Entscheidungsdatum: 26.07.2011
Offenkundige Vorbenutzung durch Vertrieb eines pharmazeutischen Erzeugnisses
Das In-Verkehr-Bringen eines pharmazeutischen Erzeugnisses macht nicht nur den Stoff als solchen, sondern auch dessen Zusammensetzung und Struktur der Öffentlichkeit zugänglich, sofern grundsätzlich die Möglichkeit einer Analyse besteht. Dies gilt auf chemisch-pharmazeutischem Gebiet jedenfalls auch dann, wenn die Analyse zwar umfangreiche zeit- und arbeitsaufwändige qualitative und quantitative Untersuchungen erfordert, für den Fachmann aber die Möglichkeit einer Analyse der Zusammensetzung unter Zuhilfenahme der standardmäßig eingesetzten Methoden nach intensiveren Überlegungen ohne übermäßige, das durchschnittliche Können übersteigende Schwierigkeiten möglich ist (Weiterführung von BGH GRUR 1986, 372, 374 II. 3 d) - Thrombozytenzählung).
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent 1 212 072
(DE 500 05 714)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm, des Richters Guth, der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Proksch-Ledig, des Richters Dipl.-Chem. Dr. Gerster sowie der Richterin Dipl.-Chem. Univ. Dr. Münzberg
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 212 072 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 4 Millionen Euro festgesetzt.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 12. September 2000 unter Inanspruchnahme der deutschen Priorität DE 299 160 14 U vom 16. September 1999 beim Europäischen Patentamt angemeldeten europäischen Patentes 1 212 072 (Streitpatent) mit der Bezeichnung „Pharmazeutische Zusammensetzung, umfassend Eukalyptus- und Orangenöl“, dessen Erteilung mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland am 17. März 2004 bekannt gemacht wurde und das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 500 05 714.1 geführt wird. Das Streitpatent umfasst 12 Patentansprüche. Die nebengeordneten Patentansprüche 1, 6 und 12 lauten in der Amtssprache Deutsch:
„1. Pharmazeutische Zusammensetzung für die orale Verabreichung in Form einer Hart- oder Weichgelatinekapsel umfassend Eukalyptusöl und Orangenöl.“,
„6. Pharmazeutische Zusammensetzung für die orale Verabreichung in Form einer Flüssigkeit umfassend Eukalyptusöl und Orangenöl.“,
„12. Verwendung einer pharmazeutischen Zusammensetzung nach einem der Ansprüche 1 - 11 für die Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung infektiöser Erkrankungen und Entzündungen der Atemwege.“
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 und 6 direkt oder indirekt rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 5 bzw. 7 bis 11 wird auf die Patentschrift EP 1 212 072 B1 verwiesen.
Die Klägerin greift das Patent in vollem Umfang an und macht den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend. Sie stützt ihr Vorbringen auf folgende Entgegenhaltungen:
NiK1 EP 1 212 072 B1 (Streitpatent), |
Die Klägerin ist der Ansicht, der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem Stand der Technik weder neu noch beruhe er auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das Arzneimittel „Gelomyrtol® forte“, dessen Wirkstoff Myrtol ein Mischdestillat aus Eukalyptusöl, Orangenschalenöl, Myrtenöl und Zitronenöl im Verhältnis 66:32:1:1 darstelle, sei in dieser Zusammensetzung vor dem Prioritätstag bereits im Handel gewesen, wie die 1978 im Zuge der Nachzulassung erfolgte Registrierung laut dem Datenauszug NiK2 zeige. Dessen Zusammensetzung sei deshalb offenkundig gewesen. Im öffentlichen Teil der amtlichen Datenbank AMIS/DIMDI, habe außerdem bereits zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents diese Zusammensetzung abgefragt werden können. Das Fehlen der erfinderischen Tätigkeit folge aus NiK4 bzw. NiK6 in Verbindung mit NiK5 und dem allgemeinen Fachwissen gemäß NiK9.
