Entscheidungsdatum: 17.01.2017
In der Patentnichtigkeitssache
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betreffend das europäische Patent 0 764 811
(DE 696 24 653)
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2017 durch den Vorsitzenden Richter Engels, die Richter Dipl.-Phys. Univ. Dr. Müller und Dipl.-Ing. Veit sowie die Richterinnen Dorn und Dipl.-Phys. Univ. Zimmerer
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
1. Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 0 764 811, deutsches Aktenzeichen DE 696 24 653 (Streitpatent), das am 19. September 1996 unter Beanspruchung der französischen Priorität FR 9510957 vom 19. September 1995 angemeldet worden ist. Das Streitpatent bezieht sich auf Belüftungssysteme für Beleuchtungs- oder Signalgebungsvorrichtungen für Kraftfahrzeuge (vgl. Satz 1 der deutschen Übersetzung der Europäischen Patentschrift, Anlage NK2) und umfasst 7 Patentansprüche, die sämtlich angegriffen sind.
Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Französisch:
1. Appareil d'éclairage ou de signalisation pour véhicule automobile, comportant un dispositif de ventilation défini conjointement par des premiers aménagements formés sur un boîtier (100) de l'appareil et par des seconds aménagements formes sur un bouchon (200) monté sur le boîtier, le dispositif définissant un trajet sinueux de ventilation de l'espace intérieur de l'appareil, ce trajet sinueux comprenant une double entrée d'air en partie inférieure, comportant deux ouvertures d'entrée (216a, 216b) en vis-à-vis et un passage d'entrée (T1) s'étendant sensiblement transversalement a la direction générale allant d'une entrée d'air à l'autre, caractérise en ce que le trajet sinueux est défini conjointement par des parties du boîtier et par des parties du bouchon, en ce que ledit trajet sinueux constitue une chicane à deux changements de direction (T1, T2, T3) s'étendant sensiblement vers le haut à partir de ladite double entrée d'air, et en ce qu' un passage (T3, 1201) de communication entre la chicane et l'espace intérieur de l'appareil est défini au moins partiellement entre des pattes (210a, 210b) de montage élastique du bouchon sur le boîtier.
In der deutschen Übersetzung lautet Anspruch 1:
1. Beleuchtungs- oder Signalgebungsvorrichtung für Kraftfahrzeuge, mit einem Belüftungssystem, das gemeinsam durch erste, an einem Gehäuse (100) der Vorrichtung ausgebildete Einrichtungen und durch zweite, an einer am Gehäuse angebrachten Kappe (200) ausgebildete Einrichtungen gebildet ist, wobei das System einen gewundenen Weg zur Belüftung des Innenraums der Vorrichtung bildet und dieser gewundene Weg im unteren Teil zwei Lufteintritte mit zwei sich gegenüberliegenden Eintrittsöffnungen (216a, 216b) und einem Eintrittskanal (T1) aufweist, der sich im Wesentlichen quer zu der allgemeinen Richtung erstreckt, die von einem Lufteintritt zum anderen verläuft, dadurch gekennzeichnet, dass der gewundene Weg durch Gehäuse- und Kappenteile gemeinsam gebildet wird, dass der gewundene Weg ein Labyrinth mit zweifacher Richtungsänderung (T1, T2, T3) bildet, das von den beiden Lufteintritten ausgehend im Wesentlichen nach oben verläuft, und dass ein Verbindungskanal (T3, 1201) zwischen dem Labyrinth und dem Innenraum der Vorrichtung wenigstens teilweise zwischen Klammern (210a, 210b) zur elastischen Montage der Kappe am Gehäuse ausgebildet ist.
Wegen der auf den Patentanspruch 1 unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 7 wird auf die Streitpatentschrift EP 0 764 811 B1 Bezug genommen.
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit, nämlich der fehlenden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit der angegriffenen Patentansprüche geltend (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a und Art. 52, Art. 54, Art. 56 EPÜ).
Die Klägerin hält dem Streitpatent in der mündlichen Verhandlung zuletzt folgenden Stand der Technik entgegen:
NK5 FR-A-2 626 060 A1
NK6 US 5 010 453
NK8 WO 95/02783 A1
NK8a DE 694 06 452 T2 (deutsche Übersetzung der EP 0 708 899 B1), im Wesentlichen inhaltsgleich mit NK8
Zuvor hat sie zum Stand der Technik noch folgende Unterlagen vorgelegt:
NK9 JP 7-230708
NK9a+b englische und deutsche Übersetzung der NK9
NK10 US 5 014 964
NK10a deutsche Übersetzung der NK10
NK11 FR 2 654 048 A1
NK11a Offenlegungsschrift DE 40 34 258 A1
NK12 FR 2 660 413 A1
NK12a GB 2 242 513 A (Prioanmeldung zu NK12).
Die Klägerin trägt vor, die angebliche Erfindung des Streitpatents reduziere sich auf zwei technisch voneinander unabhängige Maßnahmen, die dem Fachmann bereits aus dem Stand der Technik bekannt seien:
1. Die Vermeidung von Flüssigkeitseintritt in ein Belüftungssystem durch Erhöhung der Anzahl der Windungen im Labyrinth.
2. Die verbesserte Fixierung der Kappe bei der Montage auf dem Gehäuse mittels Klammern.
Die Lehre des Anspruchs 1 des Streitpatents werde durch NK8 neuheitsschädlich vorweggenommen. Das Verständnis der zwei Lufteintritte mit zwei sich gegenüberliegenden Eintrittsöffnungen nach Merkmal M4 umfasse auch eine Lösung, wie sie NK8 zeige; denn es sei unschädlich, wenn auch weitere Seitenbereiche geöffnet seien, solange jedenfalls ein Teilbereich der jeweiligen Öffnung tatsächlich gegenüberliege, also keine Richtungsänderung zwischen Einlass und Auslass erforderlich sei, wie dies bei NK8 der Fall sei. Durch die in der NK8 genannte Schiebepassung seien ferner die erfindungsgemäßen Klammern im Sinne der Merkmale M9 und M10, die nicht aus zwei separaten Teilen bestehen und lediglich eine einfache Translationsbewegung ausführen müssten, offenbart.
