Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 17.11.2011


BPatG 17.11.2011 - 30 W (pat) 64/09

Markenbeschwerdeverfahren – "p(u)r (Wort-Bild-Marke)/PUR-R" – Dienstleistungsidentität und –ähnlichkeit – zur Kennzeichnungskraft – keine unmittelbare Verwechslungsgefahr – charakteristische Darstellung überlagert etwaigen Buchstabencharakter


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
17.11.2011
Aktenzeichen:
30 W (pat) 64/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 305 68 068

hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 17. November 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker und der Richterinnen Winter und Hartlieb

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Markeninhaber wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. Februar 2009 (Erinnerungsbeschluss) aufgehoben.

Die Erinnerung der Widersprechenden gegen den Beschluss derselben Markenstelle vom 27. Februar 2007 (Erstbeschluss) wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die am 17. November 2005 angemeldete Wort-/Bildmarke (farbig hellblau, dunkelblau, weiß)

Abbildung

2

ist am 30. Januar 2006 unter der Nummer 305 68 068 für Dienstleistungen der Klassen 41, 44 und 45 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Register eingetragen worden, nämlich für:

3

"Dienstleistungen zur Erziehung und Ausbildung im Gesundheitswesen; Dienstleistungen zur Gesundheitspflege für Menschen; persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse".

4

Die Veröffentlichung erfolgte am 3. März 2006.

5

Gegen die Eintragung ist am 2. Juni 2006 Widerspruch erhoben worden aus der Marke 305 03 891

6

PUR-R

7

die seit dem 19. Juli 2005 in das Markenregister eingetragen ist für "Medizinische Dienstleistungen; Gesundheits- und Schönheitspflege für Menschen".

8

Die Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Erstbeschluss vom 27. Februar 2007 eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung ist unter Anderem auf eine ungewöhnliche bildliche Gestaltung der angegriffenen Marke Bezug genommen, die die Widerspruchsmarke nicht aufweise. Auf die gegen diesen Beschluss eingelegte Erinnerung der Widersprechenden hat dieselbe Markenstelle mit Beschluss vom 27. Februar 2009 den Erstbeschluss aufgehoben und die angegriffene Marke aufgrund des Widerspruchs aus der Marke 305 03 891 gelöscht. Zur Begründung ist im Wesentlichen darauf Bezug genommen, dass in der jüngeren Marke das Wort "Pur" erkannt werde und sich damit die als solches schutzfähigen Wörter "Pur/PUR-R" verwechselbar gegenüberständen.

9

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Inhaber der angegriffenen Marke. Sie haben den Erstbeschluss für zutreffend erachtet und im Patentamtsverfahren insbesondere auf die außergewöhnliche grafische Gestaltung ihrer Marke verwiesen, hinter der das Wort "Pur" zurücktrete und deshalb Verwechslungsgefahr wegen fehlender Markenähnlichkeit ausscheide.

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Eine Äußerung zur Sache seitens der Widersprechenden ist im Beschwerdeverfahren nicht zu den Akten gelangt. Im Verfahren vor dem Patentamt haben sie insbesondere die Auffassung vertreten, dass das Wort "Pur" in der angegriffenen Wort-/Bildmarke erkannt werde und sich damit die als solche schutzfähigen Wörter "Pur/PUR" gegenüberständen, so dass angesichts identischer und ähnlicher Dienstleistungen Verwechslungsgefahr bestehe.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

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Die zulässige Beschwerde der Inhaber der angegriffenen Marke hat in der Sache Erfolg. Zwischen den Vergleichsmarken besteht keine markenrechtlich relevante Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG. Die Markenstelle hat deshalb mit dem Erstbeschluss zu Recht den Widerspruch zurückgewiesen.

13

Ob Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG vorliegt, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Identität bzw. Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, des Schutzumfangs der Widerspruchsmarke, des Grades der Ähnlichkeit der Zeichen sowie der Art der Waren oder Dienstleistungen und der bei der Auswahl bzw. Auftragsvergabe zu erwartenden Aufmerksamkeit des beteiligten Verkehrs umfassend zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. EuGH GRUR 1998, 387 - Sabèl/Puma; GRUR 2008, 343, Nr. 48 - BAINBRIDGE; GRUR 2006, 413 ff., Nr. 17 - ZIRH/SIR; GRUR 2006, 237 ff., Nr. 18 - Picaro/Picasso; BGH GRUR 2008, 903, Nr. 10 - SIERRA ANTIGUO; zur Wechselwirkung der genannten Einzelfaktoren vgl. Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl., § 9 Rdn. 40, 41).

