Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 10.07.2012


BPatG 10.07.2012 - 33 W (pat) 34/10

Markenbeschwerdeverfahren – "Der Gesundheitslogistiker" – keine Unterscheidungskraft - Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
33. Senat
Entscheidungsdatum:
10.07.2012
Aktenzeichen:
33 W (pat) 34/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2008 046 160.8

hat der 33. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts durch den Vorsitzenden Richter Bender, die Richterin Dr. Hoppe und den Richter am Amtsgericht Dr. Wache am 10. Juli 2012

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Anmelderin hat am 17. Juli 2008 die Wortmarke

2

Der Gesundheitslogistiker

3

für Dienstleistungen der Klasse 36:

4

Versicherungswesen, insbesondere in der Kranken- und Pflegeversicherung

5

angemeldet.

6

Die Markenstelle für Klasse 36 des DPMA hat die Anmeldung mit Beschluss vom 6. November 2009 zurückgewiesen, weil die absoluten Schutzhindernisse des § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 MarkenG gegeben seien. Das Markenwort habe sowohl in seinen beiden Teilen "Gesundheits"- und "Logistiker" als auch in seiner Gesamtheit beschreibenden Charakter und werde vom Verkehr nicht als Herkunftshinweis verstanden.

7

Die Erinnerung der Anmelderin hat die Markenstelle mit Beschluss vom 3. Februar 2010 zurückgewiesen.

8

Dagegen wendet sich die Anmelderin mit der Beschwerde. Sie bringt vor, dass das Wort "Gesundheitslogistiker" die von ihr angebotenen Dienstleistungen nicht unmittelbar beschreibe und auch nicht so verstanden werde; denn sie erbringe keine Transportleistungen. In Verbindung mit ihrem Unternehmen sei die Marke eine neuartige Wortschöpfung und bringe zum Ausdruck, dass das Versicherungsangebot der Anmelderin planvoll und kundenorientiert koordiniert werde. Die Marke werde deshalb als Herkunftshinweis verstanden; ein Schutzhindernis sei nicht gegeben.

9

Der Senat hat mit Verfügung vom 25. April 2012 das Ergebnis einer Internetrecherche mitgeteilt und auf seine vorläufige Bewertung der Sach- und Rechtslage hingewiesen. Die Anmelderin hat hierzu Stellung genommen.

II.

10

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

11

Die angemeldete Marke besteht ausschließlich aus Angaben, die im Verkehr zur Bezeichnung der Art und der Beschaffenheit der Dienstleistungen dienen können (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG).

a)

12

Das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ist gegeben, wenn das Markenwort zur Beschreibung von Merkmalen der Waren oder Dienstleistungen dienen kann, also hierzu geeignet ist. Es ist nicht erforderlich, dass das Wort im aktuellen Sprachgebrauch bereits verwendet wird und lexikalisch nachgewiesen werden kann (EuGH GRUR 2004, 146, 147 Rdnr. 32 - DOUBLEMINT; EuGH GRUR 2004, 680 Nr. 38 - BIOMILD; BGH GRUR 2012, 276 Nr. 8 - Institut der Norddeutschen Wirtschaft e.V.; Ströbele in Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Auflage § 8 Rn. 280). Das Wort muss jedoch bezogen auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen einen verständlichen, beschreibenden Sinn haben, also - in üblicher Sprachform und für die angesprochenen Verkehrskreise verständlich - ein Merkmal der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen bezeichnen. Das kann auch dann zutreffen, wenn es sich um eine sprachliche Neuschöpfung handelt (EuGH a. a. O. Rdnr. 38, 39 - BIOMILD), oder - wie hier - um ein geläufiges Wort, das in einen eher ungewohnten Zusammenhang gestellt wird.

