Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 27.09.2011


BPatG 27.09.2011 - 4 Ni 49/09 (EU)

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
27.09.2011
Aktenzeichen:
4 Ni 49/09 (EU)
Dokumenttyp:
Urteil

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 0 853 950

(DE 695 28 716)

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 27. September 2011 durch den Vorsitzenden Richter Rauch sowie die Richterin Friehe und die Richter Dipl.-Phys. Dr. Morawek, Dipl.-Phys. Dr. Müller und Dipl.-Ing. Veit

für Recht erkannt:

1. Das europäische Patent 0 853 950 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 0 853 950 B1 (Streitpatent), das am 21. August 1995 unter Inanspruchnahme der Priorität der US-Patentanmeldung 293854 vom 22. August 1994 angemeldet wurde. Das Streitpatent wurde in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlicht und beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. 695 28 716 geführt. Es betrifft einen Kanister für Wunddrainagen und weist 10 Patentansprüche auf, die sämtlich angegriffen sind. Hinsichtlich dieser Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

2

Das Patent wird von der Beklagten nur noch nach Maßgabe der Patentansprüche 1 bis 4 in der in der mündlichen Verhandlung überreichten Fassung verteidigt. Diese lauten in englischer Sprache:

3

1. A disposable canister for use in wound treatment apparatus comprising a wound dressing pad and a suction pump for applying negative pressure to the wound dressing pad, said canister comprising a moulded plastics container (19) having an inlet (35) connected to a flexible inlet tube (38) and an outlet (44) for connection to the suction pump, said outlet incorporating a bacterial filter and said inlet tube having a quick disconnect coupling device (40) for connection to a flexible drainage tube (37) leading to the wound dressing pad and said inlet tube (38) including a pinch clamp (42) for preventing escape of liquid from the container.

Abbildung

Abbildung

4

4. A canister as claimed in any one of the preceding claims wherein the inlet tube (38) is sealed into the inlet (35) adhesively or by welding.

5

und in deutscher Übersetzung:

6

1. Einwegkanister für die Verwendung in einer Wundbehandlungsvorrichtung, umfassend ein Wundverbandskissen und eine Saugpumpe zum Ausüben von Unterdruck auf das Wundverbandskissen, wobei der Kanister einen geformten Kunststoffbehälter (19) mit einem Einlass (35), der mit einem flexiblen Einlassschlauch (38) verbunden ist, und einem Auslass (44) zur Verbindung mit der Saugpumpe umfasst, wobei der Auslass einen Bakterienfilter enthält und der Einlassschlauch eine Schnelltrennkopplungseinrichtung (40) zur Verbindung mit einem flexiblen, zum Wundverbandskissen führenden Drainageschlauch (37) aufweist, und wobei der Einlassschlauch (38) eine Pinch-Klemme (42) aufweist, um das Austreten von Flüssigkeit aus dem Behälter zu verhindern.

Abbildung

7

4. Kanister nach einem der vorangehenden Ansprüche, worin der Einlassschlauch (38) an dem Einlass (35) durch Kleben oder Schweißen dicht angebracht ist.

8

Nach Ansicht der Klägerin ist der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig. Sie beruft sich unter anderem auf folgende Schrift:

9

VP 4: DE 35 24 893 A1

10

Die Klägerin beantragt,

11

das europäische Patent 0 853 950 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

12

Die Beklagte beantragt,

13

die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent in der oben genannten Fassung richtet.

14

Die Beklagte ist der Ansicht, der Gegenstand des Patents sei - jedenfalls soweit verteidigt - patentfähig.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Klage ist ohne weiteres insoweit begründet, als die Beklagte das Streitpatent nicht mehr verteidigt. Die Klage ist aber auch darüber hinaus in vollem Umfang begründet und führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 56 EPÜ).

