Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 25.07.2016


BPatG 25.07.2016 - 4 Ni 30/14 (EP)

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
25.07.2016
Aktenzeichen:
4 Ni 30/14 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 2 272 468

(DE 602 42 921)

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2016 durch den Vorsitzenden Richter Engels, die Richterin Kopacek, die Richter Dipl.-Phys. Univ. Dr. Müller und Dipl.-Ing. Veit sowie die Richterin Dipl.-Phys. Univ. Zimmerer

für Recht erkannt.

I. Das europäische Patent 2 272 468 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Ansprüche 1, 2, 7, soweit Anspruch 7 direkt auf Anspruch 1 oder 2 rückbezogen ist, und 8, soweit Anspruch 8 direkt auf Anspruch 1 oder 2 rückbezogen ist oder soweit dieser auf den direkt auf Anspruch 1 oder 2 rückbezogenen Anspruch 7 rückbezogen ist, für nichtig erklärt.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens ist das auch mit Wirkung für Deutschland erteilte europäische Patent 2 272 468 B1, deutsches Aktenzeichen DE 602 42 921 (Streitpatent), das am 25. Januar 2002 unter Inanspruchnahme der Priorität US 771061 vom 29. Januar 2001 angemeldet worden ist. Das in englischer Verfahrenssprache erteilte Streitpatent mit der Bezeichnung „Constrained prothetic knee with rotating bearing“ betrifft eine eingeschränkte Knieprothese mit rotierendem Lager, wurde am 9. Mai 2012 veröffentlicht und umfasst 15 Patentansprüche, von denen die Ansprüche 1, 2, 7 und 8 angegriffen sind.

2

Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:

3

1. Prosthetic knee (20), comprising:

4

a femoral component (22) having a hinge post (40) rotably connected

5

thereto about a rotational axis;

6

a hinge post extension (42) extending from said hinge post (40);

7

a tibial component (24) including a hinge post extension aperture (110), whereby said hinge post extension (42) is positioned within said hinge post extension aperture (110) when the prosthetic knee is operably assembled, whereby said hinge post (40) is fully constrained by said tibial component (24) against displacement in a direction perpendicular to a longitudinal axis of said hinge post extension (42), and whereby said femoral component (22) is rotable about said longitudinal axis of said hinge post extension (42); and

8

a meniscal component (26) positioned between said femoral component (22) and said tibial component (24), said femoral component (22) including a condylar bearing surface (28, 30), said meniscal component (26) including a cooperative bearing surface (86, 88) abutting said condylar bearing surface (28, 30) of said femoral component (22),

9

wherein the meniscal component (26) forms a rotating bearing which allows rotational movement between the meniscal component (26) and the tibial component (24) about the longitudinal axis, wherein the longitudinal axis is positioned anteriorly with respect to the rotational axis,

10

characterized in that

11

the hinge post (40) and hinge post extension (42) include cooperating locking tapers (46) for locking the hinge post extension (42) to the hinge post (40).

12

Patentanspruch 1 lautet in der deutschen Übersetzung:

13

1. Knieprothese (20), umfassend:

14

eine Femurkomponente (22) mit einem Gelenkzapfen (40), der daran um eine Drehachse drehbar verbunden ist;

15

eine Gelenkzapfenverlängerung (42), die sich von dem Gelenkzapfen (40) erstreckt;

16

eine Tibiakomponente (24), die eine Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (110) aufweist, wodurch die Gelenkzapfenverlängerung (42) in der Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (110) positioniert ist, wenn die Knieprothese funktional zusammengesetzt ist, wodurch der Gelenkzapfen (40) durch die Tibiakomponente (24) vollständig an einer Verlagerung in einer Richtung rechtwinklig zu einer Längsachse der Gelenkzapfenverlängerung (42) gehindert ist, und wodurch die Femurkomponente (22) um die Längsachse der Gelenkzapfenverlängerung (42) drehbar ist;

17

und

18

eine Meniskuskomponente (26), die zwischen der Femurkomponente (22) und der Tibiakomponente (24) positioniert ist, wobei die Femurkomponente (22) eine Kondylenlagerfläche (28, 30) aufweist, wobei die Meniskuskomponente (26) eine zusammenwirkende Lagerfläche (86, 88) aufweist, die an der Kondylenlagerfläche (28, 30) der Femurkomponente (22) anliegt,

19

wobei die Meniskuskomponente (26) ein Drehlager bildet, das eine Drehbewegung zwischen der Meniskuskomponente (26) und der Tibiakomponente (24) um die Längsachse zulässt, wobei die Längsachse anterior in Bezug auf die Drehachse positioniert ist,

20

dadurch gekennzeichnet, dass

21

der Gelenkzapfen (40) und die Gelenkzapfenverlängerung (42) zusammenwirkende Verriegelungskonen (46) zum Verriegeln der Gelenkzapfenverlängerung (42) an dem Gelenkzapfen (40) umfassen.

22

Patentanspruch 2 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:

23

2. Prostetic knee according to claim 1,

24

wherein the meniscal component (26) is free to rotate about the hinge post (40) during flexion and extension.

25

Patentanspruch 2 lautet in der deutschen Übersetzung:

26

2. Knieprothese nach Anspruch 1,

27

wobei die Meniskuskomponente (26) frei um den Gelenkzapfen (40) während der Flexion und Extension drehen kann.

28

Patentanspruch 7 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:

29

7. Prosthetic knee according to any of the preceding claims,

30

wherein the hinge post (40) has a hinge post extension aperture (112), the hinge post extension (42) has a locking taper (46) and a cylindrical extension (48), and the locking taper (46) is adapted to be seated in the hinge post extension aperture (112) and locked therein.

31

Patentanspruch 7 lautet in der deutschen Übersetzung:

32

7. Knieprothese nach einem der vorhergehenden Ansprüche,

33

wobei der Gelenkzapfen (40) eine Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (112) aufweist, die Gelenkzapfenverlängerung (42) einen Verriegelungskonus (46) und eine zylindrische Verlängerung (48) aufweist und der Verriegelungskonus (46) dazu ausgebildet ist, in der Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (112) zu sitzen und darin zu verriegeln.

34

Patentanspruch 8 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:

35

8. Prosthetic knee according to any of the preceding claims,

36

wherein the condylar bearing surface of the femoral component (22) comprises a pair of condylar surfaces (28, 30), the hinge post (40) being rotably connected to the femoral component (22) between the condylar surfaces (28, 30) of the femoral component (22).

37

Patentanspruch 8 lautet in der deutschen Übersetzung:

38

8. Knieprothese nach einem der vorhergehenden Ansprüche,

39

wobei die Kondylenlagerfläche der Femurkomponente (22) ein Paar von Kondylenflächen (28, 30) umfasst, wobei der Gelenkzapfen (40) drehbar mit der Femurkomponente (22) zwischen den Kondylenflächen (28, 30) der Femurkomponente (22) verbunden ist.

40

Wegen des Wortlauts der Ansprüche 3 bis 6 und 9 bis 15 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

41

Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin die mangelnde Patentfähigkeit des jeweiligen Gegenstands der Patentansprüche 1, 2, 7 und 8 des Streitpatents geltend.

42

Sie hat folgende Schriften bzw. Dokumente vorgelegt:

43

 NK1  EP 2 272 468 B1 (Streitpatent)

44

 NK2  Registerauszug aus dem Patentregister des DPMA zum Streitpatent

45

 NK3  US 5,370,701 („Finn“)

46

 NK4  Merkmalsgliederung der Patentansprüche 1, 2, 7 und 8 des Streitpatents

47

 NK5  US 5,011,496 („Forte“)

48

 NK6  US 5,766,267 („Goodman“)

49

 NK7  US 4,219,893 („Noiles“)

50

 NK8  Kopie der Klageschrift zum LG Mannheim v. 14.05.2014

51

 NK9  Verfügung der 7. Zivilkammer des LG Mannheim v. 23.06.2014

52

 NK10  Mitteilung der 7. Zivilkammer des LG Mannheim v. 02.07.2014

53

 NK11  Klageerwiderung der Beklagten beim LG Mannheim v. 30.09.2014

54

 NK12  Wikipedia-Auszug „Reibungskoeffizient“

55

 NK13  Wikipedia-Auszug „Schnappverbindung“

56

 NK14  Auszug aus DuPont™ Technische Kunststoffe – Allgemeine

57

   Konstruktionsprinzipien – Modul I

58

 NK15  US 4,834,081

59

 NK16  DE 199 15 053 A1

60

 NK17  EP 0716 839 A1

61

 NK18  Kopie des Urteils des Landgerichts Mannheim vom

   23.01.2015

62

 NK19  Kopie des Streitwertbeschlusses des LG Mannheim

63

   vom 23.01.2015

64

 NK20  Ausdruck auf www.wikipedia.de – Meniskus (Anatomie)

65

 NK21  Ausdruck aus www.ortho-zentrum.de – Meniskus

66

 NK22  EP 0 724 868 A1

67

 NK23  US 4 301 553.

68

Die Klägerin beruft sich darauf, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu, da er aus der NK5 bekannt sei. Weder umfasse Anspruch 1 ein Merkmal, welches definiere, dass die Meniskuskomponente und die Gelenkzapfenverlängerung getrennt ausgebildete Bauteile seien, wie auch die Materialen nicht definiert seien, noch enthalte Anspruch 1 eine Einschränkung dahingehend, dass die Gelenkzapfenverlängerung nicht gleichzeitig als Lagerbuchse genutzt werden könne. Merkmal 4.1 lasse auch offen, ob nur die Gelenkzapfenverlängerung in die Tibiakomponente hineinragen dürfe und nicht auch der Gelenkzapfen. Der „depending shaft 54“ sei deshalb eine erfindungsgemäße Gelenkzapfenverlängerung des Gelenkzapfens „hinge post 106“, wobei es auch mangels einer Einschränkung im Anspruch unerheblich sei, ob der in die Tibiakomponente hineinragende Überstand geringfügig sei oder nicht.