13

Allerdings muss das Wort den angesprochenen Verkehrskreisen, nämlich den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern (EuGH GRUR Int. 1998, 795 - Gut Springenheide), unmittelbar als verständlich erscheinen. Dabei darf einerseits die Verständnisfähigkeit des Publikums nicht zu gering veranschlagt werden. Andererseits darf nicht davon ausgegangen werden, dass das Publikum die Marke einer näheren analysierenden Betrachtung unterzieht (EuGH GRUR 2010, 228 Nr. 57, 59 - Vorsprung durch Technik; BGH GRUR 2001, 162, 163 - RATIONAL SOFTWARE CORPORATION; HK-Fuchs-Wissemann, Markenrecht, 2. Auflage § 8 MarkenG Rn. 34; Ströbele a. a. O. § 8 Rn. 298).

b)

14

Nach diesen Maßstäben erscheint die Wortfolge "Der Gesundheitslogistiker" bezogen auf die beanspruchten Dienstleistungen als beschreibend.

aa)

15

Der Begriff "Logistik" hat im aktuellen deutschen Sprachgebrauch zwei Bedeutungen: Einmal bezeichnet er das militärische Nachschubwesen, allgemeiner die Planung, die Bereitstellung und den Einsatz der für militärische Mittel erforderlichen Mittel und Dienstleistungen zur Unterstützung der Streitkräfte (Duden, Das große Fremdwörterbuch, 2007). Außerdem bezeichnet er

16

"die Gesamtheit aller Aktivitäten eines Unternehmens, die die Beschaffung, die Lagerung und den Transport von Materialien und Zwischenprodukten, die Auslieferung von Fertigprodukten, also den gesamten Fluss von Material, Energie und Produkt betreffen" (Duden, Das große Fremdwörterbuch, 2007);

17

"alle Material- und Informationsprozesse, die der räumlichen und zeitlichen Koordination betrieblicher Aktivitäten und der Steuerung aller dazu erforderlichen Prozesse dienen" (Brockhaus, Enzyklopädie, 2006);

18

"vorwiegend Planung und Durchführung der Organisation eines Unternehmens" (Kluge, Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache, 25. Auflage 2011).

19

In dieser zuletzt genannten Bedeutung bezeichnet der Begriff im engeren Sinne Transportleistungen. Indessen ergibt sich schon aus den oben zitierten Definitionen, dass die Bedeutung des Begriffs darüber hinausgeht; die Beschränkung auf Sachgüter ist nicht zwingend. Auch die geordnete Versorgung mit immateriellen Gütern (Informationen, Dienstleistungen) und die Planung und Ordnung von Verwaltungsvorgängen können "Logistik" genannt werden. In der Wirtschaftsliteratur wird zwischen Logistik im engeren und im weiteren Sinne unterschieden. Logistik im weiteren Sinne bezeichnet

20

"auch die Beförderung von Personen und die Übermittlung von Informationen" (Woll, Wirtschaftslexikon, 10. Auflage 2008).

21

Dieses Ergebnis wird durch eine Betrachtung der Wortherkunft bestätigt. Als Ursprung des Wortes wird einmal das altgriechische λογιστική = logistikē (praktische Rechenkunst, angewandte Arithmetik) gesehen (Kluge a. a. O.; Wikipedia Stand 11.4.2012). Außerdem wurde das Wort im Französischen, in das es zunächst mit seiner militärischen Bedeutung Eingang gefunden hat, mit "logis" (Quartier) in Beziehung gesetzt, und von dort in das Deutsche übernommen (Kluge a. a. O.). Beide Wurzeln sprechen für eine weite Begriffsbedeutung: "Logistik" bedeutet einmal, dass alles richtig berechnet wird, außerdem, dass jedermann nach seinen Bedürfnissen versorgt (untergebracht, einquartiert) wird und alles dorthin kommt, wo es hingehört und gebraucht wird.

bb)

22

Der Begriff "Gesundheit" ist aus sich heraus verständlich. Im vorliegenden Zusammenhang steht er für die Bereitstellung und Finanzierung von medizinischen Leistungen (ähnlich bei dem Schlagwort "Gesundheitsreform": Der Gesetzgeber reformiert selbstverständlich nicht die Gesundheit, sondern das System, nach dem medizinische Leistungen bereitgestellt und finanziert werden).

cc)

