Entscheidungsdatum: 05.06.2012
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent 0 746 398
(DE 695 26 929)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 5. Juni 2012 unter Mitwirkung des Richters Guth als Vorsitzenden sowie der Richterin Dipl. Chem. Dr. Proksch-Ledig, der Richter Dipl.-Chem. Dr. Gerster und Schell sowie der Richterin Dipl. Chem. Dr. Münzberg
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 0 746 398 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 746 398 (Streitpatent), das die Priorität der US-amerikanischen Patentanmeldung 200126 vom 22. Februar 1994 in Anspruch nimmt und dessen Erteilung am 5. Juni 2002 veröffentlicht wurde. Vom deutschen Patent- und Markenamt wird das Streitpatent unter der Nummer DE 695 26 929 geführt. Es betrifft eine „Antikörperreinigung“ und umfasst für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland 26 Patentansprüche, von denen die beiden unabhängigen Patentansprüche 1 und 2 in der deutschen Übersetzung wie folgt lauten:
„1. Verfahren zur Reinigung eines monomeren IgG-Antikörpers aus einem Gemisch, das den monomeren Antikörper und Protein A umfasst, wobei das Verfahren das Inkontaktbringen des Gemisches mit einem Träger für hydrophobe Wechselwirkungschromatographie (HIC) und das selektive Eluieren des Monomers vom Träger umfasst.
2. Verfahren zur Reinigung eines IgG-Antikörpers aus konditioniertem Zellkulturmedium, das den IgG-Antikörper enthält, wobei das Verfahren die aufeinanderfolgende Durchführung (a) einer Protein A-Affinitäts-chromatographie, (b) einer Ionenaustauschchromatographie und (c) einer hydrophoben Wechselwirkungschromatographie mit dem Medium umfasst.“
Die Klägerin, die wegen Verletzung des Streitpatents in einem Berufungsverfahren vor dem OLG München in Anspruch genommen wird, greift das Streitpatent in vollem Umfang an und hat insoweit zunächst nur den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit geltend gemacht. Mit Schriftsatz vom 13. Januar 2012 hat die Klägerin ihre Klage um den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit erweitert, auf den sich die Beklagte eingelassen hat.
Sie stützt ihr Vorbringen im Wesentlichen auf folgende Druckschriften:
K1 EP 0 746 398 B1 (Streitpatent)
NiK3 WO 89/06544 A1
NiK4 V.K. Garg in: „Targeted Therapeutic System“ (edited by P. Tyle und B.P. Ram), 1990, Marcel Dekker, Inc., New York, S. 45 bis 73
NiK9 G.S. Blank und D. Vetterlein, J. Cell. Biochem. Suppl., 1991, S. 125, Abstract N 201
NiK10 C. Schmidt, J. Biotechnology, 1989, 11, 235 bis 252
NiK25 „Protein purification applications - a practical approach“, edited by E.L.V. Harris und S. Angal, Oxford University Press, Oxford, 1990, ix - xiii und 147 bis 166
Die Klägerin ist der Auffassung, dass das streitpatentgemäße Verfahren der erteilten Patentansprüche 1 und 2 gegenüber dem zitierten Stand der Technik nicht neu sei und es dem Gegenstand der Patentansprüche 1 und 2 aus ihrer Sicht auch an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit fehle. Soweit die Beklagte das Streitpatent in sechs beschränkten Fassungen verteidigt, vertritt die Klägerin die Auffassung, dass die Hilfsanträge unzulässig seien, da ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe bzw. damit ein Aliud beansprucht werde. Im Übrigen seien die Gegenstände der Hilfsanträge nicht neu und beruhten nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Klägerin stellt den Antrag,
das europäische Patent 0 746 398 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent eine der Fassungen der Hilfsanträge A1 bis A6 gemäß Schriftsatz der Beklagten vom 27. April 2012 erhält, wobei sich die Ansprüche 3 bis 26 zu den Hilfsanträgen A4 und A5 nach dem in der mündlichen Verhandlung übergebenen Schriftsatz richten.
Die beiden nebengeordneten Patentansprüche 1 und 2 haben in den verteidigten Anspruchsfassungen gemäß den Hilfsanträgen folgenden Wortlaut
Hilfsantrag A1:
„1. Verfahren zur Reinigung eines monomeren IgG-Antikörpers aus einem Gemisch, das den monomeren Antikörper, IgG-Aggregate und Protein A umfasst, wobei das Verfahren das Inkontaktbringen des Gemisches mit einem Träger für hydrophobe Wechselwirkungschromatographie (HIC) und das selektive Eluieren des Monomers vom Träger umfasst.
2. Verfahren zur Reinigung eines IgG-Antikörpers aus konditioniertem Zellkulturmedium, das den IgG-Antikörper enthält, wobei das Verfahren die aufeinanderfolgende Durchführung (a) einer Protein A-Affinitäts-chromatographie, (b) einer Ionenaustauschchromatographie und (c) einer hydrophoben Wechselwirkungschromatographie mit dem Medium umfasst, wobei der Schritt der hydrophoben Wechselwirkungschromatographie IgG-Aggregate entfernt.“
Hilfsantrag A2:
„1. Verfahren zur Reinigung eines monomeren IgG-Antikörpers durch Entfernen von Protein A und IgG-Aggregaten aus einem Gemisch, das den monomeren Antikörper, IgG-Aggregate und Protein A umfasst, wobei das Verfahren das Inkontaktbringen des Gemisches mit einem Träger für hydrophobe Wechselwirkungschromatographie (HIC) und das selektive Eluieren des Monomers vom Träger umfasst.
