Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 02.07.2015


BPatG 02.07.2015 - 30 W (pat) 547/13

Markenbeschwerdeverfahren – "Physioup" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
02.07.2015
Aktenzeichen:
30 W (pat) 547/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2012 008 090.1

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 2. Juli 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker, des Richters Merzbach und der Richterin Uhlmann

beschlossen:

Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 5. Juni 2013 aufgehoben.

Gründe

I.

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Das Wortzeichen

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Physioup

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ist am 5. Oktober 2012 zur Registereintragung für die Waren und Dienstleistungen der

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„Klasse 16: Druckereierzeugnisse; Lehr- und Unterrichtsmittel (ausgenommen Apparate); Broschüren; Bücher; Flyer; Formulare; grafische Darstellungen; Handbücher; Prospekte; Skripte; Zeitschriften; Zeitungen;

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Klasse 41: Erziehung; Ausbildung; Unterhaltung, sportliche und kulturelle Aktivitäten; Dienstleistungen von Fitnesstrainern; Dienstleistungen von Fitnessstudios; Durchführung von Fitnesskursen; Demonstrationsunterricht in praktischen Übungen; Durchführung von Fitnesskursen; Veranstaltung und Durchführung von Workshops (Ausbildung); Verfassen und Herausgabe von Texten (auch elektronisch), ausgenommen für Werbezwecke; Layoutgestaltung (auch elektronisch), außer für Werbezwecke;

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Klasse 44: Medizinische Dienstleistungen; Gesundheits- und Schönheitspflege für Menschen; Dienstleistungen von physiotherapeutischen Praxen; physiotherapeutische Behandlungen“

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angemeldet worden.

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Mit Beschluss vom 5. Juni 2013 hat die Markenstelle für Klasse 44 die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen.

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Zur Begründung hat sie ausgeführt, das Wortzeichen setze sich aus zwei ohne Weiteres verständlichen Begriffen zusammen. Der vorangestellte Begriff „Physio“ sei dem allgemeinen Verkehr aus Begriffen wie „Physiotherapie“, „Physiotherapeut“, „Physiotrainer“ hinlänglich als Bestimmungswort innerhalb von Wortzusammensetzungen mit der Bedeutung „Körper, den Körper betreffend, Natur, Leben“ bekannt. Der weitere Bestandteil „up“ werde als Hinweis auf eine Steigerung verstanden. Die Begriffskombination ergebe eine ohne Weiteres verständliche Gesamtaussage im Sinne einer Steigerung oder auch Verbesserung der Körperfunktionen bzw. des körperlichen Wohlbefindens. Durch die Zusammenfügung entstehe keine neuartige Wortkreation, vielmehr sei die Angabe sprach- und werbeüblich aneinandergereiht und treffe in schlagwortartiger Form eine für den Verkehr sofort erfassbare Sachaussage über die Bestimmung und Inhalte der beanspruchten Waren und Dienstleistungen. Da der Eintragung des Anmeldezeichens mithin das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft entgegenstehe, könne dahingestellt bleiben, ob auch eine freihaltungsbedürftige Angabe vorliege.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Anmelders vom 21. Juni 2013, mit der er sinngemäß beantragt,

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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 5. Juni 2013 aufzuheben.

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Er trägt vor, die Beurteilung der Markenstelle beruhe auf einer unzulässigen zergliedernden Betrachtungsweise. Das Anmeldezeichen bestehe nicht ausschließlich aus beschreibenden Angaben. Zwar sei der in dem Zeichen enthaltene Bestandteil „up“ in der englischen Bedeutung „hinauf, aufwärts, in die Höhe“ für praktisch alle Waren und Dienstleistungen eine beschreibende Angabe. Er sei dem Verkehr jedoch nur in Alleinstellung und nicht als Nachsilbe anderer Wörter bekannt. Daher werde er in dem Anmeldezeichen nicht als eigenständiges Wort wahrgenommen. Der vorangestellte Bestandteil „Physio“ stelle zudem in Verbindung mit Begriff „up“ keine beschreibende Angabe dar, sondern weise einen gewissen Fantasiegehalt auf. Zudem sei die Verbindung beider Wortbestandteile ungewöhnlich und neuartig.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der angegriffene Beschluss war aufzuheben, da der Eintragung des Anmeldezeichens kein Schutzhindernis gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 MarkenG entgegensteht. Insbesondere fehlt dem Wortzeichen Physioup für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen weder jegliche Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, noch stellt es eine freihaltebedürftige beschreibende Angabe gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG dar.

