Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 21.07.2015


BPatG 21.07.2015 - 3 Ni 17/14 (EP)

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
21.07.2015
Aktenzeichen:
3 Ni 17/14 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 027 084

(DE 698 04 988)

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm, der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Proksch-Ledig, der Richter Kätker und Dipl.-Chem. Dr. Jäger sowie der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Wagner

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 1 027 084 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 30. Oktober 1998 unter Inanspruchnahme der amerikanischen Priorität US 961801 vom 31. Oktober 1997 als internationale Patentanmeldung PCT/US98/23066 angemeldeten und vor dem europäischen Patentamt in der regionalen Phase erteilten europäischen Patents EP 1 027 084 (Streitpatent), dessen Erteilung mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland beim Europäischen Patentamt am 17. April 2002 bekannt gemacht wurde und das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 698 04 988 geführt wird. Das Streitpatent, das beschränkt mit Hauptantrag und drei Hilfsanträgen verteidigt wird, trägt die Bezeichnung „Cohesive Products“ ("Kohäsive Gegenstände") und umfasst 24 Patentansprüche, von denen die erteilten Patentansprüche 1 bis 4, 9, 11 bis 14 und 23 in der Verfahrenssprache Englisch folgendermaßen lauten:

2

1. A cohesive product comprising a substrate and a synthetic water-based cohesive defining at least one outer surface of the product, wherein the synthetic water-based cohesive comprises an inherently crystalline elastomer and at least one tackifying agent in an amount effective to disrupt the crystalline structure of the elastomer and maintain the elastomer in a partial polycrystalline state such that the elastomer possesses a cohesive property.

3

2. A product as claimed in claim 1 wherein the elastomer defines top and bottom surfaces of said substrate.

4

3. A product as claimed in claim 1 wherein the elastomer impregnates through the thickness of said substrate.

5

4. A product as claimed in any one of the preceding claims wherein the substrate comprises one or more layers each of which is a woven or knitted fabric, a warp-knitted (weft-insertion) fabric, a non-woven material, paper or a polymeric material.

6

9. A product as claimed in any one of the preceding claims which comprises a tape/bandage.

7

11. A product as claimed in claim 1, wherein the substrate comprises a first and a second layer of non-woven material and a third layer which is elastic in a direction extending longitudinally of the product, the third layer being in between the first and second layers of non-woven material.

8

12. A product as claimed in claim 1, wherein the substrate comprises:

9

1) a first layer of warp-knitted (weft insertion) fabric oriented with knitted threads or yarns extending longitudinally of the product;

10

2) a second layer of a non-woven material; and

11

3) a third layer which is elastic in a direction extending longitudinally of the product, the third layer being between the first and second layers.

12

13. A product as claimed in claim 1, wherein threads or yarns are knitted through the substrate to form a knitted substrate, and a synthetic cohesive water-based elastomer is deposited on opposite sides of the knitted substrate.

13

14. A product as claimed in claim 1, wherein the synthetic water-based cohesive comprises an inherently crystallizing elastomer to which two tackifying resins with melting points higher and lower relative to one another, or with average molecular weights higher and lower relative to one another, are added in an amount effective to disrupt the crystalline structure of the elastomer, and to maintain the elastomer in a partial polycrystalline state such that the elastomer possesses a cohesive property.

14

23. A method of making a synthetic cohesive product comprising the steps of:

15

1) combining a synthetic crystalline elastomer with at least one tackifying agent to produce an emulsion/dispersion of the elastomer and tackifying agent(s);

16

2) providing a substrate of a desired structure;

17

3) treating the substrate with the dispersion/emulsion such that the dispersion/emulsion defines at least one outer surface of the product; and

18

4) evaporating water from the dispersion/emulsion to produce a cohesive elastomeric solid.

19

In deutscher Übersetzung nach der Streitpatentschrift lauten sie:

20

1. Kohäsives Produkt, umfassend ein Substrat und ein synthetisches Kohäsionsmittel auf Wasserbasis, das mindestens die äußere Oberfläche des Produkts begrenzt, worin das synthetische Kohäsionsmittel auf Wasserbasis ein inhärent kristallines Elastomer und mindestens ein klebrigmachendes Mittel in einer Menge umfasst, die effektiv ist, um die Kristallstruktur des Elastomers zu stören und das Elastomer in einem teilkristallinen Zustand zu halten, sodass das Elastomer eine Kohäsionseigenschaft besitzt.

21

2. Produkt nach Anspruch 1, worin das Elastomer obere und untere Oberflächen des Substrats begrenzt.

22

3. Produkt nach Anspruch 1, worin das Elastomer durch die Dicke des Substrats imprägniert ist.

23

4. Produkt nach einem der vorhergehenden Ansprüche, worin das Substrat eine oder mehrere Schichten umfasst, wobei jede von diesen ein gewobener oder gestrickter Stoff ist, eine Kettwirkware (Einschlagfadeninsertion), ein Vliesmaterial, Papier oder ein polymeres Material ist.

24

9. Produkt nach einem der vorhergehenden Ansprüche, umfassend ein Pflaster/einen Verband.

25

11. Produkt nach Anspruch 1, worin das Substrat eine erste und eine zweite Schicht aus Vliesmaterial und eine dritte Schicht umfasst, die elastisch in einer Richtung ist, die sich in Längsrichtung des Produkts erstreckt, wobei die dritte Schicht zwischen der ersten und zweiten Schicht des Vliesmaterials ist.

26

12. Produkt nach Anspruch 1, worin das Substrat umfasst:

27

1) eine erste Schicht aus einer Kettwirkware (Einschlagfadeninsertion), die mit gestrickten Fäden oder Garnen ausgerichtet ist, die sich in Längsrichtung des Produkts erstrecken,

28

2) eine zweite Schicht eines Vliesmaterials; und

29

3) eine dritte Schicht, die elastisch ist in einer Richtung, die sich in Längsrichtung des Produkts erstreckt, wobei die dritte Schicht zwischen der ersten und zweiten Schicht ist.

30

13. Produkt nach Anspruch 1, worin die Fäden oder Garne durch das Substrat gestrickt sind, um ein gestricktes Substrat zu bilden, und ein synthetisches, kohäsives Elastomer auf Wasserbasis auf gegenüberliegenden Seiten des gestrickten Substrats aufgebracht ist.

31

14. Produkt nach Anspruch 1, worin das synthetische Kohäsionsmittel auf Wasserbasis ein inhärent kristallines Elastomer umfasst, zu welchem zwei klebrigmachende Harze mit Schmelzpunkten, die höher und geringer relativ zueinander sind oder mit mittleren Molekulargewichten, die höher und geringer relativ zueinander sind, gegeben werden, in einer Menge, die effektiv ist, um die Kristallstruktur des Elastomers zu stören und um das Elastomer in einem teilweise polykristallinen Zustand zu halten, sodass das Elastomer eine kohäsive Eigenschaft besitzt.

32

23. Verfahren zum Herstellen eines synthetischen kohäsiven Produkts, umfassend die Schritte:

33

1) Vereinigen eines synthetischen kristallinen Elastomers mit mindestens einem klebrigmachenden Mittel, um eine Emulsion/Dispersion des Elastomers und des (der) klebrigmachenden Mittels (Mittel) zu erzeugen;

34

2) Bereitstellen eines Substrats mit einer gewünschten Struktur;

35

3) Behandeln des Substrats mit der Dispersion/Emulsion, sodass die Dispersion/Emulsion mindestens eine äußere Oberfläche des Produkts begrenzt; und

36

4) Verdampfen von Wasser aus der Dispersion/Emulsion, um einen kohäsiven elastomeren Feststoff zu erzeugen.