2. Verfahren zur Reinigung eines IgG-Antikörpers aus konditioniertem Zellkulturmedium, das den IgG-Antikörper enthält, wobei das Verfahren die aufeinanderfolgende Durchführung (a) einer Protein A-Affinitäts-chromatographie, (b) einer Ionenaustauschchromatographie und (c) einer hydrophoben Wechselwirkungschromatographie mit dem Medium umfasst, wobei der Schritt der hydrophoben Wechselwirkungschromatographie Protein A und IgG-Aggregate entfernt.“
Hilfsantrag A3:
„1. Verfahren zur Reinigung eines monomeren IgG-Antikörpers durch Entfernen von Protein A und IgG-Aggregaten aus einem Gemisch, das den monomeren Antikörper, IgG-Aggregate und Protein A umfasst, wobei das Verfahren das Inkontaktbringen des Gemisches mit einem Träger für hydrophobe Wechselwirkungschromatographie (HIC) und das selektive Eluieren des Monomers vom Träger umfasst, wobei der erhaltene monomere IgG-Antikörper eine Reinheit von größer als 95 %, bezogen auf Gesamtprotein in der Zusammensetzung, aufweist.
2. Verfahren zur Reinigung eines IgG-Antikörpers aus konditioniertem Zellkulturmedium, das den IgG-Antikörper enthält, wobei das Verfahren die aufeinanderfolgende Durchführung (a) einer Protein A-Affinitäts-chromatographie, (b) einer Ionenaustauschchromatographie und (c) einer hydrophoben Wechselwirkungschromatographie mit dem Medium umfasst, wobei der Schritt der hydrophoben Wechselwirkungschromatographie Protein A und IgG-Aggregate entfernt und wobei die durch dieses Verfahren erhaltenen monomeren IgG-Antikörper eine Reinheit von größer als 95 %, bezogen auf Gesamtprotein in der Zubereitung, aufweisen.“
Hilfsantrag A4:
„1. Verwendung von hydrophober Wechselwirkungschromatographie zur Reinigung eines monomeren IgG-Antikörpers durch Entfernen von Protein A und IgG-Aggregaten aus einem Gemisch, das den monomeren Antikörper, IgG-Aggregate und Protein A umfasst, in einem Verfahren, welches das Inkontaktbringen des Gemisches mit einem Träger für hydrophobe Wechselwirkungschromatographie (HIC) und das selektive Eluieren des Monomers vom Träger umfasst.
2. Verwendung von hydrophober Wechselwirkungschromatographie zur Reinigung eines IgG-Antikörpers durch Entfernen von Protein A und IgG-Aggregaten, in einem Verfahren zur Reinigung eines IgG-Antikör-pers aus konditioniertem Zellkulturmedium, das den IgG-Antikörper enthält, wobei das Verfahren die aufeinanderfolgende Durchführung (a) einer Protein A-Affinitätschromatographie, (b) einer lonenaustauschchromatographie und (c) einer hydrophoben Wechselwirkungschromatographie mit dem Medium umfasst.“
Hilfsantrag A5:
„1. Verwendung von hydrophober Wechselwirkungschromatographie zur Entfernung von Protein A und IgG-Aggregaten aus einem Gemisch, das den monomeren Antikörper, IgG-Aggregate und Protein A umfasst, in einem Verfahren zur Reinigung eines monomeren IgG-Antikörper, wobei das Verfahren das Inkontaktbringen des Gemisches mit einem Träger für hydrophobe Wechselwirkungschromatographie (HIC) und das selektive Eluieren des Monomers vom Träger umfasst.
2. Verwendung von hydrophober Wechselwirkungschromatographie zur Entfernung von Protein A und IgG-Aggregaten in einem Verfahren zur Reinigung eines IgG-Antikörpers aus konditioniertem Zellkulturmedium, das den IgG-Antikörper enthält, wobei das Verfahren die aufeinanderfolgende Durchführung (a) einer Protein A-Affinitätschromatographie, (b) einer lonenaustauschchromatographie und (c) einer hydrophoben Wechselwirkungschromatographie mit dem Medium umfasst.“
Hilfsantrag A6 enthält lediglich Patentanspruch 1, der lautet:
„1. Verwendung von hydrophober Wechselwirkungschromatographie (HIC) zur Entfernung von Protein A und IgG-Aggregaten aus einem Gemisch, das den monomeren IgG-Antikörper, IgG-Aggregate und Protein A umfasst, durch das Inkontaktbringen des Gemisches mit einem Träger für hydrophobe Wechselwirkungschromatographie und das selektive Eluieren des Monomers vom Träger.“
Die Beklagte tritt dem klägerischen Vortrag vollumfänglich entgegen und verweist zur Stützung ihres Vorbringens auf folgende Dokumente:
NB0 Merkmalsanalyse der Ansprüche 1 und 2 gemäß Hauptantrag
NB1 „Hydrophobic Interaction Chromatography“, Amersham Pharmacia Biotech, Edition AB, 1993, 13 bis 20
NB2 Herbert P. Jennissen, “Hydrophobic Interaction Chromatography“, in: Methods in Molecular Biology, Hrsg. G.U. Nienhaus, 2005, Humana Press Inc, Totowa NJ, Bd. 305, 81 bis 99
NB3 A.A. Shukla et al., “Process Scale Bioseparations for the Biopharmaceutical Industry”, CRC Press, 2007, Kapitel 17, Pete Gagnon, „Polishing Methods for Monoclonal IgG Purification”, 2007, Taylor & Francis Group, LLC, 491 bis 505
NB4 P. Clezardin et al. J. Chromatography, 1986, 358, 209 bis 218
NB5 J.R. Nevens et al., J. Chromatography, 1992, 597, 247 bis 256
NB6 E.W. Lamon et al., JNCI, 1987, 78, 547 bis 556
NB7 L.J.S. Harrison und R.M.E. Parkhouse, Parasite Immunology, 1986,8, 319 bis 332
NB8 K. Aoyama und J. Chiba, J. Immunol. Meth., 1993, 162, 201 bis 210
NB9 M. Belàk et al., Transfus. Sci, 1994, 15, 419 bis 422
NB10 P.A. Underwood et al., J. Immunol. Meth., 1983, 60, 33 bis 45
NB11 Wikipedia-Auszug vom 06.06.2011 zum Stichwort „Immunglobulin M“
NB12 L.S. Hanna et al., BioPharm, Oktober 1991, 33 bis 37
NB13 Application Note 28-4078-17 AA „Ion Exchange Chromatography“ vom Juni 2006 der Firma GE Healthcare Bio-Sciences AB, Uppsala, Schweden