69

Zudem beruhe der Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die Lehre der NK6 in Verbindung mit der NK5, wie auch der NK6 unter Berücksichtigung der im Prüfungsverfahren genannten NK3 (dort D1), da der Fachmann Veranlassung gehabt habe, die Meniskuskomponente relativ zur Tibiakomponente drehbar gelagert auszubilden. So werde in NK6 bereits darauf hingewiesen, dass die Elemente zum Koppeln des Meniskusteils mit dem Tibiaplateau optional seien wie auch die NK6 ausdrücklich auf die NK3 hinweise.

70

Ausgehend von der Aufgabenstellung, die Knieprothese so zu verbessern, dass sie eine dem natürlichen Kniegelenk möglichst nahe kommende Funktionalität aufweise, sei es deshalb für den Fachmann naheliegend gewesen, die rotierbar gelagerte Meniskuskomponente einzubeziehen, zumal die Kongruenz der zusammenwirkenden Gleitflächen am Femurteil und der Meniskuskomponente vorteilhaft hätten beibehalten werden können und deshalb keineswegs eine Inkompabilität bestanden habe.

71

Auch die mit NK3 vergleichbare Lehre nach NK16 unter Berücksichtigung der NK15 wie auch NK17, welche den einzigen Unterschied einer zylindrischen Presssitzverbindung zeige, führten in naheliegender Weise zur Lehre des Streitpatents. Hinzu komme, dass NK22, die auch einen modularen Gelenkzapfen zeige, insbesondere in Figur 7 (Spalte 8, Zeilen 30 ff.) ausgehend von der fixen Meniskuskomponente eine Reduzierung der Flächenbelastung anstrebe. Bei der NK22 erfolge zudem ebenfalls eine Koppelung der Femur- mit der Tibiakomponente durch das Element 8, welches eine Gelenkzapfenverlängerung darstelle in Verbindung mit dem Element 12, welches einen Gelenkzapfen im Sinne des Streitpatents bilde.

72

Die Klägerin beantragt,

73

das europäische Patent 2 272 468 B1 mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Ansprüche 1, 2, 7, soweit Anspruch 7 direkt auf Anspruch 1 oder 2 rückbezogen ist, und 8, soweit Anspruch 8 direkt auf Anspruch 1 oder 2 rückbezogen ist oder soweit dieser auf den direkt auf Anspruch 1 oder 2 rückbezogenen Anspruch 7 rückbezogen ist, für nichtig zu erklären.

74

Die Beklagten beantragen,

75

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent mit Hilfsanträgen 1a, 1b, 2a, 3a, 4 und 5, eingereicht mit Schriftsätzen vom 5. November 2015 und 28. April 2016, verteidigt wird. Die Beklagten haben durch ihren Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung ferner sinngemäß zu Protokoll erklären lassen:

76

Die genannten Hilfsanträge umfassten die Patentansprüche 1, 2 und 8, daneben werde der Anspruch 7 in seinem Rückbezug auf Anspruch 1 in der geltenden Fassung verteidigt. Darüber hinaus werde Anspruch 2 isoliert verteidigt, ferner Anspruch 8 in seinem Rückbezug auf Anspruch 7 und auf seinen mittelbaren Rückbezug auf Anspruch 1.

77

Der Fassung des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1a werde folgendes Merkmal hinzugefügt: „wherein the hinge post is cannulated along the longitudinal axis“.

78

Der Fassung des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1b werde folgendes Merkmal hinzugefügt: „wherein the hinge post is cannulated along the longitudinal axis, wherein the locking taper for cooperating with the locking taper (46) of the hinge post extension (42) is formed in the cannulation of the hinge post (40).“

79

Der Fassung des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2a werde folgendes Merkmal hinzugefügt: „wherein the hinge post (40) is a cannulated hinge post (40), wherein the hinge post extension (42) may be anteriorly positioned and secured through the cannulation of the hinge post (40).“

80

Der Fassung des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3a werde folgendes Merkmal hinzugefügt: „wherein the hinge post (40) is a cannulated hinge post (40), wherein the locking taper for cooperating with the locking taper (46) of the hinge post extension (42) is formed in the cannulation of the hinge post (40), and wherein means for securing the hinge post extension (42) in the hinge post (40) are formed in the cannulation of the hinge post (40).“

81

Der Fassung des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 4 werde folgendes Merkmal hinzugefügt: „wherein the hinge post extension (42) is secured in the hinge post (40) by means of a threaded securing element (38).“

82

Der Fassung des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 5 werde folgendes Merkmal hinzugefügt: „wherein the hinge post extension (42) is secured in the hinge post (40) by means of a threaded securing element (38), and wherein the hinge post (40) is cannulated and the securing element (38) is arranged proximal with respect to the cooperating locking tapers (46) in the hinge post (40).“

83

Die Beklagten treten in der Sache den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und erachten das Streitpatent für patentfähig. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu gegenüber der NK5, da die dort bekannte Knieprothese keinen modularen Gelenkzapfen, wie er durch die Merkmale 2, 3 und 10 des Anspruchs 1 definiert werde, und auch keine Verriegelungskonen aufweise. Insbesondere zeige der dortige „depending shaft 54“ keine zum modularen Gelenkzapfen separate Gelenkzapfenverlängerung 42, sondern einen einstückigen Gelenkzapfen 106 und eine Meniskusverlängerung 54 aus Kunststoff, die als Lagerbuchse zwischen dem Gelenkzapfen 106 und der Tibiakomponente 14 diene.

84

Dieser Gegenstand beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit, da der Fachmann ausgehend von der NK6 den Einsatz einer drehbaren Meniskuskomponente wegen der abweichenden kinematischen Situation einer fixierten gegenüber einer erfindungsgemäß verdrehbaren Meniskuskomponente nicht in Erwägung ziehen würde: Denn bei der NK6 werde die Rotation dadurch ermöglicht, dass sich die Femurkomponente relativ zur Meniskuskomponente drehen könne - mit entsprechender Ausgestaltung der Artikulationsflächen - wobei diese Komponenten durch eine Schnappverbindung fixiert und nur gemeinsam verdrehbar seien. Die Rotation werde folglich durch die Drehung der Femurkomponente gegenüber der Meniskuskomponente ermöglicht, was im Hinblick auf die für die Lastübertragung sorgenden Artikulationsflächen eine abgestimmte Ausgestaltung erfordere. Letztlich erforderte ein zusätzlicher Freiheitsgrad ein komplettes Neudesign der Knieprothese. Dies gelte auch, wenn man die NK5 als Ausgangspunkt wähle.

85

Der Senat hat den Parteien am 7. September 2015 einen qualifizierten Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 224 ff. d. A.). Im Übrigen wird ferner auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt allen Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 2016 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

86

Die zulässige Klage, mit der im Umfang des beschränkten Angriffs der Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a und Art. 56, 57 EPÜ der Gegenstände der Patentansprüche 1, 2, 7 und 8 des Streitpatents geltend gemacht wird, ist begründet, da sich die angegriffenen Patentgegenstände sowohl in der geltenden als auch der hilfsweise verteidigten Fassung nach den Hilfsanträgen 1a, 1b, 2a, 3a, 4 und 5, vom 5. November 2015 und 28. April 2016 als nicht patentfähig erweisen.

I.

87

1. Der Gegenstand des Streitpatents betrifft eine Knieprothese, insbesondere eine eingeschränkte Knieprothese mit einem modularen Gelenkzapfen und einem Drehlager (siehe Streitpatent NK1 Abs. [0001]).

88

In der Beschreibungseinleitung wird ausgeführt, dass prothetische Kniegelenke entweder als eingeschränktes oder ungezwungenes Kniegelenk ausgebildet sind. Zu eingeschränkten Knieprothesen gehören femorale (Oberschenkel-) und tibiale (Schienbein-) Prothesenkomponenten, die mechanisch durch eine Gelenkstruktur miteinander verbunden sind. (siehe NK1 Abs. [0002]-[0003]).

89

Eingeschränkte Knieprothesen nach dem Stand der Technik beinhalten Konstruktionen, bei denen eine Gelenkzapfen-Verlängerung zunächst innerhalb einer Tibiakomponente positioniert wird (mit einem daraus hervorstehen Ende), und danach mit der Femur-(Oberschenkel-)Komponente verbunden wird, indem der Gelenkzapfen (drehbar an der Femurkomponente befestigt) über den oberen Teil des hervorstehenden Endes der Gelenkzapfen-Verlängerung positioniert wird und danach die Gelenkzapfen-Verlängerung mit dem Gelenkzapfen verbunden wird, beispielsweise durch Einschrauben der Gelenkzapfen-Verlängerung in den Gelenkzapfen. Nach der Erstellung dieser Verbindung wird die Meniskuskomponente in eine Position zwischen der Femurkomponente und der Tibiakomponente geschoben. Als Stand der Technik wird in der Beschreibungseinleitung auf die US 5 370 701 (NK3) verwiesen (siehe NK1 Abs. [0005]-[0006]).

90

2. Als Ziel (Aufgabe) der vorliegenden Erfindung ist in der Streitpatentschrift genannt, eine eingeschränkte Knieprothese mit einem Drehlager so weiterzuentwickeln, dass die Implantation erleichtert wird (siehe NK1 Abs. [0007]).

91

3. Zur Lösung diese Problems schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 erfindungsgemäß eine eingeschränkte Knieprothese vor, die zur Erleichterung der Implantation der Knieprothese in einem relativ-minimal-invasiven Verfahren (siehe NK1 Abs. [0008]) u. a. einen Gelenkzapfen und eine Gelenkzapfenverlängerung besitzt, wobei der Gelenkzapfen und die Gelenkzapfenverlängerung durch zusammenwirkende Verriegelungskonen verriegelt werden (siehe NK1 Anspruch 1).

