Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 10.03.2016


BPatG 10.03.2016 - 4 Ni 12/13 (EP)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Bohrhilfe (europäisches Patent)" – erteiltes Patent enthält Verfahrensansprüche zur Erstellung einer Vorrichtung – Beschränkung auf die vorausgegangenen Verfahrensschritte der Fertigung – geänderter Patentanspruch - Aufnahme von Merkmalen, die auch die Fertigung der Vorrichtung lehren – unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
10.03.2016
Aktenzeichen:
4 Ni 12/13 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
nachgehend BGH, 11. Januar 2018, Az: X ZR 38/16, Urteil
Zitierte Gesetze
Art II § 6 Abs 1 Nr 4 IntPatÜbkG
Art II § 6 Abs 2 IntPatÜbkG
Art 138 Abs 1 Buchst d EuPatÜbk

Leitsätze

Bohrhilfe

1. Soweit das erteilte Patent nur Verfahrensansprüche zur Erstellung einer Vorrichtung (hier Bohrhilfe für ein Zahnimplantat) enthält, deren Gegenstand sich auf die der abschließenden Fertigung der Vorrichtung vorausgehenden Verfahrensschritte beschränkt, stellt die Aufnahme von Merkmalen in einen geänderten Patentanspruch, welche auch die Fertigung der Vorrichtung lehren, keine Beschränkung des Patentgegenstands dar, sondern begründet eine unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG; Art. 138 Abs. 1 Buchst. d EPÜ, da der geänderte Patentanspruch erstmals auch das so gefertigte Erzeugnis nach § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG unter den Schutzbereich des Patents stellen würde.

2. Eine derartige Änderung wird auch nicht deshalb zulässig, weil das erteilte Patent abhängige Verfahrensansprüche aufweist, die auch die Fertigung des Gegenstands umfassen, sofern diese Ansprüche nur speziellen Ausführungsformen der im geänderten Anspruch in allgemeiner Form beanspruchten Fertigung des Gegenstands beinhalten.

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 101 451

(DE 500 10 094)

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2015 durch den Vorsitzenden Richter Engels sowie der Richterin Kopacek, den Richtern Dipl.-Phys. Univ. Dr. Müller, dem Richter Dipl.-Ing. Veit und der Richterin Dipl.-Phys. Univ. Zimmerer

für Recht erkannt.

I. Das europäische Patent 1 101 451 im Umfang der Patentansprüche 1 bis 5 und 9 bis 10 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 3. November 2000 - unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 199 52 962 vom 03.11.1999 - angemeldeten, mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents Nr. 1 101 451 (Streitpatent), das ein Verfahren zur Herstellung einer Bohrhilfe für ein Zahnimplantat betrifft. Das in deutscher Sprache abgefasste Streitpatent wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 500 10 094 geführt. Es umfasst 10 Patentansprüche, von denen zuletzt Patentanspruch 1 bis 5 und 9 bis 10 angegriffen sind. Patentanspruch 1 und die direkt oder indirekt auf ihn rückbezogenen angegriffenen Ansprüche 2 bis 5 und 9 bis 10 haben folgenden Wortlaut:

2

1. Verfahren zur Erstellung einer Bohrhilfe (16) für ein Zahnimplantat mit nachfolgenden Verfahrensschritten:

3

• dem Verwenden von Röntgenaufnahmen (5) des Kiefers (1) zur Erzeugung eines entsprechenden Messdatensatzes,

4

• der Möglichkeit zur Bestimmung eines optimalen Bohrlochs für ein Implantat vorzugsweise aufgrund der Röntgenaufnahme,

5

• der Möglichkeit zur Bestimmung eines Führungslochs in einer Bohrschablone (16),

6

gekennzeichnet durch

7

• die dreidimensionale optische Vermessung der sichtbaren Oberfläche von Kiefer (1) und Zähnen (2) und Erzeugen eines entsprechenden Messdatensatzes,

8

• die Korrelation der Messdatensätze der Röntgenaufnahme (5) und der Messdatensätze der dreidimensionalen optischen Vermessung (10)

9

und

10

• der Möglichkeit zur Bestimmung eines Führungslochs in einer Bohrschablone (16) relativ zu den Oberflächen der Nachbarzähne aufgrund von Röntgenaufnahmen und optischer Vermessung.

11

2. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Röntgenaufnahme (5) Panoramaschichtaufnahmen, tomosynthetische Aufnahme oder computertomographische Aufnahmen sind.

12

3. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die dreidimensional vermessene, sichtbare Oberfläche (13, 14) die Okklusalflächen benachbarter Zähne (11, 12) am Kiefer (1) sind.

13

4. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Korrelation der Maßdatensätze von Röntgenaufnahme (5) und dreidimensionaler optischer Aufnahme (10) anhand von auf Zähnen (2) aufgebrachter Marker (6) erfolgt.

14

5. Verfahren gemäß Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, daß die Marker (6) Kugeln sind.

15

9. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Bohrhilfe (16) auf einem dimensionsstabilen Material ausgeschliffen wird, wobei dieses die Form der Okklusalflächen (13, 14) von Nachbarzähnen (11, 12) der Implantierungsposition (9) im Negativ wiedergibt.

16

10. Verfahren gemäß Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, daß die Bohrhilfe (16) eine Bohrungsposition (17) enthält, die zur Führung des Bohrers dient.

17

Mit ihrer Teilnichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Streitpatents in seiner angegriffenen Form sei weder neu noch erfinderisch.

18

Sie beruft sich hierzu auf folgende Dokumente:

19

D3 Anlage 3 DE 195 10 294 A1

20

D4 Anlage 4 FR 2 705 027 A1

21

D4a Anlage 4DE Dt. Übersetzung von FR 2 705 027 A1

22

D5 Anlage 5 WO 99/32 045 A1

23

D6 Anlage 6 WO 94/26 200 A1

24

D7 Anlage 7 US 5 237 998

25

D8 Anlage 8 US 5 967 777

26

D9 Anlage 9 Rioux, et al.: Laser Range Finder Development for 3D Vision; National Research Council Canada, published in: Interpretation of 3D Scenes, 1989. Proceedings., Workshop on; 27-29. Nov. 1989, http://www.cipprs.org/papers/VI/VI1989/pp001-009-Rioux-et-al-1989.pdf

27

D10 Anlage 10 F. Blais: Review of 20 years of range sensor development. National Research Council Canada Institute for Information Technology, Ottawa, Ontario, Kl A-0R6, Canada, Jan. 2004

28

D11 Anlage 11 S. Elgazzar et al.: Active Range Sensing for Indoor Environment Modeling. IEEE TRANSACTIONS ON INSTRUMENTATION AND MEASUREMENT, VOL. 47, NO. 1, FEBRUARY 1998

29

D12 Anlage 12 J.-A. Beraldin et ah: PERFORMANCE EVALUATION OF THREE ACTIVE VISION SYSTEMS BUILT AT THE NATIONAL RESEARCH COUNCIL OF CANADA; Optical 3-D Measurement Techniques III; Vienna, Oct. 2-4, 1995, pp.352-361; NRC 39165

30

D13 Anlage 13 J.-A. Beraldin et al.: Practical Range Camera Calibration. NRC 35064-SPIE-Vol.2067 Videometrics II (1993), pp.21- 31

31

D14 Anlage 14 B. Jähne et ah: Handbook of Computer Vision and Applications. Volume 1, Sensors and Imaging. ACADEMIC PRESS, San Diego, London, Boston, NY, Sydney, Tokyo, Toronto; 1999

32

D15 Anlage 15 Brunton et ah: Restorative dentistry: Procera all-ceramic crowns: a new approach to an old problem? British Dental Journal 186, 430 - 434 (1999), Published online: 8 May 1999 http://www.nature.com/bdi/iournal/vl86/n9/ftill/4800134a.html

33

D16 Scientific Canadian von Roy Mayer (1999), Seiten 93-95; von Marc Rioux; „Laser Scanner“

34

D17 US 5 562 448

35

D18 EP 1 101 451 A1

36

D19 Veröffentlichung „Fünf Jahre Erfahrung mit DCS-PRE-CISAN®“, Tony Traber, April 2003, mit Hinweisen auf öffentlich zugängliche Techniken aus dem Jahr 1997.

