Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 15.11.2011


BPatG 15.11.2011 - 4 Ni 4/11 (EP)

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung Patentnichtigkeitsklageverfahren – zur Kostenentscheidung: eine vom Patentinhaber nach Zustellung einer Nichtigkeitsklage abgegebene beschränkte Widerspruchserklärung hat nicht die Rechtswirkung eines sofortigen Anerkenntnisses bzgl. der nicht verteidigten Patentansprüche – keine Auferlegung der Prozesskosten auf den Kläger


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
15.11.2011
Aktenzeichen:
4 Ni 4/11 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Beschränkter Widerspruch

Eine von dem Patentinhaber nach Zustellung einer Nichtigkeitsklage innerhalb der Frist des § 82 Abs. 1 PatG abgegebene beschränkte Widerspruchserklärung hat nicht die Rechtswirkung eines sofortigen Anerkenntnisses bzgl. der nicht verteidigten Patentansprüche und führt daher - bezogen auf diese Ansprüche - nicht zu einer Auferlegung der Prozesskosten auf den Kläger gem. § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 93 ZPO, unabhängig davon, ob der Patentinhaber durch sein Verhalten Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 380 362

DE 502 11 964

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2011 durch den Vorsitzenden Richter Rauch sowie die Richter Dr. agr. Huber, Voit, Dipl.-Ing. Rippel und Dr.-Ing. Dorfschmidt

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 1 380 362 wird dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass Patentanspruch 1 und der unmittelbare oder mittelbare Rückbezug auf Patentanspruch 1 in den Patentansprüchen 4 bis 9 entfallen.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 380 362 (Streitpatent), das am 13. Juli 2002 angemeldet wurde. Das Streitpatent wurde am 14. Januar 2004 in der Verfahrenssprache Deutsch veröffentlicht und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. DE 502 11 964 geführt. Es betrifft eine Rohrbiegemaschine mit Rohrvorschub und Dornrückzug und umfasst in der erteilten Fassung 9 Patentansprüche, von denen der Anspruch 1 sowie die Ansprüche 4 bis 9, soweit sie unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogen sind, nicht mehr verteidigt werden. Anspruch 2 des Streitpatents lautet wie folgt:

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2

Wegen der weiter angegriffenen und unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 2 rückbezogenen Patentansprüche 3 bis 9 wird auf die Streitpatentschrift EP 1 380 362 B1 Bezug genommen.

3

Die Klägerin ist der Ansicht, der Gegenstand des Streitpatents sei ungenügend offenbart und zudem weder neu noch erfinderisch. Hierzu bezieht sich die Klägerin neben den bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigten Dokumenten US 6 345 525 B1 (D1) und DE 40 10 445 A1 (D2) zusätzlich auf folgende Druckschriften:

4

NK1 DE 26 37 454 A1

5

NK2 US 4 959 984

6

NK3 EP 0 492 211 A1

7

NK4 US 6 416 449 B1

8

NK5 FR 2 737 674 A1

9

NK6 US 3 557 585

10

NK7 WO 94/27757

11

Die Klägerin beantragt,

12

das europäische Patent EP 1 380 362 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

13

Die Beklagte beantragt,

14

die Klage abzuweisen, soweit sie gegen Patentanspruch 2 und die auf diesen unmittelbar oder mittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 3 bis 9 des Streitpatents gerichtet ist.

15

Beide Parteien haben zudem beantragt, der jeweils anderen Partei insgesamt die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

16

Die Beklagte beruft sich bei ihrem Antrag, die Kosten des Verfahrens insgesamt der Klägerin aufzuerlegen, d. h. auch insoweit, als das Streitpatent von ihr nicht verteidigt wird, auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 91, 93 ZPO. Sie habe der Klage nur teilweise widersprochen, also nicht bezüglich des erteilten Patentanspruchs 1 und der Unteransprüche 4 bis 9, soweit diese auf Patentanspruch 1 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen seien. Insoweit liege ein Anerkenntnis i. S. d. § 307 ZPO vor. Sie habe auch keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben, insbesondere sei ihre gegen die Nichtigkeitsklägerin gerichtete Patentverletzungsklage auf Patentanspruch 2, nicht aber auf Patentanspruch 1, gestützt. Ferner sei sie seitens der Klägerin nicht zum Verzicht auf das Streitpatent aufgefordert worden.