Die Klägerin stellt den Antrag,
das europäische Patent 1 212 072 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und verweist auf folgende Dokumente:
MAl 1 17 W (pat) 1/02
MAI 2 Entscheidung T 1134/06 der Beschwerdekammer 3.2.04 des europäischen Patentamtes vom 16. Januar 2007
MAI3 Datenbankausdruck aus AMIS/DIMDI zu „Gerlomyrtol forte“, handschriftlich datiert auf den 12. Oktober 1999
MAl 4 lnternetauszug „Essential Oil Specifications“ der Fa. Quinessence vom 28. Mai 2010, 7 Seiten
MAI 5 Internetausdruck der Website des DIMDI „Informationssystem Arzneimittel - gesetzliche Grundlagen“ vom 2. Februar 2011
MAI 6 Internetausdruck der Website des DIMDI, Auszug aus dem Arzneimittelgesetz „§ 67a Datenbankgestütztes Informationssystem“ vom 2. Februar 2011
MAI 7 Datenbankausdruck aus AMIS/DIMDI zu „Gelomyrtol forte“ vom 31. März 1999
MAI 8 Schreiben des BfArM vom 24. August 1998 betreffend eine Änderungsanzeige gem. § 29 AMG vom 5. September 1997, Gelomyrtol forte, Kapseln, ENR.-Nr. 0096046
MAI 9 ABIS Aktenvorblatt Abt. 2 - Nachzulassung, Ordnungsnummer: 0014978
MAI 10 Telefonnotiz von Frau Dr. Heidi Horst betreffend „Eintragung zu Gelomyrtol forte in der AMIS-Datenbank“ vom 15. Januar 2003
MAI 11 Schreiben von Frau Dr. Heidi Horst vom 15. Januar 2003 betreffend „Gelomyrtol forte“
MAI 12 Datenbankausdruck aus AMIS/DIMDI zu „Gelomyrtol forte“, grips Web Terminal vom 14. Oktober 1999
Die Beklagte trägt vor, selbst in den nach dem Prioritätszeitpunkt erstellten AMIS/DIMDI-Registerausdrucken MAl 3 vom 12. Oktober 1999 und MAI 12 vom 14. Oktober 1999 finde sich kein Hinweis, dass das Medikament Gelmyrtol® forte als Wirkstoff ein Mischdestillat aus Eukalyptusöl, Orangenschalenöl, Myrtenöl und Zitronenöl enthalte. Sie könne den klägerischen Vortrag jedoch nicht bestreiten, nach dem sich die Inhaltsstoffe gegenüber dem bereits 1978 registrierten Präparat nicht geändert hätten. Allerdings sei die Zusammensetzung von Gelomyrtol® nicht der Öffentlichkeit zugänglich gewesen, weil durch gaschromatographische Analyse von Gemischen aus ätherischen Ölen die dem Gemisch zu Grunde liegenden konkreten Öle nicht identifizierbar seien. Der Gegenstand des Streitpatents beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit, weil nicht ersichtlich sei, welche konkrete Veranlassung der Fachmann gehabt habe, zur Lösung der vorliegenden Aufgabe ein Gemisch aus Orangenschalenöl und Eukalyptusöl zu einer pharmazeutischen Zusammensetzung zu verarbeiten.
I.
Die auf den Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit b EPÜ) gestützte Klage ist zulässig. Sie erweist sich auch als begründet.
1. Das Streitpatent betrifft eine pharmazeutische Zusammensetzung für die orale Verabreichung in Form einer Hart- oder Weichgelatinekapsel oder einer Flüssigkeit umfassend Eukalyptusöl und Orangenöl in kombinierter Form sowie deren Verwendung zur Behandlung infektiöser Erkrankungen und Entzündungen der Atemwege (vgl. NiK1 S. 2 Abs. [0001] sowie Patentansprüche 1, 6 und 12).
