Entscheidungsdatum: 28.06.2016
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent 1 557 421
(DE 60 2004 006 367)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2016 durch den Vorsitzenden Richter Schramm, den Richter Dipl.-Chem. Dr. Egerer und die Richter Kätker, Dipl.-Chem. Dr. Jäger und Dipl.-Chem. Dr. Freudenreich
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 9. März 2004 beim Europäischen Patentamt in englischer Sprache angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten Patents 1 557 421 (Streitpatent), das die Priorität der italienischen Anmeldung IT MI 20032144 vom 7. November 2003 in Anspruch nimmt und vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 60 2004 006 367 geführt wird.
Das Streitpatent trägt die Bezeichnung „Polymorphous form of rifaximin as antibiotic“ und umfasst 15 Patentansprüche. Die nebengeordneten Patentansprüche 1, 10, 11 und 15 lauten wie folgt:
1. A purified rifaximin α, a polymorph of the antibiotic rifaximin, wherein said rifaximin α has a water content lower than 4.5%, and produces a powder X-ray diffractogram showing peaks at values of the diffraction angles 2θ of 6.6°; 7.4°; 7.9°; 8.8°; 10.5°; 11.1°; 11.8°; 12.9°; 17.6°; 18.5°; 19.7°; 21.0°; 21.4°; 22.1°.
10. A process for the production of rifaximin α, comprising drying rifaximin β under atmospheric pressure, or under vacuum, or in the presence of a drying agent, at a temperature between the room temperature and 105° C, for a period of time between 2 and 72 hours until said rifaximin β is converted into rifaximin α.
11. A composition comprising a predetermined amount of rifaximin α in combination with excipients suitable for oral administration.
15. A composition comprising the rifaximin α according to claim 1 in combination with pharmaceutically acceptable excipients.
Wegen des Wortlauts der übrigen Patentansprüche wird auf die Patentschrift EP 1 557 421 B1 (TM1) verwiesen.
Die Klägerin, die das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1, 2, 10 bis 12 und 15 angreift, macht die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der mangelnden Ausführbarkeit geltend. Sie stützt ihr Vorbringen auf folgende Dokumente:
TM5 Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts vom 08. Juli 2009
TM6 NORMIX® Beipackzettel (italienisch) (Stand: 1. Juni 2000)
TM6a deutsche Übersetzung von TM6
TM7 Medicinali Parte I, 2001, S. 904/905: Eintrag Rifacol® (italienisch)
TM7a deutsche Übersetzung von TM7
TM8 Australian Public Assessment Report for Rifaximin, November 2012, S. 1-11
TM9 Xifaxan® (rifaximin) Tablets, 550 mg, NDA 22-554 “Briefing Document for Gastrointestinal Drug Advisory Committee Meeting” vom 23. Februar 2010 der Firma Salix Pharmaceuticals, Inc., S. 1-11, 22-23, 115-125
TM10 Abstract P.256, Digestive and Liver Disease 42S (2010), S. 191, 192
TM11 NORMIX® Beipackzettel (rumänisch), (Stand: 29. November 2005)
TM11a deutsche Übersetzung relevanter Teile von TM11
TM11b (deklariert als „TM11“) Englische Übersetzung relevanter Teile der TM11
TM12 D. Braga et al., CrystEngComm 14 (2012) 6404-6411
TM13 EP 0 161 534 A2
TM14 Erklärung von G.C. Viscomi zu US 10/728,090 vom 10. Januar 2006
TM15 Gutachten Prof. Griesser v. 10. Februar 2015, u. a. zur Nacharbeitung der EP 0 161 534 A2
TM15a Stellungnahme von Prof. Griesser vom 19. Februar 2016 über Ergänzende Versuche
TM15b Versuchsbericht (Beispiel 1 der TM13) und Erklärung von Herrn Andreas Hotter v. 4. Mai 2016
TM16 R. Brückner et al., „Praktikum Präparative Organische Chemie“, Spektrum Akademischer Verlag, 2008, S. 60/61
TM17 J.-O. Henck et al., Pharm. Ind. 59, Nr. 2 (1997) 165-169
TM18 EMEA, ICH Topic Q 6 A "Test Procedures and Acceptance Criteria for New Drug Substances and New Drug Products", Mai 2000
TM19 J. J. Descombe et al., Int. J. Clin. Pharm. Res. XIV(2) (1994) 51-56
TM20 Röntgendiffraktogramm Rifaximin 550 mg / Placebo
TM20a Röntgendiffraktogramm Normix® Rifaximin 200 mg / Placebo
TM21 W. L. F. Armarego, D. D. Perrin: “Purification of Laboratory Chemicals”, 4th edition, Butterworth Heinemann, Oxford 2000, S. 12
TM22 S. Byrn et al., Pharmaceutical Research 12 (1995) 945-954
TM23 H. Sucker et al., „Pharmazeutische Technologie“, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 1991, S. 145-149 und 244 - 247
TM24 J. Haleblian et al., J. Pharm. Sci. 58 (1969) 911-929
TM25 „Ergänzende Argumente“ in tabellarischer Übersicht
TM26 BPatGE 20, 6 - Kristallformen
TM27 S. Q. Henwood et al., Drug Dev. Ind. Pharm. 26(4), (2000) 403-408
TM28 Überlappung Figur 1 der TM1 mit Referenz-Diffraktogrammen der Rifaximin Formen alpha und beta
TM29 Anlagenkonvolut:
TM29a B. Jestaedt in: FS für Pfeifer, 1996, S. 695-707
TM29b BGH v. 22. Februar 1994 (X ZR 56/91) - Spanplattenbindemittel
TM30 Auszug aus IMS Datenbank
TM31 Anlagenkonvolut Änderungsanzeigen TM31.1-TM31.27 in „Gazzetta Ufficiale“
TM32 A. Moretti et al., Clin Ter 2012; 163 (1), 33-38
TM33 Rivista Società Italiana di Medicina Generale, N.2 Aprile 2012, S. 40-54
TM34 S. Q. Henwood et al., Drug Dev. Ind. Pharm. 27(10), (2001) 1017-1030
TM35 Merck-Index, 1996, S. 1415
TM36 Versuchsbericht (Beispiele 9 und 10 der TM13) und Erklärung von Andreas Hotter v. 4. April 2016
TM37 Gutachterliche Stellungnahme von Prof. Daniels v. 1. April 2016 inkl. Anlagen a-c
a) Guideline CPMP/QWP/155/96
b) DSC Rifaximin gemäß Bsp. 1 der TM 13 ohne Trocknung
c) Versuchsbericht: Trocknungsverlust von Rifaximin Form beta
TM38 Ph. Eur. 4. Ausgabe (2002), 2.2.32 Trocknungsverlust, S. 57
TM39 G. Pelizza et al., II Farmaco 32 (1977) 471-481
TM40 Ph. Eur. 4. Ausgabe (2002), Monographie Rifampicin, S. 2804-2805
TM41 Anlagenkonvolut:
TM41a Dekret D. lgs 178/1991
TM41b Verordnung (EG) Nr. 1084/2003 der Kommission vom 3. Juni 2003
Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Gegenstand der angegriffenen Patentansprüche durch die vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents vorgenommene Vermarktung der Arzneimittel Normix (durch die Beklagte) und Rifacol (durch eine Lizenznehmerin der Beklagten) neuheitsschädlich vorweggenommen sei. Zwar verfüge die Klägerin über keine Produkte aus der Zeit vor dem Prioritätsdatum, jedoch seien beide Produkte gemäß verschiedener Belege vor dem Prioritätsdatum vertrieben worden und enthielten den Wirkstoff Rifaximin.
Dieser Wirkstoff habe in den vertriebenen Produkten schon immer die streitpatentgemäße Alpha-Form aufgewiesen. Dies belegten nicht nur verschiedene Hinweise in der vor und nach dem Prioritätsdatum veröffentlichten Fachliteratur sondern vor allem auch Äußerungen von Lizenznehmern bzw. Kooperationspartnern der Beklagten selbst. Hierzu verweist die Klägerin auf den Zulassungsbericht der australischen Zulassungsbehörde aus dem Jahr 2012 zum Produkt „Xifaxan“ (TM8), das den Wirkstoff Rifaximin enthält. Darin wird eine Äußerung der Antragstellerin wiedergegeben, wonach diese auf der Grundlage der Konsistenz des Herstellungsverfahrens davon ausgehe, dass die gegenwärtig hergestellte Alpha-Form schon immer produziert worden sei.
Auch weitere Hinweise, wie die behördlich vorgeschriebenen Veröffentlichungen zu Änderungen von Arzneimitteln und deren Herstellungsverfahren, sprächen dafür, dass sich das Herstellungsverfahren von Rifaximin nicht geändert habe, insbesondere nicht nach dem Prioritätsdatum des Streitpatents. Da die Analyse aktuell vertriebener Normix-Tabletten zeige, dass diese Rifaximin in der patentgemäßen Alpha-Form enthielten, müsse dies folglich auch für die vor dem Prioritätsdatum vertriebenen Produkte gelten. Die Beklagte habe im Übrigen auch nicht ausdrücklich bestritten, dass diese Produkte zumindest teilweise Rifaximin in der Alpha-Form enthielten.
Selbst wenn man der Beklagten in ihrem unsubstantiierten Vortrag folge, dass der Herstellungsprozess dahingehend geändert worden sei, dass der Wassergehalt des Wirkstoffs von weniger als 4,5% auf weniger als 2,5% beschränkt worden sei, dann müsse das vor dem Prioritätsdatum vertriebene Rifaximin im Bereich von bis zu 4,5% Wassergehalt und somit exakt in dem des Patentanspruchs 1 gelegen haben, mithin in der Alpha-Form bestanden haben.
Dabei komme es nicht darauf an, ob der Fachmann überhaupt in der Lage gewesen sei, die Alpha-Form in den vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents vertriebenen Arzneimitteln erkennen und herstellen zu können, da dies nach der Entscheidung BGH GRUR 2015, 1091, Rn. 32 – Verdickerpolymer I nicht erforderlich sei. Selbst wenn man die Analysierbarkeit und Reproduzierbarkeit eines vorbenutzten Stoffs fordern würde, so habe es für den Fachmann, der sich Normix-Tabletten als Wettbewerbsprodukt beschafft hätte, Möglichkeiten gegeben, die damals vertriebenen Tabletten zu analysieren. Dies zeige auch das Röntgendiffraktogramm TM20a.
Unter diesen Umständen obliege es nach den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislastumkehr der Beklagten, die über Informationen zum Herstellungsverfahren und zur Zusammensetzung der Rifaximin-Produkte vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents verfüge, ihre Behauptung zu substantiieren und ggf. zu beweisen, dass die vor dem Zeitrang des Streitpatents vermarkteten Produkte nicht Rifaximin α enthielten. Da sie alle Zulassungsunterlagen zu Normix und Rifacol in ihrer Verfügungsgewalt habe, sei ihr dies zumutbar. Die Beklagte treffe jedenfalls die sekundäre Darlegungslast. Ihr obliege es damit, zur Beschaffenheit der vorbenutzten Produkte bzw. zu deren Herstellungsverfahren substantiiert Stellung zu nehmen.
Sollte der Senat dieser Auffassung nicht folgen, so beantragt die Beklagte hilfsweise nach § 142 ZPO i. V. m. §§ 87, 99 Abs. 1 PatG, § 273 Abs. 2 Nr. 5 ZPO anzuordnen, dass die Beklagte die Dossiers für die Erstzulassung des Produkts Normix in Italien und Rumänien vorlegt, und zwar die jeweiligen Abschnitte zur Spezifikation des Wirkstoffs sowie alle regulatorisch veranlassten Änderungen, weiter die ursprüngliche rumänische Zusammenfassung der Produktmerkmale (SmPC) zum Produkt Normix von 1998 und schließlich die internen Unterlagen zum Herstellungsprozess von Normix-Produkten, aus denen sich die angebliche Vornahme der Änderung des Herstellungsprozesses im Zusammenhang mit der Einführung der Spezifikation von Rifaximin α in Italien im Jahr 2005 ergibt.
Auch durch die Druckschrift TM13 sei der Gegenstand der angegriffenen Patentansprüche neuheitsschädlich vorweggenommen. Fachmännische Nacharbeitungen des darin offenbarten Herstellungsverfahrens, insbesondere der Beispiele 1, 7, 9 und 10, führten zwangsläufig zum Erhalt von Produkten, die zumindest teilweise die patentgemäße Alpha-Form von Rifaximin enthielten. Dies zeigten sowohl die im Auftrag der Beklagten angefertigten Nacharbeitungen, wie sie in den Anlagen KW4, KW12 dokumentiert seien, als auch die im Auftrag der Klägerin durchgeführten Nacharbeitungen (TM15 bis TM15b; TM36). Soweit hierbei neben Rifaximin in der Alpha-Form auch solches in der Beta-Form erhalten werde, sei dies unschädlich, da die angegriffenen Patentansprüche nicht den Erhalt von reinem, sondern nur von gereinigtem, also gewaschenem Rifaximin α verlangten. Die Nacharbeitungen gemäß TM15 bis TM15b und TM36 seien im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten unter fachüblichen Bedingungen und nicht etwa rückschauend durchgeführt worden. Insbesondere werde im Beispiel 1 der TM13 ein Trocknungsschritt vom Fachmann als notwendig mitgelesen.
Sollte es der Senat dennoch nicht als erwiesen ansehen, dass die fachmännische Nacharbeitung der Druckschrift TM13 zu Rifaximin α führt, regt die Klägerin an, über das „zwangsläufige Ergebnis einer fachmännischen Nacharbeitung“ der Beispiele 1, 9 und 10 der TM13 ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Den Gegenständen der angegriffenen Patentansprüche fehle auch die erfinderische Tätigkeit. Ausgehend von der Druckschrift TM13 wäre der Fachmann ohne erfinderisches Tätigwerden zur patentgemäßen Alpha-Form von Rifaximin gelangt. Hierbei sei es üblich, dass Feststoffe, denen aufgrund der Herstellung bzw. Reinigung Wasser anhafte, standardmäßig getrocknet würden, was zur Umwandlung der Beta-Form in die Alpha-Form führe. Spätestens bei den im Rahmen der galenischen Entwicklung erforderlichen (Prä-) Formulierungstests wäre auch der „blinde“ Fachmann bei der Bestimmung des Feuchtegehalts auf die Alpha-Form gestoßen. Zur korrekten Bestimmung der Menge des enthaltenen Wirkstoffs hätte er den Feuchtegehalt des bei der Nacharbeitung enthaltenen Produkts bestimmen müssen. Wende er dabei das gängige Verfahren des Trocknungsverlusts an, so erhalte er dabei zwangsläufig Rifaximin α. Die Untersuchung der Eignung der Polymorphe als Medikament erfolge dann mit Routinemaßnahmen.
