Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 25.03.2014


BPatG 25.03.2014 - 3 Ni 31/12

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
25.03.2014
Aktenzeichen:
3 Ni 31/12
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
nachgehend BGH, 23. August 2016, Az: X ZR 81/14, Beschluss

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das deutsche Patent 196 81 289

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. März 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm, des Richters Guth, sowie der Richter Dipl.-Chem. Dr. Egerer, Dipl.-Chem. Dr. Lange und Dipl.-Chem. Dr. Wismeth

für Recht erkannt:

I. Das deutsche Patent 196 81 289 wird dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass seine Ansprüche folgenden Fassung erhalten:

“1. Verwendung eines Verbundwerkstoffs, umfassend einen Träger und eine darauf aufgebrachte photokatalytische Schicht, wobei die photokatalytische Schicht aus TiO 2 in der Anatas-Form und SiO 2 besteht, worin das Verhältnis von SiO 2 zur Summe von TiO 2 und SiO 2 10 bis 50 Mol-% beträgt und die photokatalytische Schicht eine Oberfläche hat, die durch Belichtung mit Sonnenlicht hydrophil gemacht wurde und die eine Wasserbenetzbarkeit von weniger als 10°, ausgedrückt durch den Kontaktwinkel mit Wasser, aufweist, worin der Träger aus Glas hergestellt ist, das alkalische Netzwerk-Modifizierungsmittel - Ionen enthält und worin ein dünner Film, welcher verhindert, dass die Ionen von dem Träger in die photokatalytische Schicht diffundieren, zwischen dem Träger und der Schicht angeordnet ist, als Material, von dem Ablagerungen und/oder Verunreinigungen, die auf der Oberfläche haften, durch gelegentlichen Kontakt mit Regen abgewaschen werden.

2. Verwendung nach Anspruch 1, worin die hydrophile Oberfläche eine Wasserbenetzbarkeit von weniger als 5°, ausgedrückt durch den Kontaktwinkel mit Wasser, aufweist.

3. Verwendung nach Anspruch 1, worin die hydrophile Oberfläche eine Wasserbenetzbarkeit von 0°, ausgedrückt durch den Kontaktwinkel mit Wasser, aufweist.

4. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 3, worin die photokatalytische Schicht weiterhin mit einer Schutzschicht beschichtet ist, die hydrophil gemacht werden kann.

5. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 4, worin die photokatalytische Schicht außerdem ein Metall, gewählt aus der Gruppe, bestehend aus Ag, Cu und Zn, enthält.

6. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 5, worin die photokatalytische Schicht außerdem ein Metall, gewählt aus der Gruppe, bestehend aus Pt, Pd, Os und lr, enthält.

7. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 6, worin der Verbundwerkstoff ein Spiegel, ein Fensterglas, eine Fliese oder ein äußeres Paneel eines Gebäudes ist.

8. Verwendung nach Anspruch 1, worin der dünne Film, der verhindert, dass die Ionen aus dem Substrat in die photokatalytische Schicht diffundieren, eine Siliciumdioxidschicht ist.“

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervention zu je 9/10, die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 1/10.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Nichtigkeitsklage richtet sich gegen das deutsche Patent 196 81 289, das aus der internationalen Patentanmeldung mit dem Aktenzeichen PCT/JP96/00733 mit der Veröffentlichungsnummer WO 96/29375 A1 und dem 21. März 1996 als Anmeldetag hervorgeht, und das über die PCT-Anmeldung folgende Prioritäten japanischer Anmeldungen in Anspruch nimmt:

2

(1) JP 7/99425 vom 20.03.1995,

3

(2) JP 7/117600 vom 06.04.1995,

4

(3) JP 7/182019 vom 14.06.1995,

5

(4) JP 7/182020 vom 14.06.1995,

6

(5) JP 7/205019 vom 08.07.1995,

7

(6) JP 7/326167 vom 09.11.1995,

8

(7) JP 7/354649 vom 22.12.1995.

9

Es ist nach einem Einspruchsverfahren beschränkt aufrechterhalten worden.

10

Die Beklagte verteidigt das Streitpatent jeweils beschränkt mit einem Hauptantrag und sieben Hilfsanträgen. Das Streitpatent betrifft laut Bezeichnung die “Verwendung eines Verbundwerkstoffes als Material, von dessen Oberfläche anhaftende Ablagerungen durch Kontakt mit Regen abgewaschen werden“ und umfasst in seiner geltenden Fassung elf Patentansprüche, die folgendermaßen lauten:

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11

Die Klägerin macht die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung und der mangelnden Patentfähigkeit geltend. Sie stützt ihr Vorbringen im Wesentlichen auf folgende Entgegenhaltungen:

12

 (1) JP 7/99425   vom 20.03.1995

13

 (2) JP 7/117600 vom 06.04.1995

14

 (3) JP 7/182019 vom 14.06.1995

15

 (4) JP 7/182020 vom 14.06.1995

16

 (5) JP 7/205019 vom 08.07.1995

17

 D1 WO 97/10186 A1

18

 D1’ FR 2 738 813 A1

19

 D2 WO 95/11751 A1

20

 D3 EP 0 590 477 A1

21

 D4 JP 63-100042 A in englischer Übersetzung

22

 D5 T. Saito et al, ”Mode of photocatalytic bactericidal action of powdered semiconductor TiO 2 on mutans streptococci”, J. Photochem. Photobiol. B: Biol., 14 (1992) 369-379

23

 D6 Roger I. Bickley et al, “A Structural Investigation of Titanium Dioxide Photocatalysts”, J. Sol. State Chem., 92 (1991) 178-190

24

 D7 K. Hashimoto et al, ”TiO 2 Photocatalysis: A Historical Overview and Future Prospects” Jap. J. Appl. Phys., 44 (2005) 8269-8285

25

Die Nebenintervenientin, die dem Verfahren auf der Seite der Klägerin beigetreten ist, verweist weiterhin auf folgende Entgegenhaltungen:

26

Anlage NI 1 zum Schriftsatz vom 5. März 2014: JP 5-253544 A sowie Übersetzung ins Deutsche

27

Anlage NI 2 zum Schriftsatz vom 5. März 2014: Korrespondenz der Patentinhaberin mit der Nebenintervenientin, 2 Seiten, mit Anlage, 6 Seiten

28

Die Klägerin und die Nebenintervenientin sind der Ansicht, Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 4 sei unzulässig erweitert, denn in den ursprünglichen Unterlagen sei nicht offenbart, dass die photokatalytische Schicht des Verbundwerkstoffs ein photokatalytisches Material und außerdem SiO 2 oder Silikon enthält, was auch im Kontext der gesamten Anmeldung durch die Verwendung des Wortes “aus“ deutlich werde. So “bestehe die photokatalytische Schicht aus mit Siliciumdioxid gemischtem Titandioxid“ oder “aus mit Zinndioxid gemischtem Titandioxid“. Patentanspruch 1 sei auch unzulässig geändert, weil in den ursprünglichen Unterlagen die Merkmalskombinationen von TiO 2 in der Anatas-Form und/oder SnO 2 , Bestrahlung mit Sonnenlicht und gelegentlicher Kontakt mit Regen und außerdem SiO 2 oder Silikon nicht im Zusammenhang offenbart seien.

29

Dem Gegenstand des strittigen Patentanspruches gemäß Hauptantrag und Hilfsanträgen 1 bis 6 fehle im Hinblick auf den Stand der Technik gemäß D1, D2 und D3 ferner die Neuheit. Außerdem beruhe dieser Patentanspruch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik im Hinblick auf die Dokumente D2 oder D3 in Verbindung mit D4 oder D5.

30

In Bezug auf die Patentfähigkeit des Hilfsantrags 7 verweist die Nebenintervenientin erstmals in der mündlichen Verhandlung auf die Druckschrift EP 0 684 075 (Übersetzung der WO 95/15816 A1) und trägt vor, die Druckschrift sei erst im Rahmen der Recherche aufgefunden worden. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Nebenintervenientin sich erst seit Januar 2014 im Verfahren befinde und daher erst im Laufe des Verfahrens umfassend habe recherchieren können. Die Entgegenhaltung sei daher in das Verfahren einzubeziehen, obwohl die Beklagte erkläre, sie könne sich im Termin hierzu nicht einlassen.

31

Die Klägerin stellt den Antrag,

32

das deutsche Patent 196 81 289 für nichtig zu erklären.

33

Die Beklagte stellt den Antrag,

34

die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung des Hauptantrags, hilfsweise die Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 5, sämtliche gemäß Schriftsatz vom 05. März 2014, weiter hilfsweise die Fassung eines der Hilfsanträge 6 und 7, überreicht in der mündlichen Verhandlung, erhält.