37

Wegen des Wortlauts der weiteren nebengeordneten Patentansprüche 15 und 18 sowie der weiteren unmittelbar oder mittelbar auf die nebengeordneten Patentansprüche rückbezogene Patentansprüche wird auf die Patentschrift EP 1 027 084 verwiesen.

38

In der Fassung des Hauptantrags, mit dem die Beklagte ihr Patent beschränkt verteidigt, lauten die (nur in deutscher Sprache eingereichten) Patentansprüche 1 und 5 bis 9:

39

1. Kohäsive Bandage, umfassend ein Substrat und ein synthetisches Kohäsionsmittel auf Wasserbasis, worin das synthetische Kohäsionsmittel auf Wasserbasis ein inhärent kristallines Elastomer und mindestens ein klebrigmachendes Mittel in einer Menge umfasst, die effektiv ist, um die Kristallstruktur des Elastomers zu stören und das Elastomer in einem teilkristallinen Zustand zu halten, sodass das Elastomer eine Kohäsionseigenschaft besitzt,

40

worin das Elastomer obere und untere Oberflächen des Substrats begrenzt oder worin das Elastomer durch die Dicke des Substrats imprägniert ist, und

41

worin das Substrat eine oder mehrere Schichten umfasst, wobei jede von diesen ein gewobener oder gestrickter Stoff ist, eine Kettwirkware (Einschlagfadeninsertion), oder ein Vliesmaterial ist.

42

5. Bandage nach Anspruch 1, worin das Substrat eine erste und eine zweite Schicht aus Vliesmaterial und eine dritte Schicht umfasst, die elastisch in einer Richtung ist, die sich in Längsrichtung der Bandage erstreckt, wobei die dritte Schicht zwischen der ersten und zweiten Schicht des Vliesmaterials ist.

43

6. Bandage nach Anspruch 1, worin das Substrat umfasst:

44

1) eine erste Schicht aus einer Kettwirkware (Einschlagfadeninsertion), die mit gestrickten Fäden oder Garnen ausgerichtet ist, die sich in Längsrichtung der Bandage erstrecken,

45

2) eine zweite Schicht eines Vliesmaterials; und

46

3) eine dritte Schicht, die elastisch ist in einer Richtung, die sich in Längsrichtung der Bandage erstreckt, wobei die dritte Schicht zwischen der ersten und zweiten Schicht ist.

47

7. Bandage nach Anspruch 1, worin die Fäden oder Garne durch das Substrat gestrickt sind, um ein gestricktes Substrat zu bilden, und ein synthetisches, kohäsives Elastomer auf Wasserbasis auf gegenüberliegenden Seiten des gestrickten Substrats aufgebracht ist.

48

8. Bandage nach Anspruch 1, worin das synthetische Kohäsionsmittel auf Wasserbasis ein inhärent kristallines Elastomer umfasst, zu welchem zwei klebrigmachende Harze mit Schmelzpunkten, die höher und geringer relativ zueinander sind oder mit mittleren Molekulargewichten, die höher und geringer relativ zueinander sind, gegeben werden, in einer Menge, die effektiv ist, um die Kristallstruktur des Elastomers zu stören und um das Elastomer in einem teilweise polykristallinen Zustand zu halten, sodass das Elastomer eine kohäsive Eigenschaft besitzt.

49

9. Verfahren zum Herstellen einer synthetischen kohäsiven Bandage, umfassend die Schritte:

50

1) Vereinigen eines synthetischen kristallinen Elastomers mit mindestens einem klebrigmachenden Mittel, um eine Emulsion/Dispersion des Elastomers und des (der) klebrigmachenden Mittels (Mittel) zu erzeugen;

51

2) Bereitstellen eines Substrats mit einer gewünschten Struktur, worin das Substrat eine oder mehrere Schichten umfasst, wobei jede von diesen ein gewobener oder gestrickter Stoff ist, eine Kettwirkware (Einschlagfadeninsertion), oder ein Vliesmaterial ist;

52

3) Behandeln des Substrats mit der Dispersion/Emulsion, sodass die Dispersion/Emulsion obere und untere Oberflächen des Substrats begrenzt, oder durch die Dicke des Substrats imprägniert ist; und

53

4) Verdampfen von Wasser aus der Dispersion/Emulsion, um einen kohäsiven elastomeren Feststoff zu erzeugen.

54

Nach Hilfsantrag A1 wird die kohäsive Bandage und das Verfahren zum Herstellen einer synthetischen kohäsiven Bandage jeweils um das Merkmal ergänzt, dass das (inheränt) kristalline Elastomer Polychloropren ist und dass das klebrigmachende Mittel natürlich vorkommende Harze und/oder Harzester einschließt.

55

Nach dem auf dem Hauptantrag basierenden Hilfsantrag A2 werden die auf Patentanspruch 1 rückbezogene Patentansprüche 5 bis 8 gemäß Hauptantrag (entsprechen den erteilten Patentansprüchen 11 bis 14) gestrichen.

56

Diese Unteransprüche werden ebenso in dem auf Hilfsantrag A1 basierenden Hilfsantrag A3 gestrichen.

57

Wegen des Wortlauts der Patentansprüche 2 bis 4 und 10 gemäß Hauptantrag und der Patentansprüche 1 bis 10 gemäß Hilfsantrag A1 wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 12. Juni 2015 verwiesen. Wegen des Wortlauts der jeweiligen Patentansprüche 1 bis 6 gemäß Hilfsanträge A2 und A3 wird weiterhin auf den Schriftsatz der Beklagten vom 16. Juli 2015 verwiesen.

58

Die Klägerin, die das Streitpatent in vollem Umfang angreift, macht die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Ausführbarkeit und der mangelnden Patentfähigkeit geltend. Sie stützt ihr Vorbringen u.a. auf folgende Dokumente:

59

K1 EP 1 027 084 B1 (= Streitpatent)

60

K1a DE 698 04 988 T2, Übersetzung der K1

61

K7 Wake, W. C. (Ed.): "Critical Reports on Applied Chemistry: Synthetic Adhesives and Sealants", Volume 16, John Wiley & Sons, Chichester 1987, Chapter 1: "Contact Adhesives" von Whitehouse, R. S., S. 1 bis 30

62

K8 Coe, D. G., "Neoprene Synthetic Rubber; Latex based adhesives", Du Pont-Firmenschrift, März 1995,

63

K8a Coe, D. G., "NEOPRENE Synthesekautschuk – Neoprene Latexklebstoffe", Du Pont-Firmenschrift, November 1991

64

K9 Landrock, A. H. (Ed.): "Adhesives Technology Handbook", Noyes Publications, Park Ridge 1985, Chapter 2: "Definitions of Terms", S. 12 bis 30

65

K13 US 4,984,584

66

K15 Skeist, I. (Ed.): "Handbook of Adhesives", 3. Aufl., Chapman & Hall, New York 1990: Guggenberger, S. K., Chapter 15, "Neoprene (Polychloroprene)-Based Solvent and Latex Adhesives", S. 284 bis 306

67

K23 US 4,699,133

68

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die beschränkte Verteidigung nach Haupt- und Hilfsanträgen der Beklagten unzulässig sei, da die Patentansprüche unzulässige Erweiterungen enthielten.

