Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 26.01.2012


BPatG 26.01.2012 - 30 W (pat) 16/11

Markenbeschwerdeverfahren – "dierechtler" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
26.01.2012
Aktenzeichen:
30 W (pat) 16/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2008 029 362.4

hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 26. Januar 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richterinnen Winter und Hartlieb

beschlossen:

Auf die Beschwerde des Anmelders werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 11. November 2009 und vom 12. Oktober 2010 aufgehoben.

Gründe

I.

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Die Bezeichnung

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dierechtler

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ist am 5. Mai 2008 für die Dienstleistungen

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"Beratung bei der Organisation und Führung von Unternehmen; Beratung in Fragen der Geschäftsführung; Verbraucherberatung; Organisationsberatung in Geschäftsangelegenheiten; organisatorische Beratung; Marketing (Absatzforschung); Werbung; Beratung bei der Gestaltung von Homepages und Internetseiten; Dienstleistungen eines Rechtsanwalts; Nachforschungen in Rechtsangelegenheiten; Rechtsberatung und -vertretung; Lizenzierung von Computersoftware (juristische Dienstleistungen); Vergabe von Lizenzen für Franchising-Konzepte"

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zur Eintragung als Wortmarke in das Markenregister angemeldet worden.

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Die Markenstelle für Klasse 45 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die Anmeldung in zwei Beschlüssen einer davon ist im Erinnerungsverfahren ergangen - wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Das Zeichen erschöpfe sich in einer in Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen im Vordergrund stehenden Sachaussage. Die angemeldete Bezeichnung "dierechtler" bestehe aus dem Wortstamm "Recht", der Endung "-ler" und dem Pluralartikel "die". Es handle sich dabei um einen den allgemeinen Verkehrskreisen bekannten Begriff mit klar umrissener Bedeutung. Die Endung "-ler" werde in der deutschen Sprache stets verwendet, um ein Wort, das ein Sachgebiet oder eine Sache beschreibt, dergestalt zu modifizieren, dass es die Personen bezeichne, die auf diesem Sachgebiet tätig seien oder mit der Sache in Verbindung stünden. So seien beispielsweise Sportler, Wissenschaftler, Radler, Hinterbänkler, Künstler zu nennen. Der Begriff "dierechtler" im Zusammenhang mit den beanspruchten Dienstleistungen besage, dass es sich um Personen handle, die auf dem Gebiet des Rechts tätig seien. Den beteiligten Verkehrskreisen seien Bezeichnungen für Fachjuristen durchaus geläufig (Strafrechtler, Familienrechtler, Steuerrechtler). Aber auch ohne Kenntnis dieser Art der Wortbildung ergebe sich der Bedeutungsgehalt des Einzelwortes "Rechtler" zwanglos und ohne Analyse. Die angesprochenen Verkehrskreise würden in dem Begriff lediglich die Bezeichnung für einen Juristen ohne spezielles Fachgebiet erkennen. Auch die Schreibweise sei nicht geeignet, die Schutzfähigkeit zu begründen. Das Zusammenschreiben des Artikels mit dem Substantiv und die Kleinschreibung seien üblich geworden und stellten keine die Eintragungsfähigkeit begründende Besonderheit dar. Auch wenn der angemeldete Begriff "dierechtler" zur Bezeichnung von Inhabern bestimmter land- und/oder forstwirtschaftlicher Nutzungsrechte verwendet werde, begründe dies nicht die Eintragungsfähigkeit des angemeldeten Zeichens. Auch durch die Komposition der Zeichenteile entstehe keine schutzfähige Gesamtmarke.

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Hiergegen hat der Anmelder Beschwerde eingelegt und im Wesentlichen ausgeführt, die angemeldete Marke werde im Verkehr als Unternehmenskennzeichen wahrgenommen. Die Markenstelle könne nicht darlegen, dass der Begriff "Rechtler" unmittelbar und nur als Hinweis auf die angemeldeten Dienstleistungen verstanden werde.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die zulässige Beschwerde des Anmelders hat in der Sache Erfolg. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Eintragungshindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG bestehen.

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Insbesondere kann der angemeldeten Bezeichnung nicht jegliche Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG abgesprochen werden.

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1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist nach ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf die Hauptfunktion einer Marke, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren bzw. Dienstleistungen zu gewährleisten, die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für die von der Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefasst zu werden (vgl. EuGH GRUR 2010, 228 Rn. 33 - Audi (Vorsprung durch Technik); GRUR 2006, 220 Rn. 27 - BioID; BGH GRUR 2010, 935 Rn. 8 - Die Vision; GRUR 2010, 138 Rn. 23 - ROCHER-Kugel; GRUR 2006, 850, 854 Rn. 18 - FUSSBALL WM 2006; MarkenR 2004, 39 - City Service). Die Unterscheidungskraft einer Marke ist dabei zum einen in Bezug auf die genannten Waren oder Dienstleistungen und zum anderen im Hinblick auf die Anschauung der maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen, die sich aus den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern dieser Waren oder Durchschnittsempfängern dieser Dienstleistungen zusammensetzen (vgl. EuGH GRUR 2008, 608 - EUROHYPO; MarkenR 2004, 99 - Postkantoor; BGH GRUR 2009, 411 - STREETBALL).

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Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind Wortmarken nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG wegen fehlender Unterscheidungskraft von der Eintragung ausgeschlossen, wenn ihnen entweder ein für die fraglichen Waren und Dienstleistungen im Vordergrund stehender beschreibender Begriffsgehalt zugeordnet werden kann (BGH GRUR 2005, 417, 418 - Berlin Card; GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch) oder wenn es sich um beschreibende Angaben handelt, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100 Rn. 23 - TOOOR!; GRUR 2009, 411 Rn. 9 - STREETBALL; GRUR 2006, 850 Rn. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 1998, 465, 468 - Bonus).

