Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 11.05.2017


BPatG 11.05.2017 - 30 W (pat) 502/16

Markenbeschwerdeverfahren – "Casa Vivendi/Vivendi" – zur Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit und –identität - zur Kennzeichnungskraft – unmittelbare Verwechslungsgefahr


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
11.05.2017
Aktenzeichen:
30 W (pat) 502/16
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2009 002 181

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richter Merzbach und Dr. Meiser

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 17. Dezember 2013 aufgehoben, soweit darin der Widerspruch aus der Marke 30 2008 050 137 zurückgewiesen worden ist.

Wegen des genannten Widerspruchs wird die Löschung der Marke 30 2009 002 181 für folgende Waren und Dienstleistungen angeordnet:

„Klasse 20: Möbel, Spiegel, Bilderrahmen; Waren, soweit in Klasse 20 enthalten, aus Holz, Kork, Rohr, Binsen, Weide, Horn, Knochen, Elfenbein, Fischbein, Schildpatt, Bernstein, Perlmutter, Meerschaum und deren Ersatzstoffe oder aus Kunststoffen; Betten, Liegen, Kissen, Nester für Haustiere;

Klasse 35: Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen betreffend die Waren der Klasse 20, auch für den Versandhandel und/oder unter Nutzung des Internets; Präsentation von Waren in Kommunikationsmedien, Onlineversandhandelsdienstleistungen in den Bereichen der Klasse 20“.

Gründe

I.

1

Die am 13. Januar 2009 angemeldete Wortmarke

2

Casa Vivendi

3

ist am 29. Juni 2009 unter der Nummer 30 2009 002 181 u. a. für die Waren und Dienstleistungen

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„Klasse 20:

5

Möbel, Spiegel, Bilderrahmen; Waren, soweit in Klasse 20 enthalten, aus Holz, Kork, Rohr, Binsen, Weide, Horn, Knochen, Elfenbein, Fischbein, Schildpatt, Bernstein, Perlmutter, Meerschaum und deren Ersatzstoffe oder aus Kunststoffen; Betten, Liegen, Kissen, Nester für Haustiere;

6

Klasse 35:

7

Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen betreffend die Waren der Klassen 20, auch für den Versandhandel und/oder unter Nutzung des Internets; Präsentation von Waren in Kommunikationsmedien, Onlineversandhandelsdienstleistungen in den Bereichen der Klassen 20“

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in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Register eingetragen worden. Die Veröffentlichung erfolgte am 31. Juli 2009

9

Gegen die Eintragung ist am 18. September 2009 Widerspruch erhoben worden von der Inhaberin der am 6. August 2008 angemeldeten und am 24. Oktober 2008 eingetragenen Marke 30 2008 050 137

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Vivendi

11

die u. a. für die Waren

12

„Klasse 20:

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Möbel, Spiegel, Bilderrahmen, Ablageplatten; Regale für Aktenordner (Möbel); Aktenschränke; Anrichten (Möbel); Apothekenschränke; Auflageböcke (Möbel); Bänke (Möbel); Möbelbeschläge, nicht aus Metall; Bestattungsurnen; Bettbeschläge, nicht aus Metall; Betten für Haustiere; Betten (Möbel); Wasserbetten, nicht für medizinische Zwecke; Bettgestelle aus Holz, Bettrollen, nicht aus Metall; Blumenständer (Möbel); Blumentische (Möbel); Ständer für Blumentöpfe; Auflageböcke (Möbel); Bücherborde; Schlüsselbretter; Bücherregale; Buffets (Möbel); Büfettwagen (Möbel); Büromöbel; Fachböden für Möbel; Möbelfächer aus Holz; Fächer zum persönlichen Gebrauch (nicht elektrisch); Fensterbeschläge, nicht aus Metall; Flaschenkästen; Garderobenhaken, nicht aus Metall; Garderobenständer; Geflechte aus Stroh (ausgenommen Matten); Strohgeflechte; geflochtene Holzblenden (Möbel); Geschirrschränke; Lagergestelle, nicht aus Metall, für Fässer; Gewehrständer; Hirschgeweihe; versilbertes Spiegelglas; Messergriffe, nicht aus Metall; Türgriffe, nicht aus Metall; Werkzeuggriffe, nicht aus Metall; Garderobenhaken, nicht aus Metall; Kleiderhaken, nicht aus Metall (Einrichtungsartikel); Handspiegel (Kosmetik-, Toilettenspiegel); Handtuchschränke (Möbel); Handtuchspender (ortsfest), nicht aus Metall; Liegen für Haustiere; Hütten für Haustiere; Hocker; Hüllen für Bekleidungsstücke (Aufbewahrung); Identitätsschilder, nicht aus Metall; Karteischränke; Kästen, Kisten, nicht aus Metall; Kästen, Kisten und Dosen aus Holz oder Kunststoff; Kinderhochstühle; Kinderlauflerngeräte; Kissen; Kissen für Haustiere; Luftkissen, nicht für medizinische Zwecke; Kisten; Kleiderbügel; Kleiderständer (Möbel); Kommoden; Kopfkissen; luftgefüllte Kopfkissen, nicht für medizinische Zwecke; Kopfpolster; Kopfstützen (Möbel); Körbe, nicht aus Metall; Körbe (große); Körbe (mit Henkel), nicht aus Metall; Korbwaren; Ladentische; Kinderlauflerngeräte; Laufställe für Kleinkinder; Profilleisten für Rahmen (Einrahmungen); Rahmenleisten (Einrahmung); Lesepulte; Liegestühle; Luftmatratzen, nicht für medizinische Zwecke; Massagetische; Matratzen; Luftmatratzen, nicht für medizinische Zwecke; Sprungfedermatratzen; Strohmatratzen (Strohsäcke); Matten für Babylaufgitter; Möbel aus Metall; Kantenabschlüsse für Möbel, aus Kunststoff; Möbelrollen, nicht aus Metall; Möbeltüren; Plakattafeln aus Holz oder Kunststoff; Ablageplatten; Tischplatten; Polstersessel; Rahmen für Bienenstöcke; Stickrahmen; Rattan; Rechenmaschinengestelle; Regale; Sargbeschläge, nicht aus Metall; Särge; Scharniere, nicht aus Metall; Schaugestelle; Schemel; Schilfrohr (Flechtmaterial); Kamin-, Ofenschirme für den Haushalt; Schirmständer; Schlafsäcke für Campingzwecke; Schlösser (ausgenommen elektrische), nicht aus Metall; Fahrzeugschlösser, nicht aus Metall; Schlüsselbretter; Schränke; Arzneischränke; Schreibschränke; Schreibtische, Schubladen; Schulmöbel; Schutzhüllen für Bekleidungsstücke; Schwimmcontainer, nicht aus Metall; Servierwagen (Möbel); Polstersessel; Sitze aus Metall; Sofas; Sofas (Diwane); Speiseschränke, nicht aus Metall; Spender (ortsfeste Handtuch-), nicht aus Metall; Spiegelfliesen; Windspiele (Dekorationsartikel); Spielzeugkisten; Sprungfedermatratzen; Spunde, nicht aus Metall; Zeitungsständer; Strohborten; Stühle; Liegestühle; Anschlagtafeln; Teigkörbe; ausgestopfte Tiere; Tierhörner; Tische; Tische aus Metall; Toilettentische; Kunsttischlerartikel; Türbeschläge, nicht aus Metall; Türriegel, nicht aus Metall; Bestattungsurnen; Flaschenverpackungen aus Holz; Verpackungsbehälter aus Kunststoff; Behälterverschlüsse, nicht aus Metall; Verschlusskappen, nicht aus Metall; Vitrinen (Möbel); ausgestopfte Vögel; Wagen für Computer (Möbel); Waschtische (Möbel); Werbeartikel, aufblasbare Werkbänke; Zeitungshalter“

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geschützt ist, wobei der Widerspruch sich nur gegen die o. g. Waren und Dienstleistungen der Klassen 20 und 35 der angegriffenen Marke richtet. Ein gegen die Widerspruchsmarke gerichtetes Widerspruchsverfahren wurde am 8. Januar 2013 abgeschlossen.

