Entscheidungsdatum: 21.08.2014
In der Beschwerdesache
…
Betreffend die Marke 30 2011 020 588
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 21. August 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker und der Richterinnen Winter und Uhlmann
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. Dezember 2012 aufgehoben.
Die Löschung der Marke 30 2011 020 588 wegen des Widerspruchs aus der Marke 30 2008 055 512 wird angeordnet.
I.
Das farbig, in dunkelrot und grau, gestaltete Wort-/ Bildzeichen
ist am 8. April 2011 angemeldet und am 10. Mai 2011 als Marke für die Dienstleistungen der
„Klasse 41: sportliche Aktivitäten, Ausbildung;
Klasse 44: Medizinische Dienstleistungen; Gesundheitspflege für Menschen;
Klasse 45: von Dritten erbrachte persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse“
in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Register eingetragen worden.
Die Eintragung dieser Marke ist am 10. Juni 2011 veröffentlicht worden.
Hiergegen hat die Beschwerdeführerin am 10. August 2011 Widerspruch erhoben aus der deutschen Wortmarke 30 2008 055 512
Vitos
die seit 19. November 2008 für folgende Dienstleistungen eingetragen ist:
„Klasse 35: Unternehmensberatung im Bereich des Gesundheitswesens; Beratung bei der Organisation und Führung von Unternehmen im Bereich des Gesundheitswesens; Beratungsdienste bei Fragen der Geschäftsführung; betriebswirtschaftliche Beratung im Bereich des Gesundheitswesens;
Klasse 41: Schulungen von ehrenamtlichen Pflegern; Dienstleistungen von Krankenpflegeschulen; Betrieb von Museen und Gedenkstätten;
Klasse 43: Betrieb von Altenheimen;
Klasse 44: Gesundheits- und Schönheitspflege; Dienstleistungen eines Krankenhauses; Dienstleistung einer Rehabilitationseinrichtung für psychisch Kranke; Dienstleistungen von Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie; Dienstleistungen von Kliniken für forensische Psychiatrie, Dienstleistungen von Polikliniken; Seniorenpflegedienste, Betrieb von Pflegeheimen, ambulante Pflegedienstleistungen; stationäre und ambulante Behindertenpflege; Dienstleistungen von Werkstätten für Behinderte, nämlich medizinische Dienstleistungen und Gesundheitspflege für behinderte Menschen; Wohn- und Pflegeheime für Menschen mit seelischer Behinderung; Dienstleistungen von sozialpädagogischen Zentren, nämlich therapeutische Betreuung und Versorgung.“
Ein gegen die Widerspruchsmarke geführtes Widerspruchsverfahren war am 11. Mai 2009 beendet worden.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke am 10. Januar 2012 bestritten.
Die Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2012 eine Verwechslungsgefahr zwischen den beiden Marken verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die jüngere Marke halte den wegen der Dienstleistungsidentität bzw. -ähnlichkeit und der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke erforderlichen deutlichen Abstand in jeder Hinsicht ein. Bei beiden Marken handele es sich um Kurzwörter, bei denen Abweichungen besonders ins Gewicht fielen. Sie stimmten zwar in den ersten beiden Silben überein, unterschieden sich aber in dem fünften Buchstaben der Widerspruchsmarke „s“, der in der jüngeren Marke keine Entsprechung finde. Dieser sei deutlich zu hören. Zudem verfüge die jüngere Marke über einen mehrdeutigen Begriffsgehalt, während die Widerspruchsmarke keinen erkennbaren Inhalt habe. „Vito“ sei ein italienischer Vor- und Familienname und der Name von Orten in Mexiko und Peru. Durch diese Bedeutungsunterschiede werde nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Unterscheidung der Zeichen erleichtert, sodass die klangliche Verwechslungsgefahr im Ergebnis zu verneinen sei. Es sei zudem damit zu rechnen, dass dem Verkehr die Vergleichsmarken vornehmlich in der registrierten Form begegneten. Dem Gesichtspunkt der klanglichen Verwechslungsgefahr komme deshalb geringere Bedeutung zu.