Auch der „sehende“ Fachmann, der Empfehlungen der Zulassungsbehörden beachte und sich vortaste, wäre zwangsläufig zu Rifaximin α gelangt. Er hätte im Hinblick auf Empfehlungen der Zulassungsbehörden der bekannten Neigung von Molekülen mit Rifamycin-Struktur zur Bildung von (Pseudo-)Polymorphen, aber auch wegen zu beobachtender Farbumschläge Untersuchungen zur Polymorphie des Wirkstoffs angestellt und eine geeignete Kristallform gesucht. Bei der Anwendung üblicher Untersuchungsmethoden, insbesondere der behördlich empfohlenen Röntgenpulverdiffraktometrie, wäre er unweigerlich auf die Formen α und β gestoßen.
Zudem sei die Lehre der angegriffenen Patentansprüche 1, 10 und 15 in ihrer vollen Breite nicht ausführbar. Danach sei Rifaximin α bei einem Wassergehalt von 3 bis 4,5% erhältlich. Die Erfinder selbst hätten jedoch in späteren Veröffentlichungen darauf hingewiesen, dass sich die Alpha-Form nur bei einem Wassergehalt von unter 3% bilde, während sich bei 4 bis 5% Wassergehalt die Delta-Form ergebe. Wie Rifaximin α mit einem Wassergehalt von 3 bis 4,5% erhalten werden könne, sei damit im Streitpatent nicht ausführbar offenbart.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 1 557 421 im Umfang der Patentansprüche 1, 2, 10 bis 12 und 15 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie verweist auf folgende Dokumente:
KW1 Tabelle erteilter Patente, welche die Priorität IT MI20032144 beanspruchen
KW2 M. Brufani et al., J. Antibiot. 37 (1984) 1623-1627
KW3 G. C. Viscomi et al., CrystEngComm 10 (2008) 1074-1081
KW4 Eingabe der Beklagten im Anmeldeverfahren des Streitpatents vom 2. Mai 2006
KW5 N. M. Bass et al., NEJM 362 (2010) 1071-1081
KW6 Klinisches Dossier von Xifaxan, Modul 3.2.P.2.2 „Drug Product (Rifaximin 550 mg, Tablets)“
KW7 Tabelle polymorpher Formen des Rifaximins
KW8 US 2012/077835 A1
KW9 Analysezertifikat für 14C-markiertes Rifaximin (1997)
KW10 Zusammenfassung von Brückner, Präparative Organische Chemie (1. Aufl. 2008), Spektrum Akademischer Verlag
KW11 EP 1 557 421 A1
KW12 Versuchsbericht v. 13. Mai 2010, eingereicht durch die Beklagte im EP-Beschwerdeverfahren
KW13 L.-F. Huang et al., Adv Drug Del Rev 56 (2004) 321-334
KW14 Marktzulassung von Rifaximina Sandoz (italienisch) (Gazzetta Ufficiale, suppl ord. N. 247, 10-11-2010)
KW14a Englische Übersetzung von KW14
KW15 Zusammenfassung der Produkteigenschaften (italienisch) von Rifaximina Sandoz, 2010
KW15a Englische Übersetzung von KW15
KW16 Zusammenfassung der Produkteigenschaften (italienisch) von NORMIX SmPC (2009, Italien)
KW16a Englische Übersetzung von KW16
KW17 C. Blandizzi et al., Pharm Res 85 (2014) 39-44
KW18 G. G. Z. Zhang et al., Adv Drug Del Rev 56 (2004) 371-390
KW19 Italienisches Amtsblatt (Gazetta Ufficiale Della Repubblica Italiana), 2005, n. 171, S. 155
KW20a Änderung der Produktspezifikation für Normix (italienisch), 10. Dezember 2004
KW20b Englische Übersetzung von KW20a
KW21 G. Yun Xu et al., J. Pharm. Sci. 103 (2014) 3688-3695
KW22 G. G. Gallo und P. Radaelli, „Rifampin”, Analytical Profiles of Drug Substance, Bd. 5, S. 467-489, K. Florey Ed., Academic Press. New York, 1976
KW23 Rifaximin form alpha – Single crystal data, Electronic supplementary material of TM12
KW24 A. Bacchi et al., New J. Chem. 32 (2008) 1725-1735
KW25 European Pharmacopoeia 6.5, Spezifikation Rifaximin 07/2009:2362, S. 4955-4957
TM25a Erwiderung der Beklagten auf die ergänzenden Argumente der Klägerin in Dokument TM25
Nach Auffassung der Beklagten ist der Gegenstand der angegriffenen Patentansprüche neu. Keines der vorveröffentlichten Dokumente, insbesondere nicht die vor dem Prioritätsdatum erstellten Produktinformationen und Beipackzettel zum Produkt Normix, enthielten Hinweise auf eine bestimmte Kristallform des Wirkstoffs Rifaximin.
Die insoweit beweispflichtige Klägerin habe die von ihr geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung von Rifaximin-Produkten, die angeblich bereits vor dem Prioritätsdatum die patentgeschützte Alpha-Form aufwiesen, nicht belegt.
Über Rifaximin-Tabletten aus dieser Zeit, die ohnehin nur eine Haltbarkeit von drei Jahren aufwiesen, verfügten weder die Klägerin noch die Beklagte. Dementsprechend könnten die als TM20 und TM20a vorgelegten Röntgen-Diffraktogramme keine Tablette aus dieser Zeit betreffen. Zudem seien darin die Auswirkungen des Herstellungsverfahrens einer Tablette als mögliche Störungen des Polymorphismus nicht berücksichtigt.
Der Zulassungsbericht TM8 sei acht Jahre nach dem Prioritätsdatum des Streitpatents veröffentlicht worden und könne keine Hinweise auf das Herstellungsverfahren vor dem Prioritätsdatum geben. Er enthalte auch nur Äußerungen der australischen Zulassungsbehörde, die wiederum bloße Hypothesen bzw. Spekulationen der Antragstellerin wiedergebe.
Entgegen dem Vortrag der Klägerin habe die Beklagte den Herstellungsprozess der Rifaximin enthaltenden Medikamente geändert. Mit der Einführung von Rifaximin α sei der Herstellungsprozess so angepasst worden, dass - bei einem im Wesentlichen gleichen Syntheseweg - reproduzierbar Rifaximin in der Alpha-Form hergestellt werde. Dementsprechend seien die Produktionsbetriebe zur Anpassung des Herstellungsprozesses angewiesen worden. Der Produktionsprozess sei auf der Grundlage des Beispiels 2 des Streitpatents hinsichtlich der Variation der Temperatur der Kristallisationsbedingungen verändert worden, was ursächlich dazu beitrage, ein homogenes Produkt zu erhalten. Insbesondere sei der Wassergehalt von 4,5% auf 2,5% geändert worden. Mit diesen Angaben habe die Beklagte ihren Mitwirkungspflichten genügt. Der hilfsweise gestellte Antrag der Klägerin auf Urkundenvorlage ziele auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis ab.
Im Gegensatz zu dem der Entscheidung BGH GRUR 2015, 1091, Rn. 32 – Verdickerpolymer I zugrunde liegenden Fall, bei dem es um eine Zusammensetzung bekannter Substanzen gegangen sei, handele es sich bei Rifaximin α um einen Stoff mit einer gänzlich neuen Struktur. Vor dem Prioritätsdatum sei der Polymorphismus von Rifaximin nicht bekannt gewesen. Vielmehr habe man die Resorptionseigenschaften von Rifaximin der Molekülstruktur zugeschrieben. Der Fachmann habe bei einem längst vermarkteten Wirkstoff keinen Anlass gehabt, die Kristallform von Rifaximin zu untersuchen. Insbesondere für ein Polymorphie-Screening habe kein Anlass bestanden. Die Identifizierung eines vorher unbekannten Polymorphs hätte für den Fachmann einen unzumutbaren Aufwand bedeutet, zumal Rifaximin dabei von den zusätzlichen Hilfsstoffen getrennt werden müsste und damit seine Kristallform verloren hätte. Selbst im Falle einer solchen Untersuchung hätte der Fachmann nicht erkannt, welche der zahlreichen Kristallformen im Röntgendiffraktogramm angezeigt werde, so dass er keineswegs zwangläufig zur Alpha-Form gelangt wäre.
Soweit in der TM39 aus dem Jahr 1977 der Polymorphismus des „Schwestermoleküls“ Rifampicin beschrieben werde, habe der Fachmann nach 26 Jahren keinen Anlass gehabt, dies auf Rifaximin zu übertragen. Gegen eine solche Übertragung von Erkenntnissen zu Rifampicin spreche auch, dass dieser Wirkstoff im Gegensatz zu Rifaximin systemisch wirke.
Die Gegenstände der angegriffenen Patentansprüche seien auch nicht durch die Druckschrift TM13 neuheitsschädlich offenbart, denn die Nacharbeitung der dort beschriebenen Verfahren führe nicht unmittelbar und zwangsläufig zum patentgeschützten Gegenstand. Bei der TM13 stehe ein industrielles Syntheseverfahren im Vordergrund, nicht die Aufarbeitung des Produkts. Insoweit lasse die TM13 erheblichen Spielraum bzw. viele Variationsmöglichkeiten. Die von der Klägerin vorgelegten Nacharbeitungen (TM15 bis TM15b; TM36) wiesen aber Verfahrensschritte (etwa Trocknungsschritte) und Parameter wie Kristallisierungsbedingungen auf, die nicht in der TM13 vorbeschrieben seien und damit eine Nacharbeitung in Kenntnis des Streitpatents zeigten. Insbesondere könne in das Beispiel 1 der TM13 kein Trocknungsschritt hineingelesen werden. Dies sei nach den Grundsätzen der Entscheidung BGH GRUR 2014, 758, Rn. 45 - Proteintrennung nur bei Verfahrensschritten zulässig, für die es keine weiteren Alternativen gebe. Zudem gehe aus den Nacharbeitungen nicht die zuverlässige Gewinnung von Rifaximin in der Alpha-Form hervor.
Die Druckschrift TM13 habe die Gegenstände der angegriffenen Ansprüche auch nicht nahe gelegt, so dass diese auf erfinderischer Tätigkeit beruhten. Hierzu gälten im Wesentlichen die gleichen Gründe, die auch gegen die Neuheitsschädlichkeit dieser Druckschrift sprächen. Ausgehend von der TM13 hätte der Fachmann zahlreiche Schritte unternehmen müssen, um zur Erfindung zu gelangen, etwa die Entdeckung des Polymorphismus von Rifaximin und die Entwicklung eines Herstellungsverfahrens mit geeigneten Bedingungen zur Aufarbeitung des Produkts. Ohne Kenntnis des Streitpatents sei die Identifizierung der Alpha-Form von Rifaximin mit seinem spezifischen Wassergehalt und den definierten Werten des Pulverröntgendiffraktogramms nicht möglich.
Auch für die mangelnde Ausführbarkeit habe die insoweit beweispflichtige Klägerin keinen Beleg erbringen können, insbesondere keine Versuchsdaten, aus denen hervorgehe, dass die Herstellung von Rifaximin α mit einem Wassergehalt von 3% bis 4,5% nicht möglich sei. Die Beklagte verweist auf die Druckschrift KW3, wonach Rifaximin α auch mit einem Wassergehalt von 3,0% bis 4,6% vorliegen könne. Die scheinbar widersprüchlichen Bereiche rührten daher, dass die Karl-Fischer-Analyse nicht zwischen absorbiertem Wasser und dem Wasser, das sich innerhalb des Kristallgitters befinde, unterscheiden könne. Zudem könnten auch bei gleichem Wassergehalt unterschiedliche polymorphe Formen vorliegen, wenn weitere Parameter, wie die Kristallisierungsbedingungen, unterschiedlich seien.
Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) und der mangelnden Ausführbarkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 b) EPÜ) gestützte Klage ist zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
I.
1. Das Streitpatent betrifft das Antibiotikum Rifaximin (INN; „The Merck Index“, XIII. Ed., 8304), das zur Rifamycin-Klasse gehört. Durch Fermentation ausgewählter Mikroorganismen-Stämme hergestellte Rifamycine und deren semisynthetischen Derivate, darunter Rifampicin, Rifabutin, Rifapentin sowie Rifaximin, sind antibakterielle makrozyklische Verbindungen, deren antibakterielle Wirkung auf der Hemmung der bakteriellen Proteinbiosynthese beruht. Das ausgehend von den Fermentations- und Aufarbeitungsprodukten Rifamycin O oder S synthetisierte Rifaximin wird im Magen-Darm-Trakt praktisch nicht resorbiert und hat deshalb eine besondere Bedeutung bei der Behandlung von bakteriellen Darmerkrankungen.
Sowohl das italienische Patent IT 1154655 als auch das europäische Patent EP 0 161 534 B1 beschreiben die Kristallisation von Rifaximin aus geeigneten Lösungsmitteln und Lösungsmittelsystemen, beispielsweise aus einem Gemisch aus 7 Volumenteilen Ethylalkohol und 3 Volumenteilen Wasser, mit nachfolgender Trocknung unter Atmosphärendruck oder unter Vakuum. Es wurden weder die experimentellen Bedingungen der Kristallisation und der Trocknung noch die kristalline Beschaffenheit der Produkte näher untersucht (vgl. EP 1 557 421 B1 Sp. 1 [0002]).
2. Davon ausgehend liegt dem Streitpatent die Aufgabe zu Grunde, eine homogene, stabile und pharmakologisch vorteilhaft verabreichbare Wirkstoffform von Rifaximin bereitzustellen (vgl. EP 1 557 421 B1 [0003] i. V. m. [0007] bis [0010]).
3. Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 durch
1) gereinigtes Rifaximin α,
1.1) ein Polymorphes von Rifaximin,
2) mit einem Wassergehalt von weniger als 4,5%
3) und einem Pulver-Röntgenstrahl-Diffraktogramm mit Linien bei Werten der Beugungswinkel 2Θ von 6,6; 7,4; 7,9; 8,8; 10,5; 11,1; 11,8; 12,9; 17,6; 18,5; 19,7; 21,0; 21,4 und 22,1.
Die Aufgabe wird ferner nach Patentanspruch 10 gelöst durch ein
A) Verfahren zur Herstellung von Rifaximin α umfassend
B) die Trocknung von Rifaximin ß
B.1) unter Atmosphärendruck,
B.2) unter Vakuum,
B.3) oder in Gegenwart eines Trocknungsmittels,
C) bei einer Temperatur zwischen Raumtemperatur und 105° C
D) über einen Zeitraum zwischen 2 Stunden und 72 Stunden,
E) bis das Rifaximin ß in Rifaximin α umgewandelt ist,
sowie nach den Patentansprüchen 11 und 15 durch vorbestimmte Mengen von Rifaximin α oder durch Rifaximin α gemäß Patentanspruch 1 enthaltende pharmazeutische Zusammensetzungen.
4. Als Fachmann ist ein Team anzusehen, das einen mit der Synthese, Aufarbeitung und Analytik pharmazeutischer Wirkstoffe vertrauten Chemiker der Fachrichtung organische Chemie sowie einen insbesondere mit der Analytik bereits formulierter Arzneimittelwirkstoffe vertrauten Pharmazeuten oder Chemiker umfasst.
5. Unter Polymorphismus ist die Eigenschaft bzw. Fähigkeit eines Feststoffs zur Ausbildung von mehr als einer kristallinen Erscheinungsform zu verstehen. Bei polymorphen Feststoffformen ein und derselben chemischen Verbindung, wie die im Streitpatent beanspruchte polymorphe Alpha-Form des Rifaximin (vgl. Merkmale 1, 1.1), bedingt die unterschiedliche Anordnung der Moleküle im Kristallgitter Unterschiede in den Eigenschaften dieser kristallinen Erscheinungsformen, beispielsweise unterschiedliche kinetische und thermodynamische Stabilität, Löslichkeit oder Bioverfügbarkeit. Jede dieser Kristallformen ist durch ein charakteristisches Röntgenstrukturspektrum gekennzeichnet, das in Pulverform oder an Einkristallen zur Bestimmung der Konstanten des Kristallgitters bzw. der Kristallzelle und der absoluten Raumstruktur im Feststoff aufgenommen wird. Diese für jede Kristallform charakteristischen Eigenschaften verschwinden, sobald die kristalline Feststoffform vollständig und rückstandsfrei aufgelöst ist. Den Polymorphen zugeordnet werden auch die verschiedenen Solvate, insbesondere Hydrate, die sich bei der Kristallisation einer chemischen Verbindung unter Beteiligung eines Lösungsmittels ausbilden. Sie werden oftmals als Pseudopolymorphe bezeichnet.
Gereinigtes Rifaximin a (vgl. Merkmal 1) bedeutet im Kontext des Streitpatents nichts anderes als im Wesentlichen reines Rifaximin a, in dem gegebenenfalls vorhandene Anteile anderer Erscheinungsformen sowie Nebenprodukte der chemischen Synthese unter der analytischen Nachweisgrenze liegen (vgl. TM1 Fig. 1 bis 3). Eine andere Auslegung des Merkmals 1 scheidet auf Grund der Beschreibung und Ausführungsbeispiele des Streitpatents aus, die ausschließlich die Herstellung und Isolierung der gereinigten Alpha-Form des Rifaximin mittels unterschiedlicher Arbeitsweisen, nicht aber die Herstellung und Verwendung von Gemischen verschiedener Kristallformen des Rifaximin zum Ziel haben. Damit übereinstimmend sind in dem Röntgenpulverdiffraktogramm der isolierten gereinigten Präparate von Rifaximin a (vgl. TM1 bzw. KW11, jeweils Fig. 1) keine Röntgenbeugungssignale erkennbar, die charakteristisch sind für die in der ursprünglichen Anmeldung ebenfalls hergestellten, isolierten und von Rifaximin a abgegrenzten Beta- und Gamma-Formen des Rifaximin (vgl. KW11 [0043] und [0044] i. V. m. Beisp. 2 und 6 und Fig. 2 und 3, sowie die nachveröffentlichte, gutachtlich zu wertende KW3 S 1078 Table 1).
In einer Zusammensetzung gemäß Patentanspruch 11 bedeutet „a predetermined amount of rifaximin a“ nichts anderes als das Einbringen einer vorbestimmten, festgelegten bzw. vorgegebenen Menge von Rifaximin in der Alpha-Form.
II.
Die angegriffenen Patentansprüche des Streitpatents erweisen sich als bestandsfähig. Ihnen kann die Patentfähigkeit und Ausführbarkeit nicht abgesprochen werden.
1. Der angegriffene Teil des Streitpatents ist ausführbar offenbart (Art. 83 EPÜ).
Die gereinigte Alpha-Form des Rifaximin (Merkmale 1, 1.1 und 3) mit einem Wassergehalt von weniger als 4,5% (Merkmal 2) ist unter Anwendung verschiedener, in nacharbeitbarer Weise beschriebener Verfahrensschritte - neben den Merkmalen A bis E des angegriffenen Anspruchs 10 auch die Verfahrensschritte der nicht angegriffenen Ansprüche 3 und 8 - ohne weiteres herstellbar. Denn das Streitpatent beschreibt anhand von insgesamt fünf Ausführungsbeispielen die Herstellung und Identifizierung von gereinigtem Rifaximin α mit einem Wassergehalt von weniger als 4,5%, konkret jeweils im Bereich von 2% bis 3%, sowie einem Röntgenpulverdiffraktogramm mit den anspruchsgemäßen Werten (vgl. TM1 Beisp. 2 bis 6 i. V. m. [0025] bis [0032]). Ausführbar ist damit auch das Verfahren gemäß Patentanspruch 10, das ausgehend von der Beta-Form zur Alpha-Form führt (vgl. TM1 Beisp. 1 [0047], [0048] i. V. m Beisp. 6 und [0035]).
Dass dabei Rifaximin a in gereinigter Form und damit ohne nachweisbare Mengenanteile anderer Erscheinungsformen und Nebenprodukte aus der chemischen Synthese erhalten wird, ergibt sich schon aus den analytischen Daten der betreffenden Ausführungsbeispiele einschließlich der Abwesenheit der für andere Erscheinungsformen des Rifaximin charakteristischen Röntgenbeugungssignale (vgl. TM1 Beisp. 2 bis 6 i. V. m. [0037] sowie Fig. 1 (a) vs. Fig. 2 (b) und Fig. 3 (g) i. V. m. [0005] ; Erläuterungen zu Fig. 2 und 3 siehe KW11, dazu gutachtlich die nachveröffentlichte KW3 S. 1078 Table 1).
Mängel in dem experimentellen Teil des Streitpatents, die Zweifel an der Ausführbarkeit des Gegenstands der angegriffenen Patentansprüche begründen könnten, sind nicht erkennbar.
Ausführbar ist auch die Bereitstellung von Zusammensetzungen gemäß den Patentansprüchen 11 und 15. Denn sowohl Zusammensetzungen mit einer vorbestimmten Menge an Rifaximin a als auch Zusammensetzungen mit Rifaximin in der gereinigten Alpha-Form mit den Merkmalen 2 und 3 sind ausgehend von der Lehre des Streitpatents ohne weiteres herstellbar (vgl. TM1 Beisp. 2 bis 6 i. V. m. [0040] bis [0044]). Insbesondere das Einbringen einer vorbestimmten, stabilen Menge an Rifaximin a in eine Zusammensetzung gemäß Patentanspruch 11, die in pharmazeutischer Hinsicht einen wesentlichen Teilaspekt der Erfindung des Streitpatents darstellt (vgl. TM11 [0018] i. V. m. [0036] und [0040]), ist zwingend an die zuverlässige und reproduzierbare Zugänglichkeit der gereinigten Alpha-Form gebunden und mittels der Lehre des Streitpatents erstmals möglich, so dass auch diesbezüglich die Ausführbarkeit außer Frage steht.
Die lückenlose Ausführbarkeit über die beanspruchte Breite ist ohnehin nicht zu fordern, vielmehr genügt ein zum Ziel führender Weg (vgl. BGH GRUR 2001, 813 - Taxol; BGH GRUR 2013, 1210 - Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren). Das Vorbringen der Klägerin, die Patentansprüche 1, 10, 11 und 15 seien nicht über ihre volle Breite ausführbar, vermag die Ausführbarkeit daher nicht in Frage zu stellen.
2. Der Gegenstand der angegriffenen Patentansprüche ist neu (Art. 54 EPÜ). Gereinigtes Rifaximin α mit einem Wassergehalt von weniger als 4,5% gemäß Patentanspruch 1, Verfahren zu seiner Herstellung gemäß Patentanspruch 10 sowie vorbestimmte Mengen von Rifaximin α oder gereinigtes Rifaximin α gemäß Patentanspruch 1 enthaltende pharmazeutische Zusammensetzungen (Patentansprüche 11 und 15) sind in den vorgebrachten Druckschriften weder vorbeschrieben noch neuheitsschädlich vorweggenommen oder offenkundig vorbenutzt, auch nicht durch Rifaximin enthaltende Arzneimittel, die bereits vor dem Zeitrang des Streitpatents zugelassen waren und in den Handel gelangt sind.
a) Die Neuheit eines Stoffes ist gegeben, wenn er sich in mindestens einem für ihn charakteristischen Parameter von bekannten Stoffen ausreichend und zuverlässig unterscheiden lässt (BGH GRUR 1972, 80, 84 - Trioxan). Dabei sind Stoffe gleicher chemischer Konstitution grundsätzlich als identisch anzusehen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich Stoffe trotz gleicher chemischer Konstitution in ihrer besonderen, die stoffliche Eigenschaft bestimmenden Erscheinungsform oder ihren Erscheinungsformen voneinander unterscheiden. Sind diese Erscheinungsformen im Stand der Technik nicht beschrieben und treten sie auch nicht bei der Herstellung des in seiner chemischen Konstitution bereits bekannten Stoffes nach den vorbeschriebenen Herstellungsverfahren zwangsläufig als eine dem Stoff - wenn auch unerkannt - immanente Eigenschaft auf, ist seine Neuheit anzuerkennen (BPatGE 20, 6 - Kristallformen). Aus einer im Nachhinein nicht mehr zu klärenden, durchaus plausiblen Möglichkeit der unerkannten Anwesenheit einer unbekannten Kristallform in Produkten des Standes der Technik, auch im Gemisch mit bekannten Erscheinungsformen, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass bei der Herstellung dieser Produkte gemäß dem Stand der Technik im Prioritätszeitpunkt stets die unbekannte Kristallform ohne Zutun entstanden bzw. angefallen ist und diese unbekannte Kristallform zum Stand der Technik gehört (vgl. BGH X ZR 58/08 v. 15. März 2011, Rn. 19 bis 26 - Monoklines Metazachlor).
b) Die Alpha-Form des Rifaximin weist gegenüber den vorgebrachten vorveröffentlichten Druckschriften die erforderliche Neuheit auf, da gereinigtes Rifaximin a als polymorphe Erscheinungsform des Rifaximin (Merkmale 1, 1.1) mit den charakteristischen stofflichen Merkmalen 2 und 3 daraus weder expressis verbis noch implizit zu entnehmen ist.
b.1) Zwar ist Rifaximin in seiner chemischen Konstitution, seiner Herstellung und seiner Anwendung als Arzneimittelwirkstoff bereits vorbeschrieben (vgl. z. B. TM13), jedoch ist die streitpatentgemäße gereinigte Alpha-Form des Rifaximin mit einem definierten Röntgenpulverdiffraktogramm und einem Wassergehalt von weniger als 4,5% (Merkmale 1 bis 3) in der TM13 nicht vorbeschrieben.
Im Einzelnen gehen aus der TM13, die ausweislich ihrer Bezeichnung ein neues Verfahren zur Synthese von Pyridoimidazo-Rifamycinen betrifft, keinerlei Anhaltspunkte für die Herstellung neuer Erscheinungsformen bereits bekannter Rifamycinderivate hervor. Die Ausführungsbeispiele 1, 4 und 6 bis 14 betreffen zwar 4-Deoxy-4’-methyl-pyrido[1’,2’:1,2]imidazo[5,4-c]rifamycin SV und damit Rifaximin, ohne jedoch unmittelbar oder in Verbindung mit der allgemeinen Beschreibung (vgl. TM13 S. 10 Z. 2 bis 15) konkrete Informationen zur Beschaffenheit der im Zuge der Aufarbeitung erhaltenen Feststoffe des Rifaximin und damit zu den Merkmalen 1 bis 3 zu vermitteln. So finden sich keinerlei Daten zum Lösungsmittelgehalt, insbesondere nicht zum Wassergehalt (Merkmal 2) der Aufarbeitungsprodukte und damit auch nicht zur möglichen Existenz von Solvatformen, insbesondere auch nicht von Hydraten, oder zur Festkörperstruktur des Rifaximin oder seiner Solvate bzw. Hydrate. Die lediglich allgemeine, nicht näher spezifizierte Angabe, dass ein kristallines Produkt erhalten werden konnte, findet sich nur in den Ausführungsbeispielen 1, 4, 6 und 7, nicht aber in den Ausführungsbeispielen 8 bis 14. Die Beschaffenheit des Rifaximin in festem Zustand steht damit ersichtlich nicht im Fokus der Lehre der TM13. Zudem fehlen jegliche Angaben oder Hinweise auf das Vorliegen einer besonderen Raumstruktur in den erhaltenen kristallinen Produkten. Selbst unter der Annahme eines Wassergehalts im Bereich des Merkmals 2 könnten sowohl mehrere Erscheinungsformen gleichen Wassergehalts mit unterschiedlicher Raumstruktur als auch mehrere Erscheinungsformen unterschiedlichen Wassergehalts mit unterschiedlicher Raumstruktur existieren.
b.2) Soweit die Klägerin ihr Vorbringen zur Neuheitsschädlichkeit auf in Verfahrensprodukten der TM13 gegebenenfalls unerkannt enthaltene Anteile der Alpha-Form des Rifaximin stützt und dabei auf in ihrem Auftrag angefertigte Versuchsberichte TM15 bis TM15b und TM36 zur Nacharbeitung einzelner Ausführungsbeispiele der TM13 und die in den Aufarbeitungsprodukten durch Röntgenpulverdiffraktometrie festgestellte Alpha-Form verweist, ist zunächst festzuhalten, dass in diesen Nacharbeitungen Verfahrensbedingungen zur Anwendung gelangt sind, in denen die experimentellen Bedingungen der TM13 geändert wurden.