35

Der Hauptantrag entspricht der geltenden Fassung des Streitpatents mit dem Unterschied, dass die hydrophile Oberfläche gemäß Patentanspruch 1 eine Wasserbenetzbarkeit von weniger als 10° aufweist, der erteilte Patentanspruch 2 gestrichen und die Nummerierung der neun übrigen Patentansprüche angepasst wird.

36

Hilfsantrag 1 entspricht dem Hauptantrag mit dem Unterschied, dass in Patentanspruch 1 zusätzlich das Merkmal “und wobei bei Verwendung von Silikon die an die Siliciumatome der Silikonmoleküle gebundenen organischen Gruppen unter der photokatalytischen Wirkung des photokatalytischen Material zumindest teilweise durch Hydroxygruppen ersetzt werden“ eingefügt wird.

37

Hilfsantrag 2 entspricht dem Hauptantrag, mit dem Unterschied, dass in Patentanspruch 1 das Merkmal, dass die photokatalytische Schicht auf dem Träger Silikon enthält, fehlt.

38

Hilfsantrag 3 entspricht Hilfsantrag 2, mit dem Unterschied, dass in Patentanspruch 1 nach “und außerdem SiO 2 enthält“ zusätzlich das Merkmal “worin das Verhältnis von SiO 2 zur Summe von TiO 2 und SiO 2 10 bis 50 Mol-% beträgt“ eingefügt wird.

39

Hilfsantrag 4 entspricht Hilfsantrag 3 mit dem Unterschied, dass die photokatalytische Schicht gemäß Patentanspruch 1 ausschließlich dadurch definiert ist, dass sie TiO 2 in der Anatas-Form und SiO 2 enthält.

40

Hilfsantrag 5 entspricht dem Hilfsantrag 3 mit dem Unterschied, dass die photokatalytische Schicht gemäß Patentanspruch 1 ausschließlich dadurch definiert ist, dass sie aus TiO 2 in der Anatas-Form und SiO 2 besteht. Patentanspruch 10 wird gestrichen.

41

Hilfsantrag 6 entspricht Hilfsantrag 5 mit dem Unterschied, dass das Merkmal “worin der Verbundwerkstoff ein Spiegel, ein Fensterglas, eine Fliese oder ein äußeres Paneel eines Gebäudes ist“ in Patentanspruch 1 nach dem Wort “aufweist“ eingefügt, Patentanspruch 8 gestrichen und die Nummerierung von Patentanspruch 9 angepasst wird.

42

Hilfsantrag 7 entspricht Hilfsantrag 5 mit dem Unterschied, dass das Merkmal “worin der Träger aus Glas hergestellt ist, das alkalische Netzwerk-Modifizierungsmittel - Ionen enthält und worin ein dünner Film, welcher verhindert, dass die Ionen von dem Träger in die photokatalytische Schicht diffundieren, zwischen dem Träger und der Schicht angeordnet ist“ in Patentanspruch 1 nach dem Wort “aufweist“ eingefügt, Patentanspruch 7 gestrichen und die Nummerierung der Patentansprüche 8 und 9 angepasst wird.

43

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen und verweist auf folgende Dokumente

44

Annex zum Schriftsatz vom 25. Juli 2013: “Experimente zu Dokument D2“, 9. April 2003, 15 Seiten, und “kurze Erläuterung der Experimente zu Dokument D2“, März 2009, 2 Seiten

45

Anlagen zum Schriftsatz vom 5. März 2014:

46

Anlage 1 Kopie eines Artikels aus “The Invention, Vol. 103, 2006 No. 8, Special Reports", 4 Seiten

47

Anlage 2 7 Seiten einer englischen Übersetzung zum Artikel aus  Anlage 1

48

Anlage 3 Werbeanzeige in der japanischen Zeitung: Nihon Keizai Shimbun, 25. Juli 1996, 1 Seite

49

Anlage 4 Nature, Vol. 388 (1997) 431- 432

50

Anlage 5 T 0305/09, Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer des EPA vom 19. Juli 2011, 17 Seiten

51

Anlage 6 Beschluss der Patentabteilung 1.43 des DPMA vom 21. Oktober 2008 zu Patent DE 196 81 289 B4, 10 Seiten

52

Anlage 7 Liste der im erstinstanzlichen europäischen Einspruchsverfahren zu EP 0 816 466 B1 zitierten Druckschriften, 24. November 2008, 4 Seiten

53

Anlage 8 “band gap". In Wikipedia, the free encyclopedia. Bearbeitungsstand: unbekannt. URL: http://en.wikipedia.org/wiki/Band_gap [abgerufen am 05.03.2014]

54

Anlage 9 “Electronvolt“. In Wikipedia, the free encyclopedia. Bearbeitungsstand: unbekannt. URL: http://en.wikipedia.org/wiki/Electronvolt [abgerufen am 05.03.2014]

55

Anlage 10 “Ultraviolet". In Wikipedia, the free encyclopedia. Bearbeitungsstand: unbekannt. URL: http://en.wikipedia.org/wiki/Ultraviolet [abgerufen am 05.03.2014]

56

Anlage 11 Versuchsbericht zur Hydrophilie, 3 Seiten

57

Anlage D5 M. Shimohigoshi et al., Research Institute, TOTO Ltd., Japan, ”Development of photocatalyst tile and commercial production”, RILEM Symposium 2004, Koriyama, Japan, S. 35-40

58

Die Beklagte ist der Ansicht, die in Patentanspruch 1 von Haupt- und Hilfsanträgen gelehrte Beschaffenheit der photokatalytischen Schicht des Verbundwerkstoffs sei u.a. durch die ursprünglich eingereichten Patentansprüche 123, 148, 150, 157, 158, 159, 169, 179 und 180 offenbart.

59

Der Gegenstand des Streitpatents gemäß Hauptantrag und Hilfsanträgen sei neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit, denn in D2 seien nur hydrophobe Oberflächen offenbart, jedoch keine hydrophilen Oberflächen mit einer Wasserbenetzbarkeit von weniger als 10°, ausgedrückt durch den Kontaktwinkel mit Wasser wie im Streitpatent. D3 enthalte keine Information zur Zusammensetzung und den Kontaktwinkel der photokatalytischen Schicht. Es fehle auch an einer Anregung, in Kombination dieser Druckschriften mit D5, die keinen Hinweis auf die Verwendung der Anatas-Form, auf die Zusammensetzung mit TiO 2 und den daraus resultierenden Effekt enthalte oder in Zusammenhang mit D2, die eine völlig andere Lösung lehre, zum Gegenstand des Streitpatents zu kommen.

Entscheidungsgründe

60

Die auf die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung (§ 22 Abs. 1 PatG i. V. m. §§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG) und der mangelnden Patentfähigkeit (§ 22 Abs. 1 PatG i. V. m. §§ 21 Abs. 1 Nr. 1, §§ 3, 4 PatG), gestützte Klage ist zulässig. Auch die Nebenintervention ist zulässig (§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 66 ZPO), da von der Beklagten Rechte aus dem Streitpatent gegen die Nebenintervenientin geltend gemacht werden und dies ein berechtigtes Interesse der Nebenintervenientin am Ausgang des Nichtigkeitsverfahrens begründet.

61

Die Klage erweist sich auch überwiegend als begründet.

62

Soweit das Streitpatent im Wege der zulässigen Selbstbeschränkung gemäß Hauptantrag nicht mehr verteidigt wird, war es mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären (zur st. Rspr. im Nichtigkeitsverfahren vgl. z. B. BGH GRUR 2007, 404, 405 - Carvedilol II; Busse/Keukenschrijver, PatG, 7. Aufl., § 82 Rdn. 90 m. w. Nachw.; Schulte, PatG, 9. Aufl., § 81 Rdn. 127).

63

Im Übrigen hat das Streitpatent nur im Umfang der Fassung gemäß Hilfsantrag 7 Bestand.

I.

64

1. Das Streitpatent betrifft allgemein die Verwendung eines Verbundwerkstoffs, dessen Oberfläche in einem hoch-hydrophilen Zustand ist, um eine Selbstreinigung zu ermöglichen oder die Reinigung der Oberfläche zu erleichtern (vgl. Streitpatent [0001]).