NB14 L. Giovannoni et al., BioPharm International.com, 2. Oktober 2009, sechs Seiten
NB15 I. Fernandes et al., Toxicon, 1991, 29, 1373 bis 1379
NB16 E.W. Leser und J.A. Asenjo, J. Chromatography, 1992, 584, 43 bis 57
NB17 E.W. Leser und J.A. Asenjo, Mem. Inst. Oswaldo Cruz, 1994, 89, 99 bis 109
NB18 D.K. Follman und R. L. Fahrner, J. Chromatography A, 2004, 1024,79 bis 85
NB19 Broschüre der Roche Diagnostics GmbH, Custom Biotech - Antibodies for the Diagnostic Industry, 2010
NB20 Newsletter of the AAPS Aggregation and Biological Relevance Focus Group, Jan. 2012, Vol. 3, Issue 1, 1 bis 6
NB21 R. D. Soltis und D. Hasz, Immunology, 1982, 46, 411 bis 414
NB22 WO 93/22349 A1
NB23 A. C. Kenney und H. A. Chase, J. Chem. Tech. Biotechnol., 1987, 39, 173 bis 182
NB24 J. W. Bloom et al, Journal of Immunological Methods, 1989, 117, 83 bis 89
NB25 WO 95/22389 A1
NB26 US 5 164 487 A
NB27 J. Valliere-Douglass et al., Journal of Chromatography A, 2008, 1214, 81 bis 89
NB28 S.M. Yoo und R. Ghosh, Journal of Membrane Science, 2012, 390-391, 263 bis 269
NB29 M. Vázquez-Rey und D.A. Lang, Biotechnology and Bioengineering, 2011, 108, 1494 bis 1508
NB30 J.S. Philo, AAPS Journal, 2006, 8, E564 bis E571
NB31 L.J. Harris et al., J. Mol. Biol., 1998, 275, 861 bis 872
NB32 B. Demeule et al., mAbs, 2009, 1, 142 bis 150
NB33 D. N. Crichton und B.B. Cohen, Immunology Today, 1989, 10, 325
NB34 Entscheidung T 0241/02 - 3.2.7 der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes vom 24. September 2004,
NB35 Entscheidung T 0975/03 - 3.3.04 der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes vom 24. Juli 2007
NB36 Entscheidung T 0081/03 - 3.5.1 der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes vom 12. Februar 2004
Sie hält das Streitpatent in dem verteidigten Umfang für patentfähig, ausführbar und für nicht unzulässig erweitert. Die Beklagte macht insbesondere geltend, dass es im Stand der Technik nicht bekannt gewesen sei, die hydrophobe Interaktions-chromatographie (HIC) zur Entfernung von verunreinigendem Protein A aus IgG-Gemischen zu verwenden, welches von Protein A-Affinitätschromatographie-trägern eluiert worden sei. Der Stand der Technik beschreibe zudem kein Reinigungsverfahren mit einem Ionenaustauschschritt zwischen der Affinitätschromato-graphie und der HIC, sondern im Wesentlichen nur zweistufige Verfahren. Der Gegenstand des Streitpatents könne deshalb weder als durch den vorgebrachten Stand der Technik vorweggenommen noch als für den Fachmann nahegelegt angesehen werden. Der Gegenstand des Streitpatents sei auch ausführbar, da es mehrere Ausführungsbeispiele offenbare, in denen die Abreicherung von Protein A sowie von IgG-Aggregaten gezeigt werde und in denen beschrieben werde, wie die verbliebene Menge an Verunreinigungen bis zu einem bestimmten Restgehalt mittels herkömmlicher Nachweisverfahren bestimmt werden könne. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin seien somit auch die Hilfsanträge zulässig und auf patentfähige Gegenstände bezogen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Wortlauts der geltenden und der hilfsweise geltend gemachten Patentansprüche 3 bis 26 wird ergänzend auf das Sitzungsprotokoll vom 5. Juni 2012 verwiesen und auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
I.
Die Klage, mit der die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ, Art. 52, 56 EPÜ) sowie - im Rahmen einer sachdienlichen Klageerweiterung (§ 269 ZPO), der die Beklagte auch zugestimmt hat - der fehlenden Ausführbarkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. b EPÜ.
1. Das Streitpatent betrifft Verfahren zur Reinigung von Antikörpermolekülen des IgG-Subtyps. Die bekannten Schemata zur Proteinreinigung basieren auf Unterschieden bei den molekularen Eigenschaften von Größe, Ladung und Löslichkeit zwischen dem zu reinigenden Protein und unerwünschten Proteinverunreinigungen. Protokolle, die auf diesen Parametern basieren, umfassen Größenausschlusschromatographie, Ionenaustauschchromatographie, differentielle Präzipitation und dergleichen. Neu sind auf dem Gebiet der Proteinreinigung die Techniken der Affinitätschromatographie und der hydrophoben Wechselwirkungschromatographie (HIC), die entwickelt wurden, um die traditionellen Reinigungsprotokolle zu ergänzen.
Die Affinitätschromatographie beruht auf der spezifischen Wechselwirkung des Proteins mit einem immobilisierten Liganden. Der Ligand kann dabei ein spezifisches Molekül wie ein Inhibitor, Rezeptor oder Antikörper sein, das spezifisch mit dem zu reinigenden Protein reagiert. Alternativ dazu kann der Ligand aber auch mit einer größeren Zahl von verwandten Proteinen reagieren. Mit derart gruppenspezifischen Liganden lässt sich folglich eine ganze Klasse von Proteinen gewinnen. Auch bei der Reinigung von Antikörpern sind sowohl spezifische als auch allgemeine Affinitätsverfahren von Nutzen. Die spezifischste Wahl eines Liganden für die Affinitätsreinigung eines bestimmten Antikörpers ist das Antigen, mit dem der gewünschte Antikörper reagiert. Dagegen kann mit Protein A aus Staphylococcus als Liganden aufgrund seiner hohen Affinität zum Fc-Teil gewisser Antikörper der IgG-Subklasse ein breites Spektrum von IgG-Antikörpern isoliert werden.
