Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 16.10.2012


BPatG 16.10.2012 - 3 Ni 11/11 (EP)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – „beschichtetes Schneidwerkzeug“ – Zurückweisung eines verspätet eingereichten Gutachtenentwurfs – zur Ausführbarkeit einer technischen Lehre


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
16.10.2012
Aktenzeichen:
3 Ni 11/11 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze
Art 83 EuPatÜbkGebO
Art 138 Abs 1 Buchst b EuPatÜbkGebO

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 0 603 144

(DE 693 06 089)

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16. Oktober 2012 unter Mitwirkung des Vor-sitzenden Richters Schramm sowie der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Proksch-Ledig, der Richter Dipl.-Chem. Dr. Gerster und Schell sowie der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Münzberg

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 0 603 144 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des unter Inanspruchnahme der Priorität der schwedischen Anmeldung SE 9203852 vom 18. Dezember 1992 unter anderem für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 0 603 144 (Streitpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 693 06 089 geführt wird. Das Streitpatent betrifft ein „Mit Oxid beschichtetes Schneidwerkzeug“ und umfasst 7 Patentansprüche, von denen die Patentansprüche 2 bis 6 direkt oder indirekt auf den Patentanspruch 1 rückbezogen sind. Die unabhängigen Patentansprüche 1 und 7 lauten in der deutschen Übersetzung wie folgt:

2

„1. Wenigstens teilweise mit einer oder mit mehreren hitzebeständigen Schichten, von denen wenigstens eine Schicht Aluminiumoxid ist, überzogener Körper, wobei die Aluminiumoxidschicht eine Dicke d = 0,5 bis 25 µm hat und aus einzelphasiger α-Struktur mit einer Korngröße (s) von 0,5 µm < s < 1 µm für 0,5 µm < d < 2,5 µm und 0,5 µm < s < 3 µm für 2,5 µm < d < 25 µm besteht, dadurch gekennzeichnet, dass die Aluminiumoxidschicht einen Gefügekoeffizienten (TC) größer als 1,3, vorzugsweise größer als 1,5 für die (012)-Wachstumsrichtung der äquivalenten kristallographischen Ebenen, definiert als

Abbildung

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3

worin

4

l(hkl) = gemessene Intensität der (hkl)-Reflexion

5

l0(hkl) = Standardintensität der ASTM-Standardpulverbildbeugungsdaten

6

n = Anzahl der in der Berechnung verwendeten Reflexionen, wobei die verwendeten (hkl)-Reflexionen (012), (104), (110), (113), (024), (116) sind, hat.

7

7. Verfahren zum Beschichten eines Körpers mit einer α-Aluminiumoxid-schicht (Al203) nach Anspruch 1 oder 2, bei dem der Körper bei hoher Temperatur mit einem ein oder mehrere Aluminiumhalogenide enthaltenden Wasserstoffträgergas und einem hydrolysierenden und/oder oxidierenden Mittel in Berührung gebracht wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Wasserdampfkonzentration in dem Wasserstoffträgergas unter 20 ppm vor der Al203-Keimbildung liegt und die Al203-Keimbildung durch Aufeinanderfolge der Reaktionspartnergase in der folgenden Reihenfolge: C02, CO und AICI3 eingeleitet wird und die Temperatur während der Keimbildung etwa 1000°C beträgt.“

8

Die Ansprüche 2 bis 6 betreffen besondere Ausgestaltungen des mit einer einzelphasigen α-Aluminiumoxidschicht überzogenen Körpers nach Patentanspruch 1.

9

Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Zudem offenbare das Streitpatent die angebliche Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die im Streitpatent angewandte Methodik zur Bestimmung des Texturkoeffizienten sei fehlerhaft und liefere völlig unzureichende Ergebnisse, denn die ASTM-Standardpulverbildbeu-gungsdaten für α-Al2O3 seien zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents bereits so inkonsistent gewesen, dass die zuverlässige Bestimmung eines Texturkoeffizienten TC(012) ohne Angabe eines konkreten Standards nach der im Streitpatent angegebenen Harris-Formel unmöglich sei. Darüber hinaus enthalte das Streitpatent keine Angaben zur Messung und Analyse der Röntgenbeugungsdaten, die in Form der gemessenen Intensitäten bei der Ermittlung des Texturkoeffizienten nach der Harris-Formel herangezogen werden müssten. Dies führe dazu, dass für ein- und dieselbe Probe nach der im Streitpatent angegebenen Formel Texturkoeffizienten mit erheblicher Variationsbreite gemessen werden könnten, was dem Fachmann einen unzumutbaren Aufwand bei der Nacharbeitung der vermeintlichen Erfindung auferlege. Das in Patentanspruch 7 genannte Verfahren zur Herstellung der patentgemäßen Schneidwerkzeuge könne wegen fehlender oder widersprüchlicher Verfahrensparameter ebenfalls nicht nachgearbeitet werden.

10

Außerdem sei der Gegenstand des Streitpatents durch den Vertrieb der Handelsprodukte „Schneideinsätze der Sorte KC910 von K… Inc.“ und „Schneideinsätze der Sorte GC415, GC3015 und GC320 von S… AB“ offenkundig vorbenutzt, wofür die Klägerin Zeugen- und Sachverständigenbeweis anbietet.

11

In ihrem Vorbringen stützt sich die Klägerin insbesondere auf die folgenden Dokumente:

12

D1 C. Barret und T.B. Massalski, „Structure of Metals“, 3. Auflage, 1980, Pergamon Press Oxford, S. 204/205

13

D2a Zusammenstellung von PDF-Indexkarten, veröffentlicht vor Dezember 1992

14

D5 D.M. Moore und R.C. Reynolds, Jr., X-ray Diffraction and the Identification and Analysis of Clay Minerals, Oxford University Press, New York, 1989, 276 bis 282

15

D7 Gutachten von Fr. Dr. H. Holzschuh vom 18. Januar 2011

16

D8 Gutachten von Hr. Dr. W.E. Mayo vom 7. Februar 2011

17

D14 C.-S. Park et al, J. Electrochem. Soc.: Solid-State Science and Technology, 1983, Vol. 130, 1607 bis 1611

18

D16 EP 0 403 461 A1

19

D81 Auszug aus dem Bruker-Handbuch EVA Software zur Fourier-glättung

20

D82 Auszug aus dem Bruker-Handbuch EVA Software zum Kα2-Abzug.