Die unkomplizierte Bronchitis wird als entzündliche Erkrankung der unteren Atemwege definiert. Auslöser ist in erster Linie eine Virusinfektion, in deren Folge häufig eine bakterielle Superinfektion auftritt. Dabei ist eine kausale Therapie der Virusinfektion nicht möglich, während eine bakterielle Superinfektion mit Antibiotika behandelbar ist. Aufgrund der primär viralen Genese des akuten Krankheitsbildes wird jedoch die Antibiotikatherapie als sofortige Therapie der akuten Bronchitis sehr kontrovers diskutiert. Dies erfolgt insbesondere im Hinblick auf die fortschreitende Resistenzbildung der Bakterien und aus ökologischen Gesichtspunkten. Zudem erfolgt häufig keine exakte Diagnosestellung unter Praxisbedingungen, weshalb Antibiotika in vielen Fällen ohne therapeutische Notwendigkeit eingesetzt werden. Auch dieser unkritische Einsatz dieses Medikamentes hat zu einer Zunahme von Resistenzen bei Bakterien geführt (vgl. Streitpatent S. 2 Abs. [0002] bis [0010]).
Davon ausgehend liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, eine pharmazeutische Zusammensetzung anzugeben, die den bisher verwendeten Antibiotika therapeutisch äquivalent und nebenwirkungsarm ist und keine Resistenzentwicklung begünstigt (vgl. Streitpatent S. 2 Abs. [0012]).
Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 durch
1. eine pharmazeutische Zusammensetzung
2. für die orale Verabreichung
3. in Form einer Hart- oder Weichgelatinekapsel
4. umfassend
a) Eukalyptusöl und
b) Orangenöl.
Sie wird weiterhin gemäß Patentanspruch 6 durch eine pharmazeutische Zusammensetzung in Form einer Flüssigkeit und gemäß Patentanspruch 12 durch die Verwendung der in den Patentansprüchen 1 und 6 angegebenen pharmazeutischen Zusammensetzungen für die Behandlung infektiöser Erkrankungen und Entzündungen der Atemwege gelöst.
2. Der zuständige Fachmann ist ein Pharmazeut bzw. Chemiker, der sich nach seinem Studium auf das Gebiet der pharmazeutischen Biologie spezialisiert hat, sowie über langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung pflanzlicher Arzneimittel zur Behandlung von Erkrankungen des Atemwegsystems verfügt und in ein Team eingebunden ist, dem jedenfalls auch ein in der Analytik von ätherischen Ölen erfahrener Pharmazeut bzw. Chemiker gleicher Fachrichtung angehört.
II.
1. Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 12 waren zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents nicht neu, weil die Zusammensetzung des Arzneimittels „Gelomyrtol forte“ zu diesem Zeitpunkt zum Stand der Technik zählte (Art. 54 Abs. 1, 2 EPÜ). Es kommt in diesem Zusammenhang nicht mehr darauf an, ob die Zusammensetzung von „Gelomyrtol® forte“ bereits zum Anmeldezeitpunkt des Streitpatents im öffentlichen Teil der amtlichen Datenbank AMIS/DIMDI vermerkt gewesen war, da jedenfalls eine offenkundige Vorbenutzung der Patentfähigkeit entgegensteht.
1.1. Der Begriff des Standes der Technik umfasst alle technischen Lehren, die in irgendeiner Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Eine öffentliche Zugänglichkeit ist gegeben, wenn die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch beliebige Dritte bestanden hat. Dies ist hier der Fall.
Wie die Klägerin vorträgt und aus der Roten Liste 1993 (= NiK6) ersichtlich ist, war das Arzneimittel „Gelomyrtol® forte“, das in Lizenz für die Beklagte hergestellt wird, bereits vor dem Prioritätstag im Handel. Als Wirkstoff enthielt dieses - ebenso wie das auch heute noch unter gleichem Namen vertriebene Präparat - Myrtol. Im Hinblick auf diesen Wirkstoff macht die Klägerin weiter geltend, es handle sich hierbei gemäß der vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte beschiedenen Änderungsanzeige mit dem 5. September 1997 als Änderungsdatum um ein Mischdestillat aus Eukalyptusöl, Orangenschalenöl, Myrtenöl und Zitronenöl (vgl. NiK2 S. 6 von 9, LINK -->/11 von 16). Dies bestreitet auch die Beklagte nicht mehr. Denn deren Einlassung in der mündlichen Verhandlung nach Rücksprache mit ihrer Lizenznehmerin, sie bestreite nicht, dass die Inhaltsstoffe des Medikaments nicht verändert worden seien, bedeutet nichts anderes, als dass sie den diesbezüglichen klägerischen Vortrag unstreitig stellt.