15

Die mit einer Beamtin des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 17. Dezember 2013 den Widerspruch zurückgewiesen.

16

Zwar könnten sich die Vergleichsmarken nach der vorliegend maßgeblichen Registerlage im Bereich der Klassen 20 und 35 auf identischen und ansonsten ähnlichen Waren/Dienstleistungen begegnen.

17

Ferner verfüge die Widerspruchsmarke im Hinblick auf die in Rede stehenden Waren über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Die angesprochenen Verkehrskreise würden den Begriff „Vivendi“ eher als Phantasiewort auffassen oder diesen im Hinblick auf Begriffsbildungen wie „Ars Vivendi = Lebenskunst“ möglicherweise i.S. von „Leben“ verstehen (von lat. „vivere = leben“), was jedoch für die betreffenden Waren keine unmittelbare Beschreibung darstelle.

18

Dennoch scheide eine Verwechslungsgefahr mangels hinreichender Ähnlichkeit der Vergleichsmarken aus.

19

Die angegriffene Marke „Casa Vivendi“ werde vom Verkehr in ihrer Gesamtheit wahrgenommen, da es sich um eine begriffliche Einheit i. S. v. „Haus Vivendi“ bzw. „Haus des Lebens“ handele. Daher scheide eine unmittelbare Verwechslungsgefahr aus, weil die Marken sich durch den weiteren Bestandteil „Casa“ der jüngeren Marke in Klang und Schriftbild deutlich voneinander unterschieden. Aufgrund der begrifflichen Einheit von „Casa Vivendi“ bestehe für den Verkehr auch kein Anlass, die jüngere Marke auf „Vivendi“ zu verkürzen.

20

Eine Verwechslungsgefahr ergebe sich auch nicht aufgrund einer selbstständig kennzeichnenden Stellung der älteren Marke „Vivendi“ in der jüngeren Marke, da es sich bei dem Bestandteil „Casa“ nicht um den Firmennamen der angegriffenen Marke handele.

21

Eine Verwechslungsgefahr unter dem Aspekt des Serienzeichens komme ebenfalls nicht in Betracht, da keine Zeichenserie vorläge, in welche sich die angegriffene Marke einfüge.

22

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden.

23

Zutreffend sei die Markenstelle zwar von einer Identität bzw. Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen sowie einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ausgegangen.

24

Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Vergleichsmarken habe die Markenstelle jedoch verkannt, dass die angegriffene Marke „Casa Vivendi“ durch den Bestandteil „Vivendi“ geprägt werde.

25

So erschließe sich dem angesprochenen Publikum ohne weiteres die Bedeutung des Wortes „casa“ iS von „Haus“. Das Wort „Haus“ sei jedoch in Bezug auf die vorliegend relevanten Waren und Dienstleistungen unmittelbar beschreibend bzw. weise zumindest einen engen beschreibenden Bezug zu diesen auf, da Möbel und Einrichtungsgegenstände der Raumausgestaltung von Häusern dienen könnten. Somit erwecke die angegriffene Marke beim angesprochenen Publikum lediglich die Vorstellung, bei dem Markeninhaber handele es sich um das „Haus, das Vivendi-Möbel herstelle“ bzw. um das „Handelshaus für Vivendi-Möbel“.

26

In jedem Fall behalte der Bestandteil „Vivendi“ innerhalb der angegriffenen Marke eine selbständig kennzeichnende Stellung.

27

Eine Verwechslungsgefahr könne dann aber nicht ausgeschlossen werden, und sei es nur in dem Sinne, dass der Verkehr die Zeichen gedanklich miteinander in Verbindung bringe.

28

Die Widersprechende beantragt,

29

den angefochtenen Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 17. Dezember 2013 aufzuheben und die angegriffene Marke 30 2009 002 181 für die Waren und Dienstleistungen

30

„Möbel, Spiegel, Bilderrahmen; Waren, soweit in Klasse 20 enthalten, aus Holz, Kork, Rohr, Binsen, Weide, Horn, Knochen, Elfenbein, Fischbein, Schildpatt, Bernstein, Perlmutter, Meerschaum und deren Ersatzstoffe oder aus Kunststoffen; Betten, Liegen, Kissen, Nester für Haustiere; Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen betreffend die Waren der Klassen 20, auch für den Versandhandel und/oder unter Nutzung des Internets; Präsentation von Waren in Kommunikationsmedien, Onlineversandhandelsdienstleistungen in den Bereichen der Klassen 20“

31

zu löschen.