21

Die Klägerin stellt den Antrag,

22

das europäische Patent 0 603 144 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

23

Die Beklagte beantragt,

24

die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung des Hauptantrags,

25

hilfsweise der Hilfsanträge 1 bis 5, sämtliche gemäß Schriftsatz vom 4. Oktober 2012 erhält.

26

Der in englischer Sprache abgefasste Patentanspruch 1 des Hauptantrags lautet entsprechend der mit Schriftsatz vom 4. Juni 2012 vorgelegten deutschen Anspruchsfassung in deutscher Übersetzung wie folgt:

27

„1. Schneidwerkzeugeinsatz aus Sintercarbid, Carbonitrid auf Titanbasis oder Keramik, der wenigstens teilweise mit einer oder mit mehreren hitzebeständigen Schichten, von denen wenigstens eine Schicht Aluminiumoxid ist, überzogen ist, wobei die Aluminiumoxidschicht eine Dicke d = 0,5 bis 25 µm hat und aus einzelphasiger α-Struktur mit einer Korngröße (s) von 0,5 µm < s < 1 µm für 0,5 µm < d < 2,5 µm und 0,5 µm < s < 3 µm für 2,5 µm < d < 25 µm besteht, dadurch gekennzeichnet, dass die Aluminiumoxidschicht einen Gefügekoeffizienten (TC) größer als 1,3, vorzugsweise größer als 1,5 für die (012)-Wachstumsrichtung der äquivalenten kristallographischen Ebenen, definiert als

Abbildung

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28

worin

29

l(hkl) = gemessene Intensität der (hkl)-Reflexion

30

l0(hkl) = Standardintensität der ASTM-Standardpulverbildbeugungs-daten

31

n = Anzahl der in der Berechnung verwendeten Reflexionen, wobei die verwendeten (hkl)-Reflexionen (012), (104), (110), (113), (024), (116) sind, hat.“

32

In den Patentanspruch 1 des I. Hilfsantrags wurde zusätzlich das Merkmal „wobei die Aluminiumoxidschicht durch ein Verfahren nach Patentanspruch 6 erhalten wird“ (deutsche Übersetzung) aufgenommen.

33

Im Patentanspruch 1 des II. Hilfsantrags wurde im Vergleich zum Patentanspruch 1 des Hauptantrags zusätzlich das Merkmal aufgenommen, „dass die Aluminiumoxidschicht durch Keimbildung in der α-Phase entstanden ist“ (deutsche Übersetzung).

34

Im Patentanspruch 1 des III. Hilfsantrags wurde gegenüber dem Patentanspruch 1 des Hauptantrags der Gefügekoeffizient (TC) mit größer als 1,5 angegeben.

35

Der Patentanspruch 1 des IV. Hilfsantrags entspricht dem Patentanspruch 1 des III. Hilfsantrags und enthält zudem das Merkmal „wobei die Aluminiumoxidschicht durch ein Verfahren nach Patentanspruch 6 erhalten wird“ (deutsche Übersetzung).

36

Der Patentanspruch 1 des V. Hilfsantrags entspricht dem Patentanspruch 1 des III. Hilfsantrages und enthält zudem das Merkmal, „dass die Aluminiumoxidschicht durch Keimbildung in der α-Phase entstanden ist“ (deutsche Übersetzung).

37

Der Patentanspruch 6 wurde weder im Hauptantrag noch in den Hilfsanträgen I. bis V. gegenüber dem erteilten Patentanspruch 7 verändert.

38

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen und ist der Auffassung, das Streitpatent weise Neuheit und erfinderische Tätigkeit gegenüber dem zu berücksichtigenden Stand der Technik auf. Sie bestreitet die behaupteten Vorbenutzungshandlungen und macht insbesondere geltend, bei den fraglichen Schneideinsätzen seien nicht sämtliche patentgemäßen Merkmale verwirklicht. Durch die Gesamtoffenbarung der Streitpatentschrift werde dem fachmännischen Leser auch die notwendige technische Information vermittelt, die er benötige, um mit seinem Fachwissen und seinem Fachkönnen die Erfindung erfolgreich ausführen zu können. Zur Frage der Ausführbarkeit des Streitpatents hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung als NB21 einen für ein paralleles US-Verfahren erstellten Entwurf eines Gutachtens eingereicht. Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, sie könne sich auf diesen Gutachtenentwurf nicht einlassen und dessen Vorlage als verspätet gerügt.

39

Die Beklagte stützt ihr Vorbringen auf folgende Dokumente:

40

NB1-a Vergleichsversuche der Beklagten zur Ausführbarkeit des Streitpatents

41

NB9 Bericht von Herrn Brandt bzgl. der Nacharbeitung des patentgemäßen Beispiels 1 vom 23. April 2012

42

NB21 Entwurf eines Gutachtens von Prof. A. R. Barron vom 7. Oktober 2012.

Entscheidungsgründe

I.

43

Die auf die Nichtigkeitsgründe der fehlenden Ausführbarkeit (Art. 138 Abs. 1 lit. b; Art. 83 EPÜ i. V. m Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG) sowie mangelnder Patentfähigkeit (Art. 138 Abs. 1 lit a; Art. 52, 54, 56 EPÜ i. V. m. Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG) gestützte Klage ist zulässig. Sie erweist sich auch als begründet, denn das Streitpatent offenbart die geschützte Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

II.