65

Zum Hintergrund und zur Problemstellung ist im Streitpatent ausgeführt, dass durch die zunehmende Umweltverschmutzung die Oberflächenverschmutzung (Fouling), die Kontamination oder Verunreinigung von außenliegenden Baumaterialien, Freiluftgebäuden und ihren Beschichtungen beschleunigt werde. Diesbezüglich könnten die in der Luft schwebenden Schmutz- bzw. Ruß-Teilchen und Staub-Teilchen bei trockenen Wetterbedingungen absinken und sich auf Dächern und äußeren Wänden von Gebäuden ablagern. Durch Regen sei eine Reinigung der Oberflächen nicht möglich, da nach der Verdunstung des Regens ein Teil der Verschmutzung auf der Oberfläche abgelagert werde. Der Schmutz oder die Flecken, die auf diese Weise auf der Außenseite der Baumaterialien und den Überzügen (Beschichtungen) derselben erzeugt werden, beständen aus Verunreinigungssubstanzen, die Verbrennungsprodukte wie Ruß, Stadtschmutz und anorganische Substanzen wie Tonteilchen, umfassten. Die Vielfältigkeit der Schmutzsubstanzen mache Gegenmaßnahmen gegen die Verschmutzung kompliziert (vgl. Streitpatent [0002] bis [0004]). Bisher sei allgemein angenommen worden, dass wasserabweisende Schutz- bzw. Farbanstriche zweckmäßig seien, um die Verkrustung (Fouling) oder Verschmutzung der außenliegenden Oberfläche von Baumaterialien und dgl. zu verhindern. Vor kurzem sei jedoch darauf hingewiesen worden, dass es bezüglich der Innenstadt-Schmutzteile, die große Mengen an oleophilen Komponenten enthalten, zweckmäßiger sei, die Oberfläche der Überzüge so hydrophil wie möglich zu machen. Bisher sei man jedoch nicht in der Lage, Oberflächenverschmutzungen durch Stadtschmutzteilchen, die große Mengen an oleophilen Komponenten enthalten, wirksam zu verhindern (vgl. Streitpatent [0005] bis [0008]).

66

2. Vor diesem Hintergrund besteht die Aufgabe des Streitpatents darin, ein Verfahren bereitzustellen, durch das eine Oberfläche eines Substrats, beispielsweise von Gebäuden, Fensterscheiben, Vorrichtungen oder Formkörpern, hoch hydrophil gemacht wird, wodurch ein Verschmutzen der Oberfläche verhindert wird oder eine Selbstreinigung ermöglicht wird oder die Reinigung der Oberfläche erleichtert wird (vgl. Streitpatent [0010]). Dabei liegt auch die Abriebbeständigkeit in seinem Blickfeld, die objektiv Bestandteil der Aufgabe ist (vgl. Streitpatent, [0027], [0062] dort Z. 1, S. 21 bis 22 “Bleistiftkratz-Test“ und Reverenzbeispiel 21, dort [0207]).

67

3. Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 des Hauptantrags durch die

68

1 Verwendung eines Verbundwerkstoffs, als Material, von dem Ablagerungen und/oder Verunreinigungen, die auf der Oberfläche haften, durch gelegentlichen Kontakt mit Regen abgewaschen werden;

69

2 das Material umfasst einen Träger

70

3 und eine darauf aufgebrachte photokatalytische Schicht;

71

3.1 die photokatalytische Schicht enthält ein photokatalytisches Material, gewählt aus der Gruppe, bestehend aus TiO 2 in der Anatas-Form und SnO 2 ;

72

3.2 die photokatalytische Schicht enthält außerdem SiO 2 oder Silikon;

73

4 die photokatalytische Schicht hat eine Oberfläche, die durch Belichtung mit Sonnenlicht hydrophil gemacht wurde,

74

4.1 wobei die hydrophile Oberfläche eine Wasserbenetzbarkeit von weniger als 10°, ausgedrückt durch den Kontaktwinkel mit Wasser, aufweist.

75

In den hilfsweise verteidigten Fassungen der Patentansprüche wird der Gegenstand des Patentanspruchs 1 durch folgende Merkmale, einzeln oder in unterschiedlicher Kombination, weiter ausgestaltet oder modifiziert, wobei die hochgestellten Ziffern die Nummer des jeweiligen Hilfsantrags angeben, in dem die Änderung erstmals in den Patentansprüchen aufgenommen wurde:

76

Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 1 umfasst alle Merkmale 1 bis 4.1 gemäß Hauptantrag und zusätzlich Merkmal

77

3.2.1 1 wobei bei Verwendung von Silikon die an die Siliciumatome der Silikonmoleküle gebundenen organischen Gruppen unter der photokatalytischen Wirkung des photokatalytischen Materials zumindest teilweise durch Hydroxygruppen ersetzt werden.

78

Die Patentansprüche 1 der Hilfsanträge 2 bis 7 umfassen die Merkmale 1, 2, 3 und 4, 4.1 mit Variation der Merkmale 1, 2 und 3:

79

Hilfsantrag 2

80

3.1 die photokatalytische Schicht enthält ein photokatalytisches Material, gewählt aus der Gruppe, bestehend aus TiO 2 in der Anatas-Form und SnO 2 ;

81

3.2 2 die photokatalytische Schicht enthält außerdem SiO 2 ;

82

Hilfsantrag 3

83

3.1 die photokatalytische Schicht enthält ein photokatalytisches Material, gewählt aus der Gruppe, bestehend aus TiO 2 in der Anatas-Form und SnO 2 ;

84

3.2 2 die photokatalytische Schicht enthält außerdem SiO 2 ,

85

3.3 3 worin das Verhältnis von SiO 2 zur Summe von TiO 2 und SiO 2 10 bis 50 Mol% beträgt;

86

Hilfsantrag 4

87

3.1 4 die photokatalytische Schicht enthält TiO 2 in der Anatas-Form

88

3.2 2 und die photokatalytische Schicht enthält SiO 2 ;

89

3.3 3 worin das Verhältnis von SiO 2 zur Summe von TiO 2 und SiO 2 10 bis 50 Mol% beträgt;

90

Hilfsantrag 5

91

3.1 5 die photokatalytische Schicht besteht aus TiO 2 in der Anatas-Form

92

3.2 5 und die photokatalytische Schicht besteht aus SiO 2 ,

93

3.3 3 worin das Verhältnis von SiO 2 zur Summe von TiO 2 und SiO 2 10 bis 50 Mol% beträgt;

94

Hilfsantrag 6

95

1.1 6 worin der Verbundwerkstoff ein Spiegel, ein Fensterglas, eine Fliese oder ein äußeres Paneel eines Gebäudes ist,

96

3.1 5 die photokatalytische Schicht besteht aus TiO 2 in der Anatas-Form

97

3.2 5 und die photokatalytische Schicht besteht aus SiO 2 ,

98

3.3 3 worin das Verhältnis von SiO 2 zur Summe von TiO 2 und SiO 2 10 bis 50 Mol% beträgt;

99

Hilfsantrag 7

100

2.1 7 der Träger ist aus Glas hergestellt, das alkalische Netzwerk-Modifizierungsmittel - Ionen enthält und worin ein dünner Film, welcher verhindert, dass die Ionen von dem Träger in die photokatalytische Schicht diffundieren, zwischen dem Träger und der Schicht angeordnet ist;

101

3.1 5 die photokatalytische Schicht besteht aus TiO 2 in der Anatas-Form

102

3.2 5 und die photokatalytische Schicht besteht aus SiO 2 ,

103

3.3 3 worin das Verhältnis von SiO 2 zur Summe von TiO 2 und SiO 2 10 bis 50 Mol% beträgt.

104

4. Als maßgeblicher Fachmann ist hier ein Diplomchemiker anzusehen, der aufgrund seines Studiums gute Kenntnisse auf dem Gebiet der organischen und anorganischen Chemie sowie der Polymerchemie hat, langjährig auf dem Gebiet der Beschichtung von Oberflächen, insbesondere zum verbesserten Freihalten von Schmutz durch Adsorption von Schmutzteilchen als Folge von Regen tätig ist und somit einen guten Überblick bezüglich der Möglichkeiten Schadstoffe zu entfernen, z.B. durch Oxidation mittels Katalysatoren, hat.

II.

105

1. Entgegen der Ansicht der Klägerin und der Nebenintervenientin geht der Gegenstand des Streitpatents in Form der Haupt- und Hilfsanträge 1 bis 6 nicht über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinaus und ist damit gegenüber den ursprünglichen Unterlagen, der WO96/29375 A1 in Form der deutschen Übersetzung DE 196 81 289 T1 nicht unzulässig erweitert.

