Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 29.04.2010


BPatG 29.04.2010 - 30 W (pat) 74/09

Markenbeschwerdeverfahren – "Senioren- & Krankenpflege Riu (Wort-Bild-Marke)/RIU (Gemeinschaftsmarke)" – enge Dienstleistungsähnlichkeit und -identität – Prägung durch Wortbestandteil – klangliche Verwechslungsgefahr


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
29.04.2010
Aktenzeichen:
30 W (pat) 74/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 306 43 659

hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 29. April 2010 unter Mitwirkung der Richterin Winter als Vorsitzende, des Richters Paetzold und der Richterin Hartlieb

beschlossen:

Die Beschwerde der Markeninhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Gegen die für die Dienstleistungen

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„Ambulante Pflegedienstleistungen, Betrieb von Pflegeheimen, Krankenpflegedienste, Seniorenpflegedienste“

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am 31. August 2006 unter der Nummer 306 43 659 registrierte Wort/Bildmarke

Abbildung

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ist Widerspruch eingelegt worden aus der prioritätsälteren für

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„Schallplatten; Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken; Bauwesen; Reparaturwesen; Installationsarbeiten; Transportwesen; Verpackung und Lagerung von Waren; Veranstaltung von Reisen; Gesundheits- und Schönheitspflege; Persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse; Sicherheitsdienste zum Schutz von Sachwerten oder Personen“

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registrierten Gemeinschaftsmarke 004165346

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RIU .

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Die Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die Löschung der angegriffenen Marke aufgrund des Widerspruchs angeordnet.

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Da der klangliche Gesamteindruck der mehrteiligen angegriffenen Marke durch das Wort „RIU“ bestimmt werde, bestehe bei klanglicher Identität der Vergleichsmarken, durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und ähnlichen Dienstleistungen die Gefahr von Verwechslungen. Sämtliche Dienstleistungen der angegriffenen Marke fielen unter die von der Widerspruchsmarke beanspruchten Oberbegriffe „Gesundheits- und Schönheitspflege“, so dass hochgradige, bis zur Identität reichende Ähnlichkeit vorliege.

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Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat Beschwerde eingelegt und im Wesentlichen ausgeführt, es bestehe keine Ähnlichkeit zwischen den Dienstleistungen. Die Dienstleistungen der angegriffenen Marke beträfen Pflegedienste im Sinne der Pflegeversicherung, die der Widerspruchsmarke hingegen „Gesundheits- und Schönheitspflege“, die im Zusammenhang mit Wellness angeboten oder z. B. in Nagelstudios erbracht würden. Der Bereich der „Medizinischen Fußpflege“ könne hier die einzige Verbindung sein; die Widersprechende werde vom Verkehr jedoch vor allem mit Hoteldienstleistungen in Verbindung gebracht. Körper- und Gesundheitspflege, wie sie auch in Hotels erbracht würden, hätten dagegen nichts mit medizinischen Pflegeleistungen und der Pflege alter Menschen zu tun.

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Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,

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den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 7. Mai 2009 aufzuheben.

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Die Widersprechende beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

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Die Widersprechende bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen der Markenstelle. (Ambulante) Pflegedienstleistungen und Krankenpflegedienste bildeten eine wesentlichen Teil des weiten Bereichs der „Gesundheits- und Schönheitspflege“, zudem würden auch in Pflegeheimen Gesundheits- und auch Schönheitsdienstleistungen erbracht.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, da auch nach Auffassung des Senats zwischen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht.

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1. Die Frage der Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren ausgeglichen werden kann und umgekehrt (BGH in st. Rspr. vgl. GRUR 2004, 865, 866 - Mustang; GRUR 2004, 783, 784 - NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX; MarkenR 2008, 12 - T-Interconnect; GRUR 2008, 906 - Pantohexal).

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Das bedeutet, dass bei starker Ähnlichkeit oder gar Identität der Marken und einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke die Gefahr von Verwechslungen schon bei einer geringeren Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen anzunehmen sein kann. Nach diesen Grundsätzen ist hier die Gefahr von Verwechslungen zu bejahen.

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2. Bei seiner Entscheidung hat der Senat mangels anderer Anhaltspunkte eine normale Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zugrunde gelegt.