92

3.1. In der geltenden Fassung lautet Patentanspruch 1 wie folgt (Gliederungspunkte hinzugefügt):

93

1 Prothetic knee (20), comprising:

94

2 a femoral component (22) having a hinge post (40) rotably connected thereto about a rotational axis;

95

3 a hinge post extension (42) extending from said hinge post (40);

96

4 a tibial component (24) including a hinge post extension aperture (110),

97

4.1 whereby said hinge post extension (42) is positioned within said hinge post extension aperture (110) when the prosthetic knee is operably assembled,

98

4.2 whereby said hinge post (40) is fully constrained by said tibial component (24) against displacement in a direction perpendicular to a longitudinal axis of said hinge post extension (42), and

99

4.3 whereby said femoral component (22) is rotable about said longitudinal axis of said hinge post extension (42); and

100

5 a meniscal component (26) positioned between said femoral component (22) and said tibial component (24),

101

6 said femoral component (22) including a condylar bearing surface (28, 30),

102

7 said meniscal component (26) including a cooperative bearing surface (86, 88) abutting said condylar bearing surface (28, 30) of said femoral component (22),

103

8 wherein the meniscal component (26) forms a rotating bearing which allows rotational movement between the meniscal component (26) and the tibial component (24) about the longitudinal axis,

104

9 wherein the longitudinal axis is positioned anteriorly with respect to the rotational axis,

105

characterized in that

106

10 the hinge post (40) and hinge post extension (42) include a cooperating locking tapers (46) for locking the hinge post extension (42) to the hinge post (40).

107

In der deutschen Übersetzung:

108

1 Knieprothese (20), umfassend:

109

2 eine Femurkomponente (22) mit einem Gelenkzapfen (40), der daran um eine Drehachse drehbar verbunden ist;

110

3 eine Gelenkzapfenverlängerung (42), die sich von dem Gelenkzapfen (40) erstreckt;

111

4 eine Tibiakomponente (24), die eine Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (110) aufweist,

112

4.1 wodurch die Gelenkzapfenverlängerung (42) in der Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (110) positioniert ist, wenn die Knieprothese funktional zusammengesetzt ist,

113

4.2 wodurch der Gelenkzapfen (40) durch die Tibiakomponente (24) vollständig an einer Verlagerung in einer Richtung rechtwinklig zu einer Längsachse der Gelenkzapfenverlängerung (42) gehindert ist, und

114

4.3 wodurch die Femurkomponente (22) um die Längsachse der Gelenkzapfenverlängerung (42) drehbar ist; und

115

5 eine Meniskuskomponente (26), die zwischen der Femurkomponente (22) und der Tibiakomponente (24) positioniert ist,

116

6 wobei die Femurkomponente (22) eine Kondylenlagerfläche (28, 30) aufweist,

117

7 wobei die Meniskuskomponente (26) eine zusammenwirkende Lagerfläche (86, 88) aufweist, die an der Kondylenlagerfläche (28, 30) der Femurkomponente (22) anliegt,

118

8 wobei die Meniskuskomponente (28) ein Drehlager bildet, das eine Drehbewegung zwischen der Meniskuskomponente (26) und der Tibiakomponente (24) um die Längsachse zulässt,

119

9 wobei die Längsachse anterior in Bezug auf die Drehachse positioniert ist,

120

dadurch gekennzeichnet, dass

121

10 der Gelenkzapfen (40) und die Gelenkzapfenverlängerung (42) zusammenwirkende Verriegelungskonen (46) zum Verriegeln der Gelenkzapfenverlängerung (42) an dem Gelenkzapfen (40) umfassen.

122

Die folgenden angegriffenen Ansprüche 1, 2, 7 und 8 sind jeweils unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen.

123

3.2 Die Ansprüche 1 der Hilfsanträge 1a, 1b, 2a, 3a, 4 und 5 weisen in der von der Beklagten beantragten Reihenfolge folgende nach Merkmalen gegliederte Änderungen auf:

124

Hilfsantrag 1a

125

Hilfsantrag 1a fügt in Anspruch 1 das Merkmal 11.1a hinzu (Fassung in der deutschen Übersetzung durch Kursivdruck gekennzeichnet):

126

11.1a wherein the hinge post (40) is cannulated along the longitudinal axis

127

 wobei der Gelenkzapfen (40) entlang der Längsachse kanüliert ist.

128

Hilfsantrag 1b

129

Hilfsantrag 1b präzisiert in Anspruch 1 das Merkmal 11.1a des Hilfsantrags 1a durch das zusätzliche Merkmal 11.1.b (Fassung in der deutschen Übersetzung durch Kursivdruck gekennzeichnet):

130

11.1b wherein the locking taper for cooperating with the locker taper (46) of the hinge post extension (42) is formed in the cannulation of the hinge post (40)

131

wobei in der Kanülierung des Gelenkzapfens (40) der Verriegelungskonus zum Zusammenwirken mit dem Verriegelungskonus (46) der Gelenkzapfenverlängerung (42) gebildet ist.

132

Hilfsantrag 2a (HA + 11.1' + 11.2a = H1' + 11.2a)

133

Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2a werden gegenüber dem Hauptantrag folgende Merkmale eingefügt (Fassung in der deutschen Übersetzung durch Kursivdruck gekennzeichnet):

134

11.1' wherein the hinge post (40) is a cannulated hinge post (40)

135

 wobei der Gelenkzapfen (40) ein kanülierter Gelenkzapfen (40) ist.

136

11.2a wherein the hinge post extension (42) may be anteriorly positioned and secured through the cannulation of the hinge post (40)

137

wobei die Gelenkzapfenverlängerung (42) durch die Kanülierung des Gelenkzapfens (40) anterior positioniert und gesichert werden kann.

138

Hilfsantrag 3a

139

Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3a enthält das Merkmal 11.1‘ aus Hilfsantrag 2a und zusätzlich noch das Merkmal 11.3 (Fassung in der deutschen Übersetzung durch Kursivdruck gekennzeichnet):

140

11.1' wherein the hinge post (40) is a cannulated hinge post (40)

141

 wobei der Gelenkzapfen (40) ein kanülierter Gelenkzapfen (40) ist.

142

11.3a wherein the locking taper for cooperating with the locking taper (46) of the hinge post extension (42) is formed in the cannulation of the hinge post (40), and wherein means for securing the hinge post extension (42) in the hinge post (40) are formed in the cannulation of the hinge post (40).

143

wobei in der Kanülierung des Gelenkzapfens (40) der Verriegelungskonus zum Zusammenwirken mit dem Verriegelungskonus (46) der Gelenkzapfenverlängerung (42) gebildet ist,

144

und wobei in der Kanülierung des Gelenkzapfens (40) Mittel zum Sichern der Gelenkzapfenverlängerung (42) in dem Gelenkzapfen (40) gebildet sind.

145

Hilfsantrag 4

146

Anspruch 1 nach Hilfsantrag 4 enthält gegenüber dem Hauptantrag das zusätzliche Merkmal 11.4 (Fassung in der deutschen Übersetzung durch Kursivdruck gekennzeichnet):

147

11.4 wherein the hinge post extension (42) is secured in the hinge post (40) by means of the threaded securing element (38).

148

wobei die Gelenkzapfenverlängerung (42) in dem Gelenkzapfen (40) mittels eines ein Gewinde aufweisendes Sicherungselement (38) gesichert ist.

149

Hilfsantrag 5

150

Anspruch 1 nach Hilfsantrag 5 enthält gegenüber dem Hilfsantrag 4 das Merkmal 11.1 und das zusätzliche Merkmal 11.5 (Fassung in der deutschen Übersetzung durch Kursivdruck gekennzeichnet):

151

11.1 und wherein the hinge post (40) ist cannulated

152

 und wobei der Gelenkzapfen (40) kanüliert ist.

153

11.5 and the securing element (38) is arranged proximal with respect to the cooperating locking tapers (46) in the hinge post (40)

154

und das Sicherungselement (38) proximal in Bezug auf die zusammenwirkenden Verriegelungskonen (46) in dem Gelenkzapfen (40) angeordnet ist.

155

4. Als den zur objektiven Problemlösung berufenen Fachmann sieht der Senat einen mit der Entwicklung von Knieprothesen befassten Ingenieur der Fachrichtung Medizintechnik, der eng mit einem Facharzt zusammenarbeitet und diesen bei der Entwicklung hinsichtlich der klinisch-medizinischen Fragestellungen zu Rate zieht oder ein Team bildet.

156

Dem Fachwissen dieses Teams ist die Fachkenntnis hinsichtlich der Knie-Anatomie zuzuordnen, wie sie in den Druckschriften

157

NK20  Ausdruck aus www.wikipedia.de - Meniskus (Anatomie)

158

NK21  Ausdruck aus www.ortho-zentrum.de - Meniskus dargestellt ist.

II.

