Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 03.12.2012


BPatG 03.12.2012 - 30 W (pat) 517/12

Markenbeschwerdeverfahren - "physicum (Wort-Bild-Marke)" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
03.12.2012
Aktenzeichen:
30 W (pat) 517/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Juli 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker, der Richterin Winter und des Richters am Amtsgericht Backes

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 25. Januar 2012 aufgehoben.

Gründe

I.

1

Das Wort-/Bildzeichen

Abbildung

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ist zur Eintragung in das Markenregister angemeldet. Nach der ursprünglichen Fassung des Dienstleistungsverzeichnisses war die beanspruchte Marke u. a. bestimmt für:

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„Ausbildung; Schulung, nämlich Geburtsvorbereitung für Frauen, Kurse für Schwangere; Kurse für und von Physiotherapeuten und Ergotherapeuten; wissenschaftliche Dienstleistungen und Forschungsarbeiten; medizinische Dienstleistungen; therapeutische Dienstleistungen; Gesundheits- und Schönheitspflege für Menschen, Gesundheitsberatung“.

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In dem genannten Umfang hat die mit einer Beamtin des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung mit Beschluss vom 25. Januar 2012 wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Bei dem Wortbestandteil „physicum“ der angemeldeten Marke handle es sich um die umgangssprachliche Bezeichnung für den ersten Abschnitt der ärztlichen Prüfung, der nach vier Semestern Regelstudienzeit stattfinde und einen schriftlichen und einen mündlichen Teil umfasse. Im Zusammenhang mit den genannten Dienstleistungen werde die Bezeichnung „physicum“ daher lediglich als Sachhinweis auf das ärztliche Vorexamen und ein damit in Beziehung stehendes Leistungsangebot aufgefasst. Insoweit verleihe auch die graphische Ausgestaltung der angemeldeten Marke nicht die erforderliche Unterscheidungskraft.

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Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie beantragt sinngemäß,

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den Beschluss der Markenstelle vom 25. Januar 2012 aufzuheben.

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Sie ist der Ansicht, der Begriff „physicum“ sei mehrdeutig und interpretationsbedürftig. Außerdem habe die Markenstelle die graphische Gestaltung der Marke nicht hinreichend berücksichtigt. In der Gesamtwürdigung bestehe Unterscheidungskraft für die beanspruchten Dienstleistungen.

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Nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Anmelderin die Anmeldung im Umfang der Dienstleistungen

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„Ausbildung, Kurse für und von Physiotherapeuten und Ergotherapeuten; wissenschaftliche Dienstleistungen“

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zurückgenommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die Beschwerde der Anmelderin ist gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1, § 66 MarkenG zulässig. Nach der gemäß § 39 Abs. 1 MarkenG ebenfalls zulässigen Teilrücknahme der Anmeldung (vgl. zur Zulässigkeit der Teilrücknahme nach Schluss der mündlichen Verhandlung BPatG GRUR 2003, 530, 531 - Waldschlößchen) sind Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nur noch die Dienstleistungen

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„Schulung, nämlich Geburtsvorbereitung für Frauen, Kurse für Schwangere; wissenschaftliche Forschungsarbeiten; medizinische Dienstleistungen; therapeutische Dienstleistungen; Gesundheits- und Schönheitspflege für Menschen, Gesundheitsberatung“.

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In diesem Umfang ist die Beschwerde auch in der Sache begründet. Es kann nicht festgestellt werden, dass der angemeldete Marke insoweit jeder Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entbehrt.

