Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 02.08.2018


BPatG 02.08.2018 - 30 W (pat) 540/16

Markenbeschwerdeverfahren – "Sinnesart" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
02.08.2018
Aktenzeichen:
30 W (pat) 540/16
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2018:020818B30Wpat540.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2015 061 037.2

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 2. August 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker, des Richters Merzbach sowie des Richters Dr. Meiser

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 2. August 2016 aufgehoben.

Gründe

I.

1

Die Bezeichnung

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Sinnesart

3

ist am 30. November 2015 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Register für die Dienstleistungen

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„Klasse 41:

5

Unterhaltung zur Entspannung von Personen

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Klasse 44:

7

Durchführung von Massagen

8

Klasse 45:

9

Persönliche und soziale Dienstleistungen“

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angemeldet worden.

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Die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung mit Beschluss 2. August 2016 zurückgewiesen, weil es der angemeldeten Bezeichnung in Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen an der erforderlichen Unterscheidungskraft fehle (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG).

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Die angemeldete Bezeichnung werde der Verkehr auf Grundlage ihrer lexikalisch nachweisbaren Bedeutung i.S. von „Wesens-, Denkart eines Menschen“ in Zusammenhang mit den beanspruchten Dienstleistungen ohne jegliche gedankliche Zwischenschritte oder analysierende Betrachtungsweise dahingehend verstehen, dass durch die jeweiligen Dienstleistungen die menschlichen Sinne und Empfindungen auf eine den individuellen Vorstellungen und Bedürfnissen entsprechende angenehme, wohltuende, ablenkende o. ä. Art und Weise angesprochen oder erreicht werden sollen. Die angemeldete Bezeichnung beschränke sich daher in Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen auf eine werblich anpreisende bzw. sachbezogene Angabe ohne jeglichen herkunftshinweisenden Inhalt.

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Hingegen werde der Verkehr in Sinnesart angesichts seines lexikalisch nachweisbaren Sinngehalts keine Begriffskombination eines deutschen Worts mit dem englischen Begriff „art“ (= Kunst) mit der Bedeutung „Kunst der Sinne“ erkennen.

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Unerheblich sei die Voreintragung der Wortmarke 305 387 081 „SINNES-ART“ für die Anmelderin, da Voreintragungen weder für sich genommen noch in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes geeignet seien, einen Eintragungsanspruch zu begründen.

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Ob darüber hinaus auch ein Freihaltungsbedürfnis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG bestehe, könne dahingestellt bleiben.

16

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie im Wesentlichen geltend macht, dass es sich bei Sinnesart um eine Wortkombination mit den Bedeutungen „Art der Sinne“ oder – auf Grundlage der Bedeutung von „Art“ als englischer Begriff für „Kunst“ – „Kunst der Sinne“ handele. Keine dieser Bedeutungen führe jedoch zu einer sinnvollen Aussage in Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen, sodass es der Bezeichnung bereits aus diesem Grunde nicht an Unterscheidungskraft fehle.

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Unabhängig davon sei der von der Markenstelle angenommene Aussagegehalt, dass die Dienstleistungen in einer Art erbracht würden, die die (menschlichen) Sinne in individueller Weise anspreche, für den Verkehr nicht ohne weiteres erkennbar und bedürfe jedenfalls mehrerer gedanklicher Zwischenschritte. Weise die angemeldete Bezeichnung danach aber keinen unmittelbaren Sachbezug zu den beanspruchten Dienstleistungen auf, fehle es ihr weder an Unterscheidungskraft noch bestehe ein Freihaltungsbedürfnis i. S. von § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

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Die Anmelderin und Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,

19

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 45 vom 2. August 2016aufzuheben.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1, § 66 MarkenG zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der angegriffene Beschluss war aufzuheben, da der Eintragung des Anmeldezeichens in Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen kein Schutzhindernis gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 MarkenG entgegensteht. Insbesondere fehlt dem Wortzeichen für die beanspruchten Dienstleistungen weder jegliche Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, noch stellt es eine freihaltebedürftige beschreibende Angabe gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG dar.

22

1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. z. B. EuGH GRUR 2012, 610 (Nr. 42) – Freixenet; GRUR 2008, 608, 611 (Nr. 66) – EUROHYPO; BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) – for you; GRUR 2014, 565, 567 (Nr. 12) – smartbook; GRUR 2013, 731 (Nr. 11) – Kaleido; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) – Starsat, jeweils m. w. N.). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. etwa EuGH GRUR 2010, 1008, 1009 (Nr. 38) – Lego; GRUR 2008, 608, 611 (Nr. 66) – EUROHYPO; GRUR 2006, 233, 235, Nr. 45 – Standbeutel; BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) – for you; GRUR 2009, 949 (Nr. 10) – My World). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein großzügiger Maßstab anzulegen, sodass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) – for you; GRUR 2014, 565, 567 (Nr. 12) – smartbook; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) – Starsat; GRUR 2012, 270 (Nr. 8) – Link economy). Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, 412 (Nr. 24) – Matratzen Concord/Hukla).