37

Die Klägerin ist der Auffassung, Patentanspruch 1 werde neuheitsschädlich getroffen durch die Schriften D3, D4 und D17. In der D17 werde ein Bohrassistenzsystem offenbart, um ein Implantat optimal positionieren zu können. Dabei würden sowohl Röntgendaten vom Kiefer als auch dreidimensionale Oberflächendaten von Kiefer und Zähnen des Patienten aufgenommen. Auch die abhängigen Ansprüche 2 bis 5 und 9 bis 10 würden durch D3, D4 und D17 neuheitsschädlich vorweggenommen. Die angegriffenen Patentansprüche 1, 2 bis 5 und 9 bis 10 beruhten zudem ausgehend von D3 und D17 nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Wenn der Fachmann die bisherigen Lösungen von D3 und D17 für zu aufwändig erachte, suche er nach einem alternativen Weg. In D17 erhalte er alle notwendigen Daten, mithilfe derer eine komplette Bohrschablone hergestellt werden könne. Die vorhandenen Daten allein könnten nicht als erfinderisch angesehen werden. Auch die von der Beklagten eingereichten Hilfsanträge 0 bis 3 begründeten keine Patentfähigkeit. Darüber hinaus ist die Klägerin der Auffassung, der Gegenstand des Streitpatents nach den Hilfsanträgen 1 und 2 sei gegenüber der Ursprungsoffenbarung unzulässig erweitert.

38

Die Klägerin, die hinsichtlich der Patentansprüche 6 und 7 die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat, beantragt,

39

das europäische Patent 1 101 451 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 5 und 9 bis 10 für nichtig zu erklären.

40

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

41

die Klage abzuweisen;

42

hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent mit Hilfsanträgen 1 und 2 vom 16. Mai 2014 bzw. 8. Mai 2014 und mit Hilfsanträgen 0 und 3 vom 19. November 2015 verteidigt wird.

43

Die Beklagte hat ferner hierzu zu Protokoll erklärt, dass der ursprüngliche Hilfsantrag 4 zurückgenommen werde und bei den vorgenannten Hilfsanträgen 0 bis 2 jeweils die Patentansprüche 6 bis 8 und 11 bis 13 sowie beim Hilfsantrag 3 die Patentansprüche 6 bis 8 und 10 bis 12 entfielen. Nur der Patentanspruch 9 nach Hilfsantrag 3 werde isoliert verteidigt mit der Maßgabe, dass es statt „Bohrungsposition“ nunmehr heißen soll „Führungslochposition“.

44

Die angegriffenen Patentansprüche nach Hilfsantrag 0 haben den folgenden Wortlaut:

45

1. Verfahren zur Erstellung einer Bohrhilfe (16) für ein Zahnimplantat mit nachfolgenden Verfahrensschritten:

46

• Verwenden von Röntgenaufnahmen (5) des Kiefers (1) zur Erzeugung eines entsprechenden Messdatensatzes,

47

• Bestimmen eines optimalen Bohrlochs für ein Implantat vorzugsweise aufgrund der Röntgenaufnahme,

48

• Bestimmen eines Führungslochs in einer Bohrschablone (16),

49

gekennzeichnet durch

50

• die dreidimensionale optische Vermessung der sichtbaren Oberfläche von Kiefer (1) und Zähnen (2) und Erzeugen eines entsprechenden Messdatensatzes,

51

• die Korrelation der Messdatensätze der Röntgenaufnahme (5) und der Messdatensätze der dreidimensionalen optischen Vermessung (10)

52

und

53

• die Bestimmung des Führungslochs in der Bohrschablone (16) relativ zu den Oberflächen (13, 14) der Nachbarzähne (11, 12) aufgrund von Röntgenaufnahmen und optischer Vermessung.

54

2. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Röntgenaufnahme (5) Panoramaschichtaufnahmen, tomosynthetische Aufnahme oder computertomographische Aufnahmen sind.

55

3. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die dreidimensional vermessene, sichtbare Oberfläche (13, 14) die Okklusalflächen benachbarter Zähne (11, 12) am Kiefer (1) sind.

56

4. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Korrelation der Maßdatensätze von Röntgenaufnahme (5) und dreidimensionaler optischer Aufnahme (10) anhand von auf Zähnen (2) aufgebrachter Marker (6) erfolgt.

57

5. Verfahren gemäß Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass die Marker (6) Kugeln sind.

58

9. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Bohrhilfe (16) auf einem dimensionsstabilen Material ausgeschliffen wird, wobei dieses die Form der Okklusalflächen (13, 14) von Nachbarzähnen (11, 12) der Implantierungsposition (9) im Negativ wiedergibt.

59

10. Verfahren gemäß Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, daß die Bohrhilfe (16) eine Bohrungsposition (17) enthält, die zur Führung des Bohrers dient.

60

Die angegriffenen Patentansprüche nach Hilfsantrag 1 haben den folgenden Wortlaut:

61

1. Verfahren zur Erstellung einer Bohrhilfe (16) für ein Zahnimplantat mit nachfolgenden Verfahrensschritten:

62

• Verwenden von Röntgenaufnahmen (5) des Kiefers (1) zur Erzeugung eines entsprechenden Messdatensatzes,

63

• Bestimmen eines optimalen Bohrlochs für ein Implantat vorzugsweise aufgrund der Röntgenaufnahme,

64

• Bestimmen eines Führungslochs in einer Bohrschablone (16),

65

gekennzeichnet durch

66

• die dreidimensionale optische Vermessung der sichtbaren Oberfläche von Kiefer (1) und Zähnen (2) und Erzeugen eines entsprechenden Messdatensatzes,

67

• die Korrelation der Messdatensätze der Röntgenaufnahme (5) und der Messdatensätze der dreidimensionalen optischen Vermessung (10)

68

und

69

• die Bestimmung des Führungslochs in der Bohrschablone (16) relativ zu den Oberflächen (13, 14) der Nachbarzähne (11, 12) aufgrund von Röntgenaufnahmen und optischer Vermessung,

70

· die Fertigung der Bohrschablone mit der Wiedergabe der Oberflächen (13, 14) der Nachbarzähne (11, 12) im Negativ und mit der an vorbestimmter Stelle liegenden Öffnung als Führungsloch anhand der Messdatensätze mit einer CAD/CAM-Maschine.

71

2. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Röntgenaufnahme (5) Panoramaschichtaufnahmen, tomosynthetische Aufnahme oder computertomographische Aufnahmen sind.

72

3. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die dreidimensional vermessene, sichtbare Oberfläche (13, 14) die Okklusalflächen benachbarter Zähne (11, 12) am Kiefer (1) sind.

73

4. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Korrelation der Maßdatensätze von Röntgenaufnahme (5) und dreidimensionaler optischer Aufnahme (10) anhand von auf Zähnen (2) aufgebrachter Marker (6) erfolgt.

74

5. Verfahren gemäß Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, daß die Marker (6) Kugeln sind.

75

9. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Bohrhilfe (16) auf einem dimensionsstabilen Material ausgeschliffen wird, wobei dieses die Form der Okklusalflächen (13, 14) von Nachbarzähnen (11, 12) der Implantierungsposition (9) im Negativ wiedergibt.

76

10. Verfahren gemäß Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, daß die Bohrhilfe (16) eine Bohrungsposition (17) enthält, die zur Führung des Bohrers dient.

77

Die angegriffenen Patentansprüche nach Hilfsantrag 2 haben den folgenden Wortlaut:

78

1. Verfahren zur Erstellung einer Bohrhilfe (16) für ein Zahnimplantat mit nachfolgenden Verfahrensschritten:

79

• Verwenden von Röntgenaufnahmen (5) des Kiefers (1) zur Erzeugung eines entsprechenden Messdatensatzes,

80

• Bestimmen eines optimalen Bohrlochs für ein Implantat vorzugsweise aufgrund der Röntgenaufnahme,

81

• Bestimmen eines Führungslochs in einer Bohrschablone (16),

82

gekennzeichnet durch

83

• die dreidimensionale optische Vermessung der sichtbaren Oberfläche von Kiefer (1) und Zähnen (2) und Erzeugen eines entsprechenden Messdatensatzes,

84

• die Korrelation der Messdatensätze der Röntgenaufnahme (5) und der Messdatensätze der dreidimensionalen optischen Vermessung (10),

85

• Bestimmen eines Führungslochs in einer Bohrschablone (16) relativ zu den Oberflächen der Nachbarzähne aufgrund von Röntgenaufnahmen und optischer Vermessung,

86

und

87

· Fertigung der Bohrschablone mitsamt dem Negativ der Okklusalflächen (13, 14) der Nachbarzähne (11, 12) und dem Führungsloch, insbesondere durch eine CAD/CAM-Maschine.

88

2. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Röntgenaufnahme (5) Panoramaschichtaufnahmen, tomosynthetische Aufnahme oder computertomographische Aufnahmen sind.