In TM15 und TM15a wurde das Beispiel 1 der TM13 nachgearbeitet. Auf die erhaltenen Verfahrensprodukte wurden Trocknungsmaßnahmen angewandt, die weder aus den Beispielen noch aus der Beschreibung und Anspruchsfassung der TM13 hervorgehen.
In TM15 bis TM15b wurden in Beispiel 1 der TM13 fehlende Angaben zum Herstellungs- und Aufarbeitungsverfahren durch nach Ansicht der Klägerin allgemein gängige Bedingungen ergänzt. Insbesondere wurden auf die erhaltenen Syntheseprodukte Trocknungsmaßnahmen angewandt, die weder aus dem Beispiel 1 selbst noch aus den übrigen Beispielen oder der Beschreibung der TM13 hervorgehen. In den beiden Experimenten 1 und 2 der TM15b wurden darüber hinaus Konzentrationen für die Kristallisation gewählt, die in Beispiel 1 von TM13 ebenso wenig vorgegeben sind wie eine Trocknung unter konkreten Trocknungsbedingungen.
Entsprechendes gilt für TM36, in der die Beispiele 9 und 10 der TM13 nachgearbeitet und jeweils Gemische aus der Alpha- und Beta-Form des Rifaximin erhalten wurden. Die Arbeitsvorschriften der Beispiele 9 und 10 der TM13 enthalten zur Aufarbeitung der Reaktionsgemische, der Isolierung der Reaktionsprodukte in Feststoffform und gegebenenfalls deren Nachreinigung noch weniger Angaben als das Beispiel 1 der TM13 mit der Folge, dass in den Nacharbeitungsversuchen der TM36 - in Kenntnis der Existenz und der Eigenschaften des Rifaximin α und damit ex-post - im Vergleich zur Nacharbeitung des Beispiels 1 weitere zusätzliche Ergänzungen vorgenommen worden sind.
Die TM13, die ersichtlich auf die chemische Synthese mehrerer semisynthetischer Rifamycinderivate ausgerichtet ist, vermittelt deshalb auch keine nacharbeitbare Lehre zur gezielten Herstellung spezieller Kristallformen dieser semisynthetischen Derivate. Ein ausführbarer Weg zu gereinigtem Rifaximin a ist damit in der TM13 nicht offenbart, sodass dessen Neuheit gegenüber der TM13 außer Frage steht.
Eine Nacharbeitung in Kenntnis der streitpatentgemäßen Alpha-Form des Rifaximin und deren Herstellung sowie in Kenntnis der Ergebnisse und mechanistischen Schlussfolgerungen nachveröffentlichter Druckschriften (vgl. z. B. TM12, insbes. Scheme 2) unter Einsatz von in der TM13 nicht offenbarter Verfahrensbedingungen vermag deshalb die Neuheit des Gegenstands des Streitpatents nicht in Frage zu stellen. Dies gilt auch dann, wenn die Alpha-Form des Rifaximin zufällig und unerkannt, gegebenenfalls im Gemisch mit anderen noch unbekannten Erscheinungsformen des Rifaximin, entstanden sein sollte (vgl. BGH X ZR 58/08 v. 15. März 2011, Rn. 19 bis 26 - Monoklines Metazachlor).
Die übrigen seitens der Klägerin vorgebrachten vorveröffentlichten Druckschriften, soweit sich diese in irgendeiner Weise mit Rifaximin befassen (vgl. TM6, TM7, TM19), geben keinerlei Hinweise auf die Alpha-Form des Rifaximin mit den Merkmalen 1 bis 3. Aus der TM19 geht zwar hervor, dass Rifaximin als Wirkstoff des Arzneimittels Normix im Veröffentlichungsjahr 1994 der TM19 und damit bereits vor dem Zeitrang des Streitpatents vermarktet wurde (vgl. TM19 S. 51 re. Sp. Abs. 1). Es ergeben sich daraus jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die seinerzeit vermarkteten Präparate bereits Rifaximin in der Alpha-Form enthalten haben könnten. Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich das Vorliegen von Rifaximin a in diesen Präparaten auch nicht daraus ableiten, dass Rifaximin eine „vernachlässigbare Absorption“ zeige (vgl. TM19 Summary le Satz), zumal, wie sich später herausgestellte, nicht nur die Alpha-Form, sondern auch andere Erscheinungsformen des Rifaximin „vernachlässigbare Absorption“ vergleichbarer Größenordnung zeigen (vgl. KW3 z. B. S. 1080 Table 7).
Auch die seitens der Beklagten ins Verfahren eingeführten vorveröffentlichten Druckschriften KW2 und KW9, die sich mit Rifaximin befassen, beschreiben weder die Alpha-Form des Rifaximin expressis verbis, noch nehmen sie diese Kristallform neuheitsschädlich vorweg. Die KW2, die ausweislich ihres Titels die Kristallstruktur eines bromierten semisynthetischen Rifamycins untersucht, nimmt zwar Bezug auf Rifaximin (Rifamycin L 105) und stellt einen Strukturvergleich anhand von 1H-NMR-Spektren an. Eine Kristallstruktur von Rifamycin L 105 wird jedoch nicht untersucht und auch nicht hergestellt (vgl. KW2 Abstract i. V. m. S. 1623 le. Abs., S. 1624 Table 1 sowie S. 1625 Table 2). Die KW9 betrifft ein Analysenzertifikat für 14C-markiertes Rifaximin und bezieht sich auf Analysendaten aus dem Jahr 1997. Die radioaktiv markierte Charge von Rifaximin wurde durch Rekristallisation eines Gemisches aus 14C-markiertem und nicht markiertem Rifaximin hergestellt, wobei Lösungsmittel durch Filtration entfernt und das radioaktiv markierte Rifaximin getrocknet wurde. Angaben zur Herstellung der eingesetzten Chargen des Rifaximin und zu den Kristallisationsbedingungen gehen aus KW9 nicht hervor.
b.3) Soweit sich die Klägerin auf nachveröffentlichte Druckschriften stützt, die Rifaximin α betreffen, und daraus auf die neuheitsschädliche Vorwegnahme der Alpha-Form vor dem Zeitrang des Streitpatents schließt, greift auch dieses Vorbringen nicht.
Obwohl der rumänischsprachige Beipackzettel TM11 (TM11a), in dem Rifaximin a als wirksamer Bestandteil des Arzneimittels Normix expressis verbis benannt wird, lediglich etwas mehr als ein Jahr nach dem Zeitrang des Streitpatents erstellt ist, lässt sich daraus nicht schließen, dass Rifaximin bereits vor dem Zeitrang des Streitpatents in der Alpha-Form bekannt war oder in der Alpha-Form verabreicht wurde. Vielmehr spricht alles dafür, dass die Lehre bzw. Erfindung des Streitpatents nach Maßgabe der anzuwendenden Zulassungsrichtlinien erst unmittelbar nach dem Prioritätstag des Streitpatents umgesetzt wurde.
Soweit sich die Klägerin auf die nachveröffentlichte TM8 und dabei darauf bezieht, dass die zum Veröffentlichungszeitpunkt der TM8 produzierte Alpha-Form des Rifaximin schon immer produziert und die Alpha-Form auch bereits in der Studie RFPK9801 herangezogen worden sei (vgl. TM8 S. 9 le. Abs. unterhalb Table 3 bis S. 10 Abs. 1), handelt es sich lediglich um eine Annahme bzw. Vermutung („...the company assumes...“, „...it is assumed...“). Dies zeigt auch der vorletzte Satz der zitierten Textstelle „In clinical trials conducted since the existence of polymorphism was discovered, the drug has always been used as the alpha form“, woraus zwangsläufig hervorgeht, dass die Verfasser der TM8 ihre Ausführungen auf die Lehre des Streitpatents „...since the existence of polymorphism was discovered...“ - gemeint ist das erstmalige Auffinden polymorpher Strukturen des Rifaximin in der Anmeldung bzw. Priorität des Streitpatents - gestützt haben (vgl. TM8 S. 8 Abs. 2 unterhalb Fig. 1 sowie S. 9 vorle. Abs. unmittelbar vor Table 3).
Das weitere Vorbringen der Klägerin, Lizenznehmer bzw. Kooperationspartner der Beklagten hätten auf das Vorliegen der Alpha-Form in den vor dem Zeitrang des Streitpatents vertriebenen Produkten hingewiesen, insbesondere darauf, dass auf der Grundlage der Konsistenz des Herstellungsverfahrens des Wirkstoffs Rifaximin davon auszugehen sei, dass die im Zeitpunkt der TM8 hergestellte Alpha-Form schon immer produziert worden sei, ist unbelegt und unsubstantiiert. Im Übrigen wird bei behördlich vorgeschriebenen Veröffentlichungen zu Änderungen von Arzneimitteln und deren Herstellungsverfahren das Know-How des Herstellungsverfahrens eines Wirkstoffs jedenfalls in der maßgeblichen Richtlinie der EMA „Guideline on Active Substance Master File (ASMF) Procedure“ gegenüber der Öffentlichkeit als vertraulich geschützt eingestuft. In der Regel enthält der zugängliche Teil des ASMF lediglich ein Fließschema des Herstellungsverfahrens, während zu dem der Öffentlichkeit nicht zugänglichen, vertraulichen Teil detaillierte Informationen zu einzelnen Verfahrensschritten des Herstellungsverfahrens, insbesondere Reaktionsbedingungen, Temperatur, Lösungsmittel, Reinigungsschritte gehören. Insofern ist das Vorbringen der Klägerin nicht schlüssig.
Auch der Auffassung der Klägerin, der Feuchte- bzw. Wassergehalt des Wirkstoffs Rifaximin zwischen 2,5 und 4% gemäß den Änderungsanzeigen (vgl. KW20a, KW20b), die erst nach der Priorität IT MI20032144 vom 7. November 2003, in der bereits Rifaximin a offenbar ist, vorgenommen worden sind, lasse den Schluss zu, dass die Alpha-Form des Rifaximin gemäß Patentanspruch 1 bereits in den vor dem Zeitrang des Streitpatents vertriebenen Präparaten vorhanden gewesen sei, kann der Senat nicht folgen. Denn mit der Angabe eines Wassergehalts von 2,5 bis 4% sind noch nicht alle stofflichen Merkmale des Patentanspruchs 1 erfüllt. Vielmehr können in diesem Bereich sowohl Erscheinungsformen gleichen Wassergehalts mit unterschiedlicher Raumstruktur als auch Erscheinungsformen unterschiedlichen Wassergehalts mit unterschiedlicher Raumstruktur existieren. Entsprechendes trifft auch für die Angabe nicht näher spezifizierter polymorpher Formen in nachveröffentlichten Zulassungsunterlagen zu (vgl. TM31.1, TM31.1b). Die Angaben in KW20 und TM31.1 stehen vielmehr im Einklang damit, dass die durch die Erfindung des Streitpatents zugängliche Lehre der Aufarbeitung der Reaktionsprodukte mit dem Ziel des Erhalts der Alpha-Form des Rifaximin - entsprechend der üblichen Praxis - erst unmittelbar nach dem Zeitrang des Streitpatents in die Zulassungsunterlagen bzw. in die Herstellerinformationen aufgenommen wurde.
c) Die Neuheit ist auch einem Verfahren zur Herstellung von Rifaximin a gemäß dem angegriffenen Patentanspruch 10 nicht abzusprechen. Denn aus keiner der vorgebrachten vorveröffentlichten Druckschriften geht ein Verfahren zur Herstellung der Alpha-Form ausgehend von der Beta-Form des Rifaximin mit sämtlichen Merkmalen A bis E des Patentanspruchs 10 hervor.
Aus der TM13, die sich ausschließlich mit der chemischen Synthese von Rifaximin befasst, ist weder aus den Ausführungsbeispielen noch aus der allgemeinen Beschreibung ein Trocknungsverfahren unter Atmosphärendruck oder unter Vakuum bei einer Temperatur zwischen Raumtemperatur und 105 Grad Celsius über einen Zeitraum von 2 bis 72 Stunden zu entnehmen, insbesondere nicht ausgehend von der Beta-Form des Rifaximin bis zu deren (vollständiger) Umwandlung in die Alpha-Form des Rifaximin.
In der allgemeinen Beschreibung und in den Beispielen 1, 4 und 7 der TM13, die zu einem kristallinen Produkt führen, sind weder die Zeit noch die Anfangstemperatur des Kristallisationsvorgangs noch genaue Druckangaben der Trocknung vorgegeben (vgl. TM13 S. 10 Z. 7 bis 15; S. 11 Beisp. 1 le. Abs., S. 15 Beisp. 4 vorle. Z. bis S. 16 Z. 2, S. 18 Beisp. 7). Lediglich für das Beispiel 6 ist zwar das Auskristallisieren des Endprodukts Rifaximin direkt aus dem Reaktionsgemisch durch bloßes Stehenlassen für 2 Tage bei einer Temperatur von etwa 5° C und nachfolgende Filtration und Trocknung beschrieben (vgl. TM13 S. 17 Beisp. 6). Die Temperatur des Beispiels 6 liegt mit etwa 5° C jedoch außerhalb der anspruchsgemäßen Vorgaben, während Angaben zu den Trocknungsbedingungen völlig fehlen. Experimentelle Einzelheiten, die es ermöglichen könnten, zur gereinigten Alpha-Form des Rifaximin zu gelangen, insbesondere ein Hinweis auf die Umwandlung der Beta-Form in die gewünschte Alpha-Form des Rifaximin, sind aus der TM13 nicht zu entnehmen.