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a) Die Ähnlichkeit von Marken ist anhand ihres klanglichen und schriftbildlichen Eindrucks sowie ihres Sinngehalts zu ermitteln. Dabei kommt es auf den jeweiligen Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Zeichen an. Dies entspricht dem Erfahrungssatz, dass der Verkehr Marken regelmäßig in der Form aufnimmt, in der sie ihm entgegentreten und sie nicht einer analysierenden, zergliedernden, möglichen Bestandteilen und deren Bedeutung nachgehenden Betrachtung unterzieht. Demzufolge kann auch ein Bestandteil, der eine beschreibende Angabe ist, zum Gesamteindruck beitragen. Zudem ist bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr grundsätzlich mehr auf die gegebenen Übereinstimmungen der zu vergleichenden Zeichen als auf die Unterschiede abzustellen (vgl. BGH a. a. O. NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).

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b) In ihrer Gesamtheit unterscheiden sich beide Marken aufgrund des zusätzlichen vorangestellten Wortelementes „Senioren- & Krankenpflege“ sowie der grafischen Ausgestaltung des Wortelementes „RIU“ und der zusätzlichen Bildelemente in Form von fliegenden Möwen vor einer strahlenden Sonne - hinterlegt mit einer farbigen teils kreisförmigen Abbildung und oben begrenzt mit einer dachartigen Darstellung - auf Seiten der angegriffenen Marke deutlich, da die Widerspruchsmarke entsprechende Elemente nicht enthält.

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Bei Beurteilung der klanglichen Verwechslungsgefahr ist davon auszugehen, dass der Verkehr beim Zusammentreffen von Wort- und Bildbestandteilen in einer Marke in der Regel dem Wort als einfachster und kürzester Bezeichnungsform eine prägende Bedeutung beimisst (vgl. BGH GRUR 2008, 903, 905 (Nr. 25) - SIERRA ANTIGUO ; Ströbele/Hacker MarkenG 9. Aufl., § 9 Rdn. 296 m. w. N.). Dem steht in der angegriffenen Marke auch die Größe und der Umfang des Bildelementes im Verhältnis zu den Wortbestandteilen nicht entgegen, da diese Bildelemente weder durch ihre Größe noch durch ihre kennzeichnende Wirkung die Gesamtmarke derart beherrschen, dass die beiden Wortelemente nicht mehr beachtet würden (vgl. Ströble /Hacker a. a. O. § 9 Rdn. 333 m. w. N.). Es handelt sich bei den Bildelementen um werbeübliche graphische Gestaltungsmittel, die lediglich der Hervorhebung der Wortelemente dienen. In ihren Wortbestandteilen „RIU“ und „Senioren- & Krankenpflege RIU“ unterscheiden sich die beiden Vergleichsmarken hinsichtlich der zusätzlichen Wortfolge „Senioren- & Krankenpflege“ in Buchstaben-, Silben- und Vokalanzahl deutlich, so dass insoweit sowohl klangliche als auch schriftbildliche Verwechslungsgefahr ausscheiden.

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c) Somit kommt Verwechslungsgefahr nur dann in Betracht, wenn der Widerspruchsmarke „RIU“ allein der identische Wortbestandteil „RIU“ der angegriffenen Marke gegenüberzustellen wäre. Denn die Beurteilung der Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Marken als Ganzes anhand eines Vergleichs ihres Gesamteindrucks schließt nicht aus, dass unter Umständen ein Bestandteil oder mehrere Bestandteile eines komplexen Kennzeichens für den Gesamteindruck prägend sein können, den das Kennzeichen im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorruft (vgl. BGH, BGHZ 167, 322 - Malteserkreuz; MarkenR 2008, 436 - Pantohexal). Dies setzt weiter voraus, dass die übrigen Markenteile für die angesprochenen Verkehrskreise in einer Weise zurücktreten, dass sie für den Gesamteindruck vernachlässigt werden können (vgl. BGH GRUR 2000, 233, 234 - RAUCH/ELFI RAUCH; GRUR 2004, 778, 779 - URLAUB DIREKT ; GRUR 2004, 865, 866 - Mustang; Ströbele/Hacker, a. a. O. § 9 Rdn. 279 ff. m. w. N.).