17

Die Klägerin ist dagegen der Auffassung, dass die Beklagte die Kosten des Verfahrens insgesamt zu tragen habe. Wenn das Streitpatent erstmals im Verlauf des Nichtigkeitsverfahrens mit neugefassten Patentansprüchen beschränkt verteidigt werde und sich der Kläger hiermit sofort einverstanden erkläre, müsse der Beklagte auf Grund der gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG heranzuziehenden Billigkeitsgründe die insoweit anfallenden Verfahrenskosten tragen.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

19

Die zulässige Klage ist begründet, soweit die Beklagte das Streitpatent nicht mehr verteidigt, also im Umfang des Patentanspruchs 1 und der Rückbeziehungen der Ansprüche 4 bis 9 auf Anspruch 1. Insoweit handelt es sich um eine zulässige Beschränkung, und das Streitpatent ist ohne weitere sachliche Prüfung in diesem Umfang für nichtig zu erklären (st. Rspr., vgl. BGHZ 170, 215 – Carvedilol II; vgl. auch BPatG, GRUR 2010, 137 – Oxaliplatin).

20

Unbegründet ist die Klage aber, soweit sie sich gegen Patentanspruch 2 und die Ansprüche 3 bis 9 richtet, soweit diese auf Anspruch 2 rückbezogen sind. Die insoweit von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeitsgründe liegen nicht vor, denn der Gegenstand des Patentanspruchs ist ausreichend offenbart (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. b) EPÜ), er ist neu und er war für den hier einschlägigen Fachmann, einen Dipl.-Ing. (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion von Rohrbiegemaschinen, nicht ohne erfinderisches Zutun auffindbar (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a), Art. 54, 56 EPÜ).

II.

21

1. Nach Anspruch 2 betrifft der Streitpatentgegenstand eine Rohrbiegemaschine mit einem Biegewerkzeug sowie mit einem Rohrvorschub, mittels dessen ein zu biegendes Rohr in Rohrlängsrichtung gegenüber dem Biegewerkzeug zustellbar ist. Ein Rohrhalter ist in Rohrlängsrichtung an einer an einem Maschinengrundkörper vorgesehenen Längsführungseinrichtung geführt und mittels eines Rohrvorschubantriebes mit einer maschinengrundkörperseitigen Antriebseinrichtung bewegbar. Weiterhin hat die streitpatentgemäße Rohrbiegemaschine einen Dornrückzug, mittels dessen ein an einer in Rohrlängsrichtung verlaufenden Dornstange biegewerkzeugseitig angebrachter Biegedorn in Rohrlängsrichtung zwischen einer Gebrauchs- und einer Rückzugsstellung hin und her bewegbar ist. Der Dornrückzug weist einen Dornstangenhalter auf, welcher in Rohrlängsrichtung an einer maschinengrundkörperseitigen Längsführungseinrichtung geführt und mittels eines Dornstangenantriebes mit einer maschinengrundkörperseitigen Antriebseinrichtung bewegbar ist.

22

Nach den Ausführungen in Absatz [0004] der Streitpatentschrift bedarf es zur Ausführung der Bewegungen von Vorschubwagen und Biegedorn bei herkömmlichen Rohrbiegemaschinen eines verhältnismäßig großen konstruktiven Aufwandes. Weiterhin sei die Bewegung der Aufnahmevorrichtung für die Dornstange in Rohrlängsrichtung dem Betrag nach eng begrenzt.

23

2. Daher liegt dem Streitpatent gemäß den Ausführungen in Abs. [0005] der Streitpatentschrift die Aufgabe zu Grunde, die bekannten Rohrbiegemaschinen insoweit zu verbessern.