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Bei der Prüfung ist nach der Rechtsprechung des BGH von einem großzügigen Maßstab auszugehen, d. h. jede noch so geringe Unterscheidungskraft reicht aus, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2001, 1151 - marktfrisch). Allerdings darf die Prüfung dabei nicht auf ein Mindestmaß beschränkt werden, sondern sie muss vielmehr gründlich und vollständig ausfallen (vgl. EuGH WRP 2003, 735 - Libertel-Orange; a. a. O. - Postkantoor).

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2. Nach diesen Grundsätzen verfügt die angemeldete Bezeichnung "die rechtler" über die erforderliche Unterscheidungskraft.

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a) Die angemeldete Marke setzt sich aus den Elementen "die" und "rechtler" zusammen. Der Begriff "Rechtler" - auch "Holzrechtler" - wird zur Bezeichnung einer Gruppe von Personen verwendet, die über alte Nutzungsrechte aus dem Bereich der Holz- oder Waldwirtschaft verfügen. Diese spezielle Bezeichnung für die Inhaber von besonderen Nutzungsrechten hat aber in Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen keine unmittelbar beschreibende Bedeutung und steht auch sonst in keinerlei Bezug hierzu.

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b) Die Auffassung der Markenstelle, der Begriff "dierechtler" besage im Zusammenhang mit den beanspruchten Dienstleistungen, dass es sich um Personen handle, die auf dem Gebiet des Rechts tätig seien, ist zwar grundsätzlich zutreffend. Jedoch ist anerkannt, dass ein beschreibender Sinngehalt eines Markenwortes im Einzelfall durch eine hinreichend fantasievolle Wortbildung so weit überlagert sein kann, dass der Marke in ihrer Gesamtheit die erforderliche Unterscheidungskraft nicht mehr abzusprechen ist (vgl. z. B. BGH GRUR 1995, 408, 409 - PROTECH; BPatG GRUR 1997, 639, 640 - FERROBRAUSE; BPatG 32 W (pat) 50/05 - linguadict, 24 W (pat) 124/06 - derma fit, 24 W (pat) 95/07 - Heliocare, 30 W (pat) 23/10 - jurawerk, jeweils auf der Internetseite des Gerichts). Dies ist vorliegend zu bejahen.

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Zwar ist die Feststellung der Markenstelle zutreffend, dass die Endung "-ler" in der deutschen Sprache verwendet wird, um ein Wort, das ein Sachgebiet oder eine Sache beschreibt, dergestalt zu modifizieren, dass es die Personen bezeichnet, die auf diesem Sachgebiet tätig sind oder mit der Sache in Verbindung stehen wie z. B. Sportler, Wissenschaftler, Radler, Hinterbänkler, Künstler. Der Begriff "Rechtler" lässt sich aber - abgesehen von seiner ganz speziellen Bedeutung - nicht in diese Art der Wortbildung einreihen.

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So ist es zwar üblich, einen Fachjuristen entsprechend seinem Fachgebiet als Strafrechtler oder Zivilrechtler usw. zu bezeichnen; es finden sich auch Zusammensetzungen, in denen der Bestandteil "Rechtler" - bedingt durch die Verbindung mit Bindestrich - nahezu selbständig erscheint wie z. B. IT-Rechtler, IP-Rechtler, EDV-Rechtler usw. Dennoch ist es nicht üblich, dementsprechend einen Juristen, der sich nicht auf ein Fachgebiet spezialisiert hat, als "Rechtler" zu bezeichnen. Verwendet wird im Anwaltsbereich vielmehr die Bezeichnung "Allgemeinanwalt". Der von der Markenstelle als Bedeutung von "rechtler" angenommene Begriff "Allgemeinjurist" ist ebenfalls nicht gebräuchlich. Auch im universitären Bereich - wo Abkürzungen und Bezeichnungen wie z. B. "Wirtschaftler" oder "BWLer" üblich sind - spricht man nicht von "Rechtlern", sondern von Juristen. Die Verwendung des Wortes "Rechtler" zur Bezeichnung eines Juristen ist daher nicht sprachüblich.

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Vielmehr wirkt für den Verkehr, der die konkreten Begriffe Strafrechtler, Zivilrechtler usw. kennt, gerade die Verkürzung auf den Bestandteil "rechtler" bzw. die Personifizierung des Wortes "Recht" durch die Kombination mit der Endung "ler" ungewöhnlich und fremdartig. Er vermag allenfalls noch einen Anklang an das Wort "Recht" erkennen oder an eine Person, die ein irgendwie geartetes Recht innehat oder dieses beansprucht, ein konkreter Bedeutungsgehalt im Zusammenhang mit den beanspruchten Dienstleistungen erschließt sich ihm aber nicht.

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Durch die ungewöhnliche Verbindung des Wortes "Recht" mit der Endung "ler" entsteht somit eine neuartige Wortkombination, die aus sich heraus originell und insoweit ohne Weiteres individualisierend wirkt. Es ist daher davon auszugehen, dass der ungewöhnliche sprachliche Gesamteindruck der angemeldeten Bezeichnung hinreichende Unterscheidungskraft verleiht.

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3. Im Hinblick auf ihre fantasievolle Wortbildung unterliegt die angemeldete Marke ungeachtet etwaiger beschreibender Anklänge auch keinem Freihaltebedürfnis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

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Die Beschwerde hat daher Erfolg.