Entscheidungsdatum: 27.10.2010
Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent 0 472 651
(DE 690 33 766)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. August 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann, des Richters Engels sowie der Richterinnen Dipl.-Chem. Dr. Proksch-Ledig, Dr. Schuster und Dipl.-Chem. Dr. Münzberg
für Recht erkannt:
1. Das europäische Patent 0 472 651 wird im Umfang der Patentansprüche 1 bis 3 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
2. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit im Übrigen in der Hauptsache erledigt ist.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 9. Mai 1990 als internationale Patentanmeldung WO 90/14421 angemeldeten, die Prioritäten der US-amerikanischen Patentanmeldungen US 353 139 vom 16. Mai 1989 und US 432 516 vom 7. November 1989 in Anspruch nehmenden und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 0 472 651 (Streitpatent), dessen Erteilung am 25. Juli 2001 veröffentlicht worden ist und das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 690 33 766 geführt wird und welches nach Klageerhebung durch Zeitablauf am 9. Mai 2010 erloschen ist.
Das Streitpatent betrifft „ENDO-F-FREIE-PNGASE“ und umfasst in der geltenden Fassung EP 0 472 651 B2 nach Beschränkung im Beschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patentamt 4 Patentansprüche, die in der deutschen Übersetzung folgendermaßen lauten:
„1. Gereinigte Nucleinsäure, welche eine Nucleotidsequenz umfasst, die für ein Enzym mit PNGase-Aktivität codiert, welches von dem Bakterium Flavobacterium meningosepticum produziert wird, wobei die Nucleotidsequenz eine mindestens 90 %-ige Homologie mit dem PNGase F-Gen aufweist, welches in pGB29, ATCC 67987 vorliegt.
2. Nucleinsäure nach Anspruch 1, in welcher die Nucleotidsequenz unter stringenten Bedingungen mit einer 30 Basenpaare-Sequenz des PNGase F-Gens hybridisieren kann.
3. Plasmid, welches die in Anspruch 1 oder Anspruch 2 definierte Nucleotidsequenz trägt.
4. Plasmid pGB29, vorliegend in ATCC 67987.“
Die Klägerin, die zunächst mit der vorliegenden Klage die vollumfängliche Nichtigerklärung des Streitpatents verfolgt hat und von der Beklagten in einem derzeit noch vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf rechtshängigen Verletzungsverfahren wegen Verletzung der durch die Patentansprüche 1 bis 3 geschützten Lehre in Anspruch genommen wird, hat im Hinblick auf das nach Klageerhebung eingetretene Erlöschen des Patents den Rechtsstreit im Hinblick auf Patentanspruch 4 für in der Hauptsache erledigt erklärt und ihr Klageziel der Nichtigerklärung auf die Patentansprüche 1 bis 3 beschränkt. Sie begründet ihre Klage damit, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig sei, insbesondere nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, da für den Fachmann in Kenntnis der PNGase F die Bereitstellung der für dieses Enzym codierenden Nukleinsäure naheliegend und ohne technische Schwierigkeiten möglich gewesen sei. Zudem habe für den Fachmann eine Veranlassung bestanden, Endo F-freie PNGase F bereitzustellen, da die bekannten PNGase F-Präparate Spuren des Enzyms mit Endo F-Aktivität enthielten, welche sich auf die Spezifität der PNGase F nachteilig auswirkten. Zur Begründung ihres Vorbringens stützt sich die Klägerin u. a. auf folgende Dokumente:
WW1 EP 0 472 651 B2 (geltende Fassung des Streitpatents nach Beschwerdeverfahren vor dem EPA)
WW2 DE 690 33 766 T3 (deutsche Übersetzung von WW1)
WW3 EP 0 472 651 B1 (erteiltes Patent)
WW4 WO 90/014421 A1 (ursprüngliche Anmeldung zu WW3)
WW5 Entscheidung der Beschwerdekammer des EPA T 1333/04 vom 3. März 2008
WW7 A.L. Tarentino et al., Biochemistry, 1985, Vol. 24, S. 4665 bis 4671
WW8 T.N. Davis et al. in „Methods in Enzymology“ edited by S.P. Colowick and N.O. Kaplan, Academic Press Inc., 1987, Vol. 139, S. 248 bis 262
WW10 A.L. Tarentino und T.H. Plummer, JR. in „Methods in Enzymology” edited by S.P. Colowick and N.O. Kaplan, Academic Press Inc., 1987, Vol. 138, S. 770 bis 778
WW11 G.D. Barsomian et al., Journal of Biological Chemistry, 1990, Vol. 265, No. 12, S. 6967 bis 6972
WW14 Auszug aus „Kurzes Lehrbuch der Biochemie für Mediziner und Naturwissenschaftler“ von P. Karlson, Georg Thieme Verlag Stuttgart, 12. Aufl., 1984, S. 117/118
Die Klägerin beantragt (sinngemäß):
1. Das europäische Patent 0 472 651 im Umfang der Patentansprüche 1 bis 3 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