32

Die Inhaberin der angegriffenen Marke und Beschwerdegegnerin hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.

33

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

34

Die gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. § 66 MarkenG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Widersprechenden ist begründet, da die Vergleichsmarken hinsichtlich sämtlicher mit dem Widerspruch angegriffenen und im Beschlusstenor aufgeführten Waren und Dienstleistungen der angegriffenen Marke verwechselbar im Sinne von §§ 42 Abs. 2 Satz 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG sind; der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die angegriffene Marke 30 2009 002 181 für die im Tenor aufgeführten Waren und Dienstleistungen zu löschen (§ 43 Abs. 2 Satz 1 MarkenG).

35

A. Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist nach der Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen (vgl. z. B. EuGH GRUR 2010, 1098, Nr. 44 - Calvin Klein/HABM; GRUR 2010, 933, Nr. 32 - BARBARA BECKER; GRUR 2011, 915, Nr. 45 - UNI; BGH GRUR 2012, 1040, Nr. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr. 9 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 235, Nr. 15 - AIDA/AIDU). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit die Identität oder Ähnlichkeit der zum Vergleich stehenden Marken sowie der von diesen erfassten Waren oder Dienstleistungen. Darüber hinaus ist die Kennzeichnungskraft der älteren Marke und - davon abhängig - der dieser im Einzelfall zukommende Schutzumfang in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dabei impliziert der Begriff der Verwechslungsgefahr eine gewisse Wechselwirkung zwischen den genannten Faktoren (st. Rspr., z. B. BGH GRUR 2013, 833, Nr. 30 - Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, Nr. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr. 9 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 1103, Nr. 37 - Pralinenform II; EuGH GRUR 2008, 343 Nr. 48 - Il Ponte Finanziaria Spa/HABM).

36

Nach diesen Grundsätzen ist eine markenrechtlich relevante unmittelbare Gefahr von Verwechslungen zwischen den Vergleichsmarken für die mit dem Widerspruch angegriffenen Waren und Dienstleistungen der angegriffenen Marke zu besorgen.

37

1. Ausgehend von der vorliegend maßgeblichen Registerlage besteht zwischen den mit dem Widerspruch angegriffenen Waren und Dienstleistungen der Klassen 20 und 35 der jüngeren Marke und den Waren der Klasse 20 der Widerspruchsmarke teilweise Identität und im Übrigen eine jedenfalls durchschnittliche Ähnlichkeit.

38

a. Die für die Widerspruchsmarke zu Klasse 20 eingetragenen Waren „Möbel, Spiegel, Bilderrahmen; Betten, Kissen“ werden gleichermaßen von der angegriffenen Marke beansprucht.

39

b. Bei den für die Widerspruchsmarke zu Klasse 20 eingetragenen Waren „Liegen für Haustiere“ handelt es sich um spezielle Liegen, welche unter den von der angegriffenen Marke beanspruchten Warenoberbegriff „Liegen“ fallen, so dass beide Marken sich auch insoweit auf identischen Waren begegnen können. Dies führt auch zur Löschung des gesamten Warenoberbegriffs „Liegen“ der angegriffenen Marke (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rdnr. 77; BGH, GRUR 2008, 903 Nr. 11 – SIERRA ANTIGUO).

