Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 14.01.2016


BPatG 14.01.2016 - 30 W (pat) 557/13

Markenbeschwerdeverfahren– "Feinwerk – Berufsbildung für Menschen mit schweren Behinderungen" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
14.01.2016
Aktenzeichen:
30 W (pat) 557/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2012 026 608.8

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Professor Dr. Hacker sowie der Richter Merzbach und Dr. Meiser

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 19. Juli 2013 aufgehoben.

Gründe

I.

1

Die Wortfolge

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Feinwerk – Berufsbildung für Menschen mit schweren Behinderungen

3

ist am 23. April 2012 als Marke für die Dienstleistungen der

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„Klasse 41: Ausbildung;

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Klasse 45: von Dritten erbrachte persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse“

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bei dem Deutschen Patent- und Markenamt angemeldet worden.

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Mit Beschluss vom 19. Juli 2013 hat die Markenstelle für Klasse 45 die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) zurückgewiesen.

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Zur Begründung hat sie ausgeführt, die im Anmeldezeichen enthaltene Wortfolge „Berufsbildung für Menschen mit schweren Behinderungen“ enthalte offensichtlich eine Sachaussage über die Art der in Klasse 41 beanspruchten „Ausbildung“ sowie die in diesem Rahmen erforderlichen persönlichen wie sozialen Betreuungsleistungen der Klasse 45. Im Kontext dieser glatt beschreibenden Wortfolge erschließe sich auch das vorangestellte Wort „Feinwerk“ nur als Sachhinweis auf die beanspruchten Dienstleistungen. Sofern der Zeichenbestandteil „Feinwerk“ dabei vom Fachverkehr wahrgenommen werde, werde dieser hierin ohne weiteres einen verkürzten Hinweis auf die „Feinwerktechnik“ bzw. „Feingerätetechnik“ wahrnehmen. Der allgemeine Verkehr werde das - erkennbar aus den Bestandteilen „fein“ und „Werk“ zusammengesetzte - Wort als einen Hinweis auf Produkte schöpferischer Arbeit erfassen, die sich entweder durch ihre Qualität und/oder ihre filigrane, kleine, präzise Technik auszeichneten. Jedenfalls stelle das Zeichenwort „Feinwerk“ in diesem Zusammenhang lediglich eine als Dienstleistungsbeschreibung wahrzunehmende Aussage über die Art und Zielsetzung der Ausbildungstätigkeit dar, weshalb ihm zumindest als Element der hier angemeldeten Gesamtmarke die Eignung zur Herkunftsbezeichnung abzusprechen sei.

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Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie hat das Dienstleistungsverzeichnis in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wie folgt eingeschränkt:

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„Klasse 41: Ausbildung von Menschen mit schweren und Mehrfachbehinderungen;

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Klasse 45: von Dritten erbrachte persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse von Menschen mit schweren und Mehrfachbehinderungen“.

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Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt sie im Wesentlichen vor, entgegen der Auffassung der Markenstelle führe bereits der lexikalisch nicht nachvollziehbare Zeichenbestandteil „Feinwerk“ zu einer Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke. Dieser Begriff stehe in keinem Bezug zu den hier angemeldeten Dienstleistungen der Klassen 41 und 45. Die Ausbildung und Betreuung von Menschen mit schweren und Mehrfachbehinderungen werde vom Verkehr weder mit „Feinwerktechnik“ noch mit „Feinwerk“ assoziiert; der Verkehr erkenne hierin eher einen Gegensatz, zumal Schwerbehinderte regelmäßig nicht zu filigraner handwerklicher Tätigkeit in der Lage seien. Damit gehe die Annahme der Markenstelle, wonach die angemeldete Wortkombination unmittelbar beschreibend auf eine Berufsausbildung für Menschen mit Behinderungen im Bereich „Feinwerk“ hinweise, erkennbar fehl.