23

Die grammatikalisch korrekt gebildete Wortfolge "Der Gesundheitslogistiker" hat zunächst dann eine unmittelbar verständliche, beschreibende Bedeutung, wenn sie auf medizinische Dienstleistungen und die dafür benötigten Güter bezogen wird (die nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind). Dann handelt es sich um einen geläufigen Begriff, der jemanden bezeichnet, der die Herstellung, die Lagerung und den Transport der Waren und die Versorgung mit medizinischen Dienstleistungen und mit den dazu benötigten Waren organisiert. "Gesundheitslogistik" in diesem Sinne wird als eigener Studiengang angeboten. "Der Gesundheitslogistiker ist ein Schnittstellenmanager, der die Wirtschaftlichkeit logistischer Lösungen im Blick hat, und diese allen Beteiligten kommunikativ vermittelt" (Anlage 7 zum Hinweis vom 25. April 2012).

dd)

24

Die Wortfolge "Der Gesundheitslogistiker" ist aber auch dann für die angesprochenen Verkehrskreise unmittelbar verständlich, wenn sie nicht auf die Versorgung mit medizinischen Gütern und Dienstleistungen bezogen wird, sondern auf die von der Anmelderin beanspruchten Dienstleistungen aus dem Versicherungswesen.

25

Nach der oben dargelegten Bedeutung der beiden Wortelemente ist ein "Gesundheitslogistiker" ein Unternehmer, der die Bereitstellung und die Finanzierung medizinischer Leistungen planvoll in der Weise ordnet, dass die angebotenen Güter und Dienstleistungen ihren Bestimmungsort erreichen und den vorhandenen Bedarf decken. Die angesprochenen Verkehrskreise könnten darunter abstrakt betrachtet den Transport medizinischer Güter und dessen Organisation verstehen (oben cc). Das liegt jedoch fern, wenn das Wortzeichen auf Dienstleistungen aus dem Bereich des Versicherungswesens bezogen wird. Dann ist ohne weiteres verständlich, dass das Zeichen nicht im Wortsinne, sondern im übertragenen Sinne gemeint ist. Es bezeichnet in diesem Fall ein Unternehmen, das unterschiedliche Versicherungsleistungen anbietet, wobei die Angebote und Leistungen in der Weise planvoll geordnet sind, dass jeden potentiellen Versicherungsnehmer das für ihn passende Angebot und die von ihm benötigte Leistung erreicht. Das legt die Anmelderin in der Beschwerdebegründung selbst dar: Die Marke werde von den angesprochenen Verkehrskreisen dahin verstanden werden, dass das umfassende Versicherungsangebot der Anmelderin planvoll und kundenorientiert koordiniert werde.

26

Bei diesem Verständnis steht "Logistik" nicht für den Transport von Sachgütern, sondern von Informationen und Leistungen. Ein Angebot über einen Versicherungsvertrag ist ein Bündel von Informationen. Wenn ein Versicherungsunternehmen einem potentiellen Kunden ein Angebot macht, dann werden damit Informationen zu dem potentiellen Kunden "transportiert". Entsprechendes gilt für die Versicherungsleistungen selbst: Wird dem Versicherten oder dem Arzt das Geld für eine Versorgungsleistung erstattet, dann wird der Geldbetrag "transportiert".

27

Dieses Verständnis des Wortes "Gesundheitslogistiker" setzt keine analysierende Betrachtung voraus; vielmehr erscheint sie als unmittelbar einleuchtend. Die beiden Wortbestandteile "Gesundheit" und "Logistiker" können als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Das gilt auch für das Wort "Logistiker", bei dem es sich nicht um ein seltenes, nur in Fachkreisen geläufiges Fremdwort handelt. Vielmehr ist der Begriff "Logistik" als Bezeichnung des Transportwesens und eines Studienganges geläufig (vgl. zum Transportwesen www.logistikbranche.net und www.logistik-heute.de; zum Studiengang Anlage 6 und 7 zum Hinweis vom 25. April 2012). Somit ist auch der zusammengesetzte Ausdruck "Gesundheitslogistiker" allgemein verständlich. Wird er auf Versicherungsleistungen bezogen, so wird er dahingehend verstanden werden, dass die Anmelderin den "Transport" von Angeboten und Versicherungsleistungen für das Gesundheitswesen organisiert. Die angesprochenen Verkehrskreise werden ohne weiteres verstehen, dass "Transport" in diesem Zusammenhang nicht wörtlich als "Bewegung von Sachgütern" zu verstehen ist, sondern als Fluss von Informationen und Leistungen, wie sie für den Abschluss und für die Durchführung eines Versicherungsvertrages benötigt werden.

