Entscheidungsdatum: 24.01.2017
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent 0 934 061
(DE 697 22 426)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 24. Januar 2017 durch den Vorsitzenden Richter Schramm sowie den Richter Kätker, die Richterin Dipl.-Chem. Dr. Münzberg, den Richter Dipl.-Chem. Dr. Jäger und die Richterin Dipl.-Chem. Dr. Wagner
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 0 934 061 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 16. Juli 1997 unter Inanspruchnahme der US-amerikanischen Priorität US 22337 P vom 24. Juli 1996 als internationale Patentanmeldung PCT/US97/12390 angemeldeten und vom Europäischen Patentamt in der regionalen Phase erteilten Patents EP 0 934 061 (Streitpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 697 22 426 geführt wird. Das Streitpatent, das in vollem Umfang und hilfsweise beschränkt mit vier Hilfsanträgen verteidigt wird, trägt die Bezeichnung "Isobutylgaba and its Derivatives for the Treatment of Pain" ("Isobutylgaba und dessen Derivate zur Schmerzbehandlung") und umfasst nach dem Beschränkungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland 14 Patentansprüche, deren Patentanspruch 1 wie folgt lautet:
"1. Use of (S)-3(aminomethyl)-5-methylhexanoic acid or a pharmaceutically acceptable salt thereof for the preparation of a pharmaceutical composition for treating pain."
In deutscher Sprache lautet Patentanspruch 1:
"1. Verwendung von (S)-3-(Aminomethyl)-5-methylhexansäure oder einem pharmazeutisch akzeptablen Salz hiervon bei der Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung von Schmerzen."
Wegen des Wortlauts der unmittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche wird auf die Europäische Patentschrift EP 0 934 061 B3 (= NiK2) verwiesen.
Die Klägerin, die das Streitpatent in vollem Umfang angreift, macht die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der mangelnden Ausführbarkeit geltend. Sie stützt ihr Vorbringen u. a. auf folgende Dokumente:
NiK1 EP 0 934 061 B1 (Streitpatent in der erteilten Fassung)
NiK2 EP 0 934 061 B3 (Streitpatent nach dem Beschränkungsverfahren)
NiK3 WO 98/03167 A1 (Offenlegungsschrift)
NiK4 Prioritätsdokument US 60/022337 zu der PCT-Anmeldung PCT/US97/12390 (= NiK3)
NiK5 WO 98/58641 A1
NiK6 Prioritätsdokument US60/050736 zu der PCT-Anmeldung PCT/US98/13107 (= NiK5)
NiK7 Übertragungserklärungen betreffend die Druckschrift NiK6
NiK8 Komissarov, S. I., Farmakol Toksikol, 1985, 48 (4), S. 2, 54 bis 58
NiK8a Englische Übersetzung der NiK8
NiK8c Vollständige Ablichtung der Zeitschrift Farmakol Toksikol, Ausgabe 48 (4), 1985
NiK9 Taylor, C. P., et al., Epilepsy Res., 1993, 14, S. 11 bis 15
NiK10 Rosner, H., et al., The Clinical Journal of Pain, 1996, 12, S. 56 bis 58
NiK11 OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. Dezember 2012 – Az. I-2 U 46/12
NiK14 Mellick, G. A., et al., Journal of Pain and Symptom Management, 1995, 10, S. 265 und 266
NiK15 Schmidtko, A., Gutachtliche Stellungnahme zur Vorlage im Patentnichtigkeitsverfahren 3 Ni 3/15, 8. Dezember 2016, 9 Seiten mit Anlagen
NiK19 Zusammenstellung von chemischen Verbindungsnamen, überreicht in der mündlichen Verhandlung
Nach Auffassung der Klägerin ist der Gegenstand des Streitpatents durch die nachveröffentlichte Druckschrift NiK5 neuheitsschädlich vorweggenommen. Das Streitpatent nehme seine Priorität aus der Voranmeldung US 22337P nicht wirksam in Anspruch, denn das Prioritätsrecht sei nicht wirksam vom Anmelder der Voranmeldung, dem Arbeitnehmererfinder S…, auf die Beklagte übertragen worden. Eine solche Übertragung hätte nach Einreichung der Voranmeldung und vor Einreichung der Nachanmeldung stattfinden müssen. Die von der Beklagten geltend gemachte doppelte Vorausabtretung der Rechte an der Erfindung vom Arbeitnehmererfinder an seine Arbeitgeberin und von dieser an die Beklagte betreffe jedoch Vorgänge, die bereits vor dem Prioritätstag des Streitpatents lägen, und führe nicht dazu, dass die Beklagte damit Rechtsnachfolgerin des Anmelders der Voranmeldung i. S. d. Art. 87 Abs. 1 EPÜ sei.
Für die NiK5 sei die Priorität vom 25. Juni 1997 aus der Voranmeldung NIK6 wirksam in Anspruch genommen worden. Insbesondere sei die Voranmeldung durch die Erklärungen gemäß der NiK7 rechtzeitig vor dem Anmeldetag der NiK5 auf die W… als Mitanmelderin der NiK5 übertragen worden.
Die Druckschrift NiK5 nehme den Gegenstand des Streitpatents neuheitsschädlich vorweg. Sie betreffe die Behandlung entzündlicher Erkrankungen, wobei sie mehrfach auf die Behandlung von Schmerzen hinweise. Insbesondere im Beispiel 3 offenbare die NiK5 ausdrücklich die Behandlung von Entzündungsschmerzen mit Pregabalin.
Zudem beruhe der Gegenstand des Streitpatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Nachdem in den Druckschriften NiK8, die entgegen der Ansicht der Beklagten vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents veröffentlicht worden sei, und NiK10 bzw. NiK14 die an 3-Stellung substituierten und als Antikonvulsiva bekannten GABA-Verbindungen Phenibut, Baclofen und Gabapentin erfolgreich auch auf ihre analgetische Wirksamkeit untersucht worden seien, habe für den Fachmann mit hinreichender Erfolgserwartung Anlass bestanden, nunmehr auch die neuere, eng strukturverwandte und - laut NiK9 - besonders antikonvulsiv wirksame Verbindung Pregabalin ebenfalls auf eine mögliche analgetische Wirksamkeit zu untersuchen. Dies habe der Fachmann mit wenigen einfachen Tierversuchen bewerkstelligen können, womit sich dann die streitpatentgemäße analgetische Wirksamkeit des Pregabalins gezeigt hätte.
Auch die Gegenstände der Unteransprüche beruhten nicht auf erfinderischer Tätigkeit, da die Verwendung von Pregabalin bei Schmerzen an sich nahegelegen habe. In der weiteren Spezifizierung der Schmerzarten gemäß den Unteransprüchen liege keine erfinderische Tätigkeit. Andernfalls wären diese nicht mit Beispielen belegten Verwendungen unzureichend offenbart. Hilfsweise macht die Klägerin den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit geltend.
Entsprechendes gelte für die Gegenstände der Hilfsanträge.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 0 934 061 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 4 (gemäß den englischsprachigen Anspruchsfassungen) nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 16. Januar 2017 erhält.
In Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 wird der zu behandelnde Schmerz als neuropathischer Schmerz spezifiziert, so dass der Patentanspruch mit der Wortfolge endet:
"… for treating neuropathic pain"
("… zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen").
Die Patentansprüche 3 (" … neuropathic pain") und 13 ("… idiopathic pain") der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung werden unter Anpassung der Nummerierung der übrigen Patentansprüche gestrichen.