Erzeugnisse, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, werden nicht nur in ihrer Existenz, sondern auch mit ihrer durch einen Fachmann feststellbaren Beschaffenheit offenbart. Das In-Verkehr-Bringen eines Erzeugnisses macht daher nicht nur den Stoff als solchen, sondern grundsätzlich auch seine Zusammensetzung und Struktur zugänglich (Schulte, Patentgesetz, 8. Aufl., § 3 Rn. 55), denn man kann in aller Regel davon ausgehen, dass analysierbare Erzeugnisse, die ohne Angabe ihrer Struktur auf dem Markt sind, auch analysiert werden, weil Dritte sich dafür interessieren, selbst wenn die Analyse einigen Aufwand erfordert (vgl. BGH GRUR 1986, 372 - Thrombozytenzählung; Schulte, a. a. O., Rn. 56; Busse-Keukenschrijver, Patentgesetz, 6. Aufl., § 3 Rn. 127 m. Nachw.). Dies gilt auch im vorliegenden Fall.
Das Argument der Beklagten, die Zusammensetzung von „Gelomyrtol® forte“ sei der Öffentlichkeit nicht zugänglich gewesen, weil sie mit den üblichen analytischen Mitteln von Dritten nicht feststellbar gewesen sei, greift demgegenüber nicht durch.
Zwar werden insbesondere in Bezug auf pharmazeutische und chemische Erzeugnissen in Literatur und Rechtsprechung unterschiedliche Ansichten vertreten, ob und inwieweit die öffentliche Zugänglichkeit der Zusammensetzung eine Möglichkeit und eine Gelegenheit zu einer Analyse voraussetzt. Denn im Allgemeinen wird gefordert, dass das Erzeugnis vom Fachmann ohne unzumutbaren Aufwand analysiert und reproduziert werden kann (vgl. dazu etwa Schulte, a. a. O., Rn. 55, 56; Busse-Keukenschrijver, a. a. O.). Umfangreiche zeit- und arbeitsaufwändige qualitative und quantitative Untersuchungen stehen diesem Erfordernis gerade auf dem Gebiet der Chemie jedoch nicht entgegen (vgl. BGH GRUR 1986, 372, 374 II. 3 d) - Thrombozytenzählung). Demgegenüber erscheint - anders als die Klägerin in Hinblick auf Rn. 45 der Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Fentanyl-TTS“, (GRUR 2011, 129, 133) meint - das Erfordernis einer Analysemöglichkeit auch nach jüngster Rechtsprechung nicht völlig entbehrlich zu sein. Denn diese Entscheidung betrifft den hier nicht einschlägigen Fall, dass lediglich unbekannt war, weshalb die der Öffentlichkeit bekannten Merkmale des entgegengehaltenen Materials den patentgemäßen Erfolg herbeiführen (BGH -„Fentanyl-TTS“ a. a. O., Leitsatz 1).
Diese Frage kann letztlich jedoch dahingestellt bleiben, denn nach Kenntnis des fachkundig besetzten Senats war es dem Fachmann möglich, die Zusammensetzung der arzneilich wirksamen Bestandteile von „Gelomyrtol® forte“ durch Analyse festzustellen.