23

Hiervon ausgehend besitzen Marken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (vgl. BGH GRUR 2013, 1143, Nr. 15 – Aus Akten werden Fakten) lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, 678, Nr. 86 – Postkantoor; BGH GRUR 2012, 270, 271, Nr. 11 – Link economy; GRUR 2009, 952, 953, Nr. 10 – DeutschlandCard; GRUR 2006, 850, 854, Nr. 19 – FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 – BerlinCard; GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch; GRUR 2001, 1153 – antiKALK) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die – etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, 854, Nr. 19 – FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050, 1051 – Cityservice; GRUR 2001, 1043, 1044 – Gute Zeiten – Schlechte Zeiten). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100, Nr. 23 – TOOOR!; GRUR 2006, 850, 855, Nr. 28 f. – FUSSBALL WM 2006).

24

2. Nach diesen Grundsätzen kann dem Wortzeichen Sinnesart nicht die notwendige Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG für die beanspruchten Dienstleistungen abgesprochen werden.

25

Dies ist zwar entgegen der Auffassung der Anmelderin nicht schon deshalb der Fall, weil der Verkehr Sinnesart als Begriffskombination mit der Bedeutung „die Art der Sinne“ oder – auf Grundlage der Bedeutung von „art“ als englischer Begriff für „Kunst“ – i.S. von „Kunst der Sinne“ verstehen wird und der Bezeichnung insoweit kein beschreibender Aussagegehalt in Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen beigemessen werden kann. Denn bei der angemeldeten Bezeichnung Sinnesart handelt es um einen lexikalisch nachweisbaren Begriff mit der Bedeutung „Wesens-, Denkart“ eines Menschen (vgl. DUDEN-online zu „Sinnesart“). Die „Wesensart“ bezeichnet ihrerseits „das Wesen, den Charakter“ eines Menschen (vgl. DUDEN-online zu „Wesensart“) und damit letztlich das „individuelle Gepräge eines Menschen durch ererbte und erworbene Eigenschaften, wie es in seinem Wollen und Handeln zum Ausdruck kommt“ (vgl. DUDEN-online zu „Charakter“). Mag dieser Begriff aufgrund seines eher schwer fassbaren Sinn- und Bedeutungsgehalts aktuell eher ungebräuchlich sein, ist gleichwohl angesichts seiner lexikalischen Belegbarkeit davon auszugehen, dass der Verkehr in Sinnesart naheliegend einen einheitlichen Begriff und keine Wortkombination mit dem o. g. Bedeutungsgehalt erkennt.

26

Aber auch als Bezeichnung der „Wesens-/Denkart eines Menschen“ vermittelt Sinnesart in Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen entgegen der Auffassung der Markenstelle keinen sich ohne weiteres erschließenden sachbezogenen oder werblich-anpreisenden Aussagegehalt.

27

So beschreibt Sinnesart zunächst nicht unmittelbar Merkmale und Eigenschaften der beanspruchten Dienstleistungen, da diese nicht die Wesens- und Denkart eines Menschen zum Gegenstand haben. Sinnesart bezeichnet vielmehr rein persönliche Eigenschaften und Merkmale eines Menschen.

28

Um – wie die Markenstelle – zu einer beschreibenden Bedeutung der Bezeichnung dergestalt zu gelangen, dass durch die jeweiligen Dienstleistungen die menschlichen Sinne und Empfindungen (des Dienstleistungsnehmers) auf eine den individuellen Vorstellungen und Bedürfnissen entsprechende angenehme, wohltuende, ablenkende o. ä. Art und Weise angesprochen werden sollen, bedarf es hingegen mehrerer gedanklicher Schritte. So muss der Begriff Sinnesart zunächst mit der Person des Dienstleistungsnehmers als Adressat der beanspruchten Dienstleistungen in Verbindung gebracht werden. Ausgehend davon bedarf es dann der Überlegung, dass mit diesem Begriff eine besondere Ausrichtung dieser Dienstleistungen in Bezug auf die Person des Dienstleistungsnehmers und dessen Wesens- und Denkart zum Ausdruck gebracht werden soll. Dies erfordert aber vor dem Hintergrund, dass sich die beanspruchten Dienstleistungen inhaltlich/thematisch jedenfalls nicht vordergründig mit der „Wesens- und Denkart eines Menschen“ befassen, einigen Interpretationsaufwand. Eine solche analytische Betrachtungsweise rechtfertigt dann aber nicht den Schluss auf fehlende Unterscheidungskraft.

29

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei Sinnesart um einen so geläufigen und allseits gebräuchlichen Begriff handelt, welcher vom Verkehr – etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung – stets nur als solcher und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden wird, also keine über das bloße Wortverständnis hinausgehende Aussage zur betrieblichen Herkunft der Waren enthält (vgl. BGH GRUR 2006, 850 Nr. 19 und 45 – FUSSBALL WM 2006; GRUR 2010, 640Rn. 13 – hey!; GRUR 2014, 569Rn. 26 – HOT; GRUR 2016, 934 Nr. 12 – OUI). Dazu hat die Markenstelle auch keine Feststellungen getroffen. Es ist auch nicht erkennbar, warum Sinnesart in Zusammenhang mit Dienstleistungen, bei denen dieser Begriff weder einen beschreibenden noch sonstigen sachbezogenen, werblich-anpreisenden Aussagegehalt aufweist, nicht als betrieblicher Herkunftshinweis verstanden werden soll.

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3. Aus den vorgenannten Gründen unterliegt die angemeldete Marke auch keinem Freihaltebedürfnis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

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Die Beschwerde hat daher Erfolg.