Außerdem werden sämtliche dem Patentanspruch 1 nachfolgenden Patentansprüche 2 bis 12 gemäß Hilfsantrag 1 zu nebengeordneten Patentansprüchen umformuliert, in dem sie jeweils mit der Wortfolge beginnen:
"Use of (S)-3-(aminomethyl)-5-methylhexanoic acid or a pharmaceutically acceptable salt thereof …"
("Verwendung von (S)-3-(Aminomethyl)-5-methylhexansäure oder einem pharmazeutisch akzeptablen Salz hiervon …").
Die Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 2 entsprechen denen des Hilfsantrags 1 mit dem Unterschied, dass in Patentanspruch 1 folgendes Merkmal angefügt wird:
"… caused by injury or infect of peripheral sensory nerves"
("… verursacht durch die Verletzung oder Infektion von peripheren sensorischen Nerven").
Zudem werden gegenüber Hilfsantrag 1 die Patentansprüche gestrichen, in denen die pharmazeutische Zusammensetzung zur Behandlung von Krebsschmerzen (cancer pain), Phantomgliedschmerzen (phantom limb pain) oder Fibromylagieschmerzen (fibromyalgia pain) bestimmt ist.
Die Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 3 entsprechen denen des Hilfsantrags 2 mit dem Unterschied, dass zusätzlich auch die Patentansprüche gestrichen werden, in denen die pharmazeutische Zusammensetzung zur Behandlung von Entzündungsschmerzen (inflammatory pain), postoperative Schmerzen (post operative pain), Verbrennungsschmerzen (burn pain), Gichtschmerzen (gout pain) oder Osteoarthroseschmerzen (osteoarthritic pain) bestimmt ist.
Gemäß Hilfsantrag 4 wird nur noch Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 als einziger Patentanspruch beansprucht.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie verweist auf folgende Dokumente:
B1 Anlage ASt 3 aus dem einstweiligen Verfügungsverfahren beim Landgericht Hamburg (Az. 327 O 67/15): "Sales Values – Period: Years 2012, 2013, 2014", Midas Data, Dezember 2014
B2 Anlage ASt 27 aus dem einstweiligen Verfügungsverfahren beim Landgericht Hamburg (Az. 327 O 67/15): Eidesstattliche Versicherung von Gayle Hughes vom 19. März 2015 nebst deutscher Übersetzung
B3 DE 697 22 426 T3 (deutsche Übersetzung des Streitpatents nach dem Beschränkungsverfahren)
B4 Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, Beschluss im Einspruchsverfahren gegen das Patent EP 0 934 061 vom 10. Juni 2005
B5 Beschränkungsantrag zum Patent EP 0 934 061 vom 23. September 2014
B5a Deutsche Übersetzung zu B5
B6 Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts, Beschluss im Beschränkungsverfahren zum Patent EP 0 934 061 vom 7. Januar 2015
B6a Deutsche Übersetzung zu B6
B7 Auszug aus MedNet INN services: INN No. 7643 "pregabalin", https://mednet-communities.net/inn, 3 Seiten, vom 2/4/2015
B8 UK Patents Act 1977 c. 37, Section 39, 3 Seiten
B9 "Research Services Agreement between Parke Davis & Co. Ltd. and Warner-Lambert Company”, 1. Januar 1996 (teilweise geschwärzt), 14 Seiten
B10 Whealan, J. M., "Declaration of Associate Dean John M. Whealan, Former Solicitor of the United States Patent & Trademark Office", 4. September 2015, S. 1 bis 25 und Appendix, 3 Seiten
B10a Deutsche Übersetzung zu B10, 26 Seiten
B11 Schreiben der Prozessvertreter Allen & Overy im parallelen englischen Nichtigkeitsverfahren, 12. September 2014
B12 Chadwick D., The Lancet, 1994, 343, S. 89 bis 91
B13 Hill, D. R., et al., Eur. J. Pharmacol., 1993, 244, S. 303 bis 309
B14 Mellick, G. A., et al., Journal of Pain and Symptom Management, 1995, 10, S. 265 und 266 (= NiK14)
B15 Brennan, T. J., et al., Pain, 1996, 64, S. 493 bis 501
B16 Parke-Davis Neuroscience Research Centre, Arbeitsvertrag mit Lakhbir Singh, gültig ab 1. Januar 1996, unterzeichnet am 6. Februar 1996, teilweise geschwärzt, S. 1 bis 6
B17 Certificates of Conversion, 31. Dezember 2002, 4 Seiten
B18 Europäisches Patentamt, Mitteilung über Änderung des Anmelders vom 21. März 2003 zur Anmeldung 97932617.0-2107/0934061, 1 Seite
B19 Europäisches Patentamt, Prüfungsabteilung, Erteilungsbeschluss zum Patent EP 0 934 061 vom 23. April 2003, 1 Seite
B20 Deckblätter der Patentschriften des erteilten Patents EP 0 934 061 B1 und der beschränkten Fassung EP 0 934 061 B3
B21 Novartis Pharma, Fachinformation "Lioresal®", V007, November 2014. S. 1 bis 4 und ratiopharm GmbH, Fachinformation "Baclofen-ratiopharm® 10 mg, 25 mg Tabletten", November 2014, S. 1 bis 3
B22 Open Drug Database ch.oddb.org, Nr. 36083-01-042, Lioresal 10 mg Tabletten, Ausdruck vom 21. Juni 2016, http://ch.oddb.org/de/gcc/show/reg/36083/seq/01/pack/042
B23 Rush, J. M., und Gibberd, F. B., J. Royal Soc. Med., 1990, 83, S. 115 und 116
B24 Watts, A. E., und Jefferys, J. G. R., Br. J. Pharmacol., 1993, 108, S. 819 bis 823
B25 WHO Drug Information, 1997, 11, Proposed INN: List 78, S. 265 bis 302
B26 WHO Drug Information, 1998, 12, Recommended INN: List 40, S. 167 bis 207
B27 medsship.com, Produktbeschreibung "Noofen powder 500 mg 2,5 g 5 dosage", https://medsship.com/noofen-powder-500-mg-2-5-g-5-dosage.html, 29. Juni 2016, S. 1 bis 12
B28 Reynolds, J. E. F., et al. (Ed.), "Martindale – The Extra Pharmacopoeia", 31. Aufl., Royal Pharmaceutical Society, London 1996, S. 363 bis 392
B29 Pfizer Pharma GmbH, Fachinformation "Lyrica® Hartkapseln“, März 2015, S. 1 bis 7
B30 Breidert, M. und Hofbauer, K., Deutsches Ärzteblatt, 2009, 106, S. 751 bis 755 und S. 1 sowie Baron, R., et al. (Ed.), "Praktische Schmerzmedizin", 3. Aufl., Springer Verlag Berlin Heidelberg, 2013: Kapitel 3: Klinger, R., und Bingel, U., "Placeboeffekte in der Schmerzmedizin", S. 23 bis 32, und Kapitel 8: Nilges, P., "Klinische Schmerzmessung", S. 80 bis 85
B31 Schriftsatz der Nichtigkeitsklägerin v. 19. Juni 2016 im Berufungsverfahren vor dem OLG Hamburg (3 U 65/15) mit Rücknahme der Berufung, nicht eingereicht
B32 Tribunal de Grande Instance de Paris, Urteil v. 8. Juli 2016, No RG: 14/14370, S. 1 bis 21
B32a Englische Übersetzung zu B32
B33 Stockholm District Court, Urteil v. 12. August 2016,- Case No. T 258-15 (in englischer Fassung)