16

1. Das Patent betrifft eine Wunddrainagevorrichtung. Nach der Beschreibungseinleitung ist der Wundverschluss bei großen oder infizierten Wunden schwierig, weil sich dort nahe der Oberfläche der Wunde ein Bereich bilde, in dem die lokale Schwellung des Gewebes eine ausreichende Durchblutung verhindere. Dadurch erhielten die Epithelgewebe und subkutanen Gewebe, die die Wunde umgeben, geringere Mengen an Sauerstoff. Auch ihre Fähigkeit, eine bakterielle Infektion erfolgreich zu bekämpfen und die Wunde natürlich zu verschließen, sei verringert. Nähen und Klammern von Wunden seien mit Problemen verbunden und teilweise nicht möglich. Als Lösung dieser Probleme sei aus der Druckschrift WO 93/09727 A1 die Anwendung eines kontinuierlichen Unterdrucks auf die Wunde bekannt. Dort seien allerdings keine Mittel zur Vermeidung einer Ausbreitung der Infektion von einem Patienten zum anderen oder einer Reinfektion des behandelten Patienten offenbart. Weiterer Stand der Technik offenbare eine Vorrichtung zum Absaugen von Blut vom Ort eines chirurgischen Eingriffs bzw. einen Bakterienfilter zur Aufnahme von potenziell infektiösem Material innerhalb eines Auffangbehälters zur Verwendung in einem Blutauffangsystem.

17

Die Druckschrift WO 96/05873 A1, aus der die Anmeldung des Streitpatents herausgeteilt wurde, offenbare eine therapeutische Vorrichtung für die Stimulierung der Wundheilung unter Verwendung einer Vakuumpumpe und einer Kammer zum Halten eines Einweg-Wunddrainageauffangkanisters, wobei die Vakuumpumpe wieder verwendbar sei. Das Demontieren und Reinigen der Wundverschlussvorrichtung sei extrem zeit- und arbeitsintensiv, das Wegwerfen der Wundverschlussvorrichtung teuer. Vor diesem Hintergrund stellt sich gemäß der Streitpatentschrift die Aufgabe, einen entfernbaren Einweg-Wundflüssigkeitsauffangkanister bereitzustellen, um die Wundverschlussvorrichtung vor Kontaminierung zu schützen (vgl. Abs. [0010].

18

2. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 der verteidigten Fassung in deutscher Übersetzung einen Einweg-Wundflüssigkeitsauffangkanister mit folgenden Merkmalen vor:

19

M1 Einwegkanister für die Verwendung in einer Wundbehandlungsvorrichtung, umfassend

20

M1.1 ein Wundverbandskissen und

21

M1.2 eine Saugpumpe zum Ausüben von Unterdruck auf das Wundverbandskissen,

22

M2 wobei der Kanister

23

M2.1 einen geformten Kunststoffbehälter (19) mit

24

M2.1.1 einem Einlass (35), der mit einem flexiblen Einlassschlauch (38) verbunden ist, und

25

M2.2 einen Auslass (44) zur Verbindung mit der Saugpumpe umfasst,

26

M3 wobei der Auslass einen Bakterienfilter enthält und

27

M4 der Einlassschlauch

28

M4.1 eine Schnelltrennkopplungseinrichtung (40) zur Verbindung mit einem flexiblen, zum Wundverbandskissen führenden Drainageschlauch (37) aufweist, und

29

M4.2 wobei der Einlassschlauch (38) eine Pinch-Klemme (42) aufweist, um das Austreten von Flüssigkeit aus dem Behälter zu verhindern.

30

3. Den hier zuständigen Fachmann sieht der Senat als einen berufserfahrenen Ingenieur mit Hochschulbildung der Fachrichtung Medizintechnik, der in Zusammenarbeit mit Medizinern Vorrichtungen zur Behandlung und Drainage von Wunden entwickelt.