40

c. Weiterhin besteht auch Identität oder jedenfalls eine hochgradige Ähnlichkeit zwischen den Waren der Klasse 20 der Widerspruchsmarke und den von der angegriffenen Marke beanspruchten „Waren, soweit in Klasse 20 enthalten, aus Holz, Kork, Rohr, Binsen, Weide, Horn, Knochen, Elfenbein, Fischbein, Schildpatt, Bernstein, Perlmutter, Meerschaum und deren Ersatzstoffe oder aus Kunststoffen“, da eine Vielzahl der für die Widerspruchsmarke zu dieser Klasse eingetragenen Waren aus diesen Materialen bestehen können. Dies gilt zunächst in Bezug auf solche Waren, die ausweislich des Warenverzeichnisses der Widerspruchsmarke ausdrücklich aus Holz und/oder Kunststoff hergestellt werden können wie z. B. „Kisten und Dosen aus Holz oder Kunststoff“ oder „Plakattafeln aus Holz oder Kunststoff“. Das Warenverzeichnis der Klasse 20 der Widerspruchsmarke enthält darüber hinaus auch eine Reihe von Waren, welche aus „Kork, Rohr, Binsen, Weide, Horn, Knochen, Elfenbein, Fischbein, Schildpatt, Bernstein, Perlmutter, Meerschaum und deren Ersatzstoffe“ gefertigt sein können wie z. B. Möbelbeschläge, nicht aus Metall; Bettbeschläge, nicht aus Metall; Betten für Haustiere; Betten (Möbel); Blumenständer (Möbel); Blumentische (Möbel); Ständer für Blumentöpfe; Auflageböcke (Möbel); Bücherborde; Schlüsselbretter; Bücherregale; Büromöbel; Fachböden für Möbel; Fensterbeschläge, nicht aus Metall; Garderobenhaken, nicht aus Metall; Garderobenständer; Geflechte aus Stroh (ausgenommen Matten); Strohgeflechte; geflochtene Holzblenden (Möbel); Hirschgeweihe; Messergriffe, nicht aus Metall; Türgriffe, nicht aus Metall; Garderobenhaken, nicht aus Metall; Kleiderhaken, nicht aus Metall (Einrichtungsartikel); Handspiegel (Kosmetik-, Toilettenspiegel); Handtuchschränke (Möbel); Handtuchspender (ortsfest), nicht aus Metall; Liegen für Haustiere; Hocker; Identitätsschilder, nicht aus Metall; Kästen, Kisten, nicht aus Metall; Kisten; Kleiderbügel; Kleiderständer (Möbel); Kommoden; Körbe, nicht aus Metall; Körbe (große); Körbe (mit Henkel), nicht aus Metall; Korbwaren; Profilleisten für Rahmen (Einrahmungen); Rahmenleisten (Einrahmung); Liegestühle; Möbeltüren; Tischplatten; Stickrahmen; Rattan; Regale; Scharniere, nicht aus Metall; Schemel; Schilfrohr (Flechtmaterial); Schlüsselbretter; Anschlagtafeln; Tierhörner; Tische; Toilettentische; Kunsttischlerartikel; Türbeschläge, nicht aus Metall; Türriegel, nicht aus Metall“.

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d. Bezüglich der Waren „Nester für Haustiere“ der Klasse 20 der angegriffenen Marke ist von einer überdurchschnittlichen Ähnlichkeit zu den Waren „Betten, Liegen, …. und Kissen für Haustiere“ der Klasse 20 der Widerspruchsmarke auszugehen, da es in der Branche der Haustierausstatter üblich ist, dass ein Unternehmen verschiedene Arten von Liegeplätzen für Haustiere anbietet (https://www.fressnapf.de/c/aktionen/liegeplaetze/). Sie dienen ferner demselben Verwendungszweck, nämlich einem Liegeplatz/Unterlage für Haustiere im Wohnbereich. Dementsprechend werden derartige Waren auch in denselben Vertriebsstätten wie Tierhandlungen oder entsprechenden Abteilungen in Möbelhäusern gemeinsam angeboten (https://www.xxxlshop.de/tiermoebel. kategorie-C55), so dass der Verkehr ohne weiteres davon ausgeht, dass diese Waren unter der Kontrolle desselben Unternehmens hergestellt werden.