B34 England and Wales Court of Appeal (Civil Division), Urteil vom 13. Oktober 2016 – [2016] EWCA Civ 1006
B35 High Court of Justice, Chancery Division, Patents Court, Urteil vom 10. September 2015 – [2015] EWHC 2548 (Pat)
B36 Singh, L., Assignment to Parke-Davis & Co. Ltd betreffend US Serial Nr. 09/043,358 vom 24. Juni 1998, Docket No. 5454-41-EMA, 2 Seiten
B37 Parke-Davis & Co. Ltd., Assignment to Warner-Lambert Company, vom 22. August 1996, Docket No. 5454-41-EMA, 2 Seiten
B38 Singh, L., Assignment to Parke-Davis & Co. Ltd., vom 4. September 1996, Docket No. 5454-41-EMA, 2 Seiten
B39 US 6,001,876 A
B40 Clauw, D. J., Expert Report vom 4. Januar 2017, S. 1 bis 39 und Exhibit, Anlagen Nr. 1 bis 5
B40a Deutsche Übersetzung der B40
B41 Hilfsanträge 1 bis 4 vom 10. Januar 2017
B42 Catterall, W. A., Expert Report vom 18. Januar 2017, S. 1 bis 18 mit Exhibit A, 25 Seiten und Exhibit B, 1 Seite
B42a Deutsche Übersetzung der B42
B43 "PHARMAKOLOGISCHES PROFIL UND THERAPEUTISCH RELEVANTE WIRKUNGSSTELLEN", tabellarische Zusammenstellung, überreicht in der mündlichen Verhandlung, 1 Seite
B44 "CHEMISCHE STRUKTUREN VERSCHIEDENER WIRKSTOFFE", tabellarische Zusammenstellung, überreicht in der mündlichen Verhandlung, 1 Seite
B45 "ANGABEN ZUR ANALGETISCHEN WIRKSAMKEIT VON ANTIEPILEPTIKA (ZUSAMMENSTELLUNG AUS MARTINDALE, THE EXTRA PHARMACOPOEIA, 31. AUFLAGE (1996) – ANLAGE B28)", tabellarische Zusammenstellung, überreicht in der mündlichen Verhandlung, 2 Seiten
B46 "Fig. 3 – Efficacy of pregabalin in neuropathic pain evaluated in a 12-week, randomised, double-blind, multicentre, placebo-controlled trial of flexible- and fixed-dose regimens", Diagramm aus Freynhagen, R., et al., Pain 2005, 115, S. 254 bis 263, überreicht in der mündlichen Verhandlung, 1 Seite
B47 "Tricyclic Antidepressant Pharmacology", Schaubild, überreicht in der mündlichen Verhandlung, 1 Seite
Nach Auffassung der Beklagten ist die Erfindung im Streitpatent ausreichend offenbart. Darin werde anhand der anerkannten Tiermodelle, wie dem Ratten-Formalin-Pfotentest, der Carrageen-induzierten Hyperalgesie und dem Rattenmodell für postoperative Schmerzen die Wirksamkeit von Pregabalin als Schmerzmittel in plausibler Weise aufgezeigt.
Der Gegenstand des Streitpatents sei auch neu. Die nachveröffentlichte Druckschrift NiK5 sei kein Stand der Technik i. S. d. Art. 54 Abs. 3 EPÜ, die dem Streitpatent entgegengehalten werden könne. Das Streitpatent nehme wirksam die Priorität der Anmeldung US 60/022337 (NiK4) in Anspruch. Entsprechend dem damals in den USA geltenden First-to-Invent-Prinzip sei die Voranmeldung auf den Namen des Arbeitnehmererfinders als Anmelder eingereicht worden. Durch eine im Arbeitsvertrag B16 enthaltene Vorausverfügung habe dieser seine Rechte an der späteren Erfindung an seine Arbeitgeberin übertragen. Diese habe ihre Rechte wiederum durch eine entsprechende Bestimmung eines „Research Services Agreement“ in B9 an die Beklagte übertragen. Mit Entstehung der Erfindung, die der Arbeitnehmererfinder im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses gemacht habe, sei die Beklagte somit als Rechtsnachfolgerin Inhaberin der Rechte an der Erfindung geworden, so dass sie mit Einreichung der Voranmeldung auch Inhaberin des Prioritätsrechts geworden sei.
Im Übrigen nehme die NiK5 den Gegenstand des Streitpatents nicht neuheitsschädlich vorweg. Die Druckschrift beschreibe die Verwendung von Pregabalin nur zur Behandlung von Entzündungen, nicht aber zur Schmerzbehandlung. Entzündliche Erkrankungen verursachten nicht notwendigerweise auch Schmerzen, was sich am Beispiel verschiedener schmerzlos verlaufender entzündlicher Erkrankungen zeige, während umgekehrt nicht jedem Schmerz ein entzündlicher Prozess oder eine Schädigung des Nervs zugrunde liege. NiK5 offenbare auch kein wissenschaftliches Testverfahren zum Nachweis der Wirksamkeit von GABA-Analoga in der Schmerzbehandlung.
Der Gegenstand des Streitpatents beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. Die Aufgabe des Streitpatents bestehe darin, einen neuen Wirkstoff für die Behandlung von Schmerzen bereitzustellen, wohingegen eine Aufgabenstellung ausgehend von Pregabalin unzulässige Lösungselemente enthalte. Ausgehend von dieser Aufgabendefinition sei der Gegenstand des Streitpatents nicht durch den benannten Stand der Technik nahegelegt.
Dies gelte insbesondere für die Druckschriften NiK10 und NiK14. Diese befassten sich allein mit Gabapentin, wobei der Fachmann den beiden nicht wissenschaftlich fundierten Einzelfallbeobachtungen keine generelle Wirksamkeit von Gabapentin für die Schmerzbehandlung, insbesondere für die Behandlung neuropathischer Schmerzen, entnehmen könne. Im Übrigen könne der Fachmann allein aus der Struktur der in NiK10 und NiK14 genannten GABA-Analoga nicht auf eine vergleichbare pharmakologische und klinische Wirksamkeit schließen, zumal eine solche Struktur-Wirkungsbeziehung für diese GABA-Derivate zum Prioritätszeitpunkt nicht bekannt gewesen sei. Zudem hätten sich zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents fast alle bekannten Antikonvulsiva in randomisierten klinischen Versuchen nicht als wirksame Schmerzmittel erwiesen.
Dementsprechend führe auch eine Zusammenschau der NiK10 oder der NiK14 mit der NiK9 nicht zum Gegenstand des Streitpatents. NiK9 befasse sich ausschließlich mit der antikonvulsiven Wirkung von Pregabalin, und zwar in Zusammenhang mit einer neuen Bindungsstelle. Ob diese neue, möglicherweise gemeinsame Bindungsstelle auch bei Pregabalin eine antikonvulsive oder gar eine schmerzlindernde Wirkung hervorrufen könne, sei der NiK9 nicht zu entnehmen, zumal sie ausdrücklich darauf hinweise, dass der Wirkungsmechanismus von Gabapentin nicht geklärt sei. Erst recht hätten mit den Angaben in NiK9 keine Vorhersagen über eine analgetisch Wirkung getroffen werden können.