14

Soweit allgemeine Verkehrskreise zu berücksichtigen sind, ist davon auszugehen, dass grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware/Dienstleistung befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware bzw. hier den in Anspruch genommenen Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein kann (vgl. BGH MarkenR 2000, 140 - ATTACHÉ/TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li. Spalte - ALKA-SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236, 239, Nr. 24 - Lloyd/Loint’s). Allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt, pflegt der Verkehr eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen (vgl. BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal/Indohexal). Deshalb wird die Aufmerksamkeit des Publikums bei Auswahl und Inanspruchnahme von Dienstleistungen der vorliegenden Art eher höher sein, da sie den Bereich Gesundheit betreffen bzw. einen engen persönlichen Bezug haben.

15

Nach diesen Grundsätzen ist zwischen den Vergleichsmarken keine markenrechtlich relevante Gefahr von Verwechslungen zu besorgen.

16

Das gilt selbst dann, wenn zu Gunsten der Widersprechenden davon ausgegangen wird, dass sich insgesamt identische bzw. eng ähnliche Dienstleistungen gegenüberstehen und auch vor dem Hintergrund, dass der Widerspruchsmarke eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft zukommt.

17

Maßgebend für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (BGH GRUR 2008, 258, Nr. 26 - INTERCONNECT/T-InterConnect; GRUR 2008, 905, Nr. 12 - Pantohexal; GRUR 2008, 909, Nr. 13 - Pantogast), wobei von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen (vgl. Ströbele/Hacker a. a. O., § 9 Rdn. 211). Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit in Klang, (Schrift-)Bild und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. EuGH GRUR 2006, 413, 414, Nr. 19 - ZIRH/SIR; GRUR 2005, 1042, 1044, Nr. 28 - THOMSON LIFE; GRUR Int. 2004, 843, Nr. 29 - MATRATZEN; BGH GRUR 2010, 235, Nr. 15 - AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, 487, Nr. 32 - METROBUS; GRUR 2006, 60 ff., Nr. 17 - coccodrillo; GRUR 2004, 779, 781 - Zwilling/Zweibrüder). Dabei kann für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Hinsicht genügen (st. Rspr. vgl. z. B. BGH a. a. O. Nr. 18 - AIDA/AIDU m. w. N.; Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rdn. 224 m. w. N.).

18

In der Gesamtwirkung der Vergleichsmarken besteht keine Zeichenähnlichkeit in klanglicher, schriftbildlicher oder begrifflicher Hinsicht. Wegen des nur in der jüngeren Marke enthaltenen unübersehbaren Bildbestandteils unterscheiden sich die Zeichen in jeder Hinsicht deutlich, so dass keine Verwechslungsgefahr besteht.

19

Ob die Zeichen "Pur" und PUR-R verwechselbar ähnlich sind, wie die Erinnerungsprüferin meint, bedarf keiner Entscheidung. Das Verbot der analysierenden Betrachtungsweise, das generell maßgebend ist (Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rdn. 211; § 8 Rdn. 106), steht vorliegend der Annahme entgegen, dass beachtliche Teile des Verkehrs in dem Bildbestandteil der jüngeren Marke einen grafisch gestalteten Buchstaben "u" erkennen und dadurch in der Marke das Wort "Pur" sehen. Ohne nähere Analysen wird auch ein besonders aufmerksamer Durchschnittsverbraucher den Bildbestandteil bei unbefangener Betrachtungsweise in erster Linie als charakteristische Darstellung eines kleine Tropfen versprühenden Wasserspritzers wahrnehmen; es liegt damit eine derartige Verfremdung ins Bildhafte vor, dass dieser Bildcharakter einen etwaigen Buchstabencharakter überlagert; zudem legt die ungebräuchliche Darstellung der Buchstaben "p" und "r" auch nicht nahe, dass das dazwischen eingesetzte Bildelement ein Buchstabe sein soll.

20

Wird aber in der jüngeren Marke nicht das Wort "Pur" erkannt, scheidet Verwechslungsgefahr in jeder Hinsicht aus.

21

Auf die Beschwerde der Markeninhaber ist daher der Erinnerungsbeschluss aufzuheben und die Erinnerung der Widersprechenden gegen den Erstbeschluss zurückzuweisen; es bleibt bei der dadurch erfolgten Zurückweisung des Widerspruchs.

22

Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen wurden noch ersichtlich sind.