106

So offenbart die DE 196 81 289 T1 einen Verbundwerkstoff (Schichtkörper) mit einer hydrophilen Oberfläche, der ein Substrat und eine Schicht aus einem photokatalytischen Halbleiter-Material, die an die Oberfläche des Substrats gebunden ist, umfasst (Merkmale 2, 3), wobei das photokatalytische Material nach der Photoerregung desselben so wirkt, dass es die Oberfläche des Verbundwerkstoffes hydrophil macht (Merkmal 4), so dass die Oberfläche des Verbundwerkstoffes eine Wasserbenetzbarkeit von weniger als etwa 10° aufweist, ausgedrückt durch den Kontaktwinkel mit Wasser (Merkmal 4.1) (vgl. DE 196 81 289 T1, Anspruch 57). Die Photoerregung erfolgt durch UV-Licht, am besten durch Sonnenlicht (Merkmal 4; vgl. DE 196 81 289 T1, Anspruch 57 iVm. S. 32 Abs. 2 und 3). Damit sind die Merkmale 2, 3, 4 und 4.1 ursprünglich offenbart.

107

a) Gemäß der DE 196 81 289 T1 umfasst das photokatalytische Material insbesondere ein Oxid, ausgewählt aus einer Gruppe mit u.a. TiO 2 und SnO 2 (Merkmal 3.1; vgl. DE 196 81 289 T1, Anspruch 91), mit Titandioxid in der Anatas-Form (Merkmal 3.1; vgl. DE 196 81 289 T1, Anspruch 92) und SiO 2 (Merkmal 3.2; vgl. DE 196 81 289 T1, Anspruch 94). Der Verbundwerkstoff umfasst insbesondere einen Überzug aus Silikon in dem Teilchen des photokatalytischen Materials gleichmäßig dispergiert sind (Merkmal 3.2; vgl. Ansprüche 57, 95 und 96). Eine allgemeine Dispergierung der Teilchen im Silikon geht darüber hinaus aus der ursprünglichen Beschreibung hervor (Merkmal 3.2; vgl. DE 196 81 289 T1, S. 26 Z. 26 bis S. 27 Z. 2).

108

Durch die Formulierung “umfasst“ ist damit offenbart, dass die photokatalytische Schicht des Verbundwerkstoffs ein photokatalytisches Material und außerdem SiO 2 oder Silikon gemäß den Merkmalen 3.1 bzw. 3.1 4 und 3.2 bzw 3.2 2 enthält.

109

b) In Anspruch 61 der DE 196 81 289 T1, der sich auf Anspruch 57 bezieht, wird die Verwendung des Verbundwerkstoffs, aus ausgewählten Trägermaterialien und der Schicht aus dem photokatalytischen Halbleiter-Material aus TiO 2 in der Anatas-Form und/oder SnO 2 und außerdem SiO 2 oder Silikon (vgl. II.1.a)), dergestalt offenbart, “indem die Schicht zur Selbstreinigung des Verbundwerkstoffes bewirkt, dass anhaftende Ablagerungen und/oder Verunreinigungen durch Regentropfen weggewaschen werden können“. Hier sind zwar in einer bevorzugten Ausgestaltung ausgewählte Trägermaterialien beschrieben, jedoch ist dem Fachmann klar, dass durch den Rückbezug auf Anspruch 57 das Trägermaterial nicht nur auf die ausgewählte Form beschränkt ist, so dass die Verwendung gemäß Merkmal 1 für den Fachmann in dem beanspruchten Wortlaut offenbart ist. Im Übrigen wird in Bezug auf das nicht eingeschränkte Trägermaterial (Substrat) das Selbstreinigungsverfahren, d.h. die Verwendung des Verbundwerkstoffs durch Einwirkenlassen von Regen auf das Substrat mit der Schicht aus einem photokatalytischen Halbleiter-Material, wodurch Ablagerungen und/oder Verunreinigungen, die auf der Oberfläche der Schicht aus einem photokatalytischen Halbleiter-Material haften, durch Regentropfen weggewaschen werden, in den Ansprüchen 123 und 124 der DE 196 81 289 T1 beschrieben (Merkmal 1), wobei die Photoerregung mit Sonnenlicht durchgeführt wird (Merkmal 4; vgl. Anspruch 148).

110

Damit sind in den ursprünglichen Unterlagen auch die Merkmalskombinationen von TiO 2 in der Anatas-Form und/oder SnO 2 , Bestrahlung mit Sonnenlicht und gelegentlicher Kontakt mit Regen und außerdem SiO 2 oder Silikon im Zusammenhang offenbart.

111

c) Auch die Merkmale 3.1 5 , 3.2 5 und im Zusammenhang damit Merkmal 3.3 3 sind als zur Erfindung gehörend ursprünglich offenbart (vgl. DE 196 81 289 T1, S. 23 Z. 28 bis S 24 Z. 7). Merkmal 3.3 3 , “worin das Verhältnis von SiO 2 zur Summe von TiO 2 und SiO 2 10 bis 50 Mol% beträgt“, resultiert aus Seite 24, Absatz 1 der DE 196 81 289 T1. Dort ist offenbart, dass der Mengenanteil des Siliciumdioxids an der Summe von Titandioxid und Siliciumdioxid besonders bevorzugt 10 bis 50 Mol-% betragen kann. Dem Fachmann erschließt sich hier ohne Weiteres, dass das an sich dimensionslose Molverhältnis von SiO 2 zur Summe von TiO 2 und SiO 2 , in Prozent ausgedrückt, 10 bis 50 beträgt. Aus dem Gesamtzusammenhang der DE 196 81 289 T1 ergibt sich auch Merkmal 3.3 3 im Zusammenhang mit Merkmal 3.2 2 , da neben TiO 2 und SiO2 zusätzliche Komponenten in der photokatalytischen Schicht enthalten sein können (vgl. dort Patentansprüche 91 und 94; vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 30. August 2011 – X ZR 12/10, MittdtschPatAnw 2012, 344 - Antriebseinheit für eine Trommelwaschmaschine).

112

Ebenfalls kann Merkmal 3.2.1 1 als offenbart angesehen werden, das lediglich die Wirkung durch Belichten der photokatalytischen Schicht mit Sonnenlicht beschreibt (vgl. DE 196 81 289 T1, S. 10 Zn. 4 bis 17 und S. 20 Zn 13 bis 18). Auch kann Merkmal 1.1 6 , “worin der Verbundwerkstoff ein Spiegel, ein Fensterglas, eine Fliese oder ein äußeres Paneel eines Gebäudes ist“, als ursprünglich offenbart angesehen werden (vgl. DE 196 81 289 T1, S. 15 Z. 25, S. 16 Abs. 2 bzw. Patentansprüche 61 i.V.m. 89, 75, 77). Merkmal 2.1 7 ist aus Patentanspruch 97 i.V.m. S. 23 Zn. 18 bis 26 der DE 196 81 289 T1 ersichtlich.

113

2. Die beanspruchten Prioritäten der Druckschriften (1) bis (5) sind bezüglich des Gegenstands des Patentanspruchs 1 von Haupt- und Hilfsanträgen mit den Merkmalen 3.2 und 3.2 2 , 3.2 5 , 3.3 3 mit der SiO 2 als Bestandteil der photokatalytischen Schicht betreffenden Alternative nicht wirksam.

114

a) Die Prioritätsschrift JP 7/99425 (1) vom 20.03.1995 betrifft einen schmutzabweisenden Film der auf einem Substrat (Träger) angebracht ist (vgl. [0001]). Der schmutzabweisende Film umfasst eine photokatalytische Schicht mit einem Fotokatalysator aus u.a. Titandioxid (TiO 2 ) in der Anatas-Form (vgl. [0057]) und/oder Zinndioxid (SnO 2 ) (Merkmale 2, 3, 3.1; vgl. Patentanspruch 3 und [0039]) und Silikon (Merkmal 3.2; vgl. Patentanspruch 6). Die photokatalytische Schicht wurde durch Belichtung mit Licht, das Licht einer Wellenlänge < 400 nm umfasst, worunter nach dem Verständnis des Fachmanns auch Sonnenlicht fällt, das Wellenlängen < 400 nm umfasst (Merkmal 4; vgl. [0057], [0058]), bestrahlt. Damit kann ein sehr kleiner Kontaktwinkel mit Wasser, z.B. kleiner 30° erreicht werden (Merkmal 4.1; vgl. [0022], [0025]). Durch die Belichtung werden im Silikon die organischen Substituenten teilweise durch OH-Gruppen ersetzt (Merkmal 3.2.1 1 ; vgl. [0044] mit Verweis auf Formula 3).

115

Die Verwendung des Verbundwerkstoffs als Material, von dem Ablagerungen und/oder Verunreinigungen, die auf der Oberfläche haften, durch gelegentlichen Kontakt mit Regen abgewaschen werden, ist in Prioritätsschrift (1) nicht explizit  offenbart. Jedoch ist in (1) ausgeführt, dass der schmutzabweisende Film einer wässrigen Umgebung ausgesetzt ist, wobei als Substrat u.a. die Oberfläche eines Baumaterials im Außenbereich (exterior building material and the surface or part thereof) beschrieben ist (vgl. (1), [0001] und [0002]). Damit ist dem Fachmann klar, dass die wässrige Umgebung auch gelegentlicher Regen sein kann, der Schmutz von dem schmutzabweisenden Film entfernt (Merkmal 1).