24

Gelöst wird dies durch die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 2, der sich wie folgt gliedern lässt:

25

1. Rohrbiegemaschine

26

1.1. mit einem Biegewerkzeug (3),

27

1.2. mit einem Rohrvorschub (9),

28

1.2.1 mittels dessen ein zu biegendes Rohr (6, 6a) in Rohrlängsrichtung (12) gegenüber dem Biegewerkzeug (3) zustellbar ist;

29

1.2.2 der Rohrvorschub (9) weist einen Rohrhalter (8) auf;

30

1.2.3 der Rohrhalter (8) ist in Rohrlängsrichtung (12) an einer an einem Maschinengrundkörper (2) vorgesehenen Längsführungseinrichtung (16) geführt;

31

1.2.4 der Rohrhalter (8) ist mittels eines Rohrvorschubantriebes mit einer maschinengrundkörperseitigen Antriebseinrichtung (15) bewegbar;

32

1.3 mit einem Dornrückzug (8),

33

1.3.1 mittels dessen ein an einer in Rohrlängsrichtung (12) verlaufenden Dornstange (20, 20a) biegewerkzeugseitig angebrachter Biegedorn (21) in Rohrlängsrichtung (12) zwischen einer Gebrauchs- und einer Rückzugsstellung hin und her bewegbar ist;

34

1.3.2 der Dornrückzug (19) weist einen an einem Wagen (23) vorgesehenen Dornstangenhalter (24) auf,

35

1.3.2.1 der in Rohrlängsrichtung (12) an der maschinengrundkörperseitigen Längsführungseinrichtung (16) geführt ist und

36

1.3.2.2 mittels eines Dornstangenantriebes mit einer maschinengrundkörperseitigen Antriebseinrichtung (15) bewegbar ist;

37

1.3.3 zur Bewegung des Dornstangenhalters (24) in Rohrlängsrichtung (12)

38

1.3.3.1 ist der Wagen (23) mit dem Dornstangenhalter (24) antreibbar,

39

1.3.3.1.1 wobei der Antrieb mittels eines an dem Wagen (23) vorgesehenen Motors (22) erfolgt;

40

1.3.3.2 ist der Wagen (23) an der maschinengrundkörperseitigen Antriebseinrichtung (15) bewegbar;

41

1.3.3.2.1 die gleichzeitig als maschinengrundkörperseitige Antriebseinrichtung (15) für den Rohrhalter (8) vorgesehen ist.

42

Dem Patentanspruch 2 schließen sich die nachgeordneten Patentansprüche 3 bis 9 an. Bezüglich deren Wortlauts wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

43

3. Der Senat legt dem erteilten Patentanspruch 2 folgendes Verständnis zu Grunde:

44

Die Merkmale 1 bis 1.2.4 beschreiben die typischen und notwendigen Merkmale einer Rohrbiegemaschine mit einem Biegewerkzeug und einem Rohrvorschub. Nach Merkmal 1.3 hat die streitpatentgemäße Rohrbiegemaschine einen Dornrückzug, mittels dessen ein an einer in Rohrlängsrichtung verlaufenden Dornstange biegewerkzeugseitig angebrachter Biegedorn zwischen einer Gebrauchs- und einer Rückzugsstellung bewegbar ist (Merkmal 1.3.1).

45

Gemäß Merkmalskomplex 1.3.2 weist der Dornrückzug einen an einem Wagen vorgesehenen Dornstangenhalter auf, der in Rohrlängsrichtung an der maschinengrundkörperseitigen Längsführungseinrichtung geführt ist und mittels eines Dornstangenantriebes mit einer maschinengrundkörperseitigen Antriebseinrichtung bewegt werden kann.

46

Die übrigen im Patentanspruch 2 aufgeführten Merkmale 1.3.3 bis 1.3.3.2.1 präzisieren die Bewegung bzw. den Antrieb des Dornstangenhalters in Rohrlängsrichtung weiter.