Die hydrophobe Wechselwirkungschromatographie (HIC) wurde auf Grund der Beobachtung entwickelt, dass Proteine auf Affinitätsgelen auch dann zurückgehalten werden, wenn diese nur Kohlenwasserstoff-Abstandsarme aber keinen Affinitätsliganden enthalten. Hierfür werden selektive hydrophobe Wechselwirkungen zwischen den hydrophoben Abschnitten des zu reinigenden Proteins und den hydrophoben Abschnitten der HIC-Matrix verantwortlich gemacht. Die hydrophoben Wechselwirkungen sind dabei bei hoher Ionenstärke, d.h. bei hoher Salzkonzentration, am stärksten, weshalb diese Form der Trennung in geeigneter Weise nach der Salzfällung oder dem Ionenaustauschverfahren durchgeführt wird. Die Elution eines an den HIC-Träger gebundenen Proteins kann durch Änderungen des Lösungsmittels, des pH-Wertes, der Ionenstärke oder durch die Zugabe von chaotropen Mitteln oder organischen Modifikationsmitteln bewirkt werden.
Vor allem die Protein A-Affinitätschromatographie wird bei der Isolierung von Antikörpern breit angewendet, obwohl bekannt ist, dass die Elution der Antikörper von den Säulen von einem gleichzeitigen Auswaschen des Proteins A aus dem Träger begleitet wird. Größenausschluss-HPLC und Anionenaustauschchromatographie wurden bisher als Mittel zum Umgang mit diesem Problem vorgeschlagen (vgl. K1, S. 2 und 3, Abs. [0002 bis 0013]).
2. Davon ausgehend liegt dem Streitpatent die objektive technische Aufgabe zugrunde, mit Hilfe der zum Prioritätszeitpunkt bekannten Techniken ein Reinigungsverfahren zu entwickeln, das die selektive Anreicherung von (monomeren) IgG-Antikörpern aus einem Gemisch, das den (monomeren) Antikörper und Protein A enthält, ermöglicht (vgl. K1, S. 3, Abs. 0014 und 0015]).
3. Gelöst wird diese Aufgabe durch die Verfahren der nebengeordneten Patentansprüche 1 und 2, die folgende Merkmale aufweisen:
Patentanspruch 1:
1.1 Verfahren zur Reinigung eines monomeren IgG-Antikörpers aus einem Gemisch,
1.2 das den monomeren Antikörper und Protein A umfasst, wobei das Verfahren
1.2.1 das Inkontaktbringen des Gemisches mit einem Träger für hydrophobe Wechselwirkungschromatographie (HIC) und
1.2.2 das selektive Eluieren des Monomers von dem Träger umfasst.
Patentanspruch 2:
2.1 Verfahren zur Reinigung eines IgG-Antikörpers aus konditioniertem Zellkulturmedium, das den IgG-Antikörper enthält, wobei
2.2 das Verfahren die aufeinanderfolgende Durchführung von
2.2.1 Protein A-Affinitätschromatographie,
2.2.2 Ionenaustauschchromatographie und
2.2.3 hydrophober Wechselwirkungschromatographie mit dem Medium umfasst.
4. Zuständiger Fachmann ist ein wissenschaftlich tätiger Biochemiker mit speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Immunologie, der mit der Aufreinigung von Antikörpern befasst ist.
II.
Die Patentansprüche 1 bis 26 gemäß Hauptantrag erweisen sich mangels Patentfähigkeit als nicht bestandsfähig.
1. Es ist nicht entscheidungserheblich, inwiefern die von Seiten der Klägerin geltend gemachten Bedenken gegen die Ausführbarkeit der in den erteilten Patentansprüchen 1 bis 26 beschriebenen technischen Lehre begründet sind. Es kann im Ergebnis auch dahin gestellt bleiben, ob die beanspruchten Verfahren zur Reinigung von (monomeren) IgG-Antikörpern gemäß den Patentansprüchen 1 und 2 gegenüber dem in diesem Zusammenhang genannten Stand der Technik neu sind. Sowohl das Verfahren zur Reinigung eines monomeren IgG-Antikörpers aus einem Gemisch gemäß Patentanspruch 1 als auch das mit dem Patentanspruch 2 beanspruchte Verfahren zur Reinigung eines IgG-Antikörpers aus konditioniertem Zellkulturmedium fallen der Nichtigkeit anheim, weil ihre Bereitstellung jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (i. S. v. Art. 56 EPÜ).
2. | Die Bereitstellung der in den Patentansprüchen 1 und 2 angegebenen Verfahren war dem Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents im Hinblick auf die PCT-Anmeldung WO 89/06544 A1 (= NiK3) und dem im Journal of Biotechnology von C. Schmidt im Jahr 1989 veröffentlichten Artikel (= NiK10) bzw. durch die Kombination der Druckschrift NiK4 mit NiK3 bzw. NiK10 nahegelegt. |
2.1 Zur patentgemäßen Lösung der Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag konnte der Fachmann vor allem von der mit der großtechnischen Aufreinigung monoklonaler Antikörper befassten Druckschrift NiK10 ausgehen, die nicht nur einen Überblick über die gängigen Proteinreinigungsverfahren beinhaltet, sondern in der auch Aspekte aufzeigt werden, die bei der Konzeption neuer Reinigungsprotokolle zu berücksichtigen sind (vgl. NiK10, S. 236, zweiter Abs. bis S. 237, erster Abs.). Da den Angaben in NiK10 zur Folge im großtechnischen Maßstab am häufigsten IgG-Antikörper murinen Ursprungs hergestellt werden, sind die darin beschriebenen Techniken vor allem für die Aufreinigung von IgG-Antikörpern geeignet (vgl. NiK10, S. 238, Abschnitt „Monoclonal antibody characteristic“, zweiter Abs.). Solche funktionsfähigen, kommerziell verwertbaren IgG-Antikörper werden in NiK10 als monomere Einheiten erachtet, wohingegen IgG-Dimere den Verunreinigungen zugerechnet werden (vgl. NiK10, S. 238, Abschnitt „Monoclonal antibody characteristic“, erster Abs. i. V. m. S. 246, Text zu Fig. 3, vierter Satz). Demzufolge beziehen sich die Angaben in der Druckschrift NiK10 auf Antikörper, wie sie auch in den patentgemäßen Merkmalen 1.1, 1.2 und 1.2.2 genannt werden.