89

3. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die dreidimensional vermessene, sichtbare Oberfläche (13, 14) die Okklusalflächen benachbarter Zähne (11, 12) am Kiefer (1) sind.

90

4. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Korrelation der Maßdatensätze von Röntgenaufnahme (5) und dreidimensionaler optischer Aufnahme (10) anhand von auf Zähnen (2) aufgebrachter Marker (6) erfolgt.

91

5. Verfahren gemäß Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, daß die Marker (6) Kugeln sind.

92

9. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Bohrhilfe (16) auf einem dimensionsstabilen Material ausgeschliffen wird, wobei dieses die Form der Okklusalflächen (13, 14) von Nachbarzähnen (11, 12) der Implantierungsposition (9) im Negativ wiedergibt.

93

10. Verfahren gemäß Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, daß die Bohrhilfe (16) eine Bohrungsposition (17) enthält, die zur Führung des Bohrers dient.

94

Die angegriffenen Patentansprüche nach Hilfsantrag 3 haben den folgenden Wortlaut:

95

1. Verfahren zur Erstellung einer Bohrhilfe (16) für ein Zahnimplantat mit nachfolgenden Verfahrensschritten:

96

• Verwenden von Röntgenaufnahmen (5) des Kiefers (1) zur Erzeugung eines entsprechenden Messdatensatzes,

97

• Bestimmen eines optimalen Bohrlochs für ein Implantat vorzugsweise aufgrund der Röntgenaufnahme,

98

• Bestimmen eines Führungslochs in einer Bohrschablone (16),

99

gekennzeichnet durch

100

• die dreidimensionale optische Vermessung der sichtbaren Oberfläche von Kiefer (1) und Zähnen (2) und Erzeugen eines entsprechenden Messdatensatzes,

101

• die Korrelation der Messdatensätze der Röntgenaufnahme (5) und der Messdatensätze der dreidimensionalen optischen Vermessung (10)

102

und

103

• Bestimmen des Führungslochs in der Bohrschablone (16) relativ zu den Oberflächen der Nachbarzähne aufgrund von Röntgenaufnahmen und optischer Vermessung,

104

· wobei die Bohrhilfe auf einem dimensionsstabilen Material ausgeschliffen wird, wobei dieses die Form der Okklusalflächen (13, 14) von Nachbarzähnen (11, 12) der Implantierungsposition (9) im Negativ wiedergibt.

105

2. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Röntgenaufnahme (5) Panoramaschichtaufnahmen, tomosynthetische Aufnahme oder computertomographische Aufnahmen sind.

106

3. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die dreidimensional vermessene, sichtbare Oberfläche (13, 14) die Okklusalflächen benachbarter Zähne (11, 12) am Kiefer (1) sind.

107

4. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Korrelation der Maßdatensätze von Röntgenaufnahme (5) und dreidimensionaler optischer Aufnahme (10) anhand von auf Zähnen (2) aufgebrachter Marker (6) erfolgt.

108

5. Verfahren gemäß Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, daß die Marker (6) Kugeln sind.

109

9. Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Bohrhilfe (16) eine Bohrungsposition (17) enthält, die zur Führung des Bohrers dient.

110

Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent in seiner erteilten, jedenfalls aber in einer seiner beschränkt verteidigten Fassungen gemäß den Hilfsanträgen 0 bis 3 für patentfähig. Das Besondere des Streitpatents und der Erfindungsgedanke liege darin, dass eine Bohrhilfe rein digital geplant und erstellt werden könne, also ohne dass bereits ein nicht gebohrtes Erzeugnis vorliege und damit ein hoher Patientenkomfort und ein hohe Genauigkeit gewährleistet seien. Demgegenüber sei die Bohrschablone in D3 nicht Teil des digitalen Systems. Merkmal 1.6 sei in D3 nicht erfüllt, weil dort kein Führungsloch bestimmt werde, sondern nur bestimmt werde, wo die Bohrung erfolge. Der Unterschied bestehe darin, dass der Zahnarzt nach der Lehre des Streitpatents vor Ort mit dem komplett errechneten Datensatz sofort die Bohrschablone mit dem Bohrloch einsetzen könne, während nach den Verfahren aus dem Stand der Technik z. B. die durch Abdruck gefertigte Schablone erst zum Zahntechniker geschickt werden müsse, um dort ausgerichtet und bearbeitet zu werden und erst anschließend mit dem Bohrloch versehen werden könne. Anders als bei der D4 müsse die Führungsschiene nicht erst wieder im Mund des Patienten eingesetzt werden, um eine Röntgenaufnahme zu machen und sodann erst im nächsten Schritt die Bohrung vorzunehmen. Auch in D17 werde keine Bohrschablone bereitgestellt; die D17 lehre auch keine Berechnung der Schablone aus den Daten. Die Lehre des Streitpatents sei daher sowohl neu als auch erfinderisch.

111

Mit Schriftsatz vom 19. November 2015 hat die Beklagte das Vorbringen der Klägerin, mit dem u. a. auch die Schriften D16 und D17 in das Verfahren eingeführt werden, als verspätet gerügt.

112

Der Senat hat den Parteien einen frühen gerichtlichen Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet. Auf diesen Hinweis vom 8. April 2014 wird Bezug genommen (Bl. 156 ff. d. A.).

113

Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 08.12.2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

114

Die auf den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 52, 56 a EPÜ) gestützte Klage ist zulässig. Sie erweist sich auch als begründet, da sich die erteilte Fassung des Streitpatents sowie die zulässigen Fassungen nach den Hilfsanträgen 0 und 3 als nicht patentfähig erweisen, die Fassungen des Streitpatents nach den Hilfsanträgen 1 und 2 sich bereits als unzulässig erweisen und diese Fassungen deshalb keiner weiteren Sachprüfung bedürfen. Daher ist das Streitpatent insgesamt für nichtig zu erklären.

115

1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung einer Bohrhilfe zum exakten Anbringen des Führungsloches für ein Zahnimplantat, wobei das Führungsloch für das Implantat an noch im Kiefer vorhandenen Zähnen ausgerichtet wird (siehe Streitpatent Abs. [0001], Oberbegriff des Anspruchs 1).

116

Nach den Ausführungen in der Beschreibungseinleitung wird als Stand der Technik gemäß der WO 99/32045 A1 (D4) ein Verfahren zur Herstellung einer dentalen Bohrhilfe für Implantate erläutert, bei dem anhand eines Kieferbildes - eines vom Kieferknochen genommenen Abdrucks - mit Bezug auf eine Abdruckfläche ein dreidimensionales Rechnerbild modelliert wird, damit mindestens eine Bohrlochposition bestimmt und mittels Präzisionswerkzeugmaschine im Bohrkörper ein Bohrführungssockel mit entsprechend der anhand des Kieferabschnittes ermittelten Bohrlochposition und Bohrlochorientierung vorbereitet wird (siehe Streitpatent Abs. [0002]).

117

Im Streitpatent ist ferner erwähnt, dass beim Setzen von Zahnimplantaten die Form und die Größe des Implantates anhand von Röntgenaufnahmen geplant werden und Bohrschablonen verwendet werden, die die Erzeugung eines präzise positionierten Bohrloches ermöglichen sollen. In der Regel sei es jedoch schwierig, die Position des Führungsloches beim Bohren genau zu bestimmen, da die auf den Röntgenbildern enthaltenen Informationen nicht exakt auf die optischen Bilder, die der Arzt beim Bohren sieht, übertragen werden können (siehe Streitpatent Abs. [0003]).

118

In der Beschreibung wird ferner zum Stand der Technik auf die Lehre nach der DE 197 25 197 A1, einem Verfahren zur Koordinatenzuordnung, hingewiesen. Danach ist bekannt, bei dem aus den messtechnisch erfassten anatomischen Daten bezüglich des Aufbaus eines Kieferknochens des Patienten Schnittbildinformationen zu generieren, die zur Definition des Implantationsortes verwendet werden. Über ein zugeordnetes Bezugskoordinatensystem können die tatsächlichen Knochengeometrien, die messtechnischen Informationen, die Gestaltung eines Kiefergipsmodells sowie die Geometrie einer Operationshilfsschablone derart exakt relativ zueinander in Bezug gesetzt werden, dass eine hochgenaue Platzierung einer Bohrung im Kieferknochen zur Aufnahme des Zahnimplantates unterstützt wird (siehe Streitpatent Abs. [0004]).

119

Weiter sei aus der US 5 842 858 ein Verfahren bekannt, welches aus mindestens einer Röntgenaufnahme oder einem anderen bildgebenden Verfahren (CT, Kernspintomographie) mit einer 3D-Lagebestimmung unter Zuhilfenahme von eindeutig am Kiefer platzierten Messpunkten korreliert und daraus die aktuelle, relative Lage des Kiefers zu einem Referenzpunkt bestimmt (siehe Streitpatent Abs. [0007]).