116

 Aus der Prioritätschrift (1) können somit die Merkmale 1, 2, 3, 3.1, 3.2 in der Alternative Silikon, 4, 4.1 und 3.2.1 1 als offenbart angesehen werden. Nicht offenbart ist jedoch Merkmal 3.2 bezüglich SiO2 in der photokatalytischen Schicht. Somit ist die Priorität der Prioritätsschrift (1) für den Gegenstand des Patentanspruchs 1 von Haupt- und Hilfsanträgen 1 bis 7 mit den Merkmalen 3.2, 3.2 2 , 3.2 5 , 3.3 3 bezüglich der SiO 2 als Bestandteil der photokatalytischen Schicht betreffenden Alternative nicht wirksam.

117

b) Die Prioritätsschrift JP 7/117600 (2) vom 06.04.1995 offenbart nicht beschlagende, transparente Zusammensetzungen mit transparenten Substraten als Träger (vgl. (2), Anspruch 1 und [0001]). Dieses Merkmal gemäß (2) fällt zwar unter das Merkmal 2 gemäß Streitpatent, jedoch umfasst Merkmal 2 transparente Substrate und nicht transparente Substrate (Träger) wie Stein, Zement, Beton (vgl. Streitpatent, [0029]). Prioritätsschrift (2) betrifft dagegen lediglich die Verwendung gegen Beschlagen von transparenten Materialen (vgl. (2), [0001]) und auch nicht die Reinigung durch gelegentlichen Regen (Merkmal 1), der gemäß (2) im Gegenteil vielmehr als Gefahrenpotential gesehen wird, wodurch Glasplatten (von innen) beschlagen können (vgl. (2), [0003]). Auch das Verhältnis von SiO 2 zur Summe von TiO 2 und SiO 2 von 10 bis 50 Mol% (Merkmal 3.3 3 ) ist in Prioritätsschrift (2) nicht beschrieben.

118

Merkmal 1 (Reinigen mit Regen), Merkmal 2 (nichttransparenter Träger) und Merkmal 3.3 3 sind somit in Druckschrift (2) nicht offenbart. Die Priorität der Druckschrift (2) ist damit für den Gegenstand des Patentanspruchs 1 von Haupt- und Hilfsanträgen 1 bis 7 nicht wirksam.

119

c) In der Prioritätsschrift JP 7/182019 (3) vom 14.06.1995 sind die Merkmale 2 (vgl. Anspruch 5), 3 (vgl. Anspruch 5), 3.1 (vgl. [0105], [0121]), 3.2 bezüglich Silikon (vgl. [0101], [0109]), 4 (vgl. [0105]), 4.1 (vgl. Anspruch 45) offenbart. Merkmal 3.2.1 1 , als Wirkungsangabe mag zwingend aus den vorangehenden Merkmalen folgen. Gemäß Abs. [0069] in Prioritätsschrift (3) wird die fotokatalytische Schicht auf einer Außenseite eines Gebäudes verwendet und Sonnenlicht ausgesetzt, um so die Schmutzabweisung zu gewährleisten. Das mag für den Fachmann dann auch das Abwaschen mit Regen implizieren (Merkmal 1).

120

Damit können aus Prioritätsschrift (3) die Merkmale 1, 2, 3, 3.1, 3.2 bezüglich Silikon, 4, 3.2.1 1 und 4.1 des Patentanspruchs 1 von Haupt- und Hilfsantrag 1 als offenbart gelten. Jedenfalls nicht offenbart ist allerdings SiO 2 in der fotokatalytischen Schicht, wie gemäß Haupt- und Hilfsanträgen 1 bis 7 beansprucht. Die Priorität der Druckschrift (3) ist für den Gegenstand des Patentanspruchs 1 von Haupt- und Hilfsanträgen 1 bis 7 mit den Merkmalen 3.2, 3.2 2 , 3.2 5 , 3.3 3 bezüglich der SiO 2 als Bestandteil der photokatalytischen Schicht betreffenden Alternative somit nicht wirksam.

121

d) Auch die Prioritätsschriften JP 7/182020 (4) vom 14.06.1995 und JP 7/205019 (5) vom 08.07.1995 offenbaren kein SiO 2 als fotokatalytisches Material, womit die Priorität der Druckschriften (4) und (5) für den Gegenstand des Patentanspruchs 1 von Haupt- und Hilfsanträgen 2 bis 7 mit den Merkmalen 3.2, 3.2 2 , 3.2 5 , 3.3 3 bezüglich der SiO 2 als Bestandteil der photokatalytischen Schicht betreffenden Alternative nicht wirksam sind.

122

e) Ein Eingehen auf die Prioritätschriften JP 7/326167 (6) vom 09.11.1995 und JP 7/354649 (7) vom 22.12.1995 erübrigt sich, da diese aufgrund ihres Zeitrangs für die Beurteilung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit des Streitpatents gegenüber den relevanten Druckschriften D2, D3, D4 und D6 (s.u.) sowie D1/D1‘ nicht von Bedeutung sind.

III.

123

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag als auch der Hilfsanträge 1 bis 6 hat mangels Neuheit oder mangels erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf die Druckschriften WO 95/11751 A1 (D2), EP 0 590 477 A1 (D3), JP 63-100042 A (D4) und J. Sol. State. Chem., 92 (1991) 178-190 (D6) keinen Bestand.

124

1. Die Verwendung eines Verbundwerkstoffs als Material, von dem Ablagerungen und/oder Verunreinigungen, die auf der Oberfläche haften, durch gelegentlichen Kontakt mit Regen abgewaschen werden, ist mit den Merkmalen 1 bis 4.1 gemäß Hauptantrag und 3.1 4 , 3.2 2 , 3.3 3 , 3.2.1 1 gemäß Hilfsanträgen 1 bis 4 aus der Druckschrift WO 95/11751 A1 (D2) bekannt. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 mit den obigen Merkmalen ist nicht neu gegenüber der Lehre der Druckschrift D2 gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 3 PatG, da der Anmeldetag der D2 vor dem Datum der ältesten Priorität liegt.

125

a) Die Druckschrift WO 95/11751 A1 (D2) betrifft eine Zusammensetzung umfassend photokatalytische Partikel, die durch UV-Licht aktivierbar sind, und ein nicht oxidierbares Bindemittel, in dem die Partikel dispergiert sind, dh. eine photokatalytische Schicht. Die Zusammensetzung ist über das Bindemittel auf einer Oberfläche, d.h. einem Träger, befestigt und bildet einen abriebfesten, wärmebeständigen Film. Durch die Bestrahlung mit UV-Licht wird mittels Aktivierung der photokatalytischen Partikel eine Reinigungswirkung erzielt (vgl. D2, Patentanspruch 1).

126

Zusammen mit dem Substrat (Träger) bildet die photokatalytische Schicht eine photoreaktive Oberfläche (Verbundwerkstoff), die zum Entfernen von organischen Verbindungen aus Luft oder Wasser verwendet wird (vgl. D2 Patentanspruch 39).

127

b) Die Aktivierung der Oberfläche wird in D2 im Kapitel “Hintergrund der Erfindung“ (Background of the invention) Seite 1, Z. 24 bis Seite 2, Z. 14 am Beispiel von Titandioxid (TiO 2 ) in der Anatas-Form als auch der Rutil-Form erklärt. So werden durch UV-Bestrahlung mit Photonen geeigneter Wellenlänge (Rutil < 410 nm, Anatas < 390 nm; vgl. D2 S. 16 Zn. 25 bis 28) Elektronen-Loch-Paare erzeugt, die an die Oberfläche des Katalysators (hier TiO 2 ) diffundieren. Dort reduzieren die Elektronen adsorbierte Sauerstoff-Moleküle, während die Löcher organische Verbindungen oder adsorbierte Wassermoleküle oxidieren. Wenn Löcher mit Wasser reagieren, entstehen Hydroxy(OH°)-Radikale und Protonen, d.h. Wasserstoff(H+)-Ionen.

128

Genau den gleichen Reaktionsverlauf beschreibt das Streitpatents bezüglich der Superhydrophilierung einer Oberfläche, die aus der Photoerregung eines Photokatalysators resultiert (vgl. DE 196 81 289 C5, [0019]).

