Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 18.08.2015


BPatG 18.08.2015 - 4 Ni 20/14 (EP)

Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
18.08.2015
Aktenzeichen:
4 Ni 20/14 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 153 676

(DE 601 05 225)

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 18. August 2015 durch den Vorsitzenden Richter Engels sowie die Richter Dr. agr. Huber, Dipl.-Ing. Univ. Rippel, die Richterin Kopacek und den Richter Dipl.-Ing. Brunn

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 1 153 676 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland insoweit für nichtig erklärt, als es hinsichtlich der Patentansprüche 1, 2, 3 und der Patentansprüche 7, 8 und 9, soweit diese nicht auf die Ansprüche 4, 5 und 6 rückbezogen sind, über folgende Fassung hinausgeht:

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II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %

 des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens ist das auch mit Wirkung für Deutschland erteilte europäische Patent EP 1 153 676, deutsches Aktenzeichen DE 601 05 225 (Streitpatent), das am 27. April 2001 unter Inanspruchnahme der Priorität GB 0011424 vom 11. Mai 2000 angemeldet worden ist und einen „Quick-extraction punch-holder adaptor for converting punching machines from a single-punch to a multiple-punch configuration“ („Schnellwechsel-Stanzwerkzeughalteradapter zum Umwandeln von Einfachstanzmaschinen in Mehrfachstanzmaschinen“) betrifft. Das in der Verfahrenssprache Englisch erteilte Streitpatent umfasst 10 Patentansprüche, die teilweise, nämlich im Umfang der erteilten Ansprüche 1 bis 3 und 7 bis 9 angegriffen sind.

2

Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:

3

1. A quick extraction punch-holder adaptor for converting punching machines from a single-punch to a multiple-punch configuration, comprising a cylindrical body (3) having a plurality of longitudinally extending receptacles (4) for slidingly acommodating respective punches (2) the axes of which being parallel to the axis of said cylindrical body (3), at the end of said cylindrical body (3) selection means (5) being rotatably mounted, said selection means (5) being provided, on its lower face, with a tooth (6) for contacting with the head (2c) of each selected punch (2) and being engageable with motor means for angularly controlled rotation, said motor being associated with the conventional turret of a punching machine, elastic means (7) being interposed between said selection means (5) and said cylindrical body (3), said elastic means (7) being loadable by compression and being adapted to contrast the active stroke characterized in that, said elastic means (7) is positioned circumferentially of said cylindrical body and said selection means (5) is provided with a portion (4a) engaging from below a head (2c) of said punch (2) so as to produce the return of the punch (2) after said active stroke.

4

In der deutschen Übersetzung lautet Patentanspruch 1:

5

1. Schnell wechselbarer Stößelhalter-Adapter zum Umrüsten von Stanzmaschinen aus einer Einfachstößelkonfiguration in eine Mehrfachstößelkonfiguration, mit einem zylindrischen Körper (3), der eine Mehrzahl von sich längs erstreckenden Aufnahmen (4) zur gleitenden Aufnahme von zugeordneten Stößeln (2) aufweist, deren Achsen parallel zu der Achse des zylindrischen Körpers (3) sind, wobei am Ende des zylindrischen Körpers (3) ein Auswahlmittel (5) drehbar befestigt ist, wobei das Auswahlmittel (5) an seiner unteren Fläche mit einem Zahn (6) zur Kontaktierung des Kopfes (2c) jedes ausgewählten Stößels (2) versehen ist und mit einem Motormittel zur winkelmäßigen Drehung in Eingriff bringbar ist, wobei der Motor mit dem herkömmlichen Revolver einer Stanzmaschine zusammenhängt, mit einem elastischen Mittel (7), das zwischen dem Auswahlmittel (5) und dem zylindrischen Körper (3) angeordnet ist, wobei das elastische Mittel (7) durch Druck vorspannbar ist und dazu geeignet ist, dem aktiven Hub entgegenzuwirken, dadurch gekennzeichnet, dass das elastische Mittel (7) um den Umfang des zylindrischen Körpers angeordnet ist, und dass das Auswahlmittel (5) mit einem Bereich (4a) versehen ist, der von unten in einen Kopf (2c) des Stößels (2) eingreift, um so die Rückkehr des Stößels (2) nach jedem aktiven Hub zu gewährleisten.

6

Hinsichtlich des Wortlauts der (angegriffenen) abhängigen Unteransprüche 2, 3 und 7 bis 9 wird auf die Streitpatentschrift EP 1 153 676 B1 verwiesen.

7

Mit ihrer auf Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 IntPatÜG gestützten Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand der angegriffenen Ansprüche gehe über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus, sei nicht ausführbar zudem nicht patentfähig.

8

Sie beruft sich u.a. auf folgende Entgegenhaltungen:

9

 K5  DE 601 05 225 T2

10

 K7  DE 693 11 217 T2

11

 K8  DE 195 05 754 C1

12

 K11  EP 0 938 938 A2

13

 K14  Auszug aus Wilson Tool-Katalog „Category: Coining Tools

14

   5/91“

15

 K15  Deckblatt und Seiten 30, 36 sowie letzte Seite aus Wilson

16

   Tool-Katalog „Thick Turret Special Tooling – 1999 Catalog“.

17

Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die deutsche Fassung des Merkmals 3.2 gegenüber der englischen Fassung in unzulässiger Weise verallgemeinert worden sei und dass dem ursprünglichen Anmeldungstext (K3) kein Hinweis in Bezug auf den Bereich bzw. die rohrförmigen Vorsprünge 4a sowie deren Funktion zu entnehmen sei. Als einzige Offenbarungsstelle bleibe Figur 1 und der dort gezeigte minimale Vorsprung, der aber viele Interpretationsmöglichkeiten offen lasse. Zudem liege ein Aliud vor, weil durch das erweiterte Merkmal ein anderer technischer Aspekt hinzukomme; während in der ursprünglichen Figur der Fachmann keinen Hinweis erhalte, dass das Rückholmittel nicht umlaufend sei, werde in Patentanspruch 1 eine Stößelzuordnung vorausgesetzt, welche das Rückholmittel nur dem aktiven Stößel zuordne. Der zweite Aspekt des Aliuds sei, dass ursprünglich das Rückholen nur durch elastische Mittel gelehrt gewesen sei, während nunmehr das Rückholen des Stößels durch das Auswahlmittel erfolge.

18

Der Gegenstand des Streitpatents sei auch nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Die im Patentanspruch vorausgesetzte Drehbarkeit des Auswahlmittels und die damit vorausgesetzte Dreharbeit des Rückholelements 4a sei nicht möglich, weil dieses Rückholelement in die Aufnahmen eingreife.

19

Zudem sei der Gegenstand des Patentanspruch 1 nicht neu gegenüber K11. Eine fehlende Neuheit sei auch im Hinblick auf K7 gegeben. Selbst wenn K11 nicht neuheitsschädlich gesehen werde, sei die Lehre des Patentanspruchs 1 naheliegend aufgrund der Kombination von K11 und K7. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei auch aus einer Kombination von K7 und K8 nahegelegt. Die K7 offenbare zudem die weiteren Merkmale nach den Unteransprüchen 3, 7 und 9. Der Gegenstand des Anspruchs 8 sei nahegelegt durch eine Kombination der K7 und K8.