2. Festzustellen, dass der Rechtsstreit im Übrigen in der Hauptsache erledigt ist.
Die Beklagte, die der teilweisen Erledigung der Hauptsache widersprochen hat, beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihr Patent im unveränderten Umfang und macht geltend, dass die Nukleinsäure des Patentanspruchs 1, sowie die Plasmide der Patentansprüche 3 und 4 neu seien und deren Bereitstellung auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, da der Fachmann für den Erhalt der patentgemäßen Nukleinsäure nicht gelöste technische Schwierigkeiten habe überwinden müssen. Darüber hinaus sei es nicht zutreffend, dass in der Fachwelt eine Motivation bestanden habe Endo F-freie PNGase F bereitzustellen, da sie die ihr zur Verfügung stehende PNGase F als ausreichend rein erachtet und daher keinerlei Veranlassung gesehen habe, die bekannte PNGase F weiter aufzureinigen. Des Weiteren habe der Fachmann nicht davon ausgehen können, dass mit der rekombinanten Herstellung der PNGase F tatsächlich ein aktives und vollständig Endo F-freies Enzym mit PNGase F-Aktivität erhältlich sei. Zur Stütze ihres Vorbringens verweist die Beklagte auf folgende Dokumente:
B1 Stellungnahme von Dr. Marianne Borowski vom 20. Januar 2005
B1a deutsche Übersetzung von B1
B2 Produktinformation der Firma Roche Diagnostics GmbH
zum Produkt „N-Glycosidase F, recombinant“ vom Juni 2005
B3 Stellungnahme von Dr. J.R. Rasmussen vom 20. Januar 2005
B3a deutsche Übersetzung von B3
B4 Stellungnahme von Dr. N.A. Morrice vom 31. März 2006
B4a deutsche Übersetzung von B4
B5 Stellungnahme von T.H. Plummer, JR., PH.D vom 20. Januar 2005
B5a deutsche Übersetzung von B5
B6 G.D. Barsomian et al., Glycoconjugate Journal, 1989, Vol. 6 (3), S. 374, Abstract 12
B6a Einreichungsformular für das in B6 gezeigte Abstract
B7 R. Nuck et al., Glycoconjugate Journal, 1990, Vol. 7, S. 279 bis 286
B8 T.H. Plummer, Jr. und A.L. Tarentino, Glycobiology, 1991, Vol. 1 (3), S. 257 bis 263
B9 R.B. Trimble et al., The Journal of Biological Chemistry, 1991, Vol. 266 (3), S. 1646 bis 1651
B10 A.L. Tarentino und T.H. Plummer, Jr. in „Methods in Enzymology“, Academic Press Inc., 1994, Vol. 230, S. 44 bis 57
B10a Figur 2 aus B10 i. V. m. einer Vergrößerung des in der Figur 2 gezeigten Gebildes, welches als Figur 3 bezeichnet wird
B11 Stellungnahme von Dr. T.G. Warner vom 27. Juli 2010 mit Attachment 1 und Exhibit A und B
B12 T.H. Plummer, Jr. et al., The Journal of Biological Chemistry,
1984, Vol. 259 (17), S. 10700 bis 10704
B13 „Biochemicals Catalog“ der Firma Boehringer Mannheim Corp. 1998, S. 428 und 429
B14 S. Hirani et al., Analytical Biochemistry, 1987, Vol. 162, S. 485 bis 492
B15 Stellungnahme von Dr. Marianne Borowski vom 16. August 2010
B16 A. Haselbeck und W. Hösel, Topics in Biochemistry, 1988, No. 8 herausgegeben von der Firma Boehringer Mannheim GmbH, S. 1 bis 4
B17 „Biochemicals Catalog“ der Firma Boehringer Mannheim Corp. 1998, S. 426 und 427
B18 Auszug aus dem Lehrbuch „Gene und Klone“ von
E.-L. Winnacker, VCH Verlagsgesellschaft mbH, 1985, S. 184 und 185
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien sowie des Wortlauts der eingereichten Dokumente wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Die ursprünglich auf vollumfängliche Nichtigerklärung des Streitpatents gerichtete Klage, die nunmehr im Hinblick auf Patentanspruch 4 für teilerledigt erklärt wird, ist zulässig, auch wenn das Patent zwischenzeitlich nach Rechtshängigkeit erloschen ist. Aufgrund der Inanspruchnahme wegen Patentverletzung aus den Patentansprüchen 1 bis 3 besteht für die Klägerin jedoch ein eigenes rechtliches Interesse an der rückwirkenden Vernichtung des Streitpatents im angegriffenen Umfang und damit an der Fortführung der Klage (vgl BGH GRUR 2005, 749 - Aufzeichnungsträger; BGH GRUR 2008, 90 - Verpackungsmaschine; BGH GRUR 1965, 231 – Zierfalten), welche im Hinblick auf die durch das Erlöschen des Patents nicht beseitigten Rechtswirkungen der Erteilung als Verwaltungsakt auf Nichtigerklärung und nicht auf Feststellung zu richten ist (BGH GRUR 1974, 146 - Schraubennahtrohr; vgl auch Hövelmann GRUR 2007, 283, 286 Fn 40 - zur abweichenden Auffassung).
Die Klage ist auch begründet. Der von der Klägerin geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit, Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang (Art. 138 Abs. 1, lit a, Abs. 2 EPÜ), da sich der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 3 als nicht erfinderisch (Art. 56 EPÜ) erweist.
I.
1. Das Streitpatent betrifft gereinigte Nukleinsäuren, die für das im Flavobacterium meningosepticum exprimierte Enzym mit PNGase-Aktivität codieren (kurz PNGase F) und die eine mindestens 90%-ige Homologie mit dem PNGase F-Gen aufweisen, das im Plasmid pGB29 vorliegt. Das Streitpatent betrifft ferner ein Plasmid, welches eine patentgemäße Nukleotidsequenz trägt, sowie das Plasmid pGB29, in welchem das PNGase F-Gen vorliegt (vgl. DE 690 33 766 T3 (WW2), Beschreibung S. 2, Abs. [0009 und 0010]).