69

Zunächst ergäben sich Bedenken, soweit mit dem nebengeordneten Patentanspruch 1 nur noch eine Bandage beansprucht werde, da damit ein anderer Gegenstand als mit dem erteilten Erzeugnisanspruch 1 geschützt werde und der Fachbegriff "bandage" oder "Bandage" an sich weder in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen noch in der Patentschrift offenbart sei. Außerdem erhielten die den erteilten Patentansprüchen 11 bis 14 entsprechenden Patentansprüche 5 bis 8 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag A1 durch den Rückbezug auf den nunmehr die Merkmale der erteilten Patentansprüche 2 bis 4 und 9 aufweisenden Patentanspruch 1 eine völlig neue Kombination mit speziellen materialbezogenen Merkmalen, die so nicht den ursprünglichen Anmeldeunterlagen zu entnehmen sei. Des Weiteren sieht die Klägerin im Patentanspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsanträgen die Alternative zwischen den aus den erteilten Patentansprüchen 2 und 3 übernommenen Merkmalen (" … worin das Elastomer obere und untere Oberflächen des Substrats begrenzt oder worin das Elastomer durch die Dicke des Substrats imprägniert ist … ") als nicht offenbart an. Schließlich besitze der Fachbegriff "natürlich vorkommende Harze" im Patentanspruch 1 der Hilfsanträge A1 und A3 gegenüber dem englischen Fachbegriff "rosin" in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen und im Streitpatent einen größeren Bedeutungsbereich.Weiter ist die Klägerin der Ansicht, dass die Gegenstände des Streitpatents in ihrer beanspruchten Breite nicht ausführbar seien, da der Fachmann nicht in der Lage sei, auf der Basis der Streitpatentschrift und ohne selbst erfinderisch tätig zu werden, die Lehre der Streitpatentschrift erfolgreich nachzuarbeiten.

70

Darüber hinaus meint die Klägerin, dass die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 9 nach Haupt- und Hilfsantrag A1 bzw. 1 und 5 gemäß den Hilfsanträgen A2 und A3 nicht neu gegenüber der Druckschrift K23 seien. Diese Druckschrift offenbare eine Bandage mit allen Merkmalen der nebengeordneten Patentansprüche in den verteidigten Fassungen, einschließlich des synthetischen Elastomers cis-1,4-Polyisopren mit im wesentlichen gleichen Eigenschaften wie das damit ersetzte Naturgummilatex.

71

Ferner macht die Klägerin mangelnde erfinderische Tätigkeit unter Verweis auf die Druckschriften K13 bzw. K23, jeweils in Kombination mit dem Fachwissen geltend, wie es insbesondere durch die Druckschriften K7, K8 oder K15 dokumentiert sei. So offenbare die auf dem gleichen technischen Gebiet wie das Streitpatent liegende Druckschrift K13 kohäsive Bandagen, in denen natürliches Gummilatex als polymeres Bindemittel verwendet werde. Die Druckschrift enthalte jedoch auch Hinweise auf Alternativen in Form anderer Elastomere mit ähnlichen Eigenschaften für kohäsive Bandagen. Ausgehend von der Aufgabe, einen naturgummifreien kohäsiven Verband durch Erzeugung von synthetischen Elastomeren unter Verwendung von deren Kristallisationseigenschaften herzustellen, werde der Fachmann mit Hilfe seines Fachwissens, dokumentiert z. B. durch K7, auch Polychloroprenelastomere in Betracht ziehen und dabei die selbstklebenden Eigenschaften durch Zugabe von Klebrigmachern nach der Lehre dieser Druckschrift einstellen. Ebenso könne auch von der Druckschrift K23 ausgegangen werden. Auch hier gelange der Fachmann mit Hilfe seines Fachwissens zum Gegenstand des Streitpatents in den verteidigten Fassungen.

72

Entsprechendes gelte für die Gegenstände der nachgeordneten Patentansprüche und der neben- und nachgeordneten Patentansprüche gemäß den Hilfsanträgen.

73

Die Klägerin beantragt,

74

das europäische Patent 1 027 084 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

75

Die Beklagte beantragt,

76

die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung des Hauptantrags, hilfsweise des Hilfsantrags A1, beide gemäß Schriftsatz vom 12. Juni 2015,

77

weiter hilfsweise die Fassung eines der Hilfsanträge A2 oder A3 gemäß Schriftsatz vom 16. Juli 2015 erhält.

78

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Sie verweist auf folgende Dokumente:

79

B1 Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts zur Anmelde-Nr.: EP 98 956 370.5, "Facts and Submissions"

80

B2 Merkmalsgliederung Anspruch 1

81

B3 Merkmalsgliederung Anspruch 15

82

B4 3M Health Care, Produktbroschüre "3MTM CobanTM LF", März 2011

83

B5 Entscheidung des US-Patentamts vom 20. Oktober 2014 (IPR2014-00630) betreffend das Patent US 6,156,424

84

B6 Entscheidung (request for rehearing) des US-Patentamts vom 20. Februar 2015 (IPR2014-00630) betreffend das Patent US 6,156,424

85

B7 Hauptantrag vom 12. Juni 2015

86

B8 Hauptantrag vom 12. Juni 2015 mit Änderungen

87

B9 WO 99/22778 A2 (= Veröffentlichung der Internationalen Anmeldung des Streitpatents)

88

B10 "Technical Report in regards to K11 and K24" vom 6. Oktober 2014

89

B11 3M United States, "3MTM VetRapTM Bandaging Tape with Hand Tear Technology – 2", Internetausdruck aus www.3m.com/3M/... vom 27. Mai 2015

90

B12 US 3,575,782

91

B13 US 3,330,275

92

B14 Robbins, J. , "Polychloroprene Contact Adhesives", Adhesives & Sealants Industry, März 2003, S. 30 bis 37

93

B15 Korrespondenz zwischen den Unternehmen 3M Health Care und Andover Coated Products Inc. vom 6. April 1998, 17. Juni 1998 und 1. Juli 1998

94

B16 Hilfsantrag A1 vom 12. Juni 2015

95

B17 Hilfsantrag A1 vom 12. Juni 2015 mit Änderungen

96

B18 Hilfsantrag A2 vom 16. Juli 2015

97

B19 Hilfsantrag A2 vom 16. Juli 2015 mit Änderungen

98

B20 Hilfsantrag A3 vom 16. Juli 2015

99

B21 Hilfsantrag A3 vom 16. Juli 2015 mit Änderungen

100

Die Beklagte ist der Meinung, dass die Lehre des Streitpatents nach den Grundsätzen der Rechtsprechung ausführbar offenbart sei. Hiernach genüge es für die Ausführbarkeit, wenn zumindest ein gangbarer Weg offenbart sei. Da das Patent eine Reihe erfindungsgemäßer Beispiele offenbare, sei diese Anforderung erfüllt. Zudem seien im Streitpatent sowohl eine Vielzahl von geeigneten Elastomeren und Klebrigmachern als auch Methoden zur empirischen Bestimmung der erforderlichen Menge an Klebrigmachern aufgezeigt. Dies habe auch die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts so gesehen.