44

1. Das Streitpatent betrifft ein beschichtetes Schneidwerkzeug für die spanabhebende maschinelle Bearbeitung sowie ein Verfahren zu dessen Beschichtung (vgl. K1, Streitpatentschrift, S. 2, Z. 3 i. V. m. Patentansprüchen 1 und 7).

45

Die chemische Abscheidung aus der Dampfphase (CVD) von Aluminiumoxid auf Schneidwerkzeuge gehört seit vielen Jahren zur industriellen Praxis. Die CVD-Technik wurde aber auch verwendet, um Überzüge anderer Metalloxide, -carbide und -nitride herzustellen. Viele dieser Verbindungen fanden als verschleißbeständige und schützende Überzüge praktische Anwendung, doch nur wenige bekamen so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie TiC, TiN und Al2O3. Sintercarbidschneidwerkzeuge, die mit verschiedenen Typen von Al2O3-Überzügen, wie z. B. einem κ-Al2O3, Gemischen von κ- und α-Al2O3 und sehr grobkörnigem α-Al2O3 versehen waren, waren viele Jahre im Handel erhältlich. Keines dieser mit Oxid überzogenen Produkte zeigte jedoch die erwünschten Schneideigenschaften insbesondere bei der maschinellen Bearbeitung von Gußeisen mit Kugelgraphit. Bei gewerblichen Schneidwerkzeugen wird Al2O3 immer auf mit TiC bezogenem Carbid oder auf keramischen Substraten aufgebracht, weshalb die chemischen Grenzflächenreaktionen zwischen der TiC-Oberfläche und dem Aluminiumoxidüberzug von besonderer Bedeutung sind. Dabei schließt die TiC-Schicht eine Schicht der Formel TiCXNYOZ mit ein, bei der der Kohlenstoff in TiC vollständig oder teilweise durch Sauerstoff und/oder Stickstoff ersetzt ist. Im Stand der Technik werden mit Oxid überzogene Körper beschrieben und dabei erläutert, wie unterschiedliche Vorbehandlungen, z. B. von mit TiC beschichtetem Sintercarbid, die Haftung der anschließend abgeschiedenen Oxidschicht verbessern. Obwohl die beschriebenen Methoden zu Aluminiumoxidschichten führen, die fest und haftend an den Sintercarbidkörper oder an eine hitzebeständige Schicht, wie z. B. TiC, in Nachbarschaft zu dem Sintercarbid gebunden sind, führen sie doch nicht zu einem stabilen Überzug aus α-polymorphem Al2O3 (vgl. K1, Streitpatent, S. 2, Z. 4 bis 36).

46

2. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, auf einem harten Substrat oder auf einem TiCXNYOZ-Überzug wenigstens eine einphasige Al2O3-Schicht des α-Polymorphen mit einer erwünschten Mikrostruktur und einem erwünschten kristallographischen Gefüge unter Verwendung geeigneter Keimbildungs- und Wachstumsbedingungen zu bekommen, so dass die Eigenschaften der Al2O3-Schicht stabilisiert werden und ein mit Aluminiumoxid überzogener Schneidwerkzeugeinsatz erhalten wird, der bei Stahl, rostfreiem Stahl, Gußeisen und insbesondere Gußeisen mit Kugelgraphit eine verbesserte Schneidleistung aufweist (vgl. K1, Streitpatent, S. 2, Z. 37 bis 42).

47

3. Gelöst wird die Aufgabe gemäß Hauptantrag mit dem im Patentanspruch 1 angegebenen Schneidwerkzeugeinsatz, der folgende Merkmale aufweist:

48

1.1 Schneidwerkzeugeinsatz aus Sintercarbid, Carbonitrid auf Titanbasis oder Keramik,

49

1.2 der wenigstens teilweise mit einer oder mit mehreren hitzebeständigen Schichten überzogen ist,

50

1.3 von denen wenigstens eine Schicht Aluminiumoxid ist,

51

1.3.1 wobei die Aluminiumoxidschicht eine Dicke d = 0,5 bis 25 µm hat,

52

1.3.2 aus einer einzelphasigen α-Struktur besteht,

53

1.3.3 eine Korngröße (s) von 0,5 µm < s < 1 µm für 0,5 µm < d < 2,5 µm und 0,5 µm < s < 3 µm für 2,5 µm < d < 25 µm aufweist und

54

1.3.4 einen Gefügekoeffizienten (TC) größer als 1,3, vorzugsweise größer als 1,5 für die (012)-Wachstumsrichtung der äquivalenten kristallographischen Ebenen, definiert als

Abbildung

Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen

55

hat, worin

56

l(hkl) = gemessene Intensität der (hkl)-Reflexion

57

l0(hkl) = Standardintensität der ASTM-Standardpulverbildbeugungsdaten

58

n = Anzahl der in der Berechnung verwendeten Reflexionen, wobei die verwendeten (hkl)-Reflexionen (012), (104), (110), (113), (024), (116) sind.

59

sowie mit einem Verfahren gemäß Anspruch 6, das folgende Merkmale aufweist:

60

6.1 Verfahren zum Beschichten eines Schneidwerkzeugeinsatzes mit einer α-Aluminiumoxidschicht (Al203) nach Anspruch 1 oder 2,

61

6.2 bei dem der Körper bei hoher Temperatur mit einem ein- oder mehrere Aluminiumhalogenide enthaltenden Wasserstoffträgergas und einem hydrolysierenden und/oder oxidierenden Mittel in Berührung gebracht wird, und

62

6.3 die Wasserdampfkonzentration in dem Wasserstoffträgergas unter 20 ppm vor der Al203-Keimbildung liegt und

63

6.4 die Al203-Keimbildung durch Aufeinanderfolge der Reaktionspartnergase in der folgenden Reihenfolge: C02, CO und AICI3 eingeleitet wird und

64

6.5 die Temperatur während der Keimbildung etwa 1000°C beträgt.“

65

1. Der Fachmann ist vorliegend als Team zu definieren, dem folgende Fachleute angehören: Ein Ingenieur der Fertigungsplanung von Schneidwerkzeugen mit mehrjähriger Berufserfahrung, der sowohl die Anforderungen, die an beschichtete Schneidwerkzeuge gestellt werden, als auch die für die Herstellung solcher Schneidwerkzeuge erforderlichen Techniken kennt; ein anorganischer Chemiker mit Erfahrung auf dem Gebiet der CVD-Beschichtung von Hartmetallsubstraten sowie einem auf dem Gebiet der Kristallographie/Röntgenstrukturanalyse spezialisierten Chemiker.

