Entscheidungsdatum: 26.03.2013
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2009 050 740.6
hat der 33. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts durch den Vorsitzenden Richter Bender, den Richter am Amtsgericht Dr. Wache und die Richterin Dr. Hoppe am 26. März 2013
beschlossen:
Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 1 vom 26. August 2011 wird aufgehoben, soweit darin die Löschung der angegriffenen Marke für „diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke“ angeordnet worden ist.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
I.
Gegen die am 21. Januar 2010 eingetragene und am 26. Februar 2010 veröffentlichte Wortmarke 30 2009 050 740
Güno
eingetragen u. a. für folgende Waren:
Klasse 1:
chemische Erzeugnisse für landwirtschaftliche Zwecke
Klasse 5:
pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse,
Hygienepräparate für medizinische Zwecke, diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Pflaster, Verbandsmaterial, Desinfektionsmittel
ist am 24. Februar 2010 Widerspruch erhoben worden aus der Wortmarke 30 2009 016 339
Güno
eingetragen am 26. Mai 2009 für folgende Waren:
Klasse 3:
Pflege- und Reinigungsmittel für Huf- und Klauentiere (äußerlich)
Klasse 44:
Gesundheitspflege für Tiere, Dienstleistungen im Bereich der Landwirtschaft.
Mit Beschluss vom 26. August 2011 hat die Markenstelle für Klasse 1 dem Wider-spruch teilweise stattgegeben für folgende Waren:
„chemische Erzeugnisse für landwirtschaftliche Zwecke; pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; Hygienepräparate für medizinische Zwecke; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Pflaster, Verbandmaterial; Desinfektionsmittel.“
Die Markenstelle ist der Ansicht, dass im Hinblick auf die identischen Zeichen für die vorgenannten Waren eine Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG anzunehmen sei, weil zwischen den für die angegriffene Marke eingetragenen Waren „chemische Erzeugnisse für landwirtschaftliche Zwecke; pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke“ und den Waren der Widerspruchsmarke „Pflege- und Reinigungsmittel für Huf- und Klauentiere (äußerlich)“ auf Grund ihres Bestimmungszwecks und ihrer Beschaffenheit eine Ähnlichkeit bis hin zur Identität bestehe. Die Waren „Hygienepräparate für medizinische Zwecke; Pflaster, Verbandmaterial; Desinfektionsmittel“ würden auf Grund ihrer Beschaffenheit, ihres Bestimmungszwecks und ihrer ergänzenden Funktion ebenfalls noch im Ähnlichkeitsbereich mit den Waren der Widerspruchsmarke liegen.
Gegen diese teilweise Löschung der Marke richtet sich die Beschwerde des Inhabers der angegriffenen Marke, die er nicht begründet hat.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet.
Die angegriffene Marke ist für „chemische Erzeugnisse für landwirtschaftliche Zwecke; pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; Hygienepräparate für medizinische Zwecke“ nach § 42 MarkenG zu löschen, weil insoweit Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht. Im Hinblick auf „diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke“ besteht indes mangels Warenähnlichkeit keine Verwechslungsgefahr, weshalb der angefochtene Beschluss insoweit aufzuheben war.
Nach den allgemein anerkannten Grundsätzen liegt Verwechslungsgefahr dann vor, wenn die betreffenden Verkehrskreise glauben könnten, dass die mit der an-gegriffenen Marke gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen und die mit der Widerspruchsmarke bezeichneten Waren oder Dienstleistungen aus demselben Unternehmen oder gegebenenfalls aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen. Das Vorliegen von Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Entscheidende Beurteilungsfaktoren sind die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen, sowie die Ähnlichkeit der von diesen erfassten Waren und Dienstleistungen. Für die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, wie die Marke auf den Durchschnittsverbraucher dieser Waren oder Dienstleistungen wirkt (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042 (Nr. 28) - THOMSON LIFE; EuGH GRUR 2008, 343 (Nr. 33) - BAINBRIDGE m. w. N.).