Zur fehlenden erfinderischen Tätigkeit trägt die Klägerin vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 - ausgehend von der o. g. zweifachen Aufgabe einer Verbesserung der Sperrwirkung und der Montage - durch die Schriften NK5, NK6und NK8 (sofern man diese nicht bereits als neuheitsschädlich sehe) jeweils nahegelegt sei.
Das in NK5 gezeigte Gehäuse trage einen unmittelbaren Beitrag zur Ausbildung des gewundenen Weges bei, auch die zweifache Richtungsänderung sei erfüllt. Es fehlen lediglich die erfindungsgemäßen Klammern, die aber eine fachübliche Maßnahme darstelle.
Bei NK6 habe für den Fachmann bereits die Veranlassung bestanden, einzelne umfassende Wände, hier einzelne Außen- oder Innenwände, wegzulassen, weil er immer bestrebt sei, die Konstruktion zu vereinfachen und er so auch die Klammerwirkung verbessern könne, beispielsweise durch die Schaffung von Schlitzen. Dies gelte auch für den Rohrstutzen der NK5.
Die Lehre des Streitpatents sei ferner durch NK8 nahegelegt. Es sei für den Fachmann eine rein handwerkliche Maßnahme gewesen, den offenen Bereich zu verkleinern und hier auf zwei gegenüberliegende Öffnungen zu beschränken. Hinsichtlich der Klammer(n) gelte das zu NK5 und NK6 Gesagte, wobei man bereits dadurch zwei Klammern erhalte, indem man einen Teil des Deckels herausschneide, um die Flexibilität zu erhöhen.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent EP 0 764 811 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent mit Hilfsantrag 1, eingereicht mit Schriftsatz vom 1. August 2016 (Bl. 286 ff. d. Akte) verteidigt wird,
hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent mit Hilfsantrag 2, eingereicht mit Schriftsatz vom 22. September 2016 (Bl. 347 ff. d. Akte) verteidigt wird.
Wegen des Wortlauts der jeweiligen Anspruchssätze nach den Hilfsanträgen 1 und 2 wird auf die Anlagen zu den im Antrag der Beklagten aufgeführten Schriftsätze verwiesen.
Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und erachtet das Streitpatent für patentfähig.
Die Lehre der NK8 stünde nicht neuheitsschädlich entgegen. Denn der offene Bereich in NK8 könne nicht mit einer Öffnung im Sinne des Merkmals M4 gleichgesetzt werden. Zudem sei die erfindungsgemäß geforderte elastische Klammerverbindung (Merkmal M10) nicht durch die in NK8 genannte Schiebepassung erfüllt.
Zudem beruhe die technische Lehre des Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit. Bei der von der Klägerin in diesem Zusammenhang angeführten NK5 fehle es bereits an dem Merkmal M6, da der gewundene Weg nur durch die Kappe gebildet werde. Ferner zeige diese Schrift keine zweifache Richtungsänderung (Merkmal M7) und auch keine Klammer(n) (Merkmal M10). Es habe für den Fachmann auch keine Veranlassung bestanden, diese funktionierende Lösung nach der Lehre der NK5 abzuändern. Entsprechendes gelte für NK6. Abgesehen davon rügt die Beklagte den erstmals in der mündlichen Verhandlung auf NK5 und NK6 gestützten Nichtigkeitsangriff der Klägerin als verspätet.
Der Senat hat den Parteien einen frühen qualifizierten Hinweis vom 27. Mai 2016 nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.
Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt allen Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2017 Bezug genommen.
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet, denn der Senat konnte nicht feststellen, dass der Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung wegen des von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes der fehlenden Patentfähigkeit nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, § 138 Abs. 1 lit. a EPÜ, Art. 52 bis Art. 57 EPÜ sich als nicht bestandsfähig erweist, insbesondere dass die beanspruchte Lehre gegenüber dem genannten Stand der Technik nicht neu ist oder nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Auf die Zulässigkeit und Patentfähigkeit der jeweiligen Fassung gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 kam es bei dieser Sachlage nicht an.
1. Gegenstand des Streitpatents
Nach den Angaben in der Streitpatentschrift betrifft das Patent allgemein Belüftungssysteme für Beleuchtungs- oder Signalgebungsvorrichtungen für Kraft-fahrzeuge.
Ein ständiges Anliegen bei der Konzeption dieser Belüftungssysteme ist eine ausreichende Belüftung bzw. Luftzufuhr des Innenraums des Gehäuses oder des Sockels der Vorrichtung, wobei jedoch auch möglichst wirksam das Eindringen von Wasser, Schmutz, Staub usw. in diesen Innenraum vermieden werden soll.
Das Problem ist heutzutage umso größer, da jegliches Eindringen von Wasser durch Wasserstrahlen bei Hochdruckwäschen, zum Beispiel vom Motorraum des Fahrzeugs aus, denen die vorderen Scheinwerfergehäuse ausgesetzt sind, vermieden werden muss.
Insbesondere die Dokumente FR-A-2 654 048, FR-A-2 183 934, FR-A-2 660 413 und US-A-4 739 458 geben den Stand der Technik wieder. Ein Belüftungssystem gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 ist aus der FR-A-2 626 060 (NK5) bekannt. Aus der US-A-5 010 453 (NK6) ist gleichfalls ein System bekannt, das jedoch eine begrenzte Wirksamkeit aufgrund der nur gering gewundenen Luftwege aufweist. Die Kappe ist zudem nicht gründlich befestigt und kann sich im Laufe der Zeit zufällig vom Gehäuse lösen.
2. Aufgabe der vorliegenden Erfindung ist es nach den Angaben der Streitpatentschrift, ein neues Belüftungssystem vorzuschlagen, das durch einfache, kostengünstige und den Gesamtraumbedarf nur geringfügig erhöhende Mittel einen gewundenen Luftweg bildet, der den Sperreffekt gegenüber Flüssigkeiten verbessert, und bei dem die Befestigung der Kappe verbessert ist. Ein weiteres Ziel der Erfindung ist es, ein leicht zu montierendes Belüftungssystem vorzuschlagen, das erforderlichenfalls einen Schaumstofffilter in einfacher Weise aufnehmen kann.