III.

66

Der von der Beklagten im Verlauf der mündlichen Verhandlung eingereichte Gutachtensentwurf (NB21) wird als verspätet zurückgewiesen.

67

Die Klägerin hat nach Vorlage des Entwurfs erklärt, sie könne sich in der mündlichen Verhandlung nicht darauf einlassen. Eine diesbezügliche Einlassung war ihr angesichts des Umfangs und der Komplexität der dortigen Ausführungen auch nicht zuzumuten. Aus denselben Gründen war es auch dem Senat nicht möglich, den Gutachtenentwurf noch innerhalb der mündlichen Verhandlung abschließend auf seine Entscheidungserheblichkeit hin zu würdigen bzw. sich umfassend mit ihm auseinanderzusetzen. Eine Vertagung des sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befindlichen Termins wäre somit unumgänglich gewesen. Auch die Einräumung einer nachträglichen Schriftsatzfrist zugunsten der Klägerin nach § 283 ZPO hätte dies nicht entbehrlich machen können, da dieses Mittel nur eine einseitige Stellungnahme ermöglicht und deshalb als nicht geeignet erschien, die vorliegend erforderliche umfassende und abschließende Diskussion des Gutachtenentwurfs zu gewährleisten.

68

Die Beklagte, die über die Folgen der Fristversäumung belehrt worden war, hat die Verspätung auch nicht genügend entschuldigt. Zwar hatte der Senat mit seinem Hinweis vom 1. August 2012 (Bl. 524 d. GA.) den Parteien mitgeteilt, dass die technische Lehre des Streitpatents nach seiner vorläufigen Rechtsauffassung so vollständig und deutlich offenbart sein dürfte, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Der Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG dient aber vor allem dazu, die sich aus der Klagebegründung ergebende Fokussierung der Argumentation entweder als nach der vorläufigen Sicht des Patentgerichts sachgerecht zu bestätigen oder aber als zum Zeitpunkt des Hinweises nicht zulänglich aufzuzeigen (BGH, Urteil vom 28. August 2012 - X ZR 99/11, Rdn. 38 = BeckRS 2012, 21001 - Fahrzeugwechselstromgenerator). Er befreit die Parteien dagegen nicht von ihren verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten, die insbesondere darin bestehen, auf sämtliche relevanten sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte des gegnerischen Vortrags vollumfänglich zu erwidern und mögliche Verteidigungsmittel fristgemäß einzureichen (vgl. BGH, GRUR 2011, 851, 852 - Werkstück). Dies gilt gerade auch für den Fall, dass das Patentgericht an seiner vorläufigen Rechtsauffassung nicht festhalten will, wie dies der Senat im vorliegenden Fall zu Beginn der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht hat. Die Beklagte konnte sich somit zum einen nicht darauf verlassen, dass nach dem Hinweis des Senats weiteres sachliches und prozessuales Vorbringen bzw. die fristgemäße Vorlage weiterer Verteidigungsmittel entbehrlich sei. Im Übrigen hat sie ihre Obliegenheit zu einer vollumfänglichen Verteidigung auch keineswegs verkannt und ihren Vortrag demgemäß auch nicht beschränkt. Das belegt die Tatsache, dass sie mit ihrem Schriftsatz vom 4. Oktober 2012 zur Frage der Ausführbarkeit der technischen Lehre im Streitpatent nochmals umfangreich vorgetragen und weitere Dokumente eingereicht hat.

69

Die Vorlage des Gutachtenentwurfs war nach alldem als verschuldete Fristversäumnis i. S. v. § 83 Abs. 4 PatG anzusehen. Da die Streitsache ohne Berücksichtigung des Gutachtenentwurfs auch entscheidungsreif war, erscheint es sachgerecht, dieses verspätete Vorbringen i. S. v. § 83 Abs. 4 PatG zurückzuweisen.

IV.

70

1. Die in den Patentansprüchen 1 und 6 des Hauptantrags vermittelte technische Lehre wird im Streitpatent nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG).

71

a) Die Identifizierbarkeit der patentgemäßen Produkte ist gegeben, da der durch die Beschreibung erläuterte Patentanspruch 1 den Patentgegenstand anhand von ausreichend genau messbaren Parametern so deutlich umschreibt, dass an einem fertigen Produkt festgestellt werden kann, ob dieses die patentgemäße Aufgabe löst und in den Schutzbereich des Streitpatents fällt.

