Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 16.01.2018


BPatG 16.01.2018 - 29 W (pat) 541/17

Markenbeschwerdeverfahren – "rot schraffierte Herzform (Bildmarke)" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltebedürfnis – zur Frage der bösgläubige Markenanmeldung


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
29. Senat
Entscheidungsdatum:
16.01.2018
Aktenzeichen:
29 W (pat) 541/17
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2018:160118B29Wpat541.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2016 016 061.2

hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 16. Januar 2018 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Mittenberger-Huber, die Richterin Akintche und die Richterin Seyfarth

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 11. November 2016 aufgehoben.

Gründe

I.

1

Das mit den Farben rot und weiß beanspruchte Bildzeichen

Abbildung

2

ist am 3. Juni 2016 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 16, 18, 21, 24, 25, 30, 32, 35, 38, 41 und 42 angemeldet worden.

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Mit Beschluss vom 11. November 2016 hat die Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen.

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Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angemeldete Bildmarke werde von einem erheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise ohne weiteres als stilisiertes Herz wahrgenommen. Trotz leicht asymmetrischer Darstellung und angedeuteter Schraffierung seien die wesentlichen Merkmale einer Herzform, nämlich zwei große nach oben gewölbte, gemeinsam in einer Spitze auflaufende Rundungen, deutlich zu erkennen. Die piktogrammartige Verwendung von Herzsymbolen habe eine weltweite Verbreitung erfahren und sei in der modernen Werbung zu einem allgegenwärtigen Gestaltungselement geworden. Das Herzsymbol als sogenannte menschliche Note (Human Touch) diene der Verstärkung von Werbeaussagen, durch die das Kaufverhalten positiv beeinflusst werden soll. Darüber hinaus würden piktogrammartige Herzdarstellungen häufig zur Versinnbildlichung der Wörter „von Herzen mögen, lieben“, oft auch als sog. Emoticons/Emojis in Chats, SMS oder sozialen Netzwerken im Sinne von „ich mag das/dich, ich bin dafür, gefällt mir“, und zwar in den unterschiedlichsten grafischen Ausgestaltungen, verwendet. In Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen werde das Anmeldezeichen daher nur als Ausdruck der Zuneigung/Zustimmung bzw. als anpreisendes Mittel und nicht als Herkunftshinweis verstanden.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom 29. November 2016, mit der sie sinngemäß beantragt,

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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 11. November 2016 aufzuheben.

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Sie ist der Auffassung, die Entscheidung des DPMA berücksichtige nicht den nach der Rechtsprechung anzusetzenden großzügigen Maßstab zur Annahme der Unterscheidungskraft. Die angemeldete Bildmarke verfüge in ihrer Gestaltung über ein beträchtliches Maß an Originalität. Das Herzsymbol sei nicht, wie werbeüblich, vollkommen symmetrisch gestaltet und vollflächig farbig, sondern hebe sich durch seine ausgeprägte Asymmetrie, als durchgehender Malstrich angedeutete Schraffierung sowie durch die abgeschnittenen Ecken links oben und rechts unten erheblich von vorbekannten und werbeüblichen Piktogrammen ab. In seiner stilisierten Gestaltung bilde das Zeichen einen auffälligen Blickfang mit Wiedererkennungseffekt und ausreichender Unterscheidungskraft. Dass durch das Zeichen positive Assoziationen erweckt würden, führe nicht zwingend zu einer Sachangabe für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen. Dem Zeichen stehe daher auch kein Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegen.

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Mit an das DPMA gerichteten Schreiben vom 29. Dezember 2016 und vom 6. Januar 2017 wird von einem Dritten geltend gemacht, die Markenanmeldung sei wegen Verstoßes gegen ein vertraglich vereinbartes Wettbewerbsverbot bösgläubig erfolgt. Die Markenanmelderin ist diesem Vorwurf mit Schriftsatz vom 19. April 2017 an das BPatG entgegengetreten.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die nach §§ 66, 64 Abs. 6 MarkenG zulässige Beschwerde ist begründet.

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Der Eintragung des angemeldeten Bildzeichens als Marke stehen keine Schutzhindernisse gemäß § 37 Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 2 MarkenG entgegen. Insbesondere fehlt es dem Zeichen weder an der für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen erforderlichen Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, noch handelt es sich dabei um eine freihaltebedürftige Merkmalsangabe gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

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1. Dem angemeldeten Zeichen fehlt nicht jegliche Unterscheidungskraft i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.

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Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH MarkenR 2012, 304 Rn. 23 – Smart Technologies/HABM [WIR MACHEN DAS BESONDERE EINFACH]; GRUR 2010, 228 Rn. 33 – Audi AG/ HABM [Vorsprung durch Technik]; GRUR 2008, 608 Rn. 66 f. – EUROHYPO; BGH GRUR 2016, 934 Rn. 9 – OUI; GRUR 2015, 173 Rn. 15 – for you; GRUR 2013, 731 Rn. 11 – Kaleido; GRUR 2012, 1143 Rn. 7 – Starsat). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH a. a. O. – Audi AG/ HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH a. a. O. – OUI; a. a. O. – for you). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. – OUI; a. a. O. – for you). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428 Rn. 53 – Henkel; BGH a. a. O. Rn. 10 – OUI; a. a. O. Rn. 16 – for you; GRUR 2001, 1151 – marktfrisch; MarkenR 2000, 420 - RATIONAL SOFTWARE CORPORATION).