Der Einwand der Klägerin, es handle sich bei den von ihr gegenüber TM13 vorgenommenen Ergänzungen und Änderungen um fachübliche Maßnahmen, greift auch deshalb nicht, weil auf dem Gebiet der Kristallformen bzw. (pseudo)polymorphen Strukturen im Einzelfall keine Vorhersagen möglich sind, insbesondere dann nicht, wenn wie hier zu Rifaximin im Stand der Technik noch keinerlei Informationen verfügbar sind. Vielmehr liegt die Erfindung des streitpatentgemäßen Verfahrens gerade darin, aus einer großen Anzahl sich bietender, an sich fachüblicher Maßnahmen - ohne eine vorgefertigte, in Kenntnis der Existenz der Alpha-Form des Rifaximin zielgerichtete Erwartungshaltung und damit ohne ex-post Betrachtung - diejenige Auswahl zu treffen, die zu gereinigtem Rifaximin a führt. Der Auswahl eines solchen Verfahrens ist die Neuheit nicht abzusprechen.
Aus der vorveröffentlichten KW9, die ein Analysenzertifikat für 14C-Rifaximin betrifft, geht zwar die Rekristallisation eines Gemisches aus radioaktiv markiertem und unmarkiertem Rifaximin hervor, wobei ein nicht näher beschriebenes Lösungsmittel durch Filtration entfernt und das radioaktiv markierte Präparat getrocknet wurde. Es fehlen jedoch Angaben zu den Kristallisationsbedingungen.
d) Rifaximin α mit den Merkmalen 1 bis 3 ist auch nicht offenkundig vorbenutzt.
Zu dem zur Neuheitsprüfung des Rifaximin a maßgeblichen Stand der Technik gehört auch das, was vor dem Zeitrang des Streitpatents der Öffentlichkeit durch Benutzung zugänglich gemacht worden ist. Für die Beurteilung einer offenkundigen Vorbenutzung ist anhand konkreter Angaben darzulegen, welcher Gegenstand auf welche Weise, durch wen, zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort öffentlich zugänglich gemacht worden ist (vgl. z. B. Schulte PatG 9. Aufl., § 59 Rn. 109 bis 119).
d.1) Bereits nach früherer Rechtslage war die Vorbenutzung einer technischen Lehre, die in einem benutzten Gegenstand verkörpert, durch bloße Sinneswahrnehmung aber nicht zu erkennen war, nur dann offenkundig, wenn die nicht zu fern liegende Möglichkeit bestand, dass Fachkundige eine die technische Lehre enthüllende nähere Untersuchung des vorbenutzten Gegenstands vornehmen (Busse, Patentgesetz, 8. Aufl., § 3 Rn. 24).
Auch nach heutiger Rechtslage wird davon ausgegangen, dass Informationen über die Zusammensetzung oder die innere Struktur eines Erzeugnisses bzw. Produkts der Öffentlichkeit grundsätzlich (nur dann) zugänglich gemacht werden, wenn der Fachmann unter Verwendung von Analysen-, Aufarbeitungs- und Trenntechniken, die ihm vor dem Anmelde- oder Prioritätstag zur Verfügung standen, einen unmittelbaren, eindeutigen Zugang zu dem Erzeugnis bzw. Produkt oder Stoff hatte bzw. das Erzeugnis, das Produkt oder den Stoff ohne große Schwierigkeiten reproduzierbar herstellen konnte. Auf die Wahrscheinlichkeit der Analyse und den erforderlichen Aufwand für Analyse und Verfahrenstechnik kommt es nicht an (vgl. Busse a. a. O., Rn. 46 m. w. N.; Benkard, Patentgesetz, 11. Aufl., § 3, Rn. 131; Schulte, Patentgesetz, 9. Aufl., § 3, Rn. 52; BGH GRUR 1986, 372 - Thrombozytenzählung; BPatGE 53, 66 - Offenkundige Vorbenutzung durch Vertrieb eines pharmazeutischen Erzeugnisses).
d.2) Nach diesen Grundsätzen ist die Lehre der angegriffenen Patentansprüche nicht durch den Vertrieb von Rifaximin a enthaltenden Tabletten vor dem Prioritätstag öffentlich zugänglich geworden. Während aus den diesbezüglich vorgebrachten Druckschriften zwar hervorgeht, auf welche Weise, durch wen, wann und wo Arzneimittel benutzt wurden, die Rifaximin als Wirkstoff enthalten (vgl. TM6, TM7), ist auch für den Fachmann der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents und damit eine Benutzung von gereinigtem Rifaximin α mit den Merkmalen 1 bis 3 vor dem Zeitrang des Streitpatents nicht offenkundig geworden, weder durch die Handelsprodukte Normix und Rifacol in der vor dem Zeitrang des Streitpatents verfügbaren Form, noch durch deren Zulassungsdaten und Herstellerinformationen, soweit öffentlich zugänglich (vgl. TM6, TM7, TM31). Dies gilt mangels verfügbarer analysierbarer Proben auch unter der Annahme, dass die vor dem Zeitrang des Streitpatents vertriebenen Tabletten bereits teilweise Rifaximin in der Alpha-Form enthalten haben. Denn selbst dann ist die in den angegriffenen Patentansprüchen enthaltene Information bzw. Lehre über die Alpha-Form von Rifaximin nicht Stand der Technik i. S. d. Art. 54 EPÜ geworden. Auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage der Beweislastumkehr bzw. der sekundären Darlegungslast der Beklagten kommt es damit - mangels Erheblichkeit - nicht an.
Hierbei kann es dahingestellt bleiben, ob der Fachmann die vor dem Prioritätstag vertriebenen Rifamixin als Wirkstoff enthaltenden Tabletten analysiert hat, weil Mitbewerber nach der Lebenserfahrung regelmäßig daran interessiert sind, neue Mittel auf ihrem Arbeitsgebiet in Bezug auf deren Zusammensetzung, Anwendung und Wirkungsweise kennenzulernen, sei es um sie mit ihren eigenen Erzeugnissen zu vergleichen, sei es um Anregungen für die Weiterentwicklung solcher Erzeugnisse zu gewinnen (BGH GRUR 1986, 372, II.3b) - Thrombozytenzählung). Jedoch hätte der Fachmann die in den vor dem Prioritätstag des Streitpatents vertriebenen Tabletten verkörperte Lehre bei einer Analyse nicht oder allenfalls nach übermäßigen, das durchschnittliche Können übersteigenden Schwierigkeiten bzw. Überlegungen (vgl. BGH GRUR 1986, 372, 374, II.3 d) - Thrombozyten-Zählung; BPatGE 53, 66 - Offenkundige Vorbenutzung durch Vertrieb eines pharmazeutischen Erzeugnisses), mithin erst unter Aufbietung erfinderischen Tätigwerdens entnehmen können.
Obwohl der Wettbewerber vor dem Zeitrang des Streitpatents ohne Weiteres Anlass zur Analyse des Rifaximin als Wirkstoff ausweisenden Medikaments hatte, konnte er aus den Ergebnissen solcher Analysen keine Schlussfolgerungen auf das Vorhandensein der Alpha-Form des Rifaximins ziehen und deshalb auch keinerlei Anhaltspunkte und Anregungen entnehmen, die ihn zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 hätten hinführen können.
Zunächst ist zu unterscheiden zwischen der vor dem Zeitrang des Streitpatents verfügbaren Möglichkeit der Analysen-, Aufarbeitungs- und Trenntechniken einerseits und der Eignung dieser technischen Mittel zum Nachweis bzw. Identifizierung der Alpha-Form in der Tablette und damit zur Offenkundigkeit der geltend gemachten Vorbenutzung andererseits.
Der Fachmann war zwar vor dem Zeitrang des Streitpatents in der Lage, die seinerzeit im Handel erhältlichen Tabletten zu analysieren, und er konnte dabei ohne weiteres sowohl deren Gesamtwassergehalt feststellen als auch Röntgenpulverdiffraktogramme aufnehmen. Aus den Röntgendiffraktogrammen war es ihm jedoch wegen fehlender Informationen zu Vorkommen und Herstellung jedweder Erscheinungsformen des Rifaximin und damit mangels Verfügbarkeit eines Standards von Rifaximin a und/oder anderer polymorpher Formen nicht möglich, die Alpha-Form nachzuweisen. Damit ist der nicht nachweisbaren Alpha-Form auch nicht ein bestimmter Wassergehalt zuordenbar, erst recht nicht dann, wenn die Alpha-Form lediglich anteilig in einer Mischung verschiedener Festformen des Rifaximin vorgelegen haben sollte.
Unabdingbare Voraussetzung für den Nachweis der Alpha-Form des Rifaximin in den vor dem Zeitrang des Streitpatents vertriebenen Medikamenten und damit für deren offenkundige Vorbenutzung ist die Herstellbarkeit des Rifaximin a in gereinigter Form und damit die Verfügbarkeit von Rifaximin α als Standard. Eine technische Lehre zur Herstellung der gereinigten Alpha-Form des Rifaximin ergab sich jedoch weder aus der TM13 noch aus den übrigen Rifaximin betreffenden vorveröffentlichten Druckschriften. Der erforderliche Standard stand damit vor dem Zeitrang des Streitpatents nicht zur Verfügung.
Mangels Verfügbarkeit eines Standards für die Alpha-Form und/oder für andere polymorphe Formen des Rifaximin konnte aus den Röntgenbeugungssignalen eines Pulver-Röntgendiffraktogramms des Tablettenmaterials weder der Nachweis der Anwesenheit der Alpha-Form des Rifaximin geführt werden, noch war es möglich, mittels weiterer analytischer Daten, wie dem ohne weiteres ermittelbaren Gesamtwassergehalt der Tablette, zu dieser Erscheinungsform zu gelangen.
Die Anwesenheit der Alpha-Form des Rifaximin konnte deshalb in den Handelsprodukten Normix und Rifacol nicht durch Analysen festgestellt werden. Sämtliche vorhandenen kristallinen Erscheinungsformen erzeugen im Röntgenpulverdiagramm ein Gesamtspektrum von sich überlagernden Signalen, das nur mit Hilfe zuverlässiger Standarddaten auflösbar und die einzelnen Signale einer oder mehrerer gegebenenfalls bekannter Erscheinungsform(en) zuordenbar sind.
Der Verfügbarkeit eines für die Offenkundigkeit der Vorbenutzung erforderlichen Standards der gereinigten Alpha-Form des Rifaximin mit den Merkmalen 1 bis 3 scheitert an einem verfügbaren Herstellungsverfahren, das seinerseits, wie nachfolgend dargelegt, erst mit einer erfinderischen Leistung zugänglich ist.
d.3) Soweit die Klägerin ihr Vorbringen zur offenkundigen Vorbenutzung von Rifaximin a auf Röntgenpulverdiffraktogramme von Normix in der nach dem Zeitrang des Streitpatents erhältlichen Darreichungsform stützt (vgl. z: B: TM20, 20a), bedient sie sich der Lehre des Streitpatents und anderer nachveröffentlichter Ergebnisse und Erkenntnisse und damit einer unzulässigen ex-post Betrachtung. Ein solcher Nachweis scheitert schon daran, dass das Zieldiffraktogramm der Alpha-Form des Rifaximins vor dem Zeitrang des Streitpatents unbekannt war. Damit fehlte jedenfalls ein Standard zur Analyse von vor dem Zeitrang des Streitpatents vertriebenem Normix und/oder Rifacol und demzufolge die Möglichkeit, die gegebenenfalls zumindest anteilig vorhandene Alpha-Form des Rifaximin anhand des Diffraktogramms zu erkennen bzw. festzustellen.
Obwohl der Wassergehalt von Tabletten durch übliche analytische Arbeitsweisen, insbesondere nach Karl-Fischer, ohne weiteres festgestellt werden kann, ist eine Zuordnung der auf diese Weise ermittelten Werte zu einzelnen der formulierten Feststoffkomponenten der Tablette und damit eine Bestimmung des auf Rifaximin bezogenen Merkmals 2 in den Handelsprodukten Normix und Rifacol nicht möglich. Erst recht gilt dies für die Zuordnung der Röntgenbeugungssignale eines Röntgenpulverdiffraktogramms zu den in der Tablette unerkannt vorhandenen Erscheinungsformen des Rifaximins. Da zum Prioritätstag des Streitpatents offenbar keine Veröffentlichung zu Erscheinungsformen des Rifaximin existierte, konnten das aus sich überlagernden Signalen zusammengesetzte Diffraktogramm nicht aufgelöst und einzelne Signale auch nicht bestimmten Erscheinungsformen zugeordnet werden.
Auch eine Kombination von möglicherweise aus der Nacharbeitung der TM13 erhaltenen Informationen mit Ergebnissen der Analyse von vor dem Zeitrang des Streitpatents vertriebenen Tabletten ist jedenfalls im Zuge der Neuheitsbewertung unzulässig. Dies gilt auch für das kombinierte Heranziehen von vorveröffentlichter Fachliteratur, die sich mit Rifaximin und/oder Rifamycinen und deren Derivaten oder auch nur mit dem Polymorphismus von Arzneimittelwirkstoffen generell befasst (vgl. insbes. TM17 i. V. m. TM22).
d.4) Entgegen der Auffassung der Klägerin reicht es für die Erkennbarkeit des Vorhandenseins des Rifaximin α als notwendige Voraussetzung der öffentlichen Zugänglichkeit nicht aus, dass das Produkt vor dem Prioritätsdatum kommerziell erhältlich war. Soweit Teile der Literatur im Anschluss an die Entscheidung BGH GRUR 2011, 129 - Fentanyl-TTS die Auffassung vertreten, das ein für den Fachmann kommerziell erhältliches Erzeugnis mit allen seinen Eigenschaften öffentlich zugänglich wird, unabhängig davon, ob bestimmte Eigenschaften der Fachwelt durch Veröffentlichungen bekannt oder durch Analysen ermittelbar waren (Schulte, a. a. O., Rn. 52 a. E.; Benkard, a. a. O., Rn. 172, 184, vgl. a. neuere Entscheidung BGH GRUR 2015, 1091, Rn. 32 – Verdickerpolymer I), vermag der Senat dieser Auffassung jedenfalls in dem hier zu entscheidenden Fall nicht zu folgen.