72

Zu dem für das Streitpatent relevanten Zeitrang (1992) gehört die Ermittlung von Texturkoeffizienten anhand der Harris-Formel zum allgemeinen Können und Wissen des Fachmanns (vgl. D1, S. 204/205 i. V. m. D14, S. 1608, re. Sp., Formel [4] und S. 1609, Tabelle II). Da im Patentanspruch 1 im Zusammenhang mit der in der Harris-Formel verwendeten Standardintensität I0 nicht allgemein auf die Daten von PDF-Karten sondern auf ASTM-Standard-Daten Bezug genommen wird, wird der Fachmann für die Berechnung des Texturkoeffizienten nur die unter der Verantwortung der ASTM herausgegebenen Standardpulverbildbeugungsdaten als relevant erachten. Von der ASTM wurden im Jahr 1962 das letzte Mal Standardspezifikationen für Aluminiumoxidpulver herausgegebenen, so dass es sich dabei um die zum Prioritätszeitpunkt nach wie vor aktuellsten von der ASTM verantworteten Standarddaten handelt, die auch 1992 noch den höchsten Qualitätsstandard gegenüber allen anderen ASTM-Daten besaßen. Der Fachmann wird sich bei der Berechnung des (012)-Texturkoeffizienten daher auf diese in der PDF-Karte 10-0173 angegebenen ASTM-Standarddaten stützen (vgl. D2a). Von einer Vielzahl an Wahlmöglichkeiten betreffend die Standardintensitäten I0 ist nach Ansicht des Senats - anders als von der Klägerin angenommen - daher bei der Berechnung des Texturkoeffizienten nicht auszugehen.

73

Um möglichst exakte Werte zu erhalten, wird der Fachmann bei seinen Berechnungen ferner verschiedene, ihm bekannte Korrekturen durchführen. Nachdem die Standarddaten mit einer Cu Kα1-Strahlung gemessen werden, wird der Fachmann in Abhängigkeit davon, welche Kathode die von ihm verwendete Röntgenröhre enthält, einen Kα2-Abzug vornehmen, um die gemessenen Röntgenbeugungsintensitäten I mit den Standardintensitäten I0 in der Harris-Formel zueinander in Beziehung setzen zu können (vgl. D82). Ihm ist ferner bekannt, dass Standard-Röntgenbeugungsmessungen zur Ermittlung von Standardintensitäten I0 an Proben mit großen Volumen gemessen werden, deren Dicke deutlich größer als die Absorptionslänge λ der Röntgenstrahlen in dem Material ist. Bei der Vermessung dünner Schichten wird der Fachmann daher aufgrund seiner Fachkenntnisse entscheiden, ob eine Dünnschichtkorrektur erforderlich ist (vgl. D5). Auch die Fourier-Transformation zur Glättung von Rohdaten gehört zum allgemeinen Wissen und Können des Durchschnittsfachmanns, so dass deren Anwendung ebenfalls dem Ermessensspielraum des Fachmanns zuzuschreiben ist (vgl. D81).

74

Dem Erfordernis der eindeutigen Identifizierbarkeit von Produkten, die nach der patentgemäßen Lehre hergestellt wurden, steht nach Ansicht des Senats auch nicht entgegen, dass im Streitpatent keine näheren Angaben zur Röntgenstrahlenbeugungsmessung offenbart sind, da es sich dabei um eine zum Zeitpunkt des Streitpatents etablierte Grundlagentechnik handelt, für deren Anwendung der Fachmann aufgrund seiner praktischen Erfahrungen keine gesonderten Anweisungen benötigt. Hiervon geht auch die im Streitpatent zitierte Druckschrift D16 aus, in der die Röntgenstrukturanalyse ebenfalls als geeignete Methode zur Bestimmung der Mikrostruktur von Al2O3-Beschichtungen genannt wird, ohne jedoch die einzelnen Verfahrensschritte dieser Technik im Einzelnen zu erläutern (vgl. K1, S. 3, Z. 47; D16, S. 4, Z. 1/2).

75

Als hinreichend genau erachtet der Senat auch die in der Streitpatentschrift angegebene Methode zur Bestimmung der Korngröße eines Al2O3-Überzuges, bei der eine Rasterelektronenmikroskop-(SEM)-Draufsichtphotographie mit 5000facher Vergrößerung verwendet wird, in der drei gerade Linien in willkürlichen Richtungen gezogen und die mittleren Abstände zwischen Korngrenzen entlang den Linien als ein Maß für die Korngröße genommen wird (vgl. K1, S. 3, Z. 11 bis 13). Anhand dieser Rasterelektronenmikroskop-Aufnahmen kann der Fachmann in Kenntnis des dabei verwendeten Vergrößerungsfaktors folglich auch die Dicke der abgeschiedenen Aluminiumoxidschicht aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnis ermitteln.

76

Das Argument der Klägerin, die Bestimmung der im Patentanspruch 1 angegebenen Parameter sei mit einer zu großen Fehlerquote behaftet, da die Methoden zu ihrer Ermittlung zu viele Wahlmöglichkeiten beinhalteten, kann zu keiner anderen Beurteilung der Frage der Identifizierbarkeit patentgemäßer Schneidwerkzeugeinsätze führen. Denn da weder die Schichtdicke noch die Korngröße in einer α-Aluminiumoxidschicht absolut gleichmäßig sind, ergibt sich schon aus der Natur der Sache, dass die diesbezüglichen Messwerte von vornherein mit einem gewissen Messfehler behaftet sind. Auch die Bestimmung des im Patentanspruch 1 genannten Texturkoeffizienten beinhaltet - wie jede Messung - unvermeidliche Messfehler. Hinzu kommt, dass die Inhomogenität polykristalliner Materialien dazu führt, dass es sich beim TC-Wert um einen Mittelwert handelt, der per se gewissen Schwankungen unterliegt. So hat auch der 14. Senat des Bundespatentgerichts in seinem Beschluss vom 10. Oktober 1989 festgestellt, dass es für die hinreichend genaue Bestimmung eines dem Fachmann bekannten Parameters ausreichend sei, wenn hierfür auf eine allgemein übliche, standardisierte Messmethode verwiesen werde. Bei ihrer Anwendung werde der Fachmann aufgrund seiner allgemeinen Erfahrung nämlich von vornherein berücksichtigen, dass die damit ermittelten Werte einen gewissen Fehlerbereich aufweisen und diese daher nicht als absolute Werte erachten. Für eine bessere Reproduzierbarkeit der Messwerte sieht es der Senat in seinem Beschluss zwar als wünschenswert an, wenn die bei der Messung eingehaltenen Bedingungen im Versuchsbericht angegeben würden. Für eine hinreichend genaue Identifizierung der patentgemäßen Gegenstände erachtete der Senat entsprechende Angaben allerdings nicht als zwingend erforderlich (vgl. BPatG vom 10. Oktober 1989 - 14 W (pat) 65/86, S. 8, dritter Abs. bis S. 11, erster Abs.).