20

Auch die Hilfsanträge I bis V seien nicht geeignet, eine Patentfähigkeit zu begründen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag I sei unzulässig, da die Beschränkung eines umlaufenden Bereiches nicht ursprünglich offenbart sei; eine Patentfähigkeit sei im Hinblick auf K7 und K11 ebenfalls abzulehnen. Der Gegenstand des Hilfsantrags II sei aus dem Stand der Technik vorbekannt. Der Gegenstand des Hilfsantrags III sei für den Fachmann naheliegend. Dies ergebe sich ausgehend von K7 bzw. K11 und dem als K14 vorgelegten, vorveröffentlichten Auszug des Katalogs „Category: Coining Tools 5/91“, in dem zwei entsprechende Werkzeugsysteme mit Schraubenfedern, die zu einer Längsmittelachse dieses Systems umfangsmäßig angeordnet seien, gezeigt würden. Aus dem sich auf der betreffenden Seite befindlichen Copyrightvermerk von 1991 gehe die Vorveröffentlichung hervor. Auch K15, S. 30 und 36 des 1999 Katalogs „Thick Turret Special Tooling“ offenbare ein Werkzeugsystem mit umfangsmäßig angeordneten Schraubenfedern. Die Hilfsanträge IV und V enthielten lediglich nicht patentfähige Kombinationen der vorangegangenen Hilfsanträge. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag VI schließe sämtliche Merkmale des Unteranspruchs 5 des Klagepatents ein, der nicht angegriffen werde.

21

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

22

das europäische Patent 1 153 676 im Umfang der erteilten Ansprüche 1 bis 3 und 7 bis 9, soweit diese nicht auf die Ansprüche 4 bis 6 rückbezogen sind, für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

23

Sie erklärt ausdrücklich, dass das Streitpatent nicht mehr angegriffen werde, soweit es mit den mit Schriftsatz vom 7. Mai 2015 eingereichten Hilfsanträgen VI bis VIII verteidigt wird.

24

Die Beklagte beantragt,

25

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent mit Hilfsanträgen I bis VIII (Bl. 324-387 d. A.) eingereicht mit Schriftsatz vom 7. Mai 2015, verteidigt werde.

26

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin uneingeschränkt entgegen und verteidigt das Streitpatent in der erteilten Fassung sowie in den jeweiligen Fassungen gemäß den Hilfsanträgen I bis VIII.Der Gegenstand der angegriffenen Ansprüche 1 bis 3 und 7 bis 9 gehe nicht über den Inhalt der zugrunde liegenden Anmeldung hinaus, sei ausführbar und auch patentfähig.

27

Insbesondere fehle es dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht an Neuheit gegenüber den Schriften K11 und K7. Auch sei der beanspruchte Gegenstand weder durch K7 noch durch K11 nahegelegt. Die Vorveröffentlichung der von der Klägerin vorgelegten Katalogauszüge K14 und K15 werde bestritten. Insbesondere werde bestritten, dass die K15 der Öffentlichkeit im Jahr 1999 zugänglich gemacht worden sei, da anhand eines Internetauszugs (Anlage 2 zum Protokoll) nachgewiesen werden könne, dass der Katalog K15 erst im Jahre 2003 archiviert worden sei.

28

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 18. August 2015 den Originalkatalog der K15 vorgelegt und für dessen im Jahr 1999 erfolgte Verbreitung Zeugenbeweis angeboten.

29

Der Senat hat den Parteien einen frühen qualifizierten Hinweis vom 23. März 2015 nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 285 ff. d. A.).

30

Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt allen Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.08.2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

31

Die zulässige Klage, mit der die Klägerin die in Artikel II § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 lit. a), b) und c) EPÜ i. V. m. Artikel 52, 54 Abs. 1, 2 und Artikel 56 EPÜ vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung, der mangelnden Ausführbarkeit und der fehlenden Patentfähigkeit geltend gemacht hat, ist insoweit begründet, als das Streitpatent dadurch für nichtig erklärt wird, dass es die Fassung der Patentansprüche 1 bis 3 und 7 bis 9 gemäß Hilfsantrag VI erhält. Da die Klage insoweit erfolgreich ist, als das Streitpatent in den Fassungen nach Hauptantrag und nach den Hilfsanträgen I bis V verteidigt wird und die Klägerin ausdrücklich erklärt hat, dass sie das Streitpatent, soweit es in der Fassung nach Hilfsantrag VI verteidigt wird, nicht angreift, ist die insoweit beschränkte Klage in vollem Umfang begründet; es bedarf keiner Klageabweisung im Übrigen.

II.

32

1. Das Streitpatent betrifft einen Schnellwechsel-Stanzwerkzeughalteradapter zum Umwandeln von Einfachstanzmaschinen in Mehrfachstanzmaschinen, wie er anhand der Figuren 1 bis 3 im Streitpatent gezeigt und beschrieben ist.

33

Herkömmliche Stanzmaschinen (EP 0 727 263) können nur jeweils einen Stößel aufnehmen und haben als Stößelhalter einen zylindrischen Körper, in dem der Stößel in vertikaler Richtung geführt ist. Über eine mechanische Kupplung (z. B. Verschraubung) ist eine Scheibe oberhalb des Körpers an dem Kopf des Stößels befestigt und kann sich gemeinsam mit dem Stößel in einer vertikalen Richtung bewegen. Nach den Ausführungen in den Absätzen [0008] bis [0010] der Streitpatentschrift (K5) ist es aus unterschiedlichen Gründen erforderlich, Stößel zu ersetzen oder den Hub des Hammers anzupassen, was sehr kompliziert und zeitaufwändig ist.

34

Andere bekannte Stanzmaschinen, wie sie beispielsweise die US 5 615 471 zeigt, von der das Streitpatent nach Absatz [0011] ausgeht, haben Revolverscheiben (3), die um eine zentrale Achse (A) drehbar sind und in denen mehrere Einfach- oder Mehrfachstößelhalteradapter aufgenommen sind, welche wiederum die Stanzwerkzeuge tragen. Nach den Ausführungen im Absatz [0011] des Streitpatents (K5) haben die dort verwendeten Stößelhalter elastische Mittel, die zwischen einem Auswahlmittel und einem zylindrischen Körper des Stößelhalters in einem relativ engen Sitz aufgenommen sind.

35

2. Vor diesem Hintergrund bezeichnet es die Streitpatentschrift als Aufgabe der Erfindung, einen schnell lösbaren Stößelhalter-Adapter zum Umrüsten von Stanzmaschinen aus einer Einfachstößelkonfiguration in eine Mehrfachstößelkonfiguration zu schaffen, der es erlaubt, eine Mehrzahl von Stößeln unterhalb des Hammers bereitzuhalten, ohne sie systematisch jedes Mal ersetzen zu müssen, wenn das an den Metallplatten durchgeführte Verfahren sich ändert, und der es auch erlaubt, den Stößel, der verwendet wird, aus den gestanzten Metallplatten in einer absolut verlässlichen Weise ohne Festsitzen zu entfernen, und der es schließlich erlaubt, Variationen in der Länge der Stößel infolge von im Zeitablauf wiederholten Schleifvorgängen zu kompensieren [0012].