31

4. Patentfähigkeit des Anspruchs 1

32

Der Patentanspruch 1 gem. Antrag der Beklagten gründet auf dem erteilten Anspruch 1, wobei durch die Aufnahme der Angabe „zur Verbindung mit“ im Merkmal M2.2 eine offensichtliche Unrichtigkeit (im Vergleich zur englischsprachigen Fassung des erteilten Anspruchs 1) korrigiert wird und durch die neu aufgenommene, im Streitpatent (Abs. [0032]) und den urspr. Unterlagen (S. 8, erst. Abs.; als WO 96/05873 A1 veröffentlicht) offenbarte Angabe „eine Pinch-Klemme“ im Merkmal M4.2 der Begriff „Klemmmittel“ im erteilten Anspruch 1 präzisiert wird. Diese den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beschränkenden Änderungen sind somit zulässig. Der erteilte Anspruch 1 ist in den urspr. Unterlagen offenbart. Er gründet auf dem urspr. Anspruch 20 i. V. m. dem urspr. Anspruch 1 und der urspr. Beschreibung auf Seite 7, letzter Absatz und auf Seite 8, erster Absatz.

33

Der Gegenstand des dem Antrag der Beklagten zu Grunde liegenden Patentanspruchs 1 ergibt sich jedoch für den Fachmann in naheliegender Weise in Anbetracht der Druckschrift VP4 i. V. m. mit seinem allgemeinen Fachwissen und -können.

34

Aus dieser Druckschrift ist ein formstabiler Behälter 1 zum Aufnehmen von aus Wundhöhlen abzuführenden Sekreten bekannt (vgl. Spalte 1, Zeilen 31 bis 42 sowie die Figuren 1 und 2 mit Beschreibung), der an einen Drainageschlauch 4 und an eine Vakuumpumpe 14 angeschlossen werden kann. Solche vorzugsweise aus Kunststoff gefertigte Behälter (vgl. Spalte 2, Zeilen 41 bis 45), die wie der bekannte Behälter 1, nur über Anschlussstutzen (2, 3) und keine größere Auslassöffnung verfügen (vgl. die Figuren 1 und 2), sind üblicherweise nur für den einmaligen Gebrauch gedacht (= Einwegkanister). Da der bekannte Behälter formstabil ist und unter Unterdruck gesetzt werden kann, ist er selbstverständlich auch für die Verwendung in einer Wundbehandlungsvorrichtung, die ein Wundverbandskissen und eine Saugpumpe umfasst, geeignet [= Merkmale M1 bis M1.2]. Der bekannte, aus Kunststoff bestehende und formstabile Behälter 1 (vgl. Spalte 2, Zeilen 41 bis 45), verfügt über einen Einlass (Anschlussstutzen 2), der mit einem üblicherweise flexiblen Einlassschlauch (Verbindungsschlauch 5) verbunden ist, und über einen Auslass (Anschlussstutzen 3) zur Verbindung mit einer Saugpumpe (Vakuumpumpe 14), wobei der Auslass (3) einen Bakterienfilter (vgl. Spalte 1, Zeile 64 bis Spalte 2, Zeile 2 und Spalte 2, Zeile 66 bis Spalte 3, Zeile 4: bakteriendichter Filter 15) enthält [= Merkmale M2 bis M3]. Der Einlassschlauch (Verbindungsschlauch 5) weist eine Klemme (6) auf, die den Einlassschlauch (5) abklemmt um das Austreten von Flüssigkeit aus dem Behälter zu verhindern (= Pinch-Klemme) (vgl. Figur 2 i. V. m. Spalte 2, Zeilen 59 bis 62) [= Merkmale M4 bis M4.2].