Bei der Bestimmung der Verwechslungsgefahr ist von einer Wechselwirkung zwischen den Beurteilungsfaktoren der Waren-/Dienstleistungsidentität oder -ähnlichkeit, der Zeichenidentität oder -ähnlichkeit und der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen in der Weise, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder der Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.: EuGH GRUR 1998, 387 (Nr. 22) - Springende Raubkatze; EuGH GRUR 1998, 922 (Nr. 17) - Canon; EuGH GRUR 2008, 343 (Nr. 48) - BAINBRIDGE; BGH GRUR 2008, 1002 (Nr. 23) - Schuhpark; BGH GRUR 2008 (Nr. 13) - Pantogast; BGH GRUR 2010, 1103 (Nr. 37) - Pralinenform II; BGH GRUR 2011, 824 (Nr. 19) - Kappa/KAPPA; BGH GRUR 2010, 235 (Nr. 15) - AIDA/AIDU; BGH WRP 2012, 1241 (Nr. 25) - pure/pjur).
Die hier zu vergleichenden Zeichen sind identisch und weisen eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft auf.
Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren oder Dienstleistungen kennzeichnen. Zu diesen Faktoren gehören insbesondere deren Art, Verwendungszweck und Nutzung sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen (EuGH GRUR Int. 1998, 922 (Nr. 22, 29) - Canon; EuGH GRUR 2006, 582 (Nr. 85) - VITAFRUIT; BGH GRUR 2001, 507 (508) - EVIAN/REVIAN; BGH GRUR 2007, 1066 (Nr. 23) - Kinderzeit). In die Beurteilung einzubeziehen ist, ob die Waren oder Dienstleistungen regelmäßig von denselben Unternehmen oder unter ihrer Kontrolle hergestellt oder erbracht werden oder ob sie beim Vertrieb Berührungspunkte aufweisen (BGH GRUR 2008, 719 - idw Informationsdienst Wissenschaft/IDW). Die maßgeblichen wirtschaftlichen Zusammenhänge, wie Vertriebswege, Zweckbestimmung oder Verwendungsweise sind daher relevante Gesichtspunkte. Von einer Unähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen kann nur ausgegangen werden, wenn trotz Identität der Marken die Annahme einer Verwechslungsgefahr wegen des Abstandes der Waren oder Dienstleistungen von vornherein ausgeschlossen wäre (BGH GRUR 2008, 719 - idw Informationsdienst Wissenschaft/IDW).
Zu den für die angegriffene Marke in Klasse 1 eingetragenen „chemischen Erzeugnisse für landwirtschaftliche Zwecke“ gehören ausweislich der erläuternden Anmerkungen zur Klasseneinteilung von Waren und Dienstleistungen in der Anlage 1 zu § 19 Abs. 1 MarkenV auch Erzeugnisse, die zur Herstellung von Erzeugnissen dienen, die in eine andere Klasse fallen. Damit liegt zwischen den Waren der Klasse 1 „chemische Erzeugnisse für landwirtschaftliche Zwecke“ und den für die Widerspruchsmarke in Klasse 3 eingetragenen „Pflege- und Reinigungsmittel für Huf- und Klauentiere (äußerlich)“ eine Überschneidung und damit zumindest eine hochgradige Ähnlichkeit vor, da letztere aus chemischen Erzeugnissen für landwirtschaftliche Zwecke zusammengesetzt sein können.
Die für die angegriffene Marke in Klasse 5 eingetragenen Waren „pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Hygienepräparate für medizinische Zwecke und Desinfektionsmittel“ sind hochgradig ähnlich mit den für die Widerspruchsmarke unter Klasse 3 eingetragenen „Pflege- und Reinigungsmitteln für Huf- und Klauentiere“. Pflege- und Reinigungsmittel für Huf- und Klauentiere dienen der Gesunderhaltung von Tieren ebenso wie pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse. Letztere können ebenso wie Hygienepräparate für medizinische Zwecke und Desinfektionsmittel, Pflege- und Reinigungsmittel beinhalten, so dass die Waren auf Grund ihrer ähnlichen Zusammensetzungen und ihres übereinstimmenden Zweckes sowie des Umstands, dass sie in gleichen Vertriebsstätten erworben werden können, erhebliche Ähnlichkeiten aufweisen.
