Entscheidungsdatum: 24.07.2014
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2010 065 297.7
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung am 24. Juli 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker und der Richterinnen Winter und Uhlmann
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes, Markenstelle für Klasse 1, vom 30. Juli 2012 aufgehoben.
I.
Das Wortzeichen
RHEOBETON
ist am 3. November 2010 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für die Waren und Dienstleistungen der
„Klasse 1: chemische Erzeugnisse für gewerbliche Zwecke, einschließlich solche zur Herstellung von Bauwerken und Bauwerksteilen, insbesondere solcher aus oder enthaltend Beton; Betonbindemittel;
Klasse 19: Baumaterialien (nicht aus Metall), einschließlich solche zur Herstellung von Bauwerken und Bauwerksteilen, insbesondere aus oder enthaltend Beton; Beton; Bauwerke und Bauwerksteile (nicht aus Metall), einschließlich solche aus oder enthaltend Beton;
Klasse 42: technische Beratung; technische Projektplanung; Konstruktionsplanung; vorstehende Dienstleistungen betreffend Fußböden; Herstellung von Bauwerken und Bauwerksteilen, einschließlich solcher aus oder enthaltend Beton, insbesondere Fußböden; Betonherstellung und -verarbeitung“
angemeldet worden.
Die Markenstelle für Klasse 1 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung mit Beschluss vom 30. Juli 2012 wegen fehlender Unterscheidungskraft und eines Freihaltebedürfnisses zurückgewiesen.
Zur Begründung hat sie ausgeführt, bei dem Zeichen handele es sich um eine sprachüblich gebildete beschreibende Wortkombination aus der griechischen Vorsilbe „Rheo“ für „fließ-/strömend“ und dem deutschen Begriff „Beton“. Die betroffenen inländischen Verkehrskreise würden es als Sachhinweis auf Fließbeton verstehen, der in der Baubranche zur Prozesseinsparung eingesetzt werde. Auch wenn das Zeichen ein mehrsprachiger Begriff sei, werde es als Sachhinweis verstanden, insbesondere da es bereits teilweise Eingang in die deutsche Sprache gefunden habe. Der Umstand, dass für das Zeichen derzeit noch keine beschreibende Verwendung nachweisbar sei, sei unbeachtlich, wenn die Begriffsbildung wie hier einen unmissverständlichen beschreibenden Aussagegehalt aufweise und vollkommen sprachüblich sei. Jedenfalls bestehe für die Zukunft ein Freihaltebedürfnis.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie sinngemäß beantragt,
den Beschluss der Markenstelle des DPMA vom 30. Juli 2012 aufzuheben.
Sie trägt vor, zu der Wahrnehmung des Zeichens als Sachhinweis gelange man nur durch mehrere gedankliche Zwischenschritte. Das Zeichen werde nicht unmittelbar als Sachhinweis auf „Fließbeton“ verstanden. Die Benutzung von griechischen Wortbestandteilen zur Bezeichnung von chemischen Erzeugnissen oder Baumaterialien sei unüblich, noch unüblicher sei die Kombination griechischer Wortbestandteile mit deutschen Begriffen zur Bezeichnung von derartigen Waren. Entsprechend sei eine Vielzahl von Zeichen mit dem Bestandteil „RHEO“ im Markenregister eingetragen. Auch ein Freihaltebedürfnis bestehe wegen der künstlichen Zusammensetzung des Zeichens aus einem griechischen Begriff und einem deutschen Wort nicht. Der Fachverkehr habe nur ein Interesse an der Freihaltung von klaren und unzweideutigen Bezeichnungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet, da Eintragungshindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG nicht bestehen.
1. Dem Anmeldezeichen kann nicht jegliche Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG abgesprochen werden.
a) Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Marke erfassten Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. EuGH GRUR 2008, 608, 611, Rn. 66 f. - EUROHYPO; BGH GRUR 2013, 731, Rn. 11 - Kaleido; GRUR 2012, 1143, Rn. 7 - Starsat; GRUR 2010, 825, 826, Rn. 13 - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2010, 935, Rn. 8 - Die Vision; GRUR 2006, 850, 854, Rn. 18 - FUSSBALL WM 2006). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren bzw. Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. EuGH GRUR 2006, 233, 235, Rn. 45 - Standbeutel; GRUR 2006, 229, 230, Rn. 27 - BioID; GRUR 2008, 608, 611, Rn. 66 - EUROHYPO; BGH GRUR 2008, 710, Rn. 12 - VISAGE; GRUR 2009, 949, Rn. 10 - My World; GRUR 2006, 850, 854, Rn. 18 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 - BerlinCard). Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren und Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, 412, Rn. 24 - Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 943, 944, Rn. 24 - SAT.2; BGH GRUR 2010, 935, Rn. 8 - Die Vision; GRUR 2010, 825, 826, Rn. 13 - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2006, 850, 854, Rn. 18 - FUSSBALL WM 2006).