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Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt (BGH GRUR 2013, 1143 Rn. 15 – Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411 Rn. 24 – Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 943 Rn. 24 – SAT 2; BGH WRP 2014, 449 Rn. 11 – grill meister). Diese Grundsätze gelten auch für ein als Marke angemeldetes Bildzeichen.

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Bei Bildmarken, die sich in der bloßen Abbildung der Ware erschöpfen, für die der Schutz in Anspruch genommen wird, wird im Allgemeinen die erforderliche Unterscheidungskraft fehlen. Soweit die Elemente eines Bildzeichens nur die typischen Merkmale der in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen darstellen oder sich in einfachen dekorativen Gestaltungsmitteln erschöpfen, an die sich der Verkehr etwa durch häufige Verwendung gewöhnt hat, wird diesem Zeichen im Allgemeinen wegen seines bloß beschreibenden Inhalts ebenfalls die konkrete Eignung fehlen, die mit ihm gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen von denjenigen anderer Herkunft zu unterscheiden (vgl. BGH, GRUR 2011, 158 Rn. 8 – Hefteinband; GRUR 2005, 257, 258 – Bürogebäude; GRUR 2004, 683, 684 – Farbige Arzneimittelkapsel; GRUR 2001, 239f. – Zahnpastastrang; GRUR 2001, 734, 735 – Westie-Kopf; BPatG, Beschluss vom 06.08.2015 25 W (pat) 14/14 – Abbildung eines bunten aus Stoffbahnen bestehenden Zeltes). Auch einfachen geometrischen Grundformen und werbeüblichen Motiven misst der Verkehr grundsätzlich keine Unterscheidungskraft zu. Weist das Bildzeichen dagegen nicht nur die Darstellung von Merkmalen, die für die Waren und Dienstleistungen typisch oder lediglich von dekorativer Art sind, sondern darüberhinausgehende charakteristische Merkmale auf, in denen der Verkehr einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft sehen kann, so kann die Unterscheidungskraft regelmäßig nicht verneint werden (BGH a. a. O. – Bürogebäude; a. a. O. – Westie-Kopf). Dazu ist nicht erforderlich, dass das Bildzeichen eine gestalterische Eigentümlichkeit oder eine originelle Wirkung aufweist (BGH GRUR 2001, 737 Rn. 3 – Jeanshosentasche).

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Gemessen an den vorgenannten Grundsätzen verfügt das angemeldete Zeichen in Bezug auf die angemeldeten Waren und Dienstleistungen noch über das erforderliche Mindestmaß an Unterscheidungskraft.

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a) Die beanspruchten Waren und Dienstleistungen richten sich sowohl an Unternehmensinhaber und Angehörige der unternehmerischen Führungsebene als auch an den Endverbraucher.

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b) Bei dem angemeldeten Zeichen handelt es sich um eine rot schraffierte, wie mit dicken Pinselstrichen erzeugte Fläche, die bei genauer Betrachtung als stark stilisiertes Herz angesehen werden kann.

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aa) Das Zeichen stellt weder eine Abbildung der beanspruchten Waren und Dienstleistungen dar noch weist es typische Merkmale der in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen auf.

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Die Form eines Herzens ist ein im Alltag und insbesondere in der Werbung häufig anzutreffendes Zeichen. Insbesondere in Kombination mit einem vorangestellten „ich“ oder „wir“ und einem nachgestellten Nomen ist das Herz zu einem üblichen Symbol für „Liebe“, „ich liebe“, „wir lieben“ bzw. „love“ oder „loves“ geworden (vgl. BPatG Beschluss vom 27.04.2017, 25 W (pat) 545/17  - we [love] fruit; Beschluss vom 18.07.2007, 29 W (pat) 24/07 – ich liebe Deutschland; Beschluss vom 19.04.2005, 27 W (pat) 281/04 – JESUS [Herz] YOU). Es beschreibt eine enge Verbundenheit oder eine besondere Zuneigung zu dem nach dem Herz genannten Objekt (z. B. zu einem Ort, vgl. „I love NY“, „I love Munich“, „I love Paris“) oder zu Waren/Dienstleistungen (vgl. “I love Döner”, “Wir lieben Pizza”, „Wir lieben IT!“, „Wir lieben Webdesign“, „Wir lieben, was wir tun“, „Wir lieben Kosmetik“ etc.). Derartige Kombinationen werden daher im Allgemeinen im jeweiligen Sachzusammenhang als anpreisend beschreibende Aussage aufgefasst.

