Entscheidungsdatum: 07.03.2013
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2009 070 593
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 7. März 2013 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker, der Richterin Winter und des Richters Jacobi
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. Juni 2011 aufgehoben.
Wegen des Widerspruchs aus der Marke 30 2008 075 413 wird die Löschung der Marke 30 2009 070 593 angeordnet.
I.
Die am 18. Februar 2010 angemeldete Wortmarke
FertiSure
ist am 23. März 2010 unter der Nummer 30 2009 070 593 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Register eingetragen worden; die Veröffentlichung erfolgte am 23. April 2010. Das Verzeichnis der Waren und Dienstleistungen lautet nach Teilverzicht und Teillöschung:
"In-vitro-Diagnostika für medizinische/veterinärmedizinische Zwecke; Diagnostikmittel für medizinische/veterinärmedizinische Zwecke; chemische Präparate für medizinische/veterinärmedizinische Zwecke; chemische Reagenzien für medizinische/veterinärmedizinische Zwecke; Teststreifen für medizinische Zwecke; alle Waren begrenzt auf den Bereich Fertilität und Reproduktion; wissenschaftliche und technische Dienstleistungen, insbesondere Dienstleistungen eines wissenschaftlichen oder technischen Mess- oder Prüflabors; Dienstleistungen eines chemischen Labors; alle Dienstleistungen begrenzt auf den Bereich Fertilität und Reproduktion; Dienstleistungen eines medizinischen/veterinärmedizinischen Labors; medizinische/veterinärmedizinische Dienstleistungen; Dienstleistungen in Bezug auf medizinische Untersuchungen; alle Dienstleistungen begrenzt auf In-vitro-Diagnostik in dem Bereich Fertilität und Reproduktion".
Gegen die Eintragung ist am 23. Juli 2010 Widerspruch erhoben worden aus der am 30. März 2009 eingetragenen Marke 30 2008 075 413
Verticur
die unter anderem für folgende Waren und Dienstleistungen geschützt ist:
"pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; Hygienepräparate für medizinische Zwecke; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Babykost; Pflaster, Verbandmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von schädlichen Tieren; Fungizide, Herbizide; medizinische Dienstleistungen; veterinärmedizinische Dienstleistungen; Gesundheits- und Schönheitspflege für Menschen und Tiere".
Der Widerspruch ist auf diese Waren und Dienstleistungen gestützt.
Die Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 16. Juni 2011 eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Dabei ist die Markenstelle von Identität bzw. hochgradiger Ähnlichkeit der Waren bzw. Dienstleistungen der Klassen 5 und 44 sowie einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ausgegangen. Begründend ist ausgeführt, dass in der Wahrnehmung des angesprochenen Durchschnittsverbrauchers die jüngere Marke selbst strengen Anforderungen an den Markenabstand aufgrund der verschiedenen Silbenzahl, der unterschiedlichen Anfangsbuchstaben, der unterschiedlichen Buchstaben in der Wortmitte sowie ohne weiteres erkennbarer unterschiedlicher Sinngehalte gerecht werde.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie hält mit näheren Ausführungen angesichts der von der Markenstelle festgestellten identischen bzw. hochgradig ähnlichen Waren und Dienstleistungen Verwechslungsgefahr für gegeben, da die Wortanfänge klanglich identisch und schriftbildlich nahezu identisch übereinstimmten. Der Wortbestandteil "Sure" der angegriffenen Marke werde zudem als Wort der englischen Sprache einsilbig wie "schur" ausgesprochen, so dass diese Schlusssilbe klanglich sehr stark an die Schlusssilbe "cur" der älteren Marke angenähert sei. Auch das Vokalbild "e-i-u" der Markenwörter sei identisch. Insgesamt ständen sich damit Markenwörter mit sehr hoher klanglicher Ähnlichkeit gegenüber.
Die Widersprechende beantragt,
den angefochtenen Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts aufzuheben und die angegriffene Marke zu löschen.
Die Inhaber der angegriffenen Marke beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie halten mit näheren Ausführungen den Beschluss der Markenstelle für zutreffend. Angesichts der medizinischen Artikel bzw. des Gesundheitsbezugs sei von einem überdurchschnittlich aufmerksamen Verbraucher auszugehen. Eine klangliche Verwechslungsgefahr scheide angesichts der unterschiedlichen Aussprache der Anfangsbuchstaben "F" bzw. "V" aus, da das "V" ähnlich dem "W" ausgesprochen werde. Hinzu kämen die Abweichungen in der Wortmitte sowie das "e" am Wortende der Marke "FertiSure", was zu einem unterschiedlichen Klangbild beitrage; zudem bewirke die Binnengroßschreibung eine Zäsur.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat auch in der Sache Erfolg. Zwischen den Vergleichsmarken besteht für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen (§§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG).
1. Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist nach der Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen (vgl. z. B. EuGH GRUR 2010, 1098 Nr. 44 - Calvin Klein/HABM; GRUR 2010, 933 Nr. 32 - BARBARA BECKER; GRUR 2011, 915 Nr. 45 - UNI; BGH GRUR 2012, 1040 Nr. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930 Nr. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64 Nr. 9 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 235 Nr. 15 - AIDA/AIDU). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit die Identität oder Ähnlichkeit der zum Vergleich stehenden Marken sowie der von diesen erfassten Waren oder Dienstleistungen. Darüber hinaus ist die Kennzeichnungskraft der älteren Marke und - davon abhängig - der dieser im Einzelfall zukommende Schutzumfang in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dabei impliziert der Begriff der Verwechslungsgefahr eine gewisse Wechselwirkung zwischen den genannten Faktoren (st. Rspr., z. B. BGH GRUR 2012, 1040 Nr. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930 Nr. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64 Nr. 9 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 1103 Nr. 37 - Pralinenform II; EuGH GRUR 2008, 343 Nr. 48 - Il Ponte Finanziaria Spa/HABM). Soweit allgemeine Verkehrskreise zu berücksichtigen sind, ist davon auszugehen, dass grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware oder den Dienstleistungen befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware oder Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein kann (vgl. BGH MarkenR 2000, 140 - ATTACHÉ/TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li. Spalte - ALKA-SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236, 239 Nr. 24 - Lloyd/Loint's). Soweit bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr auf Fachkreise abzustellen ist, ist zu bedenken, dass auch Fachleute nicht dagegen gefeit sind, insbesondere klanglich ähnliche Marken zu verwechseln. Allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt, pflegt der Verkehr eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen (vgl. BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal/Indohexal).
Nach diesen Grundsätzen ist zwischen den Vergleichsmarken eine markenrechtlich relevante Gefahr von Verwechslungen zu besorgen.
a) Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke Verticur ist von Haus aus durchschnittlich. Auch bei Annahme erkennbarer Anklänge des Wortanfangs an "vertikal" und der Endung "-cur" an das lateinische Wort "curare" (behandeln) oder an die deutschen Wörter "Kur, kurieren" sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dem Gesamtwort im maßgeblichen Waren-/Dienstleistungsbereich eine beschreibende, die Kennzeichnungskraft schwächende Bedeutung zukommen könnte.
b) Die von der angegriffenen Marke erfassten Waren der Klasse 5 können mit den Waren "pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse" der Widerspruchsmarke identisch sein, da sie mit den verwendeten Oberbegriffen auch die für den Bereich der Fertilität und Reproduktion bestimmten Waren der angegriffenen Marke umfassen können. Entsprechendes gilt für die Dienstleistungen der Klassen 42 und 44 der angegriffenen Marke im Verhältnis zu den medizinischen und veterinärmedizinischen Dienstleistungen der Klasse 44 der Widerspruchsmarke.
c) Bei dieser Ausgangslage hält die angegriffene Marke den zur Vermeidung von Verwechslungen erforderlichen, deutlichen Abstand zur Widerspruchsmarke in klanglicher Hinsicht selbst dann nicht ein, wenn von einer gesteigerten Aufmerksamkeit des angesprochenen Verkehrs ausgegangen wird.
Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist grundsätzlich vom jeweiligen Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Zeichen auszugehen (z. B. BGH GRUR 2012, 1040 Nr. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930 Nr. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64 Nr. 15 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 729 Nr. 23 - MIXI). Eine markenrechtlich erhebliche Zeichenähnlichkeit kann sowohl in klanglicher wie auch in schriftbildlicher oder begrifflicher Hinsicht vorliegen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. EuGH GRUR 2006, 413, 414 Nr. 19 - ZIRH/SIR; GRUR 2005, 1042, 1044 Nr. 28 - THOMSON LIFE; GRUR Int. 2004, 843 Nr. 29 - MATRATZEN; BGH GRUR 2010, 235 Nr. 15 - AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, 487 Nr. 32 - METROBUS; GRUR 2006, 60 ff. Nr. 17 - coccodrillo; GRUR 2004, 779, 781 - Zwilling/Zweibrüder). Dabei kann schon die Ähnlichkeit in einer Wahrnehmungsrichtung eine Verwechslungsgefahr hervorrufen (vgl. BGH GRUR 2008, 903, 904 Nr. 17 - SIERRA ANTIGUO; GRUR 2008, 803, 804 Nr. 21 - HEITEC; Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl., § 9 Rn. 224 m. w. N.). Auszugehen ist ferner von dem allgemeinen Erfahrungssatz, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rn. 211).