Für ihre Aufreinigung wird in NiK10 nach einer entsprechenden Vorbehandlungsstufe neben der Ionenaustauschchromatographie die Protein A-Affinitätschromatographie als effizienter erster Reinigungsschritt beschrieben, wobei im Zusammenhang mit der Protein A-Affinitätschromatographie darauf hingewiesen wird, dass das Auswaschen von Protein A aus der Affinitätsmatrix einen abschließenden Reinigungsschritt erforderlich macht (vgl. NiK10, S. 241, letzter Abs. i. V. m. S. 243/244, seitenübergreifender Abs. und S. 236, Fig. 1). Da außer einem zusätzlichen Reinigungsschritt für die Protein A-Affinitätschromatographie in NiK10 keine weiteren Nachteile genannt werden, wird der Fachmann an diesem Verfahren als anfänglichem Reinigungsschritt festhalten. Daran wird auch die in NiK10 beispielhaft genannte Aufreinigung eines von der Ratte abgeleiteten monoklonalen IgG-Antikörpers mit einer Protein G-Sepharose nichts ändern, da Protein G in NiK10 lediglich als Alternative zu Protein A in den Fällen genannt wird, in denen die Affinität von Protein A zum aufzureinigenden Antikörper zu gering ist (vgl. NiK10, S. 245, erster Abs.). Nachdem im Stand der Technik keine der Protein A-Affinitäts-chromatographie nachgeschalteten Reinigungsschritte bekannt sind, mit denen sich zufriedenstellende Ergebnisse erzielen lassen (vgl. K1, S. 3, Abs. [0013]), bestand somit für den Fachmann die Veranlassung nach neuen Strategien zur Reinigung von IgG-Antikörpern unter Beteiligung der Protein A-Affinitätschromatographie zu suchen. Vorliegend handelt es sich um einen anderen Fall, als den, der den BGH Entscheidungen „Airbag-Auslösesteuerung“ und „Einteilige Öse“ zugrunde lag (vgl. GRUR 2009, 743 bis 746; GRUR 2010, 407 bis 410), so dass diese Entscheidungen - entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht - hier nicht einschlägig sind.
Aus NiK10 ist dem Fachmann ferner bekannt, dass großtechnisch hergestellte monoklonale Antikörper, die in therapeutischen Verfahren beim Menschen eingesetzt werden, einen gesetzlich vorgeschriebenen hohen Reinheitsgrad aufweisen müssen (vgl. NiK10, S. 239, Abschnitt „Purity“). In Anbetracht dessen weist die Autorin der NiK10 bereits in dem mit der Affinitätschromatographie befassten Abschnitt darauf hin, dass selbst bei geringsten Mengen an Protein A, die bei einer Protein A-Affinitätschromatographie in das Produkt ausgewaschen werden, ein abschließender Reinigungsschritt durchzuführen ist (vgl. NiK10, S. 244, erster Abs.). Ein Reinigungsprotokoll bestehend aus anfänglicher Protein A-Affinitätschromatographie gefolgt von einer abschließenden Reinigungsstufe liegt für den Fachmann durch die Angaben in NiK10 somit auf der Hand. Im Zusammenhang mit dem im Jahr 1987 von Kenney und Chase beschriebenen Proteinreinigungsverfahren, auf das in NiK10 Bezug genommen wird, wird zwar auf die Kombination einer Protein A-Affinitätschromatographie mit einer Ionenaustauschchromatographie hingewiesen (vgl. NiK10, S. 244, seitenübergreifender Satz und S. 245, erster vollständiger Satz). Da die Ionenaustauschchromatographie dabei allerdings nicht als abschließender, sondern lediglich als ein weiterer Reinigungsschritt genannt wird, und den Angaben in der Streitpatentschrift zur Folge zum Prioritätstag die Protein A-Affinitätschromatographie gefolgt von einer Anionenaustauschchromatographie in einem zweistufigen Reinigungsverfahren (vgl. K1, S. 3, Abs. [0013]) nur mit mäßigem Erfolg angewendet wurde, wird sich der Fachmann nicht nur auf dieses eine Beispiel konzentrieren, sondern sich in NiK10 unter dem Abschnitt „Endreinigungsschritt“ weiter darüber informieren, welche Reinigungstechniken als Endstufe bei der Aufreinigung von Antikörpern darüber hinaus in Frage kommen. Hier erfährt der Fachmann, dass sich für den Erhalt von Antikörper-Produkten mit extrem hoher Reinheit sowohl die Gelfiltration, als auch die hydrophobe Wechselwirkungschromatographie (HIC) sowie die Hydroxyapatitchromatographie eignen. Die NiK10 offenbart damit eine überschaubare Zahl möglicher Endreinigungsstufen unter Nennung deren jeweiliger Vor- und Nachteile. Nach geltender Rechtsprechung besteht für den Fachmann in diesem Fall eine Veranlassung, zur Lösung des technischen Problems, jeden dieser Lösungsansätze in Betracht zu ziehen (vgl. BGH GRUR 2011, 261- „E-Mail via SMS“). Auch wenn die Gelfiltration in NiK10 daher als die am häufigsten angewendete Methode beschrieben wird, wird der Fachmann den beiden Alternativen dennoch Beachtung schenken, zumal sich die hohen Ausbeuteverluste bei der Gelfiltration als nachteilig erweisen. Vor allem die HIC wird der Fachmann als vorteilhaft ansehen, da diese Technik in NiK10 als ein vielversprechender nachgeschalteter Reinigungsschritt beschrieben wird, während die Hydroxyapatitchromatographie aufgrund ihrer mit Nachteilen verbundenen Matrix in den meisten Fällen als schlechte Wahl bezeichnet wird (vgl. NiK10, S. 245 bis 248, Abschnitt „Final purification“).