Die im Flavobacterium meningosepticum vorkommenden N-Glycosidasen PNGase F und Endo-b-N-acetylglucosaminidase F (kurz Endo F) sind Enzyme, die N-verknüpfte Kohlehydratketten von Glycoproteinen abspalten. Obwohl beide Enzyme die N-glycosidischen Verbindungen nur dann spalten, wenn das Oligosaccharid mit der Aminosäure Asparagin verknüpft ist, liefern sie dennoch unterschiedliche Spaltergebnisse. Der Grund dafür ist, dass die PNGase F die Bindung zwischen dem Asparaginrest und dem endständigen Zuckerrest der Kohlehydratkette spaltet, während das Enzym mit Endo F-Aktivität die Bindung zwischen den beiden endständigen Zuckerresten spaltet. Demzufolge werden bei einer Spaltung mit PNGase F die Kohlehydratketten in voller Länge vom Glycoprotein abgespalten, während das Enzym mit Endo F-Aktivität um eine Zuckereinheit verkürzte Kohlehydratketten freisetzt. Um eine Enzympräparation mit spezifischen Spalteigenschaften zu erhalten, müssen die aus dem Flavobacterium meningosepticum gewonnenen Glycosidase-Mischungen daher aufgetrennt werden, zumal insbesondere das Enzym mit PNGase F-Aktivität Potential zur Verwendung bei der Strukturanalyse von Glycoproteinen aufweist (vgl. WW2, Abs. [0002 bis 0007] sowie Abs. [0012 und 0013]).
2. | Vor diesem Hintergrund betrifft das Streitpatent das objektive technische Problem, die Bereitstellung einer Enzymprobe zu ermöglichen, die PNGase F-Aktivität aufweist und vollständig frei von Endo F-Aktivität ist (vgl. WW2, Abs. [0011]). |
3. Zur Lösung dieser Aufgabe wird gemäß dem geltenden Patentanspruch 1 eine Nukleinsäure mit folgenden Merkmalen vorgeschlagen:
(1) Gereinigte Nukleinsäure, welche eine Nukleotidsequenz umfasst,
(2) wobei die Nukleotidsequenz für ein Enzym mit PNGase-Aktivität codiert
(3) und das Enzym vom Bakterium Flavobacterium meningosepticum produziert wird und
(4) die Nukleotidsequenz eine mindestens 90 %ige Homologie mit dem PNGase F-Gen aufweist, welches in pGB29, ATCC 67987 vorliegt.
Die Aufgabe wird ferner durch die Bereitstellung des Plasmids nach Patentanspruch 3 gelöst, welches eine patentgemäße Nukleotidsequenz trägt, sowie durch das Plasmid pGB29 nach Patentanspruch 4, in welches das PNGase F-Gen kloniert wurde.
4. Der zuständige Fachmann ist ein in der industriellen Forschung oder der Hochschulforschung tätiger Chemiker oder Biochemiker mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Enzymgewinnung, der in ein Team aus Spezialisten für die Isolierung und Reinigung von Proteinen eingebunden ist (vgl. BGH GRUR 2010, 123, 125 [27] - Escitalopram).
II.
Die Bereitstellung der im Patentanspruch 1 beschriebenen - unbestritten neuen - Nukleinsäure beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit i. S. v. Art. 56 EPÜ.
1. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit der beanspruchten technischen Lehre ist von der dem Streitpatent objektiv zugrunde liegenden Aufgabe auszugehen, die im vorliegenden Fall darin zu sehen ist, die Erzeugung einer Enzymprobe zu ermöglichen, die PNGase F-Aktivität aufweist und vollständig frei von Endo F-Aktivität ist.
Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur richtet sich die Formulierung der Aufgabe allein nach dem tatsächlich, d. h. objektiv, Erfundenen. Die Aufgabe muss daher auf das Ergebnis der Erfindung abgestellt sein, weshalb Ausgangspunkt das gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich Geleistete ist. Ferner kann sie nur an solchen Problemen orientiert werden, die durch die Erfindung tatsächlich gelöst werden (vgl. BGH GRUR 2010, 607, Tz. 18 - Fettsäurezusammensetzung; BGH Urt. v. 27. April 2010, X ZR 79/09 - Fugenglätter; BGH GRUR 2003, 693 - Hochdruckreiniger). Die in der Patentschrift angegebene Aufgabe ist demgegenüber als solche nicht maßgeblich, sondern lediglich ein Hilfsmittel für die Ermittlung des objektiven technischen Problems (BGH GRUR 2005, 141 - Anbieten interaktiver Hilfe; BGH GRUR 2010, 602, Tz. 27 - Gelenkanordnung). Dies gilt auch für in der Patentschrift angegebene Vorteile der Erfindung und Nachteile vorbekannter Lösungen, da sie lediglich die Grundlage für die Formulierung der in der Patentschrift genannten Aufgabe bilden (vgl. Schulte PatG § 1 Rdn. 63 und 65, Busse PatG 6. Aufl. § 1 Rdn. 88, 92 bis 94, Benkard PatG 10. Aufl. § 1 Rdn. 55a, 56; § 34 Rdn. 18 bis 20).
Vorliegend ist demzufolge zu berücksichtigen, dass die patentgemäß beanspruchte Problemlösung auf die Bereitstellung von Nukleinsäuren (siehe Patentanspruch 1) und Plasmiden (siehe Patentansprüche 3 und 4) gerichtet ist, nicht aber auf ein Enzym mit PNGase F-Aktivität und auch nicht auf ein Verfahren zur rekombinanten Herstellung eines solchen Enzyms, wie in der ursprünglich eingereichten Anspruchsfassung vorgesehen (vgl. WW4, Ansprüche 1 und 17). Die Leistung des vorliegend Erfundenen besteht folglich darin, dass mit den patentgemäßen Nukleinsäuren und Plasmiden die Voraussetzung für die Herstellung eines Endo F-freien Enzyms mit PNGase F-Aktivität unabhängig vom Flavobacterium meningosepticum, dem nativen Produzenten der PNGase F, geschaffen und damit eine rekombinante Bereitstellung des Enzyms ermöglicht worden ist. Von einer Aufgabenstellung, die auf die alternative Reinigung von PNGase F gerichtet ist, wie sie die Beschwerdekammer des EPA ihrer Entscheidung T 1333/04 vom 3. März 2008 bzgl. der beschränkten Aufrechterhaltung des vorliegenden Streitpatents zugrunde gelegt hat, kann demzufolge nicht ausgegangen werden, da eine solche Aufgabenstellung von den in den geltenden Patentansprüchen 1 bis 4 genannten Stoffen nicht getragen wird (vgl. WW5, S. 12, Nr. 11).
2. Bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit ist zunächst zu klären, ob der Fachmann überhaupt eine Veranlassung hatte, den ihm bekannten Stand der Technik weiterzuentwickeln.
Im vorliegenden Fall war der Fachmann nach Ansicht des Senats sowohl aus wissenschaftlicher, als auch aus wirtschaftlicher Sicht veranlasst, ein PNGase F-Enzympräparat mit garantierter, vollständiger Endo F-Freiheit bereitzustellen.
In der Entgegenhaltung WW7 wird zwar von einer PNGase F-Isolierung aus dem Flavobacterium meningosepticum berichtet, die ein Enzympräparat mit einer Reinheit von mehr als 90 % liefert (vgl. WW7, S. 4666, li. Sp., zweiter Abs., erster Satz). Allerdings weist das Enzympräparat nach wie vor einen etwa 0,1 %igen Anteil an zusätzlicher Endo F-Enzymaktivität auf (vgl. WW7, S. 4668, li. Sp., zweiter Abs., vorletzter Satz). Diese zusätzliche Enzymaktivität erachtet der Fachmann als nachteilig, da ihm bekannt ist, dass bei einer Deglycosylierung mit PNGase F-Enzympräparaten, die Spuren von Endo F-Aktivitäten enthalten, nicht vorhersehbare Spaltprodukte entstehen können, weil das Enzym mit Endo F-Aktivität in der Lage ist, die Spaltprodukte der PNGase F erneut zu spalten (vgl. WW7, S. 4666, li. Sp., erster Abs., letzter Satz). In wissenschaftlichen Versuchen oder biochemischen Untersuchungen führen derartige Spaltprodukte folglich dazu, dass beispielsweise die Interpretation der Daten bzgl. der abgespaltenen Kohlehydratketten erschwert wird (vgl. WW10, S. 778, erster Abs., letzter Satz). Da eine zusätzliche Endo F-Aktivität in PNGase F-Enzympräparaten auch dann unvorhersehbare Spaltungen erzeugt, wenn für die Spaltungsreaktion ein pH-Wert gewählt wird, bei dem normalerweise nur die PNGase F aktiv ist, ist der Fachmann bestrebt, mit einer vollständig Endo F-freien PNGase F zu arbeiten (vgl. WW10, S. 776, fünfter Abs.). Ein solches Bestreben war auch die Grundlage für die in der WW10 beschriebene Forschungsarbeit, in deren Rahmen das aus der WW7 bekannte PNGase F-Enzympräparat mit Hilfe eines chromatographischen Reinigungsverfahrens, bei dem zwei unterschiedliche Trennmaterialien verwendet werden, weiter aufgereinigt wurde. Den Angaben in der WW10 zufolge, ist mit dem darin beschriebenen Verfahren der Erhalt einer PNGase F mit einer geschätzten Reinheit von mehr als 95 % möglich, die nun als Endo F-frei erachtet wird (vgl. WW10, S. 775, letzter Abs.). Allerdings findet sich in der WW10 keine Bestätigung für die tatsächliche Endo F-Freiheit der beschriebenen PNGase F-Präparation, weshalb der Fachmann auch diese Enzympräparation nicht als optimal ansehen wird, denn aus wissenschaftlicher Sicht ist für ihn - wie bereits zuvor dargelegt - nur eine PNGase F mit garantierter Endo F-Freiheit von Nutzen. Da jedoch weder das in WW7 noch in WW10 beschriebene PNGase F-Isolierungsverfahren den Erhalt einer Endo F-freien PNGase F verspricht und sich das Verfahren der WW10 aufgrund seiner zahlreichen Chromathographieschritte zudem als zeit- und kostenintensiv erweist, wird sich der Fachmann veranlasst sehen, nach weiteren Möglichkeiten zu suchen, um vollständig Endo F-freie PNGase F zu erhalten.
Die Beklagte ist der Ansicht, der Fachmann entnehme der WW10, dass mit dem darin beschriebenen Verfahren eine für die Deglycosylierung von Glycoproteinen ausreichend reine und vollständig Endo F-freie PNGase F erhältlich sei, so dass für ihn keine Veranlassung bestanden habe das Enzym mit PNGase F-Aktivität in noch reinerer Form bereitzustellen.
Dieser Auffassung kann sich der Senat nicht anschließen. Denn einerseits wird die Endo F-Freiheit der PNGase F in der WW10 nur angenommen, ohne diese jedoch experimentell zu bestätigen (vgl. WW10, S. 775, letzter Abs.). Zahlenmäßig belegt wird in WW10 lediglich die spezifische Aktivität für die darin beschriebene PNGase F (vgl. WW10, S. 773, Tabelle I). Diese Angabe allein erlaubt jedoch keinerlei Rückschlüsse auf die tatsächliche Reinheit bzw. die Endo F-Freiheit der in WW10 beschriebenen PNGase F-Präparation, auch wenn deren Aktivität gegenüber der in WW7 genannten PNGase F-Präparation erhöht ist (vgl. WW7, S. 4667, Tabelle I). Andererseits findet sich in der WW10 - wie schon in WW7 - weiterhin der Hinweis, dass selbst bei einem für die PNGase F optimalen pH-Wert von 9,3 das Enzym mit Endo F-Aktivität nach wie vor aktiv ist und daher zu unerwünschten Spaltergebnissen führen kann (vgl. WW10, S. 776, fünfter Abs.), was ebenfalls als Beleg dafür zu werten ist, dass sich die Autoren der WW10 nach wie vor nicht sicher waren, ein vollständig Endo F-freies PNGase F-Enzympräparat mit dem in WW10 beschriebenen Verfahren isoliert zu haben. Demzufolge wird der Fachmann die Endo F-Freiheit der in der WW10 beschriebenen PNGase F keineswegs als bewiesen ansehen. Er wird die PNGase F-Enzympräparation der WW10 aber auch insofern als verbesserungsfähig erachten, als diese nach wie vor Spuren von Proteasen enthalten kann, für deren Inhibierung die Autoren der WW10 zwar den Einsatz von Proteaseinhibitoren vorschlagen oder eine weitere Reinigung des Enzyms durch Chromatographie über Hämoglobin-Sepharose empfehlen (vgl. WW10, S. 776, zweiter Abs.), was der Fachmann jedoch mit einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand verbinden und daher als nachteilig ansehen wird.