3. Zur Lösung dieser Aufgaben schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 eine Beleuchtungs- oder Signalgebungsvorrichtung für Kraftfahrzeuge mit folgenden Merkmalen vor (Merkmalsgliederung hinzugefügt):
M1 Appareil d'éclairage ou de signalisation pour véhicule automobile,
M2 comportant un dispositif de ventilation défini conjointement par des premiers aménagements formés sur un boîtier (100) de l'appareil et par des seconds aménagements formes sur un bouchon (200) monté sur le boîtier,
M3 le dispositif définissant un trajet sinueux de ventilation de l'espace intérieur de l'appareil,
M4 ce trajet sinueux comprenant une double entrée d'air en partie inférieure, comportant deux ouvertures d'entrée (216a, 216b) en vis-à-vis
M5 et un passage d'entrée (T1) s'étendant sensiblement transversalement a la direction générale allant d'une entrée d'air à l'autre, caractérise en ce que
M6 le trajet sinueux est défini conjointement par des parties du boîtier et par des parties du bouchon, en ce que
M7 ledit trajet sinueux constitue une chicane à deux changements de direction (T1, T2, T3)
M8 s'étendant sensiblement vers le haut à partir de ladite double entrée d'air,
M9 et en ce qu'un passage (T3, 1201) de communication entre la chicane et l'espace intérieur de l'appareil
M10 est défini au moins partiellement entre des pattes (210a, 210b) de montage élastique du bouchon sur le boîtier.
In deutscher Übersetzung (Korrekturen gegenüber der Fassung des Streitpatents in Fettdruck):
M1 Beleuchtungs- oder Signalgebungsvorrichtung für Kraftfahrzeuge,
M2 enthaltend ein Belüftungssystem, das gemeinsam durch erste, an einem Gehäuse (100) der Vorrichtung ausgebildete Einrichtungen und durch zweite, an einer am Gehäuse angebrachten Kappe (200) ausgebildete Einrichtungen gebildet ist,
M3 wobei das System einen gewundenen Weg zur Belüftung des Innenraums der Vorrichtung bildet
M4 und dieser gewundene Weg im unteren Teil zwei Lufteintritte mit zwei sich gegenüberliegenden Eintrittsöffnungen (216a, 216b)
M5 und einen Eintrittskanal (T1) enthält, der sich im Wesentlichen quer zu der allgemeinen Richtung erstreckt, die von einem Lufteintritt zum anderen verläuft, dadurch gekennzeichnet,
M6 dass der gewundene Weg durch Gehäuse- und Kappenteile gemeinsam gebildet wird,
M7 dass der gewundene Weg ein Labyrinth mit zweifacher Richtungsänderung (T1, T2, T3) bildet,
M8 das von den beiden Lufteintritten ausgehend im Wesentlichen nach oben verläuft,
M9 und dass ein Verbindungskanal (T3, 1201) zwischen dem Labyrinth und dem Innenraum der Vorrichtung
M10 wenigstens teilweise zwischen Klammern (210a, 210b) zur elastischen Montage der Kappe am Gehäuse ausgebildet ist.
Aufgrund der maßgeblichen französischen Fassung erscheint die deutsche Übersetzung teils ungenau: so muss es zu Merkmal M2 heißen enthaltend (comportant), ebenso zu Merkmal M5. Andererseits entspricht dem französischen Begriff „chicane“ zwar wörtlich nicht das deutsche Wort „Labyrinth“, in technischer Sicht sieht der Senat dies jedoch zutreffend übersetzt.
4. Als zur Lösung der Aufgabe angesprochen Fachmann sieht der Senat einen Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Beleuchtungsvorrichtungen für Kraftfahrzeuge oder sonstige Fahrzeuge berufen.
II.
1. Lehre des Streitpatents
Die wesentlichen Merkmale des erfindungsgemäßen Scheinwerfers sollen darin liegen, dass der gewundene Weg ein Labyrinth mit zweifacher statt der bisher üblichen einfachen Richtungsänderung bildet und dass zwei Klammern zur elastischen Montage der Kappe am Gehäuse dienen. Das Labyrinth soll gewährleisten, dass Flüssigkeit, Schmutzpartikel oder Staub zurückgehalten werden, bevor sie in das Innengehäuse der Beleuchtungsvorrichtung gelangen können. Die Klammern sollen eine leichtere Montage des Belüftungssystems und eine verbesserte Befestigung der Kappe ermöglichen.
Das im Streitpatent befindliche Ausführungsbeispiel zeigt ein Belüftungssystem bestehend aus einem Gehäuse und einer daran angebrachten Kappe, die gemeinsam einen gewundenen Weg (T1, T2, T3) zur Belüftung des Innenraums der Beleuchtungsvorrichtung ausbilden. Der gewundene Weg weist die Form eines Labyrinths mit zweifacher Richtungsänderung auf und verläuft im Wesentlichen nach oben. Figur 6 veranschaulicht diese Lehre an einem Ausführungsbeispiel.
Die von der Klägerin farblich markierte und durch Bezeichnungen ergänzte Ausgestaltung dieser Figur veranschaulicht deutlich den gewundenen Weg des Luftstroms nach diesem Ausführungsbeispiel.
Im unteren Teil des Belüftungssystems weist der gewundene Weg zwei Lufteintritte (216a, 216b) auf, die aus zwei sich gegenüberliegenden Eintrittsöffnungen bestehen. Außerdem weist der untere Teil einen Eintrittskanal (T1) auf, der sich im Wesentlichen quer zu der allgemeinen Richtung erstreckt, die von einem Lufteintritt zum anderen verläuft (vgl. die Figuren 4 bis 6).
Im oberen Teil des Systems weist der gewundene Weg einen Verbindungskanal (T3, 1201) zum Innenraum der Beleuchtungsvorrichtung auf, wie die Ausführungsform im montierten Zustand mit Figur 5 zeigt.
