Entscheidungsdatum: 09.05.2016
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2013 045 351.4
hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. April 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richter Merzbach und Dr. Meiser
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 10. Januar 2014 insoweit aufgehoben, als darin die Anmeldung für die Waren
„Werbeartikel aus Papier, Pappe (Karton) und Kunststoff, insbesondere Aufkleber, Poster, Plakate, Schreibwaren, Briefpapier, Visitenkarten, Präsentations- und Referenzmappen, sowie Büroartikel (ausgenommen Möbel); Bleistifte; Bleistiftspitzer [elektrisch oder nicht elektrisch]; Blöcke [Papier- und Schreibwaren]; Briefbeschwerer; Federhalter; Minenschreibgeräte; Notizbücher; Radiergummis; Schreibgeräte; Schreibunterlagen; Stempel“
zurückgewiesen worden ist.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
I.
Die am 7. August 2013 angemeldete Wortmarke
vital360°
soll für die Waren und Dienstleistungen
„Klasse 16:
Druckereierzeugnisse; Zeitschriften und Zeitungen; periodische Veröffentlichungen (Schriften); Lehr- und Unterrichtsmittel (ausgenommen Apparate), Handbücher und Broschüren, Photographien, Werbeartikel aus Papier, Pappe (Karton) und Kunststoff, insbesondere Aufkleber, Poster, Plakate, Schreibwaren, Briefpapier, Visitenkarten, Präsentations- und Referenzmappen, sowie Büroartikel (ausgenommen Möbel); Abreißkalender; Bleistifte; Bleistiftspitzer [elektrisch oder nicht elektrisch]; Blöcke [Papier- und Schreibwaren]; Briefbeschwerer; Broschüren; Eintrittskarten; Federhalter; Formulare [Formblätter]; grafische Darstellungen; Kalender; Magazine [Zeitschriften]; Minenschreibgeräte; Notizbücher; Radiergummis; Schreibgeräte; Schreibunterlagen; Stempel;
Klasse 41:
Sportliche Aktivitäten; Organisation und Durchführung von Dienstleistungen bezüglich Freizeitgestaltung; Organisation und Durchführung von Fitnesskursen; Auskünfte über Freizeitaktivitäten; Dienstleistungen von Fitnesstrainern; Veranstaltung und Durchführung von Seminaren;
Klasse 44:
Gesundheitspflege für Menschen; Gesundheitsberatung; Gesundheitsmanagement; Organisation und Durchführung von Gesundheitstagen; Bereitstellung und Betrieb eines Gesundheitsportals; Beratung für Suchtkranke“
eingetragen werden.
Mit Beschluss 10. Januar 2014 hat die mit einer Beamtin des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung zurückgewiesen, weil es der angemeldeten Bezeichnung in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen an der erforderlichen Unterscheidungskraft fehle (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG).
Das angemeldete Zeichen bestehe aus einer Kombination des Wortes „vital“ mit der Angabe „360°“. Bei dem ersten Zeichenbestandteil „vital“ handele es sich um ein Adjektiv mit der Bedeutung „voller Lebenskraft, im Besitz seiner vollen Leistungskraft“. Der zweite Zeichenbestandteil „360°“ werde in der aktuellen Werbepraxis als Synonym für „allumfassend, vollständig, umfassend, komplett“ verwendet und werde vom Verkehr angesichts der häufigen Verwendung in der Werbung und im Internet auch ohne weiteres in diesem Sinne verstanden. Die Werbeüblichkeit beider Bestandteile werde dabei nicht nur durch die dem Beschluss beigefügten Verwendungsbeispiele, sondern u. a. auch durch die hohe Trefferanzahl in www.slogans.de mit 375 Treffern für „vital“ und 57 Treffer für „360°“ hinreichend belegt.
In Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen erschöpfe sich die angemeldete Marke dann aber in einer unmittelbar beschreibenden Werbe- und Sachangabe, die lediglich darauf hinweise, dass Zweck der Waren und Dienstleistungen sei, dem Kunden seine volle Lebenskraft zu verleihen in Form eines 360-Grad-Services, also in Form einer umfassenden Betreuung. Die Waren der Klasse 16 könnten sich thematisch damit auseinandersetzen, auf welchem Weg ein Mensch (oder Tier) vital werden könne.