Nachdem es sich bei der im patentgemäßen Merkmal 1.2.1 genannten hydrophoben Wechselwirkungschromatographie entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung nicht um ein funktionelles, sondern ein allgemeines technisches Merkmal handelt und die in der Streitpatentschrift beschriebene Durchführung der patentgemäßen hydrophoben Wechselwirkungschromatographie im Vergleich zur der im Stand der Technik bekannten Vorgehensweise keine Besonderheiten aufweist, ist bei der im Patentanspruch 1 genannten HIC von einer hydrophoben Wechselwirkungschromatographie auszugehen wie sie im Stand der Technik beschrieben wird und nicht - wie von der Beklagten angenommen - von einer speziell an die Abreicherung von Protein A angepassten HIC (vgl. z. B. NiK9, S. 125, Abstract N 201 oder NiK25, S. 156, Punkt 6.5 im Vergleich zu K1, S. 8, Abs. [0057 und 0058]). Demzufolge geht die Argumentation der Beklagten, der Stand der Technik liefere dem Fachmann keine Anregung dafür die Protein A-Affinitätschro-matographie mit einer HIC zu kombinieren, da sich darin kein Hinweis für die Eignung der HIC zur Entfernung von Protein A finde, ins Leere. Um das zweistufige Verfahren des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ins Blickfeld des Fachmanns zu rücken, ist es mithin ausreichend, dass in NiK10 auf die Möglichkeit einer Kombination dieser beiden Reinigungstechniken hingewiesen wird.
Um ausgehend von NiK10 ein die Protein A-Affinitätschromatographie umfassendes Reinigungsprotokoll für IgG-Antikörper zu entwickeln konnte der Fachmann zudem auf die NiK3 zurückgreifen, die in Analogie zu NiK10 ebenfalls mit der Herstellung und Reinigung spezifischer Antikörper vom IgG-Subtyp befasst ist (vgl. NiK3, S. 13, Z. 19 bis 28).
Der Einwand der Beklagten, dass NiK3 für das patentgemäße Verfahren nicht einschlägig sei, weil es sich bei den darin beschriebenen IgG-Antikörpern um heteroligierende Antikörper handle, kann nicht durchgreifen, denn die allgemeine Nennung von IgG-Antikörpern im patentgemäßen Merkmal 1.1 schließt nicht aus, dass es sich auch bei diesen um heteroligierende Antikörper im Sinne der NiK3 handelt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in den Beispielen der Streitpatentschrift nur die Reinigung von monospezifischen Antikörpern beschrieben wird, die entweder gegen das als RSHZ-19 bezeichnete Antigen oder das CD4-Antigen gerichtet sind (vgl. K1, S. 9 bis 18, Bsp. Ia bis IID), denn die in den Patentansprüchen formulierte technische Lehre wird durch die in der Beschreibung enthaltenen Beispiele nach geltender Rechtsprechung nicht beschränkt (vgl. Schulte, PatG, 8. Auflage, § 34 Rdn. 312 i. V. m. BGH GRUR 2004, 1023 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).
Die in NiK3 für die Reinigung heterobifunktioneller Antikörper entwickelten Reinigungsprotokolle basieren auf den üblichen Chromatographietechniken zur Isolierung und Trennung von Immunglobulinen, von denen in NiK3 expressis verbis die Protein A-Affinitäts-, die Ionenaustausch- und die hydrophobe Wechselwirkungs-chromatographie genannt werden (vgl. NiK3, S. 15, Z. 13 bis 19). Für die beispielhafte Isolierung des heterobifunktionellen Antikörpers 17-1A x B140 wird allerdings in NiK3 nur eine Protein A-Affinitätschromatographie gefolgt von einer hydrophoben Wechselwirkungschromatographie durchgeführt (vgl. NiK3, S. 15, Z. 20 bis 30). Im Anschluss an die HIC wird der gesuchte heterobifunktionelle IgG-Antikörper im Sinne des patentgemäßen Merkmals 1.2.2 durch selektive Elution erhalten, denn wie aus dem in der Figur 2B gezeigten Elutionsprofil hervorgeht, erfolgt während der Elution die Trennung des heterobifunktionellen Antikörpers 17-1A x B140 von den monoklonalen Antikörpern 17-1A und B140, von denen der heterobifunktionelle Antikörper abgeleitet und daher mit diesen teilweise identisch ist (vgl. NiK3, S. 2/3, Fig. 2A und 2B). Aus einer Zusammenschau der Druckschriften NiK3 und NiK10 ergibt sich somit ein Verfahren mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag als eine Folge naheliegenden Handelns.
2.2 Auch für die patentgemäße Lösung der Aufgabe durch das Verfahren gemäß Patentanspruch 2 des Hauptantrags sind keine Überlegungen erfinderischer Art erforderlich.