159

Aufgrund der nach Art.  69 Abs. 1 EPÜ maßgeblichen Auslegung des Inhalts der Patentansprüche und der am technischen Sinn- und Gesamtzusammenhang der Patentschrift orientierenden Betrachtung durch den angesprochenen Fachmann legt der Senat der Lehre nach Anspruch 1 und der Bedeutung der einzelnen Merkmale folgendes Verständnis bei unbefangener Betrachtung durch den angesprochenen Fachmann unter Einziehung seines Vorverständnisses (BGH GRUR 2008, 878 - Momentanpol II) zu Grunde:

160

1. Der Fachmann erkennt, dass der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 und der Hilfsanträge folgende Komponenten umfasst (funktionale Merkmalsgliederung):

161

[Die Merkmale aus den Hilfsanträgen sind durch Kursivdruck gekennzeichnet]

162

K1 Femurkomponente (22) - ist um die Längsachse der Gelenkzapfenverlängerung (42) drehbar (M4.3) - weist eine Kondylenlagerfläche (28, 30) auf (M6)

163

K2 Tibiakomponente - weist eine Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (110) auf (M4)

164

K3 Meniskuskomponente - ist zwischen der Femurkomponente (22) und der Tibiakomponente (24) positioniert (M5) - weist eine zusammenwirkende Lagerfläche (86, 88) auf, die an der Kondylenlagerfläche (28, 30) der Femurkomponente (22) anliegt (M7) - bildet ein Drehlager, das eine Drehbewegung zwischen der Meniskuskomponente (26) und der Tibiakomponente (24) um die Längsachse zulässt (M8) - wobei die Längsachse anterior in Bezug auf die Drehachse positioniert ist (M9)

165

K4 Gelenkzapfen (40),  - ist an der Femurkomponente um eine Drehachse drehbar verbunden (M2) - ist durch die Tibiakomponente (24) vollständig an einer Verlagerung in einer Richtung rechtwinklig zu einer Längsachse der Gelenkzapfenverlängerung (42) gehindert (M4.2), - umfasst Verriegelungskonen zum Verriegeln an der Gelenkzapfenverlängerung (42) (M10) - kanüliert (M11.1' in H2a, H3 und H5) - entlang der Längsachse kanüliert (M11.1a/11.1b in H1a und H1b) - wobei in der Kanülierung des Gelenkzapfens (40) der Verriegelungskonus zum Zusammenwirken mit dem Verriegelungskonus (46) der Gelenkzapfenverlängerung (42) gebildet ist (M11.1b in H1b) - wobei in der Kanülierung des Gelenkzapfens (40) der Verriegelungskonus zum Zusammenwirken mit dem Verriegelungskonus (46) der Gelenkzapfenverlängerung (42) gebildet ist (M11.3a in H3a)

166

K5 Gelenkzapfenverlängerung - erstreckt sich von dem Gelenkzapfen (40) (M3) - befindet sich in der Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (110) der Tibiakomponente, wenn die Knieprothese funktional zusammengesetzt ist (M4.1)  - umfasst Verriegelungskonen zum Verriegeln am Gelenkzapfen (40) (M10) - kann durch die Kanülierung des Gelenkzapfens anterior positioniert und gesichert werden (40) (M11.2a in H2a)

167

K6 Sichern der Gelenkzapfenverlängerung [Hilfsanträge],   - Mittel zum Sichern der Gelenkzapfenverlängerung (42) sind in der Kanülierung des Gelenkzapfens (40) gebildet (M11.3a in H3a) - Sicherungselement (38) in dem Gelenkzapfen (40) weist ein Gewinde auf (M11.4 in H4 und H5) - Sicherungselement (38) ist proximal in Bezug auf die zusammenwirkenden Verriegelungskonen (46) in dem Gelenkzapfen (40) angeordnet (M11.5 in H5)

168

2. Die erfindungsgemäße Knieprothese betrifft danach eine eingeschränkte Knieprothese (constrained prothetic knee) mit Drehlager, die als totaler Oberflächen-Gelenksersatz (Ersatz beider Seiten eines Kniegelenkes) dient und bei welcher die Oberschenkelkomponente (Femurkomponente) mit der Unterschenkelkomponente mechanisch über eine Gelenkstruktur verbunden ist.

169
Abbildung
170

Diese um die Drehachse gelagerte Verbindung ersetzt die beim Kniegelenk vorhandenen Bänder, wobei auch die Prothese zusätzlich durch die Ausbildung des Drehlagers eine Drehbewegung um die Längsachse zulassen kann, sei es durch eine mittels eines Gelenkzapfens drehbare gelagerte Femurkomponente oder - wie erfindungsgemäß beansprucht und den Aufgaben der Menisken im Kniegelenk angenähert - durch ein zusätzlich gegenüber der Tibiakomponente als Drehlager ausgebildetes Meniskuselement, das gegenüber der Femur- und Tibiakomponente beweglich ist. Dadurch entstehen in einer solchen Prothese („mobile-bearing“ Prothese) wie im natürlichen Kniegelenk zwei Artikulationsflächen, wodurch eine größere Kontaktfläche vorhanden ist als bei Systemen, bei denen die Meniskuskomponente fest mit der Tibiakomponente verbunden ist („fixed-bearing“-System).

171

Auch das Streitpatent setzt die Kenntnis der im Prioritätszeitpunkt im Stand der Technik bekannten unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien von fixed-bearing und mobile-bearing Kniegelenksendoprothesen und deren Vor- und Nachteile voraus und fokussiert ein konstruktives Problem, nämlich der erforderlichen mechanischen Verbindung von Femurkomponente (22) und Tibiakomponente (24) und der im Streitpatent erwähnten Vereinfachung der Implantation, welche im Kern durch die beanspruchte Ausgestaltung von Gelenkzapfen (40) und Gelenkzapfenverlängerung (42) sowie der Verankerung in der Tibiakomponente (24) gelöst werden soll.

172

Die nebenstehend wiedergegebene Figur 2 stammt aus der Streitpatentschrift und zeigt die erfindungsgemäße Knieprothese (20), die den mit dem Gelenkzapfen (40) und der Gelenkzapfenverlängerung (42) zusammenwirkende Verriegelungskonen (46) zum Verriegeln der Gelenkzapfenverlängerung (42) an dem Gelenkzapfen (40) umfasst.

173

3. Im Einzelnen sieht der Senat sich zur Auslegung zu folgenden Anmerkungen veranlasst:

174

3.1. Anspruch 1 stellt nach Merkmal 1 eine Knieprothese mit einer Tibiakomponenente (24), und einer Femurkomponente (22) (Merkmale 2 und 4) als totalen Oberflächen-Gelenksersatz (Ersatz beider Seiten eines Kniegelenkes) unter Schutz. Nach Merkmal 2 weist die Femurkomponente (22) einen Gelenkzapfen (hinge post 40) auf, der daran um eine Drehachse drehbar verbunden ist. Weiter ist nach den Merkmalen 4 und 4.3 eine Gelenkzapfenverlängerung vorhanden, wobei die Femurkomponente (22) um die Längsachse der Gelenkzapfenverlängerung (42) drehbar ist. Es handelt sich bei der beanspruchten Knieprothese somit um eine eingeschränkte Knieprothese („Scharnierprothese“), bei der die Tibiakomponente (24) und die Femurkomponente (22) mechanisch durch eine Gelenkstruktur (Gelenkzapfen und Gelenkzapfenverlängerung) miteinander verbunden sind, wobei die Drehung um die Längsachse durch die in die Tibiakomponente hineinragende Gelenkstruktur (Zapfen/hinge) erreicht wird.

175

3.2. Zwischen den Kondylen von Ober- und Unterschenkelknochen liegen im natürlichen Kniegelenk die faserknorpeligen Menisken. Zu den Aufgaben der Menisci gehören eine Vergrößerung der Kontaktfläche zwischen Tibia und Femur sowie der Ausgleich von Inkongruenzen zwischen den Kondylen, den Gelenkflächen von Femur und Tibia. Diese Funktionen übernimmt in der vorliegenden Knieprothese die Meniskuskomponente (26), die zwischen der Femurkomponente (22) und der Tibiakomponente (24) positioniert ist und ein Drehlager (rotating bearing) bildet, das eine Drehbewegung zwischen der Meniskuskomponente (26) und der Tibiakomponente (24) um die Längsachse zulässt, wobei die Längsachse anterior in Bezug auf die Drehachse positioniert ist (Merkmale 9 und 10). Die Ausbildung als Drehlager (auch „mobile bearing“) erfordert - im Gegensatz zu Systemen mit „fixed-bearing“ -, dass die Meniskuskomponente gegenüber den beiden Komponenten Femur- und Tibiakomponente beweglich ist.

176

3.3. Die Knieprothese besitzt einen Gelenkzapfen (hinge post 40) und eine Gelenkzapfenverlängerung (hinge post extension 42). Wenn die Knieprothese funktional zusammengesetzt ist, sind der Gelenkzapfen und die Gelenkzapfenverlängerung verriegelt, die Femurkomponente (22) ist mit dem Gelenkzapfen (40) verbunden (Merkmal 2), und die Gelenkzapfenverlängerung (42) ist in der Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (110) der Tibiakomponenten (24) positioniert (Merkmale 4 und 4.1). Aus dem Wortlaut des Anspruchs ergibt sich damit, dass Gelenkzapfen und Gelenkzapfenverlängerung aus der Sicht des Fachmanns getrennte Bauteile sind und die Gelenkstruktur der eingeschränkten Knieprothese somit modular aufgebaut ist.

177

Die Funktion des Gelenkzapfens und der Gelenkzapfenverlängerung als Gelenkstruktur der Knieprothese ergibt sich aus den Merkmalen 2 und der Merkmalsgruppe 4: Die Femurkomponente (22) ist um den Gelenkzapfen bezüglich der Drehachse drehbar gelagert (Merkmal 2). Dies entspricht der Beugung/Flexion des Kniegelenks. Zusätzlich ist - wie im natürlichen Kniegelenk - eine Drehbewegung/Rotation der Femurkomponente um eine Längsachse (Achse durch Gelenkzapfen bzw. Gelenkzapfenverlängerung) möglich (Merkmale 4.3 und 8). Dabei befindet sich die Längsachse (= Achse der Drehbewegung) anterior in Bezug auf die Drehachse (= Achse der Beugung) (Merkmal 9), d. h. die Längsachse befindet sich näher an der Kniescheibe. Weiter ist der Gelenkzapfen (40) durch die Tibiakomponente (24) vollständig an einer Verlagerung in einer Richtung rechtwinklig zu einer Längsachse der Gelenkzapfenverlängerung (42) gehindert (Merkmal 4.2).