120

2. Vor diesem Hintergrund stellt sich gemäß der Streitpatentschrift (Abs. [0008]) die Aufgabe, eine Bohrhilfe bereitzustellen, anhand der eine Führungsbohrung für ein Zahnimplantat relativ zu noch im Kiefer befindlichen Zähnen exakt gebohrt werden kann.

121

3. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 ein Verfahren mit folgenden Merkmalen vor (Merkmalsgliederung hinzugefügt):

122

1.0. Verfahren zur Erstellung einer Bohrhilfe (16) für ein Zahnimplantat mit nachfolgenden Verfahrensschritten:

123

1.1 - dem Verwenden von Röntgenaufnahmen (5) des Kiefers (1) zur Erzeugung eines entsprechenden Messdatensatzes,

124

1.2 - der Möglichkeit zur Bestimmung eines optimalen Bohrlochs für ein Implantat vorzugsweise aufgrund der Röntgenaufnahme,

125

1.3 - der Möglichkeit zur Bestimmung eines Führungslochs in einer Bohrschablone (16),

126

gekennzeichnet durch

127

1.4 - die dreidimensionale optische Vermessung der sichtbaren Oberfläche von Kiefer (1) und Zähnen (2) und Erzeugen eines entsprechenden Messdatensatzes,

128

1.5 - die Korrelation der Messdatensätze der Röntgenaufnahme (5) und der Messdatensätze der dreidimensionalen optischen Vermessung (10) und

129

1.6 - der Möglichkeit zur Bestimmung eines Führungslochs in einer Bohrschablone (16) relativ zu den Oberflächen der Nachbarzähne aufgrund von Röntgenaufnahmen und optischer Vermessung.

130

4. Die Ansprüche 1 der Hilfsanträge 0 bis 3 weisen folgende Änderungen auf:

131

In Patentanspruch 1 in der mit dem Hilfsantrag 0 verteidigten Fassung wurden die Merkmale 1.2, 1.3 und 1.6 in folgender Weise geändert:

132

1.2' - der Möglichkeit zur Bestimmung Bestimmen eines optimalen Bohrlochs für ein Implantat vorzugsweise aufgrund der Röntgenaufnahme,

133

1.3' - der Möglichkeit zur Bestimmung Bestimmen eines Führungslochs in einer Bohrschablone (16),

134

1.6' - der Möglichkeit zur die Bestimmung des Führungslochs in der Bohrschablone (16) relativ zu den Oberflächen der Nachbarzähne aufgrund von Röntgenaufnahmen und optischer Vermessung,

135

Nach Patentanspruch 1 in der mit dem Hilfsantrag 1 verteidigten Fassung ist gegenüber dem Hilfsantrag 0 das folgendes Merkmal 1.7‘ hinzugefügt:

136

1.7‘ - Fertigung der Bohrschablone mit der Wiedergabe der Oberflächen (13, 14) der Nachbarzähne (11, 12) im Negativ und mit der an vorbestimmter Stelle liegenden Öffnung als Führungsloch anhand der Messdatensätze mit einer CAD/CAM-Maschine.

137

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Hilfsantrag 1 in folgenden Merkmalen:

138

1.6'' - Bestimmung Bestimmen eines Führungslochs in einer Bohrschablone (16) relativ zu den Oberflächen der Nachbarzähne aufgrund von Röntgenaufnahmen und optischer Vermessung,

139

1.7'' - Fertigung der Bohrschablone (16) mit der Wiedergabe der Oberflächen mitsamt dem Negativ der Okklusalflächen (13, 14) der Nachbarzähne (11, 12) im Negativ und mit der an vorbestimmter Stelle liegenden Öffnung als und dem Führungsloch anhand der Messdatensätze mit einer, insbesondere durch eine CAD/CAM-Maschine.

140

In Patentanspruch 1 in der mit dem Hilfsantrag 3 verteidigten Fassung ist gegenüber dem Hilfsantrag 1 das Merkmal 1.6' geändert, das Merkmal 1.7‘ gestrichen und das Merkmal 1.8 hinzugefügt:

141

1.6''' - Bestimmung Bestimmen eines des Führungslochs in einer der Bohrschablone (16) relativ zu den Oberflächen der Nachbarzähne aufgrund von Röntgenaufnahmen und optischer Vermessung,

142

1.8 - wobei die Bohrhilfe (16) auf einem dimensionsstabilen Material ausgeschliffen wird, wobei dieses die Form der Okklusalflächen (13, 14) von Nachbarzähnen (11, 12) der Implatierungsposition im Negativ wiedergibt.

143

5. Als den zur objektiven Problemlösung berufenen Fachmann sieht der Senat einen berufserfahrenen Ingenieur mit einer Grundausbildung in den Fachbereichen Werkzeugbau und Werkzeugmaschinenbau, der sich auf die Entwicklung zahntechnischer Instrumente und Geräte spezialisiert hat und dazu bezüglich der spezifisch medizinischen und technischen Anforderungen in ständigem Kontakt mit den die Instrumente benutzenden Zahntechniker bzw. Zahnärzten steht. Hinsichtlich der Verarbeitung der digitalen Daten wird er einen Spezialisten (Informatiker) auf dem Gebiet der digitalen Bildverarbeitung und des CAD/CAM (computer-aided design/computer-aided manufacturing) heranziehen.

144

Dabei gehört zum Fachwissen dieses Teams nicht nur die bei der Erstellung von Zahnersatz und Brückenkonstruktionen bekannte CAD/CAM-Technik, sondern auch die Erfassung der Zahn- und Kieferoberflächen des Patienten einschließlich der Digitalisierung dieser Daten. Darunter fallen Scannverfahren mittels mechanischer Abtastung der Zähne oder eines Abdrucks (siehe u.a. D15), jedoch auch optische Methoden, wie sie beispielsweise in der D17 oder D19 genannt sind (vgl. D 17 Sp. 10 Z. 62-67: „More specifically, computer 24 is provided with any commercially available stereophotogrammetric triangulation program for calculating and displaying, on the basis of the video input signals from data generating devices 22, 26 and 28, three dimensional surfaces and contours of the tooth or teeth.“ D 19: S. 46: „Mit der Vorstellung der neuen Abtasttechnologie im Jahre 1997 wurde es erstmals möglich, Brückenkonstruktionen bis zu einem ganzen Kiefer berührungslos zu erfassen. …“).

145

6. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 20. Oktober 2015, insbesondere auch die Einführung der Schriften D16 und D17, nicht nach § 83 Abs. 4 PatG verspätet.

146

Die durch das 2009 in Kraft getretene Patentrechtsmodernisierungsgesetz (PatRModG) erfolgte Neufassung des § 83 PatG und die damit in das Nichtigkeitsverfahren eingeführten Präklusionsregeln sehen zwar grundsätzlich die Möglichkeit vor, verspätetes Vorbringen zurückzuweisen. Hierfür ist es aber stets erforderlich, dass dieser Vortrag tatsächliche oder rechtliche Fragen aufkommen lässt, die in der mündlichen Verhandlung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu klären sind (vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts, BlPMZ 2009, 307, 315). Kann das an sich verspätete Vorbringen dagegen noch ohne Weiteres in die mündliche Verhandlung einbezogen werden, ohne dass es zu einer Verfahrensverzögerung kommt, liegen die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 83 Abs. 4 PatG nicht vor.

147

So liegt der Fall hier. Auf den ihr am 29. Oktober 2015 zugegangenen Schriftsatz vom 22. Oktober 2015 hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 19. November 2015 ausführlich - auch zu den Schriften D16 und D17 - Stellung genommen. Das beiderseitige Vorbringen der Parteien konnte daher ohne Weiteres in die mündliche Verhandlung miteinbezogen werde, ohne dass es einer Verlegung des Termins oder einer Vertagung bedurft hätte, sodass eine Vertagung nicht erforderlich war.

II.