Wie bereits unter Punkt II.2.1 dargelegt, war dem Fachmann aus NiK3 bekannt, dass sich für die Aufreinigung von IgG-Antikörpern eine Kombination aus Protein A-Affinitätschromatographie und anschließender hydrophober Wechselwirkungschromatographie (HIC) eignet (vgl. NiK3, S. 15, Z. 20 bis 26). Für den Fall, dass mit diesem Reinigungsschema keine IgG-Produkte erhalten werden, die die gesetzlichen Vorgaben für die Grenzwerte an zulässigen Verunreinigungen erfüllen (vgl. z. B. NiK10, S. 240, letzter Abs.), wird der Fachmann die Einbeziehung eines weiteren Reinigungsschrittes erwägen. Hierfür konnte sich der Fachmann an den Angaben in der Druckschrift NiK4 orientieren, die einen Überblick über die gängigsten Reinigungstechniken bei der Herstellung therapeutisch anwendbarer monoklonaler Antikörper bietet und in der auch Konzepte für dreistufige Reinigungsverfahren angesprochen werden (vgl. NiK4, S. 50, Fig. 1).
Im Kapitel IV betreffend die Ionenaustauschchromatographie findet sich zunächst der Hinweis, dass in Verfahren bei denen eine Affinitätschromatographie mit Protein A als Liganden zur Antikörper-Reinigung verwendet wird, abschließend ein Anionenaustauschschritt durchgeführt werden sollte, um aus der Affinitätssäule ausgewaschene Fremdproteine, insbesondere Protein A zu entfernen (vgl. NiK4, S. 52, zweiter Abs., vorletzter Satz i. V. m. S. 67, zweiter Abs.). Da die Ionenaustausch- und Affinitätschromatographie in der allgemeinen Zusammenfassung der NiK4 zudem als die bei der Aufreinigung von monoklonalen Antikörpern am häufigsten verwendeten Chromatographietechniken genannt werden (vgl. NiK4, S. 67/68, seitenübergreifender Satz), wird der Fachmann dieser Kombination bei der Entwicklung eines dreistufigen Reinigungsverfahrens Aufmerksamkeit schenken, auch wenn zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents - wie bereits zuvor vorausgeführt - eine zweistufige Proteinreinigung bestehend aus Protein A-Affinitätschromatographie und Anionenaustauschchromatographie als nicht zufriedenstellend erachtet wurde (vgl. K1, S. 3, Abs. [0013]).
Im anschließenden Kapitel V. der NiK4 wird einleitend über die hydrophobe Wechselwirkungschromatographie berichtet, dass dabei die Proteine über ihre hydrophoben Bereiche bei hohen Salzkonzentrationen an die hydrophoben Liganden der Matrix binden und die adsorbierten Proteine anschließend mit einem abnehmenden Salzgradienten selektiv eluiert werden (vgl. NiK4, S. 53/54, seitenübergreifender Abs.). Aufgrund der für die Proteinbindung erforderlichen hohen Salzkonzentration, wird die HIC im Folgenden als geeigneter Reinigungsschritt für Fraktionen erachtet, die z. B. von einer Ionenaustauschersäule eluiert werden und daher bereits in einem Puffer mit relativ hoher Ionenstärke vorliegen. Abschließend wird in Kapitel V. das Fazit gezogen, dass die HIC in einem Antikörper-Reinigungsschema am besten nach einer Ionenaustausch-Chromatographie geeignet ist (vgl. NiK4, S. 54/55, seitenübergreifender Abs.). Diese Feststellung wird den Fachmann nicht weiter überraschen, denn die Streitpatentschrift selbst geht in ihrer einleitenden Beschreibung davon aus, dass die Durchführung einer HIC nach vorangegangener Ionenaustauschchromatographie als bekannt vorauszusetzen ist (vgl. K1, S. 3, Z. 3/4). In der Durchführung einer Protein A-Affinitätschro-matographie, gefolgt von einer Ionenaustausch-Chromatographie und abschließender HIC zur Aufreinigung von IgG-Antikörpern, entsprechend den patentgemäßen Merkmalen 2.2 bis 2.2.3, ist demzufolge keine erfinderische Tätigkeit zu erkennen.
Nachdem die Aufreinigung von IgG-Antikörpern aus einem konditionierten Zellkulturmedium und damit einem Medium, das die Kultivierung von Zellen, die z. B. Antikörper produzieren, unterstützt, einer im Stand der Technik üblichen Vorgehensweise entspricht, vermag auch das patentgemäße Merkmal 2.1 keine erfinderische Tätigkeit zu begründen (vgl. NiK10, S. 237, Abschnitt „Source factors“, Punkt (b) bzw. NiK4, S. 47/48, Punkt B i. V. m. S. 50, Fig. 1).
Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 2 ist daher mangels erfinderischer Tätigkeit ebenfalls nicht bestandsfähig.
Zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage kann das Argument der Beklagten führen, es fehle im Stand der Technik ein spezifischer Hinweis auf ein dreistufiges Antikörper-Reinigungsverfahren, bei dem Affinitäts-, Ionenaustausch- und Hydrophoberwechselwirkungs-Chromatographie in der Reihenfolge des Patentanspruchs 2 eingesetzt würden. Denn aus der wiederholten Nennung der Kombination von Protein A-Affinitätschromatographie und anschließender Ionenaustausch-chromatographie im Stand der Technik (vgl. NiK4, S. 52, zweiter Abs. und NiK10, S. 244/245, seitenübergeifender Abs.), sowie dem Hinweis in NiK4 die HIC bei der Antikörper-Reinigung nach der Ionenaustauschromatographie durchzuführen (vgl. NiK4, S. 55, erster Abs.), ergibt sich für den Fachmann in Kenntnis der NiK3 zwangsläufig ein Reinigungsverfahren mit der patentgemäßen Reihenfolge.
III.
Die von der Beklagten hilfsweise verteidigten Fassungen gemäß den Hilfsanträgen A1 bis A6 erweisen sich aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit gleichfalls als nicht bestandsfähig.