Selbst wenn eine gewisse Mehrdeutigkeit des vorliegenden Begriffes „vital“ unterstellt werde im Sinne von „von entscheidender Wichtigkeit, großer Bedeutung; lebenswichtig“, so führe dies auch nicht zur Schutzfähigkeit der angemeldeten Wortmarke, da nach der Rechtsprechung des EuGH eine Wortmarke von der Eintragung ausgeschlossen sei, wenn sie zumindest in einer ihrer möglichen Bedeutungen ein Merkmal der betreffenden Waren und Dienstleistungen beschreibe.
Auch die Zusammenschreibung der schutzunfähigen Markenbestandteile „vital“ und „360°“ begründe keine Schutzfähigkeit, da eine solche Zusammenschreibung werbeüblich sei.
Soweit sich die Anmelderin auf ihrer Ansicht nach vergleichbare Voreintragungen mit dem Bestandteil „360°“ berufe, sei anzumerken, dass Voreintragungen weder für sich genommen noch in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes geeignet seien, einen Eintragungsanspruch zu begründen.
Ob darüber hinaus auch ein Freihaltungsbedürfnis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG bestehe, könne dahingestellt bleiben.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Der angemeldeten Bezeichnung vital360° könne jedenfalls in ihrer Gesamtheit eine Schutzfähigkeit nicht abgesprochen werden.Insbesondere im Hinblick auf den Bestandteil „360°“ sei weder ein im Vordergrund stehender beschreibender Begriffsinhalt gegeben, noch handele es sich um einen allgemein gebräuchlichen Werbebegriff. „360°“ sei zunächst der Größenwert eines Winkels (Vollwinkel) und stelle somit vordergründig einen technischen Begriff dar. Die Behauptung des Amtes, dieser Zeichenbestandteil sei in der Werbepraxis ein Synonym für „allumfassend, komplett“, sei unzutreffend. Zwar werde der Begriff in diesem Sinne von einigen Unternehmen genutzt, dies könne jedoch nicht verallgemeinert werden. Verbreitet sei die Verwendung von „360°“ durch Anbieter von Rundbildern, also Panoramabildern mit einem Betrachtungswinkel von 360°. Dieser technische Ursprung des Begriffs werde vom Adressatenkreis wahrgenommen und in seiner Bedeutung erfasst.
Der Auszug aus www.slogans.de weise nicht – wie vom Amt behauptet – 57, sondern nur 20 Treffer mit dem Bestandteil „360°“ aus, was aber kein tauglicher Nachweis für die Werbeüblichkeit dieses Zeichenbestandteils sei.
Selbst wenn daher der Bestandteil „vital“ in Bezug auf einen Teil der beanspruchten Waren und Dienstleistungen einen beschreibenden Charakter aufweise, sei der Begriffsgehalt des gesamten Zeichens vital360° durch die Unterscheidungskraft von „360°“ gerade nicht beschreibend.
Was die Frage der Voreintragungen betreffe, wäre das Amt verpflichtet gewesen, sich unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH mit den von der Anmelderin genannten Voreintragungen mit dem Bestandteil „360°“ auseinanderzusetzen und seine abweichende Auffassung mit stichhaltigen Gründen zu versehen.
Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 10. Januar 2014 aufzuheben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Anmelderin ist gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. § 66 MarkenG statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache ist sie lediglich in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang begründet, da Eintragungshindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG insoweit nicht bestehen. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet. Der Senat teilt die Auffassung der Markenstelle, dass es der angemeldeten Wortmarke vital360° im Zusammenhang mit sämtlichen beanspruchten Dienstleistungen der Klassen 41 und 44 sowie einem Teil der in der Klasse 16 beanspruchten Waren, nämlich „Druckereierzeugnisse; Zeitschriften und Zeitungen; periodische Veröffentlichungen (Schriften); Lehr- und Unterrichtsmittel (ausgenommen Apparate), Handbücher und Broschüren, Photographien, … Abreißkalender;… Broschüren; Eintrittskarten; …Formulare [Formblätter]; grafische Darstellungen; Kalender; Magazine [Zeitschriften]“ an Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG fehlt. Die Markenstelle hat die Anmeldung insoweit zu Recht zurückgewiesen (§ 37 Abs. 1 MarkenG).