178

Die Verriegelung zwischen Gelenkzapfen (40) und Gelenkzapfenverlängerung (42) erfolgt mittels zusammenwirkender Verriegelungskonen (46) (Merkmal 10), die an den zusammenwirkenden Flächen kegelförmig ausgebildet sind und mittels Pressverbindung an den Kegelflächen fest (und lösbar) verbunden sind. Dies schließt jedoch nicht aus, dass weitere Verriegelungselemente vorhanden sind (siehe auch Stopfen 38 und Gewinde 54). Ebenso wird keine Aussage zu den verwendeten Materialien an den Verriegelungskonen getroffen. Für die Selbsthemmung der Verriegelungskonen wird der Fachmann geeignete Materialien auswählen.

179

Zwar sind Gelenkzapfen und Gelenkzapfenverlängerung getrennte Bauteile, dies gilt aber nicht zwingend für die Gelenkzapfenverlängerung und die Meniskuskomponente, zu dessen Ausgestaltung Patentanspruch 1 keine Vorgabe macht, sondern die lediglich funktional definiert sind („Meniskuskomponente“, „Gelenkzapfenverlängerung“). Ob die Gelenkzapfenverlängerung und die Meniskuskomponente getrennte Komponenten sind, bleibt in Patentanspruch 1 offen und auch der Beschreibung lässt sich insoweit kein Anhalt für eine solche Konkretisierung entnehmen. In der Beschreibung sind zwar separate Komponenten für Gelenkzapfenverlängerung und Meniskuskomponente gezeigt. Dabei handelt es sich aber lediglich um ein besonders vorteilhaftes Ausführungsbeispiel, das den weiter gefassten Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht zu beschränken vermag (vgl. BGH GRUR 2015, 972 - Kreuzgestänge).

180

Hinsichtlich der in Merkmal 4.2 enthaltenen Anweisung an den Fachmann erfordert dieses Merkmal, dass die Komponenten Gelenkzapfen (40) und Gelenkzapfenverlängerung (42) in zusammengesetztem Zustand die im Merkmal angegebene Funktionalität aufweisen, also „der Gelenkzapfen (40) durch die Tibiakomponente (24) vollständig an einer Verlagerung in einer Richtung rechtwinklig zu einer Längsachse der Gelenkzapfenverlängerung (42) gehindert ist“. Dabei ist unbeachtlich, ob der Gelenkzapfen alleine das Merkmal 4.2 erfüllt.

181

In den Hilfsanträgen 2a, 3 und 5 wird beansprucht, dass der Gelenkzapfen kanüliert ist, nach Hilfsantrag 1a ist weiter präzisiert, dass der Gelenkzapfen entlang der Längsachse, d. h. entlang der Längsachse der Gelenkzapfenverlängerung (nach Merkmal 4.2), durchbohrt ist.

182

Dabei ist in Hilfsantrag 3a zusätzlich angegeben, dass in dieser Bohrung (Kanülierung) des Gelenkzapfens (40) der Verriegelungskonus zum Zusammenwirken mit dem Verriegelungskonus (46) der Gelenkzapfenverlängerung (42) gebildet ist. Diese Eigenschaft fügt der Bohrung entlang der Längsachse kein weiteres strukturelles Merkmal hinzu, da aufgrund der Festlegung der Achse der Bohrung auf die Achse des Gelenkzapfens keine andere räumliche Anordnung für den Verriegelungskonus möglich ist.

183

Nach Merkmal 11.2a in Hilfsantrag 2a wird durch die Kanülierung erreicht, dass die Gelenkzapfenverlängerung anterior positioniert und gesichert wird, wobei die Position der Gelenkzapfenverlängerung bereits durch den geltenden Anspruch vorgegeben ist, da nach Merkmal 9 die Längsachse anterior positioniert ist.

Abbildung

184

3.4. In den Hilfsanträgen 3a bis 5 werden zusätzlich zum Verriegelungskonus Mittel zum Sichern der Gelenkzapfenverlängerung (42) in der Kanülierung des Gelenkzapfens (40) beansprucht. In Hilfsantrag 3a sind diese Mittel unbestimmt, nach Hilfsantrag 4 wird die Sicherung durch ein Sicherungselement (38) mit Gewinde, das nach Hilfsantrag 5 proximal in Bezug auf die zusammenwirkenden Verriegelungskonen (46) in dem Gelenkzapfen (40) angeordnet ist.

185

Ein Ausführungsbeispiel ist in den Figuren 2 bis 4 gezeigt, wobei das Sicherungselement (hinge plug 38) proximal in die Kanülierung eingeführt und festgeschraubt wird. Die Fassung der Merkmale zu den Mitteln des Sicherungselements (Merkmale M11.3a, M11.4 und M11.5) lässt jedoch eine breite Auslegung zu und legt damit das Sicherungselement nicht auf diese spezielle Ausführung als hinge plug 38 nach den Figuren 2 bis 4 fest.

III.

186

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1a, 1b 2a, 3a, 4 und 5 erweist sich als nicht patentfähig, da die beanspruchte Lehre zwar neu ist (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 52, 54 EPÜ), jedoch für den angesprochenen Fachmann im Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents durch den Stand der Technik nahegelegt war (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ, Art. 56 EPÜ); der auf fehlende Patentfähigkeit gerichtete Nichtigkeitsangriff erweist sich daher als begründet.

187

1.  Patentfähigkeit von Patentanspruch 1 nach Hauptantrag:

188

1.1. Neuheit gegenüber NK5 (US 5,011,496 (Forte))

Abbildung

189

Die NK5 zeigt in Fig. 14 eine eingeschränkte Knieprothese (constrained ('hinged') artificial knee joint) mit einer Femurkomponente (femoral component 10) mit einem Gelenkzapfen (hinge post 106), der daran um eine Drehachse (hinge pin 116) drehbar verbunden ist und einer Tibiakomponente (tibial sleeve component 14), die eine Öffnung (aperture 56) aufweist (vgl. NK5 Sp. 7 Z. 24-46, Sp. 9 Z. 6-24, Fig. 14) [= Merkmale 1 und 2].

190

Weiter ist eine Meniskuskomponente (tibial plateau component 12) vorhanden, die zwischen der Femurkomponente (10) und der Tibiakomponente (14) positioniert ist (vgl. NK4 Fig. 14) [= Merkmal 5].

191

Dabei weist die Femurkomponente (10) eine Kondylenlagerfläche (bearing surfaces 130) und die Meniskuskomponente (12) eine zusammenwirkende Lagerfläche (surfaces 132) auf, die an der Kondylenlagerfläche (130) der Femurkomponente (10) anliegt (vgl. NK5 Sp. 9 Z. 27-30: „Specifically, the bearing surfaces associated with the femoral side of the joint comprise surfaces 130 and lower outer surface 134 of hinge pin.“) [= Merkmale 6 und 7].

Abbildung

192

Diese Meniskuskomponente bildet auch ein Drehlager, das eine Drehbewegung zwischen der Meniskuskomponente (12) und der Tibiakomponente (14) um die Längsachse zulässt (vgl. NK5 Fig. 14 Sp. 7 Z. 40-45: „... this arrangement of these components allows tibial sleeve 14 to rotate with respect to tibial plateau component 12 as the femur and tibia move from a position of full extension to a position of flexion. This rotation of the tibia about its longitudinal axis during flexion is normally in the range of 10°-15°.“) [= Merkmal 8]. Dabei ist die Längsachse (Achse durch „hinge post 106“) anterior in Bezug auf die Drehachse (Achse durch „hinge pin 116“) positioniert (vgl. NK5 Fig.15) [= Merkmal 9].

193

Die Meniskuskomponente besitzt einen Schaft (depending shaft 54). Dieser ist mit dem Gelenkzapfen (106) verbunden, wenn die Knieprothese funktional zusammengesetzt ist, und erstreckt sich in die Öffnung (56) der Tibiakomponente (14). Der Schaft (54) der Meniskuskomponente (12) bildet eine Lagerhülse für den Gelenkzapfen und umhüllt diesen an der Seite und an der Unterseite (vgl. NK5 Fig. 15) und verlängert den Gelenkzapfen damit auch in Richtung der Tiabiakomponente (14) (vgl. NK5 Fig. 14, 15).

194

Weiter ist die Femurkomponente (10) um die Längsachse des Schafts der Meniskuskomponente (12) drehbar (vgl. NK5 Sp. 7 Z. 33-46: „this arrangement of these components allows tibial sleeve 14 to rotate with respect to tibial plateau component 12 as the femur and tibia move from a position of full extension to a position of flexion. This rotation of the tibia about its longitudinal axis during flexion is normally in the range of 10°-15°“) [= Merkmal 4.3].

195

Im zusammengesetzten Zustand mit dem Schaft (54) der Meniskuskomponente (12) ist der Gelenkzapfen (106) durch die Tibiakomponente (14) vollständig an einer Verlagerung rechtwinklig zur Längsachse der Tibiakomponente gehindert (vgl. NK5 Fig. 15 Achse durch „hinge post 106“ bzw. „depending shaft 54) [= Merkmal 4.2]. Dabei ist irrelevant, ob diese Funktion zumindest teilweise bereits durch den Gelenkzapfen allein erfüllt wird. Der Schaft (54) erfüllt damit die in Anspruch 1 angegebenen Merkmale der Gelenkzapfenverlängerung und kann daher als erfindungsgemäße Gelenkzapfenverlängerung angesehen werden. Ein Aufbau des Gelenkzapfens, der die Implantation erleichtert, ist entgegen der Auffassung der Beklagten für diese Gelenkstruktur aus Gelenkzapfenverlängerung und Gelenkzapfen nicht erforderlich, da diese Eigenschaft keinen Niederschlag im geltenden Anspruch 1 gefunden hat.