148

Der Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung und der Fassung nach den Hilfsanträgen ist zunächst unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen auszulegen. Aufgrund der nach Art. 69 Abs. 1 EPÜ maßgeblichen Auslegung des Inhalts der Patentansprüche und der am technischen Sinn- und Gesamtzusammenhang der Patentschrift orientierenden Betrachtung und Auslegung der Patentansprüche durch den angesprochenen Fachmann legt der Senat der Lehre nach Anspruch 1 folgendes Verständnis zu Grunde:

149

1. Nach den Ausführungen der Beklagten liegt die Besonderheit der Erfindung darin, dass die Bohrschablone rein digital, d. h. ausschließlich mit den digitalen Daten der Okklusalflächen benachbarter Zähne und der Röntgendaten bereitgestellt werden könne. Dadurch werde die Planung der Prothetik unter Berücksichtigung der Ästhetik des Zahnaufbaus mit der Planung des Implantats mittels der Röntgenaufnahmen kombiniert. Dem liegt nach den Erläuterungen der Beklagten das Konzept zugrunde, dass die Erstellung einer Bohrschablone erst nach Erhebung und Korrelation der Messdatensätze von Röntgenaufnahme(n) und optischen 3D Aufnahme(n) im Mund des Patienten sowie Planungs- und Errechnungsschritten erstellt werden soll. Auch im Streitpatent wird erwähnt, dass anhand der Röntgendaten das Implantat in bekannter Weise bestimmt und positioniert werden und anhand der gewonnenen Informationen über die Okklusalflächen benachbarter Zähne eine Implantationshilfe in Gestalt einer Bohrschablone an einer CAD/CAM-Einheit ausgeschliffen werden könne (siehe Streitpatent Abs. [0014]).

150

1.1 Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 ist nach Merkmal 1.0 auf ein Verfahren zur Erstellung einer Bohrhilfe gerichtet, ohne jedoch in seiner erteilten Fassung die eigentliche Fertigung einer Bohrhilfe zu umfassen; das Verfahren beschränkt sich mit den genannten Verfahrensschritten auf die Erstellung vorbereitender Datensätze und dient mit nur dem Zweck der Erstellung einer Bohrhilfe. Erst der erteilte und auf Anspruch 1 rückbezogene Verfahrensanspruch 9 beinhaltet die eigentliche Fertigung der Bohrschablone. Danach soll „die Bohrhilfe (16) auf einem dimensionsstabilen Material“ ausgeschliffen werden, „wobei dieses die Form der Okklusalflächen (13, 14) von Nachbarzähnen (11,12) der Implantierungsposition (9) im Negativ wiedergibt“ (siehe Streitpatent Anspruch 9).

151

In den Hilfsanträgen wird die Fertigung der Bohrschablone durch die zusätzlichen Merkmale 1.7', 1.7'' und 1.8 in Anspruch 1 aufgenommen.

152

Dabei ist weder im erteilten Anspruch 1 noch durch Anspruch 9 vorgegeben, dass die Bohrschablone gemeinsam mit dem Führungsloch in einem einzigen Schritt am Ende des Verfahrens hergestellt wird, wie dies in der Beschreibung für das Ausführungsbeispiel dargelegt ist (vgl. Streitpatent Abs. [0023]: „Der Benutzer kann nun durch Eingabe von Linienzügen festlegen, wie die Größe der Bohrschablone beschaffen sein soll. Anhand der Messdaten ist eine CAD/CAM-Maschine in der Lage, die Bohrschablone mit dem Negativ der Okklusalflächen und Führungslauf für den Bohrer zu fertigen.“). Vielmehr ist beim Verfahren nach Anspruch 1 und 9 umfasst, dass zu einem beliebigen Zeitpunkt des Verfahrens die Bohrhilfe mit der Form der Okklusalflächen der Nachbarzähne vorhanden ist bzw. ausgeschliffen wird und die Korrelation der Daten aus Röntgenaufnahme und optischer Vermessung (lediglich) für die Bestimmung und Herstellung des Führungslochs verwendet wird. Der Patentanspruch ist danach nicht auf eine gleichzeitige Herstellung von Schablone und Bohrung eingeschränkt, ebenso muss die Bohrschablone nicht Teil der digitalen Daten sein.

153

1.2 Im Übrigen versteht der Fachmann das Merkmal „auf einem dimensionsstabilen Material“ in Anspruch 9 als „aus einem dimensionsstabilen Material“ und damit als offensichtlich fehlerhafte Schreibweise, da einerseits die technische Lehre bei der Verwendung der Präposition „auf“ („auf einem dimensionsstabilen Material“) gleichbedeutend mit „auf einer festen Unterlage“ selbstverständlich und damit überflüssig wäre, und andererseits die technische Lehre der Verwendung eines dimensionsstabilen Materials für die Schablone („aus einem dimensionsstabilen Material“) für den Fachmann eine sinnvolle technische Maßnahme ergibt.

154

1.3 Die mit der Formulierung „der Möglichkeit zur Bestimmung ..“ eingeleiteten Merkmale 1.2./1.3./1.6. stellen nur Zweckangaben für die mögliche Nutzung des Verfahrens dar und begründen deshalb nur ein Geeignetheitskriterium, ohne dass das Verfahren auf den angegebenen Zweck festgelegt wäre. Die durch „vorzugsweise“ eingeleitete Einschränkung in Merkmal 1.2 ist darüber hinaus lediglich fakultativ und kann somit den Anspruch von vornhinein nicht gegenständlich ausbilden.

155

1.4 Nach den Merkmalen 1.1 und 1.4 werden Messdatensätze jeweils durch eine Röntgenaufnahme und eine dreidimensionale optische Vermessung der sichtbaren Oberfläche von Kiefer und Zähnen erzeugt und miteinander korreliert. Der Senat teilt die Auffassung der Beklagten und der Klägerin, dass der Fachmann unter dreidimensionaler optischer Vermessung (Merkmal 1.4) aufgrund der Gleichwertigkeit der intraoralen und extraoralen Vermessung nicht nur die Vermessung anhand einer direkten optischen Aufnahme der sichtbaren Oberfläche von Kiefer und Zähnen versteht (beispielweise mittels Intraoralscanner), sondern auch die mit optischen Mitteln vorgenommene Aufnahme des Abdrucks oder von mittels Abdruck hergestellter Gipsmodelle oder Schienen (indirekte Messerfassung der sichtbaren Oberfläche von Kiefer und Zähnen) und die mit den optischen Daten vorgenommene Vermessung.

156

1.5 Aufgrund der Röntgenaufnahmen und der optischen Vermessung ist eine Bestimmung eines Führungslochs in einer Bohrschablone relativ zu den Oberflächen der Nachbarzähne möglich [Merkmal 1.6]. Eine Bohrschablone ist dabei eine spezielle Bohrhilfe [Merkmal 1.0] (vgl. Streitpatent Abs. [0010]: „… daß eine Bohrhilfe in Form einer Bohrschablone zur Verfügung gestellt werden kann.“). Diese dient nach der Beschreibung des Streitpatents zur exakten Bohrung einer Führungsbohrung für ein Zahnimplantat (vgl. Streitpatent Abs. [0008]: „… eine Bohrhilfe bereitzustellen anhand der eine Führungsbohrung für ein Zahnimplantat relativ zu noch im Kiefer befindlichen Zähnen exakt gebohrt werden kann“) und enthält eine einfache räumliche Orientierung des Führungslochs der Bohrschablone zu den Nachbarzähnen.

157

Eine Bohrschablone mit Führungsbohrung zeigt auch die Fig. 5 des Streitpatents. Diese wird in den Mundraum des Patienten an der Implantatsstelle im Zwischenraum zwischen zwei benachbarten Zähnen (11, 12) mit deren Okklusalflächen (13, eingesetzt und besitzt eine Führungslochposition (17) zur Führung des Bohrers. Als Bohrschablone nach den Merkmalen 1.3 und 1.6 („Möglichkeit zur Bestimmung eines Führungsloch in einer Bohrschablone …“) versteht der Fachmann somit eine Bohrhilfe mit Durchgangsloch zum Einsatz an der Implantatstelle.

Abbildung

III.

158

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen 0 und 3 erweist sich als nicht patentfähig, da die beanspruchte Lehre für den angesprochenen Fachmann im Zeitpunkt der Priorität des Streitpatents durch den Stand der Technik nahegelegt war (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a EPÜ, Art. 56 EPÜ). Die Hilfsanträge 1 und 2 sind aufgrund der Schutzbereichserweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. d EPÜ) nicht zulässig.

