprüche 11 und 12 in Kombination, wie er gemäß Hilfsantrag II verteidigt wird, auf einer erfinderischen Tätigkeit.

72

Auch die weiteren, von den Hilfsanträgen umfassten Anspruchskombinationen, welche sich aus den Rückbezügen der Patentansprüche 10, 11,12 ergeben, lassen keine den Patentschutz begründenden Ausgestaltungen des Massagegeräts nach Patentanspruch 1 erkennen, was die Beklagte im Übrigen auch nicht geltend gemacht hat (vgl. auch BGH GRUR 2012, 149, Rn. 96 – Sensoranordnung).

III.

73

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG in Verbindung mit § 709 ZPO.