ee)

28

Die Anmelderin vertritt demgegenüber die Auffassung, dass der Begriff "Logistik" auf diejenigen Bedeutungen beschränkt sei, in denen er sich im aktuellen Sprachgebrauch nachweisen lasse. Er bezeichne die Bereitstellung militärischer Mittel, den Transport von Materialien oder die Auslieferung von Fertigprodukten, außerdem Informationsprozesse oder die Planung und Durchführung der Organisation eines Unternehmens. All das habe mit Versicherungsleistungen nichts zu tun. Daher könne auch das zusammengesetzte Wort "Gesundheitslogistiker" keine Versicherungsleistungen beschreiben.

29

Dem kann einmal deshalb nicht gefolgt werden, weil auch Versicherungsleistungen dahingehend beschrieben werden können, dass sie einen geordneten Informationsfluss und die Planung und Durchführung der Organisation des (Versicherungs-)Unternehmens einschließen.

30

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass sich die Sprache ständig fortentwickelt, und dass Worte mit konkreter, eingeschränkter Bedeutung häufig zu Bildern mit weiter Bedeutung werden. Die Werbesprache ist ein bedeutender Träger dieser Entwicklung. Beispielsweise wird dort nicht nur ein Arzt als "Doktor" bezeichnet; vielmehr bezeichnet sich ein Handwerker, der Möbel repariert, als "Möbeldoktor" (www.dermoebeldoktor.de). Diese Bezeichnung werden die angesprochenen Verkehrskreise nicht als originell und unverständlich, sondern als beschreibend verstehen, auch wenn ein "Möbeldoktor" weder Medizin studiert hat, noch Krankheiten heilt.

31

Ebenso ist die Wortfolge "Der Gesundheitslogistiker" aus dem Zusammenhang heraus als (beschreibende) Sachaussage verständlich, wenn sie auf Versicherungsleistungen und ihren Anbieter bezogen wird. Das gilt auch dann, wenn das Wort in dieser Bedeutung bisher nur von der Anmelderin verwendet wird. Das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG setzt nicht voraus, dass sich eine beschreibende Verwendung des Wortzeichens im Sprachgebrauch nachweisen lässt (oben 1. a). Der Wortlaut des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG wird nicht in dem Sinne eingeschränkt, dass über den beschreibenden Charakter hinaus zusätzliche Anhaltspunkte für ein konkretes, aktuelles oder ernsthaftes Freihaltungsbedürfnis festgestellt werden müssen (vgl. EuGH GRUR 1999, 723 Nr. 35 - Chiemsee; EuGH GRUR Int. 2010, 503 Nr. 34 f. - Patentconsult; Ströbele a. a. O. § 8 Rn. 270).

2.

32

Da es sich um ein rein beschreibendes Zeichen handelt, ist auch das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG gegeben. Soweit ein Zeichen Merkmale von Waren und Dienstleistungen unmittelbar beschreibt, fehlt ihm auch die Unterscheidungskraft (EuGH GRUR 2004, 674 Nr. 86 - Postkantoor; EuGH GRUR 2004, 680 Nr. 19 - BIOMILD). Bei derartigen beschreibenden Angaben gibt es keinen tatsächlichen Anhaltspunkt, dass der Verkehr sie als Unterscheidungsmittel versteht (vgl. BGH GRUR 2008, 710 Nr. 16 - VISAGE; BGH GRUR 2006, 850 Nr. 19 - FUSSBALL WM 2006 m. w. N.).