196

Jedoch ist in der NK5 das Merkmal 10 (zusammenwirkende Verriegelungskonen zum Verriegeln der Gelenkzapfenverlängerung an dem Gelenkzapfen) nicht erfüllt. Zwar zeigt die NK5 in Fig.15 unterschiedliche Konuswinkel, ebenso lehrt sie unterschiedliche Materialien für den Gelenkzapfen (106) und die Gelenkzapfenverlängerung (Schaft 54) (vgl. NK5 Sp. 9 Z. 64 bis Sp.10 Z. 8). Das von Merkmal 10 geforderte Zusammenwirken der Verriegelungskonen setzt nämlich eine gewisse Pressspannung zwischen den zu verriegelnden Konen voraus. Gegen das Vorliegen einer Presspassung bei der NK15 spricht jedoch, dass sich die Lagerflächen (130) der Femurkomponente auf den Lagerflächen der Meniskuskomponente (12) abstützen, um dort die Lastübertragung stattfinden zu lassen. Eine Lastübertragung an einer anderen Stelle, wie beispielsweise eine Presspassung zwischen Schaft (54) und Gelenkzapfen (106), würde zu einer Doppelpassung führen, was der Fachmann vermeidet.

197

Eine Presspassung ist nach der Lehre der NK15 auch nicht erforderlich, da eine Schnappverbindung zwischen dem Kragen (110) des Gelenkzapfens (106) und dem Rand (bead 108) der Meniskuskomponente (12) vorhanden ist, und damit der Gelenkzapfen (106) am Schaft (54) gesichert ist (vgl. NK5 Sp. 9 Z. 12-14: „The hinge post is mounted to the tibial plateau by snapping flanges 110 under beads 108 formed in side walls 122“). Der Fachmann würde daher keine Verriegelung zwischen Gelenkzapfen (106) und die Gelenkzapfenverlängerung (Schaft 54) vorsehen. Damit ist Merkmal 10 - obwohl in der Streitpatentschrift die Größe der Verriegelungskraft nicht definiert ist - in der NK5 nicht erfüllt.

198

Im Ergebnis erweist sich die NK5 daher nicht als neuheitsschädlich.

199

1.2. Erfinderische Tätigkeit

200

Bezogen auf den maßgeblichen Prioritätszeitpunkt des Streitpatents ist die angegriffene Lehre nach Patentanspruch 1 in sämtlichen verteidigten Fassungen auch ausgehend von der NK6 auch nahe gelegt.

201

1.2.1. Für die Beurteilung, ob eine beanspruchte Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist von dem auszugehen, was der Gegenstand der Erfindung in der Gesamtheit seiner Lösungsmerkmale in ihrem technischen Zusammenhang (BGH GRUR 2007, 1055 – Papiermaschinengewebe) gegenüber dem Stand der Technik im Ergebnis tatsächlich leistet (BGH GRUR 2010, 607 - Fettsäurezusammensetzung), wobei verschiedene Ausgangspunkte in Betracht zu ziehen sein können (BGH GRUR 2009, 1039 - Fischbissanzeiger).

202

Ausgangspunkt für eine Suche des Fachmanns nach Lösung des Problems, eine verbesserte eingeschränkte Knieprothese zu entwickeln, insbesondere auch im Hinblick auf eine erleichterte Implantation einerseits sowie der Verbesserung der individuellen Patientensituation, und damit Ausgangspunkt für die Beurteilung eines Naheliegens im vorliegenden Fall waren die bekannten eingeschränkten Knieprothesen, die einerseits Meniskuskomponenten als Drehlager oder eine feste Meniskuskomponente beinhalten (mobile oder fixed bearing), wie sie auch in den Schriften NK5/NK7/NK16/NK17 (mobile bearing), NK3/NK6/NK15 (fixed bearing) und NK22 (fixed- und mobile bearing) offenbart sind. Dabei sind sowohl das Konstruktionsprinzip einer „fixed-bearing“-Kniegelenksendoprothese als auch das einer „mobile-bearing“-Prothese mit drehgelagerter Meniskuskomponente im Hinblick auf die genannten unterschiedlichen Vor- und Nachteile als gleichberechtigte Konstruktionsprinzipien anzusehen, welche der Fachmann anwandte und für welche sich die Frage einer Weiterbildung der jeweiligen Lehre stellte.

203

1.2.2. Aus der bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigten NK6 war dem Fachmann eine eingeschränkte Knieprothese bekannt, bei der die Meniskuskomponente nicht als Drehlager ausgebildet ist.

Abbildung

Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen

204

In den Figuren 1 bis 3 ist eine Knieprothese (artificial joint 1000) gezeigt [= Merkmal 1], die eine Femurkomponente (femural component 100, vgl. Nk6 Fig.1, 2) mit einem Gelenkzapfen (rotation device 150) enthält, der daran um eine Drehachse drehbar verbunden ist (vgl. NK6 Fig.3, Sp.3 Z.18-22: „In general, the joint 1000 includes first component 100 having first articular surface 110 and rotation device 150 and includes second component 200 having second articular surface 210 and rotation device receptacle 250.“) [= Merkmal 2].

205

Als Gelenkzapfenverlängerung, die sich von dem Gelenkzapfen (150) erstreckt, dient der Stift (pin 160) mit dem Schaft (cylindrical shaft 161) (vgl. NK6 Sp. 4 Z. 24) [= Merkmal 3].

206

Die Tibiakomponente (second component 200, vgl. Nk6 Fig. 1, 2, Sp. 4 Z. 41-42: „the second component 200 may be considered a tibial component for the knee.“) weist eine Öffnung (rotation device receptacle 250) für diese Gelenkzapfenverlängerung (161) auf (vgl. NK6 Fig. 3) [= Merkmal 4].

207

Dabei ist im funktional zusammengesetzten Zustand die Gelenkzapfenverlängerung (160) in der Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (161) positioniert (vgl. NK6 Fig. 1-3) und der Gelenkzapfen (150) ist durch die Tibiakomponente (200) vollständig an einer Verlagerung in einer Richtung rechtwinklig zu einer Längsachse der Gelenkzapfenverlängerung (160) gehindert (vgl. NK6 Fig. 1 und 2) [= Merkmale 4.1 und 4.2]. Weiter ist auch offenbart, dass die Femurkomponente (100) um die Längsachse der Gelenkzapfenverlängerung (161) drehbar ist (vgl. NK6 Sp. 9 Z. 67-Sp-10 Z. 4: „and wherein said rotation device includes a member rotatable about an axis of rotation in a portion of the femoral component and further includes a generally cylindrical, separable taper-pin, which is insertable and fixable in the rotation device member.“) [= Merkmal 4.3].

208

Die Verbindung zwischen dem Gelenkzapfen (150) und der Gelenkzapfenverlängerung (160) erfolgt mittels Verriegelungskonen (taper lock tip 164) an der Gelenkzapfenverlängerung (160) und korrespondierender Aufnahme (taper pin receptacle 153) am Gelenkzapfen (vgl. NK6 Fig. 3, Sp. 4 Z. 7-10: „taper pin receptacle 153, which advantageously is formed with a Morse-taper-accommodating cup; and punch pin hole 154“, Sp. 4 Z. 29-30: „taper lock tip 164, which is made with the Morse-taper to fix pin receptacle cup 153.“) [= Merkmal 10].

209

Als Meniskuskomponente zwischen der Femurkomponente (100) und der Tibiakomponente (200) dient eine Schicht (tibial tray liner 220), die an ihrer Lagerfläche (second articular surface 210) mit der Lagerfläche (first articular surface 110) der Femurkomponente (100) zusammenwirkt (vgl. NK6 Fig. 2, Sp. 3 Z. 28-31: „when the first articular surface 110 comes in contact with the second articular surface 210 and during articulation (extension, flexion and/or rotation) of the joint 1000.“) [= Merkmale 6 und 7].

Abbildung

210

Weiter ist in Fig. 4 gezeigt, dass die Längsachse der Rotation der Tibiakomponente der Drehachse anterior in Bezug auf die Drehachse des Gelenkzapfens (Flexion) positioniert ist (vgl. NK6 Fig. 4) [= Merkmal 9].

211

Die Meniskuskomponente bildet jedoch kein Drehlager, daher ist das Merkmal 8 (wobei die Meniskuskomponente (28) ein Drehlager bildet, das eine Drehbewegung zwischen der Meniskuskomponente (26) und der Tibiakomponente (24) um die Längsachse zulässt,) nicht offenbart.

212

2 . Ausgehend von dieser Lehre stellte sich dem um Optimierung bemühten Fachmann insbesondere auch die Aufgabe, zur Verbesserung der individuellen Patientensituation eine Optimierung der Kraftübertragung bei erhöhten Belastungen zu erreichen.

213

2 .1. Hierzu gab die NK6 bereits die Richtung vor, die zur Entlastung des Scharniergelenkes eine Verbesserung der Kraftübertragung durch einen möglichst hohen Flächenkontakt lehrt (vgl. NK6 Sp.1 Z. 62-63: „It can transfer load stress in a more natural manner through mating contact of its articular gliding surfaces rather than primarily through a hinge.“), und daher die Artikulationsflächen von Femur- und Meniskuskomponente zueinander passend auszugestalten (vgl. NK6 Sp. 1 Z. 32ff: „The present invention provides, in a general embodiment, an artificial joint which generally has natural load transfer capability comprising a first component including a first articular surface and a rotation device; and a second component including a second articular surface for mating with the first articular surface and a rotation device receptacle- said first component matable to said second component through cooperation of the rotation device and the rotation device receptacle, and wherein said first component can cooperate with said second component in contact of the first and second articular surfaces and in articulation of the joint when said first component is mated to said second component“). Dabei wird der Fachmann jedoch - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht stehen bleiben, sondern nach weiteren Verbesserungen zur Optimierung der Kraftübertragung an den Kontaktflächen suchen.