Auch das Argument der Beklagten, die Strukturaufklärung von Glycoproteinen sei zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents noch nicht etabliert und die Anforderung an die Reinheit der dabei verwendeten Enzyme folglich gering gewesen, so dass der Fachmann auch aus diesem Grund keine Veranlassung hatte eine noch reinere PNGase F als in WW10 beschrieben bereitzustellen, kann den Senat nicht überzeugen. Denn die Analyse nativer Glycoproteine war zu diesem Zeitpunkt so weit etabliert, dass die Forschungstätigkeiten auf diesem Gebiet bereits sehr spezielle Fragestellungen betrafen und damit an die Reinheit der dabei verwendeten Enzyme auch hohe Anforderungen gestellt wurden (vgl. WW7, S. 4670, re. Sp., vierter Abs.). Im Übrigen liegt es im Bestreben des biochemisch tätigen Fachmanns wissenschaftliche Untersuchungen - unabhängig davon, wieweit das jeweilige Forschungsgebiet bereits etabliert ist - stets mit reinen Substanzen durchzuführen, um aussagekräftige, reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten, da nur auf solchen Ergebnissen weitere Forschungstätigkeiten aufgebaut werden können. Dass ein solches Bestreben, reine PNGase F zu erhalten, in der Fachwelt tatsächlich existent war, geht aus der im April 1990 nachveröffentlichten und daher nur gutachtlich heranzuziehenden Druckschrift WW11 hervor, in der die Bereitstellung einer PNGase F beschrieben wird, die nachweislich vollständig frei von Verunreinigungen wie Endo F, Proteasen und Exoglycosidasen ist und daher als sehr wertvolles Werkzeug in nahezu jedem Bereich der biologischen Forschung angesehen wird (vgl. WW11, S. 6967, Abstract, letzter Satz und re. Sp., zweiter Abs.).
Die Beklagte wendet ferner ein, dass das Enzym mit PNGase F-Aktivität nur für eine begrenzte Anzahl von Wissenschaftlern von Interesse und für dieses Produkt daher auch kein erfolgversprechender Absatzmarkt zu erwarten gewesen sei, so dass die Fachwelt auch aus wirtschaftlicher Sicht keine Veranlassung gehabt habe, die aus WW10 bekannte PNGase F - mit der bereits Deglycosylierungen möglich gewesen seien - weiter aufzureinigen. Dieser Einwand kann jedoch zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage führen. Wie bereits im Zusammenhang mit den Artikeln WW7 und WW10 dargelegt, handelt es sich bei der PNGase F um ein für die Analyse nativer Glycoproteine wesentliches Enzym, mit dem spezifische enzymatische Spaltungen allerdings nur dann möglich sind, wenn das Enzym in Reinform vorliegt (vgl. WW7, S. 4666. li: Sp., erster Abs., letzter Satz). Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass mit den in der WW7 und WW10 beschriebenen PNGase F-Enzympräparaten bereits Deglycosylierungen nativer Glycoproteine möglich waren, denn die alleinige Möglichkeit einer Deglycosylierung sagt nichts über die Spezifität der mit diesem Enzym durchgeführten Spaltung und damit über die Qualität der erhaltenen Spaltprodukte aus. Reproduzierbare spezifische Deglycosylierungen von Glycoproteinen sind - dem ist sich der Fachmann im Hinblick auf die Angaben in WW7 und WW10 bewusst - nur mit einer vollständig Endo F-freien PNGase F möglich. Ob eine derartige PNGase F mit den im Stand der Technik bekannten Verfahren tatsächlich erhältlich ist, erscheint im Hinblick auf die Angaben in WW7 und WW10 jedoch fraglich, so dass auch nach der Veröffentlichung der WW10 eine garantiert Endo F-freie PNGase F für eine Vielzahl von Forschergruppen nach wie vor Vorteile bietet, weshalb der Senat davon ausgeht, dass dem Fachmann auch wirtschaftliche Anreize eine Veranlassung boten, die Bereitstellung einer vollständig Endo F-freien PNGase F zu ermöglichen.
Die Beklagte weist im Rahmen ihres Vortrages zudem darauf hin, dass entsprechend dem Dokument B17 lange nach dem Prioritätstag des Streitpatents weiterhin Kombinationen aus Endo F und PNGase F kommerziell angeboten worden seien, was aus ihrer Sicht ebenfalls gegen einen Bedarf an vollständig Endo F-freier PNGase F spreche. Dieses Argument kann jedoch nicht greifen, da es sich bei diesem Produkt um eine kommerziell erhältliche Enzymmischung handelt, die zwar in bestimmten, bei weitem aber nicht in allen Fällen von Vorteil sein mag. Die Existenz eines solchen Kombinationsprodukts macht die isolierte Herstellung der darin enthaltenen Enzyme daher keinesfalls überflüssig.