159

1. Patentfähigkeit von Patentanspruch 1 nach Hauptantrag

160

Die nach Patentanspruch 1 in der Fassung nach Hauptantrag beanspruchte Lehre (erteilte Fassung) ist i. S. v. Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. L 138 Abs. 1 Buchst. a EPÜ nicht patentfähig; sie mag zwar neu sein, beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, Art. 56 EPÜ, denn sie ergab sich für den angesprochenen Fachmann zum Zeitpunkt der Priorität in naheliegender Weise aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik der D3 und dem Fachwissen des berufenen Fachmanns. Die Ausgangslage seiner Bemühungen, die unter Berücksichtigung dessen, was die Lehre des Streitpatents gegenüber dem Stand der Technik leistet, auf eine Vereinfachung des Verfahrens, das schneller und darüber hinaus hinreichend präzise ist, gerichtet ist, stellte sich dem Fachmann wie folgt dar:

161

1.1. Im Stand der Technik war zum Anmeldezeitpunkt aus der Druckschrift D3 ein Verfahren zur Erstellung einer Bohrhilfe (Operationsschablone mit Bohrungen) für ein Zahnimplantat bekannt. Dabei wird eine vorgefertigte Operationsschablone verwendet, in die die Bohrungen mit den gewünschten Bohrungswinkeln hergestellt werden (vgl. D3 Sp. 6 Z. 30-36: “Nachdem an der Operationsschablone die Bohrungen hinsichtlich ihrer Bohrungsöffnungsflächen und ihrer Bohrungswinkel ausgeführt sind, wird diese aus der in den Fig. 1 bis 3 dargestellten Vorrichtung entnommen und kann dann bei der Operation im Mundbereich des Patienten verwendet werden.”) [= Merkmal 1.0].

162

Unstreitig werden auch die Merkmale 1.1 bis 1.3 in der D3 beschrieben. So werden Röntgenaufnahmen (Röntgenbild in Form eines Orthopantomogramms, transversales Röntgenschnittbild) zur Erzeugung eines entsprechenden Messdatensatzes verwendet (vgl. D3 Sp. 5 Z. 25-27: “Die dreidimensionalen Gipsmodelle und das Röntgenbild werden nun durch digitale Übertragung in einen Computer schädelbezüglich des Patienten eingegeben”, Sp. 5 Z. 46-48: “Das transversale Röntgenschnittbild wird ebenfalls digitalisiert und ergänzt nun die gesamte Planung in dreidimensionalen Ebenen.”) [= Merkmal 1.1].

163

In der Bohrschablone wird dabei ein optimales Bohrloch für ein Implantat und ein Führungsloch bestimmt (vgl. D3 u. a. Sp. 3 Z. 23-33: “Bei einer Operationsschablone für eine implantologische Operation zur Installierung von Implantaten im Ober- und/oder Unterkiefer sind zum Ansetzen einer Bohrvorrichtung bei der implantologischen Operation vorgesehene Bohrungsöffnungsflächen und Bohrungswinkel so angeordnet, daß sie in bezug auf eine optimierte Implantatposition und ein vorhandenes vertikales Knochenangebot unter Zugrundelegung einer dreidimensionalen Modellgeometrie des Mund- bzw. Kieferbereichs und eines Röntgenbilds desselben abgestimmt sind.“, Sp. 4 Z. 61-65: “Die unter Einbeziehung aller notwendigen Parameter ermittelten optimierten Implantatpositionen einschließlich der Winkel mit den dafür notwendigen Referenzpunkten werden auf die Operationsschablone bzw. den Transponder übertragen.”) [= Merkmale 1.2 und 1.3].

164

Zusätzlich zu den Röntgenaufnahmen wird in dem Verfahren nach der D3 hierzu auch die Modell- bzw. Mundsituation des Patienten verwendet, die über dreidimensionale Gipsmodelle ermittelt wird. Diese Gipsmodelle werden mit Hilfe eines Registrierbogens in eine 3D-Relation in ein schädelbezogenes Simulationsgerät übertragen (vgl. D3 Sp. 5 Z. 19-22: “Die so erhaltenen Gipsmodelle werden mit Hilfe eines Registrierbogens vom Kopf des Patienten in dreidimensionale Relation in ein schädelbezogenes Simulationsgerät übertragen.”) Anschließend werden die 3-dimensionalen Gipsmodelle schädelbezüglich in einen Computer eingegeben (vgl. D3 Sp. 5 Z. 25-27: “Die dreidimensionalen Gipsmodelle und … werden nun durch digitale Übertragung in einen Computer schädelbezüglich des Patienten eingegeben.”).

165

1.2. In welcher Art die Daten des Gipsmodells dabei digital übertragen werden, ist der D3 nicht zu entnehmen. Der Fachmann hatte somit Veranlassung, sich nach geeigneten Methoden umzusehen, die eine digitale Übertragung der Gipsmodelle als dreidimensionales Modell in den Computer leisten.

166

Hierzu war dem Fachmann aufgrund seines Fachwissens die mechanische Abtastung mittels Sensoren bekannt (siehe beispielweise D15 S. 3 mittl. Absatz), aber auch die Abtastung mittels optischer Scanner, die bereits im dentalen Bereich eingesetzt werden (vgl. D19 S. 47 f. „Dann wird der gesamte Kiefer aus einem Winkel von ca. 45° gescannt. Die optische Darstellung nach diesem Scanvorgang definiert die genaue Position der einzelnen Zähne (Abb. 7), … ln einem zweiten Schritt werden die Zähne aus dem Sägeschnittmodell entfernt und in Einzeltöpfe, die mit Knetmasse gefüllt sind, positioniert (Abb. 8). In einem einzigen vollautomatischen Scanvorgang können z. B. vom selben Modell mehrere Brücken und/oder zusätzliche Einzelzähne gescannt werden (Abb. 9).“). Aufgrund der Vorteile der berührungslosen Abtastung wird der Fachmann diese Datenerfassung und Vermessung für die digitale Datenübertragung des Verfahrens nach der Druckschrift D3 in Betracht ziehen und gelangt damit zu Merkmal 1.4, der dreidimensionalen optischen Vermessung der sichtbaren Oberfläche von Kiefer und Zähnen und dem Erzeugen eines entsprechenden Messdatensatzes.

167

Die Messdaten aus der Vermessung der Gipsmodelle und der Röntgenaufnahmen werden nach der D3 korreliert (vgl. D3 Sp. 4 Z. 11-13: “Die anzustrebende statische Okklusion kann mit dem Knochenangebot zu einer statischen Einheit kombiniert werden.”), wodurch ein Zusammenführen der Röntgendiagnostik und der Modell. bzw. der Mundsituation des Patienten erreicht wird (vgl. D3 Sp. 5 Z. 12-14: “Kerngedanke der vorliegenden Erfindung ist das Zusammenführen der Röntgendiagnostik und der Modell- bzw. der Mundsituation des Patienten.“). Damit erfüllt das Verfahren nach der Druckschrift D3 bei Anwendung der oben genannten optischen Scanntechnik auch das Merkmal 1.5 nach Anspruch 1.

168

Nach Abstimmung der Zahnpositionen und des Knochenangebots werden Referenzpunkte im Röntgenbild markiert, die als Vorgabe für eine transversale Röntgenaufnahme verwendet werden (vgl. D3 Sp. 5 Z. 34-45). Das transversale Röntgenschnittbild wird ebenfalls digitalisiert und mit den vorhanden Daten aus Gipsmodell und Röntgenaufnahme (Orthopantomogramms) zusammengeführt (vgl. D3 Sp. 5 Z. 46-50: “Das transversale Röntgenschnittbild wird ebenfalls digitalisiert und ergänzt nun die gesamte Planung in dreidimensionalen Ebenen. Erst jetzt lassen sich Winkel und anatomische Gegebenheiten objektiv bemaßen und bewerten.“).

169

Die Planung der Implantatbohrung erfolgt mit Hilfe dieser Daten, also unter Berücksichtigung der Oberflächen des Kiefers und der Zähne - und damit auch der Nachbarzähne nach Merkmal 1.6 - und der Röntgendaten (vgl. D3 Sp. 5 Z. 50-56: “Der wesentliche Vorteil der erfindungsgemäßen Verfahrensweise liegt im Zusammenführen aller wichtigen Informationen und Parameter für implantologische Operationsplanungen. Nur durch die räumliche Zuordnung im Computer werden erstmalig Winkel, die primär für eine Implantation wichtig sind, durch Echtwerte dargestellt.”).