214

2.2. Wie von der Beklagten ausgeführt, hätte der Fachmann auch die bekannte Verschiebbarkeit der Meniskuskomponente (vgl. NK17) als Weiterbildung in Betracht ziehen können. Jedoch war der Fachmann nicht auf diese Lösung eingeschränkt, sondern erkannte selbstverständlich auch andere Lösungen als diskussionswürdig und erfolgversprechend, wie die ihm geläufige Verdrehbarkeit der Meniskuskomponente als mögliche Lösung seines Problems. Angesichts der insgesamt überschaubaren Zahl von Lösungsansätzen, die bei der gebotenen Orientierung an den vorhandenen Möglichkeiten der Meniskuskomponente in Betracht kamen und von denen jeder spezifische Vor- und Nachteile hat, hatte der Fachmann mithin Veranlassung, jedem dieser Ansätze eine angemessene Erfolgserwartung zuzubilligen und diese als Lösung in Betracht zu ziehen (vgl. BGH GRUR 2012, 803 - Calcipotriol-Monohydrat; GRUR 2012, 261 - E-Mail via SMS).

215

Der Fachmann war auch nicht durch die von der Beklagten aufgeführten, in der NK16 genannten Nachteile von der Anwendung der drehbaren Meniskuskomponente abgehalten (vgl. NK16 Sp. 1 Z. 44 ff: „Eine dritte Art von Knie-Gesamtprothese mit Scharniergelenk besteht darin, den Oberschenkelknochenteil auf einer drehbaren Polyethylenplatte ruhen zu lassen. Die Reibungsfläche wird somit vorteilhafterweise in zwei Schnittflächen aufgeteilt, die erste zwischen der Schienbeinplatte und dem Schienbeinansatz und die zweite zwischen dem Oberschenkelknochenteil und der Schienbeinplatte. Auch daraus folgt eine geringere Abnutzung, aber die Instabilität in der Streckung bleibt aufgrund der freien Drehung. Es gibt insbesondere die nicht vernachlässigbare Gefahr einer unvollständigen Verrenkung des Drehzapfens aus seinem Sitz im Schienbeinansatz heraus.“

216

2.3. Hinweise zur Verbesserung der NK6 in Richtung einer drehbaren Meniskuskomponente fand der Fachmann bereits in dem in der NK6 genannten Stand der Technik, der NK3 und der NK5, die drehgelagerte Meniskuskomponenten verwenden. Mit dem Prinzip des Drehlagers wird aufgrund der rotierenden Meniskuskomponenten die Flächenkongruenz der Artikulationsflächen weiter verbessert. Dieses Fachwissen zeigt auch die NK22, die zu dem Ausführungsbeispiel nach Fig. 7 lehrt, dass sich dadurch zwischen Flexion und Extension eine hohe Kongruenz zwischen den sich berührenden Flächen mit einer entsprechend geringen Flächenbelastung ergibt (vgl. NK22 Sp. 8 Z. 38-43: „Dadurch ergibt sich in jeder Stellung der Kniegelenkprothese zwischen Flexion und Extension eine hohe Kongruenz zwischen den sich berührenden Flächen mit einer entsprechend geringen Flächenbelastung, was einen geringen Verschleiß zur Folge hat.“).

217

Der Fachmann war deshalb aufgrund der bekannte Vorteile der drehbaren Meniskuskomponente veranlasst, die Meniskuskomponente der NK6 nach dem bekannten Prinzip des Drehlagers (rotating/mobile bearing) auszubilden. Auch die in der NK6 im Zusammenhang mit der Lastübertragung angesprochene Nachbildung der Funktionsweise des natürlichen Knies wird dadurch realisiert, da im natürlichen Kniegelenk die Menisci als Drehlager dienen.

218

2.4. Der Übertragung stand entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht entgegen, dass die Artikulationsflächen von Femur- und Meniskuskomponente nach der NK6 zueinander passend ausgestaltet sind, um die Lastübertragung zu erfüllen. Der zusätzliche Freiheitsgrad durch eine rotierende Meniskuskomponente erfordert zwar zusätzliche Anpassungen der Artikulationsflächen, diese sind jedoch - angesichts der bekannten Artikulationsflächen bei rotierenden Meniskuskomponenten - dem fachmännischen Handeln zuzuordnen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der in der NK6 erkannte Vorteil der Lastübertragung und damit die Ausbildung der Artikulationsflächen im Prinzip auch für das Drehlager beibehalten werden können, der Fachmann musste diese Ausbildung also nicht vollkommen aufgeben und umgestalten, sondern er wird die Lastübertragung mittels kongruenter Artikulationsflächen auch bei einer rotierenden Meniskuskomponente beibehalten.

219

Der Ausbildung als drehbare Meniskuskomponente steht auch nicht entgegen, dass sie eine unterschiedliche Montage erfordert. Einerseits ist die Montageart nicht Teil des (Vorrichtungs-)Anspruchs, andererseits zeigt u. a. die Schrift NK22, wie eine drehbare Meniskuskomponente auch bei einer eingeschränkten Knieprothese montiert und verwendet werden kann.

220

Somit bot es sich für den Fachmann in nahe liegender Weise an, die Vorrichtung nach der NK6 mit einer drehgelagerten Meniskuskomponente zu versehen und damit zu der Vorrichtung des Anspruch 1 nach dem Streitpatent zu gelangen.

221

3. Der jeweilige Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß den Hilfsanträgen 1a, 1b, 2a, 3a, 4 und 5 erweist sich ebenfalls als nicht patentfähig, da er für den angesprochenen Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt ist (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ). Es kann daher dahin stehen, ob der Anspruch 1 in der Fassung der jeweiligen Hilfsanträge ursprünglich offenbart und damit zulässig beschränkt ist.

Abbildung

222

3.1. Patentanspruch 1 nach den Hilfsanträgen 1a und 1b

223

3.1.1. Die NK6 zeigt in Fig. 6 die Buchse (receptacle 153) des Gelenkzapfens (150), die entlang der Längsachse ausgebildet ist, wobei in der Buchse der Verriegelungskonus (taper pin) zum Zusammenwirken mit dem Verriegelungskonus (46) der Gelenkzapfenverlängerung (160) gebildet ist (vgl. NK6 Sp. 4 Z. 5-9: „The rotation device 150 includes rotation member 151. which has rotation member hole 152; taper pin receptacle 153, which advantageously is formed with a Morse-taper-accommodating cup; and punch-pin hole 154.“). Über die Tiefe der Bohrung macht die NK6 keine Aussage, in Fig. 3 ist der Boden der Bohrung in der perspektivischen Ansicht nicht sichtbar.

224

Diese Bohrung (Sackloch) als Durchgangsloch (Kanülierung) auszubilden, ist als fachmännische Maßnahme anzusehen, die der Fachmann in Betracht zieht, um die Herstellung zu vereinfachen. Der Fachmann hatte bereits aufgrund der fehlenden Fertigungsangaben zum Gelenkzapfen, Anlass über eine einfache, kostengünstige Herstellung nachzudenken. Nach der Rechtsprechung des BGH kann eine Veranlassung zur Heranziehung einer technischen Lösung bereits auch dann bestehen, wenn diese zum Standard-Repertoire gehörte (BGHZ 200, 229 = GRUR 2014, 461 – Kollagenase), d.h. wenn sie als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel ihrer Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Fachmanns gehörte und sich die Nutzung ihrer Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt sowie keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen (BGH GRUR 2014, 647 – Farbversorgungssystem), I; Senat Urt. v.10.03.2016, 4 Ni 12/13 (EP)- Bohrhilfe). So ist es auch hier.

225

Für die Ausbildung einer Bohrung zum Ineinanderfügen von verschiedenen Komponenten kommt regelmäßig anstatt eines Sacklochs auch eine Durchgangsbohrung in Betracht, da eine Durchgangsbohrung einfacher herzustellen ist. Für das Zusammenfügen konischer Bauteile eignet sich ein Durchgangsloch ebenso, um eine feste Verbindung mit Verriegelungskonus zu erreichen. Technische Schwierigkeiten oder sonstige Umstände, die der Verwendung einer solchen Herstellungstechnik entgegenstehen könnten, sind nicht aufgezeigt und nicht ersichtlich. Es bedurfte deshalb keiner weiteren, auf die Herstellung von Bohrungen gerichteten Anregung oder eines konkreten Anlasses zur Verwendung gerade dieses Herstellungsverfahrens. Die Anordnung des Verriegelungskonus wird der Fachmann nicht ändern, also weiter in der Bohrung vorsehen.

226

3.1.2. Ausgehend von der NK6 war es folglich naheliegend, mit der Anregung der Verbindung mittels Verrieglungskonus in einer Bohrung (153) und der Verwendung einer zum Standard-Repertoire der Herstellungsmethoden gehörenden Durchgangsbohrung den Stand der Technik nach der NK6 als Durchgangsbohrung herzustellen und damit zur Fassung der Hilfsanträge 1a und 1b zu gelangen, also den Gelenkzapfen entlang der Längsachse zu kanülieren und in der Kanülierung des Gelenkzapfens (40) den Verriegelungskonus zu bilden.

227

Die Argumentation der Beklagten, dass mit den Merkmalen 11.1a und 11.1b zur Kanülierung des Gelenkzapfens der Kerngedanke der Erfindung verkörpert wird, weil mit ihm eine vereinfachte Implantation durch das Einführen der Gelenkzapfen von oben möglich ist, ist nur teilweise zuzustimmen. Zwar ist durch die Kanülierung die im Streitpatent zum Ausführungsbeispiel dargelegte Arbeitsweise möglich, jedoch schließt der Anspruchswortlaut nach den Hilfsanträgen 1a und 1b auch Ausführungsformen ein, bei denen zwar eine Kanülierung vorhanden ist, jedoch die Gelenkzapfenverlängerung von der Tibiaseite in den Gelenkzapfen eingeführt wird.