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Die Anmelderin beantragt,

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den angefochtenen Beschluss der Markenstelle aufzuheben.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die Beschwerde der Anmelderin ist gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. § 66 MarkenG statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache ist sie jedenfalls nach der seitens der Anmelderin vorgenommen Einschränkung des Dienstleistungsverzeichnisses begründet, da Eintragungshindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG insoweit nicht festgestellt werden können.

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1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. z. B. EuGH GRUR 2012, 610 (Nr. 42) - Freixenet; GRUR 2008, 608, 611 (Nr. 66) - EUROHYPO; BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) – for you; GRUR 2014, 565, 567 (Nr. 12) - smartbook; GRUR 2013, 731 (Nr. 11) - Kaleido; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) - Starsat, jeweils m. w. N.). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. etwa EuGH GRUR 2010, 1008, 1009 (Nr. 38) - Lego; GRUR 2008, 608, 611 (Nr. 66) - EUROHYPO; GRUR 2006, 233, 235, Nr. 45 - Standbeutel; BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) – for you; GRUR 2009, 949 (Nr. 10) – My World). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) - for you; GRUR 2014, 565, 567 (Nr. 12) - smartbook; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) - Starsat; GRUR 2012, 270 (Nr. 8) - Link economy).

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Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, 412 (Nr. 24) - Matratzen Concord/Hukla).

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Hiervon ausgehend besitzen Wortmarken insbesondere dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, 678 (Nr. 86) - Postkantoor; BGH GRUR 2014, 1204, 1205 (Nr. 12) - DüsseldorfCongress; GRUR 2012, 270, 271 (Nr. 11) - Link economy; GRUR 2009, 952, 953 (Nr. 10) - DeutschlandCard).

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Darüber hinaus kommt nach ständiger Rechtsprechung auch solchen Zeichen keine Unterscheidungskraft zu, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2014, 1204, 1205 (Nr. 12) - DüsseldorfCongress; GRUR 2012, 1143, 1144 (Nr. 9) - Starsat; GRUR 2009, 952, 953 (Nr. 10) - DeutschlandCard; GRUR 2006, 850, 854 (Nr. 19) – FUSSBALL WM 2006).

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2. Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Hintergrunds steht der angemeldeten Wortfolge Feinwerk – Berufsbildung für Menschen mit schweren Behinderungen jedenfalls nach erfolgter Einschränkung des Dienstleistungsverzeichnisses im Beschwerdeverfahren - durch Aufnahme des Zusatzes „für Menschen mit schweren und Mehrfachbehinderungen“ in beiden beanspruchten Dienstleistungsklassen - das Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG nicht entgegen.

22

Wenngleich der Markenstelle darin zu folgen ist, dass sich die im Anmeldezeichen enthaltene Wortfolge „- Berufsbildung für Menschen mit schweren Behinderungen“ in einer Dienstleistungsbeschreibung erschöpft, kann gleichwohl der Marke in ihrer Gesamtheit nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden, da bereits der Zeichenbestandteil „Feinwerk“ geeignet ist, als eigenständiger betrieblicher Herkunftsnachweis aufgefasst zu werden (vgl. EuGH GRUR 2006, 229, 233, Rdnr. 72-74 – BioID; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 8 Rdn. 196, 197, 498). Denn ein Sachbezug der lexikalisch nicht nachweisbaren Wortbildung „Feinwerk“ zu den konkret beanspruchten Dienstleistungen ist nicht ohne weiteres erkennbar.

23

a) Zunächst kann der Auffassung der Markenstelle, jedenfalls der Fachverkehr werde in der Wortbildung unmittelbar einen verkürzten Hinweis auf die sog. „Feinwerktechnik“ bzw. „Feingerätetechnik“ wahrnehmen, für den vorliegenden Dienstleistungszusammenhang nicht gefolgt werden. Die Annahme, die Bezeichnung „Feinwerk“ werde im deutschen Sprachraum (bzw. jedenfalls von den angesprochenen Fachkreisen) tatsächlich regelmäßig als Abkürzung für „Feinwerktechnik“ genutzt und verstanden, wird insoweit weder von den Feststellungen der Markenstelle noch von den Ergebnissen einer Internetrecherche des Senats getragen.