36

3. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt der Patentanspruch 1 in der geltenden Fassung gemäß Hauptantrag in deutscher Übersetzung vor:

37

1 Schnell entfernbarer Stößelhalter-Adapter zum Umrüsten von Stanzmaschinen aus einer Einfachstößelkonfiguration in eine Mehrfachstößelkonfiguration,

38

2 mit einem zylindrischen Körper (3), der eine Mehrzahl von sich längs erstreckenden Aufnahmen (4) zur gleitenden Aufnahme von zugeordneten Stößeln (2) aufweist,

39

2.1 die Achsen der Aufnahmen sind parallel zu der Achse des zylindrischen Körpers (3),

40

3 wobei am Ende des zylindrischen Körpers (3) ein Auswahlmittel (5) drehbar befestigt ist;

41

3.1 das Auswahlmittel (5) ist an seiner unteren Fläche mit einem Zahn (6) zur Kontaktierung des Kopfes (2c) jedes ausgewählten Stößels (2) versehen;

42

3.2 das Auswahlmittel (5) ist mit einem Bereich (4a) versehen, der von unten in einen Kopf (2c) des Stößels eingreift, um so die Rückkehr des Stößels (2) nach jedem aktiven Hub zu gewährleisten;

43

3.3 das Auswahlmittel ist mit einem Motormittel zur winkelmäßigen Drehung in Eingriff bringbar, wobei der Motor mit dem herkömmlichen Revolver einer Stanzmaschine zusammenhängt;

44

4 mit einem elastischen Mittel (7), das zwischen dem Auswahlmittel (5) und dem zylindrischen Körper (3) angeordnet ist,

45

4.1 wobei das elastische Mittel (7) durch Druck vorspannbar ist und dazu geeignet ist, dem aktiven Hub entgegenzuwirken,

46

4.2 das elastische Mittel (7) ist zu dem zylindrischen Körper umfangsmäßig angeordnet.

47

Im Hilfsantrag I ist beim Patentanspruch 1 gegenüber der Fassung nach Hauptantrag das Merkmal 3.2 durch das Merkmal 3.2.A ersetzt (Änderungen unterstrichen):

48

3.2.A das Auswahlmittel (5) ist mit einem umlaufend angeordneten Bereich (4a) versehen, der von unten in den Kopf (2c) des ausgewählten Stößels eingreift, um so die Rückkehr des ausgewählten Stößels (2) nach jedem aktiven Hub zu gewährleisten;

49

Im Hilfsantrag II enthält der Patentanspruch 1 gegenüber der Fassung nach Hauptantrag lediglich den Disclaimer, wonach es sich beim Merkmal 3.2 um eine unzulässige Erweiterung handelt.

50

Im Hilfsantrag III ist der Patentanspruch 1 gegenüber der Fassung nach Hauptantrag durch das Merkmal 4.3 ergänzt:

51

4.3 wobei das elastische Mittel (7) durch eine Vielzahl von Schraubenfedern (12) gebildet ist.

52

Im Hilfsantrag IV ist der Patentanspruch 1 gegenüber der Fassung nach Hilfsantrag I ebenfalls durch das Merkmal 4.3 ergänzt.

53

4.3 wobei das elastische Mittel (7) durch eine Vielzahl von Schraubenfedern (12) gebildet ist.

54

Im Hilfsantrag V enthält der Patentanspruch 1 gegenüber der Fassung nach Hilfsantrag III lediglich den Disclaimer, wonach es sich beim Merkmal 3.2 um eine unzulässige Erweiterung handelt.

55

Im Hilfsantrag VI ist der Patentanspruch 1 gegenüber der Fassung nach Hilfsantrag III durch das Merkmal 4.4 ergänzt:

56

4.4 die zwischen einem umfangsmäßigen Vorsprung (13) des Auswahlmittels (5), der eine vertikale Rückhaltewand (14) bildet und einer Stufe (15), die auch umlaufend von einer äußeren Fläche des zylindrischen Körpers (3) hervorsteht, eingeführt sind.

57

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag VI umfasst somit alle Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 5, der von der Klägerin nicht angegriffen ist.

58

Hinsichtlich der Fassungen der jeweiligen Patentansprüche 1 der weiteren Hilfsanträge wird auf den Akteninhalt verwiesen.

III.

59

1. Als zur objektiven Problemlösung berufenen Fachmann sieht der Senat einen Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau, der mehrjährige Berufserfahrung in der Konstruktion von Stanzmaschinen aufweist.

60

2. Nach dessen maßgeblichem Verständnis und einer am Gesamtzusammenhang orientierten Betrachtung (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 2011, 129 – Fentanyl-TTS; GRUR 2004, 845 – Drehzahlermittlung, m. w. N.) ist zu beurteilen, welche technische Lehre Gegenstand des jeweiligen Patentanspruchs ist und welchen technischen Sinngehalt den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit zukommt (BGH GRUR 2002, 515, 517 – Schneidmesser I; GRUR 2001, 232, 233 - Brieflocher, jeweils m. w. N.). Der Senat legt danach den geltenden Patentansprüchen folgendes Verständnis zu Grunde:

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61

3. Der Streitpatentgegenstand betrifft nach dem Patentanspruch 1 einen schnell entfernbaren Stößelhalter-Adapter zum Umrüsten von Stanzmaschinen aus einer Einfach- in eine Mehrfachstößelkonfiguration, wie er beispielsweise bereits aus der in der Beschreibungseinleitung genannten Schrift US 5 615 471 bekannt ist. Demnach sind in die Revolverscheibe der Stanzmaschine mehrere Stößelhalteradapter, nämlich wahlweise Mehrfachstößelhalter-adapter oder Einfach-stößelhalteradapter einsetzbar. Sofern Einfachstößelhalteradapter in den Revolver der Stanzmaschine eingesetzt sind, können diese je nach Bedarf durch Mehrfachstößelhalteradapter ersetzt werden, was fachmännisch auch als Umrüsten bezeichnet wird.

62

Nach Merkmal 2 hat der schnell entfernbare Stößelhalter-Adapter einen zylindrischen Körper (3), der eine Mehrzahl von sich längs erstreckenden Aufnahmen (4) zur gleitenden Aufnahme von zugeordneten Stößeln (2) aufweist und deshalb ein Mehrfachstößeladapter ist. Die Achsen der Aufnahmen (4) sind dabei parallel zu der Achse des zylindrischen Körpers (3) angeordnet.

63

Nach Merkmal 3 ist am Ende des zylindrischen Körpers (3) ein Auswahlmittel (5) drehbar befestigt. Dem Wortlaut nach verlangt Merkmal 3 lediglich, dass zwei Baugruppen, nämlich der zylindrische Körper und ein Auswahlmittel, drehbar aneinander befestigt sind. Dies bedeutet, dass eine Rotationsbewegung der beiden Baugruppen relativ zueinander möglich sein muss. Welche Baugruppe gedreht werden soll, legt der Wortlaut von Merkmal 3 nicht fest. Er legt auch nicht fest, bei welcher Gelegenheit (zu welchem Zweck) sie sich drehen soll.

64

Der Senat teilt insofern auch die Auffassung der Beklagten, die sie als Klägerin im Verletzungsprozess vorgetragen hat, dass das Streitpatent mit Merkmal 3 lediglich eine relative Verdrehbarkeit zwischen Zahn und zylindrischem Körper verlangt, ohne dass festgelegt ist, welches Bauteil sich dreht und welches feststeht. Der Begriff „am Ende“ in Verbindung mit einem zylindrischen Körper legt fest, dass hier nur eines der beiden Enden eines zylindrischen Körpers zur Befestigung dient.

