Entscheidungsdatum: 12.12.2012
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2009 037 310.8
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 12. Dezember 2012 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Grabrucker, der Richterin Kortge und der Richterin am Landgericht Uhlmann
beschlossen:
Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 27. Mai 2010 wird aufgehoben, soweit die Anmeldung bezüglich der Dienstleistungen der
Klasse 35:
Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten; Geschäftsführung
zurückgewiesen worden ist.
I.
Die Wortfolge
Independent Life Compass
ist am 29. Juni 2009 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für Waren und Dienstleistungen der Klassen 35, 36 und 41 angemeldet worden. Nach Beschränkung des Dienstleistungsverzeichnisses im Beschwerdeverfahren bezieht sich die Anmeldung nur noch auf folgende Dienstleistungen der
Klasse 35:
Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten; Geschäftsführung.
Mit Beschluss vom 27. Mai 2010 hat die Markenstelle für Klasse 35 die Anmeldung gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angemeldete Wortfolge sei sprachüblich aus allgemein verständlichen Wörtern der englischen Sprache gebildet, die gleichzeitig auch zu deren Grund- und Aufbauwortschatz gehörten. Unter dem englischen Wort „Independent“ verstehe man „Unabhängigkeit“, „Life“ bedeute Leben und „Compass“ werde mit „Kompass“ übersetzt, der ein „Gerät zur Feststellung der Himmelsrichtung“ sei. Der Begriff „Kompass“ werde über diese ursprüngliche Bedeutung hinaus auch als „Wegweiser, Leitfaden, Lotse“ verstanden (BPatG, 25 W (pat) 287/01 - Compass) und sei im Sinne einer Orientierungshilfe in zahlreichen Wortzusammensetzungen gebräuchlich. Die angesprochenen Verkehrskreise verstünden daher unter der angemeldeten Bezeichnung in Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen einen Hinweis auf einen Leitfaden, Wegweiser oder eine Orientierungshilfe für ein unabhängiges, frei gestaltetes Leben. Das Anmeldezeichen füge sich in ähnlich sprachüblich gebildete Zusammensetzungen mit „Kompass“ ein wie beispielsweise Medizin-Kompass, Haut-Kompass oder Risiko-Kompass. Die beteiligten Verkehrskreise sähen in der Wortfolge daher lediglich einen Hinweis auf Art, Inhalt und Gegenstand der angemeldeten Dienstleistungen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie sinngemäß beantragt,
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 27. Mai 2010 aufzuheben.
Sie ist der Ansicht, bei der angemeldeten Wortkombination handele es sich um eine eigentümliche Wortneubildung, für die vielfältige Möglichkeiten der Übersetzung bestünden. Da sich alle beanspruchten Dienstleistungen an die Allgemeinheit richteten, sei deren Sprachverständnis maßgeblich. Der Begriff „Life“ habe diverse Bedeutungen wie „Leben, Haltbarkeit, Laufzeit, Standzeit“, werde also sowohl im Zusammenhang mit Lebewesen als auch mit Sachen verwendet. Der Begriff „Independent“ tauche im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch höchstens im Bereich der Musik auf. Es sei nicht klar, ob das „unabhängige Leben“ sich auf zwischenmenschliche, finanzielle, geografische oder berufliche Aspekte beziehe und wann insoweit eine „Unabhängigkeit“ vorliege. Ferner sei unklar, was man sich unter einer Orientierungshilfe vorstellen solle. Die von der Markenstelle angeführten Kompass-Zusammensetzungen seien Wortkombinationen der deutschen und nicht der hier verwandten englischen Sprache und damit nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Die Sach- und Rechtslage sei vielmehr mit der Entscheidung des EuGH „Baby-dry“ (GRUR 2001, 1147) vergleichbar, bei der die Wortbildung „Baby-dry“ in Bezug auf Windeln für Babys und Kleinkinder als Ergebnis einer lexikalischen Erfindung und damit als unterscheidungskräftig angesehen worden sei. Der Umstand, dass auf einigen wenigen Internetseiten das Wort „Lebenskompass“ erwähnt werde, stelle kein Indiz für eine beschreibende Verwendung dar. Die angemeldete Bezeichnung stelle keinen Bezug zu den Eigenschaften der unterschiedlichen Dienstleistungen her. Da ihr Firmenname die Bestandteile „Independent Life“ enthalte, weise die Wortfolge auf ihr Unternehmen hin.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die nach § 66 Abs. 1 i. V. m. § 64 Abs. 6 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig und hat nach Beschränkung des Dienstleistungsverzeichnisses auch in der Sache Erfolg.