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Anders verhält es sich mit dem beschwerdegegenständlichen Zeichen. Hier handelt es sich, wenn man denn darin überhaupt die Abbildung eines Herzens sieht, um ein Herz in Alleinstellung. Wie die von der Markenstelle aufgeführten Beispiele zeigen, erhält dieses Symbol erst durch die Kombination mit weiteren Bestimmungswörtern einen (irgendwie gearteten) beschreibenden Bezug dahingehend, wer liebt bzw. worauf oder auf wen sich die Liebe bezieht. Dieser Bezug ist bei der bloßen Darstellung des Symbols ohne weitere zusätzliche Elemente sehr vage. Es bleibt letztlich offen, welche Aussage das Symbol in Bezug zu den beanspruchten Waren und Dienstleistungen hat. Es bedürfte vielmehr einiger gedanklicher Zwischenschritte, um einen sachlichen Bezug zu ermitteln. Im Rahmen der Beurteilung der Unterscheidungskraft ist eine derartige analysierende Betrachtungsweise aber unzulässig, weil sich aus ihr keine in den Vordergrund drängende, für den Durchschnittsverbraucher ohne weiteres ersichtliche, naheliegende Beschreibung der Waren oder Dienstleistungen ergibt (vgl. BGH GRUR 2014, 565 Rn. 24 – smartbook; GRUR 2012, 270 Rn. 12 – Link economy). Ebenso wenig genügen bloße Assoziationen, um die Unterscheidungskraft zu verneinen (BGH GRUR 2013, 731 Rn. 22 – Kaleido; a. a. O. – Link economy).

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Es ergeben sich somit keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Feststellung, dass der Verkehr in der vorliegenden Bildmarke einen sachlichen Bezug zu den beanspruchten Waren und Dienstleistungen herstellt.

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bb) Die Unterscheidungskraft steht aber auch nicht deswegen in Frage, weil das angemeldete Bildzeichen lediglich eine einfache Form bzw. ein werbeübliches Motiv zeigt. Es ist zwar anerkannt, dass einfache geometrische Formen oder sonstige einfache graphische Gestaltungselemente, die - wie dem Verkehr aus Erfahrung bekannt ist - in der Werbung, aber auch auf Warenverpackungen oder sogar Geschäftsbriefen üblicherweise in bloß ornamentaler, schmückender Form verwendet werden, keine Unterscheidungskraft aufweisen (BGH GRUR 2008, 710 Rn. 20 – VISAGE; GRUR 2001, 1153 Rn. 19 - anti KALK; BGH GRUR 2001, 734 Rn. 15 – Jeanshosentasche; BPatG, Beschluss vom 14.10.2015, 24 W (pat) 41/14 – Kommune 2.0.).

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Für die Schutzfähigkeit des in Rede stehenden Bildzeichens spricht aber, dass es in seiner Ausgestaltung über die klassische Grundform eines – in der Werbung häufig verwendeten - Herzens hinausgeht. Die Asymmetrie der Figur und die einen ungleichmäßigen Rand bildende pinselstrichartige Schraffierung führen zu einer stark abstrahierten Darstellung, die jedenfalls in Alleinstellung nicht ohne weiteres unmittelbar als Herz erkannt wird. Jedenfalls verleiht die besondere Ausgestaltung des Herzens dem Zeichen eine ausreichend individualisierende Charakteristik, so dass ihm eine herkunftshinweisende Wirkung nicht abgesprochen werden kann.

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Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der Schutzumfang des verfahrensgegenständlichen Zeichens auf die ganz konkrete graphische Gestaltung in Alleinstellung beschränkt ist.

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2. Ein Freihaltebedürfnis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ist wegen der fehlenden Eignung zur Beschreibung der beanspruchten Waren und Dienstleistungen ebenfalls nicht gegeben. Ausreichende Anhaltspunkte für eine im Anmeldezeitpunkt vernünftigerweise zu erwartende zukünftige beschreibende Verwendung sind nicht erkennbar.

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3. Das angemeldete Zeichen unterliegt auch keinen sonstigen Schutzhindernissen, etwa nach § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG. Die Zurückweisung einer Markenanmeldung wegen Bösgläubigkeit kommt nach § 37 Abs. 3 MarkenG nur in Betracht, wenn sie im Zeitpunkt der Anmeldung ersichtlich ist (Ströbele in Ströbele/Hacker, MarkenG, 12. Aufl., § 8 Rn. 914; BPatG, Beschluss vom 23.02.2011, 26 W (pat) 516/10). Kann ohne weitere Ermittlungen nicht festgestellt werden, ob der Anmelder unter Verletzung spezieller vertraglicher oder sonstiger Beziehungen gegenüber Dritten bösgläubig angemeldet hat, bleibt nur die Überprüfung im Rahmen eines vor dem Deutschen Patent- und Markenamtes geltend zu machenden Löschungsantrages nach §§ 54, 50 i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 10 MarkenG; in einem solchen Löschungsverfahren gilt die Einschränkung des Erfordernisses der „Ersichtlichkeit“ im Sinne des § 37 Abs. 3 MarkenG nicht.