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Zur Begründung trägt sie vor, die Widerspruchsmarke könne im Hinblick auf die Dienstleistungsidentität einen großen Abstand fordern. Sie sei ein Fantasiebegriff ohne inhaltliche Bedeutung und verfüge aufgrund ihrer intensiven Benutzung über einen herausgehobenen Schutzumfang. Den gebotenen gesteigerten Abstand halte die angegriffene Marke nicht ein. Im Zeichenvergleich stünden sich die Schriftzüge „Vitos“ und „vit-O“ gegenüber. Diese seien orthographisch praktisch identisch. Sie unterschieden sich durch einen Bindestrich einerseits und einen Buchstaben „s" am Ende. Gerade in der Erinnerung blieben die Gemeinsamkeiten stärker präsent. Dies sei in erster Linie die jeweils erste Silbe, die bei beiden Marken identisch sei: „Vit". Der Buchstabe „s" am Ende der Widerspruchsmarke sei entgegen der Wertung der Markenstelle gerade nicht prägend und bestimmend. Klanglich unterschieden sich die Marken praktisch nicht, da das „s“ am Ende der Widerspruchsmarke untergehe. Soweit die Markenstelle der angegriffenen Marke einen assoziativen Sinn beimesse, man denke an einen Namen oder einen Ort in Mexiko oder Peru, berücksichtige sie nicht, dass jede Assoziation durch den Bindestrich und die Großschreibung gerade wieder aufgehoben werde. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass man bei einer deutschen Marke an eine Stadt in Mexiko oder Peru denke. Die von der Markenstelle angeführte Entscheidung zu „Aida“ sei in keiner Weise vergleichbar, da der Begriff „AIDA“ in vielfacher Hinsicht bekannt und mit konkreten Assoziationen verbunden sei.
Die Beschwerdeführerin stellt sinngemäß den Antrag,
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes, Markenstelle für Klasse 44, vom 6. Dezember 2012 aufzuheben und die angegriffene Marke 30 2011 020 588 aufgrund des Widerspruchs aus der Marke 30 2008 055 512 zu löschen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt. Im Widerspruchsverfahren hat sie ausgeführt, der angegriffenen Marke komme wegen ihres Wortbestandteils „Vit“ nur eine verminderte Kennzeichnungskraft zu. Denn „Vit“ weise auf das lateinische Wort „Vita“ für „Leben“ hin, das in einer Vielzahl von Drittmarken Verwendung finde. Die an den Trennstrich angefügte Kreisfigur werde nicht als O, sondern als rein grafisches Element wahrgenommen, was durch die farbliche Gestaltung noch verstärkt werde, sodass eine Benennung der Marke als „vito“ nicht zu erwarten sei. Die Widerspruchsmarke sei dagegen ein reines Fantasiewort. Es gebe keine Deklination oder andere grammatische Konstellation, aus der für das Wort „vitos“ eine Herleitung aus dem lateinischen Wortstamm „Vit“ („vita“ für „Leben“) möglich wäre. Ihr Bekanntheitsgrad sei gering.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist begründet. Zwischen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke „vitos“ besteht klangliche Verwechslungsgefahr gemäß §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG.
Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist nach der Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen (vgl. z. B. EuGH GRUR 2010, 1098, Nr. 44 - Calvin Klein/HABM; GRUR 2010, 933, Nr. 32 - BARBARA BECKER; GRUR 2011, 915, Nr. 45 - UNI; BGH GRUR 2012, 1040, Nr. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr. 9 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 235, Nr. 15 - AIDA/AIDU). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit die Identität oder Ähnlichkeit der zum Vergleich stehenden Marken sowie der von diesen erfassten Waren oder Dienstleistungen. Darüber hinaus ist die Kennzeichnungskraft der älteren Marke und - davon abhängig - der dieser im Einzelfall zukommende Schutzumfang in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dabei impliziert der Begriff der Verwechslungsgefahr eine gewisse Wechselwirkung zwischen den genannten Faktoren (st. Rspr., z. B. BGH GRUR 2013, 833, Nr. 30 - Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, Nr. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr 9 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 1103, Nr. 37 - Pralinenform II; EuGH GRUR 2008, 343 Nr. 48 - Il Ponte Finanziaria Spa/HABM).