Der Verbindungskanal T3 wird danach wenigstens teilweise zwischen Klammern (210a, 210b) zur elastischen Montage der Kappe am Gehäuse gebildet, wobei die Klammern im Ausführungsbeispiel den seitlichen Teil der Wandung des Kanals bilden, während das Gehäuse den unteren und oberen Teil bildet. Hiervon zu unterscheiden ist allerdings die bloße Forderung des Anspruchs 1 mit dem Merkmal 10, wonach der Verbindungskanal wenigsten teilweise zwischen den Klammern ausgebildet sein soll, ohne dass insbesondere die Klammern an der Ausbildung des Verbindungskanals Teil haben. Die Klammern stehen allerdings auch nach der Lehre von Anspruch 1 in einem räumlichen und funktionellen Zusammenhang zu dem Verbindungskanal.
2. Verständnis von Patentanspruch 1 und seiner einzelnen Merkmale
2.1 Gemäß Merkmal M1 handelt es sich bei der Erfindung um eine Beleuchtungs- oder Signalgebungsvorrichtung für Kraftfahrzeuge. Hierbei stellt sich das spezielle Problem einer ausreichenden Belüftung des Innenraums der Vorrichtung. Die Bestimmungsangabe „für Kraftfahrzeuge“ bildet hierbei nur ein Geeignetheitskriterium, legt die Verwendung jedoch nicht auf Kraftfahrzeuge fest. Allerdings kommt es hierauf nicht an.
2.2 Mit Merkmal M2 wird der grundlegende Aufbau eines dafür vorgesehenen Belüftungssystems angegeben, das zwei Teile umfasst, nämlich ein Gehäuse und eine daran angebrachte Kappe, die jeweils Einrichtungen aufweisen, mit denen gemeinsam das Belüftungssystem gebildet wird. Über die Art der Einrichtungen sagt der Anspruch 1 nichts aus, gemäß der Beschreibung handelt es sich dabei um am Gehäuse und an der Kappe angebrachte Ablenk- oder Umlenkelemente, wie z.B. Zwischenwände. Dabei wird alleine durch das Anbringen der Kappe am Gehäuse das Belüftungssystem realisiert. Einrichtungen in diesem Sinne, welche am Gehäuse und der Kappe ausgebildet sind, müssen nur das Belüftungssystem ausbilden, sie können insoweit auch durch Teile der Kappe und des Gehäuses selbst ausgebildet sein, mithin auch aus Wandabschnitten von Gehäuse und Kappe bestehen.
2.3 Gemäß Merkmal M3 weist das Belüftungssystem einen gewundenen Weg zur Belüftung des Innenraums der Vorrichtung auf.
2.4 Der gewundene Weg wird gemäß Merkmal M6 durch das gemeinsame Zusammenwirken von Gehäuse- und Kappenteilen gebildet. Dafür weisen gemäß der Beschreibung die Kappe und das Gehäuse speziell für diesen Zweck vorgesehene Ablenkelemente oder Umlenkelemente auf. Diese sind jedoch nicht Teil des Gegenstands des Anspruchs 1.
2.5 Gemäß Merkmal M4 umfasst dieser gewundene Weg zwei Lufteintritte mit zwei sich gegenüberliegenden Eintrittsöffnungen, die sich im „unteren Teil“ befinden. Mit „unterer Teil“ ist der untere Teil des gewundenen Weges (M3) gemeint, unabhängig davon, ob sich dieser Teil im Gehäuse oder der Kappe befindet. Die beiden Lufteintritte müssen dabei eindeutig voneinander unterscheidbar sein, damit deren Eintrittsöffnungen einander gegenüber liegen können. Ein einziger oder weitgehend ringsum geöffneter Lufteintritt fällt nicht unter dieses Merkmal. Maßgeblich für das Verständnis ist die technisch funktionelle Bedeutung des Merkmals im Hinblick auf die hierdurch bedingte Strömungseigenschaft.
2.6 An diesen unteren Teil schließt sich gemäß Merkmal M5 ein Eintrittskanal an, der quer zu der Richtung orientiert ist, die von einem Lufteintritt zum anderen verläuft. „Quer“ ist hierbei nicht auf eine bestimmte Raumrichtung beschränkt. Im Streitpatent ist nicht ausdrücklich angegeben, was unter der „allgemeinen Richtung“, die von einem Lufteintritt zum anderen verläuft, zu verstehen ist. Aus dem technischen Gesamtzusammenhang ist jedoch ersichtlich, dass die Richtung der gedachten direkten Verbindung der beiden Lufteintritte gemeint ist, unabhängig von dem tatsächlichen Weg, der die beiden Lufteintritte innerhalb der Vorrichtung verbindet.
2.7 Von den beiden Lufteintritten ausgehend verläuft „der gewundene Weg“ im Wesentlichen nach oben und bildet dabei aufgrund seiner Form mit Hilfe von Hindernissen oder Blockaden, die den direkten geraden Weg versperren und umgangen werden müssen, „ein Labyrinth mit zweifacher Richtungsänderung“ (Merkmale M7 und M8). Um zwei Richtungsänderungen zu erreichen, müssen auch zwei Hindernisse oder Blockaden vorgesehen sein und umgangen werden. Durch die beiden Richtungsänderungen wird ein Eindringen von Wasser oder Staub in den Innenraum der Vorrichtung wirksam verhindert.
2.7.1 Der Senat teilt die Auffassung der Beklagten, dass der technisch zu verstehende Begriff „Labyrinth“ einen bestimmten Streckenverlauf des gewundenen Wegs voraussetzt, wonach vom Eingang aus betrachtet der direkte Weg zum Ausgang versperrt wird bzw. nicht sichtbar sein darf. Dies muss aber nicht mit einer zweifachen Richtungsumkehr verbunden sein. Der Senat teilt insbesondere nicht die Auffassung der Beklagten, der Begriff „Labyrinth“ mache deutlich, dass es um ein zweifaches vollständiges Umgehen der Hindernisse gehe, bei denen der Luftstrom zwei Mal um jeweils 180° gedreht werde.