1. Die Patentansprüche 1 und 2 der Hilfsanträge A1 bis A3 entsprechen den Patentansprüchen 1 und 2 gemäß Hauptantrag mit der Ausnahme, dass das zu reinigende IgG-haltige Gemisch darin außer den IgG-Antikörpern und Protein A auch IgG-Aggregate enthält (Hilfsantrag A1) und diese neben Protein A durch die dort genannten Reinigungsverfahren entfernt werden (Hilfsantrag A2), so dass IgG-Antikörper in einer Reinheit von größer als 95 % bezogen auf das Gesamtprotein der Zubereitung erhalten werden (Hilfsantrag A3). Die jeweils abhängigen Patentansprüche 3 bis 26 entsprechen den nachgeordneten Patentansprüchen gleicher Nummerierung gemäß Hauptantrag.
Die Patentansprüche 1 und 2 der Hilfsanträge A4 und A5 sind im Sinne der Patentansprüche 1 und 2 des Hilfsantrags A2 formuliert mit der Ausnahme, dass es sich dabei um Verwendungsansprüche handelt, in denen die Verwendung von hydrophober Wechselwirkungschromatographie zur Reinigung eines (monomeren) IgG-Antikörpers durch Entfernen von Protein A und IgG-Aggregaten (Hilfsantrag A4) bzw. zur Entfernung von Protein A und IgG-Aggregaten in einem Verfahren zur Reinigung eines (monomeren) IgG-Antikörpers (Hilfsantrag A5) vorgesehen ist. Die jeweils abhängigen Patentansprüche 3 bis 26 entsprechen den in der mündlichen Verhandlung am 5. Juni 2012 übergebenen Patentansprüchen 3 bis 26. Der Patentanspruch des Hilfsantrags A6 beschreibt die Verwendung von hydrophober Wechselwirkungschromatographie zur Entfernung von Protein A und IgG-Aggregaten aus einem Gemisch, das den monomeren IgG-Antikörper enthält.
Die mit den Hilfsanträgen A1 bis A5 beanspruchten Gegenstände mögen dadurch beschränkt worden sein. Beim Hilfsantrag A6 bestehen nach Überzeugung des Senats dagegen erhebliche Bedenken, dass bei diesem Anspruch, wenn er als alleinige Anwendung einer hydrophoben Wechselwirkungschromatographie (HIC) zur Reinigung von IgG-Antikörpern aufgefasst würde, der Verzicht auf zusätzliche Reinigungsschritte zu einer unzulässigen Erweiterung führt. Eine Entscheidung darüber kann allerdings dahingestellt bleiben, da die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 2 der Hilfsanträge A1 bis A5 sowie des Patentanspruchs gemäß Hilfsantrag A6 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit nach Art. 56 EPÜ beruhen.
Wie vorstehend unter Punkt II.2.1 ausgeführt, werden im Stand der Technik IgG-Dimere und damit alle Formen von IgG-Aggregaten als Verunreinigungen erachtet (vgl. NiK10, S. 246, Text zur Figur 3). Die Notwendigkeit IgG-Aggregate zusammen mit anderen Verunreinigungen zu entfernen ist im Stand der Technik folglich bekannt und damit auch Ziel jedes chromatographischen Reinigungsschrittes. Auf das in den Patentansprüchen 1 und 2 der Hilfsanträge A1 bis A5 sowie im Patentanspruch des Hilfsantrags A6 genannte funktionelle Merkmal betreffend die Entfernung von IgG-Aggregaten muss im Stand der Technik daher nicht explizit hingewiesen werden, da dies zur Aufgabe der bekannten Reinigungsverfahren gehört und sich somit aus dem Ziel Verunreinigungen zu entfernen von selbst ergibt. Die Argumentation der Streitpatentinhaberin, zur Entfernung von IgG-Aggregaten werde im Stand der Technik - wie in NB12 gezeigt - ausschließlich die Gelfiltration verwendet, nicht aber die hydrophobe Wechselwirkungschromatographie wie in den Hilfsanträgen A1 bis A6 vorgesehen, so dass mit diesen Merkmalen eine Abgrenzung vom Stand der Technik erreicht werde, kann den Senat nicht überzeugen (vgl. NB12, S. 35, li. Sp., erster vollst. Satz). Denn IgG-Aggregate unterscheiden sich nicht nur in ihrer Molekülgröße von den zu isolierenden monomeren IgG-Antikörpern, sondern auch in ihrem hydrophoben Verhalten. Der Fachmann wird für die Entfernung von IgG-Aggregaten daher nicht nur die Gelfiltration als geeignet erachten, sondern auch die hydrophobe Wechselwirkungschromatographie hierfür als geeignetes Reinigungsverfahren in Betracht ziehen. Die Entfernung von IgG-Aggregaten mittels hydrophober Wechselwirkungschromatographie vermag in den Verfahren der Hilfsanträge A1 und A2 daher keine erfinderische Tätigkeit zu begründen. Nachdem mit den im Stand der Technik bekannten Reinigungsverfahren bereits Reinheitsgrade von größer als 95 % erreicht werden, gelangt der Fachmann auch zu den Verfahren des Hilfsantrags A3 ohne erfinderisch tätig zu werden (vgl. NiK10, S. 243/244, seitenübergreifender Satz). Demzufolge liegt den Hilfsanträgen A1 bis A3 kein anderer Sachverhalt als dem Hauptantrag zugrunde, so dass in diesem Fall die zu den Patentansprüchen gemäß Hauptantrag dargelegten Nichtigkeitsgründe ebenso gelten.
Da die Verwendungsansprüche der Hilfsanträge A4 bis A6 sachlich nicht über die Angaben in den Verfahrensansprüchen der Hilfsanträge A1 bis A3 hinausgehen, gelten die vorangegangenen Ausführungen zu den Hilfsanträgen A1 bis A3 hier entsprechend.
IV.
Auch die Gegenstände der mit Hauptantrag sowie den Hilfsanträgen A1 bis A5 verteidigten Unteransprüche 3 bis 26 lassen keinen eigenen erfinderischen Gehalt erkennen. Ein solcher wird von der Beklagten auch nicht geltend gemacht. Das Streitpatent ist deshalb vollumfänglich für nichtig zu erklären.
V.
Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.