24

b) Die Beschwerde rügt ferner mit Recht, dass sich dem Zeichenbestandteil auch im Übrigen kein klarer Sachhinweis insbesondere auf die Ausrichtung der beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen entnehmen lässt. Denn der angesprochene Verkehr wird die Ausbildung und Betreuung von Menschen mit schweren und Mehrfachbehinderungen nicht ohne weiteres mit „Feinwerk“ assoziieren.

25

Die Markenstelle ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Begriff „Feinwerk“ um eine ohne weiteres erkennbare Wortkombination aus den Bestandteilen „fein“ und „Werk“ handelt; ausgehend von den lexikalisch nachvollziehbaren Bedeutungen der beiden Einzelwörter werden die angesprochenen Verkehrskreise in dem zusammengesetzten Begriff daher einen Hinweis auf Produkte schöpferischer Arbeit erfassen, die sich entweder durch ihre hohe Qualität und/oder ihre filigrane, kleine bzw. präzise Technik auszeichnen. Mit diesen Bedeutungsgehalten wird das Wort nach den Ergebnissen der Senatsrecherche auch von Unternehmen und Handwerksbetrieben bereits vielfach - wenn auch überwiegend markenmäßig sowie in Firmennamen - verwendet. Dabei steht „Feinwerk“ zumeist für das Produkt einer handwerklichen Arbeit auf hoher Qualitätsstufe, wobei sich dieser Qualitätsanspruch mit Produktmerkmalen wie „erlesen“, „edel“, „formschön“ sowie „unter Verwendung ausgewählter Materialien hergestellt“ verbindet. Gerade auch von Manufakturen wird die Begrifflichkeit zur werblichen Anpreisung einer „sorgsamen“, „aufwendigen“, „bis ins letzte Detail liebevollen“ Handarbeit zur Anfertigung „individueller“ und „facettenreicher“ Stücke verwendet.

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Wenngleich somit eine durchaus breite Verwendung des Wortes „Feinwerk“ im Sinne des von der Markenstelle vertretenen Begriffsverständnisses belegbar ist, drängt sich gleichwohl vorliegend ein Sachbezug zu den hier alleine noch beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen für Menschen mit schweren und Mehrfachbehinderungen nicht auf. Die berufliche Ausbildung und Inklusion Schwer- und Mehrfachbehinderter kann, wie es die Beschwerdeführerin mit Recht vorträgt, insoweit gedanklich nicht ohne Weiteres mit „Feinwerk“, „Feinwerktechnik“ bzw. einer besonders filigranen handwerklichen Arbeit in Verbindung gebracht werden kann; der Senat folgt auch der Argumentation der Anmelderin, dass insoweit aus der Sicht des Verkehrs sogar ein gewisser Gegensatz bestehen kann, wenn man berücksichtigt, dass die auszubildenden Schwer- und Mehrfachbehinderten in ihren feinmotorischen Fähigkeiten erheblich eingeschränkt sein können.

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c) Für den allgemeinen wie auch den Fachverkehr besteht daher kein Anlass, „Feinwerk“ in Zusammenhang mit den konkret beanspruchten, speziell auf die Bedürfnisse schwer- und mehrfachbehinderter Menschen bezogenen Dienstleistungen als beschreibenden Sachhinweis zu verstehen.

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Ausgehend hiervon kann auch das Anmeldezeichen in seiner Gesamtheit, auch unter Berücksichtigung des konkretisierenden Zusatzes „- Berufsbildung für Menschen mit schweren Behinderungen“, auf verschiedene Art und Weise interpretiert werden. Eine beschreibende Sachaussage drängt sich dem Verkehr nicht unmittelbar auf, sondern erschließt sich allenfalls über eine für die Prüfung der Unterscheidungskraft unzulässige analysierende Betrachtungsweise. Deshalb kann dem Zeichen die Eignung als betrieblicher Herkunftshinweis nicht abgesprochen werden.

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3. Aus den vorgenannten Gründen unterliegt die angemeldete Marke auch keinem Freihaltebedürfnis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.