170

Die Operationsschablone, die noch keine Führungsbohrung enthält, wird mittels der Daten der Ebenen der digitalisierten Aufnahmen auf einer dreidimensionalen Modellgeometrie angeordnet. Die digital geplante Implantatsbohrung einschließlich Winkel wird nun auf diese Operationsschablone übertragen. Somit wird auch - entgegen der Argumentation der Beklagten - die Führungsbohrung aufgrund der vorhandenen Daten, d. h. der Daten der Röntgenaufnahmen und der optischen Vermessung bestimmt, und es wird eine Bohrhilfe hergestellt, bei der das Führungsloch (Bohrungen) mit zugehörigen Bohröffnungsflächen und Bohrwinkel eingebracht ist (vgl. D3 Sp. 6 Z. 30-35: “Nachdem an der Operationsschablone die Bohrungen hinsichtlich ihrer Bohrungsöffnungsflächen und ihrer Bohrungswinkel ausgeführt sind, wird diese aus der in den Fig. 1 bis 3 dargestellten Vorrichtung entnommen und kann dann bei der Operation im Mundbereich des Patienten verwendet werden.”). Die Bohrschablone ist auch auf die Modellgeometrie des Mundbereichs abgestimmt (vgl. D3 Anspruch 3: “Operationsschablone für eine implantologische Operation zur Installierung von Implantaten ..., deren zum Ansetzen einer Bohrvorrichtung bei der implantologischen Operation vorgesehene Bohrungsöffnungsflächen und Bohrungswinkel so angeordnet sind, daß sie in bezug auf eine optimierte Implantatsposition und ein vorhandenes vertikales Knochenangebot unter Zugrundelegung einer dreidimensionalen Modellgeometrie des Mund- bzw. Kieferbereichs und eines Röntgenbilds desselben abgestimmt sind.”). Dieser Mundbereich enthält selbstverständlich die Zähne und - falls vorhanden - die Nachbarzähne zum Implantat. Damit offenbart die Druckschrift D3 die Bestimmung des Führungslochs in einer Bohrschablone relativ zu den Oberflächen der Nachbarzähne [= Merkmal 1.6].

171

1.3. Damit bot es sich für den Fachmann in nahe liegender Weise an, das Verfahren nach der D3 mit der bekannten optischen Vermessung zu gestalten und damit zum Verfahren des Anspruch 1 nach dem Streitpatent zu gelangen.

172

Entgegen der Auffassung der Beklagten steht der Realisierung des Merkmales 1.6 auch nicht entgegen, dass in der D3 die digitalen Daten der Operationsschablone nicht verwendet werden und/oder die Operationsschablone (Bohrschablone ohne Führungsloch) bereits vor Korrelation der Röntgen- und Vermessungsdaten vorhanden ist. Diese Argumentation geht ins Leere, da auch nach Anspruch 1 die Erstellung der Bohrhilfe nicht beansprucht oder spezifiziert ist – und damit das Verfahren nach Anspruch 1 nicht auf die Erstellung der Bohrhilfe als Ergebnis der Korrelation ausschließlich mit den digitalen Daten eingeschränkt ist.

173

Im Übrigen erfolgt in der D3 keine Aussage über die Erstellung der Operationsschablone. Die Erstellung der Operationsschablone mittels CAD/CAM-Verfahren ist im Verfahren nach der D3 nicht ausgeschlossen und erscheint aufgrund der vorhandenen digitalen Daten und der bekannten CAM-Verfahren in der Zahntechnik als eine im Rahmen des fachmännischen Handelns liegende Maßnahme.

174

2. Hilfsanträge 0 bis 3

175

Soweit das Streitpatent in der Fassung mit den Patentansprüchen nach den Hilfsanträgen 0 bis 3 verteidigt wird, erweist sich auch diese Verteidigung nicht als erfolgreich, da sich auch die jeweilige Fassung des zulässig geänderten Patentanspruch 1 nach den Hilfsanträgen 0 und 3 nicht als patentfähig erweist und die jeweiligen Fassungen nach den Hilfsanträgen 1 und 2 sich bereits als unzulässig geändert erweisen und deshalb einer Prüfung auf Patentfähigkeit nicht zugänglich sind.

176

2.1 Patentfähigkeit von Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 0

177

In Anspruch 1 nach der Fassung des Hilfsantrags 0 wurden lediglich die einzelnen Verfahrensschritte in den Merkmalen 1.2, 1.3 und 1.6 durch Streichung der Angabe „Möglichkeit zu Bestimmung“ im Austausch mit „Bestimmen/Bestimmung“ präzisiert:

178

1.2' - der Möglichkeit zur Bestimmung Bestimmen eines optimalen Bohrlochs für ein Implantat vorzugsweise aufgrund der Röntgenaufnahme,

179

1.3' - der Möglichkeit zur Bestimmung Bestimmen eines Führungslochs in einer Bohrschablone (16),

180

1.6' - der Möglichkeit zur die Bestimmung des Führungslochs in der Bohrschablone (16) relativ zu den Oberflächen der Nachbarzähne aufgrund von Röntgenaufnahmen und optischer Vermessung,

181

Diese Änderung führt nicht zu einer anderen Beurteilung wie der Anspruch 1 nach Hauptantrag, da die konkreten Verfahrensschritte bereits in der D3 offenbart sind. Damit ergibt sich auch der Anspruch 1 nach Hilfsantrag in nahe liegender Weise aus diesem Stand der Technik.

182

2.2 Unzulässige Erweiterung des Patentanspruch 1 in der Fassung nach den Hilfsanträgen 1 und 2

183

Die nachfolgend gekennzeichneten Änderungen durch die Merkmale 1.7' und 1.7'', die die Beklagte in den Hilfsanträgen 1 und 2 vorgenommen hat,

184

1.7' - Fertigung der Bohrschablone mit der Wiedergabe der Oberflächen (13, 14) der Nachbarzähne (11, 12) im Negativ und mit der an vorbestimmter Stelle liegenden Öffnung als Führungsloch anhand der Messdatensätze mit einer CAD/CAM-Maschine.

185

1.7'' - Fertigung der Bohrschablone (16) mit der Wiedergabe der Oberflächen mitsamt dem Negativ der Okklusalflächen (13, 14) der Nachbarzähne (11, 12) im Negativ und mit der an vorbestimmter Stelle liegenden Öffnung als und dem Führungsloch anhand der Messdatensätze mit einer, insbesondere durch eine CAD/CAM-Maschine.

186

führen zur Erstreckung des Schutzes auf bisher nicht vom Patent erfasste Gegenstände und damit zu einer unzulässigen Erweiterung des Schutzumfanges nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. d EPÜ, mithin zu einer Unzulässigkeit der Anspruchsänderung.

187

2.2.1 Denn auch im Rahmen der nach Art. II § 6 Abs. 3 IntPatÜG möglichen beschränkten Verteidigung des angegriffenen Patents im Nichtigkeitsverfahren ist die Prüfung der Zulässigkeit geänderter Patentansprüche und ihrer Vereinbarkeit mit dem EPÜ nicht auf die klagegegenständlichen Nichtigkeitsgründe beschränkt noch überhaupt auf Nichtigkeitsgründe reduziert, da die geänderten Ansprüche auch sonstigen Zulässigkeitserfordernissen nach dem EPÜ entsprechen müssen (zu Art. 84 EPÜ BGH GRUR 2010, 709 Proxyserversystem; einschränkend BGH Urt. v. 27.10.2015 XZR 11/13 Fugenband).

188

Danach darf der Patentinhaber jedenfalls weder den Schutzbereich des Patents erweitern und hierdurch den Nichtigkeitsgrund der Erweiterung des Schutzbereichs des Streitpatents (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG; Art. 138 Abs. 1 Buchst. d EPÜ) schaffen noch darf der Patentinhaber dessen Gegenstand im Patentnichtigkeitsverfahren durch einen anderen (Aliud) ersetzen (BGHZ 204, 199 = GRUR 2015, 573 - Wundbehandlungsvorrichtung) und das Patent dadurch neu gestalten, dass etwas nachträglich in das Patent einbezogen und unter Schutz gestellt wird, und zwar losgelöst von der Frage, ob mit der Ersetzung des geschützten Patentgegenstands zugleich auch eine Erweiterung des Schutzbereichs ausnahmsweise nicht feststellbar sein sollte Dies gilt auch dann, wenn ein derartiger Gegenstand durch das erteilte Patent zwar als zur Erfindung gehörend offenbart ist, von ihm aber nicht geschützt ist: (BGH GRUR 2005, 145 - elektronisches Modul).

189

Insoweit kann vorliegend dahinstehen, inwieweit Patentanspruch 1 in der Fassung nach den Hilfsanträgen 1 und 2 sich losgelöst von der Frage einer Erweiterung des Schutzbereichs als eine andere und das Patent neu gestaltende Lehre erweist. Denn mit der Aufnahme der die Fertigung der Bohrschablone lehrende Merkmale 1.7' und 1.7'‘sieht der Senat eine derartige Erweiterung verbunden.