1.
Der Eintragung der Wortfolge „Independent Life Compass“ als Marke gemäß §§ 33 Abs. 2, 41 MarkenG steht in Bezug auf die noch beanspruchten Dienstleistungen kein Schutzhindernis entgegen, insbesondere auch nicht das der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG oder das der Freihaltebedürftigkeit nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.
a)
Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2008, 608, 611 Rdnr. 66 f. – EUROHYPO; BGH GRUR 2010, 825, 826 Rdnr. 13 – Marlene-Dietrich-Bildnis II; 935 Rdnr. 8 – Die Vision; GRUR 2006, 850, 854 Rdnr. 18 - FUSSBALL WM 2006). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2006, 233, 235 Rdnr. 45 - Standbeutel; 229, 230 Rdnr. 27 - BioID; a. a. O. Rdnr. 66 - EUROHYPO; BGH GRUR 2008, 710 Rdnr. 12 - VISAGE; GRUR 2009, 949 Rdnr. 10 - My World; a. a. O. - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 - BerlinCard;). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH MarkenR 2012, 19 Rdnr. 8 – Link economy; GRUR 2010, 1100 Rdnr. 10 – TOOOR!; a. a. O. - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2009, 411 Rdnr. 8 - STREETBALL; 778, 779 Rdnr. 11 - Willkommen im Leben; 949 f. Rdnr. 10 - My World; a. a. O. – FUSSBALL WM 2006).
Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411, 412 Rdnr. 24 - Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 943, 944 Rdnr. 24 - SAT 2; BGH a. a. O. – Die Vision; 825, 826 Rdnr. 13 – Marlene-Dietrich-Bildnis II; a. a. O. - FUSSBALL WM 2006). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428, 431 Rdnr. 53 - Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; MarkenR 2000, 420, 421 - RATIONAL SOFTWARE CORPORATION).
Ausgehend hiervon haben Wortmarken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2004, 674, 678 Rdnr. 86 – Postkantoor; BGH GRUR 2009, 952, 953 Rdnr. 10 - DeutschlandCard; a. a. O. 854 Rdnr. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 – BerlinCard; a. a. O. - marktfrisch; GRUR 2001, 1153 - anti KALK) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die – etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH a. a. O. - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050, 1051 - Cityservice; GRUR 2001, 1043, 1044 - Gute Zeiten – Schlechte Zeiten).
Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und die sich damit nicht als betrieblicher Herkunftshinweis eignen, weil sie wegen der funktionellen Nähe vom Publikum nur als Sachangabe (BPatG 29 W (pat) 29 W (pat) 43/04 – juris Tz. 13 f. – print24) oder als beschreibende Angabe wahrgenommen werden (BGH a. a. O. 1102 Rdnr. 23 – TOOOR!; a. a. O. 855 Rdnr. 28 f. - FUSSBALL WM 2006). Dabei gilt, dass je bekannter der beschreibende Begriffsgehalt für die Waren oder Dienstleistung ist, desto eher wird er auch nur als solcher erfasst, wenn er im Zusammenhang mit der Kennzeichnung der Ware oder Dienstleistung in Erscheinung tritt (BGH a. a. O. 855, 856 Rdnr. 29 - FUSSBALL WM 2006; BPatG GRUR 2007, 58, 60 – BuchPartner).
b)
Die angemeldete Wortfolge weist für die noch beanspruchten Dienstleistungen weder einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Sinngehalt auf, noch handelt es sich um eine Angabe, durch die ein enger (funktionaler) Bezug zu ihnen hergestellt werden kann. Damit verfügt das Anmeldezeichen über die erforderliche Eigenart, um von den angesprochenen Verkehrskreisen als Unternehmenshinweis aufgefasst zu werden.
