Entscheidungsdatum: 27.01.2010
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 306 33 292.2
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Vogel von Falckenstein, die Richterin Winter und den Richter Paetzold
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
I.
Zur Eintragung in das Markenregister angemeldet ist die Bezeichnung PROVISUS u. a. für folgende Dienstleistungen:
„Organisation und Veranstaltung von medizinischen Fortbildungen, Symposien und Seminaren; Erstellung von wissenschaftlichen Gutachten; Dienstleistungen eines Arztes, Durchführung medizinischer und klinischer Untersuchungen, Krankenpflegedienste, ambulante Pflegedienstleistungen, Dienstleistungen eines Krankenhauses, Dienstleistungen eines medizinischen Labors, Dienstleistungen einer medizinischen Ambulanz, refraktive Chirurgie, Erstellung von medizinischen Gutachten“.
Die Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG beanstandet; begründend ist darauf hingewiesen, dass die Marke in der Bedeutung „Sehkraft, Vor-/Fürsorge“ ein beschreibender Hinweis sei. Die Teil-Zurückweisung der Anmeldung erfolgte sodann im oben genannten Umfang. Zwar handele es sich bei der Anmeldung um ein Wort einer „toten“ Sprache, nämlich Latein; im hier maßgeblichen medizinischen Bereich sei Latein indessen Fachsprache. Ergänzend ist darauf hingewiesen, dass in der Augenheilkunde das Wort „Visus“ der gängige Begriff für die „Sehschärfe“ sei.
Gegen den ihr am 14. Mai 2007 zugestellten Beschluss hat die Anmelderin am 4. Juni 2007 Erinnerung eingelegt. Nachdem das Patentamt nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden hat, hat die Anmelderin Antrag auf Entscheidung über die Erinnerung gestellt (§ 66 Abs. 3 Satz 1 MarkenG). Nachdem das Patentamt nicht innerhalb weiterer zwei Monate über die Erinnerung entschieden hat, hat die Anmelderin Vorlage an das Patentgericht beantragt und die Beschwerdegebühr eingezahlt.
Die Anmelderin hat in der mündlichen Verhandlung näher ausgeführt, dass das nicht gebräuchliche Markenwort als Wort einer toten Sprache schutzfähig sei; zudem werde die mehrdeutige Bezeichnung von den angesprochenen Verkehrskreisen nicht verstanden. Sie verweist ferner auf die Eintragung zahlreicher Marken mit dem Bestandteil „Pro“.
Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
den angefochtenen Beschluss der Markenstelle für Klasse 44 aufzuheben, soweit die Anmeldung zurückgewiesen worden ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II.
Das als Durchgriffsbeschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluss des Erstprüfers zu bewertende Rechtsmittel ist gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 MarkenG zulässig, weil die Markenstelle über die Erinnerung der Anmelderin nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlegung entschieden hat und ein Erinnerungsbeschluss auch in den zwei Monaten nach dem Antrag der Anmelderin auf Erlass einer Erinnerungsentscheidung nicht ergangen ist.
Die zulässige Beschwerde der Anmelderin ist jedoch in der Sache ohne Erfolg.
Für sämtliche beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen steht einer Eintragung der angemeldeten Bezeichnung PROVISUS als Marke das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegen. Die Zurückweisung der Anmeldung erfolgte im Wesentlichen aus den Gründen des vorangegangenen, mit Belegen versehenen Beanstandungsbescheids, der auf den beschreibenden Charakter und somit die Freihaltebedürftigkeit des Begriffs „Provisus“ abgestellt hatte und darüber hinaus mit ergänzenden Ausführungen auf eine beschreibende Angabe verwiesen wurde; mithin ist der Senat nicht gehindert, dieses Eintragungshindernis vorrangig zu berücksichtigen.
Nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG dürfen Marken nicht eingetragen werden, welche ausschließlich aus Angaben bestehen, die im Verkehr u. a. zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Bestimmung oder sonstiger Merkmale der Waren oder Dienstleistungen dienen können, für welche die Registrierung beantragt wird. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verfolgt die mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. c Markenrichtlinie übereinstimmende Regelung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG das im Allgemeininteresse liegende Ziel, dass sämtliche Zeichen oder Angaben, die Merkmale der beanspruchten Waren beschreiben, von allen frei verwendet werden können. Sie erlaubt es daher nicht, dass solche Zeichen oder Angaben aufgrund ihrer Eintragung nur einem Unternehmen vorbehalten werden. Entscheidendes Kriterium für den Ausschluss der Eintragung ist allein die Eignung einer Bezeichnung zur beschreibenden Verwendung (vgl. EuGH GRUR 1999, 723, Nr. 25, 30 - Chiemsee; GRUR 2004, 146, Nr. 31 f. - DOUBLEMINT; GRUR 2004, 674, Nr. 54 bis 58 - Postkantoor; GRUR 2004, 280, N. 35 bis 38 - BIOMILD). Diese Eignung kann sich aus dem unmittelbaren Sinngehalt einer Bezeichnung ergeben oder aus ihrer tatsächlichen beschreibenden Verwendung im Verkehr (vgl. Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl., § 8 Rdn. 240).
Die angemeldete Marke ist eine die beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen in diesem Sinn beschreibende Angabe, an deren freien, von Monopolrechten ungehinderten Verwendung ein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit, insbesondere der Mitbewerber der Anmelderin, besteht.
Die Markenstelle hat durch die von ihr ermittelten und der Anmelderin zusammen mit dem Beanstandungsbescheid zur Kenntnis gegebene Belegstellen die Wortbedeutung von „Provisus“ aufgezeigt (als lateinische Bezeichnung für „Sehkraft, Vor-/Fürsorge“, Der Kleine Stowasser, Lateinisch-Deutsches Schulwörterbuch, S. 370). Ergänzend wird auf Pons, Wörterbuch für Schule und Studium, Latein-Deutsch S. 741 Bezug genommen. Ferner hat die Markenstelle, wie auch der Senat in einem Zwischenbescheid darauf hingewiesen, dass das Wort „ visus “ im Bereich der Augenheilkunde der Fachbegriff für die Sehschärfe ist (vgl. Hexal, Lexikon Ophthalmologie S. 240; Burk, Checkliste Augenheilkunde S. 44). In Verbindung mit der gängigen lateinischen Vorsilbe „pro“ (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, deutsch: für) ergibt sich ohne Weiteres auch die Bedeutung „für die Sehschärfe“.
Für die beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen kann PROVISUS daher unmittelbar zur Beschreibung dienen, und zwar in dem Sinn, dass sie für die Sehkraft/Sehschärfe bestimmt, hierauf bezogen sind oder diese zum Gegenstand haben können. Was die Pflegedienstleistungen anbetrifft, so kommt die Bedeutung von „ provisus “ im Sinn von „Fürsorge“ zum Tragen.
Dass „ provisus “ ein Wort der lateinischen Sprache ist, lässt das Allgemeininteresse an der Freihaltung von Monopolrechten nicht entfallen. Denn bereits in Anbetracht der betroffenen Bereiche Augenheilkunde und Medizin ist Latein nach wie vor Fachsprache. Ob breite Endabnehmerkreise keine Schwierigkeiten haben, den beschreibenden Charakter zu erfassen, ist letztlich nicht maßgeblich, weil jedenfalls der Fachverkehr die Bedeutung des Markenworts auch in der lateinischen Sprache kennt (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, Nr. 32 - Matratzen Concord; Ströbele/Hacker a. a. O. § 8 Rdn. 324, 325, 334).
Da nach dem Wortlaut des Gesetzes alle Angaben, die als Merkmalsbezeichnungen „dienen können", von der Registrierung ausgeschlossen sind, ist das Argument der Anmelderin - unbeschadet der sachlichen Richtigkeit -, eine tatsächliche Verwendung der Bezeichnung „Provisus" sei nicht belegt worden, unbehelflich (vgl. Ströbele/Hacker a. a. O. § 8 Rdn. 237).