Bei dem Wirkstoff Myrtol handelt es sich - wie auch die Beklagte geltend macht - um ein komplexes Stoffgemisch. Auch wenn die Analyse solcher Mischungen im Allgemeinen als zeitaufwändig und diffizil gilt, kann sich der Senat der Argumentation der Beklagten nicht anschließen, für den Fachmann sei zum maßgeblichen Zeitpunkt weder ermittelbar gewesen, dass sich Myrtol im Wesentlichen aus zwei verschiedenen ätherischen Ölen zusammensetze, noch, um welche Öle es sich dabei handle. Vielmehr konnte der hier maßgebliche Fachmann die zur Herstellung von Myrtol als Hauptkomponenten verwendeten zwei ätherischen Öle - das Eukalyptusöl und das Orangenöl - unter Zuhilfenahme der zur Analytik von ätherischen Ölen standardmäßig eingesetzten Methoden ohne übermäßige, sein durchschnittliches Können überschreitende Schwierigkeiten hinreichend zuverlässig identifizieren. Zur Prüfung der Identität und Qualität von ätherischen Ölen sowie gegebenenfalls vorhandener Verfälschungen hat sich - und dieses trifft auch für den Zeitraum vor dem Prioritätstag des Streitpatentes zu - die Gaschromatographie zu einem der wichtigsten Analysenverfahren entwickelt und sich im Zuge dessen als Standardmethode etabliert (vgl. NiK5 S. 213 li. Sp. „Analytik/Qualitätsprüfung/Untersuchung“). Zurückzuführen ist dies auf das einem ätherischen Öl jeweils zuordenbare charakteristische Muster der Peakanordnung in einem Gaschromatogramm. Vor die Aufgabe gestellt, die Zusammensetzung von Myrtol näher zu untersuchen, wird der Fachmann, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen, diesen Wirkstoff daher einer Gaschromatographie unterziehen, bevor er auf andere analytische Methoden zurückgreift. Die Auswahl der für die Durchführung erforderlichen Parameter wird er ferner unter Berücksichtigung der drei ihm aus der Datenbank DIMI/AMIS öffentlicher Teil bekannten Hauptinhaltsstoffe von Myrtol, nämlich Cineol, Limonen und α-Pinen, treffen (vgl. Nik2 S. 2/3 von 9, LINK-->/2 von 16 - Analysendaten). Anhand des in der Folge erhaltenen Chromatogramms ist für ihn sodann am Muster der Neben- und Spurenkomponenten sowie der Quantität der drei Hauptkomponenten von vornherein erkennbar, dass in diesem Fall nicht ein mit Einzelsubstanzen angereichertes ätherisches Öl vorliegt, sondern eine Mischung ätherischer Öle. Im Zusammenhang mit den in Myrtol als Hauptkomponenten enthaltenen Substanzen Cineol und Limonen ist es im Weiteren den fachspezifischen Kenntnissen zuzurechnen, dass es insbesondere das Eukalyptusöl und das Orangenöl sind, die üblicherweise zur Herstellung von Ätherischölgemischen, die diese Substanzen jeweils in einer verhältnismäßig hohen, den Gehalt der originären ätherischen Öle übersteigernden Konzentration enthalten, in Betracht gezogen werden. Ein Grund, weshalb der Fachmann im Zusammenhang mit der Bereitstellung von an diesen Substanzen angereicherten Ätherischölerzeugnissen in der Regel auf diese zurückgreift, ist die außergewöhnlich hohe Konzentration in der diese in Rede stehenden Substanzen im Eukalyptusöl mit bis zu 80 bis 85 % 1,8-Cineol bzw. im Orangenöl mit bis zu 90 % Limonen enthalten sein können (vgl. NiK5 S. 214 li. Sp. „1. Cineol-reiches Eukalyptusöl“ sowie S. 455 li. Sp. „1. Süßes Orangenöl - Zusammensetzung“). Im Fall des Eukalyptusöles hat er im Übrigen um so mehr Veranlassung dieses als erstes ins Blickfeld zu nehmen, weil es traditionell zur Behandlung von Atemwegserkrankungen vielfach Verwendung findet (vgl. NiK5 S. 214 „1. Cineol-reiches Eucalyptusöl - Verw.