1. Maßgebend für die Beurteilung der Schutzfähigkeit ist dabei das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis in der mit der Anmeldung eingereichten Fassung. Soweit darin die Waren „Aufkleber, Poster, Plakate, Schreibwaren, Briefpapier, Visitenkarten, Präsentations- und Referenzmappen“ aufgeführt sind, werden diese nach dem vorliegenden Warenverzeichnis nicht als selbständige Einzelwaren bzw. als mit einem gedanklichen Inhalt versehene Druckerzeugnisse beansprucht, sondern sind lediglich Bestandteil einer mit „insbesondere“ eingeleiteten beispielhaften Aufzählung der beanspruchten „Werbeartikel aus Papier, Pappe (Karton) und Kunststoff“. Aufgrund der Verwendung von Kommata zwischen den einzelnen Begriffen statt eines auch im vorliegenden Verzeichnis ansonsten zur Abgrenzung der einzelnen Waren- und/oder Dienstleistungsbegriffe verwendeten Semikolons kann nicht davon ausgegangen werden, dass für diese Produkte, welche auch „Werbeartikel“ sein können, ein gesonderter Schutz beansprucht werden soll. Die Aufzählung endet erst mit dem auf „sowie“ folgenden Warenbegriff „Büroartikel (ausgenommen Möbel)“. Die beanspruchten „Werbeartikel aus Papier, Pappe (Karton) und Kunststoff“ bezeichnen dabei in Abgrenzung z. B. zu „Druckereierzeugnissen“ lediglich das noch keinen gedanklichen Inhalt aufweisende „leere“ Trägermedium möglicher Werbebotschaften, welches z. B. durch Dritte im Rahmen einer selbständig zu erbringenden Dienstleistung mit Werbung versehen werden kann. Dementsprechend bezeichnen auch die zu diesem Warenoberbegriff beispielhaft genannten „Aufkleber, Poster, Plakate, Schreibwaren, Briefpapier, Visitenkarten, Präsentations- und Referenzmappen“ lediglich mögliche Produktformen solcher „Werbeartikel“, umfassen daher nicht mit Werbung oder anderen Inhalten versehene Aufkleber, Poster etc.
2. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. z. B. EuGH GRUR 2012, 610 (Nr. 42) - Freixenet; GRUR 2008, 608, 611 (Nr. 66) - EUROHYPO; BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) - for you; GRUR 2014, 565, 567 (Nr. 12) - smartbook; GRUR 2013, 731 (Nr. 11) - Kaleido; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) - Starsat, jeweils m. w. N.). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. etwa EuGH GRUR 2010, 1008, 1009 (Nr. 38) - Lego; GRUR 2008, 608, 611 (Nr. 66) - EUROHYPO; GRUR 2006, 233, 235, Nr. 45 - Standbeutel; BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) - for you; GRUR 2009, 949 (Nr. 10) - My World). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) - for you; GRUR 2014, 565, 567 (Nr. 12) - smartbook; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) - Starsat; GRUR 2012, 270 (Nr. 8) - Link economy).
Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, 412 (Nr. 24) - Matratzen Concord/Hukla).
Hiervon ausgehend besitzen Wortmarken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (vgl. BGH GRUR 2013, 1143, Nr. 15 - Aus Akten werden Fakten) lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, 678, Nr. 86 - Postkantoor; BGH GRUR 2012, 270, 271, Nr. 11 - Link economy; GRUR 2009, 952, 953, Nr. 10 - DeutschlandCard; GRUR 2006, 850, 854, Nr. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 - BerlinCard; GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; GRUR 2001, 1153 - antiKALK) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die - etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien - stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, 854, Nr. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050, 1051 - Cityservice; GRUR 2001, 1043, 1044 - Gute Zeiten - Schlechte Zeiten). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100, Nr. 23 - TOOOR!; GRUR 2006, 850, 855, Nr. 28 f. - FUSSBALL WM 2006).
3. Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen weist die angemeldete Marke vital360° in Bezug auf die obengenannten Waren und Dienstleistungen keine Unterscheidungskraft i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG auf.