aa)
Bei der Beurteilung von Schutzhindernissen ist maßgeblich auf die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise abzustellen, wobei dies alle Kreise sind, in denen die fragliche Bezeichnung Verwendung finden oder Auswirkungen haben kann. Mit den vorliegenden Dienstleistungen der Klasse 35 werden in erster Linie Unternehmensinhaber sowie Angehörige der unternehmerischen Führungsebene bzw. des Managements angesprochen.
bb)
Das Anmeldezeichen setzt sich aus dem englischen Wort „Independent“ und den beiden englischen Substantiven „Life“ und „Compass“ zusammen.
aaa)
Das Wort „Independent“ wird als Adjektiv mit „unabhängig, selbstständig“ und als Substantiv mit „(der) Unabhängige“ übersetzt (Duden-Oxford – Großwörterbuch Englisch, 3. Aufl. 2005 [CD-ROM]) und gehört zum englischen Grundwortschatz, der dem inländischen Durchschnittsverbraucher geläufig ist.
bbb)
Das englische Substantiv „Life“ mit der Bedeutung „Leben“ ist ebenfalls im Inland allgemein bekannt (Duden-Oxford – Großwörterbuch Englisch, a. a. O.).
ccc)
„Compass“ in der für den deutschen Verbraucher naheliegenden Übersetzung „Kompass“ (Duden-Oxford – Großwörterbuch Englisch, a. a. O.) bedeutet in erster Linie „Gerät zur Feststellung der Himmelsrichtung“ (Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. 2006 [CD-ROM]; Duden – Das Fremdwörterbuch, 9. Aufl. 2007 [CD-ROM]). Darüber hinaus wird der Begriff im deutschen Sprachgebrauch – dabei insbesondere in Verbindung mit einem Substantiv, mit dem der Themenbereich angesprochen wird – auch als „Wegweiser, Leitfaden, Lotse“ oder „Orientierungshilfe“ verstanden und in diesem Sinne auch in zahlreichen Wortverbindungen oder –zusammenstellungen verwendet, wie z. B. „E-Shopping-Compass, data Compass, Krebs-Kompass, Wohnraum-Kompass, Ernährungskompass, Senioren-Kompass“ etc. (BPatG 25 W (pat) 287/01 – Compass; 27 W (pat) 155/09 – Schulkompass; 25 W (pat) 74/11 – WÜRZKOMPASS). Wie eine Internetrecherche des Amtes (Anlagen zum angefochtenen Beschluss, Bl. 19 – 21 VA) und des Senats ergeben hat, wird auch der Begriff „Lebenskompass“ und „Immobilien-Kompass“ bereits häufig verwendet (Bl. 49 – 53 GA).
cc)
Der Wortfolge „Independent Life Compass“ kommt daher die Gesamtbedeutung „Wegbereiter für ein unabhängiges Leben“ oder „Wegweiser, Leitfaden oder Orientierungshilfe für ein selbständiges Leben“ zu.
dd)
In dieser Bedeutung enthält die angemeldete Bezeichnung für die noch beanspruchten Dienstleistungen „ Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten; Geschäftsführung“ weder eine Sachaussage, noch kann sie einen engen sachlichen Bezug zu ihnen herstellen. Die in Rede stehenden Dienstleistungen werden für und in einem Unternehmen erbracht. In diesem Zusammenhang wird aber nicht von dem „Leben“ eines Unternehmens gesprochen, das zur Unabhängigkeit einer Orientierungshilfe bedarf.
Der um Schutz nachsuchenden Wortfolge kann daher für die noch beanspruchten Dienstleistungen die Unterscheidungskraft nicht abgesprochen werden.
2.
Wegen der fehlenden Eignung zur unmittelbaren Beschreibung der in Rede stehenden Dienstleistungen kann bei der angemeldeten Wortfolge auch ein Freihaltebedürfnis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nicht bejaht werden.