Die Waren „Pflaster und Verbandsmaterial“ haben Ähnlichkeit mit „Gesundheitspflege für Tiere“ und mit „Pflege- und Reinigungsmittel für Huf- und Klauentiere (äußerlich)“, da sich insbesondere im Bereich der Hautpflege Überschneidungen bei der Anwendung der jeweiligen Produkte ergeben können, so z. B. bei Präparaten mit dermatologischem Einschlag. „Pflaster“ und „Verbandstoffe“ können dazu dienen, auf die Haut aufgebrachte oder über die Haut abzugebende Wirkstoffe abzudecken bzw. zu fixieren, um den Heilungsprozess zu fördern, so dass sich die Waren dadurch ergänzen können. Außerdem werden immer mehr Pflaster und Verbandmaterialien mit darauf bzw. darin angebrachten Wirkstoffen entwickelt, so dass sich die beiden Produktgruppen immer stärker verzahnen. Daher kann der Verkehr bei identischer Kennzeichnung leicht annehmen, dass die Produkte aus dem gleichen Betrieb stammen (BPatG 25 W (pat) 37/07 – Omnifit/Omnifix).
Demgegenüber weisen „diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke“ keine Ähnlichkeit zu den für die Widerspruchsmarke eingetragenen Waren und Dienstleistungen auf. Eine Ähnlichkeit mit „Pflege- und Reinigungsmitteln für Huf- und Klauentiere (äußerlich)“ scheidet aus, weil diätetische Erzeugnisse zwingend zur inneren Anwendung bestimmt sind, während die Pflege- und Reinigungsmittel explizit auf die äußerliche Anwendung beschränkt sind. Darüber hinaus sind die Waren der Klasse 3 für die Anwendung an Tieren bestimmt, wohingegen die für die angegriffene Marke eingetragenen „diätetischen Erzeugnisse“ für medizinische, nicht für veterinärmedizinische Zwecke, und damit für den Menschen bestimmt sind.
Es besteht auch keine Ähnlichkeit zwischen „diätetischen Erzeugnissen für medizinische Zwecke“ und „Gesundheitspflege für Tiere“ oder „Dienstleistungen im Bereich der Landwirtschaft“. Eine die Gefahr von Verwechselungen begründende Ähnlichkeit zwischen Waren einerseits und Dienstleistungen andererseits ist gegeben, wenn das Publikum annimmt, Ware und Dienstleistung stammten aus demselben oder zumindest aus wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (vgl. EuGH GRUR 1998, 922, (Nr. 29, 30) – Canon). Von Bedeutung ist insbesondere die Frage, ob der Verkehr bei der Begegnung mit den Marken dem Irrtum unterliegt, der Hersteller von Waren trete auch als Erbringer der Dienstleistungen auf oder umgekehrt, ob also der Hersteller von „diätetischen Erzeugnissen für medizinische Zwecke“ als Anbieter von „Gesundheitspflege für Tiere“ oder „Dienstleistungen im Bereich der Landwirtschaft“ in Erscheinung tritt. Zwar mögen in einzelnen Fällen Berührungspunkte zwischen diesen Bereichen bestehen, insbesondere wenn Ärzte bei der Entwicklung und Erprobung von diätetischen Erzeugnissen beteiligt sind oder wenn sie besondere Präparate mit entwickeln und in der Praxis oder Klinik anwenden, dann handelt es sich aber in der Regel nicht um eine eigenständige Marke des Arztes. Daher ist den angesprochenen Verkehrskreisen generell bewusst, dass die Bereiche "Gesundheitspflege" einerseits und "diätetische Erzeugnisse" andererseits unterschiedlichen Anbietern bzw. Unternehmen zuzuordnen sind (ebenso BPatG 25 W (pat) 211/01 - FOCUSVITAL/FOCUS). Dies gilt erst recht, weil sich hier die Dienstleistungen der Widerspruchsmarke auf Landwirtschaft und Tiere beziehen, wohingegen die für die angegriffene Marke eingetragenen „diätetischen Erzeugnisse“ für medizinische, nicht für veterinärmedizinische Zwecke, und damit für den Menschen bestimmt sind.
Eine - wie hier für „diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke“ - gänzlich fehlende Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen kann auch durch andere Tatbestandsmerkmale der Verwechslungsgefahr nicht mehr ausgeglichen werden (EuGH GRUR 1998, 922, 923 - Canon; EuGH GRUR Int. 2009, 911, 913 - WATERFORD STELLENBOSCH; OLG Braunschweig GRUR 2010, 287 (287) - test/tests.de), so dass selbst die hier gegebene Zeichenidentität keine Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG für die Waren „diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke“ begründen kann. Es fehlt nämlich bereits an einer der zwingend erforderlichen kumulativen Voraussetzungen.
Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage besteht kein Anlass, aus Gründen der Billigkeit einem der Verfahrensbeteiligten die Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG aufzuerlegen.