Dieselbe Argumentation gelte für die Kombination der Druckschriften NiK8 und NiK9, wobei die Beklagte darüber hinaus die Veröffentlichung der Druckschrift NiK8 bestreite. NiK8 offenbare keine analgetische Wirkung des GABA-Derivats Phenibut sondern nur eine angstlösende und muskelentspannende Wirkung mit einer Dämpfung der Gesamtmotorik, ohne dass dies Rückschlüsse auf eine etwaige analgetische Wirkung erlaube. Das ebenfalls in NiK8 offenbarte GABA-Analogon Baclofen sei ein Epileptogen und deshalb als Antikonvulsivum kontraindiziert. Der Fachmann habe somit keine Veranlassung gehabt, die NiK8 mit Druckschriften zu kombinieren, die andere antikonvulsive GABA-Derivate behandelten.
Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Ausführbarkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 b) EPÜ) und der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) gestützte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet.
I.
1. Das Streitpatent betrifft die Verwendung von Pregabalin, einem Analogon der g-Aminobuttersäure (GABA), in der Schmerztherapie, da dieses eine analgetische/antihyperalgetische Wirkung aufweist (vgl. NIK2 Patentanspruch 1 und Sp. 1 Abs. [0001]). Der Wirkstoff Pregabalin hat die chemische Bezeichnung (S)-3-(Aminomethyl)-5-methylhexansäure und wird in der Fachwelt auch als Isobutyl-GABA oder Cl-1008 benannt.
Die verwendete Verbindung ist gemäß der Streitpatentschrift ein bekanntes Mittel, das bei einer Therapie gegen Anfälle bei Erkrankungen des Zentralnervensystems, wie beispielsweise Epilepsie, eingesetzt wird. Unter Verweis auf vorveröffentlichten Stand der Technik gibt die Streitpatentschrift zudem an, dass die Verbindung auch als Antidepressivum, Anxiolytikum und Antipsychotikum verwendet wird (vgl. NIK2 Sp. 1 Abs. [0002]).
Die Streitpatentschrift legt weiterhin dar, dass Schmerzen, insbesondere Entzündungsschmerzen, neuropathische Schmerzen, Krebsschmerzen, postoperative Schmerzen und idiopathische Schmerzen, die Schmerzen unbekannten Ursprungs sind, wie insbesondere Phantomgliedschmerzen, durch die bekannten Analgetika, wie Narkotika oder nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAID), aufgrund unzureichender Wirksamkeit oder beschränkender Nebenwirkungen schlecht behandelbar sind (vgl. NIK2 Sp. 3/4 Abs. [0007] i. V. m. Abs. [0006]).
2. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent die objektive Aufgabe zu Grunde, für ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff Pregabalin neue Anwendungsgebiete bzw. Indikationen aufzufinden.
Soweit die Beklagte hiergegen einwendet, der Beitrag des Streitpatents zum Stand der Technik liege in der Auswahl von Pregabalin als Schmerzmittel, so dass die Aufgabendefinition des Senats in unzulässiger Weise Lösungselemente enthalte und die Aufgabe vielmehr darin liege, einen neuen Wirkstoff für die Behandlung von Schmerzen bereit zu stellen, insbesondere zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen, kann dies nicht überzeugen. Denn die Bestimmung des technischen Problems dient nach ständiger BGH-Rechtsprechung dazu, den Ausgangspunkt der fachmännischen Bemühungen um eine Bereicherung des Stands der Technik ohne Kenntnis der Erfindung zu lokalisieren, um bei der anschließenden und davon zu trennenden Prüfung auf Patentfähigkeit zu bewerten, ob die dafür vorgeschlagene Lösung durch den Stand der Technik nahegelegt war oder nicht (vgl. BGH GRUR 2015, 356 – Repaglinid; BGH GRUR 2015, 352 – Quetiapin m. w. N.). Der Auffassung der Beklagten wäre allenfalls dann zu folgen, wenn das Streitpatent erkennen ließe, dass der Fachmann seine Bemühungen am Anmeldetag gezielt und ausschließlich auf das Auffinden eines neuen Wirkstoffs für die Schmerzbehandlung ausgerichtet habe. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Beschreibung zufolge konzentriert sich die Lehre des Streitpatents allein auf Pregabalin und dessen Wirkung im Vergleich zu bekannten Analgetika wie Gabapentin und Morphin (vgl. NiK2 u. a. Versuche und dazugehörige Fig. 1A bis 1D und 2A bis 6B i. V. m. Sp. 1 bis 3 Abs. [0005]). Einen anderen Wirkstoff für die Schmerzbehandlung hat die Streitpatentschrift weder untersucht, noch in Betracht gezogen. Da sich das Streitpatent also mit der Verwendung eines einzigen Wirkstoffs befasst, beschäftigt es sich nicht mit dem Auffinden eines neuen Wirkstoffs für die Schmerztherapie sondern gezielt mit dem Wirkstoff Pregabalin und dessen Anwendungsmöglichkeit für eine neue Indikation.
Ob Pregabalin am Anmelde- bzw. Prioritätstag als antikonvulsiver Wirkstoff bereits zugelassen gewesen ist und/oder die INN-Bezeichnung "Pregabalin" für den chemischen Stoff (S)-3-(Aminomethyl)-5-methylhexansäure vergeben gewesen ist, spielt bei der Aufgabendefinition keine Rolle. Denn wie sowohl das Streitpatent im Absatz [0002] als auch der relevante Stand der Technik angeben (vgl. z. B. NiK9 u. a. S. 12 li. Sp. Abs. 2 Satz 1 mit den Literaturzitaten 11 und 15), war die grundsätzliche Eignung von Pregabalin als pharmazeutischer Wirkstoff zu dem für das Streitpatent maßgeblichen Zeitpunkt bekannt. Somit bildet Pregabalin als bekannter Wirkstoff den Ausgangspunkt für die streitpatentgemäße Erfindung. Davon ausgehend stellte sich die Aufgabe, weitere Anwendungsmöglichkeiten hierfür zu finden.
Auch der Hinweis der Beklagten, dass Absatz [0002] des Streitpatents lediglich so zu verstehen sei, dass dort Bekanntes zum erfindungsgemäß gefundenen Stoff beschrieben sei und dieser Absatz daher nicht darauf hindeute, dass das Patent von Pregabalin ausgehe, kann nicht durchgreifen. Denn die gesamte Streitpatentschrift beschäftigt sich einzig mit Pregabalin und dessen Eignung zur Schmerztherapie. Eine Auswahl von Pregabalin aus einer Vielzahl von Verbindungen ist ihr nicht entnehmbar. Somit liegt die Leistung der streitpatentgemäßen Lehre nicht in einer Stoffauswahl des Wirkstoffs Pregabalin für die Schmerztherapie sondern im Auffinden einer Indikation.
3. Gelöst wird diese Aufgabe durch eine Verwendung gemäß Patentanspruch 1, die folgende Merkmale aufweist (vgl. NIK2):
1. Verwendung von (S)-3-(Aminomethyl)-5-methylhexansäure oder einem pharmazeutisch akzeptablen Salz hiervon
2. bei der Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung
3. zur Behandlung von Schmerzen
4. Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um ein Team aus einem Pharmakologen mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln, insbesondere von Schmerzmitteln, sowie einem wissenschaftlich tätigen klinischen Mediziner mit Spezialisierung auf dem Gebiet der Schmerztherapie.