65

Die Merkmale 3.1 bis 3.3 beschreiben den Aufbau und die Wirkungsweise des Auswahlmittels näher. Demnach besteht das streitpatentgemäße Auswahlmittel - wie auch die Ausführungen in den Beschreibungsunterlagen und die Figur 1 belegen - aus mehreren Bauteilen.

66

Nach Merkmal 3.1 ist das Auswahlmittel (5) an seiner unteren Fläche mit einem Zahn (6) zur Kontaktierung des Kopfes (2c) jedes ausgewählten Stößels (2) „versehen“. Unter einem „Zahn" ist im Allgemeinen ein aus einer beliebigen Fläche hervorstehendes (lokal begrenztes) Teil anzusehen. Nach der Beschreibung, Absatz [0020] „hat“ das Auswahlmittel den Zahn (6) – der Zahn (6) ist somit Bestandteil des Auswahlmittels (5).

67

Einer der im zylindrischen Körper (3) angeordneten Stößel (2) kann zum Stanzen durch das Auswahlmittel (5) „ausgewählt“ werden, indem der Zahn (6) durch die in Merkmal 3 beschriebene relative Verdrehbarkeit zwischen dem zylindrischen Körper (3) und Auswahlmittel (5) über dem ausgewählten Stößel positioniert wird. Beim Stanzvorgang treibt der Zahn (6) den so ausgewählten Stößel (2) in das zu stanzende Werkstück, während die anderen Stößel inaktiv bleiben.

68

Darüber hinaus ist das Auswahlmittel (5) nach Merkmal 3.2 der deutschen Übersetzung mit einem Bereich (4a) versehen, der von unten in einen Kopf (2c) des Stößels eingreift, um so die Rückkehr des Stößels (2) nach jedem aktiven Hub zu gewährleisten. Wie der Senat bereits im qualifizierten Hinweis ausführlich erläutert hat, ist unter Berücksichtigung der maßgeblichen englischen Originalfassung nach der K4 darunter zu verstehen, dass dem Auswahlmittel (5) ein Bereich (4a) angehört, der seinerseits von unten her an einen Kopf (2c) des Stößels (2) angreift. Der zweite Teil des Merkmals 3.2 erklärt den Zweck dieser technischen Ausgestaltung damit, dass so die Rückkehr des Stößels nach jedem aktiven Hub (hier ist der eigentliche Stanzvorgang gemeint) zu gewährleisten sei.

69

Das Auswahlmittel ist nach Merkmal 3.3 mit einem Motormittel zur winkelmäßigen Drehung in Eingriff bringbar, wobei der Motor mit dem herkömmlichen Revolver einer Stanzmaschine zusammenhängt. Nach den Ausführungen in Absatz [0021] der K5 kann das Auswahlmittel (5) mit einem Motormittel herkömmlicher Art gekoppelt sein, wozu gemäß Absatz [0032] beispielsweise eine von einem Motor angetriebene Übertragungskette mit einem verzahnten Ring (11) kämmt, der auf einer Scheibe (10) des Auswahlmittels (5) angeordnet ist.

70

Bereits nach dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 besteht danach das Auswahlmittel (5) aus mehreren Bauteilen, nämlich dem Zahn (6) und dem Bereich (4a) des Auswahlmittels. Darüber hinaus gehören ausweislich der Beschreibung, Absätze [0025] bis [0027], auch die Scheibe (10), deren Umfangsvorsprung (13) die Wand (14) sowie ein gezahnter Ring (11) zu dem Auswahlmittel (5). Auch die Figur 1 belegt aufgrund der fachüblichen Schraffuren unmissverständlich, dass das Auswahlmittel aus mehreren Bauteilen besteht. Aus der Figur 1 erkennt der Fachmann eindeutig, dass alle Bauteile des Auswahlmittels gemeinsam unter der Wirkung des Hammers in vertikaler Richtung nach unten bewegt und nach dem Stanzvorgang wieder nach oben zurückgeführt werden. Jedoch lassen weder die Figuren noch die textliche Beschreibung eindeutig erkennen, welche (anderen) Bauteile des Auswahlmittels sich gemeinsam mit dem verzahnten Ring (11) und dem Zahn (6) relativ zu dem zylindrischen Körper (3) drehen. Hier sind mehrere Möglichkeiten denkbar und vom Wortlaut des Patentanspruchs umfasst.

71

Nach einer von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vertretenen Variante drehen sich lediglich diejenigen Bauteile des Auswahlmittels, die entsprechend der Schraffur von verzahntem Ring (11) und Zahn (6) von links oben nach rechts unten schraffiert sind, während die anders schraffierten Bauteile, insbesondere der Körper 5a und der Bereich 4a des Auswahlmittels, sich nicht drehen würden, sondern feststehend wären.

72

Nach Merkmal 4 hat der schnell entfernbare Stößelhalter-Adapter ein elastisches Mittel (7), das zwischen dem Auswahlmittel (5) und dem zylindrischen Körper (3) angeordnet ist. In der maßgeblichen englischen Originalfassung nach der K4 spricht das Streitpatent allerdings von „elastic means“, so dass klar wird, dass es sich um mehrere elastische Mittel handelt, wie auch dem Gesamtoffenbarungsgehalt des Streitpatents entnehmbar ist.

73

Merkmal 4 legt somit fest, dass die elastischen Mittel (7) derart zwischen dem Auswahlmittel (5) und dem zylindrischen Körper (3) angeordnet sein müssen, dass sie ihre entsprechend dem Erfindungsgedanken zugedachte technische Funktion ermöglichen können, nämlich das Erzeugen der Rückführkraft, die den ausgewählten und benutzten Stempel nach oben in die Ausgangsstellung zurückführt. Dazu müssen sie nicht unbedingt unmittelbar zwischen dem Auswahlmittel (5) und dem zylindrischen Körper (3) angeordnet sein, sondern bereits eine mittelbare Anordnung zwischen dem Auswahlmittel (5) und dem zylindrischen Körper (3) ermöglicht die Rückführung des ausgewählten und benutzten Stempels.

74

Diese elastischen Mittel (7) sind gemäß Merkmal 4.1 durch Druck vorspannbar und dazu geeignet, dem aktiven Hub entgegenzuwirken. Nach Durchführung des Stanzvorgangs bewirkt die Vorspannung der elastischen Mittel (7) das verlässliche Rückführen des aktiven Stempels in die Ausgangslage.

75

Nach Merkmal 4.2 sind die elastischen Mittel (7) zu dem zylindrischen Körper (3) „circumferentially“, also „umfangsmäßig“ angeordnet. Wie das Ausführungsbeispiel nach Figur 1 des Streitpatents deutlich belegt, ist damit nicht gemeint, dass die elastischen Mittel (7) unmittelbar auf der Umfangslinie des zylindrischen Körpers (3) angeordnet sind, also mit gleichem radialen Abstand, weil sie, wie in Fig. 1 ersichtlich, auf der am oberen Ende des zylindrischen Körpers (3) angeordneten Stufe (15) kreisförmig außerhalb der Umfangslinie um die Achse des zylindrischen Körpers (3) angeordnet sind. Unter Berücksichtigung der maßgeblichen englischen Originalfassung und dem intendierten Sinn und Zweck des Merkmals 4.2, die Federkraft umlaufend zu verteilen, ist der Begriff „umfangsmäßig angeordnet“ so zu verstehen, dass die elastischen Mittel (7) umlaufend mit irgendeinem - und nicht zwingend  mit dem radialen Abstand des Umfangs des zylindrischen Körpers (3) - gegenüber der Mittelachse des zylindrischen Körpers ausgestaltet sind. Mit welchem Abstand zur Mittelachse die elastischen Mittel angeordnet sind, legt danach der geltende Patentanspruch 1 nicht fest.