35

Bei dem aus der Druckschrift VP4 bekannten Behälter 1 kann die Vakuumpumpe 14 bzw. die Vakuumleitung 13 mittels einer Luer-Lock-Verbindung (= Schnelltrennkopplungseinrichtung) an den Vakuumanschluss 12 am Auslass des Behälters angeschlossen werden (vgl. die Figuren 2 und 4 i. V. m. Spalte 4, Zeilen 29 bis 57). Hierzu ist der Anschluss 12 als ein negatives Luer-Lock-Teil (Rohrstutzen 24, Bund 25, beweglicher Konus 26) ausgebildet, das mit dem Luer-Lock-Teil (Kupplungsstück 23, Trichterteil 23a) der Vakuumpumpe 14 bzw. Vakuumleitung 13 verbunden werden kann (vgl. a. a. O.). Der Einlassschlauch (Verbindungsschlauch 5) hingegen wird mit dem Drainageschlauch 4 verbunden, indem dieser einfach in den Einlassschlauch (5) eingesteckt wird (vgl. Spalte 2, Zeilen 56 bis 59). In der Druckschrift VP4 ist zwar angegeben, dass wegen der Kontaminationsgefahr der Behälter 1 während der Behandlungsphase bei Abfall des Unterdruckes nicht ausgewechselt werden soll (Spalte 1, Zeilen 50 bis 53) und der Behälter jederzeit nachevakuiert werden kann, ohne dass dabei ein Einfluss auf das Drainagesystem erfolgt, die Zuführleitung 4 mithin nicht vom Behälter getrennt wird (Spalte 5, Zeilen 7 bis 14). Entgegen der Meinung der Beklagten ist der Senat jedoch auch im Hinblick auf diese vorgenannten Stellen in der VP4 aus nachfolgenden Gründen überzeugt, dass es für den Fachmann nahe lag, auch den Einlassschlauch (Verbindungsschlauch 5) und den Drainageschlauch 4 mit jeweils einer Schnelltrennkopplungseinrichtung, bspw einem Luer-Lock-Teil, auszustatten.

36

Wie bereits vorstehend ausgeführt, ist in der VP4 angegeben, dass der Einlassschlauch (5) und der Drainageschlauch 4 während der Behandlung nicht getrennt werden sollen (vgl. a. a. O.). Bei dem in der klinischen Praxis durchaus auftretenden (aber in der VP4 nicht angesprochenen) Fall, dass der Behälter während der Drainage mit Wundflüssigkeit vollläuft, muss dieser jedoch zwangsläufig - auch während der Behandlung - ausgewechselt werden. In diesem Fall kann auch der Einlassschlauch (Verbindungsschlauch 5) oder der Drainageschlauch 4 mit einer Klemme 6 abgesperrt werden (vgl. Spalte 2, Zeilen 59 bis 62). Da bei zwei lediglich ineinandergesteckten Schläuchen eine sichere und dichte Verbindung nur durch einen Presssitz der miteinander verbundenen Schläuche erreicht werden kann, sind diese auch nur unter Kraftaufwand und somit umständlich zu lösen. Der Senat ist daher überzeugt, dass für den Fachmann eine Veranlassung bestand, auch bei dem aus der VP4 bekannten Behälter 1 am Einlassschlauch (5) und Drainageschlauch 4 jeweils eine Vorrichtung zum einfacheren und damit schnelleren Lösen dieser Schläuche anzubringen (= Schnelltrennkopplungseinrichtung). Dazu musste der Fachmann lediglich die bereits zur Verbindung des Vakuumanschlusses 12 mit der Vakuumpumpe 14 bzw. der Vakuumleitung 13 in der VP4 gezeigte Luer-Lock-Verbindung (vgl. a. a. O.) auch 4 vorsehen [= Merkmal M4.1].

37

Damit ist der Fachmann - ohne erfinderisch tätig werden zu müssen - bei dem Einwegkanister gemäß Anspruch 1 in der Fassung des Antrags der Beklagten angelangt. Eine Aufrechterhaltung des Anspruchs 1 auf der Grundlage dieser Fassung kommt daher nicht in Betracht.

38

5. Eine beschränkte Aufrechterhaltung des Streitpatents im Umfang einer der auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche wurde von der Beklagten nicht geltend gemacht. Der Senat kann in ihnen auch keinen erfinderischen Gehalt erkennen. Somit teilen diese Ansprüche das Schicksal des Hauptanspruchs.

39

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.