3. Darüber hinaus war es für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents naheliegend, Endo F-freie PNGase F auf rekombinantem Weg in die Hand zu bekommen.
Wie bereits zuvor dargelegt, war es aus den Druckschriften WW7 und WW10 bekannt, dass PNGase F aus dem Flavobacterium meningosepticum unter Verwendung von für die Enzymtrennung geeigneten Gelfiltrationsmedien mit einer Reinheit von 90 % bzw. 95 % isoliert werden kann (vgl. WW7, S. 4668, li: Sp., zweiter Abs. i. V. m. S. 4667, Tabelle I und WW10, S. 775, letzter Abs. i. V. m. S. 773, Tabelle I). Da der Fachmann aber selbst bei Verwendung einer PNGase F-Präparation, die entsprechend den Angaben in der WW10 hergestellt ist, nicht sicher sein kann, dass es sich dabei um eine vollständig Endo F-freie PNGase F handelt, muss er bei Verwendung dieses Enzyms weiterhin mit unerwünschten Spaltungsreaktionen rechnen, auf die in der WW10 auch explizit hingewiesen wird (vgl. WW10, S. 778, erster Abs., letzter Satz). Daraus ergibt sich für den Fachmann das Erfordernis, die PNGase F-Präparation der WW10 weiter aufzureinigen, um so deren vollständige Endo F-Freiheit zu erreichen. Eine weitere Optimierung des in WW10 beschriebenen Reinigungsverfahrens wird er hierfür allerdings nicht als sinnvoll erachten, da dieses Verfahren bereits fünf Verfahrensschritte umfasst, so dass die Einführung einer zusätzlichen Reinigungsstufe nicht nur den Zeit- und Kostenaufwand dieses Verfahrens weiter erhöhen, sondern - wie in WW10 gezeigt - auch die Enzymausbeute weiter verringern würde (vgl. WW10, S. 773, Tabelle I, letzte Spalte). Demzufolge wird der Fachmann nach anderen Möglichkeiten zur Reindarstellung von PNGase F suchen. Unter diesen Voraussetzungen bietet sich die rekombinante Herstellung der PNGase F als Alternative zu der in WW7 bzw. WW10 beschriebenen Isolierung der PNGase F aus dem Ursprungsorganismus Flavobacterium meningosepticum an, weshalb die patentgemäße Lösung dieser Aufgabe keine erfinderische Tätigkeit erkennen lässt.
Denn aus Standardwerken wie „Methods in Enzymology“ (vgl. WW8) oder biochemischen Lehrbüchern (vgl. WW14) ist dem Fachmann zum maßgeblichen Zeitpunkt die sog. rekombinante Technik, sowie deren erfolgreiche Anwendung zur Herstellung von Enzymen bekannt. Darüber hinaus steht ihm mit dem in der WW7 genannten Bakterienstamm vom Typ Flavobacterium meningosepticum (ATCC 33958) nicht nur das Ausgangsmaterial für die Erzeugung einer für dieses Bakterium spezifischen Genbank zur Verfügung (vgl. WW7, S. 4666, li: Sp., dritter Abs., erster Satz), sondern mit der von diesem Stamm produzierten PNGase F auch das für eine teilweise Aminosäuresequenzanalyse erforderliche Protein. Damit verfügt der Fachmann über diejenigen Edukte, die für die Durchführung einer Klonierungsstrategie wie in WW8 beschrieben erforderlich sind (vgl. WW8, S. 1, erster Abs.). Denn für die rekombinante Herstellung eines Proteins lehrt die WW8 die Durchführung einer partiellen Sequenzierung des Proteins, um so diejenige Aminosäuresequenzinformation zu erhalten, die für Design und Synthese darauf abgestimmter Oligonukleotidsonden erforderlich ist (vgl. WW8, S. 2, dritter Abs.). In WW8 wird auch das anschließende Screening einer genomischen Datenbank mit den zuvor erzeugten Sonden beschrieben (vgl. WW8, S. 11/12, seitenübergreifender Abs.). Die Klonierung eines auf diese Weise identifizierten Gens, sowie dessen Expression in einem Wirtsorganismus wie E.coli, zählen somit zu den üblichen verfahrenstechnischen Vorgehensweisen bei der Anwendung rekombinanter Techniken, weshalb diese Verfahrensschritte über allgemeines Lehrbuchwissen nicht hinausgehen (vgl. WW14 i. V. m. B18).
Der Fachmann wird die rekombinante Technik auch deshalb als sinnvoll und erfolgversprechend ansehen, da sich in WW8 der Hinweis findet, dass die darin beschriebene Klonierungsstrategie nicht nur auf das in WW8 genannte Calmodulin-Gen der Hefe anwendbar ist, sondern mit geringfügigen Modifikationen auch auf die Isolierung von Genen aus anderen Organismen übertragbar ist (vgl. WW8, S. 14, letzter Abs.). Darüber hinaus erhält der Fachmann aus der WW8 die Information, dass auch andere bekannte Techniken, die zwar von der in der WW8 beschriebenen abweichen, aber wie diese auf dem Einsatz Gen-spezifischer Oligonukleotidsonden basieren, für eine Klonierung ebenfalls anwendbar sind (vgl. WW8, S. 1, erster Abs.). Der Einwand der Beklagten, der Fachmann habe bei der Bereitstellung vollständig Endo F-freier PNGase F die Anwendung rekombinanter Techniken mit keinerlei Erfolgserwartung verbunden, vermag somit nicht zu greifen.
Da es sich bei der rekombinanten Herstellung von Proteinen zudem um einen vielfach begangenen Weg handelt, der u. a. die großtechnische Herstellung von Insulin möglich gemacht hat (vgl. WW14, S. 118), kann dem Einwand der Beklagten, dass die Anwendung dieser Technik eine Abkehr von der üblichen Vorgehensweise darstelle, ebenfalls nicht gefolgt werden.