76

Nach Merkmal 4.3 gemäß den Hilfsanträgen III und folgende sind die elastischen Mittel durch eine Vielzahl von Schraubenfedern gebildet. Entgegen der Auffassung der Klägerin hält der Senat diese Übersetzung des Begriffs „plurality“ der maßgeblichen englischen Originalfassung für durchaus treffender als den im erteilten Patent verwendeten Begriff „Mehrzahl“. Denn im Streitpatent ist klar offenbart, dass viele Schraubenfedern umlaufend angeordnet sein sollen, um die Federkraft „umlaufend“ zu verteilen, und nicht nur zwei oder drei Schraubenfedern, die unter den Begriff „Mehrzahl“ fallen würden, der von der Klägerin als zutreffend angesehen wird.

77

Das Merkmal 4.4 beschreibt die Anordnung der Schraubenfedern zwischen dem umfangsmäßigen Vorsprung (13) des Auswahlmittels (5) und einer Stufe (15) des zylindrischen Körpers (3).

IV.

78

Die zulässige Klage ist erfolgreich, als das Streitpatent in den nach Hauptantrag und Hilfsanträgen I bis V verteidigten Fassungen keinen Bestand hat und die nach Hilfsantrag VI zulässig verteidigte Fassung nicht angegriffen ist.

79

1. Patentanspruch 1 nach Hauptantrag

80

Es kann hinsichtlich der nach Hauptantrag verteidigten Fassung des Streitpatents letztlich dahingestellt bleiben, ob die Lehre des geltenden Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachten Umstände ausführbar ist oder ob sie im Hinblick auf die nachtäglichen Ergänzungen im ersten Teil des Merkmals 3.2 gegenüber dem Inhalt der Anmeldung durch Aufnahme nicht ursprungsoffenbarter Merkmale erweitert ist und welche Folgen hieraus abzuleiten sind. Denn der beanspruchte Gegenstand ist gegenüber dem Stand der Technik nach der K11 nicht neu, zumindest nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhend und somit nicht patentfähig.

81

Die K11 offenbart ein Mehrfachwerkzeug für eine Stanzvorrichtung, mit einem zylindrischen Körper (32), der eine Mehrzahl von sich längs erstreckenden Aufnahmen (Führungsbohrungen 36) zur gleitenden Aufnahme von zugeordneten Stößeln (Stanzstempel 38) aufweist (Merkmal 2). Bei der bekannten Stanzvorrichtung handelt es sich somit zweifellos auch um einen schnell entfernbaren Stößelhalter-Adapter von Stanzmaschinen, der (beispielsweise) von einer Einfachstößelkonfiguration in eine Mehrfachstößelkonfiguration gemäß Merkmal 1 umrüstbar ist oder zumindest dafür geeignet ist. Dies wird von der Beklagten auch nicht bestritten.

Abbildung

82

Ersichtlich sind nach der einzigen Figur der K11 entsprechend Merkmal 2.1 die Achsen der Aufnahmen (Führungsbohrungen 36) parallel zu der Mittelachse des zylindrischen Körpers (32).

83

Die bekannte Stanzvorrichtung hat auch – ähnlich wie der Streitpatentgegenstand – ein aus mehreren Bauteilen bestehendes Auswahlmittel, welches am oberen Ende des zylindrischen Körpers (32) drehbar befestigt ist (Merkmal 3). Denn das Auswahlmittel, zu dem (unter anderem) Treiberelement (14), Aufnahme (18) und ein einziger Zahn (Treiberbolzen 30) gehören, wählt den zum Stanzen benötigten Stößel (Stanzstempel 38) aus, indem zumindest einige Bauteile des Auswahlmittels, insbesondere Treiberelement (14) und Zahn (Treiberbolzen 30) nach Absatz [0019] der K11 derart relativ bezüglich des zylindrischen Körpers (32) verdrehbar sind, dass der Zahn (Treiberbolzen 30) über dem ausgewählten Stößel positioniert ist.

84

Dabei ist es unerheblich, - weil vom Wortlaut des Merkmals 3 nicht gefordert (vgl. die Ausführungen zur Auslegung des Merkmals 3 des Streitgegenstands in Abschnitt III.2) - ob sich das Auswahlmittel gegenüber dem zylindrischen Körper oder der zylindrische Körper gegenüber dem Auswahlmittel dreht.

85

Der Zahn (Treiberbolzen 30) ist entsprechend Merkmal 3.1 an einer nach unten gerichteten Fläche, also einer unteren Fläche im Sinne des Streitpatents, angeordnet und kann entsprechend den Ausführungen in Absatz [0019], letzter Satz, den Kopf des ausgewählten Stößels kontaktieren.

86

Das aus mehreren Bauteilen bestehende Auswahlmittel hat zudem einen Bereich (Rückholplatte 46), der von unten in bzw. an einen Kopf (40) des Stößels (Stanzstempel 38) angreift und so die Rückkehr des Stößels (38) nach jedem aktiven Hub gewährleistet (Merkmal 3.2).

87

Entgegen der Auffassung der Beklagten gehört auch die Rückholplatte (46) zu dem Auswahlmittel, weil sie durch das mit dem Treiberelement (14) verschraubte Zentrierelement (48) derart am Auswahlmittel befestigt ist, dass sie - ähnlich wie Bereich 4a beim Streitpatent - gemeinsam mit dem Auswahlmittel unter der Wirkung des Hammers in vertikaler Richtung nach unten und nach dem Stanzvorgang wieder nach oben bewegt wird. Dem steht nicht entgegen, dass die Rückholplatte (46) der K11 (relativ) zum Auswahlmittel in Form des Treiberelements (14) verdrehbar ist, denn auch beim Streitpatentgegenstand gibt es nach dem Vortrag der Beklagten verdrehbare und feststehende Teile des Auswahlmittels. Zudem legt der Patentanspruch auch nicht fest, ob und welche Teile des Auswahlmittels verdrehbar oder feststehend sein sollen. Vielmehr entspricht die Rückholplatte (46) nach Funktion, Wirkung und Anordnung exakt dem Bereich 4a des Auswahlmittels beim Streitpatent.

88

Die bekannte Stanzvorrichtung hat auch ein elastisches Mittel in Form von mehreren, übereinander liegenden Tellerfedern (Tellerfederpaket (20)), die zwischen dem Auswahlmittel (Treiberkopf des Treiberelements (14)) und dem zylindrischen Körper (32) angeordnet sind (Merkmal 4). Unerheblich ist - weil vom Wortlaut des geltenden Patentanspruchs nicht gefordert -, dass hier bei der K11 die elastischen Mittel nicht unmittelbar zwischen dem Auswahlmittel (Treiberkopf des Treiberelements (14)) und dem zylindrischen Körper (32) angeordnet sind, sondern nur mittelbar über die Aufnahme (18), die in axialer Richtung fest mit dem zylindrischen Körper (32) verbunden ist.