2.7.2. Insofern maßgeblich kann allein die ausdrücklich geforderte „zweifache Richtungsänderung“ („deux changements de directions“) sein, deren weitere Voraussetzungen aller-dings im Anspruch nicht näher definiert sind und die weder mit einer Richtungsumkehr (inversion de direction) gleichzusetzen ist noch mit einer Festlegung auf einen bestimmten Winkelbetrag, so wie er beispielhaft im Ausführungsbeispiel in der (nebenstehend von der Beklagten ergänzten) Figur 6 erkennbar ist und ca. 180 Grad betragen dürfte. Weder die französische Bezeichnung noch die Lehre des Streitpatents und die damit intendierte Problemlösung lassen ein derart einschränkendes Verständnis erkennen, da die Verbesserung des Sperreffekts gegen Flüssigkeitseintritt sowohl nach den Ausführungen im Streitpatent als auch in objektiver Hinsicht nicht auf eine Ausgestaltung der Vorrichtung beschränkt ist, bei welcher die Luftströmung eine Richtungsumkehr erfahren muss. Danach sind auch bloße Richtungsabweichungen als Richtungsänderungen anzusehen. Auch bestimmt Anspruch 1 nicht wodurch die Richtungsänderung bewirkt wird.
Dass insoweit das Ausführungsbeispiel nach Figur 6 eine konkretere Lehre offenbart, wonach eine Richtungsumkehr von ca. 180 Grad gezeigt wird, die durch die eingebauten Trennwände hervorgerufen wird, bestätigt entgegen der Ansicht der Beklagten eine derart einschränkende Auslegung jenseits des Wortlaut nicht. Denn maßgebliche Grundlage dafür, was durch das europäische Streitpatent unter Schutz gestellt ist, ist gem. Art. 69 Abs. 1 Satz 1 EPÜ der Inhalt der Patentansprüche in der jeweiligen Verfahrenssprache. Die Frage, ob eine bestimmte Anweisung zum Gegenstand eines Anspruchs des Patents gehört, entscheidet sich deshalb nach der st. Rspr. danach, ob sie in dem betreffenden Patentanspruch Ausdruck gefunden hat (st. Rspr. vgl. z.B. BGH GRUR 2007, 959 - Pumpeinrichtung, unter Hinweis auf BGH GRUR 2004, 1023 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Auch wenn die Patentschrift in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und der Patentanspruch im Zweifel so zu verstehen ist, dass sich keine Widersprüche zu den Ausführungen in der Beschreibung und den bildlichen Darstellungen in den Zeichnungen ergeben, so liegt vorliegend kein solcher unauflösbarer Widerspruch vor (hierzu BGH GRUR 2015, 972 - Kreuzgestänge). Denn die Lehre des Ausführungsbeispiels konkretisiert nur - dem Sinn und Zweck eines Beispiels folgend - in nicht einschränkender Weise (wie auch die Streitpatentschrift selbst in Absatz 10 hervorhebt) den weit gefassten Anspruch 1 mit seinem im Wortlaut verankerten Verständnis des Begriffs der „Richtungsänderung“. Danach muss der Winkel einer Richtungsänderung nicht so groß sein, dass es zu einer Richtungsumkehr der Luftströmung kommt, es reicht vielmehr jegliche Änderung der Richtung aus, so auch z.B. eine von 90 Grad. So finden sich - ausgenommen im Ausführungsbeispiel zur Figur 6 - auch im Streitpatent weder konkrete Winkelangaben noch konkretisierende Mindestvoraussetzungen.
2.7.4. Auch teilt der Senat nicht die Auffassung der Beklagten, dass sich aus dem im Streitpatent zitierten Stand der Technik der NK6 ein engeres Verständnis ergebe, weil das Streitpatent diese Lehre ja überwinden wolle. Auch wenn für diese Auffassung insoweit zunächst sprechen mag, dass die von der Beklagten illustrierte Figur 3 der NK6 nach dem Verständnis des Senats bereits eine zweifache Richtungsänderung, nicht aber zweifache Richtungsumkehr zeigt, und das Streitpatent in Abs. 5 außer der unzureichenden Befestigung der Kappe auch auf die Nachteile gering gewundener Luftwege hinweist, so kann keine entgegenstehende Folgerung auf eine Festlegung der Lehre nach Anspruch 1 aus Figur 6 gezogen werden. Denn die erfindungsgemäß behauptete Erkenntnis der Vorteile stärkerer Windung bzw. Richtungsänderung erschöpft sich nicht in der Lehre des Ausführungsbeispiels, zumal auch das Streitpatent selbst in Absatz 10 hervorhebt, dass die Ziele und Vorteile der Erfindung zwar in der nachfolgenden bevorzugten Ausführungsform verdeutlicht werden, diese aber nur beispielhaft in nicht einschränkender Weise gelten.
2.7.5. Insoweit teilt der Senat die Auffassung der Klägerin nicht, dass entsprechend der von ihr nebenstehend illustrierten Figur 3 der NK6 eingezeichneten Änderung des Luftstroms für die erste Richtungsänderung des gewundenen Wegs bereits auf den Luftstrom außerhalb und die Änderung am Lufteintritt des Gehäuses abgestellt werden dürfe, da der gewundene Weg des Labyrinths erst jenseits der Eintrittsöffnungen hinter dem Eintrittskanal gebildet wird.
2.8 Nach den Merkmalen M9 und M10 sind Klammern zur elastischen Montage der Kappe am Gehäuse ausgebildet, wobei der Verbindungskanal zwischen den Klammern ausgebildet ist. Dabei begrenzen die Klammern selbst wenigstens einen Teil des Verbindungskanals zwischen dem Labyrinth und dem Innenraum der zu belüftenden Einrichtung. Nach dem geltenden Anspruch ist damit - anders als nach dem Ausführungsbeispiel - allerdings keine Doppelfunktion im Sinne einer Halte- und Kanalfunktion verbunden.
Nach dem Merkmal M10 werden mehrere Klammern beansprucht, es müssen zumindest mehrere Teile (Klammerarme) vorhanden sein, die eine Klammerwirkung hervorrufen. Dabei kann können die Teile auch einstückig miteinander verbunden sein.
Das Merkmal M10 versteht der Senat so, dass mit der elastischen Montage eine elastische Funktionalität der Klammern zum Arretieren vorausgesetzt wird, ein Hintergreifen wird nicht gefordert.
