Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 07.04.2011


BPatG 07.04.2011 - 30 W (pat) 24/10

Markenbeschwerdeverfahren – "JURAWERK (Wort-Bild-Marke)" - Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
07.04.2011
Aktenzeichen:
30 W (pat) 24/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

BESCHLUSS

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2008 070 078.5

hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 7. April 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richterinnen Winter und Hartlieb beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Anmelderin werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. März 2009 und vom 12. November 2009 aufgehoben.

2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Bezeichnung

Abbildung

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2

ist am 4. November 2008 für die Dienstleistungen

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„Unternehmensberatung; Einziehung von Außenständen (Inkasso); Rechtsberatung und -vertretung; juristische Dienstleistungen“

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zur Eintragung als Wort/Bildmarke (farbig: rot HKS K 14 K) in das Markenregister angemeldet worden.

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Die Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die Anmeldung in zwei Beschlüssen - einer davon ist im Erinnerungsverfahren ergangen - wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Die Zusammensetzung aus den Wörtern „jura“ (= Rechtswissenschaft) und „werk“ (= Synonym für Arbeit, Beschäftigung, Tätigkeit, Firma, Unternehmen) habe die Bedeutung „juristische Angebots- und Erbringungsstätte, juristisches Unternehmen“ und benenne lediglich den Gegenstand, mit dem sich die angemeldeten Dienstleistungen beschäftigten. Die grafische Gestaltung sei nicht schutzbegründend, da die einfarbige Ausgestaltung der Wortelemente und die Trennung der Wörter durch einen Doppelpunkt gebräuchliche Hervorhebungsmittel seien.

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Die Anmelderin hat Beschwerde eingelegt und im Wesentlichen ausgeführt, der Verkehr sehe in der Bezeichnung „jura:werk“ einen unmittelbaren Herkunftshinweis auf die Anmelderin. So gebe auch eine entsprechende Internetrecherche nur Hinweise auf die Anmelderin. Die Wortneuschöpfung „jura:werk“ sei nicht unmittelbar beschreibend für die beanspruchten Dienstleistungen, in den angefochtenen Beschlüssen sei bei der Beurteilung der Schutzfähigkeit der angemeldeten Bezeichnung „jura:werk“ eine unzulässige zergliedernde Betrachtungsweise vorgenommen worden. Im Übrigen verweist die Anmelderin auf Voreintragungen mit dem Bestandteil „werk“ bzw. „jura“. Die Farbgestaltung sei nicht branchenüblich, der Doppelpunkt sei kein gebräuchliches Hervorhebungsmittel, sondern durchbreche den Lesefluss und stelle ein optisch hervortretendes Verfremdungsmittel dar.

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Die Anmelderin beantragt (sinngemäß),

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1. die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. März 2009 und vom 12. November 2009 aufzuheben sowie

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2. die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die zulässige Beschwerde der Anmelderin hat zu 1. auch in der Sache Erfolg. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Eintragungshindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG bestehen.

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Insbesondere kann der angemeldeten Bezeichnung nicht jegliche Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG abgesprochen werden.

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1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist nach ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf die Hauptfunktion einer Marke, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren bzw. Dienstleistungen zu gewährleisten, die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für die von der Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefasst zu werden (vgl. EuGH GRUR 2010, 228 Rn. 33 - Audi (Vorsprung durch Technik); GRUR 2006, 220 Rn. 27 - BioID; BGH GRUR 2010, 935 Rn. 8 - Die Vision; GRUR 2010, 138 Rn. 23 - ROCHER-Kugel; GRUR 2006, 850, 854 Rn. 18 - FUSSBALL WM 2006; MarkenR 2004, 39 - City Service). Die Unterscheidungskraft einer Marke ist dabei zum einen in Bezug auf die genannten Waren oder Dienstleistungen und zum anderen im Hinblick auf die Anschauung der maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen, die sich aus den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern dieser Waren oder Durchschnittsempfängern dieser Dienstleistungen zusammensetzen (vgl. EuGH GRUR 2008, 608 - EUROHYPO; MarkenR 2004, 99 - Postkantoor; BGH GRUR 2009, 411 - STREETBALL).

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Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind Wortmarken nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG wegen fehlender Unterscheidungskraft von der Eintragung ausgeschlossen, wenn ihnen entweder ein für die fraglichen Waren und Dienstleistungen im Vordergrund stehender beschreibender Begriffsgehalt zugeordnet werden kann (BGH GRUR 2005, 417, 418 - Berlin Card; GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch) oder wenn es sich um beschreibende Angaben handelt, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100 Rn. 23 - TOOOR!; GRUR 2009, 411 Rn. 9 - STREETBALL; GRUR 2006, 850 Rn. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 1998, 465, 468 - Bonus).

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Bei der Prüfung ist nach der Rechtsprechung des BGH von einem großzügigen Maßstab auszugehen, d. h. jede noch so geringe Unterscheidungskraft reicht aus, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2001, 1151 - marktfrisch). Allerdings darf die Prüfung dabei nicht auf ein Mindestmaß beschränkt werden, sondern sie muss vielmehr gründlich und vollständig ausfallen (vgl. EuGH WRP 2003, 735 - Libertel-Orange; a. a. O. - Postkantoor).

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2. Nach diesen Grundsätzen verfügt die angemeldete Bezeichnung „JURAWERK“ über die erforderliche Unterscheidungskraft.