Zu unterscheiden sind zunächst die Zugänglichkeit der Informationsquelle, die hier in Form vermarkteter Arzneimittel unproblematisch gegeben ist, und die Zugänglichkeit der Information selbst (Busse, a. a. O., Rn. 25). Verborgene Benutzungen machen den benutzten Gegenstand für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, denn die Benutzung muss die Erfindung Dritten offenbaren, also über sie informieren. Das tut sie nicht, wenn die Erfindung in ihr zwar rein denkgesetzlich (inhärent) enthalten ist, der Fachmann sie aber mit ihm zur Verfügung stehenden Mitteln einschließlich seines Fachwissens nicht zu erkennen vermag, so z. B. wenn die Erfindung in einem komplexen Ganzen so versteckt enthalten ist, dass ein Fachmann nicht auf die Idee kommen würde, sie im benutzten Gegenstand zu vermuten (Schulte, a. a. O., Rn. 56). Eigenschaften, die derart versteckt in öffentlich zugänglichen Gegenständen vorhanden sind, und sich dem Fachmann nicht einmal bei Anwendung fachüblicher Untersuchungen, sondern erst bei Aufbietung erfinderischer Tätigkeit zeigen, können zum maßgebenden Zeitpunkt keine „öffentlich“ zugänglichen Kenntnisse sein. Ihre Auffindung und Anwendbarmachung gehören vielmehr typischerweise in den Bereich der Entstehung einer Erfindung, wie es beim Streitgegenstand der Fall ist.
Dies zeigt auch der Vergleich mit den Grundsätzen über die neuheitsschädliche Offenbarung von schriftlichen Vorbeschreibungen. Als zugänglich gemachter Inhalt schriftlicher Vorbeschreibungen darf nur die Information der Beschreibung angesehen werden, die ein Fachmann ihr entnimmt, der für das Verständnis sein Fachwissen mit heranzieht. Nicht zugänglich gemacht ist hingegen, was in einer Entgegenhaltung verborgen bzw. geheim enthalten sein mag, auch wenn solche inhärenten Informationen rein denkgesetzlich aus einer Schrift ableitbar sein mögen (vgl. Schulte, a. a. O., Rn.37). Auch und vor allem die Rechtsprechung verlangt hierbei, dass die betreffende technische Information „unmittelbar und eindeutig“ aus einer Schrift zu entnehmen ist (vgl. BGH GRUR 2009, 382, Rn. 25 - Olanzapin). Selbst Ergänzungen der Offenbarung durch das Fachwissen oder mit dessen Hilfe gezogene Schlussfolgerungen dürfen bei der Ermittlung der technischen Information, die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt, nicht vorgenommen werden (BGH, a. a. O., Rn. 26). Dies gilt sogar für das Vorhandensein von Enantiomeren eines im Stand der Technik bereits als Arzneimittelwirkstoff vorbeschriebenen Racemats, also für den Fall eines der beiden Stoffe aus einem Stoffkollektiv, das aus lediglich zwei Stoffen bestehend bereits vorbeschrieben war (vgl. BGH GRUR 2010, 123 - Escitalopram).
Zu diesen strengen Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof für die Ermittlung des Offenbarungsgehalts schriftlicher Vorbeschreibungen in dem die Stoffchemie betreffenden Fällen Olanzapin und Escitalopram aufgestellt hat, würde es in Widerspruch stehen, wenn jede technische Information, die in einem öffentlich erhältlichen Gegenstand irgendwie enthalten ist, und sei sie auch noch so versteckt, bereits als neuheitsschädlicher Stand der Technik anzusehen wäre.
Weiter würde eine solche Sichtweise dazu führen, dass Erfindungen, die auf bisher unbekannten Strukturen, Eigenschaften o. Ä. eines öffentlich zugänglichen Gegenstands aufbauen, nicht mehr patentiert werden könnten, da es die mit der Anmeldung einer solchen Erfindung beschriebenen, bisher unbekannten Eigenschaften schon immer gegeben hat. Hierbei dürfte es keinen Unterschied machen, ob der betreffende Gegenstand, z. B. ein Stoff, schon immer in der Natur vorhanden und dort frei verfügbar war oder erst in der jüngeren Vergangenheit erstmals in den Handel gelangt ist.
Das unerkannte Vorhandensein des Rifaximin a in Anteilen des vor dem Zeitrang des Streitpatents vermarkteten Wirkstoffs Rifaximin nimmt dieser stofflichen Erscheinungsform somit nicht die Neuheit. Rifaximin a wird erst dann zum Stand der Technik, wenn - wie im Fall der Erfindung des Streitpatents - eine Lehre zu seiner Existenz und Herstellung bzw. Isolierung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Der nach dem Zeitrang des Streitpatents versuchte Nachweis der Klägerin, dass Rifaximin a bereits anteilig in einem vor dem Zeitrang des Streitpatents vermarkteten Wirkstoff vorgekommen ist, reicht damit nicht zur Verneinung der Neuheit aus. Das Vorhandensein von Rifaximin a muss vielmehr dem Fachmann vor dem Zeitrang des Streitpatents bekannt gewesen sein (vgl. hierzu auch BPatG GRUR 78, 238 - Antamanid, BPatG GRUR 78, 702 - Menthonthiole).
Dies gilt auch im Hinblick auf die seitens der Klägerin angeführten neueren Entscheidungen BGH GRUR 2011,129, Ziff. 2. b) (2) - Fentanyl-TTS und GRUR 2015, 1091, Rn. 32 - Verdickerpolymer I. In diesen Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass es für die Offenbarung bestimmter Merkmalsgruppen in Entgegenhaltungen ausreiche, dass die in den Entgegenhaltungen als Vergleichsbeispiele genannten Produkte (COATEX BR 900 im Fall „Verdickerpolymer I“) bzw. deren Bestandteile („DUROTAK 97-4098“ als im Fall „Fentanyl-TTS“ im Vergleichspflaster verwendete Klebeschicht) vor dem Prioritätsdatum am Markt erhältlich gewesen seien. Damit sei der Fachmann in der Lage gewesen, einen entsprechenden Gegenstand herzustellen bzw. ein entsprechendes System in die Hand zu bekommen. Für eine die Neuheit ausschließende Offenbarung reiche es aus, wenn ein auf dem Markt erhältliches Produkt die Merkmale des Erzeugnisses tatsächlich aufweise (offengelassen in BGH GRUR 2013, 51, Rn. 15 – Gelomyrtol). Es sei nicht erforderlich, dass der Fachmann die konkreten Eigenschaften des Produkts kannte oder in der Lage gewesen sei, dieses analytisch zu bestimmen und danach das Produkt herzustellen. Eine wissenschaftliche Begründung dafür, weshalb der Einsatz eines solchen Materials den patentgemäßen Erfolg eintreten lasse, sei nicht erforderlich (BGH, a. a. O. - Verdickerpolymer I und Fentanyl-TTS).
Diesen Entscheidungen lagen Fallgestaltungen zugrunde, in denen die betreffende Merkmalsgruppe des jeweiligen Streitpatents durch Handelsprodukte vorweggenommen waren. Dabei waren die betreffenden Merkmale nicht - wie vorliegend - unerkannt bzw. versteckt in den Produkten enthalten. Sie waren vielmehr ohne Analyse in Erfahrung zu bringen, im Fall „Verdickerpolymer“ sogar allein aufgrund von Veröffentlichungen, insbesondere eines Produktblatts, im Fall Fentanyl-TTS teilweise aufgrund von Prospekten, teilweise anhand von (insoweit vertraulichen) Herstellerinformationen bzw. Nachfragen beim Hersteller. Bislang unbekannte, versteckte Eigenschaften spielten dort keine Rolle. Geht die Offenbarung von Merkmalen aber bereits aus den Eigenschaften hervor, die ein entgegengehaltenes Produkt als „offene“ bzw. „vordergründige“ Eigenschaften aufweist, so stellt sich die Frage nach einer Analyse unter Verwendung von zum Prioritätstag bekannten Analysetechniken nicht mehr, da die patentschädliche Offenbarung bereits auf andere Weise nachgewiesen worden ist.
Hingegen war vorliegend die Lehre des Streitpatents für den Fachmann weder mittels fachüblicher Analysetechniken noch aufgrund sonstiger Informationsquellen bekannt oder in Erfahrung zu bringen. Für den Senat ist nach alledem auch bei Produkten, die vor dem Prioritätstag des Streitpatents im Handel erhältlich waren, kein Grund ersichtlich, von den bisher schon geltenden Grundsätzen abzuweichen, dass Informationen über die Zusammensetzung oder innere Struktur der Öffentlichkeit nur dann zugänglich gemacht sind, wenn der Fachmann zumindest unter Verwendung der ihm vor oder zum Prioritätsdatum zur Verfügung stehenden Analysetechniken eindeutigen Zugang zu ihnen erhalten konnte, wobei es auf die Wahrscheinlichkeit der Analyse und den erforderlichen Aufwand nicht ankommt (vgl. Busse, a. a. O., Rn. 46 mit Hinweis (Fßn. 164) u. a. auf BGH, a. a. O., - Thrombozytenzählung); Benkard, a. a. O., Rn. 131, 134).
Für eine Neubewertung des Rechtsbegriffs der Neuheit in seiner Anwendung auf chemische Stoffe sieht der Senat aus den o. g. Gründen im Fall des Rifaximin α deshalb keinen Anlass.
e) Nach den vorstehenden Ausführungen unter den Punkten 2a bis 2d ist auch die Neuheit von Zusammensetzungen enthaltend Rifaximin a gemäß den angegriffenen Patentansprüchen 11, 12 und 15 anzuerkennen. Denn Zusammensetzungen sowohl mit einem vorbestimmten Gehalt an Rifaximin a (vgl. Patentansprüche 11 und 12) als auch mit Rifaximin a gemäß den Merkmalen des Patentanspruchs 1 (vgl. Patentanspruch 15) gehen weder aus dem vorveröffentlichten Stand der Technik hervor, noch sind solche Zusammensetzungen durch die Handelsprodukte Normix oder Rifacol offenkundig vorbenutzt, falls in diesen Handelsprodukten Rifaximin a schon vor dem Zeitrang des Streitpatents unerkannt enthalten war.
Bei Zusammensetzungen gemäß den Patentansprüchen 11 und 12 ist wegen des Merkmals des vorbestimmten Gehalts an Rifaximin α ohnehin zwingend die Verfügbarkeit des Rifaximin in der gereinigten Alpha-Form erforderlich. Denn ein vorbestimmter Gehalt stellt sich nicht zufällig und unerkannt ein, sondern erfordert eine gezielte technische Lehre mit zuverlässig vorhersehbarem Ergebnis, welche erst mit dem Streitpatent ermöglicht wurde.
3. Die Bereitstellung der Alpha-Form des Rifaximin mit einem Wassergehalt von weniger als 4,5% gemäß Patentanspruch 1, das Auffinden eines Verfahrens zu seiner Herstellung gemäß Patentanspruch 10 sowie Rifaximin a enthaltende pharmazeutische Zusammensetzungen gemäß Patentansprüchen 11 und 15 beruhen auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe auszugehen, die sich der Fachwelt vor dem Zeitrang des Streitpatents insbesondere betreffend den bereits vermarkteten antibiotischen Wirkstoff Rifaximin stellte. Die Aufgabe liegt ausgehend von dem in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents zitierten Stand der Technik (vgl. TM1 [0001] bis [0003]) sowie dem bereits zugelassenen Handelsprodukt in Verbindung mit geänderten zulassungsrechtlichen Bestimmungen (vgl. TM1 [0008] und [0009]) darin, eine homogene, stabile und pharmakologisch vorteilhaft verabreichbare Wirkstoffform von Rifaximin bereitzustellen.
Unter Berücksichtigung der Aufgabe kommt der Frage zentrale Bedeutung zu, ob der Fachmann ausgehend von der TM13 und/oder von den vor dem Zeitrang des Streitpatents vertriebenen und damit vorbenutzten Rifaximinpräparaten und dem darin gegebenenfalls zumindest teilweise enthaltenem Rifaximin a in Zusammenschau mit dem übrigen Stand der Technik ohne erfinderisches Zutun zur Lehre des Patentanspruchs 1 des Streitpatents gelangen konnte.
Wie bereits bei der Beurteilung der Neuheit ausgeführt, ist auch im Lichte der Aufgabenstellung, die eine homogene, stabile und pharmakologisch vorteilhafte Wirkstoffform zum Ziel hat, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ausschließlich als gereinigte Alpha-Form des Rifaximin und damit analytisch frei von anderen Erscheinungsformen zu verstehen, nicht aber als Gemisch verschiedener Feststoffformen des Rifaximin mit lediglich einem mehr oder minder hohem Anteil der Alpha-Form.
Wenngleich bei Arzneimittelwirkstoffen die Möglichkeit von Polymorphie und der gegebenenfalls vorteilhafte Einsatz polymorpher Erscheinungsformen eines Wirkstoffs in Betracht zu ziehen ist, wie die Klägerin anhand mehrerer vorveröffentlichter Druckschriften belegt hat (vgl. z. B. TM17, TM18), gab es für den Fachmann in den vorveröffentlichten, Rifaximin betreffenden Druckschriften weder Informationen zur Herstellung von (pseudo)polymorphen Formen noch Anhaltspunkte, in welcher Richtung und unter welchen Arbeitsbedingungen er nach Stoff- und Erscheinungsformen des Rifaximin mit gegebenenfalls überraschend vorteilhaften Eigenschaften suchen sollte.
a) Die vorveröffentlichte TM13, die eine neue vorteilhafte Methode zur Synthese unter anderem von 4-Deoxy-4’-methyl-pyrido[1’,2’:1,2]imidazo[5,4-c]rifamycin SV (Rifaximin) zum Gegenstand hat (vgl. TM13 S. 4 bis S. 11 i. V. m. nachf. Beisp. 1, 4, 6 bis 14), befasst sich in der allgemeinen Beschreibung mit der Aufarbeitung bzw. Reinigung der acetylierten Reaktionsprodukte und damit nicht mit Rifaximin (vgl. TM13 S. 10 Z. 2 bis 15). Lediglich in den Ausführungsbeispielen 1, 4, 6 bis 14 sind Informationen zur Aufarbeitung bzw. Reinigung von Rifaximin enthalten. Daraus geht zum einen hervor, den nach Entfernung von Lösungsmitteln erhaltenen festen Rückstand aus einem 7:3 (v/v)-Ethanol-Wasser-Gemisch zu kristallisieren (vgl. TM13 S. 11 Beisp. 1 le. Abs., Beisp. 4 S. 15 vorle. Z. bis S. 16 Z. 2, S. 18 Beisp. 7), und zum anderen ist der Erhalt von Rifaximin als Feststoff unmittelbar aus dem Reaktionsmedium beschrieben, in Beispiel 6 als kristallines Produkt (vgl. TM13 S. 17 le. Abs.), in den Beispielen 9 bis 11 sowie 12 bis 14 ohne Angaben zur Beschaffenheit der erhaltenen Feststoffe. Hinweise auf den Wassergehalt oder den Gehalt eines im Verlauf der Synthese und/oder der Aufarbeitung eingesetzten organischen Lösungsmittels in dem erhaltenen Feststoff Rifaximin fehlen gänzlich.