101

Die Gegenstände der nebengeordneten Patentansprüche des Streitpatents in den Fassungen gemäß Haupt- und Hilfsanträgen seien auch neu. Keines der von der Klägerin genannten Dokumente offenbare eine kohäsive Bandage umfassend ein Substrat und ein synthetisches Kohäsionsmittel mit sämtlichen Merkmalen der Patentansprüche in der mit Haupt- und Hilfsanträgen verteidigten Fassungen. Zudem könnten die in dem von der Klägerin angeführten Stand der Technik genannten Kontaktklebstoffe nicht mit den streitpatentgemäßen Kohäsionsmittelzusammensetzungen gleichgesetzt werden. Bei Kontaktklebstoffen handele es sich um Materialien, die permanente, starke Verbindungen erzeugten und deshalb auch „Kontaktzemente“ bzw. „contact cements“ genannt würden, wobei diese Verbindungen auch nur beim Zusammenfügen der bestrichenen Substratflächen innerhalb eines begrenzten Zeitraums („open time“) möglich seien. Solche Materialen entsprächen nicht den Anforderungen an Bandagen, die (wiederverwendbar und ohne Anwendung eines hohen Pressdrucks) ihre Kohäsivität über die gesamte Lebensdauer des Produkts behalten müssten, ohne dabei adhäsiv an anderen Gegenständen zu haften.

102

Außerdem beruhten die Gegenstände des Streitpatents nach Haupt- und Hilfsanträgen auf erfinderischer Tätigkeit. Ausgehend von den Druckschriften K13 oder K23 hätte der Fachmann angesichts der Unterschiede zwischen Kontaktklebstoffen und den Haftmaterialien von Bandagen die insbesondere in der Druckschrift K7 genannten Kontaktklebstoffe auf Polychloroprenbasis nicht als Ersatz für Naturgummilatex herangezogen. Im Übrigen habe der Fachmann keinen Hinweis auf das spezielle Fenster gehabt, in dem die Menge des klebrigmachenden Mittels ausreiche, die kohäsiven Eigenschaften des Elastomers zu erzeugen, ohne dass zugleich eine unerwünschte Adhäsion entstehe.

Entscheidungsgründe

I.

103

1. Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Ausführbarkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 b) EPÜ) und der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) gestützte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet.

104

1.1. Das Streitpatent betrifft in seiner erteilten Fassung kohäsive Produkte, insbesondere kohäsive Pflaster und Verbände, in welchen das kohäsive Material eher ein synthetisches als ein Naturgummilatex ist, sowie deren Herstellungsverfahren. Desweiteren betrifft es eine synthetische Kohäsionsmittelzusammensetzung auf Wasserbasis und ein Verfahren zum Modifizieren des Kohäsionsvermögens eines synthetischen Elastomers auf Wasserbasis (vgl. K1, Patentansprüche 1, 15, 18 und 23, S. 2 Abs. [0001], [0007] und S. 3 Abs. [0011]).

105

Nach den Ausführungen im Streitpatent ist der in der Gesundheitsindustrie weit verbreitete Naturgummilatex zumindest zum Teil in allen bekannten verfügbaren kohäsiven Verbänden enthalten, wobei er inhärent kohäsiv sei und damit eher an sich selbst als an anderen Materialien klebe. Die verfügbaren adhäsiven, naturgummifreien Verbände verwendeten Kontaktklebstoffe und seien nicht kohäsiv. Naturgummi könne aber allergische Reaktionen hervorrufen, weshalb die amerikanische FDA festgelegt habe, dass alle Naturgummilatex enthaltenden medizinischen Vorrichtungen mit Warnhinweisen zu kennzeichnen seien. Zudem zersetze sich Naturgummilatex im Gegensatz zu synthetischen Latexalternativen bei Exposition mit Erdölderivatprodukten, wie etwa Petrolat, und Tierfetten (vgl. K1 S. 2 Abs. [0003]).

106

1.2. Vor diesem Hintergrund ist die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe darin zu sehen, einen kohäsiven Verband bereitzustellen, der zu weniger allergischen Reaktionen führt oder nicht mehr allergen ist und dessen Kohäsionsmittel keine durch Erdölderivatprodukte, wie etwa Petrolat, und Tierfette bewirkten Zersetzungen aufweist (vgl. K1 S. 2 Abs. [0004] i. V. m. S. 2 Z. 23 bis 25).

107

1.3. Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag durch eine

108

1.1 Kohäsive Bandage, umfassend

109

1.2 ein Substrat und

110

1.3 ein synthetisches Kohäsionsmittel auf Wasserbasis, worin

111

1.4 das synthetische Kohäsionsmittel auf Wasserbasis ein inhärent kristallines Elastomer und

112

1.5 mindestens ein klebrigmachendes Mittel

113

1.6 in einer Menge umfasst, die ausreicht, um die Kristallstruktur des Elastomers zu stören und

114

1.7 das Elastomer in einem teilkristallinen Zustand zu halten,

115

1.8 sodass das Elastomer eine Kohäsionseigenschaft besitzt,

116

1.9.1 worin das Elastomer obere und untere Oberflächen des Substrats begrenzt oder

117

1.9.2 worin das Elastomer durch die Dicke des Substrats imprägniert ist, und

118

1.10 worin das Substrat eine oder mehrere Schichten umfasst, wobei jede von diesen Schichten ein gewobener oder gestrickter Stoff, eine Kettwirkware (Einschlagfadeninsertion) oder ein Vliesmaterial ist.

119

1.4. Bei dem zuständigen Fachmann handelt es sich um einen Diplomchemiker mit umfassenden Kenntnissen über Klebstoffformulierungen allgemein und langjähriger praktischer Erfahrung auf dem Gebiet von Produkten, die Klebstoffformulierungen aufweisen. Dieser wird sich bei Fragen der Anwendbarkeit und Handhabbarkeit von Bandagen an einen Orthopäden oder einen Physiotherapeuten wenden.

II.

120

Die Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 10 nach Hauptantrag erweisen sich als nicht bestandsfähig.

121

1. Eine unzulässige Erweiterung liegt nicht vor.

122

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag leitet sich aus den erteilten Patentansprüchen 1 bis 4 und 9 sowie Abs. [0007] und der Fig. 1 i. V. m. den Abs. [0013] und [0014] der Streitpatentschrift K1 ab. In der dem Streitpatent zugrunde liegenden internationalen Veröffentlichung B9 findet sich die Offenbarung in den Patentansprüchen 1 bis 5, auf der S. 3 Z. 5 bis 10 und in der Fig. 1 i. V. m. S. 4 Z. 15 bis 17 und S. 5 Z. 11 bis 23. Die Patentansprüche 2 bis 4 und 10 gehen auf die erteilten Patentansprüche 5, 6, 10 und 24 sowie die ursprünglich offenbarten Patentansprüche 6, 7, 10 und 34 zurück. Patentanspruch 5 findet seine Stütze im erteilten Patentanspruch 11 i. V. m. Abs. [0019] der K1 sowie in der B9 im Patentanspruch 18 i. V. m. S. 6 Z. 31 bis 34, Patentanspruch 6 im erteilten Patentanspruch 12 i. V. m. Abs. [0020] der K1 sowie in der B9 im Patentanspruch 19 i. V. m. S. 7 Z. 5 bis 9, Patentanspruch 7 im erteilten Patentanspruch 13 i. V. m. Abs. [0018] der K1 sowie in der B9 im Patentanspruch 20 i. V. m. S. 6 Z. 23 bis 29 und Patentanspruch 8 im erteilten Patentanspruch 14 i. V. m. Abs. [0009] und [0010] der K1 sowie in der B9 im Patentanspruch 21 i. V. m. S. 3 Z. 15 bis 27. Schließlich leitet sich Patentanspruch 9 aus den erteilten Patentansprüchen 23, 9 und 2 bis 4 sowie in der Offenlegungsschrift B9 von den Patentansprüchen 33 und 2 bis 5 i. V. m. S. 3 Z. 5 bis 8 ab.