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Die Markenstelle ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass die angemeldete Marke aus den Wortelementen „jura“ und „werk“ zusammengesetzt ist. Das Wort „Jura“ (Pluralform des lateinischen Wortes „ius“ = Recht) bedeutet „Rechtswissenschaft als Studienfach“, das Wort „Werk“ bedeutet u. a. „einer bestimmten (größeren) Aufgabe dienende Tätigkeit; Produkt (schöpferischer) Arbeit; Gesamtheit dessen, was jmd. in schöpferischer Arbeit hervorgebracht hat; technische Anlage, Fabrik, (größeres) industrielles Unternehmen“ (vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 6. Auflage 2006 [CD-ROM]). Der Bestandteil „Werk“ bezeichnet in Kombination mit einem anderen Substantiv die Gesamtheit von etwas, z. B. Blätter-, Karten- bzw. Mauerwerk, oder ein Werk, das etwas darstellt oder herbeiführt, als groß, umfangreich, z. B. ein Einigungs-, Reform- oder Vertragswerk (vgl. Duden a. a. O.).

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Der angesprochene Verkehr wird den jeweiligen Sinngehalt der beiden Wortbestandteile verstehen und insoweit einen beschreibenden Bezug zu den beanspruchten Dienstleistungen herstellen. Dies allein reicht aber nicht aus, um der angemeldeten Bezeichnung die Schutzfähigkeit abzusprechen. Das Vorliegen des Schutzhindernisses bemisst sich nämlich nicht nur danach an, ob etwaige Wortbestandteile für sich betrachtet unterscheidungskräftig sind; entscheidend ist vielmehr, ob dem durch die Verbindung der Bestandteile entstandenen Gesamtzeichen die Eignung zur betrieblichen Herkunftskennzeichnung fehlt (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, 678 (Nr. 99) - Postkantoor; GRUR 2004, 680, 681 (Nr. 40) - BIOMILD; Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl., § 8 Rdn. 120). Insoweit ist anerkannt, dass ein beschreibender Sinngehalt eines Markenwortes im Einzelfall durch eine hinreichend fantasievolle Wortbildung so weit überlagert sein kann, dass der Marke in ihrer Gesamtheit die erforderliche Unterscheidungskraft nicht mehr abzusprechen ist (vgl. z. B. BGH GRUR 1995, 408, 409 - PROTECH; BPatG GRUR 1997, 639, 640 - FERROBRAUSE; BPatG 32 W (pat) 50/05 - linguadict, 24 W (pat) 124/06 - derma fit, 24 W (pat) 95/07 - Heliocare, jeweils auf der Internetseite des Gerichts). Dies ist vorliegend zu bejahen.

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Durch die ungewöhnliche Verbindung des Wortes „jura“ mit dem Wort „werk“ entsteht eine neuartige Wortkombination, die aus sich heraus originell und insoweit ohne Weiteres individualisierend wirkt. Da „Jura“ die Rechtswissenschaft als Studienfach bezeichnet, sind entsprechende Zusammensetzungen üblich wie z. B. „Jurastudium, Juraausbildung, Juraprofessur“. In diesem Zusammenhang ist die Verbindung „Jurawerk“ ungewöhnlich und ohne Aussagegehalt, da eine Bedeutung „Rechtswissenschaftswerk“ - entsprechend der obengenannten Bedeutungen des Wortes „Werk“ in Kombination mit anderen Substantiven - weder als „Gesamtheit der Rechtswissenschaft“ noch als „umfangreiches Rechtswissenschaftswerk“ einen Sinn ergibt, soweit es um die vorliegend beanspruchten Dienstleistungen geht (anderes könnte etwa im Bereich der Warenklasse 16 gelten). Auch für ein Verständnis im Sinne eines „juristischen Unternehmens“ ergeben sich nach Auffassung des Senats keine Anhaltspunkte. Es ist fernliegend, dass der Verkehr hierfür das Wort „Jura“, das die Studienrichtung Rechtswissenschaft bezeichnet, mit dem Wort „Werk“, das ein (größeres) industrielles Unternehmen bezeichnet, kombiniert. Nach den Feststellungen des Senats ist es zum einen nicht üblich, eine Rechtsdienstleistung mit dem Wort „Jura“ zu bezeichnen, zum anderen wird in möglichen vergleichbaren Zusammensetzungen mit dem Bestandteil „Werk“ entweder die Bezeichnung eines Produkts oder die eines Anbieters zur Konkretisierung des Werks vorangestellt. Daher lag auch den von der Markenstelle herangezogenen Kombinationen mit dem Bestandteil „Werk“ eine abweichende Wortbildung zugrunde. Es ist daher davon auszugehen, dass der ungewöhnliche sprachliche Gesamteindruck der angemeldeten Bezeichnung hinreichende Unterscheidungskraft verleiht. Auf die gewählte grafische Gestaltung kam es insoweit nicht mehr an.

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Im Hinblick auf ihre fantasievolle Wortbildung unterliegt die angemeldete Marke ungeachtet etwaiger beschreibender Anklänge auch keinem Freihaltebedürfnis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

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Die Beschwerde hat daher insoweit Erfolg.

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Billigkeitsgründe, die die Rückzahlung der Beschwerdegebühr gem. § 71 Abs. 3 MarkenG rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.