77

Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die im Patentanspruch 1 sowie der Beschreibung des Streitpatents genannten Standardmethoden zur Bestimmung von Gefügekoeffizienten, Korngröße und Schichtdicke für einen Fachmann, der systematische und handwerkliche Fehler grundsätzlich vermeidet, ausreichen, um unter Einbeziehung seines allgemeinen Wissens und Könnens an einem fertigen Schneidwerkzeugeinsatz feststellen zu können, ob dieser die im Patentanspruch 1 angegebenen Eigenschaften aufweist und damit vom Schutzumfang des Streitpatents mit umfasst ist.

78

b) Die im Streitpatent offenbarte technische Lehre kann allerdings nicht mit hinreichender Aussicht auf Erfolg nachgearbeitet werden.

79

Ergänzend zu dem im Patentanspruch 6 gemäß Hauptantrag genannten Herstellungsverfahren wird in der Streitpatentschrift im Beispiel 1A ein Weg zur Herstellung eines patentgemäßen Schneidwerkzeugeinsatzes beschrieben. Aus diesem Beispiel erhält der Fachmann Informationen zur Zusammensetzung der zu beschichtenden Substrate, zur Art der dabei zu verwendenden Zwischenschichten, zu der während der Al2O3-Abscheidung einzuhaltenden Reihenfolge und Menge an Reaktionsgasen, sowie zu Einstellungen betreffend Druck und Temperatur (vgl. K1, S. 3, Z. 40 bis S. 4, Z. 11 - Beispiel 1A). Aus der Beschreibung des Streitpatents sowie den Angaben des geltenden Patentanspruchs 6 geht ferner hervor, dass es für den Erhalt eines patentgemäß texturierten αAl2O3-Überzuges auf eine sorgfältige Steuerung der Wasserdampfkonzentration im Wasserstoffträgergas ankommt und diese vor der Al2O3-Keimbildung unter 20 ppm, besser unter 5 ppm H2O zu halten ist (vgl. K1, S. 3, Z. 31 bis 33). Der Offenbarung des Streitpatents ist zudem zu entnehmen, dass die Al2O3-Keimbildung mit dem Einleiten der Reaktionsgase CO2, CO und AlCl3 beginnt und die Temperatur dabei 1000°C betragen soll (vgl. geltender Patentanspruch 6 gemäß Hauptantrag i. V. m. K1, S. 3, Z. 33/34). Demzufolge wird der Fachmann die entsprechenden Angaben unter Punkt 1 des Beispiels 1A eindeutig als zur Keimbildungsphase gehörend erkennen.

80

Für die erfolgreiche Nacharbeitung der patentgemäßen technischen Lehre sind allerdings weitere verfahrenstechnische Maßnahmen erforderlich, auf die im Streitpatent jedoch nicht näher eingegangen wird. So sind unter Punkt 2 des patentgemäßen Beispiels 1A Daten offenbart, die mit dem Hinweis „nicht nach der Erfindung“ überschrieben sind, weshalb sich selbst für den fachkundigen Leser die Frage stellt, ob es sich dabei tatsächlich um weitere für die Herstellung der patentgemäßen Schneidwerkzeugeinsätze relevante Angaben handelt. Andererseits ist dem Fachmann bewusst, dass sich mit den im Punkt 1 genannten Bedingungen keinesfalls Schichtdicken von 7 µm erreichen lassen, sondern allenfalls 1 bis 2 µm dicke α-Al2O3-Schichten, wie sie im Beispiel 1A während der Keimbildungsphase entstehen (vgl. K1, S. 3, Z. 45). Im Zusammenhang mit der Gestaltung der Wachstumsphase weist das Streitpatent somit Unklarheiten auf, die allerdings keine mangelnde Ausführbarkeit zu begründen vermögen, zumal der Fachmann aufgrund seiner praktischen Erfahrungen erkennt, dass die unter Punkt 2 genannten Daten für die Wachstumsphase durchaus geeignet erscheinen, so dass er diese während der Wachstumsphase jedenfalls ausprobieren wird. Auch bei der Nacharbeitung des patentgemäßen Beispiels 1A durch die Klägerin wurden daher während der Wachstumsphase die unter Punkt 2 genannten Bedingungen eingehalten (vgl. D7, S. 8 und 13).

81

Bei der Nacharbeitung des patentgemäßen Beispiels 1A muss der Fachmann aber nicht nur bei der Gestaltung der Wachstumsphase auf sein allgemeines Fachwissen und Können zurückgreifen, sondern wie die Nacharbeitung in D7 deutlich macht, auch bei anderen verfahrenstechnischen Maßnahmen. So geht aus D7 hervor, dass sich weder in den Patentansprüchen noch in der Beschreibung der Streitpatentschrift Angaben dazu finden, welcher Reaktor für die Beschichtung zu verwenden und wie dieser zu betreiben ist (axial oder radial), oder mit welchem Verfahren die hitzebeständige TiCN-Zwischenschicht aufgebracht und ob der Reaktor vor der Al2O3-Keimbildungsphase mit N2 gespült werden soll. Diese im patentgemäßen Herstellungsverfahren unbestimmten verfahrenstechnischen Maßnahmen muss der Fachmann folglich nach der zum Prioritätszeitpunkt üblichen Vorgehensweise gestalten. Dass er dazu in der Lage ist, bestätigt ebenfalls die von der Klägerin durchgeführte und in D7 beschriebene Nacharbeitung der patentgemäßen Lehre. Denn anders als von der Beklagten angenommen, ist dabei weder die Verwendung eines radial betriebenen Bernex 325S-NW Reaktors, das Spülen des Reaktors vor der α-Al2O3-Keimbildungsphase mit N2 zur Entfernung von TiCl4, noch das Abscheiden der TiCN-Schicht mit einem Hochtemperaturverfahren als von der patentgemäßen Lehre abweichend zu beanstanden, denn zum einen schließen die Patentansprüche derartige Maßnahmen nicht aus und zum anderen handelt es sich hierbei um ein zum Prioritätszeitpunkt übliches Vorgehen (vgl. D7, S. 5, zweiter Abs., S. 6, zweiter Abs. und S. 7, erster Abs.).