Aus Sicht der Beklagten hat der Fachmann eine Klonierungsstrategie wie in WW8 beschrieben zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents schon deshalb nicht erfolgreich durchführen können, da eine Nacharbeitung des in WW7 bzw. WW10 beschriebenen Reinigungsverfahrens nur PNGase F-Enzympräparate mit einer Reinheit von 22 % liefere, die folglich weder für eine N-terminale Aminosäuresequenzanalyse, noch für die Sequenzanalyse tryptischer Fragmente ausreichend rein gewesen seien (vgl. B1, S. 9, Nr. 19). Somit habe die Beklagte für die Bereitstellung der im Patentanspruch 1 genannten Nukleinsäure erst ungelöste technische Schwierigkeiten überwinden müssen, was ihrer Ansicht nach per se für eine erfinderische Tätigkeit spreche.
Nach Ansicht des Senats mögen die von der Beklagten beschriebenen technischen Schwierigkeiten durchaus existent gewesen sein. Die Beklagte konnte den Senat allerdings nicht davon überzeugen, dass für die Lösung dieser Schwierigkeiten erfinderisches Zutun erforderlich war. Denn die nachveröffentlichte Druckschrift WW11 belegt gutachtlich, dass mit der in der WW7 beschriebenen PNGase F auch vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents bereits eine N-terminale Aminosäuresequenzanalyse erfolgreich durchgeführt werden konnte (vgl. WW11, S. 6968, re. Sp., letzter Abs.). Dabei ist unschädlich, dass in der WW11 vor der Sequenzanalyse zusätzliche Reinigungsschritte wie Gelelektrophorese und Elektroblotting durchgeführt werden mussten, da diese zu den Routinetätigkeiten des Fachmanns gehören. So wird eine Rechromatographie mit anschließender SDS-Gelelektrophorese bereits im Zusammenhang mit der in der WW7 beschriebenen PNGase F-Reinigung genannt (vgl. WW7, S. 4668, li. Sp., zweiter Abs., zweiter und dritter Satz von unten i. V. m. Fig. 4). Auch im Streitpatent findet sich kein Hinweis darauf, dass mangelnde Reinheit der PNGase F-Probe, die entsprechend dem Verfahren der WW7 erhalten und für eine N-terminale Aminosäuresequenzanalyse verwendet wurde, zu Problemen geführt hätte (vgl. WW2, Abs. [0030]). Die von der Beklagten vorgelegten Gutachten B1, B3, B4 und B5 führen ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage. Denn beispielsweise wird in B1 davon berichtet, dass eine für die N-terminale Sequenzierung geeignete PNGase F-Probe letztendlich mit einem Reinigungsverfahren erhalten worden sei, das im Wesentlichen drei Chromatographieschritte umfasse, in denen zwei unterschiedliche Trennmaterialien verwendet worden seien (vgl. B1, Nr. 16). Eine solche Vorgehensweise geht im Hinblick auf den zitierten Stand der Technik jedoch über das allgemeine Können und Wissen des Fachmanns nicht hinaus (vgl. WW10, S. 773, Tabelle I).
Der Senat kann sich auch dem Argument der Beklagten nicht anschließen, der Fachmann sei nicht überzeugt gewesen, mit einer rekombinanten Herstellung tatsächlich Endo F-freie PNGase F erhalten zu können. Denn zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents konnte der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens eine Endo F-Kontamination der PNGase F bei einer Expression des Enzyms in E. coli ausschließen, da das Genom des Bakteriums E. coli im Stand der Technik bekannt war und damit auch die Tatsache, dass das Genom dieses Bakteriums kein Gen für ein Enzym mit Endo F-Aktivität enthält.
Die Beklagte hat ferner vorgetragen, der Fachmann sei auch deshalb von einer rekombinanten Herstellung der PNGase F in E. coli abgehalten gewesen, da sich die Gewinnung des Enzyms aus dem Flavobacterium meningosepticum als technisch einfach erwiesen habe, während eine Gewinnung der PNGase F aus E. coli erst die Etablierung einer aufwändigen Reinigung des Enzyms erforderlich mache. Zudem würde der Fachmann nicht ohne weiteres erwarten, dass mit einer rekombinanten Herstellung der PNGase F in E.coli ein aktives Enzym erhältlich sei, da sich E.coli-Bakterien u. a. in ihren posttranslationalen Modifikationen vom Flavobacterium meningosepticum unterscheiden würden.
Auch dieser Argumentation der Beklagten kann der Senat nicht beitreten. Zum einen handelt es sich bei E.coli um ein im Stand der Technik etabliertes Expressionssystem, von dem bekannt ist, dass sekretierte Proteine darin meist nur in den periplasmatischen Raum gelangen, weshalb der Fachmann geeignete verfahrenstechnische Maßnahmen ergreifen wird, die für eine Isolierung der in diesen Zellen exprimierten Proteine erforderlich sind (vgl. B18). Auch die in E.coli fehlenden post-translationalen Modifikationen werden den Fachmann weder überraschen noch davon abhalten, E.coli als geeignetes Wirtssystem zu testen. Denn an der generellen Eignung der rekombinanten Technik für die Herstellung Endo F-freier PNGase F wird er auch dann nicht zweifeln, wenn sich E.coli in diesem Fall als ungeeignetes Wirtssystem erweisen sollte, da im Stand der Technik zahlreiche andere Wirtssysteme bekannt sind, die er im Rahmen routinemäßiger Versuche auf ihre Eignung für die von ihm geplante Expression untersuchen kann (vgl. B18, S. 184, re. Sp., letzter Abs. und WW2, Abs. [0021]). In Anbetracht dessen wird der Fachmann die rekombinante Herstellung Endo F-freier PNGase F daher mit einer angemessenen Erfolgserwartung verbinden. Zumal die in WW7 bzw. WW10 beschriebene Isolierung der PNGase F aus dem Flavobacterium meningosepticum keineswegs - wie von der Beklagten vorgetragen - als technisch einfach und schnell anzusehen ist. So wird in der WW7 ein Zeitraum von ca. 8 Tagen für die Isolierung einer PNGase F-Präparation angegeben, die allerdings noch 0,1 % Endo F-Kontamination enthält (vgl. WW7, S. 4670, li. Sp., dritter Abs.). Auch die in WW10 beschriebene PNGase F-Isolierung erfordert ein mindestens 5-stufiges Verfahren mit drei Chromatographieschritten, weshalb sich dieses Verfahren ebenfalls als zeit- und kostenintensiv erweist (vgl. WW10, S. 773, Tabelle I).
