Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 16.11.2017


BPatG 16.11.2017 - 30 W (pat) 544/16

Markenbeschwerdeverfahren – "KAGURA (IR-Marke)" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
16.11.2017
Aktenzeichen:
30 W (pat) 544/16
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2017:161117B30Wpat544.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze
Art 5 MAbk Madrid
Art 6quinquies Abschn B PVÜ

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die IR-Marke 1 250 722

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 16. November 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Professor Dr. Hacker sowie der Richter Merzbach und Dr. Meiser

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Markeninhaberin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 9 - Internationale Markenregistrierung - des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. Juni 2016 aufgehoben.

Gründe

I.

1

Um Schutz in der Bundesrepublik Deutschland wird nachgesucht für die auf japanischen Basisanmeldungen beruhende, international registrierte Marke 1 250 722

2

KAGURA

3

die im internationalen Register für folgende Waren eingetragen worden ist:

4

„Klasse 9: Electronic machines, apparatus and their parts, namely, computer software recorded on computer media, downloadable computer software, and computer hardware and software, all for use in the fields of advertising, entertainment, gaming, education

5

Klasse 15: Musical instruments”.

6

Die mit einer Beamtin des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 9 - Internationale Markenregistrierung - des Deutschen Patent- und Markenamts hat der Marke mit Beschluss vom 29. Juni 2016 den Schutz in der Bundesrepublik Deutschland verweigert, weil ihr jegliche Unterscheidungskraft fehle und die Kennzeichnung als Warenbeschreibung auch einem Freihaltungsbedürfnis unterliege (§§ 119, 124, 113, 37, 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG in Verbindung mit Art. 5 PMMA, Art. 6quinquies B PVÜ).

7

Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, bei dem Wort KAGURA handele es sich lexikalisch nachvollziehbar um die Bezeichnung eines „japanischen Tanzes beim shintoistischen Kult“. Zwischen Deutschland und Japan bestünden traditionell enge Beziehungen mit intensivem kulturellen Austausch. Vor diesem Hintergrund sei der Begriff KAGURA den hier angesprochenen, an fremden Kulturen interessierten inländischen Verkehrskreisen als ein von Musik und Gesang begleiteter Tanz nicht unbekannt, wie es auch die Ergebnisse einer Internetrecherche der Markenstelle belegten. Im vorliegenden Warenzusammenhang erschließe sich das Markenzeichen diesen Verkehrskreisen daher ohne weiteres als allgemeine Sach- und Qualitätsangabe und Hinweis darauf, dass die so gekennzeichneten Erzeugnisse auf die speziellen Anforderungen bei einem KAGURA-Tanz ausgerichtet seien. So könne es sich bei der beanspruchten „Softwareder Klasse 9 um KAGURA-Musik oder interaktive Tanzanleitungen hierzu handeln. In Klasse 15 könne es sich um solche „Musikinstrumente“ handeln, die speziell beim KAGURA(-Tanz) eingesetzt werden.

8

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der IR-Markeninhaberin.

9

Sie trägt vor, das Markenzeichen entbehre weder der notwendigen Unterscheidungskraft, noch sei es für die relevanten Waren der Klassen 9 und 15 freihaltebedürftig. Der Begriff KAGURA bezeichne im Japanischen die „festliche Aufführung uralter, heiliger Tänze“. Diese Bedeutung sei dem durchschnittlich informierten, deutschsprachigen Verbraucher allerdings nicht bekannt, so dass der Verkehr das Markenwort bereits nicht mit den relevanten Waren der Klassen 9 und 15 assoziieren werde. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass dem Markenzeichen sogar in Japan selbst, durch die Basismarken der IR-Marke, ohne weiteres Schutz gewährt worden sei.

10

In der mündlichen Verhandlung vom 22. Juni 2017 hat die IR-Markeninhaberin ihre Zustimmung mit einem Übergang in das schriftliche Verfahren erklärt, welcher seitens des Senats durch einen in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluss auch angeordnet worden ist.

11

Nach einer im weiteren schriftlichen Beschwerdeverfahren erfolgten Einschränkung des Warenverzeichnisses für den deutschen Teil der Marke sucht diese nunmehr für folgende Waren um Schutz nach:

12

“Klasse 9: Electronic machines, apparatus and their parts, namely computer software recorded on computer media, downloadable computer software, and computer hardware and software, all for transforming movements of the body and of parts of the body by imaging technology and image processing technology into sounds and music , all for use in the fields of advertising, entertainment, gaming, education.

13

Klasse 15: Musical instruments for transforming movements of the body and of parts of the body by imaging technology and image processing technology into sound and music.

14

Die Markeninhaberin beantragt,

15

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 9 - Internationale Markenregistrierung - des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. Juni 2016 aufzuheben.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

17

Die zulässige Beschwerde der IR-Markeninhaberin hat auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahren für den deutschen Teil eingeschränkten Warenverzeichnisses in der Sache Erfolg.

18

Dem Schutz der IR-Marke 1 250 722 KAGURA stehen insoweit für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland keine absoluten Schutzhindernisse gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG entgegen. Gemäß §§ 119, 124, 113, 37, 8 Abs. 2 Nr. 1, 2 MarkenG in Verbindung mit Art. 5 PMMA, Art 6quinquiesB PVÜ war dem Zeichen daher der beantragte Schutz in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu verweigern.