“). Ein weiterer Grund ist darin zu sehen, dass diese Öle in großen Mengen produziert werden (vgl. NiK5 S. 213 li. Sp. „1. Cineol-reiches Eukalyptusöl - Herst.“ sowie S. 455 li. Sp. „1. Süßes Orangenöl - Herst.“), ihre Verfügbarkeit für den Fachmann daher unproblematisch ist und sie zudem im unteren Preissegment angesiedelt sind. Somit hat der Fachmann aufgrund seines Fachwissens bereits konkrete Anhaltspunkte, in welche Richtung er zur Untersuchungen der Zusammensetzung von Myrtol sowohl hinsichtlich der instrumentellen Analytik als auch hinsichtlich der in Frage kommenden Edukte zu gehen hat. Vor diesem Hintergrund konnte die Identifizierung der die Hauptkomponenten von Myrtol darstellenden zwei ätherischen Öle durch den Fachmann sodann ohne unzumutbaren Aufwand erfolgen. Dies trifft zu, weil sich die chromatographischen Profile ätherischer Öle in einem Gaschromatogramm nicht nur hinsichtlich der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung der Hauptkomponenten von einander unterscheiden, sondern insbesondere auch hinsichtlich der Neben- und Spurenkomponenten. Letztere geben daher entscheidende Hinweise zur Identität eines ätherischen Öles. Da es sich bei Eukalyptusöl und Orangenöl um zwei Öle sehr unterschiedlicher stofflicher Zusammensetzung handelt und dieses gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Neben- und Spurenkomponenten (vgl. auch NiK5 S. 214 li. Sp. „1. Cineol-reiches Eucalyptusöl - Zusammensetzung“ sowie S. 455 li. Sp. „Orangenöle - Zusammensetzung“), konnte der Fachmann zur Identifizierung der ätherischen Öle, aus denen Myrtol im Wesentlichen besteht, daher bereits anhand eines Vergleiches mit den Gaschromatogrammen handelsüblicher Eukalyptusöle und Orangenöle hinreichend Anhaltspunkte für die tatsächlich vorliegende Zusammensetzung erhalten. Selbst wenn zur Absicherung der so erlangten Hinweise darüber hinaus die Identifizierung einzelner für diese Öle charakteristischer Haupt- bzw. Nebenkomponenten vom Fachmann als erforderlich erachtet wird, so übersteigt die in diesem Falle ebenfalls übliche Kopplung der Gaschromatographie mit der Massenspektroskopie nicht das durchschnittliche Können des Fachmannes. Über der Auswertung der erhaltenen Massenspektren anhand von Referenzdaten aus Spektrensammlungen in der Literatur bzw. auch rechnergestützt mit vor dem Prioritätstag bereits üblichen, Referenzspektren umfassenden EDV-Programmen oder Datenbanken war es ihm auch hier möglich, die für eine Analyse von Myrtol gegebenenfalls zusätzlich erforderlichen Daten ohne weitergehende Überlegungen zu erhalten. Somit stellen die Untersuchungen, die zur Analyse der zur Herstellung von Myrtol im Wesentlichen eingesetzten Bestandteile erforderlich sind, auf dem hier maßgeblichen Fachgebiet übliche Maßnahmen dar. Angesichts dieses Sachstandes war die Zusammensetzung von Myrtol vor dem Prioritätstag öffentlich zugänglich, denn sie war - wie vorstehend dargelegt - ohne unzumutbaren Aufwand analysierbar. Bestätigung findet diese Schlussfolgerung im Übrigen auch in der von der Fachwelt bereits im Jahre 1979 vertretenen Auffassung, dass Ölgemische mit dem Einsatz der Gaschromatographie in den meisten Fällen sicher diagnostizierbar seien (vgl. gutachtlich K.-H. Kubeczka in: „Vorkommen und Analytik ätherischer Öle - Ergebnisse internationaler Arbeitstagungen in Würzburg, Freiburg und Münster“ (Hrsg.: K.-H. Kuneczka), 1979, Georg Thieme Verlag Stuttgart, S. 70 Abs. 3 nach Tabelle 1).
