Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 10.02.2015


BPatG 10.02.2015 - 29 W (pat) 64/13

Markenbeschwerdeverfahren – "ETHEN" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis – keine Ersichtlichkeit der Eignung zur Täuschung


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
29. Senat
Entscheidungsdatum:
10.02.2015
Aktenzeichen:
29 W (pat) 64/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2013 017 912.9

hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 10. Februar 2015 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Dr. Mittenberger-Huber sowie der Richterinnen Uhlmann und Akintche

beschlossen:

Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 8. August 2013 wird aufgehoben.

Gründe

I.

1

Das Wortzeichen

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ETHEN

3

ist am 19. Februar 2013 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für Waren und Dienstleistungen der Klassen 6, 9, 10 und 35 angemeldet worden.

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Mit Beschluss vom 8. August 2013 hat die Markenstelle für Klasse 35 die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß §§ 37 Abs. 1 und Abs. 5, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG teilweise zurückgewiesen, nämlich für folgende Waren der Klasse 10

5

Chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne; orthopädische Artikel, chirurgisches Nahtmaterial, Rohre, Kapillarrohre, Röhren, Schläuche und Drainageröhren für medizinische Zwecke, Kanülen.

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Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, der angemeldete Begriff „Ethen“ weise in glatt beschreibender Form auf die Art, die Beschaffenheit und den Inhaltsstoff der zurückgewiesenen Waren hin. Die Grundchemikalie Ethen werde vor allem zur Herstellung von Kunstoffen wie Polyethylen verwendet; die zurückgewiesenen Waren könnten alle aus Polyethylen hergestellt sein oder die Grundchemikalie enthalten. Bei der angemeldeten Marke handele es sich somit um eine beschreibende Angabe, die von den angesprochenen Fachkreisen aus dem Medizinbereich sowie interessierten und informierten Laien auch nur als solche und nicht als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen aufgefasst werde.

7

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

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Die Anmelderin hat im Beschwerdeverfahren ihr Waren- und Dienstleistungsverzeichnis insoweit eingeschränkt, als von den beschwerdegegenständlichen Waren nur noch die folgenden beansprucht werden:

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Klasse 10: Chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente und Apparate aus Metall; Rohre, Kapillarrohre, Röhren, Schläuche und Drainageröhren für medizinische Zwecke aus Metall, Kanülen aus Metall.

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Die Beschwerdeführerin beantragt,

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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 8. August 2013 aufzuheben.

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Sie macht geltend, dass es sich bei Ethen um eine Grundchemikalie handle, die erst für die Herstellung von Folgeprodukten eingesetzt werde; Produkte aus Ethen könne es daher nicht geben. Die beanspruchten Produkte, wie u. a. Rohre und Kanülen seien erkennbar nicht gasförmig, so dass eine Eigenschafts- oder Bestimmungsangabe nicht vorliege. Der Teil des angesprochenen Verkehrs, der den Begriff Ethen nicht kenne, könne durch dessen Verwendung als Marke auch nicht irregeführt werden Die Gruppe, die den Begriff Ethen kenne, wisse, dass es sich um ein gasförmiges Vorprodukt handle. Die Annahme dieser Fachkreise, das gasförmige Vorprodukt für die Kunststoffproduktion könne für die Herstellung von Metallprodukten eingesetzt worden sein, sei insoweit fernliegend und im Ergebnis irrelevant, weil ohne Einfluss auf die Produktbeschaffenheit.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die zulässige Beschwerde ist in der Sache auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahrens eingeschränkten Verzeichnisses begründet.

15

Der angegriffene Beschluss war für die noch beschwerdegegenständlichen Waren aufzuheben, weil der Eintragung keine Schutzhindernisse gemäß § 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 MarkenG entgegenstehen. Insbesondere fehlt es dem Wortzeichen „ETHEN“ für die nunmehr noch verfahrensgegenständlichen Waren weder an der erforderlichen Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, noch handelt es sich um eine freihaltungsbedürftige Angabe gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

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1. Dem Anmeldezeichen kann die erforderliche Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG nicht abgesprochen werden.

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a) Unterscheidungskraft in diesem Sinne ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2010, 228 Rn. 33 - Audi AG/ HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH GRUR 2013, 731 Rn. 11 - Kaleido; GRUR 2012, 270 Rn. 8 - Link economy). Die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten. Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH GRUR 2014, 565 Rn. 12 - smartbook; GRUR 2012, 1143 Rn. 7 - Starsat; GRUR 2010, 1100 Rn. 10 - TOOOR!).

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Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt (BGH GRUR 2013, 1143 Rn. 15 - Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411 Rn. 24 - Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 943 Rn. 24 - SAT 2; BGH WRP 2014, 449 Rn. 11 - grill meister).

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Ausgehend hiervon besitzen Wortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2004, 674 Rn. 86 - Postkantoor; BGH, a. a. O. Rn. 11 - Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die - etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien - stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (BGH a. a. O. Rn. 20 –TOOOR!; GRUR 2010, 640 Rn. 13 - hey!). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100 Rn. 23 - TOOOR!; GRUR 2006, 850 Rn. 28 f. - FUSSBALL WM 2006).

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b) Diesen Anforderungen an die Unterscheidungskraft genügt das angemeldete Zeichen „ETHEN“.