47

Auch wenn die Formulierung des Anspruchs zunächst den Eindruck vermitteln mag, es könnten für den zum Dornrückzug erforderlichen Dornstangenantrieb möglicherweise zwei Antriebssysteme vorgesehen sein, erschließt sich dem Fachmann jedoch spätestens in Verbindung mit den erläuternden Textstellen aus der Beschreibung, (Spalte 4, Zeilen 37 bis 39) zweifelsfrei, dass die maschinengrundkörperseitige Antriebseinrichtung lediglich ein Teil einer einheitlichen Antriebsvorrichtung ist, bestehend aus einem Motor (22), einem Antriebsritzel (26) sowie der maschinengrundkörperseitigen Antriebseinrichtung, beispielsweise in Form einer Zahnstange.

48

Weiterhin erschließt sich dem Fachmann bereits aus dem Wortlaut des Patentanspruchs 2, dass die in den Merkmalen 1.3.3 bis 1.3.3.2.1 näher spezifizierte Bewegung des Dornstangenhalters in Rohrlängsrichtung in erster Linie die im Merkmal 1.3.1 beschriebene Bewegung des an der Dornstange biegewerkzeugseitig angebrachten Biegedorns zwischen seiner Gebrauchs- und Rückzugsstellung ist, weil der Dornstangenhalter – wie bereits seine Bezeichnung belegt – die Dornstange (fixiert) hält, an der wiederum der Biegedorn angebracht ist. Eine diesbezügliche Stütze ist auch der Beschreibung des Streitpatents in Spalte 4, Zeilen 29 bis 34 zu entnehmen. Demzufolge erschließt sich dem Fachmann die klare Lehre des Streitpatents, wonach die Bewegung des Dornstangenhalters und somit die Bewegung des im Dornstangenhalter über die Dornstange fixiert gehaltenem Biegedorns zwischen seiner Gebrauchs- und Rückzugsstellung, also im Wesentlichen die Auszugsbewegung des Biegedorns, durch den antreibbaren Wagen verwirklicht ist, dessen Antrieb dazu entsprechend den Merkmalen 1.3.3.1.1 bis 1.3.3.2.1 ausgebildet ist. Genau diese, nach Überzeugung des Senats, einzig mögliche Auslegung des Patentanspruchs 2 findet auch in der Beschreibung und den Figuren durchgängig ihren Niederschlag, wozu beispielsweise auf den Zusammenhang zwischen Aufgabe und Lösung (Absätze [0004] und [0006]) oder auf die Ausführungen im Absatz [0016] in der Streitpatentschrift verwiesen wird.

49

4. Der Senat konnte nicht feststellen, dass die unstrittig gewerblich anwendbare streitpatentgemäße Rohrbiegemaschine gemäß dem erteilten Patentanspruch 2 die Voraussetzungen eines in Art. 138 Abs. 1 EPÜ genannten Nichtigkeitsgrundes erfüllt.

50

4.1. Die Erfindung nach Patentanspruch 2 ist so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

51

Wie den vorstehenden Ausführungen in Abschnitt II.3 zu entnehmen ist, erschließt sich dem Fachmann aus dem Wortlaut des Patentanspruchs 2 in Verbindung mit den erläuternden Textstellen in der Beschreibung des Streitpatents eine vollständige, nachvollziehbare technische Lehre. Insbesondere erschließt sich dem Fachmann, dass der antreibbare Wagen nach Merkmal 1.3.3.1 den (einzigen) Dornstangenantrieb bildet und somit die im Merkmalskomplex 1.3.1 beschriebene Bewegung des Dornstangenhalters zwischen seiner Gebrauchs- und Rückzugsstellung verwirklicht. Auch die von der Klägerin in der Klageschrift als auslegungsbedürftig bzw. als nicht korrekt formuliert gerügten Merkmale sind für den Fachmann spätestens anhand der Beschreibungsunterlagen ohne weiteres verständlich und vermitteln eine nachvollziehbare technische Lehre.

