Entscheidungsdatum: 26.02.2013
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 307 06 852
hat der 33. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts durch den Vorsitzenden Richter Bender, den Richter am Amtsgericht Dr. Wache und die Richterin Dr. Hoppe in der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2013
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
I.
Gegen die am 19. März 2007 eingetragene und am 20. April 2007 veröffentlichte Wortmarke 307 06 852
OXEA
eingetragen für
Klasse 1:
Organische Zwischenprodukte für gewerbliche Zwecke
ist am 11. Juli 2007 Widerspruch erhoben worden aus der am 6. August 2002 eingetragenen Wortmarke 302 34 176
OXEA
eingetragen für
Klasse 9:
Messgeräte zur Elementanalyse, insbesondere zur Online-Elementanalyse.
Mit Beschluss vom 14. November 2011 hat die Markenstelle für Klasse 1 den Widerspruch zurückgewiesen. Sie ist der Ansicht, dass trotz identischer Zeichen keine Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG bestehe, weil die Waren absolut unähnlich seien. Sie hat hierzu ausgeführt, dass organische Zwischenprodukte für gewerbliche Zwecke einerseits und Messgeräte zur Elementanalyse andererseits nicht von denselben Herstellern herrührten, kaum Berührungspunkte bezüglich ihrer Inhaltsstoffe aufwiesen, unterschiedlichen Verwendungszwecken dienten und aus unterschiedlichen Materialien bestünden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass es sich um sehr spezielle Produkte handele, die sich an Fachkreise mit besonderer Aufmerksamkeit richten würden. Insgesamt begründe der Umstand, dass sowohl Analysegeräte als auch Chemikalien in einem Labor verwendet werden könnten, keine hinreichenden Berührungspunkte.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden.
Sie ist der Auffassung, dass die traditionellen Kriterien für eine Warenähnlichkeit, wie gleiche Fertigungsstätte und Berührungspunkte hinsichtlich Inhaltsstoffen und Beschaffenheit, in den Hintergrund treten müssten. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass ein funktioneller Zusammenhang zwischen den zu vergleichenden Waren bestehe, weil mit Messgeräten zur Elementanalyse auch organische Zwischenprodukte für gewerbliche Zwecke gemessen werden könnten.
Die Widersprechende beantragt,
den Beschluss des DPMA vom 14. November 2011 aufzuheben und die Löschung der Marke 307 06 852 anzuordnen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke ist der Auffassung, dass kein funktioneller Zusammenhang zwischen Messgeräten zur Elementanalyse einerseits und organischen Zwischenprodukten andererseits bestehe. Dies ergebe sich u. a. daraus, dass die Zusammensetzung organischer Zwischenprodukte bekannt sei und daher nicht analysiert werden müsse. Eine analytische Charakterisierung organischer Zwischenprodukte durch Messgeräte zur Elementanalyse sei daher äußerst untypisch.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Die angegriffene Marke ist nicht nach § 42 MarkenG zu löschen, weil keine Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht.
Nach den allgemein anerkannten Grundsätzen liegt Verwechslungsgefahr dann vor, wenn die betreffenden Verkehrskreise glauben könnten, dass die mit der angegriffenen Marke gekennzeichnete Waren oder Dienstleistungen und die mit der Widerspruchsmarke bezeichnete Waren oder Dienstleistungen aus demselben Unternehmen oder gegebenenfalls aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen. Das Vorliegen von Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Entscheidende Beurteilungsfaktoren sind die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen, sowie die Ähnlichkeit der von diesen erfassten Waren und Dienstleistungen. Für die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, wie die Marke auf den Durchschnittsverbraucher dieser Waren oder Dienstleistungen wirkt (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042 (Nr. 28) - THOMSON LIFE; EuGH GRUR 2008, 343 (Nr. 33) - BAINBRIDGE m. w. N.).
Bei der Bestimmung der Verwechslungsgefahr ist von einer Wechselwirkung zwischen den Beurteilungsfaktoren der Waren-/Dienstleistungsidentität oder -ähnlichkeit, der Zeichenidentität oder -ähnlichkeit und der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen in der Weise, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder der Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.: EuGH GRUR 1998, 387 (Nr. 22) - Springende Raubkatze; EuGH GRUR 1998, 922 (Nr. 17) - Canon; EuGH GRUR 2008, 343 (Nr. 48) - BAINBRIDGE; BGH GRUR 2008, 1002 (Nr. 23) - Schuhpark; BGH GRUR 2008 (Nr. 13) - Pantogast; BGH GRUR 2010, 1103 (Nr. 37) - Pralinenform II; BGH GRUR 2011, 824 (Nr. 19) - Kappa/KAPPA; BGH GRUR 2010, 235 (Nr. 15) - AIDA/AIDU; BGH WRP 2012, 1241 (Nr. 25) - pure/pjur).
Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren oder Dienstleistungen kennzeichnen. Zu diesen Faktoren gehören insbesondere deren Art, Verwendungszweck und Nutzung sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen (EuGH GRUR Int. 1998, 922 (Nr. 22 - 29) - Canon; EuGH GRUR 2006, 582 (Nr. 85) - VITAFRUIT; BGH GRUR 2001, 507 (508) - EVIAN/REVIAN; BGH GRUR 2007, 1066 (Nr. 23) - Kinderzeit). In die Beurteilung einzubeziehen ist, ob die Waren oder Dienstleistungen regelmäßig von denselben Unternehmen oder unter ihrer Kontrolle hergestellt oder erbracht werden oder ob sie beim Vertrieb Berührungspunkte aufweisen (BGH GRUR 2008, 719 - idw Informationsdienst Wissenschaft/IDW). Die maßgeblichen wirtschaftlichen Zusammenhänge, wie Vertriebswege, Zweckbestimmung oder Verwendungsweise sind daher relevante Gesichtspunkte. Von einer Unähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen kann nur ausgegangen werden, wenn trotz (unterstellter) Identität der Marken die Annahme einer Verwechslungsgefahr wegen des Abstandes der Waren oder Dienstleistungen von vornherein ausgeschlossen wäre (BGH GRUR 2008, 719 - idw Informationsdienst Wissenschaft/IDW).
Ausgehend von diesen Kriterien sind die zu vergleichenden Waren, nämlich organische Zwischenprodukte für gewerbliche Zwecke in Klasse 1 einerseits und Messgeräte zur Elementanalyse in Klasse 9 andererseits nicht ähnlich.
Die organische Chemie ist die Chemie des Kohlenwasserstoffs und seiner Verbindungen. Die Moleküle, aus denen diese Verbindungen aufgebaut sind, bezeichnet man als organische Moleküle (Vollhardt/Schore, Organische Chemie, 2. Aufl., Seite 1). Zwischenprodukte sind in Art. 3, Ziffer 15 der REACH-Verordnung definiert als ein Stoff, der für die chemische Weiterverarbeitung hergestellt und hierbei verbraucht oder verwendet wird, um in einen anderen Stoff umgewandelt zu werden. Das bedeutet, dass dieser Stoff in der Regel kein Produkt ist, das in eine Endzusammensetzung direkt eingesetzt wird. Organische Zwischenprodukte sind demnach Kohlenwasserstoffverbindungen, die für die chemische Weiterverarbeitung bestimmt sind. Derartige Zwischenprodukte richten sich an Industrie und Forschungseinrichtungen, so dass zum relevanten Verkehr ein Fachpublikum zählt, das die Waren mit einer erhöhten Aufmerksamkeit wahrnimmt.
Die Elementanalytik ist ein zentrales Teilgebiet der analytischen Chemie. Die Methoden der Elementanalytik sind zunehmend physikalischer Art (Kläntchi /Lienemann/Richner/Vonmont, Elementanalytik). Mittels der Elementanalyse soll bestimmt werden, welche Elemente in einem Material vorhanden sind. Durch die Bestimmung der Elementgewichtsprozente können die Atomverhältnisse einer Verbindung bestimmt werden, so dass eine Verhältnisformel erhalten wird.
Im modernen analytischen Laboratorium für Elementbestimmungen existiert eine Reihe von Methoden, vor allem instrumentalanalytische wie z. B:
• die Atomabsorptionsspektrometrie (AAS) und die Flammenemissionsspektrometrie (Flammen-OES)
• die optische Emissionspektrometrie, insbesondere die Plasma-Emission (ICP-OES)
• die Plasma-Massenspektrometrie (ICP-MS)
• die Graphitofen-Atomabsorptionsspektrometrie (ETA-AAS, ETA = elektrothermale Atomisierung)
• die wellenlängen- und energiedispersive Röntgenfluoreszenzspektrometrie (XRF) inklusive der Methode der Totalreflexion (TXRF)
• die Röntgendiffraktion (XRD)
• die Rasterelektronenmikroskopie (REM) mit wellenlängen- oder energiedispersivem Detektionssystem
• die Ionenchromatographie (IC) sowie die Kapillarelektrophorese (CE)
• die elektrochemischen Methoden (Voltammetrie)
• die klassische Analytik
(näher: Kläntschi/Lienemann/Richner/Vonmont, Elementanalytik).