89

Dabei sind die elastischen Mittel der bekannten Stanzvorrichtung nach der K11 in Form der Tellerfedern (20) - wie im Übrigen alle (Druck-) Federn - durch Druck vorspannbar und dazu geeignet, dem aktiven Hub entgegenzuwirken (Merkmal 4.1).

90

Auch das Merkmal 4.2, wonach elastische Mittel (20) zu dem zylindrischen Körper umfangsmäßig angeordnet sind, ist bei der K11 verwirklicht, weil die einzelnen Tellerfedern des Tellerfederpakets (20) ringförmig ausgebildet sind und deshalb gegenüber der Bezugsfläche hier einer Fläche des zylindrischen Körpers umlaufend ausgestaltet sind. Somit wird - im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten - auch bei der K11 die Federkraft nicht nur an einer (einzigen) Stelle punktförmig in den zylindrischen Körper eingeleitet, sondern aufgrund der ringförmigen Tellerfedern - genauso wie beim Streitpatent - am zylindrischen Körper umlaufend verteilt.

91

Somit sind, mit Ausnahme des Merkmals 3.3, alle Merkmale des Patentanspruchs 1 aus der K11 bekannt. Lediglich Motormittel, die zur winkelmäßigen Drehung in Eingriff bringbar sind, wobei der Motor mit dem herkömmlichen Revolver einer Stanzmaschine zusammenhängt, entsprechend Merkmal 3.3, offenbart die K11 nicht wörtlich. Jedoch werden derartige Mehrfachwerkzeuge nach der K11 entsprechend den Ausführungen im Absatz [0002] der K11 üblicherweise bei Hubzahlen von 400 Hüben/min betrieben, wobei in der Zeit zwischen zwei Hüben auch das Verdrehen des Führungselementes bezüglich der Aufnahme erfolgt. Damit offenbart die K11 dem Fachmann unmittelbar und eindeutig, dass dadurch zwangsläufig Motormittel zum Einsatz kommen müssen, die mit dem Auswahlmittel zur winkelmäßigen Drehung in Eingriff bringbar sind, wobei diese Motormittel bzw. der Motor zwangsläufig auch mit dem herkömmlichen Revolver der Stanzmaschine zusammenhängen muss, um die im Absatz [0002] der K11 beschriebenen Verdrehbewegungen in Abhängigkeit von den Hubbewegungen durchführen zu können. Der Senat sieht daher auch das Merkmal 3.3 durch die K11 unmittelbar und eindeutig als offenbart an, so dass der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag bereits wegen mangelnder Neuheit gegenüber der K11 keinen Bestand hat.

92

2. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I

93

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Lehre des geltenden Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag I ausführbar ist oder ob dieser Patentanspruch  durch Aufnahme nicht ursprungsoffenbarter Merkmale erweitert ist und welche Folgen hieraus abzuleiten sind, denn der beanspruchte Gegenstand ist gegenüber dem Stand der Technik nach der K11 nicht neu.

94

Wie bereits bei der Beurteilung der mangelnden Neuheit des Streitpatentgegenstandes nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ausgeführt ist, ist der dort beanspruchte schnell entfernbare Stößelhalter-Adapter zum Umrüsten von Stanzmaschinen aus einer Einfachstößelkonfiguration in eine Mehrfachstößelkonfiguration nicht neu gegenüber dem Gegenstand der K11.

95

Darüber hinaus ist auch das zum Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag unterschiedliche Merkmal 3.2.A ebenfalls vollständig aus der K11 bekannt. Denn auch das Auswahlmittel der K11 in Form der Rückhohlplatte (46) ist gemäß der Figur der K11 mit einem umlaufend angeordneten Bereich (ohne eigenes Bezugszeichen) versehen, der von unten an den Kopf des (für den Stanzvorgang) ausgewählten Stößels genauso eingreift, wie es beim Streitpatentgegenstand der Fall ist, um so die Rückkehr des ausgewählten Stößels nach jedem aktiven Hub zu gewährleisten.

96

Somit ist auch der Streitpatentgegenstand nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I vollständig aus der K11 bekannt.

97

3. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag II

98

Patentanspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag II enthält wörtlich auch diejenigen Merkmale, die dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag zu Grunde liegen, so dass hinsichtlich der Zulässigkeit der Änderung und der fehlenden Neuheit dieses Anspruchs auf die Ausführungen zum Hauptantrag verwiesen wird.

99

4. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag III

100

Auch insoweit kann dahingestellt bleiben, ob der geänderte Patentgegenstand auf einer zulässigen Änderung basiert, da der beanspruchte Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

101

4.1. Die Klägerin hat zur Stützung ihres Antrags bezüglich des Hilfsantrags III und des maßgeblichen Stands der Technik die Schriften K14 und die K15 vorgelegt.

102

Nach Überzeugung des Senats ist davon auszugehen, dass sowohl der als K14 in Kopie eingereichte Auszug aus dem Katalog „Category: Coining Tools 5/91“ der Firma Wilson Tool International als auch der als K15 in Kopie eingereichte Auszug aus dem Katalog „Thick Turret Special Tooling“ von Wilson Tool vor dem Prioritätstag des Streitpatents, dem 11. Mai 2000, der Öffentlichkeit zugänglich war und damit beide Unterlagen zum Stand der Technik im Sinne von Art. 54 Abs. 2, Art. 56 EPÜ zählten.

103

Bei der dem Senat von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung im Original vorgelegten K15 handelt es sich um einen Firmenprospekt, der nach seinem Aufbau und Layout zweifelsfrei als Werbedruckschrift und damit zum öffentlichen Verteilen an interessierte Kreise und Kunden vorgesehen war. Der auf der letzten Seite angebrachte Copyright-Vermerk „7/99“ belegt zur Überzeugung des Senats zweifelsfrei die Herstellung des Firmenkatalogs im Juli 1999. Da derartige Schriften nach der allgemeinen Lebenserfahrung in unmittelbarem Anschluss an die Herstellung auch verteilt werden (Keukenschrijver/Busse, PatG, 7. Aufl. § 3 Rdn. 195, m. w. N.), ist der Senat auch davon überzeugt, dass diese Schrift deutlich vor dem Prioritätstag des Streitpatents vom 11. Mai 2000 der Öffentlichkeit zugänglich war. Soweit die Beklagte Kopien eines Internetauszugs (vgl. Anlage 2 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18. August 2015) vorlegt, wonach der Katalog erst im Jahr 2003 archiviert worden ist, stellt dies kein erhebliches Bestreiten im Hinblick auf die insoweit aufgrund des Copyright-Vermerks bestehende Beweisvermutung für die Veröffentlichung des Katalogs im Juli 1999 dar, da eine elektronische Archivierung eines Katalogs nach dessen Erscheinen in Printform praktisch jederzeit und damit auch erheblich später als die Verteilung des Katalogs in gedruckter Form erfolgen konnte, mithin aus derartigen nachträglichen Umständen selbst bei unterstellter Richtigkeit keine hinreichenden Rückschlüsse gezogen werden können, welche der aus den festgestellten Umständen und der allgemeinen Lebenserfahrung resultierenden Beweisvermutung einer öffentlichen Zugänglichmachung des Firmenprospekts vor dem 11.5.2000 entkräften könnten (siehe auch BPatG Urt. v. 26. Februar 2015, 7 Ni 46/14 (EP)). Auf den von der Klägerin angebotenen Zeugenbeweis kam es daher nicht an.