Stehen sich danach FertiSure und Verticur gegenüber, besteht unter Berücksichtigung der maßgeblichen Faktoren eine klangliche Verwechslungsgefahr. Die am Wortanfang stehenden und insoweit vom Verkehr bevorzugt wahrgenommenen und in Erinnerung behaltenen Silben "Fert-/Verti-" sind, auch wenn der Anfangsbuchstabe der Widerspruchsmarke wie "W" - und nicht wie "F" - ausgesprochen wird, klanglich fast gleich. Die Folge der Vokale "e-i-u" ist identisch, wobei den Selbstlauten für das Klangbild eine größere Bedeutung zufällt. Auch in den Wortenden sind die Übereinstimmungen beträchtlich. Dies gilt insbesondere für diejenigen Verkehrskreise, die in "Sure" das englische Wort für "sicher" erkennen und die Endung dann englisch aussprechen (schur); die in der Wortmitte gelegenen Abweichungen "sch" gegenüber dem wie "k" gesprochenen Konsonanten "c" kommen im klanglichen Gesamteindruck der Marken zu wenig zum Tragen, zumal eine unterschiedliche Betonung der Markenwörter sich nicht feststellen lässt. Hinsichtlich der Widerspruchsmarke ist im Übrigen davon auszugehen, dass sie nach deutschen Ausspracheregeln wiedergegeben wird, denn sie lässt aus sich heraus keine Umstände erkennen, die den Verkehr dazu veranlassen könnten, sie nach den Regeln der englischen Sprache wiederzugeben, da das englische Wort "cure" (kjur) lautet und zudem der Wortanfang keinen Hinweis auf einen Anglizismus gibt und zu einer wie auch immer gearteten englischen Aussprache der Endung "cur" führen könnte. Die Vergleichsmarken weisen in den Wortenden aber auch dann noch deutliche Annäherungen auf, wenn "Sure" als deutsches Wort ausgesprochen wird. Die sich daraus ergebende Aussprache der Konsonanten "S" gegenüber "c" schafft keinen ausreichenden Abstand; auch der Vokal "e" am Wortende der jüngeren Marke wirkt sich nicht ausreichend differenzierend aus, da er in der dabei unbetonten Schlusssilbe als Auslaut kaum noch anklingt.
Soweit die Inhaberin der angegriffenen Marke unterschiedliche Begriffsgehalte der Vergleichsmarken geltend macht, können zwar Übereinstimmungen im Wort oder Klangbild von Marken durch deren abweichenden Begriffsgehalt so reduziert werden, dass eine Verwechslungsgefahr zu verneinen ist. Unabdingbare Voraussetzung für eine derartige Reduzierung der Verwechslungsgefahr ist aber, dass dieser Sinngehalt vom Verkehr auch bei flüchtiger Wahrnehmung sofort erfasst wird und sein Verständnis keinen weiteren Denkvorgang erfordert. Bei hochgradigen klanglichen Übereinstimmungen kommt ein Ausschluss der Verwechslungsgefahr durch einen abweichenden Sinngehalt nicht in Betracht. Denn auch Abnehmern, denen die Bedeutung des einen oder anderen Markenwortes ohne weiteres geläufig ist, nützt die begriffliche Abgrenzung nichts, wenn sie sich wegen der großen Klangähnlichkeit - wie sie hier vorliegt - verhören, weil ihnen dann entweder der Sinngehalt überhaupt nicht oder aber der falsche Begriff zum Bewusstsein kommt (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rn. 259, 261, 264 m. w. N.).
Es besteht angesichts der genannten Übereinstimmungen der Vergleichsmarken damit in klanglicher Hinsicht Verwechslungsgefahr, was - wie oben ausgeführt - bereits für eine Löschung der angegriffenen Marke ausreicht (vgl. BGH GRUR 2008, 714, 717 Nr. 37 - idw).
Der angefochtene Beschluss konnte daher keinen Bestand haben.
2. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen wurden noch ersichtlich sind.