52

4.2. Die streitpatentgemäße Rohrbiegemaschine nach dem Patentanspruch 2 ist unter Berücksichtigung des im Verfahren befindlichen Standes der Technik neu.

53

Die von der Klägerin in erster Linie aufgegriffene Rohrbiegemaschine nach der Anlage NK2 weist unstrittig die im Patentanspruch 2 des Streitpatents aufgeführten typischen und notwendigen Merkmale 1 bis 1.2.4. einer Rohrbiegemaschine auf. Weiterhin hat die bekannte Rohrbiegemaschine auch einen Dornrückzug, mittels dessen ein an einer in Rohrlängsrichtung verlaufenden Dornstange (mandrel rod 70) biegewerkzeugseitig angebrachter Biegedorn (mandrel assembly 71) in Rohrlängsrichtung (Pfeil B) zwischen einer Gebrauchs- und einer Rückzugsstellung hin und her bewegbar ist (Merkmale 1.3 und 1.3.1).

54

Die bekannte Rohrbiegemaschine umfasst weiterhin einen Wagen (72), der - wie seine Bezeichnung „mandrel rod carriage“ bereits belegt - die Dornstange (mandrel rod 70) bewegt.

55

Hierzu ist der Wagen (72), soweit auch zwischen den Parteien unstrittig, in Rohrlängsrichtung bewegbar, wozu auch eine maschinengrundkörperseitige Längsführungseinrichtung vorhanden sein muss, an der der Wagen (mandrel rod carriage 72) geführt ist (Merkmale 1.3.2 und 1.3.2.1).

56

Wie genau der Antrieb für den Wagen (mandrel rod carriage 72), der die Dornstange bewegt, bei der bekannten Rohrbiegemaschine tatsächlich verwirklicht ist, kann der gesamten Beschreibung selbst unter Hinzuziehung der Zeichnung nicht in eindeutiger und zweifelsfreier Weise entnommen werden und ist auch zwischen den Parteien höchst strittig.

57

Gemäß der Darstellung in Figur 2 in Verbindung mit der erläuternden Textstelle in Spalte 9, Zeilen 32 bis 36 der Beschreibung ist an dem Wagen (72) der bekannten Rohrbiegemaschine nach der Anlage K2 ein Dornstangenzylinder (mandrel extractor cylinder 73), also eine Kolben-Zylindereinheit, angeordnet, der – wie bereits dessen Bezeichnung „mandrel extractor cylinder“ unmissverständlich belegt – den an der Dornstange (mandrel rod 70) biegewerkzeugseitig angebrachten Biegedorn (mandrel assembly 71) aus dem Biegebereich des Rohrs herauszieht und dazu die Dornstange (mandrel rod 70) entweder unmittelbar oder mittelbar in Rohrlängsrichtung von der Gebrauchsstellung in die Rückzugsstellung bewegt. Unter fachgerechter Auslegung erfolgt somit bei der bekannten Rohrbiegemaschine nach der Anlage NK2 zweifelsfrei die dem Merkmal 1.3.1 des Patentanspruchs 2 des Streitpatents entsprechende (Auszugs-)Bewegung des an der Dornstange (mandrel rod 70) biegewerkzeugseitig angebrachten Biegedorns von der Gebrauchsstellung in die Rückzugsstellung in Rohrlängsrichtung mit einer Kolben-Zylindereinheit (mandrel extractor cylinder 73).

58

Bei dieser Kolben-Zylindereinheit handelt es sich zweifelsfrei nicht um einen mit einer maschinengrundkörperseitigen Antriebseinrichtung, beispielsweise in Form einer Zahnstange, zusammenwirkenden Motor im Sinne von Merkmal 1.3.3.1.1. Daher zeigt die bekannte Rohrbiegemaschine nach der Anlage NK2 zumindest nicht die Merkmale 1.3.3.1 und 1.3.3.1.1 sowie in Folge die Merkmale 1.3.3.2 und 1.3.3.2.1 des Patentanspruchs 2 des Streitpatents. Aus diesem Grund kann letztendlich dahingestellt bleiben, auf welche Art und Weise der Antrieb des Wagens (72) bei der bekannten Rohrbiegemaschine nach der Anlage K2 tatsächlich verwirklicht ist.