Hiervon ausgehend besitzen Wortmarken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (vgl. BGH GRUR 2013, 1143, Rn. 15 - Aus Akten werden Fakten) lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, 678, Rn. 86 - Postkantoor; BGH GRUR 2012, 270, 271, Rn. 11 - Link economy; GRUR 2009, 952, 953, Rn. 10 - DeutschlandCard; GRUR 2006, 850, 854, Rn. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 - BerlinCard; GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; GRUR 2001, 1153 - antiKALK) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die - etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien - stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, 854, Rn. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050, 1051 - Cityservice; GRUR 2001, 1043, 1044 - Gute Zeiten - Schlechte Zeiten). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100, Rn. 23 - TOOOR!; GRUR 2006, 850, 855, Rn. 28 f. - FUSSBALL WM 2006).
b) Nach diesen Grundsätzen hat die Markenstelle dem Anmeldezeichen die Unterscheidungskraft zu Unrecht abgesprochen.
Das Zeichen „RHEOBETON“ setzt sich aus den Elementen „RHEO“ und „BETON“ zusammen. Eine andere Trennung der Wortbestandteile ist wegen der für das Zeichen beanspruchten Waren und Dienstleistungen aus dem Bereich des Bauwesens nicht naheliegend, da das Wortelement „BETON“ unmittelbar erkannt wird.
Das aus der griechischen Sprache stammende Wortbildungselement „Rheo-“ hat im Deutschen die Bedeutung „das Fließen von Wasser und anderen fließfähigen Stoffen betreffend, den elektrischen Stromfluss betreffend“ (Duden Das Große Fremdwörterbuch, 4. Auflage Mannheim 2007). Der Wortbestandteil gehört in den Bereich der Wissenschaftssprache und findet sich im Deutschen nur in Fremdwörtern wie Rheometer, Rheografie, Rheogramm, Rheokrene, Rheologie, Rheopexie, Rheostat etc. Eine Verbindung mit deutschen Sachbegriffen ist nicht sprachüblich. Er ist im allgemeinen Sprachgebrauch insbesondere nicht mit dem Adjektiv „flüssig, fließend“ gleichzusetzen. So wird Flüssiggas nicht als „Rheogas“ bezeichnet oder Flüssigdünger nicht als „Rheodünger“. „Rheo“ ist auch nicht als Abkürzung nachweisbar. Entsprechend hat das Bundespatentgericht die Marke RHEOSET für eintragungsfähig gehalten (BPatG, Beschluss vom 16.02.1990, Az. 24 W (pat) 20/89). Auch in der englischen Sprache wird der Wortbestandteil nach den Recherchen des Senats nur im Wissenschaftsbereich und als Bestandteil mehrgliedriger Wörter, nicht dagegen in Alleinstellung benutzt.
Beton ist eine als Baustoff verwendete Mischung aus Zement, Wasser und Sand, Kies und ähnlichem. Je nach Funktion und Verarbeitung wird er unterschiedlich zusammengesetzt. Man unterscheidet nach seinen Eigenschaften zwischen Estrichbeton, Porenbeton, Sperrbeton, Spritzbeton, Mineralbeton, Fließbeton etc. Differenziert nach Verarbeitungsweise spricht man von Leichtbeton, Schleuderbeton, Schwerbeton, Sichtbeton, Spannbeton, Stampfbeton usw. Die Verbindung des Begriffs „Beton“ mit einem Fremdwort ist dagegen nicht sprachüblich und deshalb ungewöhnlich.
Für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen, die allesamt einen Bezug zu dem Baustoff Beton aufweisen, stellt die Wortzusammensetzung „RHEOBETON“ weder eine Sachangabe dar, noch enthält sie insoweit eine auf der Hand liegende Sachaussage.