129

c) Im Kapitel “Anwendungsbereiche“ (Methods of Use) der D2 wird die Verwendung des photoaktiven Films zur Reinigung von damit beschichteten Oberflächen erläutert (vgl. D2, S. 21 Zn. 30 bis 34). Als Oberflächen sind u.a. Außenflächen von Gebäuden, Wänden, Dächern, Autos, Flugzeugen oder Fenstern genannt (vgl. D2, S. 22 Zn. 1 bis 8). Die Aktivierung des photoaktiven Films kann durch Bestrahlung mit Sonnenlicht erfolgen (Merkmal 4; vgl. D2, S. 16 Zn. 16 bis 28 i.V.m. S. 22 Zn. 18-20), wodurch Verunreinigungen auf der Oberfläche des Films durch Kontakt mit Wasser entfernt werden (vgl. D2, S. 22 Zn. 18 bis 30). Bei Außenflächen von Gebäuden, Dächern usw. geschieht dies allgemein durch gelegentlichen Regen - siehe auch Beispiel 9 der D2, S. 36 Z. 23, wo Regen explizit genannt ist. Damit ist die Verwendung eines Verbundwerkstoffs gemäß Merkmal 1 in der Druckschrift D2 beschrieben.

130

d) Die Druckschrift D2 beschreibt auf Seite 40 unter Ziffer 2 eine Zusammensetzung aus einem Träger aus Kalk-Natrium-Glas (Merkmal 2), das mit einer Schicht aus gleichen Anteilen in Gewichtsprozent SiO 2 (Siliziumdioxid) (Merkmale 3, 3.2, 3.2 2 ) und TiO 2 (Titandioxid; Degussa P-25) beschichtet ist. Titandioxid Degussa P-25 ist ein kommerzielles Titandioxidprodukt, das gemäß Druckschrift D6 neben Titandioxid in amorpher Form aus überwiegend Titandioxid in kristalliner Form, mit 80% Anatas und 20% Rutil, besteht (vgl. D6, Zusammenfassung und S. 187 li. Sp. le. Z. bis re. Sp. Abs. 1), womit Merkmal 3.1 beschrieben ist. Das Verhältnis der Anteile in Gewichtsprozent von SiO 2 und TiO 2 ist hier zwar gleich (jeweils 50), was einem Mengenanteil des SiO 2 an der Summe von SiO 2 und TiO 2 von etwa 57 Mol% entspricht, jedoch ist in der Druckschrift D2 beschrieben, dass die Zusammensetzung zwischen 10 und 90 Gewichtsprozent Bindemittel und zwischen 10 und 90 Gewichtsprozent Katalysator enthalten kann (vgl. D2, S. 19 Zn. 3 bis 9), was im Fall von SiO 2 als Bindemittel und TiO 2 als Katalysator einen Mengenanteil von 12,8 Mol% bis 92 Mol% SiO 2 an der Summe von TiO 2 und SiO 2 entspricht. Damit ist Merkmal 3.3 3 in der Druckschrift D2 offenbart, da sich die Verhältnisbereiche überlappen.

131

e) Die Aktivierung der katalytischen Schicht kann mittels Sonnenlicht erfolgen (Merkmal 4; vgl. Kap III.1.c)). Nachdem die katalytische Schicht die gleichen Merkmale 2, 3, 3.1, 3.1 4 , 3.2, 3.2 2 , 3.3 3 und 4 wie der Gegenstand von Haupt- und Hilfsanträgen 1 bis 4 aufweist, der gleichermaßen mit Sonnenlicht bestrahlt wird, mit der jeweils identisch beschriebenen Aktivierung beziehungsweise “Superhydrophilierung“ des Katalysators (vgl. Kap. III.1.b)), wird dann auch die gleiche Wirkung und damit das gleiche Ergebnis erzielt, da gleiche Maßnahmen regelmäßig auch die gleiche Wirkung nach sich ziehen. In der Folge wird die Oberfläche der photokatalytischen Schicht durch Bestrahlung mit Sonnenlicht hydrophil gemacht (Merkmale 4, 3.2.1 1 ), wodurch bei entsprechender Bestrahlung wiederum eine Wasserbenetzbarkeit von weniger als 10°, ausgedrückt durch den Kontaktwinkel mit Wasser, erfolgt (Merkmal 4.1). Die Verwendung gemäß Merkmal 1 ist in D2 ebenfalls beschrieben.

132

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 von Haupt- und Hilfsanträgen 1 bis 4 ist deshalb mangels Neuheit gegenüber Druckschrift D2 nicht patentfähig.

133

2. Aber selbst wenn man der Meinung der Beklagten folgen und die Neuheit der Gegenstands des Patentanspruchs 1 gemäß Haupt- und Hilfsanträgen 1 bis 4 anerkennen wollte, so ergibt sich der Gegenstand des Streitpatents in der Fassung des Patentanspruchs 1 der Haupt- und Hilfsanträge 1 bis 6 für den Fachmann in naheliegender Weise aus der Lehre der Druckschriften WO 95/11751 A1 (D2) in Verbindung mit EP 590 477 A1 (D3), JPS 63-100042 A (D4) und J. Sol. State. Chem., 92 (1991) 178-190 (D6).

134

Die Druckschrift D2 ist wegen der Unwirksamkeit der Prioritäten (1) und (2) als vorveröffentlicht zu betrachten (vgl. die Ausführungen in II.2.a) und b)).

135

a) Zur Problemstellung ist in Druckschrift D2 ausgeführt, dass die Verwendung von Photokatalysatoren wie Titandioxid zur Entfernung von organischen Verunreinigungen allgemein bekannt war. Es war aber bisher schwierig und teuer, solche Photokatalysatoren auf großflächigen selbstreinigenden Oberflächen wie Wänden oder Fenstern anzuhaften. So bestand das Problem, dass wenn Pigmente wie Titandioxid in Farben zusammen mit polymeren organischen Verbindungen (Latex, Urethan) als Bindemittel verwendet wurden, die Bindemittel in Gegenwart von Sonnenlicht oxidiert wurden. Aluminiumtrioxid und Siliziumdioxid als Schutzschicht zwischen Bindemittel und Pigment wiederum erniedrigten die katalytische Aktivität der Titandioxidpigmente (vgl. D2, S. 2 Z. 27 bis S. 4 Z. 20).

136

Vor diesem Hintergrund ist die Aufgabe der Druckschrift D2 darin zu sehen, eine Photokatalysator-Bindemittel-Zusammensetzung mit nichtoxidierbarem Bindemittel zur Anbringung auf Trägern, worunter die meisten Oberflächen aus Metall, Glas, Plastik, Holz, Fasern und Farbflächen (u.a. Wände, Fenster) fallen, zur Verfügung zu stellen, die die photokatalytische Aktivität nicht behindern, sondern möglichst verstärken (vgl. D2, S. 4 Zn. 21 bis 29). Dabei ist der Blick auch auf die Abriebbeständigkeit der Zusammensetzung gerichtet (vgl. D2, S. 5 Zn. 7 bis 12). Die photokatalytische Zusammensetzung soll zur Entfernung von Verschmutzungen auf Oberflächen dienen (vgl. D2, S. 6 Zn. 10 bis 15). Damit zielt die Aufgabenstellung der Druckschrift D2 in die gleiche Richtung wie die Aufgabenstellung des Streitpatents, nämlich die Bereitstellung von selbstreinigenden Oberflächen. Der Fachmann hatte darum Anlass, die Druckschrift D2 in Betracht zu ziehen und zu prüfen, ob ihm diese Hinweise oder Anregungen zur Lösung des Problems bzw. der Aufgabe geben kann (BGH GRUR 2009, 1039 - Fischbissanzeiger).

137

Die Beklagte wendet ein, dass die Lehre der Druckschrift D2 auf keine photokatalytische Zusammensetzung mit einem hydrophilen Oberfläche, sondern im Gegenteil auf eine photokatalytische Zusammensetzung mit einer hydrophoben Oberfläche ziele (vgl. D2, ab S. 17 unter “Hydrophobe Verstärker“ (Hydrophobic Enhancer)), also in die entgegengesetzte Richtung wie das Streitpatent. In Druckschrift D2 sei beschrieben, dass mit einem Bindemittel wie Siloxan (Silikon) gegenüber nichthydrophoben Bindemitteln eine verbesserte Photoaktivität erzielt werde (vgl. D2, S. 17 Zn. 22 bis 25). Dabei bewirke das hydrophobe Bindemittel einen Wasserbenetzungswinkel zwischen 90 und 180° (vgl. D2 S. 18 Zn. 3 bis 8). Der Wasserbenetzungswinkel des Streitpatents solle hingegen kleiner als 10° sein. Der Fachmann habe deshalb keinerlei Veranlassung gehabt, die Druckschrift D2 zur Lösung des streitgemäßen Problems heranzuziehen.