1. Bei der Beurteilung der Dienstleistungsähnlichkeit ist von der Registerlage auszugehen. Zwar ist die fünfjährige Benutzungsschonfrist der Widerspruchsmarke am 11. Mai 2014 abgelaufen. Sie wurde gemäß § 26 Abs. 5 MarkenG erst durch Beendigung eines Widerspruchsverfahrens am 11. Mai 2009 in Gang gesetzt und endete am 11. Mai 2014. Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat die Benutzung jedoch nach Ablauf der Benutzungsschonfrist nicht bestritten. Die Erhebung der Nichtbenutzungseinrede am 10. Januar 2012 erfolgte noch innerhalb der Benutzungsschonfrist und war deshalb unzulässig. Die „verfrüht“ erhobene Einrede entfaltet mit Ablauf der Benutzungsschonfrist nicht automatisch die Rechtswirkungen einer zulässigen Einrede gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 MarkenG (Ströbele/Hacker Markengesetz, 10. Aufl. 2012, § 43 Rdnr. 21 m. w. N.).
2. Ausgehend von der Registerlage können sich die Vergleichszeichen im Bereich identischer oder eng ähnlicher Dienstleistungen begegnen, sodass die jüngere Marke einen weiten Abstand von der Widerspruchsmarke einzuhalten hat.
Zwischen den Dienstleistungen der jüngeren Marke „medizinische Dienstleistungen; Gesundheitspflege für Menschen“ und den Widerspruchsdienstleistungen „Gesundheits- und Schönheitspflege“ und „medizinische Dienstleistungen und Gesundheitspflege für behinderte Menschen“ besteht schon nach dem Wortlaut Identität. In der Dienstleistung der angegriffenen Marke „Ausbildung“ sind die Dienstleistungen „Schulungen von ehrenamtlichen Pflegern; Dienstleistungen von Krankenpflegeschulen“ der Widerspruchsmarke enthalten, sodass auch insoweit Identität besteht.
Enge Ähnlichkeit besteht zwischen der Dienstleistung der jüngeren Marke „sportliche Aktivitäten“ und der Widerspruchsdienstleistung „Dienstleistungen einer Rehabilitationseinrichtung für psychisch Kranke“ sowie den weiteren Gesundheitspflegedienstleistungen in Klasse 44. Denn Sport ist ein integraler Bestandteil der Therapie und Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen, der sowohl stationär als auch ambulant angeboten wird.
Die von der angegriffenen Marke erfassten Dienstleistungen der Klasse 45 schließlich stehen in engster Ähnlichkeit z. B. zu dem „Betrieb von Altenheimen“ und den „ambulanten Pflegedienstleistungen“ der Widerspruchsmarke.
3. Der danach erforderliche weite Abstand verändert sich im Hinblick auf die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke nicht.
Die Wortmarke „Vitos“ verfügt von Haus aus über durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Die Verkehrskreise, an die sich die „Schulungs- und Gesundheitspflegedienstleistungen wenden, nehmen den Begriff „Vitos“ als Fantasiebegriff ohne beschreibenden Inhalt wahr. Zwar ist „Vitos“ der Name eines kleinen Ortes in Spanien. Dieser ist jedoch in Deutschland weitgehend unbekannt. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Begriff als Hinweis auf den Erbringungsort für im Inland angebotene Fortbildungs- oder Gesundheitspflegedienstleistungen verstanden werden könnte. Auch der Anklang des Wortes an den lateinischen Begriff „Vita“ für „Leben“ führt nicht zu einer Verminderung der Kennzeichnungskraft. Denn die abweichende Endung „-os“ führt zu einer weitgehenden Verfremdung.