Das angemeldete Zeichen setzt sich ohne weiteres erkennbar aus dem Wortbestandteil „vital“ sowie der Winkelangabe „360°“ zusammen.
Bei dem Zeichenbestandteil „vital“ handelt es sich um ein auf das lateinische Wort „vitalis“ zurückgehendes geläufiges Fremdwort der deutschen Sprache, welches in seiner Bedeutung "voller Lebenskraft; im Besitz seiner vollen Leistungskraft" (vgl. DUDEN, Deutsches Universalwörterbuch, 8. Aufl. S. 1941) vom Verkehr als Hinweis darauf gesehen werden kann, dass sich Waren und Dienstleistungen ihrem Inhalt und/oder ihrer Thematik nach mit Fragen der physischen oder psychischen Lebenskraft und Befindlichkeit beschäftigen.
Bei der Winkelangabe „360°“ handelt es sich um ein in der Werbesprache gebräuchliches und dem Verkehr auch allgemein bekanntes Synonym für „allumfassend, vollständig, umfassend, komplett“, wie die Markenstelle im angefochtenen Beschluss unter Hinweis auf zahlreiche Verwendungen dieser Angabe in der aktuellen Werbepraxis dargelegt hat.
Soweit die Anmelderin ihre Beschwerde im Wesentlichen damit begründet, dass es sich bei dem Zeichenbestandteil „360°“ um einen ursprünglich technischen Begriff handele, dessen werbeübliche Verwendung als Synonym für „allumfassend, komplett“ insbesondere nicht durch den von der Markenstelle beigefügten Auszug aus www.slogans.de belegt werde, welche entgegen der Behauptung der Markenstelle nicht 57, sondern lediglich 20 „Treffer“ mit dem Bestandteil „360°“ ausweise, bietet dieses Vorbringen keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.
Denn abgesehen davon, dass auch 20 „Treffer“ auf dem der Entscheidung der Markenstelle beigefügten Auszug aus www.slogans.de (Bl. 51 VA), welche alle eine sachbezogene und werbemäßige Verwendung der aus dem mathematisch/technischen Bereich stammenden Angabe „360°“ i. S. von „allumfassend, komplett“ ausweisen, einen aussagekräftigen Beleg für ein entsprechendes Verständnis der Angabe in diesem Sinne darstellen, hat die Markenstelle ein solches sachbezogenes Verständnis von „360°“ mit einer Vielzahl weiterer, dem angefochtenen Beschluss ebenfalls beigefügter Verwendungsbeispiele z. B. in Form eines Google-Auszugs (Bl. 64 VA) sowie verschiedenen Internet-Auszügen (Bl. 65-68 VA) belegt. Ergänzend dazu hat auch der Senat der Anmelderin mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung weitere Beispiele zur werbesprachlichen Verwendung von „360°“ bezogen auf den Zeitpunkt der Anmeldung übermittelt (http://360grad.handelsblatt.com/: „Das 360°-Prinzip ….Sie erhalten Ihr Kommunikationskonzept und dessen Umsetzung gleich dazu - aus einer Hand: Willkommen bei Handelsblatt 360°.“; http://www.ds360grad.com/unternehmen/360-kundenservice/: „Die D+S-Gruppe: Ihr innovativer Partner für kanalunabhängigen 360°- Kundenservice“).
Die Angabe „360°“ wird daher vom Publikum sofort und ohne weiteres in der Bedeutung „rundum“, „komplett“ oder „umfassend“ verstanden (vgl. dazu auch BPatG v. 22. Januar 2008 27 W (pat) 111/07 - 360° Entertainment; 29 W (pat) 25/12 v. 8. August 2012 - DYK Design your Kitchen 360° / Dick; EuG T - 0467/11 v. 10. Dezember 2013 - 360° SONIC ENERGY / SONIC POWER; welche der Anmelderin als PAVIS-Auszüge mit der Ladung übersandt worden sind).
Mit der Markenstelle ist dann aber davon auszugehen, dass der angesprochene allgemeine Verkehr die Kombination von „360°“ mit dem vorangestellten Adjektiv „vital“ ohne weiteres i. S. von „umfassend, ganzheitlich lebenskräftig (vital)“ versteht.
In Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen der Klassen 41 und 44 erschöpft sich das angemeldete Zeichen dann aber in einem für den allgemeinen Verkehr sofort erfassbaren sachbezogenen Hinweis darauf, dass die Dienstleistungen den Zweck verfolgen, eine volle, umfassende Lebenskraft z. B. durch eine umfassende Betreuung, also gleichsam in Form eines „360°-Service“ zu verleihen/fördern/wiederherzustellen. Sämtliche zu den Klassen 41 und 44 beanspruchten Dienstleistungen können sich ihrem Inhalt und/oder Gegenstand nach auch damit befassen. Die angemeldete Bezeichnung beschränkt sich insoweit auf eine anpreisende, werbemäßige Aussage, welche sich - wie bereits dargelegt - in eine Vielzahl vergleichbar mit der Angabe „360°“ gebildeten und allgemein gebräuchlicher Werbeaussagen einreiht, so dass der Verkehr darin in Zusammenhang mit diesen Dienstleistungen keinen betriebskennzeichnenden Herkunftshinweis erkennen wird.
Soweit vital360° dabei keine Information dazu enthält, in welcher Art und Weise die so bezeichneten Dienstleistungen geeignet sind, eine volle, umfassende Lebenskraft zu verleihen/fördern/wiederherzustellen, entspricht eine solche Unbestimmtheit bzw. Verallgemeinerung dem Charakter einer Werbeaussage, einen möglichst weiten Bereich warenbezogener Eigenschaften, Vorteile oder Leistungsinhalte in einer schlagwortartigen und werbewirksamen Weise zu erfassen, ohne diese im Einzelnen zu benennen. Eine solche vorhandene begriffliche Unschärfe der als Marke angemeldeten Bezeichnung steht einem Verständnis als Sachangabe und damit der Feststellung eines Eintragungshindernisses nicht entgegen (vgl. BGH, GRUR 2000, 882, 883 - Bücher für eine bessere Welt; GRUR 2008, 397, 398 Tz. 15 - SPA II; WRP 2009, 960, 962 Tz. 15 - DeutschlandCard). Der Sinn- und Bedeutungsgehalt der angemeldeten Bezeichnung bleibt für den Verkehr angesichts der in der Werbung verbreiteten Übung, Sachaussagen in verkürzenden und schlagwortartigen Wortfolgen zu vermitteln, eindeutig verständlich.
Auch soweit die beanspruchten Waren der Klasse 16 als Informationsträger einen gedanklichen Inhalt verkörpern und sich inhaltlich/thematisch in Wort und/oder Bild mit „umfassender, ganzheitlicher Vitalität“ befassen können, besteht für den Verkehr kein Anlass, in vital360° einen betrieblichen Herkunftshinweis zu erblicken. Dies trifft auf die zu Klasse 16 beanspruchten Waren
„Druckereierzeugnisse; Zeitschriften und Zeitungen; periodische Veröffentlichungen (Schriften); Lehr- und Unterrichtsmittel (ausgenommen Apparate), Handbücher und Broschüren, Photographien, … Broschüren; …grafische Darstellungen, Kalender; Magazine [Zeitschriften]“
zu.
Auch in Bezug auf
„Abreißkalender; …Formulare [Formblätter]“
besteht jedenfalls ein enger beschreibender Bezug, da im Gesundheits- und Fitnessbereich solche (Abreiß)Kalender mit Themen, Tipps. etc. zu Fragen der Gesundheit und Fitness ebenso verbreitet sind wie formularmäßig ausgestaltete, vorgedruckte Handlungs- und Trainingsanweisungen.
Die weiterhin beanspruchten „Eintrittskarten“ können Zugang zu einer Veranstaltung mit dem Thema vital360° ermöglichen, so dass auch insoweit jedenfalls ein enger beschriebener Bezug besteht.
In Bezug auf die vorgenannten Waren und Dienstleistungen führt auch die Zusammenschreibung der einzelnen Bestandteile „vital“ und „360°“ nicht von einem Verständnis und einer Wahrnehmung der Wortfolge als Sachangabe weg, da es sich dabei um ein werbeübliches Gestaltungs- und Hervorhebungsmittel handelt, welches nicht schutzbegründend wirkt.