Nach alledem ist der Senat daher zu der Überzeugung gelangt, dass der Fachmann am Prioritätstag vollständig Endo F-freie PNGase F mittels rekombinanter Technik auf naheliegende Weise herstellen konnte.
4. Ein bestandsfähiger Rest kann vom Senat auch in den Gegenständen der nebengeordneten Patentansprüche 3 und 4 nicht gesehen werden. Sie teilen daher das Schicksal des Patentanspruchs 1 und fallen ebenso der Nichtigkeit anheim.
Die nebengeordneten Patentansprüche 3 und 4 betreffen Plasmide, wobei das im Patentanspruch 4 genannte Plasmid das PNGase F-Gen enthält (vgl. WW2, Abs. [0021], erster Satz), während das im Patentanspruch 3 genannte Plasmid eine Nukleinsäuresequenz trägt, die eine mindestens 90 %ige Homologie mit dem PNGase F-Gen aufweist. Da der Einsatz von Plasmiden zum Prioritätstag des Streitpatents jedoch eine übliche verfahrenstechnische Maßnahme bei der Klonierung von DNA darstellt (vgl. WW14, S. 117, Abb. 7.15), geht die Bereitstellung der patentgemäßen Nukleinsäuren in klonierter Form nicht über das allgemeine Können und Wissen des Fachmanns hinaus.
5. Auch der Umstand, dass die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts die Frage der erfinderischen Tätigkeit trotz identischer Patentansprüche und gleichem Stand der Technik anders bewertet hat, steht der Überzeugung des Senats von der Richtigkeit seiner Bewertung nicht entgegen. Insoweit entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass sich die deutschen Gerichte auch bei Rechtsfragen - wie der Frage, ob der Stand der Technik den Gegenstand eines Schutzrechts nahegelegt hat - Entscheidungen, die durch die Instanzen des EPA oder durch Gerichte anderer Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens ergangen sind und eine im Wesentlichen gleiche Fragestellung betreffen, zu beachten und sich gegebenenfalls mit den Gründen auseinanderzusetzen, die bei der vorangegangenen Entscheidung zu einem abweichenden Ergebnis geführt haben (BGH GRUR Int. 2010, 761 - Walzenformgebungsmaschine; BGH GRUR 1998, 895, - Regenbecken). Der Senat ist sich bewusst, dass deshalb dem Beschluss vom 4. Mai 2006 der Technischen Beschwerdekammer des EPA insoweit erhebliches Gewicht zukommt, auch wenn im Hinblick auf die Rechtsfrage der erfinderischen Tätigkeit die Bedeutung einer sachverständigen Äußerung nicht im Vordergrund steht.
Der Senat hält allerdings die im Beschluss der Technischen Beschwerdekammer enthaltene Begründung bereits deshalb für nicht hinreichend überzeugend, weil die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit auf eine Problemstellung abstellt, die sich nur im Hinblick auf die ursprünglich eingereichten, nicht aber die im Beschwerdeverfahren maßgeblichen, geänderten Patentansprüche ergab. Nach Ansicht des Senats ist - wie unter Punkt II.1. bereits zuvor ausgeführt - jedoch von einer Aufgabenstellung auszugehen, die sich an den Problemlösungen orientiert wie sie in den geltenden Patentansprüchen beansprucht werden, weshalb der Senat anders als die Technische Beschwerdekammer (vgl. WW5. Nr. 11 und 13) zu dem Schluss kommt, dass die gelöste patentgemäße objektive Aufgabenstellung keine erfinderische Tätigkeit zu begründen vermag. Auch zur Feststellung, dass im vorliegenden Fall keine Motivation bestanden habe, die Problemlösung auf dem Gebiet der patentgemäßen Gegenstände zu suchen, gelangt die Technische Beschwerdekammer nur unter der Annahme der von ihr abweichend definierten Aufgabenstellung sowie aufgrund einer isolierten Betrachtung einzelner Passagen der entgegengehaltenen Dokumente, ohne jedoch den gesamten Offenbarungsgehalt der Dokumente im Detail zu erörtern (vgl. WW5, Nr. 7 bis 10). Demzufolge kann sich der Senat auch in diesem Punkt den Ausführungen der Technischen Beschwerdekammer nicht anschließen.
III.
Auch soweit die Klägerin hinsichtlich des Patentanspruchs 4 die Feststellung der Erledigung der Hauptsache beantragt hat, hat die Klage Erfolg, da sich diese bis zum Zeitpunkt der Erledigterklärung als zulässig und begründet erwiesen hat. Denn auch dem Gegenstand des Patentanspruchs 4 mangelt es an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit, da die Identifizierung des für die PNGase F codierenden Gens, sowie dessen Klonierung in ein Plasmid aus den zuvor genannten Gründen naheliegend ist und daher nicht über das allgemeine Können und Wissen des Fachmanns hinausgeht.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.