138

Diese Argumentation kann nicht überzeugen. So werden gemäß Referenzbeispiel 11 auf den Seiten 19 bis 20 der Streitpatentschrift Kontaktwinkel (Wasserbenetzungswinkel) von Überzugsfilmen aus reinem Silikon ohne Belichtung (Probe#1, [0136]), TiO 2 -Anatas und Silikon ohne Belichtung (Probe#2, [0137] bis [0139]) und TiO 2 -Anatas und Silikon nach 5 Tagen Belichtung mit UV-Licht (Probe#3, [0140]) verglichen. Der Kontaktwinkel von Probe#1 wurde zu 90°, der von Probe #2 zu 70° und der von Probe#3 zu weniger als 3° gemessen. Zu diesem Ergebnis ist im Absatz [0142] ausgeführt, “dass trotz der Tatsache, dass Silicon selbst im Wesentlichen hydrophob ist, das Silicon hoch-hydrophil gemacht wird, wenn es mit UV-Licht bestrahlt wird“.

139

Das entspricht dem Sachverhalt nach Druckschrift D2, Seite 18 Zeilen 3 bis 8, wo ein Wasserbenetzungswinkel des hydrophoben Bindemittels (Silikon) ohne Belichtung zwischen 90° und 180° beschrieben ist. Erst mit dem Katalysator (z.B.TiO 2 ) und Belichtung mit UV-Licht entfaltet die Zusammensetzung die photokatalytische Aktivität, die entsprechende niedrigere Wasserbenetzungswinkel nach sich zieht (vgl. die Ausführungen unter III.1.a) und b)). Dies zeigt auch die Druckschrift JP 63-100042 A (D4), die sich wie das Streitpatent und die D2 mit dem gleichen Problem der Selbstreinigung von Oberflächen beschäftigt (vgl. D4, S. 1 le. Abs. bis S. 2 Abs. 1 und S. 2 le. Abs.). So lehrt die Druckschrift D4, dass der Wasserbenetzungswinkel bei mit Titandioxid beschichtetem Glas mit zunehmender Belichtungsdauer, hier 4 Stunden, kleiner wird (vgl. D4, S. 3 Abs. 2 und 3 mit Fig. 1 dort Nr. 2). Damit erschließt sich dem Fachmann aus der Druckschrift D2 iVm. D4 sowie seinem Fachwissen, dass bei längeren Belichtungszeiten auch Wasserbenetzungswinkel von < 10° erreicht werden können.

140

b) Zur Lösung der gestellten Aufgabe schlägt die Druckschrift D2 eine selbstreinigende photoreaktive Oberfläche vor, mit einem Substrat (Träger) und einer darauf angebrachten photokatalytischen Schicht, wobei die Schicht durch UV-Licht aktivierbare photokatalytische Partikel und nicht oxidierbare Bindemittel umfasst (vgl. D2, Patentanspruch 39). Bevorzugte Bindemittel sind Aluminiumtrioxid (Al 2 O 3 ), Siliciumdioxid (SiO 2 ) oder Silikon (vgl. D2, S. 10 Zn. 16 bis 18). Bevorzugte Photokatalysatoren sind Titandioxid (TiO 2 ), Zinndioxid (SnO 2 ) und Zinkoxid (ZnO) (vgl. D2, Patentanspruch 29), wobei TiO 2 in der Anatas-Form als auch in der Rutil-Form verwendet werden kann (vgl. D2 S. 16 Zn. 16 bis 28). Generell kann die Zusammensetzung zwischen 10 und 90 Gewichtsprozent Bindemittel und zwischen 10 und 90 Gewichtsprozent Katalysator enthalten (vgl. D2, S. 19 Zn. 3 bis 9), was im Fall von SiO 2 als Bindemittel und TiO 2 als Katalysator einen Mengenanteil von 12,8 Mol% bis 92 Mol% SiO 2 an der Summe von TiO 2 und SiO 2 entspricht (Merkmal 3.3 3 ).

141

Auf Seite 40, Ziffer 2 der Druckschrift D2 ist konkret ein Verbundwerkstoff beschrieben, mit Kalk-Natrium-Glas als Träger (Merkmal 2) und mit einer darauf angebrachten Schicht aus gleichen Teilen Titandioxid (Degussa P-25 besteht neben Titandioxid in amorpher Form aus überwiegend Titandioxid in kristalliner Form, mit 80% Anatas und 20% Rutil (vgl. Kap. III.1.d)) und Siliciumdioxid (SiO 2 ) (Merkmale 3, 3.1, 3.2, 3.2 2 , 3.2 5 ). Der Mengenanteil von SiO 2 an der Summe von TiO 2 und SiO 2 beträgt hier zwar 57 Mol%, jedoch lehrt die D2 auch Mengenanteile von < 50 Mol%, so dass Merkmal 3.3 3 zumindest naheliegend war.

142

Der Verbundwerkstoff ist im Zusammenhang mit der Abriebbeständigkeit beschrieben. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Verwendung des Verbundwerkstoffs zur Lösung der Aufgabe nicht offenbart ist, da die Abriebbeständigkeit neben der selbstreinigenden Oberfläche unter die Aufgabe des Streitpatents fällt (vgl. Kap. I.2.).

143

Bezüglich der Verwendung ist in Druckschrift D2 beschrieben, dass ein mit Titandioxid (Degussa P-25) und Silikon beschichtetes Auto durch Bestrahlung mit Sonnenlicht (Merkmal 4) und Regen gereinigt (Merkmal 1) werden kann (vgl. D2, S. 36 Beispiel 9). Beispiel 9 bezieht sich zwar auf eine photokatalytische Schicht mit Silikon als Bindemittel, jedoch versteht der Fachmann im Gesamtzusammenhang der Offenbarung der D2, dass sich die Lehre auch auf Siliciumdioxid-Bindemittel erstreckt (vgl. D2, das Kapitel “Anwendungsbereiche“ S. 21 Z. 30 bis S. 22 Z. 30), wo diese Verwendung für die photokatalytische Schicht allgemein gelehrt wird (vgl. D2, S. 10 Zn. 16 bis 28). Die Merkmale 4, 3.2.1 1 und 4.1 stellen sich bei Sonnenbestrahlung im Außenbereich zwangsläufig ein (vgl. die Ausführungen unter Kap. III.1.e)).

144

Auch die Druckschrift EP 0 590 477 A1 (D3), die im übrigen nach den Ausführungen der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung die gleiche Aufgabenstellung betrifft, gibt dem Fachmann konkrete Hinweise darauf, u.a. Außenwände oder Dachflächen, die mit einer photokatalytischen Metalloxid-Schicht bedeckt sind, gemäß den Merkmalen 1 und 4 zu verwenden (vgl. D3, Anspruch 1 und Anwendungsbeispiel 5 Sp. 12 u.13). Verschmutzungen werden auf diesen beschichteten Flächen nach Bestrahlung mit Sonnenlicht zersetzt und durch Regenwasser abgewaschen. Als Metalloxid ist u.a. Titanoxid beschrieben (vgl. D3, Anspruch 1), wobei der Fachmann der D3 entnehmen kann, dass Titandioxid eine hervorgehobene Stellung einnimmt (vgl. D3, Sp. 1 Zn. 41 bis 58).

145

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 von Haupt- und Hilfsanträgen 1 bis 4 erweist sich somit wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit als nicht patentfähig.

146

c) In der Druckschrift D2 ist ausgeführt, dass Titandioxid in der Anatas-Form als auch in der Rutil-Form als Katalysator geeignet ist (vgl. D2, S. 1 Z. 24 bis S. 2 Z. 14 und S. 16 Zn. 16 bis 28). Der Fachmann versteht damit die Lehre der D2 dahingehend, dass es unerheblich ist, welche der beiden Modifikation des Titandioxids eingesetzt wird. Es kommt nur darauf an, dass eine oder beide Modifikationen Verwendung finden. Im Fall der D2 findet das kommerzielle Produkt Titandioxid aus überwiegend Titandioxid in kristalliner Form, mit 80% Anatas und 20% Rutil, Anwendung (vgl. Kap. III.1.d)). Der Fachmann hatte damit Hinweise, auch Titandioxid zu 100% in der Anatas-Form gemäß Nr. 2 auf Seite 40 der D2 als Katalysator einzusetzen (Merkmal 3.1 5 ).