42

e. Zwischen den für die Widerspruchsmarke eingetragenen Waren der Klasse 20 und den von der angegriffenen Marke zu Klasse 35 beanspruchten „Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen betreffend die Waren der Klassen 20, auch für den Versandhandel und/oder unter Nutzung des Internets; Präsentation von Waren in Kommunikationsmedien, Onlineversandhandelsdienstleistungen in den Bereichen der Klassen 20“ besteht jedenfalls eine durchschnittliche Ähnlichkeit.

43

Für die Annahme einer Ähnlichkeit reicht es insoweit aus, dass sich die Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen auf die entsprechenden Waren beziehen und die angesprochenen Verkehrskreise aufgrund dieses Verhältnisses annehmen, die Waren und Dienstleistungen stammten aus denselben Unternehmen (vgl. BGH GRUR 2014, 378 Tz. 39 - OTTO CAP).

44

Beides ist vorliegend der Fall. Die Widerspruchsmarke genießt in der Klasse 20 Schutz für Waren, auf die sich die von der angegriffenen Marke beanspruchten Einzel- und Großhandelsdienstleistungen beziehen. Es ist ferner allgemein bekannt, dass im Möbelhandel große Handelshäuser neben dem Verkauf fremder Waren auch Waren mit eigenen Handelsmarken anbieten oder sogar überwiegend Produkte, welche unter der eigenen Marke geführt werden, vertreiben – wie z. B. IKEA –, so dass für den Verkehr in Bezug auf die Herstellung der hier maßgeblichen Waren und deren Vertrieb im Einzel- und/oder Großhandel die Annahme gleicher oder miteinander verbundener Ursprungsstätten durchaus nahe liegt.

45

f. Dies gilt auch in Bezug auf die Dienstleistungen „Präsentation von Waren in Kommunikationsmedien, Onlineversandhandelsdienstleistungen in den Bereichen der Klassen 20“, da ein Vertrieb von Produkten mit eigenen Handelsmarken z. B. auf eigenen Internetplattformen erfolgen kann.

46

2. Die Widerspruchsmarke verfügt von Haus aus über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Soweit es sich bei „Vivendi“ um das Gerundium des lateinischen Wortes „vivere“ = leben“ handelt, wird dies der weitaus überwiegende Teil des Verkehrs mangels hinreichender Kenntnisse der lateinischen Sprache nicht erkennen, sondern „Vivendi“ als Fantasiewort wahrnehmen. Nicht ausgeschlossen werden kann allerdings, dass der Verkehr diesem Begriff aufgrund seiner Einbindung in die lexikalisch nachweisbaren fremdsprachlichen Gesamtbegriffe „Ars Vivendi = Lebenskunst“ (Duden, Das Fremdwörterbuch, 9. Aufl., S. 93) bzw. „Modus Vivendi = Lebensweise“ (www.leo.org) eine allgemeine, vage Anspielung auf „Leben“ entnimmt. Dies zieht aber schon deshalb keine Einschränkung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke nach sich, weil „Vivendi“ insoweit keinen sich ohne weiteres erschließenden Sinn- und Bedeutungsgehalt in Bezug auf die vorliegend maßgeblichen Waren aufweist. Denn das Wort „Leben“ hat in Bezug zu den in Rede stehenden Waren der Klasse 20 allenfalls die entfernte Bedeutung „sich aufhalten, verweilen, hausen“, welche jedoch von den angesprochenen Verkehrskreisen allenfalls durch mehrere gedankliche Schritte erfasst wird.

47

Die seitens der Markeninhaberin im Verfahren vor der Markenstelle vorgelegte Liste mit Vivendi-Marken (Anlage 3 zum Schriftsatz vom 3. Juni 2010, Bl. 87/92 VA) ist nicht geeignet, eine Kennzeichnungsschwäche dieses Markenworts zu belegen. So haben zunächst die Marken, in denen „Vivendi“ in Gesamtbegriffe wie z. B. „Ars Vivendi“ oder „Modus Vivendi" eingebunden ist, außer Betracht zu bleiben. Zudem ist über die Benutzungslage der angeführten Drittmarken nichts bekannt.