Die beanspruchten Waren der Klasse 1 richten sich an gewerbliche Abnehmer insbesondere das Baugewerbe und die Bauindustrie. Die Waren der Klasse 19 richten sich sowohl an das Baugewerbe als auch an den privaten Endverbraucher, der Baumaterial zum Eigenbau erwirbt. Die Dienstleistungen der Klasse 42 richten sich an gewerbliche und private Bauherren sowie deren Beauftragte. Einzubeziehen ist bei allen Waren und Dienstleistungen der Fachverkehr, also Handel und die konkurrierenden Hersteller und Dienstleister.
Zwar weisen Baustoffe im Allgemeinen und Betone im Besonderen rheologische Eigenschaften auf. Die Rheologie ist ein Teilgebiet der Mechanik, das die Erscheinungen des Fließens und der Relaxation (Übergang in den Grundzustand) von flüssigen, kolloidalen und festen Systemen unter der Einwirkung äußerer Kräfte untersucht. Sie kommt fächerübergreifend in unterschiedlichen Wissenschaften wie Medizin, Biologie, Geologie, Chemie und auch in den Ingenieurwissenschaften zur Anwendung. Die rheologischen Eigenschaften von Beton und anderen Baustoffen sind Gegenstand mehrerer wissenschaftlicher Untersuchungen, wie sich aus der Recherche des Senats ergibt. Denn die Fließfähigkeit von frischem Beton ist von großer Bedeutung für seine Verarbeitung.
In seiner Zusammensetzung stellt das Zeichen jedoch eine ungewöhnliche Wortschöpfung dar, deren Bedeutung sich der Allgemeinheit schon deshalb nicht unmittelbar erschließt, da der Fachbegriff „Rheologie“ ebenfalls kaum bekannt ist. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass der von den Waren und Dienstleistungen angesprochene private Endverbraucher die Bedeutung von „Rheo“ in dem Wortzeichen kennt.
Aber auch die von den beanspruchten Waren und Dienstleistungen angesprochenen Fachverkehrskreise verstehen das Zeichen nicht als Sachhinweis.
Der Fachverkehr aus der Baubranche mag zwar den Begriff „rheologisch“, kennen, weil er in Untersuchungen über die Verarbeitung von Beton benutzt wird. Auch der Fachverkehr setzt aber RHEOBETON nicht mit „Fließbeton“ gleich. Die entsprechenden Behauptungen der Markenstelle, die Wortbildung weise einen unmissverständlich beschreibenden Aussagegehalt auf und sei vollkommen sprachüblich, sind nicht belegt und entbehren jeder tatsächlichen Grundlage. Dabei ist zu beachten, dass die rheologischen Eigenschaften von Beton ganz unterschiedlich sein können, sodass „Rheo“ auch im Bereich der Baustoffe nicht unmittelbar mit „flüssig“ oder „fließend“ gleichzusetzen ist. Um zu der von der Markenstelle unterstellten Bedeutung „Fließbeton“ zu kommen, bedarf es zudem mehrerer Gedankenschritte, nämlich von der ungewöhnlichen Zusammensetzung des seltenen Wortelements „Rheo“ mit dem allgemeinen Begriff „Beton“ auf das Verständnis des Bestandteils „Rheo“ als Kürzel eines Fachbegriffs wie rheologisch, sodann von dem Fachbegriff „rheologisch“ auf die mögliche Bedeutung des ungebräuchlichen Kürzels „Rheo“ im Sinne von „fließend“ und sodann zu der Interpretation der Wortschöpfung RHEOBETON im Sinne von „fließender“ Beton.
Das Wortzeichen hat allenfalls einen beschreibenden Anklang, enthält aber weder für die beanspruchten Waren noch für die beanspruchten Dienstleistungen eine klare Sachaussage. Deshalb kann ihm das erforderliche Minimum an Unterscheidungskraft und damit die Eignung als betrieblicher Herkunftshinweis nicht abgesprochen werden.
2. Da das Anmeldezeichen keine Merkmalsangabe der beanspruchten Waren und Dienstleistungen enthält, sind auch die Voraussetzungen für ein Freihaltebedürfnis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nicht erfüllt.
Der Beschwerde war deshalb stattzugeben.