Die Beklagte verweist zwar auf die durch die Klammern verbesserte Verbindung mit mehreren Haltepunkten bzw. eine Verbindung von Gehäuse und Kappe ohne weitere Hilfsmittel und deren gleichzeitige Ausbildung als Teil des Verbindungskanals eines durch die weiteren Merkmale ausgebildeten und der Sperrwirkung dienenden Labyrinths. Sie macht geltend, dass die Klammern wenigstens einen Teil des Verbindungskanals begrenzen und verweist insoweit darauf, dass „keine zusätzlichen oder zumindest weniger Wandungen zur Begrenzung des Strömungsabschnitts zwischen dem Labyrinth und dem Innenraum der Vorrichtung benötigt (werden), d.h. der dadurch erreichte vereinfachte Aufbau der Vorrichtung erlaube trotz des komplexeren Luftweges eine kostengünstige Herstellung“.
All dies und die insoweit geltend gemachte synergistische Wirkung der Merkmale im Hinblick darauf, dass eine Verbesserung des Sperreffekts gegenüber dem Eindringen von Wasser bei vereinfachtem Aufbau erzeugt wird, kommt in den Merkmalen nach Anspruch 1 nicht zum Ausdruck und ist nur für das Ausführungsbeispiel, nicht aber für den Anspruch 1 relevant.
III.
1. Die Lehre nach dem geltenden Patentanspruch 1 erweist sich als neu im Sinne des Art. 54 EPÜ.
2.1 Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur richtet sich die Formulierung der Aufgabe allein nach dem tatsächlich, d. h. objektiv Erfundenen. Die Aufgabe muss daher auf das Ergebnis der Erfindung abgestellt sein, weshalb Ausgangspunkt das gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich Geleistete ist. Die Formulierung der Aufgabe hat sich deshalb nur an solchen Problemen zu orientieren, die durch die Erfindung tatsächlich gelöst werden (BGH GRUR 2010, 607 - Fettsäurezusammensetzung; GRUR 2010, 814 - Fugenglätter; GRUR 2003, 693 - Hochdruckreiniger). Die in der Patentschrift angegebene Aufgabe ist demgegenüber lediglich ein Hilfsmittel für die Ermittlung des objektiven technischen Problems und Teil der Auslegung des Patentanspruchs. Dabei können in der Beschreibung enthaltene Angaben zur Aufgabe der Erfindung einen Hinweis auf das richtige Verständnis des Patentanspruchs enthalten (BGH GRUR 2012, 803 - Calcipotriol-Monohydrat; GRUR 2010, 602, Tz. 27 - Gelenkanordnung).
Hierbei ist die Aufgabe – und Problemlösung nicht nur im Hinblick auf eine sich als Differenzaufgabe zu dem – erst rückschauend betrachtend – „nächstliegenden“ Stand der Technik zu bewerten, sondern es können verschiedene Ausgangspunkte in Betracht zu ziehen sein (BGH GRUR 2009, 1039 - Fischbissanzeiger; GRUR 2009, 382 - Olanzapin).
Vorliegend besteht auch nach Ansicht des Senats die objektive Aufgabe aus zwei unterschiedlichen Forderungen bzw. Teilaufgaben:
- Verbesserung des Sperreffekts gegen Flüssigkeitseintritt unter Beibehaltung eines vereinfachten bzw. kostengünstigen Aufbaus;
- verbesserte Montage und Befestigung der Kappe.
Eine von Lösungsanteilen befreite Aufgabe könnte formuliert werden als „ein Belüftungssystem vorzuschlagen, das durch einfache, kostengünstige und den Gesamtraumbedarf nur geringfügig erhöhende Mittel den Sperreffekt gegenüber Flüssigkeiten verbessert, und bei dem die Befestigung der Kappe verbessert ist.“
Trotz der differierenden bzw. sich nur ergänzenden Teilaufgaben sieht der Senat diese nicht losgelöst voneinander, sondern insofern im Zusammenhang, als der Fachmann als Ausgangspunkt für seine Problemlösung für beide Teilprobleme einen konkreten Stand der Technik als „Sprungbrett“ auswählte, der insbesondere die Weiterbildung bzw. Verbesserung des Sperreffekts gegen Flüssigkeitseintritt betrifft und diesen Fokus auch für die weitere Teilaufgabe beibehält. Hiervon geht auch die Klägerin bei der von ihr getroffenen Wahl der Schriften und ihrer Kombination aus.
1.2 Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist neu gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik nach den Druckschriften NK5, NK6 und NK8, da aus keiner dieser Druckschriften eine Beleuchtungs- oder Signalgebungsvorrichtung für Kraftfahrzeuge bekannt ist, die alle im erteilten Patentanspruch 1 genannten Merkmale aufweist, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen.
2. Der Gegenstand nach dem geltenden Anspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Art. 56 EPÜ, denn er ist durch die o. g. Druckschriften für den Fachmann nicht nahegelegt.
2.1 Druckschrift NK5:
Diese bereits in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents genannte Druckschrift zeigt anhand der Figuren 2 und 3 eine Beleuchtungs- oder Signalgebungsvorrichtung für Kraftfahrzeuge mit einem Belüftungssystem, das gemeinsam durch erste, an dem Gehäuse der Vorrichtung ausgebildete Einrichtungen und durch zweite, an einer am Gehäuse angebrachten Kappe (20) ausgebildeten Einrichtungen gebildet ist und dabei einen gewundenen Weg zur Belüftung des Innenraums der Vorrichtung bildet, entsprechend den Merkmalen M1 bis M3 des erteilten Patentanspruchs 1.
Dabei zeigt die Figur 3 zwei Lufteintritte im unteren Teil des gewundenen Wegs mit zwei sich gegenüberliegenden Eintrittsöffnungen (30, 31) und einen Eintrittskanal (22), der sich im Wesentlichen quer zu der allgemeinen Richtung erstreckt, die von dem einen Lufteintritt zum anderen verläuft [= Merkmale M4 und M5].
Der gewundene Weg wird dabei durch Gehäuseteile (17) und Kappenteile (20) gemeinsam gebildet. Dabei spielt es keine Rolle, dass nur ein kleiner Teil des Gehäuses (17) am unteren Rand einen Betrag dazu leistet [= Merkmal M6].