Für die Annahme einer Steigerung der Kennzeichnungskraft durch intensive Benutzung fehlt es an konkreten Anhaltspunkten, insbesondere an Angaben zu Werbeaufwendungen und Marktanteilen für die von der Widerspruchsmarke beanspruchten Dienstleistungen. Gleiches gilt für die Verminderung der Kennzeichnungskraft durch ähnliche Drittmarken.
4. Der erforderliche Zeichenabstand verringert sich geringfügig im Hinblick auf die erhöhte Aufmerksamkeit, mit der die angesprochenen Verkehrskreise den Vergleichsdienstleistungen begegnen. Die von den Ausbildungsdienstleistungen angesprochenen Abnehmer bringen diesen wegen ihrer beruflichen Bedeutung erhöhte Aufmerksamkeit entgegen. Gleiches gilt für die Gesundheitsdienstleistungen in Klasse 44. Diese richten sich sowohl an den privaten Endverbraucher als auch medizinisches und pflegerisches oder betreuendes Fachpublikum. Beide Gruppen begegnen den Dienstleistungen mit gesteigerter Aufmerksamkeit, da sie existentielle Lebensbereiche berühren und regelmäßig mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sind.
5. Die jüngere Marke hält den danach erforderlichen deutlichen Abstand zu der Widerspruchsmarke in klanglicher Hinsicht nicht ein.
Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist grundsätzlich vom jeweiligen Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Zeichen auszugehen (z. B. BGH GRUR 2013, 833, Nr. 45 - Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, Nr. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr. 15 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 729 Nr. 23 - MIXI). Dabei ist von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rdn. 211). Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit in Klang, (Schrift-)Bild und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. EuGH GRUR 2006, 413, Nr. 19 - ZIRH/SIR; GRUR 2005, 1042, Nr. 28 - THOMSON LIFE; GRUR Int. 2004, 843, Nr. 29 - MATRATZEN; BGH GRUR 2010, 235, Nr. 15 - AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, Nr. 32 - METROBUS; GRUR 2006, 60, Nr. 17 - coccodrillo; GRUR 2004, 779, 781 - Zwilling/Zweibrüder). Dabei genügt für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Richtung (st. Rspr. vgl. z. B. BGH GRUR 2010, 235, Nr. 18 - AIDA/AIDU m. w. N.; vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rdn. 224 m. w. N.).
Klanglich stehen sich auf Seiten der jüngeren Marke „vito“ und das Widerspruchszeichen „vitos“ gegenüber. Der Senat folgt nicht der Auffassung der Beschwerdegegnerin, die jüngere Marke setze sich aus dem Wortelement „vit“ und einem durch Bindestrich angefügten Kreiselement zusammen, das nicht als O wahrgenommen und ausgesprochen werde, sodass die jüngere Marke mit „vit“ benannt werde. Denn die Buchstabenfolge „vit“ ist durch das orthografische Zeichen „-“ mit dem nachfolgenden Kreis in schreibüblicher Weise verbunden. Dieser Kreis ähnelt weitgehend der Form des Buchstaben O, ist nur geringfügig größer als die ihm vorangestellten Buchstaben und liegt auf der gleichen Linie mit ihnen. Zudem verbindet er sich klanglich ohne weiteres zu dem wohlklingenden und leicht aussprechbaren Begriff „vito“. Die Verfremdung von Wörtern etwa durch Bindestriche, Ziffern, Binnengroßschreibung und Symbolen ist inzwischen üblich, der Verbraucher ist gewöhnt, auch derartige Verfremdungen als Wortbestandteile mitzulesen. Dies wird im konkreten Fall zusätzlich dadurch erleichtert, dass die Inhaberin der angegriffenen Marke „H & H vit-O GbR“ die entsprechende Buchstabenfolge „vit-O“ auch als Wortbestandteil in ihrem Namen trägt. Deshalb ist davon auszugehen, dass zumindest wesentliche Teile der angesprochenen Verbraucher das Zeichen mit „vito“ und nicht als „vit“ bzw. „vit mit Kreis“ benennen werden.