228

Im Übrigen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Lehre auch dann nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, wenn der Stand der Technik für die damit zugleich erreichte Verbesserung der Lösung einer weiteren Problemstellung zwar keine hinreichende Anregung vermittelt hat, allerdings die zum typischen Aufgabenkreis des angesprochenen Fachmanns gehörende Bewältigung eines weiteren konstruktiven Problems, wie die kostengünstigere Herstellung, nahelag (BGH GRUR 2003, 693 - Hochdruckreiniger). Deshalb ist als Ausgangspunkt für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit auch vorliegend nicht ausschließlich auf die Aufgabe der verbesserten Implantation und der Lösung durch das Einführen der Gelenkzapfenverlängerung proximal abzustellen, sondern vielmehr auch zu erwägen, ob die erfindungsgemäße Lösung nicht auch der Bewältigung eines weiteren zum Aufgabenkreis des Fachmanns gehörenden (anderen) Problems diente, nämlich der erläuterten vereinfachten Herstellung, und ob nicht deshalb bereits die erfindungsgemäße Lösung nahelag (BGH GRUR 2014, 349 - Anthocyanverbindung; GRUR 2011, 607 - Kosmetisches Sonnenschutzmittel III). Dies aber ist aufgrund der insoweit dem Fachmann anbietenden Standard-Lösung einer Kanülierung des Gelenkzapfens, wie nach den Hilfsanträgen 1a und 1b beansprucht, anzunehmen.

229

3.2. Hilfsantrag 2a

230

In der Bohrung nach der NK6 wird der Gelenkzapfen anterior gemäß Merkmal 11.2a positioniert. Eine Sicherung ist ebenfalls möglich, insbesondere da die Art der Sicherungsmittel in Hilfsantrag 2a - auch nach Ansicht der Beklagten - beliebige Sicherungsmittel zulässt und das Merkmal 11.2a nur ein Geeignetheitskriterium vorgibt. Aus den Ausführungen zu den Hilfsanträgen 1a und 1b ergibt sich daher, dass auch die zusätzlichen Merkmale nach dem Hilfsantrag 2a, d. h. die Gelenkzapfenverlängerung durch die Kanülierung des Gelenkzapfens anterior zu positionieren und sichern zu können, die Patentfähigkeit nicht begründen können.

231

3.3. Hilfsantrag 3a

232

Mittel zum Sichern der Gelenkzapfenverlängerung in dem Gelenkzapfen vorzusehen, ergibt sich aus hohen Anforderungen an die Sicherheitsvorgaben von Medizinprodukten. Daher wird der Fachmann immer in Betracht ziehen, ein redundantes Sicherheitsmittel zusätzlich zum Verriegelungskonus einzusetzen und/oder ein Element vorzusehen, um die Verriegelung abzusichern.

233

So ist auch in der Knieprothese nach der NK6 ein Mittel zum Sichern (punch-pin 165) offenbart, mit dem die Gelenkzapfenverlängerung (160) in dem Gelenkzapfen (150) gesichert wird (vgl. NK6 Sp. 4 Z. 30-38: „When the pin 160 is so fixed, it is set by insertion and fit of extraction-restriction and/or rotation-restriction punch-pin 165, which preferably has a head, a shaft, a slit through the shaft extremity so as to provide two compressible-expansible fingers of the shaft, and an extremity knob so as to provide additional holding ability when the punch-pin is set. The punch-pin 165 goes through the punch-pin hole 154 and into the punch-pin locking groove 163.“). Das Sicherungsmittel (154) befindet sich in der NK6 zumindest teilweise in der Bohrung des Gelenkzapfens, da sich auch das zu sichernde Teil (Gelenkzapfenverlängerung 160) in der Bohrung (153) befindet und erfüllt damit bereits das Merkmal 11.3a.

234

Diese Sicherung - analog zum Verriegelungskonus - ebenfalls in der Bohrung auszubilden, liegt für den Fachmann auf der Hand, wenn er einen durchbohrten Gelenkzapfen verwendet. So ist für den Fachmann offensichtlich, dass das Anbringen des Sicherungspins (154) während der Implantation aufgrund der seitlichen Einführung und des geringen Platzverhältnisse Schwierigkeiten bereiten kann. Als Mittel zur Sicherung von ineinander gesteckten Elementen kennt der Fachmann nicht nur Sicherungsmittel quer zur Bohrung (z. B. Pin, Madenschraube), sondern Sicherungsmittel längs der Bohrung (z. B. zusätzliche Stopfen, Schrauben, Deckel). Daher wird der Fachmann bei Bedarf die Position des Sicherungsmittels der NK6 modifizieren und gelangt damit unmittelbar zur Lösung, das Sicherungsmittel in der Bohrung vorzusehen und somit in der Kanülierung des Gelenkzapfens Mittel zum Sichern der Gelenkzapfenverlängerung (42) in dem Gelenkzapfen zu bilden.

235

3.4. Hilfsantrag 4

236

Dem Fachmann ist geläufig, dass die bekannten Sicherungsmittel wie zusätzliche Pins, Stopfen, Schrauben, Deckel bzw. Madenschraube Gewinde enthalten können. Somit ist hinsichtlich des Hilfsantrags 4, wonach die Gelenkzapfenverlängerung in dem Gelenkzapfen mittels eines ein Gewinde aufweisendes Sicherungselement gesichert ist, keine patentbegründende Besonderheit erkennbar und wurde von der Beklagten auch nicht vorgetragen.

237

3.5. Hilfsantrag 5

238

Bei der fachmännischen Auswahl eines Sicherungselements längs der Bohrung (vgl. Ausführungen zu Hilfsantrag 3a) muss der Fachmann das Sicherungselement auf der der Gelenkzapfenverlängerung gegenüberliegenden Seite vorsehen. Bei dieser Ausgestaltung ist das Sicherungselement proximal in Bezug auf die zusammenwirkenden Verriegelungskonen in dem Gelenkzapfen angeordnet.

239

Somit gelangt der Fachmann bereits lediglich aufgrund fachmännischen Handelns zum Gegenstand nach Anspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 5, wonach das Sicherungselement proximal in Bezug auf die zusammenwirkenden Verriegelungskonen in dem Gelenkzapfen angeordnet ist.

240

Nach Ansicht des Beklagtenvertreters liegt die den erfinderische Gehalt begründende Einschränkung nach den Hilfsanträgen 4 und 5 darin, dass eine Verknüpfung der Verriegelungskonen mit dem proximalen Sicherungselement vorgenommen wird und insbesondere durch Hilfsantrag 5 die Implantation auf die vorteilhafte Arbeitsweise von oben eingeschränkt wird.

241

Der Beklagten wird zugestimmt, dass sich durch die Anbringung der Gelenkzapfenverlängerung proximal durch den Gelenkzapfen Vorteile bei der Implantation ergeben können. Jedoch wird durch die Merkmale nach den Hilfsanträgen 4 und 5 diese Arbeitsweise bei der Implantation, insbesondere das Einführen der Gelenkzapfenverlängerung proximal, nicht vorgegeben und der Patentgegenstand hierauf eingeschränkt, da die Richtung der Verriegelungskonen nicht definiert ist und daher auch ein Einführen der Gelenkzapfenverlängerung von der Tibiaseite in den Gelenkzapfen nicht ausgeschlossen ist.

242

Die Argumentation der Beklagten zu den Vorteilen aus der proximalen Anbringung der Gelenkzapfenverlängerung, der damit verbundenen Verbesserung der Implantation und der hieraus begründeten erfinderischen Tätigkeit geht daher ins Leere.

243

4. Anspruch 2

244

Die Lehre nach Anspruch 2, wonach die Meniskuskomponente (26) frei um den Gelenkzapfen (40) während der Flexion und Extension drehen kann, war dem Fachmann unbestritten im Prioritätszeitpunkt bei mobile-bearing Meniskuskomponenten (u. a. NK5) geläufig. Ein eigenständiger erfinderischer Gehalt wurde von der Beklagten auch insoweit nicht geltend gemacht.

245

5. Anspruch 7

246

Nach Anspruch 1 in der Fassung des Anspruchs 7 wird eine Knieprothese beansprucht, die gegenüber Anspruch 1 eine Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (112) aufweist, die Gelenkzapfenverlängerung (42) einen Verriegelungskonus (46) und eine zylindrische Verlängerung (48) aufweist und der Verriegelungskonus (46) dazu ausgebildet ist, in der Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (112) zu sitzen und darin zu verriegeln.

247

Wie bereits zum Hilfsantrag 1a dargelegt wurde, ist auch nach der in der NK6 offenbarten Lehre eine Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (receptacle 153) im Gelenkzapfen (150) vorhanden [= erster Teil des zusätzlichen Merkmals nach Anspruch 7]. Weiter besitzt die Gelenkzapfenverlängerung (161) auch eine zylindrische Verlängerung, wobei der Verriegelungskonus (164) dazu ausgebildet ist, in der Gelenkzapfenverlängerungsöffnung (153) zu sitzen und darin zu verriegeln (vgl. NK6 Fig. 3). Damit vermag auch das Merkmal nach Anspruch 7 eine erfinderische Tätigkeit nicht zu begründen.

248

6. Anspruch 8

249

Sowohl nach der Lehre der NK5 als auch der NK6 umfasst die Kondylenlagerfläche der Femurkomponente ein Paar von Kondylenflächen (NK5: bearing surfaces (130), sowie NK6: condylar surface (110)). Eine Besonderheit - auch in der von der Beklagten genannten Verbindung der Öffnung des Gelenkzapfens - ist hierin nicht zu sehen. Das Paar von Kondylenflächen wird bereits aufgrund anatomischer Anforderungen ausgebildet. Im Übrigen ist - analog zu den Ausführungen zu Anspruch 7 - auch insoweit kein eigenständiger erfinderischer Gehalt erkennbar.

250

Das Streitpatent konnte deshalb auch nach den mit den Hilfsanträgen beschränkt verteidigten Fassungen keinen Bestand haben.

V.

251

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 91 Abs. 1, 101, 100 Abs. 2 ZPO.

252

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.