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1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die dem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. EuGH GRUR 2012, 610, Rn. 42 - Freixenet; GRUR 2008, 608, 611, Rn. 66 f. - EUROHYPO; BGH GRUR 2013, 731, Rn. 11 - Kaleido; GRUR 2012, 1143, Rn. 7 - Starsat; GRUR 2012, 1044, 1045, Rn. 9 - Neuschwanstein; GRUR 2010, 825, 826, Rn. 13 - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2010, 935, Rn. 8 - Die Vision; GRUR 2006, 850, 854, Rn. 18 - FUSSBALL WM 2006). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. EuGH GRUR 2006, 233, 235, Rn. 45 - Standbeutel; GRUR 2006, 229, 230, Rn. 27 - BioID; GRUR 2008, 608, 611, Rn. 66 - EUROHYPO; BGH GRUR 2008, 710, Rn. 12 - VISAGE; GRUR 2009, 949, Rn. 10 – My World). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2012, 1143, Rn. 7 - Starsat; GRUR 2012, 1044, 1045, Rn. 9 - Neuschwanstein; GRUR 2012, 270, Rn. 8 - Link economy).

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Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, 412 Rn. 24 – Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 943, 944 Rn. 24 - SAT.2; BGH GRUR 2010, 935 Rn. 8 – Die Vision; GRUR 2010, 825, 826 Rn. 13 - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2006, 850, 854 Rn. 18 - FUSSBALL WM 2006). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. EuGH GRUR 2004, 428, 431 Rn. 53 - Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; MarkenR 2000, 420, 421 - RATIONAL SOFTWARE CORPORATION).

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Hiervon ausgehend besitzen Wortmarken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, 678 Rn. 86 - Postkantoor; BGH GRUR 2012, 1143, 1144 Rn. 9 - Starsat; GRUR 2012, 270, 271 Rn. 11 – Link economy; GRUR 2009, 952, 953 Rn. 10 - DeutschlandCard; GRUR 2006, 850, 854 Rn. 19 – FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 - BerlinCard; GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; GRUR 2001, 1153 - antiKALK) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, 854 Rn. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050, 1051 - Cityservice; GRUR 2001, 1043, 1044 - Gute Zeiten - Schlechte Zeiten). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100 Rn. 23 - TOOOR!; GRUR 2006, 850, 855 Rn. 28 f. - FUSSBALL WM 2006).

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2. Nach diesen Grundsätzen kann dem Wortzeichen Physioup nicht die notwendige Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen abgesprochen werden.

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a) Der Senat vermag schon der Annahme der Markenstelle, das Wortzeichen Physioup sei erkennbar aus zwei unmittelbar beschreibenden Bestandteilen zusammengesetzt, nicht zu folgen. Das Zeichen besteht aus einer zu einem einzigen Wort zusammengefügten Buchstabenfolge ohne Binnengroßschreibung oder sonstige optische Unterbrechung der Buchstabenfolge. Der inländische Verkehr hat daher zunächst keinen Anlass, in dem einheitlichen Zeichen eine Kombination aus mehreren Wortelementen zu erkennen. Die konkrete Trennung in „Physio-up“ ergibt sich auch nicht aus der Aussprachegewohnheit. Die ungewöhnliche Anhäufung der Vokale i-o-u lässt neben der von der Markenstelle gewählten getrennten Aussprache jedes Vokals in „Physio-up“ auch die Trennung in „Physi-oup“ zu, wobei der zweite Teil als langes „U“ gesprochen werden wird.

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Auch sind die von der Markenstelle isolierten Wortelemente „physio“ und „up“ für sich genommen nicht so verbreitet, dass sie unmittelbar auf den ersten Blick als zwei voneinander getrennte Einheiten wahrgenommen werden. Der Begriff „Physio“ taucht weder im englischen noch im deutschen Sprachgebrauch isoliert auf, sondern ist nur als Wortbildungselement gebräuchlich. Lediglich umgangssprachlich wird „Physio“ als Abkürzung für „Physiotherapeut“ oder „Physiotherapie“ verwendet. Die Kombination mit der englischen Präposition „up“ ist dagegen nicht üblich und fügt sich auch nicht in vergleichbare Wortbildungen ein. Zwar kennen die hier angesprochenen Verkehrskreise, die sich aus der Allgemeinheit der Verbraucher und dem Fachverkehr im Bereich des Gesundheitswesens zusammensetzen, die Begriffsbildungen „check up“, „Make up“, „warm up“ etc., hierbei handelt es sich aber um Verbindungen zwischen englischen Verben und der Präposition „up“, während „Physio“ ein aus dem Griechischen abgeleiteter Wortbestandteil der Wissenschaftssprache ist. Deshalb erschließt sich schon das von der Markenstelle angenommene Verständnis des Einwortzeichens Physioup als Kombination der Wortelemente „Physio“ und „up“ nicht unmittelbar, sondern setzt gegenüber der Wahrnehmung als einheitliches Fantasiewort einen analysierenden Zwischenschritt voraus.