Dabei spielt es keine Rolle, ob der Mediziner oder der Pharmakologe im Vordergrund des Teams steht, da in einem Team die Summe des Fachwissens sämtlicher beteiligter Fachleute das Wissen und Können des zuständigen Fachmanns darstellt (vgl. Schulte PatG, 9. Aufl., § 4 Rn. 48). Auf dem Gebiet der Arzneimittel arbeitet sowohl in der Forschung als auch in den industriellen Entwicklungsabteilungen stets ein interdisziplinäres Team aus Fachleuten unterschiedlicher Fachrichtungen, dem jedenfalls auch ein Pharmakologe und ein Mediziner angehören, so dass entsprechend die Fachkenntnisse beider Fachleute zum Wissen und Können des hier einschlägigen Fachmanns gehören. Dies steht im Übrigen auch nicht im Widerspruch zum Vorbringen der Beklagten, nach dem neben einem Schmerztherapeuten und einem auf Schmerzmodelle spezialisierten Präkliniker auch ein Pharmakologe zum Team gehöre. Folglich geht auch die Beklagte von einem Team aus, dem jedenfalls ein Mediziner und ein Pharmakologe angehören.
II.
Die im Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag beanspruchte Verwendung von Pregabalin erweist sich mangels Patentfähigkeit als nicht bestandsfähig, weil sie jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
1. Auch wenn die Frage der Ausführbarkeit offen bleiben kann, dürfte der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ausführbar offenbart sein, weil die Streitpatentschrift in den Ausführungsbeispielen mit drei Tiermodellen, wie Rattenformalinpfotentest, Ratten mit carrageeninduzierter Hyperalgesie und Rattenmodell für postoperative Schmerzen, die Ergebnisse hinsichtlich der erzielten analgetischen Wirkung und damit des angestrebten technisches Erfolgs von Pregabalin bei der Behandlung von Schmerzen angibt, so dass dem Fachmann ausreichende Informationen an die Hand gegeben sind, um ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird (vgl. Schulte, PatG, 9. Aufl., § 34 Rn. 355, 358 sowie BGH GRUR 2010, 916 – Klammernahtgerät).
2. Der Gegenstand des Streitpatents ist neu. Ihm steht die für die Frage der Neuheit allein relevante NiK5 nicht entgegen, da diese mit ihrer Priorität vom 25. Juni 1997 gegenüber dem Streitpatent keinen Stand der Technik i. S. v. Art. 54 Abs. 3 EPÜ darstellt.
Das Streitpatent und die diesem zu Grunde liegende PCT-Nachanmeldung WO 98/03167, die als Anmelderin die W… bzw. deren Rechtsnachfolgerin W… (im Folgenden: W…) nennen, nehmen zu Recht die Priorität der auf den Namen des Erfinders S… hinterlegten US-Patentanmeldung US 22337 P (NiK4) in Anspruch. W… ist Rechtsnachfolgerin des Erfinders S…, da dessen Rechte an der Erfindung bereits zum Zeitpunkt der prioritätsbegründenden US-Patentanmeldung wirksam auf sie übertragen worden sind und das Prioritätsrecht damit bei Einreichung (und Entstehung) der Nachanmeldung ebenfalls auf diese übergegangen ist.
Gemäß Art. 87 Abs. 1 EPÜ genießt der Anmelder einer Ersthinterlegung oder sein Rechtsnachfolger ein Prioritätsrecht (vgl. auch Art. 4 Buchst. A. Abs. 1 PVÜ), das als selbständiges vermögenswertes Recht übertragbar ist (Benkard/Grabinski, EPÜ, 2. Aufl., Art. 87 Rdnr. 3 m. w. N.). Derartige Vereinbarungen sind vorliegend getroffen worden. Im Absatz 3 auf Seite 5 des zwischen P… Co. Ltd. und S… abgeschlossenen Arbeitsvertrags (B16) heißt es:
"All inventions, … conceived or made by you, …during your employment, … shall, if made in the course of your normal duties or in the course of duties falling outside your normal duties but specifically assigned to you, be the absolute property of the Company; …"
Diese Vereinbarung hat die Übertragung der Rechte an der Erfindung, die unwidersprochen von S… im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses bei P… gemacht wurde, auf diese als Arbeitgeberin bewirkt. Nach den Re- gelungen des internationalen Privatrechts bestimmt sich die Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität nach dem Recht des Staates der ersten Anmeldung, hier also nach dem US-amerikanischen Recht (vgl. Benkard/ Grabinski, EPÜ, 2. Aufl., Art. 87 Rdnr. 5; BGH GRUR 2013, 712 – Fahrzeugscheibe), wobei sich die Feststellung des ausländischen Rechts nach § 293 ZPO richtet (vgl. dazu auch Thomas-Putzo, ZPO, 37. Aufl. § 293 Rn. 1ff.). Die ausländischen Rechtssätze sind, sofern diese dem Gericht unbekannt sind, Beweisgegenstand. Den Parteien obliegt insofern eine Mitwirkungspflicht. Das Gericht ist dabei allerdings nicht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise beschränkt. Übereinstimmender Parteienvortrag darf aber in aller Regel als richtig zu Grunde gelegt werden (Thomas-Putzo a. a. O., Rdn. 4).
Nach den insoweit unwidersprochenen Ausführungen der Beklagten, die sich auf das Gutachten B10 stützt, konnte zur Zeit der Einreichung der Voranmeldung entsprechend dem bis zum 16. September 2011 geltenden Title 35 Chapter 10 § 111 U.S.C., nur der Erfinder selbst eine Patentanmeldung einreichen. Jedoch konnten alle Rechte an der Erfindung, einschließlich des Prioritätsanspruchs, im Voraus vertraglich übertragen werden, noch bevor die Erfindung entstanden ist (vgl. B10a, S. 12, le. Abs.).
Eine solche Vorausübertragung stellt die o. g. Bestimmung des Arbeitsvertrages dar. Darin werden sämtliche Rechte an Erfindungen, die der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Arbeitspflichten machte, an die Arbeitgeberin übertragen. Hierbei handelt es sich nicht nur um eine Verpflichtung zur Übertragung der Erfindungsrechte sondern um die Vereinbarung einer dinglichen Übertragung der Rechte, so dass die Erfindung ohne weiteren Übertragungsakt übergeht. Hierfür spricht jedenfalls der nachfolgenden Teilsatz im Arbeitsvertrag, a. a. O., in dem es heißt:
"… in confirmation thereof, you will upon request execute and deliver such documents and instruments as may be considered necessary by the Company to assure or vest the title of the Company to such inventions, … . "
Weitere Akte haben demnach offensichtlich nur bestätigenden Charakter und dienen der Dokumentation der bereits erfolgten Vorausübertragung.
Damit hat der Erfinder sämtliche Rechte an der Erfindung im Wege der nach US-Recht zulässigen Vorausverfügung an seine Arbeitgeberin P… Co. Ltd. übertragen. Diese hat dann die Rechte an der Erfindung - wiederum im Wege der Vorausübertragung - durch Ziff. 2.01 und 2.02 des Research Services Agreement vom 1. Januar 1996 auf die W… übertragen (vgl. B9 S. 2 bis 3 Ziff. 2.01 und 2.02).
Wie sich aus Ziff. 2.01 i. V. m. Schedule A des Vertrags ergibt, fällt "drum discovery in the area of neuroscience" unter die in Ziff. 2.02 genannte Technologie (vgl. B9 a. a. O. und le. S. "Schedule A").
Damit gingen die Rechte an der Erfindung mit deren Entstehung von der Arbeitgeberin P… auf die W… als Vorgängerin der Beklag- ten über. Gleiches gilt für die Rechte an der US-Patentanmeldung, einschließlich des Prioritätsrechts, die mit Einreichung der Patentanmeldung entstanden sind.