48

3. Die Ähnlichkeit zwischen beiden Zeichen ist entgegen der Auffassung der Markenstelle zumindest durchschnittlich.

49

In ihrer Gesamtheit heben sich die Vergleichsmarken wegen des nur in der jüngeren Marke vorhandenen Eingangsbestandteils „Casa“ in allen für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr wesentlichen Kriterien (Zeichenlänge, Silbenzahl, Sprechrhythmus usw) voneinander ab. Eine unmittelbare Verwechslungsgefahr kommt daher nur dann in Betracht, wenn der abweichende Markenteil „Casa“ im Gesamteindruck der angegriffenen Marke für die angesprochenen Verkehrskreise in einer Weise zurücktritt, dass er für den Gesamteindruck vernachlässigt werden kann. Davon ist entgegen der Auffassung der Markenstelle auszugehen.

50

Das Wort „casa“ ist weiten Teilen des Verkehrs als spanisches/italienisches Wort für „Haus, Heim, Zuhause“ bekannt und geläufig. In dieser Bedeutung enthält „Casa“ in Zusammenhang mit den vorliegend maßgeblichen Waren der Klasse 20 sowie den darauf bezogenen Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen der Klasse 35 sowohl einen beschreibenden Hinweis auf die Verkaufsstätte (Einrichtungshaus) als auch darauf, dass die jeweiligen Waren für „Haus(halt) und Heim“ bestimmt und geeignet sind (vgl. BPatG 32 W (pat) 71/00 – CASA). Dementsprechend wurde dieser Begriff auch bereits zum Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke umfangreich als Bestandteil von Unternehmens- und Firmenbezeichnungen von Handelsgeschäften und – betrieben aus diesem Warenbereich verwendet, wie die den Beteiligten mit der Ladung übersandte Recherche belegt. Zwar handelt es sich dabei um eine kennzeichenmäßige Verwendung, jedoch wird „casa“ nie in Alleinstellung, sondern stets mit weiteren (individualisierenden) Zusätzen als Firmenkennzeichen benutzt. Der Verkehr wird daher „casa“ auch innerhalb dieser Zeichen lediglich als Hinweis auf den Erbringungsort bzw. die Art und/oder dem Bestimmungszweck der jeweiligen Waren erkennen, diesen Begriff daher als solches in Zusammenhang den vorliegend maßgeblichen Waren der Klasse 20 sowie den darauf bezogenen Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen der Klasse 35 nicht für eine Individualisierung geeignet halten (vgl. dazu auch BPatG 24 W (pat) 71/08 v. 23. Juni 2009 – systech/Systec).

51

Entgegen der Auffassung der Markenstelle verbindet sich „casa“ mit „Vivendi“ in dem angegriffenen Zeichen auch nicht zu einer gesamtbegrifflichen Einheit i. S. v. „Haus des Lebens“ oder gar „lebendiges Haus“. Eine derartige Bedeutung kommt „Casa Vivendi“ weder in der italienischen noch der spanischen oder der lateinischen Sprache zu. Vielmehr handelt es sich um eine eher phantasievolle Zusammensetzung eines weitgehend unbekannten Begriffs der lateinischen Sprache mit einem geläufigen Wort der italienischen/spanischen Sprache. Diese lehnt sich zwar sprachlich an die auch im Inland bekannten Begriffskombinationen „ars vivendi“ oder „modus vivendi“ an, weist jedoch – anders als die genannten Begriffskombinationen - keinen sinnvollen bzw. sich dem Verkehr ohne weiteres erschließenden Sinn- und Bedeutungsgehalt auf. Die Annahme einer die Zeichenähnlichkeit hindernden gesamtbegrifflichen Einheit setzt aber zwingend einen die einzelnen Elemente verschmelzenden, übergreifenden Sinngehalt voraus (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl., § 9 Rdnr. 409).

52

4. Ausgehend davon kann aber in der Gesamtabwägung angesichts der teilweisen Identität und ansonsten zumindest durchschnittlichen Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen, der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sowie der zumindest durchschnittlichen Ähnlichkeit der Kollisionszeichen eine Verwechslungsgefahr zwischen beiden Marken in Bezug auf die mit dem Widerspruch angegriffenen Waren und Dienstleistungen der angegriffenen Marke nicht verneint werden.

53

B. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich sind.