Im Ergebnis ist der Markenstelle auch insoweit zu folgen, als diese der angemeldeten Bezeichnung für die von der Zurückweisung erfassten Dienstleistungen jegliche betriebskennzeichnende Hinweiskraft abgesprochen hat (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG). Denn eine unmittelbar dienstleistungsbeschreibende Angabe, wie sie hier vorliegt, vermag nicht die Hauptfunktion einer Marke zu erfüllen, den Abnehmern die Ursprungsidentität der unter der Marke erbrachten Dienstleistungen zu garantieren, indem sie es ihnen ermöglicht, diese von Dienstleistungen anderer Unternehmen zu unterscheiden (st. Rspr.; vgl. z. B. EuGH GRUR 2006, 229, Nr. 27 - BioID; BGH GRUR 2009, 411 - STREETBALL ; Ströbele/Hacker a. a. O. § 8 Rdn. 42, 43, 47). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. GRUR 2004, 674, Nr. 86 - Postkantoor) fehlt einer Wortmarke, die Merkmale von Waren - also auch Art, Beschaffenheit und Bestimmung - beschreibt, aus diesem Grunde zwangsläufig die Unterscheidungskraft in Bezug auf diese Produkte. Nichts Anderes gilt in Bezug auf Dienstleistungen.
Dass das Wort „ provisus “ sowohl mit „Sehkraft“ wie auch mit „Vor-/Fürsorge“ übersetzt wird, vermag die Schutzfähigkeit der Marke nicht zu begründen. Abgesehen davon, dass sich hier die jeweiligen Bedeutungen hinsichtlich der jeweils maßgeblichen Dienstleistungen aufdrängen, reicht es nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG aus, wenn das Zeichen oder die Angabe zur Beschreibung der Waren/Dienstleistungen verwendet werden kann. Ein Wortzeichen ist daher nach dieser Bestimmung von der Eintragung ausgeschlossen, wenn es zumindest in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal der in Frage stehenden Waren/Dienstleistungen bezeichnet (vgl. EuGH GRUR Int. 2004, 410, 412 Nr. 38 - BIOMILD; EuGH GRUR Int. 2004, 500, 507 Nr. 97 - Postkantoor). Das ist hier, wie ausgeführt, der Fall.
PROVISUS verkörpert somit für die hier maßgeblichen Dienstleistungen eine beschreibende Angabe gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, der zugleich jegliche Unterscheidungskraft nach Nr. 1 dieser Bestimmung fehlt.
Schließlich vermag die Anmelderin aus der Eintragung anderer - ihrer Ansicht nach ähnlicher - Marken mit dem Wort „Pro“, wie in der mündlichen Verhandlung aufgeführt (Pro Media; Pro Sun; Pro Medica; Pro Patiente), keinen Anspruch auf Eintragung der vorliegenden Anmeldung herzuleiten. Der Senat hat diese Ausführungen berücksichtigt, sieht sich aber nicht veranlasst, in gleichem Sinn zu entscheiden und die Eintragungshindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG unberücksichtigt zu lassen. Voreintragungen führen weder für sich noch in Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes zu einer Selbstbindung derjenigen Stellen, welche über die Eintragung zu befinden haben. Denn die Entscheidung über die Schutzfähigkeit einer Marke stellt keine Ermessens-, sondern eine Rechtsfrage dar (EuGH, GRUR 2004, 674 Nr. 43, 44 - Postkantoor; GRUR 2004, 428 Nr. 63 - Henkel; BGH GRUR 1997, 527, 529 - Autofelge; GRUR 2008, 1093, 1095 Nr. 18 - Marlene-Dietrich-Bildnis; BPatG GRUR 2007, 333, 335 ff. - Papaya; MarkenR 2007, 178, 180 ff. - CASHFLOW ; MarkenR 2007, 527, 531 - Rapido; BlPMZ 2008, 29 f. - Topline; bestätigt durch EuGH GRUR 2009, 667 Nr. 19 - Schwabenpost u. a.).
Die Markenstelle hat die angemeldete Marke nach alledem zu Recht in dem hier maßgeblichen Umfang von der Eintragung ausgeschlossen.