Damit stehen sich klanglich „vito“ und „vitos“ gegenüber. Die Zeichen sind in vier von fünf Buchstaben und in der Vokal- und Silbenfolge identisch. Sie unterscheiden sich nur durch den fünften Buchstaben s der Widerspruchsmarke, der in der jüngeren Marke keine Entsprechung hat. Diese Abweichung am Wortende ist zwar hörbar, fällt klanglich gegenüber den Übereinstimmungen aber nicht maßgeblich ins Gewicht. Die Endung auf „–s“ entspricht der Genitivform von Substantiven und ist auch als Pluralform von auf o endenden Substantiven gebräuchlich (Autos, Logos). Sie wird deshalb als sprachübliche grammatikalische Abwandlung empfunden und ist als solche nicht geeignet, dem angesprochenen Verbraucher im Gedächtnis zu bleiben und bei einer Begegnung mit der jüngeren Marke als Differenzierungsmerkmal zu dienen.
Es fehlt entgegen der Auffassung der Markenstelle an einem Bedeutungsunterschied zwischen den Zeichen, der die Unterscheidung der Kollisionszeichen erleichtern würde. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine nach dem Bild und/oder nach dem Klang zu bejahende Verwechslungsgefahr der sich gegenüberstehenden Zeichen zu verneinen sein, wenn einem Zeichen ein klar erkennbarer eindeutiger Sinngehalt zukommt, und zwar auch dann, wenn das andere Zeichen ein bloßes Fantasiewort ohne inhaltliche Bedeutung ist (BGH GRUR 2010, 235, Nr. 15 – AIDA/AIDU). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall aber nicht erfüllt. Die Orte mit dem Namen „Vito“ in Mexiko und in Peru sind im Inland weitgehend unbekannt und werden von den inländischen Verkehrskreisen schon deshalb mit dem Zeichen nicht in Verbindung gebracht. Vito ist außerdem ein in Deutschland selten benutzter italienischer Jungenname. Auch dies führt jedoch nicht zu einer leichteren Wahrnehmung der Unterschiede zwischen den Vergleichzeichen oder einer maßgeblich abweichenden Aussprache gegenüber „Vitos“, die die klangliche Verwechslungsgefahr vermindern könnte, zumal „Vitos“ als Genitiv- oder Pluralform von Vito verstanden werden kann.
Insoweit unterscheiden sich die Vergleichszeichen von der Sachlage in der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu AIDA/AIDU. Dort konnte das jüngere Zeichen Aidu nicht als grammatikalische Abwandlung des aus der gleichnamigen Oper bekannten Frauennamens „Aida“ verstanden werden, sodass der abweichende Bedeutungsgehalt des älteren Zeichens geeignet war, die Verwechslungsgefahr zu verringern. Hinzu kommt, dass der Name der Oper „Aida“ im Inland wesentlich bekannter ist als die ausländischen Ortsnamen bzw. der seltene italienische Vorname „Vito“, denen ein entsprechender Wiedererkennungseffekt damit fehlt.
In der Gesamtabwägung führt dies vorliegend zu dem Ergebnis, dass die angegriffene Marke den notwendigen Abstand zur Widerspruchsmarke nicht einhält und jedenfalls in klanglicher Hinsicht Verwechslungsgefahr besteht.
Abweichend von der Auffassung der Markenstelle sieht der Senat auch keine Sachlage gegeben, in der die klangliche Wahrnehmung der Zeichen gegenüber der schriftbildlichen in einer Weise in den Hintergrund tritt, dass Ähnlichkeiten in klanglicher Hinsicht bei der Wahrnehmung der Vergleichsmarken unberücksichtigt bleiben können. Denn die Auswahlentscheidung über schulische und medizinische Dienstleistungen fällt nicht allein aufgrund schriftbildlicher Wahrnehmung, sondern auch aufgrund mündlicher Nachfragen, Empfehlungen oder akustischer Bewerbung.
Der angefochtene Beschluss konnte daher keinen Bestand haben.
6. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen wurden noch ersichtlich sind.