Die Benutzung und Bedienung von Messgeräten zur Elementanalyse erfordert einen hinreichenden Sachverstand, so dass sich der angesprochene Verkehr auch insoweit aus Fachverkehrskreisen zusammensetzt, die die Waren mit einem erhöhten Aufmerksamkeitsgrad wahrnehmen, denn Analysegeräte sind aufgrund ihrer Komplexität und des hohen Anschaffungspreises besonders aufmerksam und sorgfältig zu bedienen.
Die zu vergleichenden Waren haben im Hinblick auf ihre betriebliche Herkunft keine Gemeinsamkeiten. Während die Messgeräte ein aufwändiges elektronisches und physikalisches Know-how verlangen, werden bei organischen Zwischenprodukten fundierte chemische Synthesekenntnisse benötigt. Die Fachkreise sind es daher gewöhnt, sich an unterschiedliche Hersteller zu wenden, je nachdem ob sie Messgeräte oder organische Zwischenprodukte benötigen.
Zwar mag es in speziellen Bereichen, wie z. B. im Bereich der Pharmazie Hersteller geben, die zugleich Analysegeräte als auch spezielle Pharmazeutika herstellen. Der von der Widersprechenden angeführte Beispielsfall der Firma Roche zeigt jedoch, dass es dort einen funktionellen Zusammenhang zwischen den mittels des Analysegerätes festgestellten Messwerten und dem sich daraus ergebenden einzusetzenden Arzneimittel gibt. Ein derartiger funktioneller Zusammenhang zwischen Messgeräten zur Elementanalyse und organischen Zwischenprodukten für gewerbliche Zwecke fehlt indes.
Zwar kann unter bestimmten Voraussetzungen mittels der Methoden der Elementanalytik auch die Zusammensetzung eines organischen Zwischenproduktes bestimmt werden. Hierin liegt indes nicht die eigentliche Zweckbestimmung dieser Geräte, da die Zusammensetzung organischer Zwischenprodukte auf Grund ihrer Sollbeschaffenheit vorgegeben ist.
Auch das weitere von der Widersprechenden angeführte Beispiel einer Firma, die einerseits Sensoren für die Stahlindustrie und andererseits Platindünnfilmelemente für Temperatursensoren vertreibt, gibt keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung, da die dortigen Messsysteme, nämlich Sensoren, eben aus diesem Stoff bestehen (Platindünnfilmelemente). Rückschlüsse darauf, dass der Verkehr davon ausgehen könnte, dass der Produzent organischer Zwischenprodukte zugleich auch Messgeräte zur Elementanalyse vertreibt oder herstellt, ergeben sich daraus nicht. Die Recherche des Senats hat dementsprechend auch keine Gerätehersteller für Elementanalysegeräte gefunden, welche gleichzeitig chemische Produkte vertreiben oder herstellen.
Die zu vergleichenden Waren unterscheiden sich auch in ihrem Verwendungszweck. Messgeräte zur Elementanalyse werden zur Bestimmung von Elementen verwendet, um also beispielsweise den Blei-, Quecksilber- oder auch Arsengehalt in Stahl oder Umweltproben zu bestimmen.
Bei organischen Zwischenprodukten handelt es sich demgegenüber um definierte Zusammensetzungen, deren Elemente bereits bekannt sind und die zur Weiterverarbeitung bestimmt sind.
Eine Ähnlichkeit in Bezug auf Art und Beschaffenheit, der sich gegenüberstehenden Waren ist klar zu verneinen, da es sich einerseits um chemische Kohlenwasserstoffverbindungen handelt und andererseits um handfeste Geräte, die aus zahlreichen festen Materialien und Teilen bestehen, die funktional zusammenwirken.
Eine - wie hier - gänzlich fehlende Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen kann auch durch andere Tatbestandsmerkmale der Verwechslungsgefahr nicht mehr ausgeglichen werden (EuGH GRUR 1998, 922, 923 - Canon; EuGH GRUR Int. 2009, 911, 913 - WATERFORD STELLENBOSCH; OLG Braunschweig GRUR 2010, 287 (287) - test/tests.de), so dass selbst die hier gegebene Zeichenidentität keine Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG begründen kann.
III.
Für eine Auferlegung von Kosten besteht bei der vorliegenden Sachlage keine Veranlassung.