Aufgrund der Lehre der TM13 bestand auch kein Anlass, ausgehend von Ausführungsbeispielen der TM13 Versuchsserien mit dem Ziel durchzuführen, Erscheinungsformen des Rifaximin, speziell die Alpha-Form des Rifaximin, allein oder gegebenenfalls im Gemisch mit anderen Erscheinungsformen des Rifaximin, zu erhalten bzw. nachzuweisen. Denn die TM13 befasst sich ausweislich ihrer Aufgabe und Zielsetzung (vgl. TM13 S. 3 le. Satz bis S. 5 vorle. Abs.) ausschließlich mit verbesserten Synthesen von vielfältigen Rifamycin-Derivaten, unter anderem von 4-Deoxy-4’-methyl-pyrido[1’,2’:1,2]imidazo[5,4-c]rifamycin SV (Rifaximin), wobei die Aufarbeitung der erhaltenen Produkte ersichtlich nicht im Vordergrund der Lehre der TM13 steht. Im Zuge der Nacharbeitungen TM15 bis TM15b und TM36 der TM13 wurde dagegen im Rahmen der Aufarbeitung eine zielgerichtete Auswahl aus in ihrer Anzahl nicht begrenzten denkbaren Verfahrensbedingungen (Freiheitsgrade) getroffen.
Der Inhalt der TM13 gibt damit keinen Anlass, nach einer polymorphen Form zu suchen. Dementsprechend konnte der Fachmann der TM13 auch keine Anhaltspunkte, Hinweise oder Anregungen zur Anwesenheit polymorpher Formen, erst recht nicht zur Anwesenheit der bis dahin nicht beschriebenen Alpha-Form des Rifaximin entnehmen.
b) Diesbezügliche Anhaltspunkte, Hinweise oder Anregungen sind für den Fachmann auch nicht aus dem bereits im Handel befindlichen Rifaximin unter Einbeziehung der betreffenden Fachinformationen bzw. Fachliteratur erhältlich. Denn in den vor dem Zeitrang des Streitpatents zugelassenen Arzneimitteln Normix und Rifacol ist der Wirkstoff Rifaximin zusammen mit in der Menge überwiegenden Anteilen von Hilfsstoffen formuliert, und weder die Zulassungsdaten noch die Beipackzettel, soweit vorveröffentlicht, enthalten Angaben zu derjenigen Erscheinungsform, in der Rifaximin als Feststoff zur Formulierung eingesetzt wurde (vgl. TM6, TM7, TM31).
Solche Handelspräparate stellen im Übrigen keinen geeigneten Ausgangspunkt dar, um zur Kristallform des Streitpatents zu gelangen, da zunächst die Zusatz- bzw. Hilfsstoffe der Tablette zu entfernen sind, was in der Regel erst nach dem Auflösen der Tablette, gegebenenfalls Abtrennung gelöster von nicht löslichen Bestandteilen und den damit verbundenen Verlust des Festzustands der löslichen Bestandteile möglich ist. Eine zur Analyse geeignete Feststoffform des Rifaximin ist damit aus den Tabletten nicht verfügbar. Die aus der Tablette herausgelösten Bestandteile und mögliche unlösliche Rückstände bringen aufgrund der dabei verursachten Zerstörung der Festkörperstruktur gegenüber einem durch Synthese gemäß TM13 erhältlichen Präparat keine Vorteile, um zur Lehre des Streitpatents zu gelangen.
Auch eine zerstörungsfreie Analyse der im Handel erhältlichen Arzneimittel Normix und Rifacol ermöglicht keinen experimentellen Zugang zur Alpha-Form des Rifaximin. Denn die durch Pulver-Röntgenstrahl-Diffraktometrie oder Infrarot-Reflexionsabsorptionsspektrokopie erhaltenen Analysendaten erlauben mangels vor dem Zeitrang des Streitpatents verfügbarer Standarddaten zu irgendeiner Kristallform bzw. polymorphen Form des Rifaximin keinerlei Aussage darüber, welche Erscheinungsform, gegebenenfalls die Alpha-Form, allein oder im Gemisch mit anderen Formen vorliegt. Deshalb war ausgehend von einer vor dem Zeitrang des Streitpatents verfügbaren Rifaximin-Tablette auch mit dem Wissen und Können des Fachmanns die Bereitstellung der gereinigten Alpha-Form des Rifaximin nicht möglich.
Ein Zugang zum Gegenstand des Streitpatents wird dem Fachmann ohne erfinderisches Zutun auch nicht durch technische Informationen aus den übrigen vorveröffentlichten Druckschriften zu kristallinen Rifamycinen und zu kristallinen semisynthetischen Rifamycinderivaten ermöglicht. Allein durch die Kenntnis von der Existenz kristalliner Erscheinungsformen bei anderen Rifamycinen und Rifamycinderivaten und durch die Beschreibung ihrer pharmakologischen Eigenschaften wird ein Weg zur streitpatentgemäßen Alpha-Form des Rifaximin nicht aufgezeigt und damit diese Kristallform auch nicht nahegelegt.
Die KW2 befasst sich mit der Bestimmung der Kristallstruktur des 4-Deoxy-3’-bromopyrido[1’,2’:1,2]imidazo[5,4-c]rifamycin S anhand eines unter definierten Bedingungen gezüchteten Einkristalls der Größe 0,15x0,4x0,4 mm (vgl. KW2 Titel i. V. m. S. 1626 bis 1627 Experimental). Aus den erhaltenen kristallographischen Daten, die mit Literaturwerten anderer Rifamycine und semisynthetischer Rifamycine, mangels verfügbarer Daten jedoch nicht mit Rifaximin, verglichen werden (KW2 S. 1625 Table 2 i. V. m. S. 1626 Abs. 1 bis Experimental), schließen die Autoren zwar, dass ein relativ kurzer Teilbereich der sogenannten Ansa-Kette bzw. -Brücke in Rifamycinen und deren semisynthetischen Derivaten, soweit untersucht, in vergleichbaren Konformationen vorliegt, das konjugierte heterocyclische Pyrido-imidazo-naphthochinon-System coplanar ist und intramolekulare Wasserstoffbrücken zwischen den vier OH-Gruppen die molekulare Struktur im Festzustand und in organischen Lösungsmitteln stabilisieren. Ein Vergleich zwischen Rifaximin (Rifamycin L 105) und 4-Deoxy-3’-bromopyrido[1’,2’:1,2]imidazo[5,4-c]rifamycin S wird jedoch lediglich anhand der 1H-NMR-Spektren in Deuterochloroform gezogen und daraus auf eine identische oder nahezu identische Struktur in gelöstem Zustand geschlossen (vgl. KW2 S. 1623 le. Abs.). Es werden auch Vermutungen dahin angestellt, dass die Grundzüge der in KW2 bestimmten Strukturen, insbesondere die mesomere Betainstruktur des Pyridoimidazo-Systems, das pharmakokinetische Verhalten dieser beiden semisynthetischen Rifamycinderivate bestimmen dürften (vgl. KW2 S. 1627 Conclusions i. V. m. S. 1623 Abstract).
Die experimentellen Ergebnisse der KW2, die sich bezüglich Rifaximin ausschließlich auf die Untersuchung des Protonen-NMR in gelöstem Zustand in Deuterochloroform beschränken, lassen eine Vorhersage von kristallinen Erscheinungsformen des Rifaximins nicht zu, weder zu speziellen Polymorphen und Pseudopolymorphen noch zu deren Herstellungsverfahren und pharmakologischen Eigenschaften. Selbst wenn in KW2 eine Kristallform von einem in Bezug auf die mesomere Betainstruktur des Pyrido-imidazo-Systems sehr ähnlichen semisynthetischen Rifamycinderivat kristallographisch charakterisiert wurde, kann daraus noch nicht auf eine bestimmte Kristallstruktur aus mehreren, für Rifaximin theoretisch denkbaren Kristallformen geschlossen werden, zumal eine solche Schlussfolgerung nicht einmal zwischen polymorphen Formen ein und derselben chemischen Verbindung möglich ist. Außerdem fehlen in KW2 Anhaltspunkte und Hinweise auf die Bedeutung des Wassergehalts von semisynthetischen Kristallformen und damit auf eine Lehre, die den Fachmann zur Alpha-Form des Rifaximin mit einem Wassergehalt von weniger als 4,5%, insbesondere zwischen 2 und 3% gemäß Patentanspruch 2 hätten hinführen können. Allein aufgrund des nicht in Abrede zu stellenden theoretisch denkbaren Vorliegens einer noch unbekannten Kristallform kann der streitpatentgemäßen Alpha-Form des Rifaximin die Erfindungshöhe nicht abgesprochen werden (vgl. hierzu BGH X ZR 58/08 v. 15. März 2011 - Monoklines und triklines Metazachlor).
Die TM39 beschreibt zwar bereits im Jahr 1977 das Vorkommen polymorpher Erscheinungsformen des Rifampicin, ein im Vergleich zu 4-Deoxy-3’-bromopyrido[1’,2’:1,2]imidazo[5,4-c]rifamycin S dem Rifaximin strukturell ferner liegendes N(4-Methyl-1-piperazinyl)formimidoyl-Derivat des Rifamycin SV. Der in TM39 untersuchte und festgestellte Polymorphismus des Rifampicin - eine Kristallstruktur des Rifampicin zitiert und erörtert auch die KW2 (vgl. KW2 S. 1625 Table 2) gibt jedoch keinen Weg an, der ohne erfinderisches Zutun gerade zur Alpha-Form des Rifaximin mit den Merkmalen 2 und 3 hinführen könnte (vgl. TM39 insbes. S. 472 Experimental). Vielmehr zeigen gerade die komplexen Untersuchungen der TM39 die Schwierigkeiten auf, die mit dem Auffinden neuer polymorpher Formen, ihrer zuverlässigen Herstellung und ihrer Charakterisierung verbunden sind. Zudem vergingen nahezu dreißig Jahre seit der Kenntnis der Existenz von polymorphen Formen des Rifampicin gemäß TM39, ohne dass in der Fachliteratur über polymorphe Formen des in der Fachliteratur in etwa ebenso lange bekannten Rifaximin berichtet wurde.
Auch unter Berücksichtigung des vorveröffentlichten allgemeinen Standes der Technik betreffend das Vorkommen polymorpher Strukturen von Arzneimittelwirkstoffen generell, einschließlich allgemeiner Grundlagen zur Kristallisation von Feststoffen aus Lösungen (vgl. TM16, TM17, TM21 bis TM24), sowie die bereits vor dem Zeitrang des Streitpatents geänderten zulassungsrechtlichen Bestimmungen und Empfehlungen (vgl. TM1 [0008] und [0009] i. V. m. TM18 und TM41) wird dem Fachmann der Zugang zum Gegenstand des Streitpatents nicht ohne erfinderisches Zutun eröffnet. Denn ausgehend von den vorveröffentlichten Druckschriften, die sich mit der Herstellung, Aufarbeitung und gegebenenfalls der Isolierung kristalliner Produkte des Rifaximin befassen (vgl. TM13, KW9), ist auch unter Anwendung dieser allgemeinen Grundlagen eine gezielte Auswahl der erforderlichen konkreten Arbeitsbedingungen zur Herstellung der Alpha-Form mit den Merkmalen 2 und 3 nicht möglich. Vielmehr bedarf es einer erfinderischen Leistung, um aus den zahlreichen zu berücksichtigenden Parametern, beispielsweise Lösungsmittel, Temperaturführung in Abhängigkeit von der Zeit, Trocknung in Abhängigkeit vom Lösungsmittel und Druck, diejenigen Bedingungen einzustellen und aufeinander abzustimmen, die den Zugang zur gereinigten Alpha-Form des Rifaximin und damit zum Gegenstand des Streitpatents in reproduzierbarer, zuverlässiger Weise ermöglichen.
c) Soweit die Klägerin zwischen dem „blinden“ und dem „sehenden“ Fachmann unterscheidet, führt diese über den Durchschnittsfachmann hinausgehende Fiktion und eine damit verbundene Differenzierung zu keinem anderen Ergebnis. Selbst bei Berücksichtigung sämtlicher vorveröffentlichter Druckschriften zum Vorkommen polymorpher Strukturen bei Arzneimittelwirkstoffen generell und bei Rifamycinen und Rifampicin im Besonderen vermag auch der „sehende“ Fachmann mangels vorveröffentlichter Daten zu polymorphen Formen des Rifaximin zu wenig vorherzusagen. Ausgehend von der TM13, die ihm keinerlei Anhaltspunkte bzw. Anregungen liefert und deshalb auch keinen Anlass zur Suche nach polymorphen Formen gibt, wird auch der „sehende“ Fachmann allenfalls mit unverhältnismäßig hohem Aufwand aus zahlreichen physikalischen und chemischen Verfahrensparametern und deren Kombination und damit aus einer sehr große Anzahl von Freiheitsgraden diejenige Auswahl treffen können, die ihn zu Rifaximin a führt. Rein theoretische Überlegungen reichen nicht aus, um einer neuen Kristallform eines Stoffes bekannter chemischer Konstitution die erfinderische Tätigkeit abzusprechen (vgl. hierzu BGH X ZR 58/08 v. 15. März 2011, Rn. 19 bis 27 - Monoklines Metazachlor).