104

Im Hinblick auf den in der Anlage K14 vorgelegten Auszug aus dem Katalog „Category: Coining Tools 5/91“ geht der Senat gleichermaßen davon aus, dass aufgrund des auf der vorgelegten Katalogseite befindlichen Copyright-Vermerks das Jahr 1991 als Herstellungszeitpunkt des Katalogs belegt ist. Auch in diesem Zusammenhang ist nach allgemeiner Lebenserfahrung anzunehmen, dass eine Verteilung der Druckschrift in unmittelbarem Anschluss an die Herstellung, die weit vor dem Prioritätstag des Streitpatents, dem 11. Mai 2000, erfolgt ist. Die Beklagte hat insoweit auch nicht substantiiert bestritten und vorgetragen, weshalb die aufgrund des Copyright-Vermerks bestehende Beweisvermutung für eine alsbaldige Veröffentlichung nach dem Herstellungszeitpunkt im Jahr 1991 im konkreten Fall zu entkräften wäre.

105

Die genannten Firmenschriften K14 und K15 sind daher dem vorveröffentlichten Stand der Technik zuzurechnen.

106

4.2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag III umfasst zusätzlich zu den Merkmalen des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag die ergänzenden Merkmale 4.3, wonach „wobei das elastische Mittel (7) durch eine Vielzahl von Schraubenfedern (12) gebildet ist“.

107

Wie bereits bei der Beurteilung der mangelnden Neuheit des Streitpatentgegenstandes nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ausgeführt ist, sind dessen Merkmale vollständig aus der K11 bekannt. Auf die entsprechenden Ausführungen wird verwiesen.

108

Zwar ist das im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag III aufgeführte, zusätzliche Merkmal 4.3 der K11 nicht zu entnehmen, weil dort Tellerfedern und nicht Schraubenfedern die erforderliche Kraft zum Zurückführen der Stößel nach einem Stanzvorgang aufbringen. Jedoch verwendet der Fachmann bei Stanzmaschinen als elastische Mittel zum Rückführung der Stößel nach einem Stanzvorgang seit langem und auch schon vor dem Prioritätszeitpunkt wahlweise entweder Tellerfedernpakete, kreisförmig angeordnete Schraubenfedern oder ringförmige Urethanfedern. Als Beleg dafür sei beispielsweise auf die von der Klägerin genannte K14 oder K15 verwiesen, die beide jeweils Auszüge eines Werbeprospekts für Stanzwerkzeuge zeigen.

109

Insbesondere aus der K14 ist ersichtlich, dass Tellerfedernpakete, kreisförmig angeordnete Druckfedern oder ringförmige Urethanfedern üblicherweise beliebig austauschbar sind und daher vom Fachmann je nach Anwendungsfall, beispielsweise Federcharakteristik, Geräuschverhalten etc. ausgewählt werden können. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist hierfür auch keine aufwändige Verbreiterung des Kopfes erforderlich, sondern lediglich geringfügige Anpassungen, wie bereits die K14 belegt.

110

Auch die Abbildungen auf Seite 30 und 36 der K15 zeigen, dass es bereits zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents fachmännisch üblich war, bei Stanzvorrichtungen mehrere kreisförmig angeordnete Schraubenfedern als elastisches Mittel zum Zurückführen von Stößeln nach einem Stanzvorgang einzusetzen.

111

Somit ist auch der Streitpatentgegenstand nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag III durch die K11 in Verbindung mit dem Fachwissen des Fachmanns, belegt durch fachbezogene Werbeprospekte nach der K14 oder K15, nahegelegt.

112

5. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag IV Patentanspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag IV ist eine Kombination aus den Merkmalen der Patentansprüche 1 des Hilfsantrags I und des Hilfsantrags III und enthält wörtlich deren Merkmale, so dass hinsichtlich der fehlenden Patentfähigkeit dieses Anspruchs auf die Ausführungen zum Hilfsantrag I sowie zum Hilfsantrag III verwiesen wird.

113

6. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag V

114

Patentanspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag V enthält wörtlich auch diejenigen Merkmale, die dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag III zu Grund liegen, so dass hinsichtlich der fehlenden Patentfähigkeit dieses Anspruchs auf die Ausführungen zum Hilfsantrag III verwiesen wird.

115

Einer isolierten Prüfung der weiteren Patentansprüche bedurfte es ebenso wenig wie hinsichtlich der mit den Hilfsanträgen I-IV verteidigten Fassungen, da kein Anlass für die Annahme besteht, dass der Patentinhaber eine solche isolierte Verteidigung einzelner Patentansprüche aus einem Anspruchssatz vorrangig vor der Überprüfung des nachrangigen vollständigen Anspruchssatzes wünscht (Urt. des Senats v. 11. November 2014, 4 Ni 19/13; ferner BPatG GRUR 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren m. w. N.; BPatG GRUR 2012, 99 – Lysimeterstation).

116

7. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag VI

117

Die nach Hilfsantrag VI verteidigte Fassung des Streitpatents mit den Patentansprüchen 1, 2, 3, 7 und 8 erweist sich als zulässig geändert. Insbesondere ist die Lehre des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag VI ausführbar und sämtliche Ansprüche enthalten auch keine unzulässige Erweiterung oder Verallgemeinerung des Inhalts der Anmeldung nach Artikel 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ.

118

7.1. Der Senat teilt insoweit die von der Klägerin hinsichtlich mangelnder Ausführbarkeit vorgebrachten Argumente nicht, die im Wesentlichen darauf abstellen, dass das Klagepatent den Aufbau des Auswahlmittels nicht offenbare und widersprüchliche Angaben enthalte, insbesondere wenn das Auswahlmittel konstruktiv so ausgebildet sei, dass sich alle zugehörenden Bauteile gemeinsam drehen.

119

Eine Lehre ist ausführbar, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird. Dabei reicht es aus, wenn dem Fachmann ein allgemeines Lösungsschema an die Hand gegeben wird. Der Patentanspruch muss nicht alle zur Ausführung der Erfindung erforderlichen Angaben enthalten. Es ist deshalb auch nicht erforderlich, dass mindestens eine praktisch brauchbare Ausführungsform als solche unmittelbar und eindeutig offenbart ist (st. Rspr. BGH GRUR 2015, 876 - Stabilisierung der Wasserqualität; GRUR 2011, 707 Dentalgerätesatz), wobei der Ausführbarkeit grundsätzlich auch nicht entgegensteht, dass nicht alle denkbaren Gestaltungen ausführbar offenbart sind (BGH GRUR 2013, 2012 - Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren; GRUR 2010, 414 Thermoplastische Zusammensetzung).

120

So ist es hier. Der Senat konnte sich aufgrund der mündlichen Verhandlung nicht mit hinreichender Sicherheit davon überzeugen, dass für den Fachmann die vom Patentgegenstand umfasste Lehre nicht ausreichend offenbart und nacharbeitbar ist, auch wenn diese nicht allein Figuren und Beschreibung ausführbar zu entnehmen sind, sondern es des zusätzlichen Einsatzes von Fachwissen bedarf.