59

Insbesondere kann auch dahingestellt bleiben, ob bei der bekannten Rohrbiegemaschine nach der Anlage NK2 andere Bewegungen des Wagens (mandrel rod carriage 72), wie Bewegungen zum Einrichten, Laden oder für Wartungszwecke etc. mit einem möglicherweise unter dem Wagen (mandrel rod carriage 72) angeordneten Motor verwirklicht werden, der auch ähnlich dem Motor des Wagens (50) ausgebildet sein mag und dementsprechend arbeitet. Denn für die wesentliche „Arbeitsbewegung“, im streitpatentgemäßen Sinne, also der Bewegung des an der Dornstange angebrachten Biegedorns zwischen der Gebrauchs- und der Rückzugsstellung, wird – wie vorstehend beschrieben – bei der bekannten Rohrbiegemaschine nach der Anlage NK2 zweifelsfrei der Dornstangenzylinder (mandrel extractor cylinder 73) und somit eine (herkömmliche) Kolben-Zylindereinheit verwendet.

60

Die Druckschrift nach der Anlage NK5 zeigt eine Rohrbiegemaschine bei der ein zu biegendes Rohr (8) in Rohrlängsrichtung gegenüber einem Biegewerkzeug (2) zustellbar ist und dort gebogen wird. Die bekannte Rohrbiegemaschine weist einen Rohrvorschub (10) mit einem Rohrhalter (13) und zudem eine Schubvorrichtung (17) auf. Rohrvorschub (10) und Schubvorrichtung (17) haben jeweils einen Motor (11 bzw. 18), mit denen sie bewegbar sind. Daneben hat die Schubvorrichtung noch einen Schubzylinder (23), der ein Schubrohr (25) aufweist. Das Schubrohr (25) beaufschlagt mit seinem vorderen Ende (26) das hintere Ende des Rohres (8) bzw. im Falle eines Doppelrohres gemäß Figur 5 das hintere Ende des Innenrohres (8B) und bringt eine von dem Schubrohr (23) erzeugte Schubkraft in Richtung des Pfeils P in Figur 5 auf das zu biegende Rohr auf. Somit bilden Rohrvorschub (10) und Schubvorrichtung (17) gemeinsam eine Rohrvorschubvorrichtung. Weiterhin weist die bekannte Rohrbiegemaschine nach der Anlage NK5 einen Dornrückzug (30) auf, mittels dessen ein an einer in Rohrlängsrichtung verlaufenden Dornstange (29) biegewerkzeugseitig angebrachter Biegedorn (28) in Rohrlängsrichtung zwischen einer Gebrauchs- und einer Rückzugsstellung hin und her bewegbar ist. Anders als der Streitpatentgegenstand hat die bekannte Rohrbiegemaschine nach der Anlage NK5 jedoch keinen Wagen für den Dornrückzug (30), so dass ihr bereits die Merkmale 1.3.2 und der gesamte Merkmalskomplex 1.3.3 fehlen. Vielmehr ist dieser bekannte Dornrückzug (30) auch in herkömmlicher Weise als feststehende Kolben-Zylindereinheit ausgebildet.

61

Die übrigen in das Verfahren eingeführten – jedoch von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht aufgegriffenen – Druckschriften liegen weiter ab.

62

Die im Prüfungsverfahren berücksichtigte Entgegenhaltung DE 40 10 445 A1 (D2) verwendet für die streitpatentgemäße (Arbeits-)Bewegung des Biegedorns in Rohrlängsrichtung von der Gebrauchs- in die Rückzugsstellung eine herkömmliche, an dem Maschinenrahmen angebrachte Kolben-Zylinder-Anordnung. Aus diesem Grund zeigt diese Entgegenhaltung zumindest nicht die Merkmale 1.3.2 bis 1.3.3.2.1 des Patentanspruchs 2 des Streitpatents. Das Selbe gilt für die Entgegenhaltung nach der Anlage NK1 mit dem in Figur 1 gezeigtem Hydraulikzylinder (28).