Der gewundene Weg bildet jedoch kein Labyrinth mit zweifacher Richtungsänderung, wie im Merkmal M7 beansprucht ist, sondern er bildet lediglich eine einzelne Richtungsänderung aus, wie die Figur 3 zeigt. Die Richtungsänderung am Eingang zum Eintrittskanal hin ist dabei nicht mitzuzählen, da diese nicht zum Labyrinth zählt.
Das Labyrinth verläuft von den beiden Lufteintritten ausgehend im Wesentlichen nach oben und es ist ein Verbindungskanal zwischen dem Labyrinth und dem Innenraum der Vorrichtung ausgebildet, wie in den Merkmalen M8 und M9 beansprucht ist.
Es sind jedoch keine Klammern zur elastischen Montage der Kappe am Gehäuse vorgesehen, zwischen denen ein Verbindungskanal ausgebildet ist, wie im Merkmal M10 beansprucht, sondern lediglich eine einzelne elastische Rastnase 27.
Eine derartige spezielle Ausbildung, wie sie in den Merkmalen M7 und M10 beansprucht ist, war durch die Druckschrift NK5 auch nicht nahegelegt, da es sich hier um eine abgeschlossene gut funktionierende Lösung handelt, für die der Fachmann keinen Grund erkannte, diese ändern zu müssen.
2.2 Druckschrift NK6:
Aus der NK6 ist eine Beleuchtungs- oder Signalgebungsvorrichtung für Kraftfahrzeuge (vgl. Spalte 1, erster Absatz: „... vehicle lamp assemblies.“) [= Merkmal M1] bekannt,
enthaltend ein Belüftungssystem (vgl. die Bezeichnung: ventilation system), das gemeinsam durch erste, an einem Gehäuse der Vorrichtung ausgebildete Einrichtungen (vgl. die Figur 3: reflector housing 12) und durch zweite, an einer am Gehäuse angebrachten Kappe (50) ausgebildete Einrichtungen gebildet ist [= Merkmal M2],
wobei das System, wie die Figur 3 zeigt, einen gewundenen Weg zur Belüftung des Innenraums der Vorrichtung bildet [= Merkmal M3].
Wie aus der Figur 4 hervorgeht, enthält dieser gewundene Weg im unteren Teil zwei Lufteintritte mit zwei sich gegenüberliegenden Eintrittsöffnungen und einen Eintrittskanal (T-shaped channel 32, vgl. dazu auch die Figur 3), der sich im Wesentlichen quer zu der allgemeinen Richtung erstreckt, die von einem Lufteintritt zum anderen verläuft [= Merkmale M4 und M5].
Dabei wird der gewundene Weg (vgl. die Figur 3) durch Gehäuseteile (12) und Kappenteile (50) gemeinsam gebildet [= Merkmal M6] und bildet ein Labyrinth mit zweifacher Richtungsänderung, das von den beiden Lufteintritten ausgehend im Wesentlichen nach oben verläuft [= Merkmale M7 und M8]. Die beiden Richtungsänderungen verlaufen dabei in der Figur 3 ausgehend vom Eintrittskanal 32 einmal um etwa 45 Grad nach links und anschließend um etwa 45 plus 90 Grad nach rechts. Es handelt sich aber trotzdem um zwei Richtungsänderungen, auch wenn einer der Ablenkwinkel nur ca. 45 Grad beträgt und somit die Ablenkung relativ gering ist, da der Anspruch 1 keinen bestimmten Winkelbetrag der Ablenkung fordert.
Es ist ein Verbindungskanal (vgl. die Figur 3) zwischen dem Labyrinth und dem Innenraum der Vorrichtung ausgebildet [= Merkmal M9]. Der Verbindungskanal wird dabei durch ein umfänglich geschlossenes Rohr des Gehäuses gebildet.
Die NK6 lehrt jedoch nicht eine Ausbildung der Beleuchtungs- oder Signalgebungsvorrichtung mit zwei oder mehreren Klammern zur elastischen Montage der Kappe am Gehäuse, wie das Merkmal M10 fordert, da dort nur eine Ausbildung mit einem umfänglich geschlossenen Rohr offenbart wird. Auch ist nicht erkennbar, welche Veranlassung der Fachmann zu einer derartigen Weiterbildung bzw Umkonstruktion bewogen haben sollte. Denn weder ist ersichtlich, dass überhaupt ein Anlass bestand, den Halt der Kappe zu verbessern noch ist davon auszugehen, dass durch eine Ausbildung mit zwei Klammern statt eines umfänglich geschlossenen Rohrs sich eine Verbesserung des Halts der Kappe am Gehäuse erreichen lässt. Für den Fachmann ergab sich daher ausgehend von der NK6 keine Anregung das umfänglich geschlossene Rohr des Gehäuses oder den darauf aufgesteckten Teil der Kappe als Klammern auszubilden. Auch zählte eine Ausbildung mit zwei Klammern nicht zum Standard-Repertoire des Fachmanns, dessen Anwendung für den Fachmann nahelag. Dies gilt vorliegend auch insbesondere deshalb, weil die von der Rechtsprechung insoweit geforderten Bedingungen einer funktionell und objektiv zweckmäßigen Nutzung, für welche der Fachmann keine entgegenstehenden besonderen Umstände hätte feststellen können (BGH GRUR 2014, 647 - Farbversorgungssystem), ebenfalls nicht vorliegen.
2.3 Soweit die Beklagte den von der Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung auf NK5 und NK6 gestützten Nichtigkeitsangriff als verspätet nach § 83 PatG rügt, ist dieser Einwand - ungeachtet des Umstands, dass diese Druckschriften bereits ein in der Streitpatentschrift genannter Stand der Technik sind - schon deswegen nicht relevant, weil die Klägerin hierzu in der mündlichen Verhandlung abschließend Stellung genommen und zudem auch keine Vertagung geltend gemacht hat. Damit fehlt es aber bereits an der von § 83 Abs. 4 insoweit genannten Voraussetzung einer Vertagung.
2.4 Druckschrift NK8:
Aus der NK8 ist eine Beleuchtungs- oder Signalgebungsvorrichtung für Kraftfahrzeuge (vgl. das Abstract: Motor vehicle headlamp) bekannt [= Merkmal M1], mit einem Belüftungssystem (vgl. die Bezeichnung: ventilation passage), das gemeinsam durch erste, an einem Gehäuse (vgl. die Figur 3: dished housing 10) der Vorrichtung ausgebildete Einrichtungen und durch zweite, an einer am Gehäuse angebrachten Kappe (vgl. die Figur 3: end cap 20) ausgebildete Einrichtungen gebildet ist [= Merkmal M2].