123

In der Streichung der Formulierung "das mindestens die äußere Oberfläche des Produkts begrenzt" im erteilten Patentanspruch 1 und der Aufnahme der Merkmale der erteilten Patentansprüche 2 und 3 als alternative Ausführungsformen in den Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag liegt keine unzulässige Erweiterung. Denn auch durch die Imprägnierung gemäß Merkmal 1.9.2 wird streitpatentgemäß mindestens die äußere Oberfläche des Produkts begrenzt. Gemäß den Ausführungen in der Beschreibung des Streitpatents führt nämlich auch die Imprägnierung des Substrats mit Elastomer zu einem kohäsiven Produkt, dessen obere und untere Oberflächen mit dem Elastomer beschichtet sind (vgl. K1 Fig. 1 i. V. m. S. 3 Z. 18 bis 19 und Abs. [0014]). Die Alternativen 1.9.1 und 1.9.2 führen auch nicht zu einer Unklarheit, weil sich – wie die Klägerin vorgetragen hat – die beiden Alternativen nicht ausschließen. Vielmehr werden dadurch zwei alternative Ausführungsformen beansprucht, bei denen das Elastomer entweder durch die Dicke des Substrats hindurch imprägniert ist und dabei die obere und untere Oberfläche des Substrats vollständig bedeckt (vgl. Merkmal 1.9.2) oder auf die obere und untere Oberfläche des Substrats aufgebracht ist, ohne das Substrat zu durchdringen (vgl. Merkmal 1.9.1).

124

Die Auffassung der Klägerin, dass wegen des fehlenden Rückbezugs der erteilten Patentansprüche 11 bis 14 auf den erteilten Patentanspruch 9 nunmehr im Hauptantrag mit den entsprechend umnummerierten Patentansprüchen 5 bis 8 eine Bandage geschützt werde, die nicht den Ursprungsunterlagen gemäß B9 entnehmbar sei, kann nicht überzeugen. Werden Merkmale, die in nicht aufeinander bezogenen Patentansprüchen enthalten sind, kumuliert, ist darauf abzustellen, ob die Fachwelt dem Patent den sich daraus ergebenden Gegenstand als unter Schutz gestellt entnehmen konnte (vgl. Busse PatG, 7. Aufl., § 22 Rn. 27 le. Satz). Im erteilten Patentanspruch 1 werden kohäsive Produkte ohne weitere Konkretisierung beansprucht. Gemäß Streitpatentschrift und Offenlegungsschrift fallen darunter insbesondere kohäsive Pflaster und Verbände bzw. Bandagen (vgl. K1 S. 2 Abs. [0002], [0007], S. 4 [0018], [0022]; vgl. B9 S. 1 Z. 8 bis 10, S. 3 Z. 5 bis 8, S. 6 Z. 23 bis 26 und S. 7 Z. 17 bis 19), wobei die Begriffe "Bandage" und "Verband" als Synonyme zu betrachten sind (vgl. auch gutachtlich Duden Deutsches Universalwörterbuch, Dudenverlag Mannheim, 3. Aufl. 1996, S. 205 Stichwort "Bandage", Definition a) und S. 1633 Stichwort "Verband", Definition 1.). Somit sind im erteilten Patentanspruch 1 als kohäsive Produkte auch kohäsive Bandagen geschützt, so dass trotz des fehlenden Rückbezugs der erteilten Patentansprüche 11 bis 14 auf den erteilten Patentanspruch 9 die darin beanspruchten Gegenstände auch die nunmehr als einzige Produkte beanspruchten kohäsiven Bandagen betreffen. Eine unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs durch die Aufnahme des Merkmals "Bandage" in den Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag liegt daher ebenso wenig vor wie eine unzulässige Erweiterung gegenüber dem Inhalt der internationalen Veröffentlichung B9.

125

Auch dem Einwand der Klägerin, dass im erteilten Patentanspruch 9 ein "tape/bandage" ("Pflaster/Verband") beansprucht und darunter nicht unmittelbar und eindeutig eine Bandage zu verstehen sei, kann nicht gefolgt werden. Der Schrägstrich stellt lediglich eine verkürzte Schreibweise dar, wobei er im Sinne einer Formulierung als "oder" angibt, dass die beiden Begriffe als Alternativen beansprucht werden. Dies wird auch durch die Beschreibung der Streitpatentschrift bestätigt (vgl. K1 S. 2 Abs. [0001], [0007] und S. 4 Abs. [0018]).

126

Die Formulierung "comprises" ("umfasst") im erteilten Patentanspruch 9 ist dabei auch nicht derart zu verstehen, dass damit im Sinne eines Kits ein kohäsives Produkt beansprucht wird, das neben einem Pflaster/Verband weitere Gegenstände umfasst. Denn zur Feststellung, ob eine Erweiterung des Schutzbereichs vorliegt, muss der Gegenstand des angegriffenen Patents in seiner Gesamtheit, also nach dem Inhalt der Patentansprüche unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen als Auslegungshilfen, ermittelt und mit dem in gleicher Weise ermittelten Gegenstand des ursprünglich erteilten Patents verglichen werden (vgl. Busse PatG, 7. Aufl. § 22 Rn. 27 Satz 1). Durch den Rückbezug auf den erteilten Patentanspruch 1 gibt das Kennzeichen des Patentanspruchs eine bevorzugte Ausgestaltung des kohäsiven Produkts an. Eine Einbeziehung weiterer Gegenstände in dessen Schutzbereich findet sich weder in den weiteren Patentansprüchen noch in der Beschreibung des Streitpatents. Im Übrigen enthält auch die Veröffentlichungsschrift keine Offenbarungen in diese Richtung.