63

Die Entgegenhaltung nach der Anlage NK4 sowie die im Prüfungsverfahren berücksichtigte Entgegenhaltung US 6 345 525 B1 (D1) enthalten keine Angaben dazu, wie die Ausgestaltung und Funktionsweise des Dornrückzugs (Merkmale 1.3. 2 bis 1.3.3.2.1) verwirklicht ist.

64

Die Rohrbiegemaschine nach der Anlage NK3 weist zumindest nicht die Merkmale 1.3.2.2 sowie 1.3.3 bis 1.3.3.1.1 des Patentanspruchs 2 des Streitpatents auf, weil keinerlei Antrieb für den Wagen (7) des Dornstangenhalters (Drehfutter 40) gezeigt ist. Der allenfalls vorgesehene Motor, der sich aus dem Ausdruck „elektromechanisch angetrieben“ (Seite 6, Zeile 56) schließen lässt, treibt lediglich den Dornstangenhalter (Drehfutter 40) an, jedoch nicht den Wagen (7).

65

Die beiden Druckschriften nach den Anlagen NK6 und NK7 wurden von der Klägerin nur hinsichtlich der Unteransprüche genannt. Sie liegen weiter ab vom Streitpatentgegenstand, weil die dort gezeigten Rohrbiegemaschinen keinen Innendorn zum Biegen verwenden und daher keinen Dornrückzug (Merkmalskomplex 1.3) aufweisen.

66

4.4. Die Klägerin vermochte den Senat auch nicht davon zu überzeugen, dass die Rohrbiegemaschine nach dem Patentanspruch 2 in der erteilten Fassung des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

67

Weil – wie in den vorstehenden Ausführungen in Abschnitt II.4.3 ausführlich dargelegt – alle im Verfahren befindlichen Druckschriften – sofern sie überhaupt einen Dornrückzug haben und diesen beschreiben – für die streitpatentgemäße (Arbeits-)Bewegung des Dornstangenhalters, nämlich für die Bewegung des an der Dornstange angebrachten Biegedorns in Rohrlängsrichtung von der Gebrauchs- in die Rückzugsstellung, eine Kolben-Zylindereinheit verwenden, kann keine dieser Druckschriften, weder für sich gesehen noch in Kombination untereinander, den Fachmann dazu anregen, von dieser bekannten Art des Antriebssystems abzurücken und für diese Bewegung, also für die Auszugsbewegung des an der Dornstange angebrachten Biegedorns, einen antreibbaren Wagen vorzusehen, dessen Antrieb dazu entsprechend den Merkmalen 1.3.3.1.1 bis 1.3.3.2.1 ausgebildet ist.

68

Dies gilt insbesondere auch für die von der Klägerin herangezogene Kombination der Druckschriften nach den Anlagen NK2 und NK5. Zudem wird der von der Klägerin bei der Entgegenhaltung nach der Anlage NK5 aufgegriffene motorangetriebene Wagen der Schubvorrichtung (17) dort allenfalls im Zusammenhang mit dem Rohrvorschub verwendet und kann schon deshalb den Fachmann nicht dazu anleiten, die Auszugsbewegung des Biegedorns mit einem antreibbaren Wagen zu verwirklichen.

69

Die beanspruchte Lehre war auch nicht durch einfache fachübliche Erwägungen ohne weiteres auffindbar; vielmehr bedurfte es darüber hinaus gehender Gedanken und Überlegungen, die auf erfinderische Tätigkeit schließen lassen, um zur beanspruchten Lösung zu gelangen.

III.

70

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.

71

Der Senat hat bei seiner Kostenentscheidung zu Grunde gelegt, dass die Parteien durch den Urteilsspruch zu gleichen Teilen obsiegen und unterliegen.