19

1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. z. B. EuGH GRUR 2012, 610 (Nr. 42) - Freixenet; GRUR 2008, 608, 611 (Nr. 66) - EUROHYPO; BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) - for you; GRUR 2014, 565, 567 (Nr. 12) - smartbook; GRUR 2013, 731 (Nr. 11) - Kaleido; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) - Starsat, jeweils m. w. N.). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. etwa EuGH GRUR 2010, 1008, 1009 (Nr. 38) - Lego; GRUR 2008, 608, 611 (Nr. 66) - EUROHYPO; GRUR 2006, 233, 235, Nr. 45 - Standbeutel; BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) - for you; GRUR 2009, 949 (Nr. 10) - My World). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) - for you; GRUR 2014, 565, 567 (Nr. 12) - smartbook; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) - Starsat; GRUR 2012, 270 (Nr. 8) - Link economy).

20

Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, 412 (Nr. 24) - Matratzen Concord/Hukla).

21

Hiervon ausgehend besitzen Marken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (vgl. BGH GRUR 2013, 1143, Nr. 15 - Aus Akten werden Fakten) bzw. im Zeitpunkt des Schutzerstreckungsgesuchs lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, 678, Nr. 86 - Postkantoor; BGH GRUR 2012, 270, 271, Nr. 11 - Link economy; GRUR 2009, 952, 953, Nr. 10 - DeutschlandCard; GRUR 2006, 850, 854, Nr. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 - BerlinCard; GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; GRUR 2001, 1153 - antiKALK) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die - etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien - stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, 854, Nr. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050, 1051 - Cityservice; GRUR 2001, 1043, 1044 - Gute Zeiten - Schlechte Zeiten). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100, Nr. 23 - TOOOR!; GRUR 2006, 850, 855, Nr. 28 f. - FUSSBALL WM 2006).

22

2. Nach diesen Grundsätzen kann dem Wortzeichen KAGURA auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahren für den deutschen Teil eingeschränkten Warenverzeichnisses die notwendige Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG nicht abgesprochen werden.

23

a) Zwar hat die Markenstelle zutreffend festgestellt, dass das Wort KAGURA eine auch im Inland gebräuchliche Bezeichnung für einen „traditionellen japanischen Tanz beim schintoistischen Kult“ darstellt. Mit dieser Bedeutung ist das Markenwort im Inland lexikalisch erfasst (vgl. etwa https://www.duden.de/rechtschreibung/Kagura) und wird auch entsprechend von an japanischer Kultur interessierten Verkehrskreisen verwendet. Nach den weiteren Rechercheergebnissen der Markenstelle und des Senats kann ferner davon ausgegangen werden, dass jedenfalls die am Handel mit den einschlägigen Waren beteiligten Fachkreise - vor allem soweit sie auf dem Produktbereich der Musikinstrumente in Handelsbeziehungen mit Japan stehen - im Stande sind, den Begriff KAGURA als Bezeichnung eines solchen japanischen (shintoistischen) Tanzes sowie der entsprechenden, diesen Tanz begleitenden Musik zu erkennen. Ferner wird der Fachverkehr darum wissen, dass zur Erzeugung der traditionellen KAGURA-Musik spezielle Musikinstrumente eingesetzt werden. So gehören etwa zu dem „KAGURA zutome“ neun Musikinstrumente (neben dem Gong verschiedene Streich- und Zupfinstrumente, Trommeln, Schlaghölzer, Zimbeln und eine Flöte, vgl. den Wikipedia-Eintrag zum Stichwort „Tenrikyo“). Bei der sog. „kagurabue“ handelt es sich um eine spezielle Bambusflöte (Querflöte mit nicht genau festgelegter Länge und sechs Löchern), die ebenso Bestandteil eines KAGURA-Ensembles ist (vgl. den Wikipedia-Eintrag zum Stichwort „Gagaku“ sowie die Anlage „Kagurabue und Flöte - Europeana“).

24

b) Durch die für den deutschen Teil der Marke vorgenommene Einschränkung mit der konkreten Bestimmung der Waren der Klassen 9 und 15, „(all) for transforming movements of the body and of parts of the body by imaging technology and image processing technology into sounds and music“ hat die Markeninhaberin indessen klargestellt, dass ein Bezug zum shintoistischen KAGURA-Tanz und zur diesen Tanz begleitenden traditionellen KAGURA-Musik nicht mehr in Betracht kommt.

25

Elektronische Maschinen, Computer-Software (…)“ und moderne „Musikinstrumente", die dazu dienen, Bewegungen des Körpers und der Körperteile durch bildgebende Technologie und Bildverarbeitungstechnologie in Klänge und Musik zu transformieren, entfernen sich weitestgehend von den oben beschriebenen, traditionellen KAGURA-Musikinstrumenten. Werden die von der Markeninhaberin nunmehr noch beanspruchten, von bildgebender Technologie und Bildverarbeitungstechnik geprägten Waren mit der Marke KAGURA gekennzeichnet, liegt die Annahme fern, dass der relevante (Fach-)Verkehr in dem Markenzeichen auf Anhieb einen Sachhinweis darauf erkennt, dass die so gekennzeichneten Waren auf die speziellen Anforderungen bei einem shintoistischen KAGURA-Tanz bzw. bei der traditionellen KAGURA-Musik ausgerichtet sind. Ein solcher Sachbezug liegt nicht mehr nahe bzw. erschließt sich dem Verkehr allenfalls im Rahmen einer analysierenden Betrachtungsweise, was aber bereits die Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG begründet.

26

3. Aus den vorgenannten Gründen unterliegt die verfahrensgegenständliche IR-Marke auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahren für den deutschen Teil eingeschränkten Warenverzeichnisses auch keinem Freihaltebedürfnis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

27

Der Beschwerde war daher stattzugeben.