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Die Offenbarung des Streitpatents stellt es ferner in das Ermessen des Fachmanns festzustellen, wie lange ein Reaktionsgas während der Keimbildungsphase jeweils mit dem zu beschichtenden Substrat in Kontakt zu bringen ist, denn im Streitpatent finden sich zwar Angaben zur Art, Reihenfolge und relativen Konzentration der Gase, nicht aber zur Dauer ihrer jeweiligen Zufuhr. In diesem Zusammenhang zeigt die Nacharbeitung des patentgemäßen Beispiels 1A durch die Klägerin, dass der Fachmann bereits aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnis die Bedeutung der Oxidationsdauer für den Erhalt der patentgemäßen Schneidwerkzeugeinsätze erkennt und daher bestrebt ist, geeignete Oxidationszeiten zu ermitteln. Zu deren Bestimmung wird in D7 daher auf Kriterien zurückgegriffen, wie sie zu dem für das Streitpatent maßgeblichen Zeitpunkt in der Fachwelt angewendet wurden (vgl. D7, S. 7. zweiter und dritter Abs.). Demzufolge wird die minimale Oxidationszeit danach bestimmt, wie viel Zeit das exakte Öffnen und Schließen der Ventile eines Reaktors erfordert. Ausgehend davon wird die minimale Oxidationsdauer mit einer ½ Minute veranschlagt. Das Maximum der Gaszufuhr wird als Zeitspanne definiert, in der eine gut haftende α-Al2O3-Schicht ausgebildet und eine Überoxidation der Substratoberfläche vermieden wird (vgl. D7, S. 7, dritter Abs.). Für die Nacharbeitung der patentgemäßen Lehre wird die maximale Gaszufuhr in D7 demzufolge auf 2 Minuten festgesetzt (vgl. D7, S. 13). Die Ergebnisse der Nacharbeitung zeigen jedoch, dass eine Gaszufuhr von 1 min zwar eine gut haftende α-Al2O3-Schicht liefert, diese aber keine patentgemäße (012)-Textur von größer 1,3 aufweist (vgl. D7, S. 15 i. V. m. D8, S. 10). Bei Gaszufuhrzeiten von 2 min bzw. von ½ min zeigen sich dagegen Probleme bei der Haftung der Al2O3-Schicht auf dem TiCN-Substrat (vgl. D7, S. 17 und S. 19). Oxidationszeiten, die für den Erhalt von Schneidwerkzeugeinsätzen mit den patentgemäßen Eigenschaften geeignet sind, kann der Fachmann demnach nur durch das Prinzip Versuch und Irrtum in einer Vielzahl von Versuchen herausfinden, was nach geltender Rechtsprechung des Bundespatentgerichts jedoch gegen die ausführbare Offenbarung einer patentgemäßen Lehre spricht, sofern sich in der Patentschrift keine Anleitung für die Durchführung dieser Versuche findet (vgl. BPatG, Mitt. 2011, 237, 2. Ls und Rdn 38. - Buprenorphinpflaster). Eine solche Anleitung bedeutet nach höchst richterlicher Rechtsprechung nicht, dass mindestens eine praktisch brauchbare Ausführungsform als solche unmittelbar und eindeutig im Streitpatent offenbart sein muss (vgl. BGH GRUR 2010, 916, Ls. - Klammernahtgerät). Für eine ausführbare Offenbarung genügt es danach vielmehr, wenn die im Streitpatent enthaltenen Angaben dem fachmännischen Leser so viel an technischer Information vermitteln, dass er mit seinem Fachwissen und Fachkönnen in der Lage ist, die Erfindung erfolgreich auszuführen. Hierfür ist es ausreichend, wenn der Fachmann ohne eigenes erfinderisches Bemühen Unvollständigkeiten ergänzen und sich notfalls mit Hilfe orientierender Versuche Klarheit verschaffen kann (vgl. BGH GRUR 2010, 916 bis 918, Rdn. 17 - Klammernahtgerät). Wie die in D7 beschriebene Nacharbeitung der patentgemäßen Lehre allerdings zeigt, gelingt es dem Fachmann vorliegend auch mit Hilfe von Versuchen nicht, die für den Erhalt patentgemäßer Schneidwerkzeugeinsätze mit einem (012)-Texturkoeffizienten der α-Al2O3-Schicht von größer 1,3 erforderlichen Oxidationszeiten zu ermitteln, da es im Streitpatent an Kriterien fehlt, deren Beachtung den Fachmann unter Anwendung seines Fachwissens zum maßgeblichen Zeitpunkt in die Lage versetzen die Oxidationszeiten zu bestimmen und damit die im Patentanspruch 1 genannten Schneidwerkzeugeinsätze erfolgreich nacharbeiten zu können (vgl. Schulte PatG 8. Auflage, § 34 Rdn. 383 und 387).

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Daran ändert auch das Argument der Beklagten nichts, dass die Oxidationszeiten bei der Nacharbeitung der patentgemäßen Lehre in D7 nicht im Sinne des Patents variiert und insgesamt zu lange gewählt worden seien. Denn im Streitpatent werden weder Zeiten für die Dauer der Gaszufuhr angegeben, noch enthält das Streitpatent Angaben dazu, wie diese Zeiten zu ermitteln sind, so dass die Zeiten der Gaszufuhr bei der Herstellung patentgemäßer Schneidwerkzeugeinsätze frei wählbar sein müssen. Zudem werden die Gaszufuhrzeiten in D7 nicht willkürlich gewählt, sondern basieren auf fachmännischen Überlegungen, so dass diese nicht als unsachgemäß zu beanstanden sind.