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Der Begriff „ETHEN“ ist die chemische Fachbezeichnung für die meistproduzierte organische Grundchemikalie, nämlich ein farbloses, brennfähiges Gas, das für die Herstellung von primären Folgeprodukten wie Polyethylen (auch Polyethen), Ethylenoxid, Styrol oder α-Olefinen verwendet wird. Mehr als 75 % des Ethens wird zur Herstellung von Kunststoffen verwendet. Polyethylen bzw. PE wiederum ist ein vielseitiger und billiger Rohstoff für Folien, Kunststoffrohre, Endoprothesen und Maschinenteile (vgl. hierzu Römpps Chemie-Lexikon zu „Ethylen“; Wikipedia zu „Ethen“).

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Bei dem Wort „ETHEN“ handelt es sich zudem um einen Namen, der in Deutschland als Nachname vereinzelt und im englischsprachigen Raum sowohl als Vorname (als Variante des aus dem Hebräischen kommenden Namens „Ethan“) wie auch als Nachname vorkommt.

23

Das Zeichenwort „ETHEN“ stellt für die hier relevanten Waren, bei denen es sich allesamt um Produkte aus Metall zu medizinischen Zwecken handelt, weder eine unmittelbar beschreibende Angabe dar noch enthält es eine auf der Hand liegende sonstige Sachaussage.

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Den angesprochenen Verkehrskreisen wird die chemische Bedeutung von ETHEN nicht unbekannt sein. Denn die verfahrensgegenständlichen Waren der Klasse 10 richten sich an Ärzte und medizinisches Fachpersonal, die jedenfalls über Grundkenntnisse in Chemie verfügen. Einzubeziehen ist zudem der Fachverkehr, also der Handel und die konkurrierenden Hersteller.

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„ETHEN“ als ungesättigter Kohlenwasserstoff mit einer Kohlenstoff-Kohlenstoff-Verbindung spielt als gasförmiges Vorprodukt für die Kunststoffproduktion eine bedeutende Rolle, da es in nicht unerheblichem Umfang zu Polyethylen, Ethylendichlorid, Ethylenoxid und Ethylbenzol weiterverarbeitet wird und damit der Herstellung von diversen Kunststoffsorten, von PVC, von nichtionischen Tensiden etc. dient. Weil es aber in seiner gasförmigen Ursprungsform nicht Beschaffenheitsangabe der beanspruchten Waren der Klasse 10 sein kann, die sämtlich einen festen Aggregatzustand besitzen, ist das Zeichen nicht geeignet, unmittelbar Merkmale dieser Waren zu beschreiben. Es mag zwar sog. Prüfröhrchen geben, die zur Messung von Gasen, so auch speziell von Ethen, eingesetzt werden. Die nach dem Verzeichnis von der Anmelderin beanspruchten Rohre sind jedoch ausschließlich für medizinische Zwecke bestimmt, so dass „ETHEN“ auch als Bestimmungsangabe der Waren i. S. v. § 8 Abs. 2 Satz 2 MarkenG nicht in Betracht kommt. Soweit Ethen früher als Narkosemittel bei schwachen Betäubungen in Gebrauch war, kommt eine Sachangabe z. B. für bestimmte Anästhesieapparate ebenfalls nicht ernsthaft in Betracht. Denn heute wird Ethen nicht mehr eingesetzt, weil es brennbar ist, unangenehm riecht und die Narkosewirkung im Vergleich zu anderen Betäubungsmitteln schwach ausgeprägt ist.

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Ein enger sachlicher Bezug zwischen dem Zeichen „ETHEN“ und den zuletzt verfahrensgegenständlichen Waren aus Metall besteht nicht. Es muss dabei nicht abschließend geprüft werden, ob für Produkte der Klasse 10 mit Kunststoffanteil oder in Kombination mit Kunststoff (so finden z. B. auf dem Markt der Endoprothesen Gleitpaarungen aus Metall/Polyethylen, Metall-Polyethylen-Gelenke oder Metall-Polyethylen-Prothesen Verwendung) „Ethen“ als Sachhinweis aufgefasst wird. Zu berücksichtigen ist, dass maßgebliches Kriterium für die Beurteilung des beschreibenden Charakters die Wahrnehmung durch die angesprochenen Verkehrskreise, nicht aber eine korrekte wissenschaftliche oder technische Betrachtung ist.

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Die Beschwerdeführerin hat nämlich auf solche Waren, bei denen Kunststoff eine Rolle spielen könnte, verzichtet und beansprucht im Übrigen nur noch Produkte aus Metall. Die angesprochenen Verkehrskreise werden daher dem Zeichen „ETHEN“ keine im Vordergrund stehende Sachaussage beimessen.

28

Diese Einschränkung des Verzeichnisses auf Metallprodukte führt im Übrigen auch nicht zu einem Eintragungshindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 i. V. m § 37 Abs. 3 MarkenG. Danach sind Marken von der Eintragung ausgeschlossen, die geeignet sind, das Publikum insbesondere über die Art, die Beschaffenheit oder die geographische Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu täuschen, wenn die Eignung zur Täuschung ersichtlich ist. Schon von einer „Ersichtlichkeit“ in diesem Sinne ist aber nicht auszugehen, weil das Zeichen auch als Personenname aufgefasst werden kann (so ist Ethen auch der Familienname der Gründer und Inhaber der hiesigen Anmelderin) und daher - ungeachtet der weiteren Fragen einer Täuschungsgefahr - jedenfalls die Möglichkeit einer nicht irreführenden Markenbenutzung besteht.

29

Nach alledem kann dem Anmeldezeichen die Eignung als betrieblicher Herkunftshinweis nicht abgesprochen werden.

30

2. Da das angemeldete Wortzeichen keinen unmittelbar beschreibenden Begriffsinhalt in Bezug auf die noch beschwerdegegenständlichen Waren hat, besteht auch kein Freihaltungsbedürfnis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.