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Unterscheidungskraft in diesem Sinne ist die dem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten (Waren und) Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2008, 608, 611 Nr. 66 f. - EUROHYPO; BGH GRUR 2010, 825, 826 Nr. 13 - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2010, 935 Nr. 8 - Die Vision; GRUR 2006, 850, 854 Nr. 18 - FUSSBALL WM 2006). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten (Waren und) Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2006, 233, 235 Nr. 45 - Standbeutel; GRUR 2006, 229, 230 Nr. 27 - BiolD; EuGH a. a. O. - EUROHYPO; BGH GRUR 2008, 710 Nr. 12 - VISAGE; GRUR 2009, 949 Nr. 10 - My World; a. a. O. - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 - BerlinCard). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2009, 411 Nr. 8 - STREETBALL; GRUR 2009, 778, 779 Nr. 11 - Willkommen im Leben; a. a. O. - My World; a. a. O. - FUSSBALL WM 2006). Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen, andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise. Hierbei ist auf die Wahrnehmung des Handels sowie des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen (EuGH GRUR 2006, 411, 412 Nr. 24 - Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 943, 944 Nr. 24 - SAT 2; BGH a. a. O. - Die Vision; a. a. O. - Marlene-Dietrich-Bildnis II; a. a. O. - FUSSBALL WM 2006).

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Hiervon ausgehend besitzen Wortzeichen bzw. die Wortbestandteile von Wort-/Bildzeichen keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden  Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2004, 674, 678 Nr. 86 - Postkantoor; BGH GRUR 2012, 270, 271 Nr. 11 - Link Economy; GRUR 2009, 952, 953 Nr. 10 - DeutschlandCard; a. a. O. Nr. 19 - FUSSBALL WM 2006; a. a. O. - BerlinCard; a. a. O. - marktfrisch; GRUR 2001, 1153 - antiKALK) oder wenn sie aus gebräuchlichen Wörtern der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH a. a. O. - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050, 1051 - Cityservice). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten (Waren oder) Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100 Rn. 23 - TOOOR!; GRUR 2006, 850, 855 Rn. 28 f. - FUSSBALL WM 2006).

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Nach diesen Grundsätzen kann dem beanspruchten Zeichen für die jetzt noch beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen die erforderliche Unterscheidungskraft nicht abgesprochen werden.

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Der Markenstelle ist allerdings darin zuzustimmen, dass nicht nur Fachkreise, sondern auch ein rechtlich relevanter Teil des allgemeinen Publikums das „Physikum“ als Bezeichnung der ärztlichen Vorprüfung kennt, auch wenn möglicherweise keine nähere Kenntnis darüber besteht, wann diese Prüfung genau abzulegen ist und was geprüft wird. Insoweit ist auch die Annahme der Markenstelle berechtigt, dass zumindest dieser Teil des Verkehrs den Wortbestandteil der angemeldeten Marke als beschreibenden Hinweis auf diese Prüfung versteht, soweit ihm die beanspruchten Dienstleistungen dazu Anlass geben. Naheliegend ist dies bei Dienstleistungen, die auf das Physikum vorbereiten sollen oder können. Bei den jetzt noch beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen ist dies aber nicht der Fall. So weisen Schulungen zur Geburtsvorbereitung für Frauen und Kurse für Schwangere keinen Bezug zu der genannten ärztlichen Prüfung auf. Dasselbe gilt für wissenschaftliche Forschungsarbeiten; von diesem Begriff wird - als Beschreibung einer Dienstleistung - nur die Forschung für Dritte erfasst. Die Forschung für Dritte ist aber weder Teil des Physikums noch Bestandteil der Ausbildung zur Vorbereitung auf das Physikum. Ebenso verhält es sich im Hinblick auf „medizinische Dienstleistungen; therapeutische Dienstleistungen; Gesundheits- und Schönheitspflege für Menschen, Gesundheitsberatung“. Diese Dienstleistungen werden zwar (auch) von Ärzten erbracht, also von Personen, die im Laufe ihrer Ausbildung das Physikum zu bestehen hatten. Insoweit wird mit „physicum“ aber weder ein Merkmal dieser Dienstleistungen beschrieben noch ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt.

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Ein Freihaltebedürfnis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG scheidet im Hinblick auf die graphische Ausgestaltung der angemeldeten Marke ohnehin aus.

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Nach der erfolgten Teilrücknahme war der angefochtene Beschluss daher aufzuheben.