Soweit die Klägerin mit OLG Düsseldorf v. 6. Dezember 2012 (NiK11) die Auffassung vertritt, dass die Übertragung des Prioritätsrechts "nach" Einreichung der Voranmeldung erfolgen müsse (ebenso Singer/Stauder, EPÜ, 7. Aufl., Art. 87, Rn. 59), vermag der Senat dieser Auffassung jedenfalls insoweit nicht zu folgen, als damit ein zeitlicher Abstand zwischen der Einreichung der Voranmeldung und der Übertragung des Prioritätsrechts gefordert wird. Nach OLG Düsseldorf, a. a. O., Rn. 56 i. V. m. Rn. 53, trifft der Gesetzeszweck des Art. 87 EPÜ, nämlich der Übertragbarkeit der Patentanmeldung Rechnung zu tragen, auf die Übertragung der Erfinderrechte bereits vor Einreichung der Prioritätsanmeldung nicht zu, da – jedenfalls aus europäischer Sicht – der Übertragungsempfänger dank seiner materiellen Berechtigung schon die Voranmeldung (und danach personenidentisch auch die Nachanmeldung) vorschriftsmäßig auf seinen Namen durchführen könne. Diese Möglichkeit bestand für den Erwerber von Erfindungen in den USA vor Inkrafttreten des America Invents Act am 16. Dezember 2011 jedoch nicht. Vielmehr konnten nach dem damals geltenden first-to-invent-Prinzip in den USA Patentanmeldungen nur auf den Namen des Erfinders eingereicht werden, (s. o., vgl. Title 35 Chapter 10 U.S.C. § 111 (pre-AIA)). Für die Einreichung der Voranmeldung in den USA, die sich naturgemäß allein nach dem damals geltenden US-Recht richtete, kann dann auch nicht auf eine "europäische Sicht" abgestellt werden, wie es das OLG Düsseldorf möglicherweise andeuten will. Dies gilt ebenso für die Übertragung des Prioritätsrechts, dass sich nach dem Recht des Staates der Erstanmeldung, hier also wiederum US-Recht, richtet (s. o., BGH GRUR 2013, 712 – Fahrzeugscheibe).
Konnte die Erstanmeldung 1996 also in den USA nur auf den Namen des Erfinders eingereicht werden und war nach US-Recht eine Vorausübertragung der Erfindungsrechte möglich, von der hier im Wege einer doppelten Vorausübertragung Gebrauch gemacht worden ist (s. o.), so ist vorliegend das Prioritätsrecht bereits mit dessen Entstehung übertragen worden. Denn das Prioritätsrecht ist mit Einreichung der Voranmeldung entstanden und zugleich (oder "eine juristische Sekunde" danach) infolge der doppelten Vorausabtretung über die Arbeitgeberin P… Co. Ltd. auf die W… übergegangen.
Dem OLG Düsseldorf kann daher nicht darin gefolgt werden, dass die Übertragung des Prioritätsrechts erst "nach" Einreichung der Voranmeldung erfolgen müsse. Zumindest in Fallgestaltungen wie der vorliegenden kann die Übertragung des Prioritätsrechts auch mit seiner Entstehung zusammenfallen, wobei dann der Empfänger des im Voraus abgetretenen Rechts auch als "Rechtsnachfolger" i. S. d. Art. 87 Abs. 1 EPÜ anzusehen ist.
Damit ist die Priorität aus der Voranmeldung NiK4 wirksam für das Streitpatent in Anspruch genommen worden, so dass die Druckschrift NiK5, die nach dem für das Streitpatent relevanten Prioritätstag veröffentlicht worden ist, dem Streitgegenstand nicht neuheitsschädlich entgegensteht.
3. Der Gegenstand des Patentanspruch 1 beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Als Ausgangspunkt bietet sich die NiK9 an. Aus dieser Druckschrift ist bekannt, dass Pregabalin (= 3-Isobutyl-GABA) ein antikonvulsiver Wirkstoff ist, der zu einer Reihe von in Position 3 substituierten GABA-Derivaten gehört und innerhalb dieser Reihe das stärkste Antikonvulsivum darstellt (vgl. NiK9 S. 12 li. Sp. Abs. 2 Satz 1). Ein weiterer Vertreter dieser antikonvulsiv wirkenden Reihe von GABA-Derivaten stellt nach der Lehre dieser Druckschrift die Verbindung Gabapentin dar (vgl. NiK9 S. 11 spaltenübergr. Abs.). Damit stellt NiK9 erstmals eine Verbindung zwischen Pregabalin und Gabapentin her. Im Verhältnis zu Gabapentin zeichnet sich Pregabalin im Tiermodell durch eine signifikant erhöhte antikonvulsive Wirksamkeit aus (vgl. NiK9 S. 14/15 seitenübergr. Abs.). Damit erfährt der Fachmann aus der NiK9 zum einen, dass es eine Reihe von antikonvulsiv wirkenden GABA-Analoga gibt, zu denen das streitpatentgemäße Pregabalin sowie Gabapentin gehören, und zum anderen, dass Pregabalin hinsichtlich seiner antiepileptischen Eigenschaften wirksamer als Gabapentin ist. Dadurch vermittelt NiK9 die Erfolgserwartung, dass Pregabalin auch bei anderen Indikationen eine stärkere Wirksamkeit als Gabapentin aufweisen könnte. Dies motiviert den Fachmann, sich im Stand der Technik nach weiteren Verwendungen von Gabapentin umzusehen, bei denen Pregabalin zum Einsatz kommen könnte.
Zum Auffinden einer Lösung für das dem Streitpatent zugrundeliegende Problem musste der Fachmann somit lediglich die in den Druckschriften NiK10 und NiK14 aufgezeigten analgetischen Anwendungsmöglichkeit von Gabapentin aufgreifen und auf Pregabalin übertragen. Hierzu hatte der Fachmann auch Veranlassung, denn beide Druckschriften betreffen jeweils klinische Studien zur analgetischen Wirksamkeit von Gabapentin bei der Behandlung von Patienten mit neuropathischen Schmerzen. So gibt NiK10 als Ergebnis einer Studie an vier Patienten an, dass Gabapentin bei neuropatischen Schmerzen analgetisch wirksam ist und zugleich den Vorteil eines niedrigen Nebenwirkungsprofils und niedriger Toxizität aufweist (vgl. NiK10 S. 56 "Abstract" le. Abs. und S. 57/58 seitenübergr. Abs.). Die NiK14 untersucht die Anwendbarkeit von Gabapentin bei neun Patienten mit sympathischer Reflex-Dystrophie (= RSD) und damit neuropathischen Schmerzen, da die sympathische Reflex-Dystrophie (= RSD) auch als komplexes regionales Schmerzsyndrom oder Kausalgie bezeichnet wird und eine Ausbildung der neuropathischen Schmerzen darstellt. Dabei wird in NiK14 von einer sehr guten Schmerzreduktion berichtet (vgl. NiK14 S. 265 li. Sp. Abs. 1 und Tab. 1; vgl. auch NiK10 S. 56 spaltenübergr. Abs.). Damit entnimmt der Fachmann jedem dieser Dokumente, dass Gabapentin neben seiner bekannten antikonvulsiven Wirkung (vgl. dazu auch NiK10 S. 56 spaltenübergr. Satz und NiK14 S. 265 spaltenübergr. Abs.) auch eine analgetische Wirkung bei neuropathischen Schmerzen besitzt. In Zusammenschau mit der NiK9 veranlasst dies den Fachmann, auch Pregabalin als Analgetikum bei neuropathischen Schmerzen zu untersuchen. Damit hat die Verwendung von Pregababalin zur Schmerzbehandlung nach Patentanspruch 1 nahegelegen.