Die Bereitstellung der im strittigen Patentanspruch 1 angegebenen pharmazeutischen Zusammensetzung in Form von Hart- oder Weichgelatinekapseln kann die Neuheit der beanspruchten Formulierung des offenkundig vorbenutzten Myrtols nicht begründen, denn - wie z. B. aus dem Datenbankauszug NiK2 zu ersehen ist - war diese galenische Darreichungsform im Zusammenhang mit Myrtol zum maßgeblichen Zeitpunkt ebenfalls bereits bekannt (vgl. S. 1 von 9 bis 2 von 9).
Der Patentanspruch 1 ist daher wegen mangelnder Neuheit nicht rechtsbeständig.
1.2. Der nebengeordnete Patentanspruch 12 betrifft die Verwendung einer pharmazeutischen Zusammensetzung, die Eucalyptusöl und Orangenöl umfasst, für die Behandlung infektiöser Erkrankungen und Entzündungen der Atemwege. Die aus dem Datenbankauszug NiK2 bekannten; offenkundig vorbenutzten Myrtol enthaltenden Gelatinekapseln sind - wie aus der Roten Liste 1993 zu ersehen ist - für die Behandlung von akuten und chronischen Erkrankungen der Atemwege vorgesehen gewesen (vgl. NiK6 Nr.: 23 065 „Gelomyrtol®/-forte“ bzw. Nr.: 23 066 „Gelomyrtol® forte“). Nachdem die im Datenbankauszug NiK2 beschriebene pharmazeutische Zubereitung somit keinen anderen Verwendungszweck hat als die streitpatentgemäße, ergibt sich kein anderer Sachverhalt, als er mit dem erteilten Patentanspruch 1 vorliegt, weshalb die zum Patentanspruch 1 dargelegten Gründe hier ebenfalls vollumfänglich gelten.
Der Patentanspruch 12 ist daher ebenfalls wegen mangelnder Neuheit nicht rechtsbeständig.
2. Der eine pharmazeutische Zusammensetzung in Form einer Flüssigkeit umfassend Eucalyptusöl und Orangenöl betreffende Patentanspruch 6 erweist sich ebenfalls als nicht bestandsfähig. Dieser Patentanspruch fällt der Nichtigkeit anheim, weil die Bereitstellung der beanspruchten Zubereitung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Es kann dahingestellt bleiben, dass nicht ersichtlich ist, inwiefern die Bereitstellung der beanspruchten Zusammensetzung in Form einer Flüssigkeit überhaupt einen Beitrag zur Lösung der vorliegenden Aufgabe leistet, denn es stellt gerade auf dem Indikationsgebiet der Atemwegserkrankungen eine übliche Maßnahme dar, Wirkstoffe in Form von Flüssigkeiten z. B. formuliert als Tropfen oder Saft, anzuwenden (vgl. z. B. NiK6 Nr. 23 064 bzw. 23 068).
3. Ein bestandsfähiger Rest ist für den Senat auch nicht in den Gegenständen der nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 5 und 7 bis 11 zu erkennen. Die Beklagte hat i. V. m. diesen Patentansprüchen in der mündlichen Verhandlung auch nicht vorgetragen, dass ihnen ein eigenständiger patentfähiger Gehalt zukäme. Diese Patentansprüche, deren selbständiger patentfähiger Gehalt von der Klägerin unter Angabe von Gründen in Abrede gestellt wurde, fallen daher ebenfalls der Nichtigkeit anheim.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
IV.
Der für das vorliegende Patentnichtigkeitsverfahren gemäß § 2 Abs. 2 Satz 4 PatKostG i. V. m. § 63 GKG festzusetzende Streitwert für die Gerichtsgebühren bestimmt sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der Allgemeinheit an der Vernichtung des angegriffenen Patents für die restliche Laufzeit und folgt der übereinstimmenden Einschätzung durch die Parteien, die auch der Senat für zutreffend hält.