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b) Aber auch wenn das Anmeldezeichen als Kombination der Wortelemente „Physio“ und „up“ wahrgenommen wird, ergibt sich aus dieser Verbindung keine im Vordergrund stehende beschreibende Sachaussage für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen. „Physio“ ist ein Wortbildungselement mit der Bedeutung „Natur, natürliche Beschaffenheit, Leben“. Die Präposition „up“ hat die Bedeutungen „auf, hinauf, aufwärts“. Zwar können beide Wortelemente jeweils für sich genommen beschreibend für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen sein. Dies genügt jedoch nicht, um der in der Wortbildung enthaltenen Gesamtaussage die Unterscheidungskraft abzusprechen. Das Vorliegen des Schutzhindernisses bemisst sich nämlich nicht nur danach, ob etwaige Wortbestandteile für sich betrachtet unterscheidungskräftig sind; entscheidend ist vielmehr, ob dem durch die Verbindung der Bestandteile entstandenen Gesamtzeichen die Eignung zur betrieblichen Herkunftskennzeichnung fehlt (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, 678 Rn. 99 - Postkantoor; GRUR 2004, 680, 681 Rn. 40 - BIOMILD; Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 8 Rdn. 184). Insoweit ist anerkannt, dass ein beschreibender Sinngehalt eines Markenwortes im Einzelfall durch eine hinreichend fantasievolle Wortbildung soweit überlagert sein kann, dass der Marke in ihrer Gesamtheit die erforderliche Unterscheidungskraft nicht mehr abzusprechen ist (vgl. z. B. BGH GRUR 1995, 408, 409 - PROTECH; BPatG GRUR 1997, 639, 640 - FERROBRAUSE; BPatG 32 W (pat) 50/05 - linguadict, 24 W (pat) 124/06 - derma fit, 24 W (pat) 95/07 - Heliocare, jeweils veröffentlicht auf der Internetseite des Gerichts). Dies ist vorliegend zu bejahen.

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Wie bereits ausgeführt ist die Wortbildung Physioup ungewöhnlich, weil hier ein Wortbildungselement aus der Wissenschaftssprache mit der englischen Präposition „up“ kombiniert wird, während der inländische Verkehr der Präposition „up“ in Nachstellung meist nur in Verbindung mit englischen Verben begegnet (start-up, warm-up, check-up, pick-up, set-up). Die Präposition „up“ wird auch nicht ohne Weiteres als Hinweis auf eine Steigerung verstanden. So hat z. B. der im hier relevanten Bereich der Gesundheitsdienstleistungen gebräuchliche Begriff „Check up“ nicht die Bedeutung „gesteigerte Überprüfung“. Der angesprochene Verkehr wird die Wortkombination „Physio-up“ – wenn er sie in dem Zeichen überhaupt erkennt – am ehesten im Sinne von „Leben aufrecht, Leben hinauf, bzw. „Natur auf, Natürliche Beschaffenheit hinauf“ verstehen. Damit ist die Wortkombination mehrdeutig und interpretationsbedürftig.

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Zu einer Sachaussage über die beanspruchten Waren und Dienstleistungen gelangt der angesprochene Verkehr nur über mehrere gedankliche Zwischenschritte, etwa dahingehend, dass unter „Natur“ der menschliche Körper oder die körperliche Gesundheit gemeint sein könnten und „auf“ als „verbessern“ oder „steigern“ zu verstehen ist. Eine solche analysierende Betrachtungsweise ist für die Prüfung der Unterscheidungskraft jedoch unzulässig.

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Das Anmeldezeichen hat mithin zwar beschreibende Anklänge, ist aber in seiner Gesamtheit eine Wortschöpfung, die aus sich heraus originell und insoweit auch individualisierend wirkt und deshalb als betrieblicher Herkunftshinweis geeignet ist.

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3. Da dem Zeichen in seiner Gesamtheit mangels einer im Vordergrund stehenden Sachaussage für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen das erforderliche Minimum an Unterscheidungskraft nicht abgesprochen werden kann, besteht an dem Begriff Physioup auch kein Freihaltebedürfnis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

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Daher war der angegriffene Beschluss aufzuheben.