Die ausgehend von der TM13 ohne erfinderisches Zutun nicht erhältliche Alpha-Form des Rifaximin und die deswegen vor dem Zeitrang des Streitpatents fehlende Verfügbarkeit eines Standards für Rifaximin a machen es auch dem „sehenden“ Fachmann unmöglich, in den Handelsprodukten Normix und Rifacol die Anwesenheit des Gegenstands des Streitpatents mit den Merkmalen 1 bis 3 festzustellen bzw. zu erkennen. Der Fachmann, der die verfügbaren Methoden zur Analyse solcher Festkörper auf kristalline Erscheinungsformen hin zwar kennt und selbstverständlich auf die vor dem Zeitrang des Streitpatents im Handel befindlichen Rifaximin enthaltenden Tabletten anwenden wird, kann aus dem Ergebnis solcher Analysen mangels verfügbarer Standards jedoch nicht einmal ohne weiteres erkennen und entscheiden, ob im Wesentlichen nur eine einzelne Kristallform oder ein Gemisch verschiedener Kristall- bzw. Erscheinungsformen einschließlich Solvate verschiedenster Zusammensetzung und amorpher Anteile neben Festkörperstrukturen der Formulierungshilfsmittel vorliegen. Ohne Kenntnis des Ziels und damit ohne Verfügbarkeit einer gereinigten Standardsubstanz mit den Merkmalen 1 bis 3 des Streitpatents ist eine Aufarbeitung und die damit verbundene Stofftrennung nicht in fachkundiger Weise durchführbar.
Auch die Annahme, dass dem Wassergehalt und/oder den Trocknungsbedingungen im Zuge der Aufarbeitung des Rifaximin aus dem Reaktions- und/oder Kristallisationsgemisch eine Bedeutung zukommen könnte, beruht auf einer ex-post Betrachtung in Kenntnis der Lehre des Streitpatents. Weder die TM13 noch die übrigen vorveröffentlichten Rifaximin betreffenden Druckschriften messen dem Wassergehalt und den Trocknungsbedingungen eine Bedeutung bei. Zudem existieren weitere Freiheitsgrade des Reaktions- und Aufarbeitungssystems, beispielsweise Art des Lösungsmittel(gemisches), Konzentration der Edukte, Produkte und Nebenprodukte, Luftfeuchtigkeit, Druck, Temperatur, Volumen, Zeitfaktor, Kristallisationskeime unterschiedlicher Art und Herkunft, die es in die Überlegungen einzubeziehen gilt und die eine Prognose ohne Kenntnis des Ziels äußerst schwierig machen.
Selbst behördliche Vorgaben zur Untersuchung des Polymorphismus bekannter und bereits in Handel befindlicher Arzneimittelwirkstoffe implizieren nicht, dass die erforderlichen Untersuchungen und deren Ergebnis, wie in vorliegendem Fall, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen. Denn auf dem Gebiet der Erscheinungsformen bzw. der Polymorphie von Feststoffen sind weder das Vorkommen solcher Erscheinungsformen, erst recht nicht die Existenz und die Reproduzierbarkeit einer bestimmten Erscheinungsform, noch deren Eigenschaften zu prognostizieren, weder für den „blinden“ noch für den „sehenden“ Fachmann.
Der Einwand der Klägerin, in Kenntnis der Polymorphie des „Schwestermoleküls“ Rifampicin (vgl. TM27 S 403 Abstract Satz 1 und re. Sp. le. Satz; TM39) ergebe sich eine Untersuchung der Polymorphie von Rifaximin und damit der Zugang zur Lehre des Streitpatents schon zwangsläufig, lässt außer Acht, dass auch bei ein und derselben chemischen Verbindung von einer bereits hergestellten und charakterisierten Kristallform nicht zwangsläufig auf das Vorkommen weiterer Kristallformen, erst recht nicht auf deren Beschaffenheit geschlossen werden kann. Gegen eine Übertragung des am Rifampicin festgestellten Polymorphismus spricht außerdem, dass Rifampicin zur Behandlung der Tuberkulose systemisch wirkt und damit andere Festkörpereigenschaften aufweisen muss als Rifaximin, das zur Behandlung bakteriell bedingter Darmerkrankungen gerade nicht in die Blutbahn aufgenommen werden soll.
Auch eine angemessene Erfolgserwartung mit einem dazu sich verhältnismäßig darstellenden, für die Lösung des sich stellenden technischen Problems einzubringenden Aufwand, wie sich im Fall BGH-Calcipotriol-Monohydrat aus dem Stand der Technik ergebend (vgl. BGH GRUR 2012, 803, Leitsatz und Rn. 47), kann die Kenntnis des Polymorphismus für Rifampicin gemäß TM27 und TM39 dem Fachmann nicht liefern. Denn anders als bei Rifaximin, für das vor dem Zeitrang des Streitpatents keine Probleme des Handelsprodukts bekannt oder vorbeschrieben sind, bestand bei BGH-Calcipotriol-Monohydrat Anlass zur Suche nach einer stabilen Wirkstoffform und es existierte ein vergleichsweise umfangreicher nächstkommender Stand der Technik betreffend eine Tendenz zur Monohydrat-Bildung.
d) Das unbeabsichtigte und damit zufällige Auftreten bzw. Vorhandensein von Kristallen einer bestimmten Kristall- bzw. Erscheinungsform ist zu unterscheiden von der Frage des Nachweises bzw. der Analysierbarkeit von Feststoffen auf eine bestimmte Kristallform, hier die Alpha-Form des Rifaximin, nicht nur bei der Beurteilung der Neuheit, sondern auch bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
Das Auftreten einer bestimmten Kristallform ist auch für den Fachmann nicht vorhersehbar, nicht einmal dann, wenn experimentelle Vorgaben des Standes der Technik einzuhalten bzw. Ausführungsbeispiele nachzuarbeiten sind. Der Grund für die äußerst schwierige Prognose liegt in der wie im vorliegenden Fall fehlenden Kenntnis der kinetischen und/oder thermodynamischen Stabilität von Kristallformen, hier des Rifaximin. So genügt die Anwesenheit eines einzigen, die Bildung und Stabilität einer bestimmten Kristallform fördernden Kristallisationskeims, um in nicht vorhersehbarer Weise die Ausbildung einer bestimmten Kristallform zu begünstigen, bedingt durch konkurrierende kinetische und thermodynamische Faktoren, die im Einzelfall unbekannt sind.
Selbst das Erscheinen bzw. Auftreten einer thermodynamisch stabileren Kristallform ist nicht ohne weiteres zu prognostizieren. Auch das Wissen und Können des Fachmanns reicht nicht aus, um ausgehend von einer Lösung oder einem Feststoff die Bildung einer bisher unbekannten Kristallform vorherzusagen oder zu kontrollieren.
Es ist nicht ohne weiteres möglich, aus der Vielzahl der Freiheitsgrade, die das System jedes einzelnen Rifaximin betreffenden Ausführungsbeispiels der TM13 noch besitzt, diejenigen Bedingungen auszuwählen, die zwangsläufig und ausschließlich zur Bildung des Rifaximin in der Form des Patentanspruchs1 des Streitpatents führen. Zu diesen Freiheitsgraden zählen nicht nur die exakte Temperaturangabe, die Druckangabe, die exakte Zusammensetzung des Reaktionsgemisches, der zeitliche Verlauf der Reaktionsführung, sondern auch die in jedem einzelnen Experiment zufällige Anwesenheit eines geeigneten Fremdpartikels und/oder die in jedem einzelnen Experiment zufällige und spontane Ausbildung eines einzigen Kristallisationskeims in der Alpha-Form des Rifaximin. Dabei ist allein die Bewertung der Vollständigkeit der Auflösung eines Feststoffes bei der Umkristallisation (vgl. z. B. TM13 S. 11 Beispiel 1 le. Abs.) zusätzlich limitiert durch die Beobachtungsgabe des Experimentators, der die Anwesenheit einer ausreichenden Anzahl aus Nebenprodukten und/oder dem Produkt herrührenden Kristallisationkeime, beispielsweise bei einer Keimzahl unter 106 pro Volumeneinheit und einer Keimgröße unter 1 mm, nicht ohne Weiteres feststellen kann, von der Art der Keime und deren Einfluss auf die miteinander konkurrierenden kinetischen und thermodynamischen Faktoren ganz zu schweigen.
Auch unter Zugrundelegung des „sehenden“ Fachmanns beruht der Gegenstand des Patentanspruchs 1 daher auf erfinderischer Tätigkeit.
e) Für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit spricht als Beweisanzeichen auch, dass die neue Erscheinungsform des Rifaximin mit den Merkmalen 1 bis 3 und deren Herstellung, mit einem aus dem Stand der Technik nicht vorhersehbaren, überraschenden Effekt verbunden war.
Ein solcher als Anzeichen für erfinderische Tätigkeit zu wertender überraschender Effekt ist die für die Alpha-Form des Rifaximin in nachveröffentlichten wissenschaftlichen Untersuchungen gefundene geringere systemische Bioverfügbarkeit, insbesondere gegenüber den vor dem Zeitrang des Streitpatents ebenfalls unbekannten Gamma- und Delta-Formen des Rifaximin und gegenüber amorphem Rifaximin (vgl. KW3, KW17). Demnach weisen Rifaximin g und Rifaximin d eine drastisch höhere systemische Bioverfügbarkeit gegenüber der Alpha-Form auf mit einer dementsprechend unterschiedlichen antibakteriellen Nutzen-Risiko Bewertung (vgl. KW3 S. 1080 Fig. 6, Tables 7 und 8 i. V. m. S. 1079 re. Sp bis S. 1080 re. Sp. Textende). Im Handel befindliche generische Arzneimittel mit Rifaximin als Wirkstoff weisen bedingt durch den aufgrund der Interferenz mit festen Formulierungshilfsmitteln nicht quantifizierbaren Gehalt an amorphem Rifaximin eine deutlich höhere unerwünschte systemische Bioverfügbarkeit auf als die Markenprodukte wie beispielsweise Normix, Xifaxan, Flonorm, die unter Anwendung der Lehre des Streitpatents ausschließlich reines Rifaximin a enthalten (vgl. KW17 S. 40 re. Sp. Study medications i. V. m. S. 41 Fig. 1, Tables 1, 3 und S. 42 li. Sp. le. Abs. bis re. Sp. Abs. 2).
f) Die fehlende Kenntnis und Vorhersagbarkeit der streitpatentgemäßen gereinigten Alpha-Form des Rifaximin einschließlich deren Zugänglichkeit bedingt zwangsläufig auch die erfinderische Tätigkeit des Herstellungsverfahrens gemäß Patentanspruch 10 mit den Merkmalen A bis E.
Die erfinderische Tätigkeit zur Bereitstellung der Alpha-Form begründet auch die erfinderische Tätigkeit der sie enthaltenden Zusammensetzungen. Dies gilt insbesondere für die Zusammensetzungen gemäß Patentanspruch 11, die eine vorbestimmte Menge an Rifaximin a enthalten, die ohne ein zuverlässiges und reproduzierbares Verfahren zur Herstellung und Aufarbeitung nicht zugänglich sind.
Die Gegenstände der Unteransprüche 2 und 12, die auf die Patentansprüche 1 und 11 rückbezogen sind, haben ebenfalls Bestand, unabhängig davon, ob sie einen eigenen erfinderischen Gehalt aufweisen.
III.
1. Der Senat hat davon abgesehen, nach § 142 ZPO i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG die Vorlage der von der Klägerin benannten Urkunden anzuordnen. Hierbei geht der Senat wiederum von der ohnehin nicht ausdrücklich bestrittenen Behauptung der Klägerin aus, dass in den vor dem Prioritätstag vertriebenen Normix- und/oder Rifacol-Tabletten bereits Rifaximin in der Alpha-Form enthalten war. Dies allein ist jedoch nicht ausreichend, um die öffentliche Zugänglichkeit von Rifaximin in der Alpha-Form darzutun (s. o.). Dass die Vorlage von internen und damit nicht veröffentlichten Unterlagen der Beklagten über diese (unzureichende) Tatsache hinaus eine öffentliche Zugänglichkeit des Erfindungsgegenstandes belegen könnte, hat auch die Klägerin nicht vorgetragen. Insbesondere hat sie bei ihrem Antrag auf Urkundenvorlage keine Urkunden genannt, mit denen die öffentliche Zugänglichkeit der Zusammensetzung der Tabletten (also mit Rifaximin in der Alpha-Form) oder die öffentliche Zugänglichkeit eines entsprechenden Herstellungsverfahrens vor dem Prioritätsdatum hergestellt worden wäre oder aus denen eine solche öffentliche Zugänglichkeit zumindest hervorgeht. Hätte es solche Urkunden gegeben, so wären diese selbst öffentlich und ihre Beibringung wäre Sache der Klägerin gewesen.
Soweit die Klägerin im Übrigen mangels zureichender eigener Belege eine Vorlage von Urkunden aus arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren erstrebt, zielt dies erkennbar auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis ab (vgl. Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 37. Aufl., § 284, Rn.3). Hinzu kommt, dass die EMA in dem sogenannten „Active Substance Master File - ASMF“ zwischen einem zugänglichen und einem vertraulichen Teil unterscheidet, wobei nur im vertraulichen, für Dritte nicht einsehbaren Teil Einzelheiten zur Aufarbeitung des Wirkstoffs enthalten sind.
2. Der Senat hat weiter davon abgesehen, dem Antrag der Klägerin folgend die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage des zwangsläufigen Ergebnisses einer „fachmännischen Nacharbeitung“ der TM13 einzuholen. Zunächst hat der Senat die Nacharbeitungen zu beurteilen, die die Parteien vorgelegt haben, wozu er sachverständig besetzt auch in der Lage ist. Sofern er dann trotz mehrfacher Nacharbeitungen und gutachterlicher Stellungnahmen der Klägerin deren Vorbringen weiterhin nicht für überzeugend hält, ist es wiederum nicht Sache des Gerichts, erneute Nacharbeitungsversuche in Auftrag zu geben, die dann möglicherweise erst die Grundlage für weiteren Tatsachenvortrag der Klägerin ergeben. Insofern zielt der Beweisantrag der Klägerin auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis ab.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.