Das Argument, die NiK9 weise explizit darauf hin, dass der Wirkmechanismus bei der antikonvulsiven Wirkung sowohl von Pregabalin als auch von Gabapentin unbekannt bzw. noch nicht richtig verstanden sei (vgl. NiK9 S. 11 re. Sp. le. Abs. Satz 1 und S. 12 li. Sp. Abs. 2 le. Satz), so dass weder eine Veranlassung noch eine entsprechende Erfolgserwartung bestanden habe, die Anwendung von Gabapentin auf Pregabalin zu übertragen, kann nicht durchgreifen. Denn die Kenntnis der Wirkungsmechanismen mag zwar aus medizinischer und pharmakologischer Sicht wünschenswert sein, deren Fehlen im Stand der Technik führt aber nicht dazu, dass der Fachmann im Stand der Technik aufgezeigte Analogien strukturell ähnlicher Substanzen ignoriert. Entscheidend ist vielmehr, dass die Lehre einer Druckschrift den Fachmann veranlasst, die darin aufgezeigten Analogien zu überprüfen (vgl. Busse PatG, 8. Aufl., § 4 Rn. 147 und Schulte PatG, 9. Aufl., § 4 Rn. 58). Dies tut die Lehre der NiK9 auch, da NiK9 explizit darauf hinweist, dass Pregabalin Teil einer Serie von in Position 3 substituierten GABA-Derivaten ist und innerhalb dieser Serie sogar die stärkste antikonvulsive Wirkung aufweist und damit strukturelle und medizinische Gemeinsamkeiten dieser GABA-Analoga ins Blickfeld des Fachmanns rückt (vgl. NiK9 S. 12 li. Sp. Abs. 2 Satz 1). Folglich wird der Fachmann motiviert, sich mit dieser Serie von an Position 3 substituierten GABA-Analoga zu beschäftigen. Dies wird dadurch bekräftigt, dass in der Studie gemäß NiK9 Pregabalin nur im Vergleich zu Gabapentin untersucht wird (vgl. u. a. NiK9 S. 12 Fig. 1, S. 13 Fig. 2, S. 14 Fig. 3 und jeweils darunter stehender Text). In Verbindung mit der oben bereits angesprochenen Lehre, dass Pregabalin die stärkste antikonvulsive Wirkung innerhalb dieser Serie aufweist, hat der Fachmann somit auch eine angemessene Erfolgserwartung, sich bei der Suche nach potentiellen Anwendungsmöglichkeiten für Pregabalin nach bekannten weiteren Wirkungen von Gabapentin umzuschauen und diese Indikationen zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe aufzugreifen (vgl. BGH GRUR 2012, 803 – Calcipotriol-Monohydrat).
Damit vermag auch der Hinweis der Beklagten nicht zu überzeugen, dass die ebenfalls an Position 3 substituierten GABA-Analoga Baclofen und Phenibut (vgl. B44 und NiK19) ganz andere Wirkungsprofile und Wirkorte besitzen würden, und der Fachmann keine Struktur-Wirkungsbeziehung bei den diskutierten 3-substituierten GABA-Derivaten gekannt habe und daher von keiner Serie habe ausgehen können. Denn NiK9 sind keine Hinweise zu entnehmen, dass die Aryl-substituierten GABA-Analoga Baclofen und Phenibut ebenfalls zu der angesprochenen Serie gehören. Vielmehr verweist NiK9 bei dieser Serie nur auf Alkyl-substituierte GABA-Derivate (vgl. NiK9 S. 12 li. Sp. Abs. 1 Satz 1 i. V. m. mit den Titeln der Literaturzitate 11 und 15). Zu dieser Serie von Alkyl-substituierten GABA-Analoga gehört neben Pregabalin nur das in den Vergleichsversuchen der NiK9 verwendete Gabapentin (vgl. B44 und NiK9 S. 12 Fig. 1).
Auch der Einwand, die Druckschriften NiK10 und NiK14 vermittelten trotz der darin aufgezeigten Studien am Menschen keine ausreichende Erfolgserwartung, weil diese lediglich Einzelfallstudien offenbarten, die weder hinsichtlich der Co-Medikation ausreichend dokumentiert noch aufgrund der unterschiedlichen Krankheitsgeschichten der einzelnen Patienten verallgemeinerbar seien, weshalb diese Studien auch keine höhere Aussagekraft besäßen als Tierversuche, überzeugt nicht. Diese beiden Druckschriften betreffen Studien an vier bzw. neun Patienten, bei denen zwei unabhängige Forschergruppen die analgetische Wirksamkeit von Gabapentin bei neuropathischen Schmerzzuständen aufgezeigt haben (vgl. NiK10 u. a. S. 56 "Abstract" le. Abs.; vgl. NiK14 u. a. S. 265 Tab. 1). Insbesondere enthalten diese Druckschriften keine Hinweise, die den Fachmann an einer analgetischen Wirksamkeit von Gabapentin zweifeln lassen würden. Vielmehr betonen beide Druckschriften, dass Gabapentin in vorteilhafter Weise wenig Nebenwirkungen und geringe Toxizität aufweist (vgl. NiK10 a. a. O. und NiK14 S. 265 re. Sp. Abs. 2 Satz 1). Der Fachmann greift die Lehren dieser Druckschriften daher auf, da klinische Studien am Menschen nur durchgeführt werden, wenn eine entsprechende Erfolgserwartung besteht, wie sie sowohl in NiK10 als auch in NiK14 offenbart ist (vgl. NiK10 S. 56 spaltenübergr. Abs., vgl. NiK14 S. 265 li. Sp. le. Zeile bis re. Sp. Abs. 2).