Soweit die Anmelderin sich auf ihrer Meinung nach vergleichbare Voreintragungen insbesondere mit dem Bestandteil „360°“ beruft, ist anzumerken, dass zwar etwaige Entscheidungen über ähnliche Anmeldungen, soweit sie bekannt sind, im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen sind, ob im gleichen Sinn zu entscheiden ist oder nicht; sie sind aber keinesfalls bindend (vgl. EuGH GRUR 2009, 667 Nr. 17 und 19 – Bild digital und ZVS Zeitungsvertrieb Stuttgart). Voreintragungen identischer oder vergleichbarer Marken haben hinsichtlich der Schutzfähigkeit weder eine Bindungs- noch eine Indizwirkung, weil zum einen aus nicht begründeten Eintragungen anderer Marken keine weitergehenden Informationen im Hinblick auf die Beurteilung der konkreten Anmeldung entnommen werden können und zum anderen auch unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht von einer den rechtlichen Vorgaben entsprechenden Entscheidung abgesehen werden darf (vgl. EuGH a. a. O. Nr. 18 – Bild digital und ZVS Zeitungsvertrieb Stuttgart; BGH GRUR 2012, 276-277 – „Institut der Norddeutschen Wirtschaft e.V“). Für die Entscheidung, ob der Markenanmeldung ein Eintragungshindernis entgegensteht, kommt es allein darauf an, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen eines der gesetzlich geregelten Schutzhindernisse gegeben sind. Selbst eine identische Voreintragung begründet daher keinen Anspruch auf Eintragung einer Marke, wenn für diese ein Eintragungshindernis besteht (vgl. dazu auch Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl., § 8 Rdnr. 52 m. w. Nachw.).
4. In Bezug auf die beanspruchten „Werbeartikel aus Papier, Pappe (Karton) und Kunststoff, insbesondere Aufkleber, Poster, Plakate, Schreibwaren, Briefpapier, Visitenkarten, Präsentations- und Referenzmappen“, sowie die weiteren zu Klasse 16 beanspruchten Waren „Büroartikel (ausgenommen Möbel); Bleistifte; Bleistiftspitzer [elektrisch oder nicht elektrisch]; Blöcke [Papier- und Schreibwaren]; Briefbeschwerer; Federhalter; Minenschreibgeräte; Notizbücher; Radiergummis; Schreibgeräte; Schreibunterlagen; Stempel“ können Eintragungshindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG indessen nicht festgestellt werden.
Denn diese Waren weisen in aller Regel neben ihrem Charakter als handelbare Güter keinen gedanklichen Inhalt auf, der einer Beschreibung zugänglich wäre. Dies bedarf in Bezug auf „Büroartikel (ausgenommen Möbel); Bleistifte; Bleistiftspitzer [elektrisch oder nicht elektrisch]; Briefbeschwerer; Federhalter; Minenschreibgeräte; Radiergummis; Schreibgeräte; Schreibunterlagen; Stempel“ keiner weiteren Begründung, gilt aber auch für „Blöcke [Papier- und Schreibwaren]; ..Notizbücher“, da diese Warenbegriffe in Abgrenzung z. B. zu „Druckereierzeugnissen“ lediglich das Trägermedium bezeichnen. Motive, Themen und Inhalte, mit denen diese Waren dann versehen werden können, sind insofern nicht Gegenstand warenbezogener Aussagen. Ebenso umfassen - wie bereits dargelegt - die beanspruchten „Werbeartikel aus Papier, Pappe (Karton) und Kunststoff, insbesondere…“ lediglich den noch nicht mit Werbebotschaften oder sonstigen gedanklichen Inhalten versehenen „leeren“ Werbeträger, so dass auch insoweit ein beschreibendes oder sachbezogenes Verständnis von vital360° nicht naheliegt.
Da somit in Bezug auf diese Waren eine aus sich heraus beschreibende Bedeutung der Bezeichnung vital360° in seiner Bedeutung „umfassend, ganzheitlich lebenskräftig (vital)“ nicht festgestellt werden kann, das angemeldete Zeichen insoweit auch keinen engen beschreibenden Bezug bzw. einen sofort erkennbaren sachbezogenen Aussagegehalt aufweist, besteht keine Grundlage für die Annahme, dass das Zeichen für diese Waren nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG von der Eintragung ausgeschlossen ist.