121

Wie die vorstehenden Ausführungen zum Verständnis des Streitpatents belegen, lässt das Streitpatent zwar  unter Berücksichtigung von Figuren und Beschreibung offen, welche Bauteile des Auswahlmittels sich gemeinsam mit dem verzahnten Ring (11) und dem Zahn (6) relativ zu dem zylindrischen Körper (3) drehen. Insofern lässt auch der Anspruchswortlaut eine gewisse Weite erkennen, da er zumindest zwei unterschiedliche Ausführungsformen hinsichtlich der Drehbarkeit des Auswahlmittels (5) gestattet, nämlich eine von der Klägerin Vertretene, bei der sich alle dem Auswahlmittel zugehörende Bauteile gemeinsam drehen, und die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretene Ausführungsform, bei der sich nur Teile des Auswahlmittels, insbesondere der gezahnte Ring (11) und der Zahn (6), drehen, während andere Teile des Auswahlmittels, insbesondere die Aufnahmen 4a, feststehen.

122

Dies steht aber einer Ausführbarkeit nicht entgegen. Denn wie auch die von dem Vorsitzenden in der Verhandlung erstellte Skizze zeigt, vermittelt zumindest die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretene Ausführungsform, bei der sich nur Teile des Auswahlmittels drehen, dem Fachmann eine technische Lehre, die sie unter Einsatz des fachmännischen Könnens ausführbar macht. Ein derartig ausgestaltetes Auswahlmittel ist - wie vorstehend in III.1 zum Hauptantrag beschrieben - dem Fachmann bereits auch aus dem Stand der Technik nach der K11 bekannt, so dass es keiner besonderen Schwierigkeiten bedurfte, ein derartiges Lösungsschema auch vorliegend in Betracht zu ziehen. Dies gilt selbst dann, wenn entsprechend dem Vortrag der Klägerin unterstellt wird, dass hierfür nötige Einzelheiten in der Figur 1 des Streitpatents nicht gezeigt oder möglicherweise auch fehlerhaft gezeichnet oder schraffiert sind. Denn die Figuren in Patentschriften sind keine vollständigen technischen Zeichnungen, sondern Prinzipskizzen und sollen lediglich das Verständnis des Erfindungsgedanken erleichtern.

123

7.2. Ebenso sieht der Senat den der Zulässigkeit der Anspruchsfassung von der Klägerin entgegengehaltenen Einwand als unbegründet an, dass diese Fassung der Patentansprüche auf einer unzulässigen Erweiterung beruhe. Die Merkmale 1 bis 3.1 und 3.3 bis 4.2 sind unstrittig den Ursprungsunterlagen und wörtlich im erteilten Patentanspruch 1 offenbart. Der 2. Teil des Merkmals 3.2, wonach die Rückkehr des Stößels (2) nach jedem aktiven Hub zu gewährleisten sei, ist auf Seite 2, Zeilen 22 bis 24 der Ursprungsunterlagen (Anlage K3) offenbart. Die Merkmale 4.3 und 4.4 sind weitgehend wörtlich im erteilten Patentanspruch 5 offenbart, der dem ursprünglichen Anspruch 5 entspricht. Vorgenommenen Änderungen betreffen lediglich geringfügige sprachliche Präzisierungen, die klar in der Figur 1 des Streitpatents offenbart sind.

124

Die Patentansprüche 2, 3, 7 und 8 entsprechen wörtlich den erteilten Ansprüchen 2, 3, 7 und 8.

125

Auch das im Streit stehende Merkmal 3.2, insbesondere der Textteil „Das Auswahlmittel (5) ist mit einem Bereich (4a) versehen, der von unten in einen Kopf (2c) des Stößels eingreift,….“ sieht der Senat dem Fachmann bereits schon aus der ursprünglich offenbarten Figur 1 als unmittelbar und eindeutig offenbart an, auch wenn die Bezugszeichen (4a und 2c) und textliche Ausführungen hierzu fehlen. Diese Angabe konkretisiert die Lehre des Streitpatents dahingehend, dass eine Rückkehr des Stößels nach jedem aktiven Hub nicht durch beliebige Maßnahmen, sondern durch diese spezielle Ausgestaltung des Auswahlmittels entsprechend Merkmal 3.2 erreicht werden soll. Dies kann der Fachmann aber bereits unmittelbar der ursprünglich offenbarten Figur 1 entnehmen.

126

Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt auch weder eine unzulässige Erweiterung noch ein Aliud im Merkmal 3.2 deshalb vor, weil nunmehr das Auswahlmittel zum Rückholen des aktiven Stößels genannt ist, währenddessen in den ursprünglichen Unterlagen dafür ausschließlich die elastischen Mittel genannt sind. Denn bereits die Figur 1 des Streitpatents offenbart, dass die elastischen Mittel in Form der Federn zwar die Kraft für das Rückholen des aktiven Stößels aufbringen, jedoch diese von den Federn aufgebrachte Kraft durch das Auswahlmittel auf den Stößel übertragen wird, so dass letztlich das Auswahlmittel das Rückholen des aktiven Stößels gewährleistet. Der Senat sieht deshalb auch unter diesem Aspekt die Lehre nach Patentanspruch 1 als nicht unzulässig erweitert an.

127

Selbst wenn man insoweit eine unzulässige Erweiterung annehmen würde, käme nur eine Konkretisierung einer allgemein offenbarten Lehre in Betracht, die gemäß BGH-Entscheidung „Wundbehandlungsvorrichtung“ (GRUR 2015, 573) auch bei EP-Patenten nicht zwangsläufig zur Nichtigerklärung des Patents führen, sondern im Patentanspruch verbleiben können, und auch einer beschränkten Verteidigung des Patents durch Neufassung von Patentansprüchen unter Beibehaltung des unzulässig erweiterten Merkmals nicht entgegensteht, ohne dass es eines Disclaimers bedarf. Allerdings dürfen diese Merkmale nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen, worauf es vorliegend nicht ankommt.

128

7.3. Da die Klägerin diese nach Hilfsantrag VI zulässig beschränkt verteidigte Fassung des Streitpatents nicht angreift und insoweit ihre Klage nicht weiterfolgt, hat das Patent somit ohne weitere Sachprüfung Bestand.

V.

129

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 Halbs. 1 PatG i. V. mit § 91 Abs. 1 ZPO. Der Senat teilt nach seiner ständigen Rechtsprechung die Auffassung, dass die Klägerin auch bei einer nur teilweisen Nichtigerklärung des ursprünglich mit der Klage vollumfänglich angegriffenen Streitpatents dann aus Billigkeitserwägungen keine anteilige Kostenlast trifft, wenn sie bei Klageerhebung keine Möglichkeit hat, ihre Klage bereits insoweit eingeschränkt zu erheben, was insbesondere dann der Fall ist, wenn - wie vorliegend - die angegriffenen Patentansprüche durch Aufnahme weiterer Merkmale erst während des Verfahrens beschränkt werden und das Streitpatent insoweit zulässig beschränkt verteidigt wird (vgl. BPatG Urt. v. 19. Februar 2013, 4 Ni 25/10 /EU); GRUR 2013, 655 - Kosten bei Teilnichtigkeit). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs. 1 PatG, 709 ZPO.