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Dies ist hier der Fall, da es sich bei dem Markenelement „Senioren- & Krankenpflege“ um eine Wortfolge handelt, in der der Verkehr in Zusammenhang mit den von der angegriffenen Marke beanspruchten Dienstleistungen nur einen beschreibenden Hinweis auf den Gegenstand der Dienstleistungen bzw. deren Inhalt und Thematik sehen wird. Daher tritt dieser beschreibende Bestandteil hinter dem Phantasiebegriff „RIU“, der zudem graphisch hervorgehoben ist, zurück und ist für den Gesamteindruck zu vernachlässigen. Somit stehen sich die identischen Wörter „RIU“ und „RIU“ gegenüber.

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3. Insoweit ist in klanglicher Hinsicht festzustellen, dass identische Marken vorliegen. Im Hinblick darauf reicht der Unterschied im Bereich der Dienstleistungen nicht aus.

27

Ausgehend von der Registerlage können die Vergleichsmarken zur Kennzeichnung teils identischer teils ähnlicher Dienstleistungen verwendet werden.

28

Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit von Dienstleistungen ist - entsprechend den zur Warenähnlichkeit entwickelten Grundsätzen (vgl. BGH GRUR 2002, 544, 546 - BANK 24) - entscheidend, ob angesichts objektiver Kriterien wie Art, Erbringung, Einsatzzweck, Inanspruchnahme und wirtschaftlicher Bedeutung die beteiligten Verkehrskreise der Auffassung sein können, die beiderseitigen Dienstleistungen würden üblicherweise von denselben Unternehmen bzw. unter derselben betrieblichen Verantwortung erbracht. Dabei spielen bei Dienstleistungen Gemeinsamkeiten in der Beschaffenheit oder der Erbringungsstätte weniger eine entscheidungserhebliche Rolle als die wirtschaftliche Bedeutung, also die Art und der Zweck der Leistungen, die sich vor allem in dem Nutzen für den Empfänger der Dienstleistungen niederschlagen (vgl. BGH GRUR 2001, 164, 165 - Wintergarten). Daneben bleibt die branchenmäßige Nähe beider Dienstleistungen von wesentlicher Bedeutung (vgl. Ströbele/Hacker a. a. O. § 9 Rdn. 90 m. w. N).

29

Wie die Markenstelle bereits festgestellt hat, handelt es sich bei der von der Widerspruchsmarke beanspruchten Dienstleistung „Gesundheitspflege“ um einen Obergriff, der sämtliche von der angegriffen Marke beanspruchten Dienstleistungen aus dem Bereich Pflege mitumfasst, da diese Pflegedienstleistungen der Gesunderhaltung alter oder pflegebedürftiger Menschen oder der Wiederherstellung der Gesundheit kranker Menschen dienen. Somit ergeben sich für die gegenüberzustellenden Dienstleistungen Übereinstimmungen hinsichtlich des angesprochenen Personenkreises und hinsichtlich der Zweckbestimmung. Daher ist hinsichtlich der Pfegedienstleistungen von enger Ähnlichkeit bis hin zu möglicher Identität auszugehen, hinsichtlich des Betriebs von Pflegeheimen ist jedenfalls Ähnlichkeit anzunehmen.

30

Selbst wenn man mit der Auffassung der Beschwerdeführerin ein einschränkendes Verständnis der Gesundheitspflege im Sinne von Wellnessanwendungen zugrundelegt, wäre in jedem Fall von Ähnlichkeit auszugehen, da auch diese Anwendungen begleitend oder ergänzend mit Pflegemaßnahmen angeboten werden können. Unter diesen Umständen kam es auf die Frage der Beurteilung der Ähnlichkeit zwischen „Schönheitspflege“ und den angegriffenen Dienstleistungen nicht mehr an.

31

Entgegen der Ansicht der Markeninhaberin ist im vorliegenden Verfahren von den im Register eingetragenen Dienstleistungen auszugehen, nicht von denen, für welche die Marken tatsächlich im Verkehr eingesetzt werden (vgl. BGH GRUR 1999, 166 - John Lobb; Ströbele/Hacker a. a. O. § 9 Rdn. 61 m. w. N.), so dass es nicht darauf ankommt, ob der Verkehr die Widerspruchsmarke möglicherweise vorrangig mit Hoteldienstleistungen in Verbindung bringt.

32

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bietet der Streitfall keinen Anlass (§ 71 Abs. 1 MarkenG).