72

Im Umfang des Patentanspruchs 1 sowie der Unteransprüche 4 bis 9, soweit diese auf Patentanspruch 1 rückbezogen sind, hat sich die Beklagte im Wege der Selbstbeschränkung in die Rolle der Unterlegenen begeben, weshalb sie insoweit zur Tragung der Prozesskosten verpflichtet ist (Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 4. Aufl., Rn. 256).

73

Eine Kostenauferlegung nach Maßgabe des § 93 ZPO auf die Klägerin kommt insoweit nicht in Betracht, weil es seitens der Beklagten am sofortigen Anerkenntnis im Sinne dieser Vorschrift gefehlt hat. Ein solches sofortiges Anerkenntnis, bei dem es sich nicht um ein Anerkenntnis i. S. d. § 307 ZPO handelt, liegt nur vor, wenn dem Nichtigkeitskläger innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist des § 82 Abs. 1 PatG vom Beklagten der (teilweise) Erfolg der Klage verbindlich zugesichert wird, etwa in Form von Verzichtserklärungen auf das Patent (oder auf einzelne Patentansprüche) sowie auf Ansprüche aus dem Patent für die Vergangenheit (Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., § 84 Rn. 43 f.).

74

Eine beschränkte Verteidigung des Patents ohne Verzicht auf den darüber hinaus gehenden Schutz für die Vergangenheit und Zukunft ist dagegen für ein sofortiges Anerkenntnis nicht ausreichend (Schulte/Kühnen, a. a. O., Rn. 45). Zwar wird das Patent in dem Umfang, in dem es von seinem Inhaber nicht verteidigt wird, wie im vorliegenden Fall ohne Sachprüfung für nichtig erklärt (vgl. BPatG GRUR 2010, 137 – Oxaliplatin m. w. N), jedoch ist der Beklagte an seinen Selbstbeschränkungsantrag nicht gebunden und kann im weiteren Verlauf des Verfahrens das Schutzrecht in einem weiter gehenden Umfang verteidigen.

75

Auch die von der Beklagten abgegebene beschränkte Widerspruchserklärung hat nicht die Rechtswirkung eines sofortigen Anerkenntnisses, wobei dahingestellt bleiben kann, ob eine Beschränkung des Widerspruchs auf Teile des mit der Klage geltend gemachten Streitgegenstands überhaupt möglich ist. Das Unterbleiben eines Widerspruchs hat gem. § 82 Abs. 2 PatG lediglich zur Folge, dass sofort dem Klagebegehren entsprechend entschieden und dabei jede vom Kläger behauptete Tatsache für erwiesen angenommen werden kann. Es handelt sich demnach nicht um eine Erklärung materiellen Charakters (wie etwa ein Verzicht), sondern um eine reine Verfahrenserklärung, durch die der Bestand des Schutzrechts (im Umfang des Nichtwiderspruchs) weder unmittelbar berührt noch zwingend beseitigt wird.

76

Wegen Fehlens eines sofortigen Anerkenntnisses kann das Vorliegen der weiteren Voraussetzung des § 93 ZPO, wonach der Beklagte für die Klageerhebung keinen Anlass gegeben haben darf, dahingestellt bleiben. Ebenso bedarf keiner näheren Erörterung, ob die Klägerin überhaupt die Möglichkeit hatte, ihren Antrag auf die von der Beklagten verteidigte Fassung des Streitpatents zu beschränken. Es sei lediglich darauf hingewiesen, dass es insoweit nicht genügt hätte, den Patentanspruch 1 vom Angriff auf das Patent auszunehmen. Da die erteilten Unteransprüche 4 bis 9 auch auf den Anspruch 1 rückbezogen sind, hätte es vielmehr eines Antrags auf Beschränkung der betreffenden Anspruchsfassungen bedurft, weil sonst die in Patentanspruch 1 enthaltenen Gegenstandsmerkmale in den Unteransprüchen verblieben wären. Es erscheint aber zweifelhaft, ob der Nichtigkeitskläger ein Streitpatent in solcher Weise angreifen kann (vgl. Keukenschrijver, a. a. O., Rn. 214).