Zwar mag der Beklagten insoweit zu folgen sein, dass es im Bereich der Medizin viele derartige "anekdotische" Kurzberichte gibt, deren Ergebnisse sich später nicht bestätigen. Auch waren im Anschluss an die Studien gemäß NiK10 und NiK14, wie bereits in den beiden Druckschriften angedeutet (vgl. NiK10 S.58 li. Sp. le. Satz und NiK14 S. 266 li. Sp. le. Satz), sicherlich weitere Studien notwendig, um beispielsweise einen Placeboeffekt oder eine Regression zur Mitte – beides Phänomene, die Ergebnisse von Einzelfallstudien verfälschen können – auszuschließen oder die Wirkung von Gabapentin ohne vorherige oder begleitende Applikation von ebenfalls analgetisch wirkenden Opioiden wie Oxycodon, Morphin oder Fentanyl zu untersuchen. Dies ist aber bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit nicht entscheidungserheblich. Hierbei wird nur geprüft, ob eine Druckschrift dem Fachmann eine Veranlassung vermittelt, die darin offenbarte Lehre zur Lösung der ihm gestellten Aufgabe zu berücksichtigen (vgl. Busse und Schulte jeweils a. a. O.). Für die Berücksichtigung von NiK10 und NiK14 spricht vorliegend, dass in beiden Druckschriften voneinander unabhängige Ärztegruppen von einem eindeutig positiven Ergebnis hinsichtlich der analgetischen Wirkung von Gabapentin bei neuropathischen Schmerzen berichten. Zudem ist ein Placeboeffekt, wie die Klägerin überzeugend vorgebracht hat, weder beim Einsatz verschiedener Dosen gleichzeitig bei allen Patienten beobachtbar noch bei einer Applikation von über sechs Monaten wahrscheinlich. Auch spricht die Co-Medikation in NiK10 nicht gegen einen analgetischen Effekt von Gabapentin, da alle Patienten in NiK10 nach der Gabe dieses Wirkstoffs von einer spürbaren Verringerung der Schmerzen berichteten (vgl. NiK10 S. 56 bis 57 Case 1 bis 4). Desweiteren sind NiK10 und NiK14 in anerkannten Fachzeitschriften veröffentlicht, wobei der Artikel NiK10 sogar vor der Veröffentlichung überprüft worden ist (vgl. NiK10 S. 56 li. Sp. Abs. 1 unter dem Strich). Im Übrigen hat auch der Erfinder S… des Streitpatents NiK10 und NiK14 in einer Veröffentlichung im Jahr 1997 sowie NiK14 in einer weiteren Veröffentlichung im Jahr 1997, also jeweils im Jahr nach dem Prioritätstag des Streitpatents, zitiert und dabei keine Zweifel an deren Aussagekraft geäußert (vgl. gutachtlich NiK15: Anlagen Field, M.J. et al., J. Pharmacol. Exper. Ther. 1997, 282, S. 1242 spaltenübergr. Abs. le. Satz und Field, M. J. et al. Br. J. Pharmacol. 1997, 121, S. 1513, 1520 re. Sp. le. Abs. Satz 2).
Schließlich gibt es kein Erfordernis, dass ein Wirkstoff bereits von der WHO eine INN-Bezeichnung besitzen oder sogar in einem Arzneimittel zum Inverkehrbringen zugelassen sein muss, damit er vom Fachmann berücksichtigt wird. So mag zwar am Prioritätstag von sämtlichen gelisteten Antiepileptika, darunter auch Gabapentin, mit Carbamazepin nur ein einziger Vertreter als Analgetikum zugelassen gewesen sein (vgl. B45 Einträge Nr. 4 und 11 i. V. m. B28 S. 368 mi. Sp. "Carbamazepine" Abs. 1 und S. 374 re. Sp. "Gabapentin", v. a. S. 375 li. Sp.). Aus den bereits aufgezeigten Gründen bedarf es aber einer derartigen Bestätigung der Wirksamkeit durch die WHO oder einer amtlichen Zulassungsbehörde nicht, um Gabapentin als Analgetikum zu berücksichtigen.
Die vorstehenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit stehen auch nicht im Widerspruch zu der Entscheidung 327 O 67/15 des LG Hamburg hinsichtlich eines das Streitpatent betreffenden einstweiligen Verfügungsverfahrens. Denn das LG Hamburg benennt als zuständigen Fachmann einen Mediziner mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Schmerztherapie (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 2. April 2015 Rn. 134 – 327 O 67/15, juris), während dieser nach Ansicht des Senats nicht nur aus einem Mediziner, sondern aus dem für die Entwicklung von Arzneimitteln typischen Team besteht, das neben einem Mediziner zumindest auch einen Pharmakologen mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln umfasst (vgl. I.4.). Dieses Team beurteilt den Stand der Technik insbesondere im Hinblick auf die vom erkennenden Senat definierte Aufgabe zwangsläufig anders als das LG Hamburg, da der Startpunkt für das Team nicht die Bereitstellung eines neuen Wirkstoffs für die Schmerztherapie ist. Vielmehr geht das zuständige Team von Pregabalin aus und sucht nach potentiellen neuen Einsatzgebieten für diesen Wirkstoff (vgl. I.2.). Da sich auch die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts in der Entscheidung B4 und die zuständigen Kammern in den vorgelegten Entscheidungen aus anderen europäischen Ländern gemäß B32/B32a, B33 und B34 nicht mit diesem Aspekt beschäftigt haben, führt deren Berücksichtigung nicht zu einer anderen Beurteilung der Sachlage.
4. Die weiteren Patentansprüche des Hauptantrags bedürfen keiner isolierten Prüfung, weil die Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung erklärt haben, dass sie die Antragsstellung nach dem Hauptantrag als geschlossenen Anspruchssatz verstehen (vgl. BGH GRUR 2007, 862 – Informationsvermittlungsverfahren II; BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät; BPatG GRUR 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren).
III.
Die von der Beklagten hilfsweise verteidigten Fassungen gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 erweisen sich ebenfalls als nicht patentfähig.
1. Im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist die streitpatentgemäße Verwendung gegenüber dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag nunmehr auf die Behandlung von neuropathischen Schmerzen gerichtet. Da die Behandlung von neuropathischen Schmerzen sowohl aus NiK10 als auch aus NiK14 bekannt ist (vgl. NiK10 S. 56 "Abstract" vorle. Abs.; vgl. NiK14 S. 265 re. Sp. vorle. Abs. bis S. 266 li. Sp. Abs. 2 Satz 1 i. V. m. S. 265 li. Sp. Abs. 1), gilt für Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 dieselbe Argumentation wie für den Patentanspruch 1 nach Hauptantrag, so dass die Verwendung gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 1 ebenfalls nahe gelegen hat.
2. Die jeweiligen Patentansprüche 1 der Hilfsanträge 2 und 3 sind identisch und unterscheiden sich vom Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 durch die Ergänzung, dass die neuropathischen Schmerzen durch die Verletzung oder Infektion von peripheren sensorischen Nerven verursacht sind. Neuropathische Schmerzen können – wie dem Fachmann bekannt ist (vgl. z. B. NiK10 S. 56 spaltenübergr. Abs. und NiK14 S. 265 li. Sp. Abs. 1) – aus Infektionen (z. B. Post-Zoster-Neuralgie) oder Verletzungen an Teilen des Nervensystems (z. B. aufgrund von Operationen, Nerventraumata oder Amputationen) resultieren. Auch diese Ursachen für neuropathische Schmerzen sind aus dem Stand der Technik bekannt. So werden beispielsweise in der NiK10 bei Patient 3 eine postherpetische Neuralgie und bei Patient 4 eine HIV-assoziierte Neuropathie behandelt (vgl. NiK10 S. 57 li. Sp. vorle. Abs. und spaltenübergr. Abs.) und damit neuropathische Schmerzen, die durch Infektionen ausgelöst werden. Die Verwendung nach dem jeweiligen Patentanspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3 ist daher aus denselben Gründen wie die Verwendung gemäß Patentanspruch 1 des Hauptantrags wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig.
3. Die weiteren Patentansprüche der Hilfsanträge 1 bis 3 bedürfen keiner isolierten Prüfung, weil die Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung erklärt haben, dass sie die Antragsstellung nach den Hilfsanträgen als geschlossene Anspruchssätze verstehen (vgl. BGH GRUR 2007, 862 – Informationsvermittlungsverfahren II; BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät; BPatG GRUR 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren).
4. Der einzige Patentanspruch gemäß Hilfsantrag 4 ist mit den jeweiligen Patentansprüchen 1 der Hilfsanträge 2 und 3 wortgleich, weshalb für ihn dieselbe Argumentation gilt wie für die Patentansprüche 1 der Hilfsanträge 2 und 3. Somit hat auch der Patentanspruch gemäß Hilfsantrag 4 nahe gelegen und ist deshalb nicht patentfähig.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.