127

Schließlich kann auch der Einwand der Klägerin, dass durch die Formulierung "inhärent kristallines Elastomer" im Patentanspruch 8 gemäß Hauptantrag gegenüber der ursprünglich offenbarten Formulierung "inherently crystallizing elastomer" im Patentanspruch 21 der B9 eine unzulässige Erweiterung vorliege, nicht überzeugen. Denn bei der Bestimmung des Gegenstandes eines Patentanspruchs ist nicht allein der Wortlaut des Patentanspruchs oder dessen Verständnis im allgemeinen Sprachgebrauch zugrunde zu legen, sondern vielmehr das, was der fachkundige Leser dem jeweiligen Patentanspruch, gegebenenfalls auch unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen, entnimmt. Im Zusammenhang damit wird er erkennbare Fehler im Patentanspruch – einschließlich ihm ersichtliche problematische oder unausführbare Anweisungen – in einer dem Zweck der offenbarten Lösung entsprechenden Weise aufzulösen versuchen, davon ausgehend, dass der Vorschlag der Patentschrift auf eine sinnvolle Anwendung gerichtet ist (vgl. BGH MittdtschPatAnw 2002, 176, 177 II.2.aa) – Gegensprechanlage). Diesen Grundsätzen folgend erschließt sich im vorliegenden Fall für den Fachmann unter Heranziehung der Beschreibung, welcher Gegenstand mit dem ursprünglich offengelegten Patentanspruch 21 unter Schutz gestellt werden sollte. Bei Auslegung dieses offensichtlich fehlerhaft formulierten Patentanspruchs ergibt sich für diesen nämlich unter Zuhilfenahme seines Fachwissens zusammen mit der Beschreibung der Offenlegungsschrift, dass die Angaben hinsichtlich der Kristallisierungseigenschaften des Elastomers nicht im Einklang mit dem übergeordneten Patentanspruch 1 stehen (vgl. B9 Patentansprüche 1 und 21). Nachdem in der Beschreibung der Offenlegungsschrift durchgehend nur inhärent kristalline Elastomere offenbart sind (vgl. B9 S. 3 Z. 15 bis 19, S. 4 Z. 29 bis 34 i. V. m. Fig. 5, S. 7 Z. 25 bis 27, S. 8. Z. 18 bis 20, S. 9 Z. 11 bis 20, S. 10 Z. 5 bis 7, 15 bis 18, 29 bis 34 und S. 12 Z. 8 bis 11), muss der Fachmann vorliegend auch nicht zwischen inhärent kristallinen und inhärent kristallisierenden Elastomeren auswählen. Demnach kann es sich bei dem im ursprünglich offengelegten Patentanspruch 21 bzw. nunmehr geltenden Patentanspruch 8 angegebenen Elastomer vielmehr nur um ein inhärent kristallines Elastomer handeln.

128

2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 mag ausführbar sein, weil das Streitpatent zum einen mehrere Ausführungsbeispiele (vgl. K1 S. 8/9 Tab. 3 und S. 10 Tab. 4) und zum anderen expressis verbis eine Vielzahl von für die Ausführung des Streitgegenstands geeigneten Elastomeren und Klebrigmachern offenbart, wobei die Menge an Klebrigmachern empirisch anhand der im Streitpatent angegebenen Testmethoden zu ermitteln ist. Die kohäsive Bandage gemäß Patentanspruch 1 mag auch neu sein, denn in keinem der angeführten Dokumente wird eine kohäsive Bandage beschrieben, in der die obere und untere Oberfläche des Substrats durch inhärent kristallines Elastomer begrenzt oder das Elastomer durch die Dicke des Substrats imprägniert ist. Jedoch beruht der Gegenstand des Patentanspruchs 1 jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

129

2.1 Ausgangspunkt zum Auffinden einer Lösung des dem Streitpatent zugrunde liegenden Problems, einen kohäsiven Verband bereitzustellen, der zu weniger allergischen Reaktionen führt oder gar nicht mehr allergen ist und dessen Kohäsionsmittel keine durch Erdöl bzw. Erdölderivate und Tierfette bewirkten Zersetzungen zeigt, stellt die Druckschrift K13 dar. K13 offenbart eine kohäsive elastische Bandage mit einem höheren Elastizitätsmodul, besserer Kohäsivität und besserer Haltbarkeit als entsprechende bekannte Bandagen (vgl. K13 Patentanspruch 1, Sp. 1 Z. 43 bis 49 und 66 bis 68). Diese kohäsiven elastischen Bandagen umfassen einen mit einem polymeren Klebermaterial imprägnierten Faservliesstoff, wobei als Klebermaterial bevorzugt konzentrierter natürlicher Gummilatex eingesetzt wird (vgl. K13 Patentansprüche 1, 7 und Sp. 3 Z. 32 bis 33). Da es zudem fachmännisches Wissen darstellt, dass ein Latex die stabile Dispersion eines polymeren Materials in einem wässrigen Medium darstellt (vgl. K9 S. 21 Stichwort "Latex"), unterscheidet sich die kohäsive Bandage gemäß K13 vom Gegenstand des Streitpatents nur durch die Verwendung von natürlichem Gummilatex anstelle von einem künstlichen Kohäsionsmittel auf Wasserbasis. Allerdings gibt die K13 bezüglich des polymeren Klebermaterials dem Fachmann bereits den Hinweis, dass neben dem bevorzugten Naturgummilatex auch andere Elastomere oder Elastomermischungen mit ähnlichen Eigenschaften verwendet werden können (vgl. K13 Sp. 3 Z. 32 bis 35). Somit erhält er aus der K13 die Veranlassung, alternative Elastomere mit ähnlichen Eigenschaften wie Naturgummi als Klebermaterial für kohäsive elastische Bandagen in Betracht zu ziehen (vgl. BGH GRUR 2010, 407 Ls – Einteilige Öse).

130

Da zudem die Verwendung von Naturgummilatex mit Nachteilen insbesondere hinsichtlich dieser allergener Wirkung verbunden ist und die Überlegungen des Fachmanns naturgemäß bei der Fehleranalyse vorhandener Lösungen und deren Verbesserung ansetzen (vgl. BGH, GRUR 2010, 814, 816 Rn. 24 – Fugenglätter), wird er diese Anregung aus der K13 aufgreifen und sich nach alternativen Elastomeren umschauen. Dazu ist es ihm aus seinem Fachwissen, beispielhaft dokumentiert durch die Handbuch-Auszüge K7 und K15, bekannt, dass für einen möglichen Ersatz von Naturgummilatex Polychloropren-Elastomere (= Neopren-Elastomere) im Gemisch mit Modifizierungsmitteln in Frage kommen (vgl. K7 S. 2 Abs. 3 und S. 3 le. Abs. vor Kap. 1.2 i. V. m. S. 2 Abs. 1; K15 S. 284 li. Sp. Abs. 1, 3 und S. 285 li. Sp. Abs. 1 Satz 3 i. V. m. S. 301 re. Sp. le. Abs. bis S. 305). In diesem Zusammenhang zeigt zum Beispiel K7 eine Mischung von Polychloroprenlatex mit 30 bis 60 pphr Terpenphenolharz als typische Polychloroprenlatex-Kontaktklebstoffformulierung auf (vgl. K7 S. 14 1. vollst. Abs.). Zudem offenbaren K7 und K15 neben Terpenphenolharzen als Modifizierungsmittel auch Alkylphenolharze und phenolmodifizierte Harzester (vgl. K7 S. 9 Kap. 1.2.5 Abs. 1; vgl. K15 S. 304 spaltenübergr. Abs.). Dabei handelt es sich um Klebrigmacher, die auch im Streitpatent als zur Einstellung der Kohäsivität geeignete Klebrigmacher beschrieben werden (vgl. K1 S. 5/6 Abs. [0031]). Für den Fachmann lag es daher auf der Hand, Polychloroprenharzmischungen, wie sie ihm beispielsweise aus K7 und K15 bekannt waren, als Alternative für den Naturgummilatex in den kohäsiven elastischen Bandagen gemäß K13 ins Auge zu fassen, zumal ihm ebenfalls bekannt war, dass Polychloroprene auch gegen Zersetzung durch Öle und Chemikalien beständig sind (vgl. K15 S. 284 li. Sp. Abs. 1 Satz 2). Die Überprüfung, ob diese tatsächlich geeignet sind, sowie die Ermittlung der am besten geeigneten Mischverhältnisse der einzelnen Komponenten in den Polychloroprenharzmischungen ist sodann seinem üblichen Arbeitsbereich zuzuordnen (vgl. BGH GRUR 2015, 356 2. Ls, 359 Rn. [31] – Repaglinid m. w. N.), insbesondere da der in K7 beispielhaft angegebene Mengenanteil von 30 bis 60 pphr an Harz bereits in weiten Bereichen der im Streitpatent als geeignet angeführten Klebrigmachermenge von 20 bis 30 % bezogen auf das Gesamtgewicht des Latex entspricht (vgl. K1 S. 9 Abs. [0047]). Denn bei einem Feststoffgehalt der streitpatentgemäß verwendeten Polychloroprenlatices NEOPRENE LTX 400 und NEOPRENE LTX 654 von 50 % bzw. 59 % und bei einem von der Beklagten nicht in Abrede gestellten Feststoffgehalt der streitpatentgemäß eingesetzten Klebrigmacher von 50 % und 55 % errechnet sich für 20 bis 30 Gew.-% ein Mengenanteil von etwa 21 bis 47 pphr Klebrigmacher in den streitpatentgemäß verwendeten kohäsiven Elastomermischungen (vgl. K8 S. 5 Table 2 und S. 1 1. Tabelle der Anlage 1 zur Klageschrift vom 15. April 2014).