Soweit die Beklagte geltend macht, dass an der Kappe 20 keine Ablenkelemente, Umlenkelemente oder dergleichen zur Bildung des gewundenen Luftwegs angeformt oder angebracht seien und die Kappe 20 lediglich in die Wandabschnitte 22, 24 und 28 unterteilt werden könne, welche aber lediglich die grundlegenden Abschnitte der Kappe 20 darstellten, die deren äußere Begrenzung festlegen, teilt der Senat ausgehend von der erläuternden Auslegung des Merkmals M2 diese Auffassung nicht, da auch die Wandabschnitte von Gehäuse und Kappe selbst die danach geforderten Einrichtungen bilden, welche am Gehäuse und der Kappe ausgebildet sind.
Dabei bildet das System einen gewundenen Weg zur Belüftung des Innenraums der Vorrichtung (vgl. Seite 1, 2. Absatz: „..a ventilation passage which provides communication between the interior of a housing of the lamp assembly and the exterior.“) [= Merkmal M3].
Der gewundene Weg wird durch Gehäuse- und Kappenteile gemeinsam gebildet [= Merkmal M6]. Die Abschirmung (shield 40) kann dabei ein integrales Bestandteil des Gehäuses sein (vgl. Seite 7: „..the shield 40 with aperture is integrally moulded with the dished housing 10 of the vehicle lamp.“), muss also nicht, wie die Beklagte geltend macht, ein separates Teil sein.
Der gewundene Weg weist, wie aus der Figur 3 hervorgeht, einen Eintrittskanal (slot 26) auf, der sich im Wesentlichen quer zu der allgemeinen Richtung erstreckt, die der Lufteintritt bildet [Teile des Merkmals M5]. Dabei bildet der gesamte Bereich oberhalb des Arms 46 einen weitgehend rundherum offenen Lufteintritt. Jedenfalls zwei Lufteintritte mit sich gegenüberliegenden Eintrittsöffnungen, wie im Merkmal M4 beansprucht, sind somit nicht vorhanden. Das in der nebenstehenden Abbildung der Klägerin dargestellte Verständnis, es seien zwei gegenüber liegende Eintrittsöffnungen vorhanden, teilt der Senat deshalb nicht. Bei einer rechteckigen Konstruktion umfasst bei unbefangener Betrachtung der Lehre ein Gegenüber nicht eine Erstreckung der Öffnung auch auf die Seitenwände.
Zutreffend weist die Klägerin allerdings darauf hin, dass bereits die NK8 die Vorteile einer
zweifachen Richtungsänderung offenbart. Zwar bildet der gewundene Weg kein Labyrinth mit zwei Richtungsänderungen, wie im Merkmal M7 beansprucht ist, wenn man „Richtungsänderung“ im Sinne der Beklagten als Richtungsumkehr verstehen würde. Für eine zweite Richtungsumkehr fehlte dann eine Zwischenwand am unteren Ende des gewundenen Wegs, so wie die Klägerin sie nebenstehend in der modifizierten Figurendarstellung eingefügt hat.
Bei dem oben erläuterten maßgeblichen Verständnis einer bloßen Richtungsänderung liegt jedoch eine zweifache Änderung vor, auch wenn man das Verständnis der Beklagten zugrunde legt, wie sie es in der abgebildeten von ihr kommentierten Figur 3 selbst darstellt, wobei die bearbeitete Figurendarstellung bereits vernachlässigt, dass der Luftstrom nicht nur durch eine Öffnung 32 eindringt und der Bereich 48 nicht geschlossen ist. Deshalb kann die Luft zwar ohne Richtungsumkehr am unteren Ende des gewundenen Wegs beim Eintritt nach oben strömen, nicht aber ohne Richtungsänderung. Auch die Klägerin bestätigt, wie die von ihr modifizierte Figur 8 belegt, dass eine erste Richtungsänderung im Eintrittskanal erfolgt, an welche sich weiter oben zwischen horizontalen und vertikalen Wänden 22, 26 eine zweite Richtungsänderung anschließt.
Das Labyrinth verläuft dabei vom Lufteintritt ausgehend im Wesentlichen nach oben [Teile des Merkmals M8].
Der Verbindungskanal wird zwar auch nach der Lehre der NK8 zwischen dem Labyrinth und dem Innenraum der Vorrichtung gebildet [= Merkmal M9], hier jedoch ausschließlich durch das Gehäuse und nicht auch unter Mitwirkung der zur Kappe gehörenden Klammern 210a, 210b, wie nach Merkmal M10 beansprucht, wie überhaupt weder Klammern offenbart sind noch eine elastische Montage der Kappe mit Hilfe von Klammern. Es handelt sich bei der NK8 um eine Schiebepassung und nicht um eine elastische Klammerverbindung.
Auch hier war eine Ausbildung mit zwei (oder mehr) Klammern zur elastischen Montage für den Fachmann nicht aus fachmännischen Überlegungen veranlasst und nahegelegt, da sich dadurch auch keine Verbesserung des Halts der Kappe erreichen ließe. Außerdem zählte eine Ausbildung mit zwei (oder mehr Klammern) auch nicht zum Standard-Repertoire des Fachmanns.
Dies gilt auch für eine Kombination der genannten Druckschriften da aus keiner Schrift eine entsprechende Ausgestaltung bekannt war oder dem Fachmann insoweit eine Anregung zu einer entsprechenden Ausgestaltung nach Merkmal M10 erhielt.
Die übrigen Druckschriften liegen weiter ab und haben demzufolge in der mündlichen Verhandlung auch keine Rolle mehr gespielt.
3. Die weiter angegriffenen Ansprüche des Patents, die Ausgestaltungen des Gegenstands nach Patentanspruch 1 betreffen, werden aufgrund ihrer Rückbeziehung vom beständigen Hauptanspruch getragen, ohne dass es hierzu weiterer Feststellungen bedürfte.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.