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Nach Ansicht der Beklagten enthalte die Streitpatentschrift zudem zahlreiche Angaben, die auf eine kontrollierte Oxidation und damit kurze Oxidationszeiten hinweisen würden. So sprächen ihrer Ansicht nach die kleinen Mengen an Wasser im Wasserstoffträgergas für eine kontrollierte Oxidation, da dadurch nur eine geringe Oxidation der Substratoberfläche erreicht werde. Eine Kontrolle der Oxidation ergebe sich ihrer Ansicht nach für den Fachmann ferner aus der CO-Zugabe. Das Streitpatent lehre den Fachmann damit, eine Voroxidation zu vermeiden und die Oxidation unter kontrollierten Bedingungen durchzuführen. In Kenntnis dessen müsse der Fachmann nach Ansicht der Beklagten für den Erhalt der patentgemäßen Schneidwerkzeugeinsätze lediglich die CO-Zufuhr variieren.

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Dieser Argumentation kann sich der Senat ebenfalls nicht anschließen. Denn die Gesamtoffenbarung der Patentschrift gibt dem Fachmann- wie bereits zuvor ausgeführt - im Hinblick auf die Ermittlung der Oxidationsdauer kein allgemeines Lösungsschema an die Hand, aufgrund dessen er ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage wäre, die patentgemäße Lehre in Kenntnis der Gesamtoffenbarung der Patentschrift sowie in Verbindung mit seinem allgemeinen Fachwissen so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird (vgl. BGH GRUR 2011, 707, Rdn. 20 bis 22 - Dentalgerätesatz). Darin wird vielmehr die Einhaltung eines sehr niedrigen H20-Gehalts im Wasserstoffträgergas als bedeutsam beschrieben und allenfalls die Reihenfolge der Gaszufuhr für den Erhalt der patentgemäßen Schneidwerkzeugeinsätze in das Blickfeld des Fachmanns gerückt (vgl. K1, S. 3, Z. 31 bis 33). Allerdings sind weder von der Reihenfolge der Gaszufuhr noch von der Wasserdampfkonzentration im Wasserstoffträgergas Rückschlüsse auf die Dauer der Oxidation möglich.

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Nach Überzeugung des Senats sind unter Würdigung des Vortrags der Klägerin sowie der von ihr durchgeführten Nacharbeitung des patentgemäßen Beispiels 1A (vgl. D7) bei der Herstellung der patentgemäßen Schneidwerkzeugeinsätze zum Auffinden geeigneter Oxidationszeiten eine Vielzahl von Versuchen erforderlich, für die der Fachmann in der Patentschrift keine Anleitung findet und die er daher auch nicht mit zumutbarem Aufwand durchführen kann (vgl. Schulte PatG 8. Auflage, § 34 Rdn. 371, Punkt a) und c)).

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In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte auf die von ihr durchgeführten und als Dokumente NB1-a und NB9 vorgelegten Vergleichsversuche, in denen sie Schneidwerkzeugeinsätze mit dem patentgemäßen (012)-Texturkoeffizienten der α-Al2O3-Schicht von größer als 1,3 hergestellt hat, keinen Bezug mehr genommen. Aber selbst die Berücksichtigung dieser Vergleichsversuche führt zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage, da die Beklagte die patentgemäßen Schneidwerkzeugeinsätze nur in Kenntnis einer besonderen Ausgestaltung der Keimbildungsphase herstellen konnte, die im Streitpatent aber keinen Niederschlag gefunden hat. So hat die Beklagte bei diesen Versuchen im ersten Schritt des Oxidationsvorganges dem Reaktor CO2-Gas lediglich für 5 Sekunden zugeleitet, während sie im zweiten Schritt CO-Gas für 30 Sekunden zuführte (vgl. NB1-a, S. 2, Punkt 2, Abschnitt „The oxidation process“ und NB9, S. 2, letzter Abs. bis S. 3, erster Abs.). Derart kurze und für CO und CO2 unterschiedlich zu wählende Oxidationszeiten werden im Streitpatent allerdings weder expressis verbis angegeben, noch wird der Fachmann darin darauf hingewiesen, dass für den Erhalt der patentgemäßen Schneidwerkzeugeinsätze mit einer (012)-Textur der α-Al2O3-Schicht von größer 1,3 die Oxidationszeiten im Sekundenbereich und für die verschiedenen Reaktionsgase zudem unterschiedlich zu wählen sind. Die vorstehend genannten Bedingungen kann der Fachmann auch nicht mit seinem Fachwissen ergänzen, selbst wenn ihm die Bedeutung der Sauerstoffbelegung in der Keimbildungsphase, wie von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung anschaulich gezeigt wurde, bekannt war.

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Die Patentansprüche 1 und 6 gemäß Hauptantrag haben mangels Ausführbarkeit daher keinen Bestand.

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c) Aus den vorstehend genannten Gründen sind auch die mit dem jeweiligen Patentanspruch 1 der Hilfsanträge I bis V beanspruchten Schneidwerkzeugeinsätze nicht ausführbar offenbart. Denn die darin jeweils aufgenommenen Beschränkungen vermitteln dem Fachmann entsprechend dem Gegenstand des Hauptantrags keine Lehre, welche Oxidationszeiten während der Keimbildungsphase einzuhalten sind, um Schneidwerkzeugeinsätze mit den patentgemäßen Merkmalen, insbesondere dem patentgemäßen (012)-Texturkoeffizienten von größer 1,3 zu erhalten.

V.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.