131

Hiergegen wendet die Beklagte ein, dass Kontaktklebstoffe adhäsive Klebstoffe darstellten, die nicht mit den streitpatentgemäßen synthetischen Kohäsionsmittelzusammensetzungen gleich zu setzen seien. Kontaktklebstoffe, wie sie beispielsweise im Fachbuch K7 beschrieben sind, bezeichneten Klebstoffe basierend auf Wasser oder auf Lösemittel zur dauerhaften Verbindung von zwei Gegenständen im Sinne des bekannten Pattex-Klebstoffs bzw. Klebstoffzements, wobei vornehmliche Anwendungsgebiete das Verbinden von Kunststofflaminatarbeitsflächen auf Holzgehäusen und das Anbringen von Schuhsohlen einschlössen. Dem kann nicht gefolgt werden. Unter Kontaktkleben versteht der Fachmann das Auftragen eines selbstklebenden Materials auf beide zusammenzuklebende Oberflächen und deren anschließendes Zusammenfügen unter Druck (vgl. K9 S. 17 "Contact bonding"). Kontaktkleber bezeichnen somit Klebstoffe, die zwei Fügeteile miteinander verbinden, wobei zuerst der Kontaktkleber nach dem Aufbringen auf die Oberfläche der Fügeteile an dieser haftet (vgl. K7 S. 2 Abs. 1 Satz 1 und 2). Nach einer Trocknungszeit sind die Kontaktkleber nicht mehr klebrig zu anderen Oberflächen, haften aber an sich selbst (vgl. K7 S. 2 Abs. 1 le. Satz und Abs. 2 Satz 1). Sie sind somit kohäsiv im streitpatentgemäßen Sinn. Denn laut Streitpatent ist ein Material kohäsiv, wenn es eher an sich selbst als an anderen Materialien klebt (vgl. K1 S. 2 Abs. [0002], S. 4 Z. 3 bis 5, S. 6 Abs. [0033] und S. 8 Abs. [0045]). Mit dem Begriff "Kontaktkleber" verknüpft der Fachmann daher nicht zwangsläufig nur ein adhäsives Material, das an sich selbst und an anderen Materialien klebt, sondern auch ein kohäsives, d. h. nur an sich selbst klebendes Material, zumal die Kohäsion im streitpatentgemäßen Sinn ein Sonderfall der Adhäsion darstellt (vgl. gutachtlich Römpps Chemie-Lexikon, 8. Aufl., Franckh'sche Verlagshandlung Stuttgart 1979, Bd. 1, S. 68 Stichwort "Adhäsion" sowie 1983, Bd. 3, S. 2141 Stichwort "Kohäsion").

132

Auch die Auffassung der Beklagten, dass in der Einleitung des Streitpatents angegeben sei, dass adhäsive Verbände Kontaktklebstoffe verwendeten und daher Kontaktklebstoffe nicht kohäsiv seien, wodurch der Fachmann diese von den beanspruchten Kohäsionsmittelzusammensetzungen unterscheide, kann nicht überzeugen. Denn einerseits besagt diese Aussage im Streitpatent nicht, dass Kontaktklebstoffe generell nicht kohäsiv sind. Vielmehr umfassen Kontaktkleber Klebematerialien, die durch die Zugabe von Klebrigmachern in entsprechender Dosierung einstellbar entweder nur an sich selbst kleben oder sowohl an sich selbst als auch an anderen Materialien haften (vgl. K7 S. 2 Abs. 3). So ist dem Fachmann bekannt, dass die Adhäsionseigenschaften eines Materials von der Kristallisationsrate abhängig sind (vgl. K7 S. 3 3. Spiegelpunkt, S. 7 le. Abs. und Tab. 1.5) und diese durch die Zugabe von Klebrigmachern eingestellt wird (vgl. K7 S. 28 1. vollst. Abs.; vgl. K15 S. 286 li. Sp. Abs. 1, re. Sp. le. Satz, Fig. 2 und S. 304 spaltenübergr. Abs.). Andererseits wird auch im Streitpatent die synthetische Kohäsionsmittelzusammensetzung auf ein Substrat für die Bandage aufgebracht, an dem sie haftet. Erst nach dem anschließenden Verdampfen des Wassers aus der Kohäsionsmittelzusammensetzung wird der in der streitpatentgemäßen Bandage verwendete kohäsive elastomere Feststoff erzeugt (vgl. Patentanspruch 9 gemäß Hauptantrag und S. 4 Abs. [0022]). Diese Verarbeitung entspricht der fachüblichen Verwendung von Kontaktklebstoffen, wie sie beispielsweise im Lehrbuch K7 beschrieben wird (vgl. K7 u. a. S. 2 Abs. 1). Daran ändert auch das Argument der Beklagten nichts, dass das streitpatentgemäß eingesetzte kohäsive Elastomer gegenüber den in K7 beschriebenen Kontaktklebstoffen ein größeres Zeitfenster aufweise, in dem es kohäsiv wirke. Denn weder in den streitpatentgemäßen Patentansprüchen noch in der übrigen Streitpatentschrift ist ein derartiges Zeitfenster definiert oder zahlenmäßig konkretisiert.

133

Gleiches gilt auch für die von der Beklagten angeführten inhärenten Eigenschaften der streitpatentgemäßen Bandagen, wonach diese wiederverwendbar seien und bereits bei leichtem Druck eine kohäsive Bindung ausbilden könnten. Denn zum einen sind diese Eigenschaften im Streitpatent nicht offenbart. Dort wird lediglich angegeben, dass ein kohäsives Material nur an sich und nicht an anderen Materialien haftet (vgl. K1 S. 2 Z. 11 und S. 3/4 Abs. [0016]). Zum anderen sind Bandagen nicht zwangsläufig wiederverwendbar (vgl. gutachtlich nachveröffentlichte B4 "Precautions" 2. Aufzählungspunkt) und mit diesen kann auch starker Druck ausgeübt werden (vgl. z. B. B12 Sp. 1 Z. 51 bis 55 und B13 Sp. 2 Z. 15 bis 18), so dass weder die Wiederverwendbarkeit noch die kohäsive Verbindung bei leichtem Druck inhärente Eigenschaften von sämtlichen bekannten Bandagen darstellen, die aus der Sicht des Fachmanns bei der Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich sind und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedürfen (vgl. BGH GRUR 2009, 382 2. Ls – Olanzapin).