190

2.2.2 Nach Art. 69 Abs. 1 EPÜ wird der Schutzbereich eines Patents durch die Patentansprüche bestimmt. Zur Feststellung, ob eine Erweiterung des Schutzbereichs vorliegt, muss deshalb der Gegenstand des geänderten Patentanspruchs, d. h. mit dem Inhalt der Patentansprüche früherer Fassungen, hier des erteilten Patents, verglichen werden. Eine Erweiterung des Schutzbereichs liegt sonach jedenfalls vor, wenn unter Anwendung des „Verletzungstests“ der Schutzumfang des geänderten Anspruchs seinem Wortsinn nach Vorrichtungen oder Handlungen umfasst, die nach dem vorherigen Anspruch nicht umfasst waren (BGH GRUR 2014, 650 - Reifendemontiermaschine; Busse/Keukenschrijver PatG, 7. Aufl., § 22 Rn. 27)

191

Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten führt deshalb die Aufnahme des Merkmals 1.7' bzw. des Merkmals 1.7'' nicht zu einer Einschränkung des Schutzbereichs des erteilten Anspruch 1, sondern zu dessen Erweiterung. So schließt das geschützte Verfahren nach dem erteilten Anspruch 1 keine Fertigung der Bohrschablone im Sinne einer die Vollendung des Erzeugnisses unmittelbar herbeiführenden Tätigkeit ein, sondern es werden lediglich digitale Daten zur Verfügung gestellt, die als Vorstufe und vorgeschalteter Verfahrensschritt der bezweckten Fertigung der Bohrschablone dienen. Der Patentgegenstand des geänderten Anspruchs wird jedoch nicht nur durch Verfahrensschritte gebildet, die der abschließenden Fertigung der Vorrichtung vorausgehen, sondern dieser umfasst auch die Fertigung der Bohrschablone und stellt damit die so hergestellte Schablone als Ergebnis des Herstellungsverfahrens erstmals als so unmittelbar geschaffenes Erzeugnis nunmehr nach § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG unter den Schutzbereich des erteilen Anspruchs 1 (Benkard/Bacher PatG, 11. Aufl., § 1 Rn. 34). Eine derartige Änderung wird auch nicht deshalb zulässig, weil das erteilte Patent abhängige Verfahrensansprüche aufweist, die auch die Fertigung des Gegenstands umfassen, sofern diese Ansprüche nur speziellen Ausführungsformen der im geänderten Anspruch in allgemeiner Form beanspruchten Fertigung des Gegenstands beinhalten.

192

Eine Bohrschablone als unmittelbar durch das Verfahren hergestelltes Erzeugnis nach § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG wird im erteilten Streitpatent erst nach dem auf Anspruch 1 rückbezogenen Verfahrensanspruch 9 geschützt, wonach die Bohrhilfe (16) aus einem dimensionsstabilen Material ausgeschliffen wird. Diese nach dem Anspruch 9 hergestellte Bohrhilfe zeichnet sich danach durch eine bestimmte Herstellungsweise des Ausschleifens und spezifische Eigenschaften des Materials aus, u. a. dass „die Bohrhilfe (16) auf (richtig „aus“) einem dimensionsstabilen Material ausgeschliffen wird, wobei dieses die Form der Okklusalflächen (13, 14) von Nachbarzähnen (11,12) der Implantierungsposition (9) im Negativ wiedergibt.“

193

Die nach den Ansprüchen 1 in der Fassung der Hilfsanträge 1 und 2 mit dem Merkmal 1.7' bzw. 1.7'' hergestellte Bohrschablone ist hingegen weder durch eine derartige Art der Herstellung noch durch ein bestimmtes Material eingeschränkt und richtet sich vielmehr auf eine Teilkombination der durch die erteilten Patentansprüche geschützten technischen Lehre. Damit ist der Schutzbereich des erteilten Patents erweitert, denn eine solche Teilkombination und Verallgemeinerung war durch die Gesamtheit der Patentansprüche des erteilten Patents nicht geschützt.

194

Auch enthält das erteilte Patent keinerlei Vorrichtungsansprüche, so dass auch insoweit ein ursprünglicher, durch einen vom Erzeugnisschutz nach § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG umfassten, Schutzumfang (hierzu Senat in BlPMZ 2015, 136 - System zur Umpositionierung von Zähnen) bereits von vornhinein ausscheidet.

195

2.3 Patentfähigkeit von Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3

196

In Anspruch 1 nach der Fassung von Hilfsantrag 3 wurden gegenüber Hilfsantrag 0 das Merkmal 1.6 in Merkmal 1.6''' geändert und das Merkmal 1.8 eingefügt. Wie bereits zu Hilfsantrag 0 ausgeführt, führt die Streichung der „Möglichkeit zur Bestimmung“ (Merkmal 1.6) im Austausch mit der konkreten Angabe des Bestimmens in dem Merkmal 1.6‘‘‘ nicht zur Patentfähigkeit, da dies bereits in der D3 offenbart ist.

197

Weiter gehört es für den Fachmann zu seinem allgemeinen Fachwissen, dass eine Operationsschablone aus einem dimensionsstabilen Material besteht, damit eine exakte Positionierung des Führungslochs möglich ist und auch der Bohrer während der Operation exakt geführt wird.

198

Demnach gelangte der Fachmann bereits aufgrund einfachster fachmännischer Überlegungen und unter Einsatz seines allgemeinen fachmännischen Handelns dazu, die Bohrhilfe auf einem dimensionsstabilen Material auszuschleifen, weil er selbstverständlich um eine möglichst exakte Positionierung bemüht sein musste (erster Teil des Merkmals 1.8). So ist es auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass eine technische Lösung, welche als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel ihrer Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Fachmanns gehört, eine Veranlassung zu ihrer Heranziehung bereits dann bestehen kann, wenn sich die Nutzung ihrer Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen (BGH GRUR 2014, 647 – Farbversorgungssystem), also zum Standard-Repertoire gehörte (BGHZ 200, 229 = GRUR 2014, 461 – Kollagenase I).

199

Weiter liegt es auf der Hand, dass die Bohrhilfe stabil an den Zähnen befestigt sein soll, damit sie während des Bohrens ihre Position nicht verändert. Eine derartige Standardlösung zur Fixierung zweiter Teile ist ein Formschluss, d.h. für den Fachmann im vorliegenden Fall die Form der Bohrhilfe an die Nachbarzähne anzupassen, da damit eine sichere Position gewährleistet ist.

200

Die technische Anweisung, die Bohrhilfen an die Form der Okklusalflächen von Nachbarzähnen der Implantierungsposition anzupassen, ist im Übrigen auch in den Schriften D4 und D8 als Beispiele für ein derartiges Standard-Repertoire dargestellt (vgl. deutsche Übersetzung der D4 S. 3 Z. 2-5: „Diese Schiene wird ausgehend von dem Gipsmodell hergestellt. Sie ist die Negativ-Abdruckform dieses Modells, auf welchem sie sich genau einpassen lassen muss.“, D8 Fig. 24).

201

Somit war es für den Fachmann naheliegend auch die Operationsschablone nach der D3 als Negativ-Abdruck der Nachbarzähne ausgestalten (zweiter Teil des Merkmals 1.8).

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2.4 Patentfähigkeit von Patentanspruch 9 nach Hilfsantrag 3

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Bezüglich des Patentanspruchs 9 nach Hilfsantrag 3 hat die Beklagte auf die Besonderheit verwiesen, dass hiermit erstmals die Führung des Bohrers durch das Führungsloch beansprucht wird. Dies war dem Fachmann im Prioritätszeitpunkt des Streitpatents jedoch ebenfalls bereits aus der D3 bekannt, da in der Operationsschablone „die Bohrungen hinsichtlich ihrer Bohrungsöffnungsflächen und ihrer Bohrungswinkel ausgeführt sind“. Der Fachmann liest hinsichtlich der insoweit offenbarten technischen Lehre mit, dass die in der Bohrhilfe vorhandenen Bohrungen zur Führung des Bohrers dienen und somit auch die Bohrhilfe eine Führungslochposition enthält, die zur Führung des Bohrers dient.

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Somit ist auch in Anspruch 9 nach Hilfsantrag 10 keine technische Anweisung hinzufügt, die die Patentfähigkeit der Gesamtlehre des Anspruchs stützen könnte.

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3. Im Hinblick auf die übrigen, auf Patentanspruch 1 in den Fassungen des Hauptantrags und der vier Hilfsanträge rückbezogenen Patentansprüche macht die Beklagte einen eigenständigen erfinderische Gehalt nicht geltend; ein solche ist auch nicht ersichtlich.

V.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 92 Abs. 2, 269 ZPO, wonach im Hinblick auf die geringfügige Klagerücknahme bzgl der Patentansprüche 7 und 8 eine Kostenquotelung nach billigem Ermessen nicht angezeigt war. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.