147

Eine erfinderische Tätigkeit kann in der Auswahl des Titandioxids in der Anatas- oder Rutil-Form jedenfalls nicht gesehen werden, da es im Belieben des Fachmanns liegt, eine oder beide Formen auszuwählen. So wird im Referenzbeispiel 10 auf Seiten 18/19 des Streitpatents ausführlich aufgezeigt, (vgl. Streitpatent, Kap. [0129] bis [0132]), dass bei den Proben mit Titandioxid in Rutil- als auch in Anatas-Form nach UV-Bestrahlung der Kontaktwinkel mit Wasser an der Oberfläche 0° beträgt. Als Ergebnis heißt es dazu: “Aus den vorstehenden Angaben geht hervor, dass eine Oberfläche nicht nur für den Fall, dass der Photokatalysator in der Anatas-Form von Titandioxid vorliegt, sondern auch für den Fall, dass der Photokatalysator in der Rutil-Form vorliegt, hochhydrophil gehalten werden kann“ (vgl. Streitpatent, Kap. [0133]).

148

Nachdem in D2 u.a. Außenflächen von Gebäuden, Fenstern oder Fliesen als Träger beschrieben sind (Merkmal 1.1 6 ; vgl. D2, S. 22 Zn. 2 bis 4), ist der Gegenstand der Hilfsanträge 5 und 6 mit den Merkmalen 3.1 5 , 3.2 5 und 1.1 6 naheliegend.

149

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 der Hilfsanträge 5 und 6 ist daher wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig. Hinsichtlich der auf den jeweiligen Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche ist ein weitergehender eigenständiger erfinderischer Gehalt von der Beklagten weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich (vgl. BGH GRUR 2007, 309 Rn. 42 - Schussfädentransport).

IV.

150

Patentanspruch 1 und die darauf rückbezogenen Patentansprüche  2 bis 8 gemäß Hilfsantrag 7 haben dagegen Bestand, da ihr Gegenstand neu ist und auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Es liegt auch keine unzulässige Erweiterung vor.

151

1. Der Gegenstand des Streitpatents gemäß Hilfsantrag 7 geht nicht über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinaus. So sind die Merkmale 1 bis 4.1 mit 3.1 5 und 3.2 5 ursprünglich offenbart (vgl. die Ausführungen zur ursprünglichen Offenbarung in Kap. II.1.), insbesondere ist Merkmal 2.1 7 aus Patentanspruch 97 i.V.m. S. 23 Zn. 18 bis 26 der DE 196 81 289 T1 erhältlich.

152

2. Die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit sind anzuerkennen, da keine der entgegengehaltenen Druckschriften D2 bis D7 – einzeln oder in ihrer Zusammenschau beurteilt – die Verwendung eines Verbundwerkstoffs mit einer Diffusionsverhinderungsschicht gemäß Merkmal 2.1 7 lehrt. Durch die streitpatentgemäße Diffusionsverhinderungsschicht ist ein Kontaktwinkel mit Wasser von nur 0 o erreichbar, was eine besonders gute Reinigung nach sich zieht (vgl. Streitpatent S. 23 Zn. 16 bis 26). Auch im Übrigen bestand keine Anregung, eine solche diffusionsverhindernde Schicht anzubringen.

153

Die vorgebrachte nachveröffentlichte Druckschrift WO 97/10186 A1 (D1), deren älterer Zeitrang auf der Inanspruchnahme der Priorität der Druckschrift FR 2 738 813 A1 (D1‘) beruht, kann nicht zur Beurteilung der Neuheit herangezogen werden, da aus ihrer zeitrangälteren Priorität D1‘ nicht sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 7 hervorgehen. Zwar offenbart D1‘ die Merkmale 1 bis 4.1, 3.1 5 , 3.2 5 und insbesondere eine Diffusionsverhinderungsschicht gemäß Merkmal 2.1 7 , jedoch geht eine photokatalytische Schicht aus TiO 2 in der Anatas-Form und SiO 2 in der Zusammensetzung gemäß Merkmal 3.3 3 daraus nicht hervor.

154

3. Die erstmals in der mündlichen Verhandlung von der Nebenintervenientin in Bezug auf die Patentfähigkeit der Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 7 genannte Druckschrift EP 0 684 075 (Übersetzung der WO 95/15816) wird gem. § 83 Abs. 4 PatG als verspätet zurückgewiesen.

155

Der Senat hat den Verfahrensbeteiligten mit dem Hinweis vom 4. Februar 2014 eine Frist von einem Monat zur Stellungnahme gesetzt, durch sachdienliche Anträge oder Ergänzung ihres Vorbringens und auch im Übrigen abschließend Stellung zu nehmen und auf die Möglichkeit der Zurückweisung verspäteten Vorbringens hingewiesen. Das im Hilfsantrag 7 in Anspruch 1 eingefügte Merkmal „worin ein dünner Film, welcher verhindert, dass die Ionen von dem Träger in die photokatalytische Schicht diffundieren, zwischen dem Träger und der Schicht angeordnet ist“ war bereits in einem Unteranspruch des Streitpatents und in sämtlichen vor Ergehen des vorterminlichen Hinweises eingereichten Hilfsanträgen enthalten, zu denen die Klägerin und die Nebenintervenientin Gelegenheit hatten, Stellung zu nehmen. Es wäre daher möglich und zumutbar gewesen, diese Entgegenhaltung früher zu ermitteln und zum Gegenstand des Vorbringens zu machen. Auch hätte die Einführung der erst in der mündlichen Verhandlung eingereichten sehr umfangreichen neuen Entgegenhaltung zu einer Vertagung führen müssen, um der Beklagten die Möglichkeit zu geben, die neue Sach- und Rechtslage umfassend zu prüfen, zu bewerten und gegebenenfalls neue Strategien zu entwickeln (vgl. dazu Schulte, Patentgesetz, 9. Aufl., § 83 Rn. 21).

156

Die Verzögerung hätte auch nicht durch die Gewährung einer Schriftsatzfrist gemäß § 283 ZPO aufgefangen werden können, da die dadurch ermöglichte Rückäußerung durch die Beklagte zur Patentfähigkeit angesichts der Besonderheiten des patentgerichtlichen Nichtigkeitsverfahrens und der hier inmitten stehenden technischen Fragestellungen (vgl. dazu BPatGE 53, 40, 48 – Wiedergabeschutzverfahren) wiederum eine sich daran anschließende Stellungnahme der Klägerin und Nebenintervenientin bedingen würde. Nach zutreffender Ansicht ist aber die Gewährung einer beiderseitigen Schriftsatzfrist (zu derselben Frage) auf der Grundlagen von § 283 ZPO  aber nicht möglich (Beck´scher Online-Kommentat/Bacher, ZPO, § 283 Rn. 14 m. w. N.).

157

Die Klägerin und die Nebenintervenientin haben die Verspätung auch nicht hinreichend entschuldigt. Abgesehen davon, dass es angesichts der etwa zwei Monate bis zur mündlichen Verhandlung, die der der Streithelferin zur Verfügung standen, möglich gewesen wäre, neue Entgegenhaltungen früher zu ermitteln und rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung mitzuteilen, hat die Streithelferin den Prozess in der Lage zu übernehmen, in der er sich zum Zeitpunkt des Beitritts befindet (§ 67 ZPO) und ist damit auch an den Ablauf von Fristen und die Verspätungslage gebunden (vgl. Thomas-Putzo, ZPO, 33. Aufl., § 67 Rn. 12; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 70. Aufl., § 67 Rn. 13). Zwar dient die Nebenintervention  dazu, dass die Frage der Wirksamkeit des Patents schneller einer endgültigen Klärung zugeführt und eine mehrfache, zeitlich versetzte und unökonomische Befassung der Gerichte mit demselben Streitpatent vermieden wird, weil so diejenigen, die über relevantes Material verfügen, dieses nicht nur in den Prozess einführen, sondern dazu auch selbst schriftlich und in der mündlichen Verhandlung vortragen können (BGH GRUR 2007, 404, 405 - Carvedilol II). Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Streithelferin nicht Partei ist und dass die Handlungen der Partei Vorrang haben. Die Rechte der Nebenintervenientin können daher nicht weiter gehen als die der Klägerin, die im vorliegenden Fall ebenfalls und länger Gelegenheit gehabt hätte, relevantes Material im Rahmen ihrer Erörterungen der Patentfähigkeit der Unteransprüche ins Verfahren einzubringen. Weiterhin findet die Möglichkeit, neue Angriffs- und Verteidigungsmittel einzureichen, im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und -ökonomie ihre Grenze in § 83 Abs. 4 PatG.

158

Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte und unter Gesichtspunkten der Prozessökonomie unterliegt die verspätet eingereichte Druckschrift daher der Zurückweisung (BPatG a. a. O.).

V.

159

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 und § 101 ZPO.

160

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.