134

Im Übrigen kann auch der Hinweis auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts gemäß B1 nicht zu einer anderen Sichtweise führen. Denn diese Entscheidung nimmt im Zusammenhang mit Kontaktklebern auf die K8 (dort Dokument D1) Bezug, in der eine Neoprenlatexzusammensetzung ein Beispiel für ein "pressure sensitive adhesive" (= Haftklebstoff) darstellt (vgl. B1 S. 6 Abs. 5.1 i. V. m. K8 S. 19 li. Sp. Kapitelüberschrift und Tab. 17). Da der K8 ebenso wie den übrigen im Einspruchsverfahren vor dem EPA angeführten Dokumenten keine Ausführungen hinsichtlich der Kohäsivität im streitpatentgemäßen Sinn entnommen werden können, ist erst durch die Dokumentation des Fachwissens, insbesondere in den Dokumenten K7 und K15, belegt, dass es dem Fachmann zum Prioritätstag geläufig war, Kontaktklebstoffe in ihren adhäsiven Eigenschaften durch Variation und Dosierung von Klebrigmachern so zu beeinflussen, dass diese auch kohäsive Eigenschaften erhalten.

135

Die Argumentation der Beklagten, dass K13 das dem Streitpatent zugrunde liegende Problem nicht anspreche und natürlichen Gummilatex als bevorzugte Ausführungsform offenbare, weshalb K13 den Streitgegenstand nicht nahe legen könne, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Denn durch den Hinweis in der K13, dass auch andere Elastomere mit ähnlichen Eigenschaften wie natürlicher Gummilatex verwendet werden können (vgl. K13 Sp. 3 Z. 32 bis 35), wird der Fachmann dazu angeregt, Alternativen zum natürlichen Gummilatex in Betracht zu ziehen. Zudem muss das dem Streitpatent zugrunde liegende Problem in der K13 nicht angesprochen sein, da es den Ausgangspunkt für den Fachmann darstellt, von dem aus sich ihm nach einer Fehleranalyse im Hinblick auf eine Verbesserung der Lehre der K13 (vgl. BGH GRUR 2010, 814, 816 Rn. 24 – Fugenglätter) das mit dem Streitpatent zu lösende Problem stellt, nämlich eine kohäsive Bandage bereitzustellen, die zu weniger allergischen Reaktionen führt oder gar nicht mehr allergen ist und dessen Kohäsionsmittel keine durch Erdölprodukte und Tierfette bewirkten Zersetzungen zeigt.

136

Schließlich wird der Fachmann auch durch ihm bekannte Nachteile von Polychloroprenen gegenüber Naturkautschuk nicht – wie von der Beklagten angeführt – davon abgehalten, Polychloroprene in Betracht zu ziehen. Denn Polychloroprene sind ihm schon lange als Ersatz von Naturkautschuk bekannt (vgl. K7 S. 3 vorle. Abs.; K15 S. 284 bis S. 285 re. Sp. Abs. 2; gutachtlich nachveröffentlichte B14 S. 31 li. Sp. Z. 4 bis 7) und aufgrund seines allgemeinen Erfahrungswissens rechnet er stets mit der Möglichkeit, dass im Stand der Technik vorgeschlagene weitere Schritte sich als verallgemeinerungsfähig und in dem ihm selbst vorschwebenden Lösungsweg verwendbar erweisen könnten (vgl. BGH, MittdtschPatAnw. 2011, 26 Ls. und 29 Rn. [27] – Gleitlagerüberwachung).

137

2.2 Die weiteren Patentansprüche des Hauptantrags bedürfen keiner weiteren, isolierten Prüfung, weil die Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass sie den Hauptantrag und auch die Hilfsanträge als jeweils in sich geschlossene Anspruchssätze versteht (vgl. BGH GRUR 2007, 862 Informationsübermittlungsverfahren II; BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät; BPatG GRUR 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren).

III.

138

Der Gegenstand des Streitpatents hat auch in den Fassungen der Hilfsanträge A1 bis A3 mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand.

139

1. Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag A1 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag durch die zusätzlichen Merkmale

140

1.11 worin das inhärent kristalline Elastomer Polychloropren ist und

141

1.12 das klebrigmachende Mittel natürlich vorkommende Harze und/oder Harzester einschließt.

142

Da aber sowohl Polychloropren als auch Harzester auf dem Gebiet der Klebstofflatices bekannte und übliche Materialien darstellen und zudem in K7 als Einsatzstoffe für die dort beschriebenen Kontaktkleber offenbart sind (vgl. K7 S. 2 Abs. 3 und S. 3 vorle. Abs. i. V. m. S. 2 Abs. 1 sowie S. 14 1. vollst. Abs., S. 9 Kap 1.2.5 Abs. 1 und S. 28 1. vollst. Abs.), beruht auch der Gegenstand dieses Hilfsantrags nicht auf erfinderischer Tätigkeit, wobei vollumfänglich auf die Ausführungen zum Patentanspruch 1 nach Hauptantrag verwiesen wird.

143

2. Die Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag A2 unterscheidet sich von der Anspruchsfassung gemäß Hauptantrag nur dadurch, dass die abhängigen Patentansprüche 5 bis 8 gestrichen worden sind. Da somit Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag A2 und Hauptantrag identisch sind, gelten für Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag A2 dieselben Ausführungen wie für den Patentanspruch 1 nach Hauptantrag. Das Patent ist daher auch auf der Grundlage dieses Antrags mangels erfinderischer Tätigkeit nicht bestandsfähig.

144

3.1 In der Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag A3 sind gegenüber der Anspruchsfassung nach Hilfsantrag A1 wiederum die abhängigen Patentansprüche 5 bis 8 gestrichen worden, so dass Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag A3 aus denselben Gründen wie Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag A1 keinen Bestand hat.

145

3.2 Auch der Gegenstand des nebengeordneten Patentanspruchs 5 gemäß Hilfsantrag A3 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dieser Patentanspruch betrifft ein Verfahren zum Herstellen einer synthetischen kohäsiven Bandage. Ein gattungsgemäßes Herstellungsverfahren ist aus der K13 bekannt (vgl. K13 Sp. 1 Z. 43 bis 49 und Sp. 2 Z. 18 bis 32). Zudem beinhaltet das beanspruchte Herstellungsverfahren lediglich fachübliche Verfahrensschritte und ein Ergreifen darüber hinausgehender, eine erfinderische Tätigkeit erfordernder Maßnahmen ist im Streitpatent nicht erkennbar. Der Gegenstand des Patentanspruchs 5 nach Hilfsantrag A3 ist damit vom Stand der Technik nahegelegt, so dass er ebenfalls nicht bestandsfähig ist.

146

3.3 Ein bestandsfähiger Rest ist auch nicht in den Gegenständen der nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 4 und 6 zu erkennen. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass ihnen ein eigenständiger patentfähiger Gehalt zukäme. Ein solcher ist auch nicht ersichtlich. Diese Patentansprüche, deren selbstständiger Gehalt von der Klägerin unter Angabe von Gründen in Abrede gestellt wurde, sind daher ebenfalls nicht patentfähig (vgl. BGH GRUR 2007, 309 Rn. 42 - Schussfädentransport; Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 5. Aufl., S. 143, Rn. 258).

IV.

147

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.

148

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.