Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 19.10.2011


BPatG 19.10.2011 - 29 W (pat) 523/10

Markenbeschwerdeverfahren – "SANKT VITALIS/VITALIS" - zur rechtserhaltenden Benutzung - zur Kennzeichnungskraft - überwiegende Warenidentität und -ähnlichkeit - keine unmittelbare Verwechslungsgefahr - keine mittelbare Verwechslungsgefahr unter den Gesichtspunkten des Serienzeichens und der Markenusurpation - keine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
29. Senat
Entscheidungsdatum:
19.10.2011
Aktenzeichen:
29 W (pat) 523/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 306 58 950

hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. Oktober 2011 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Grabrucker sowie der Richterinnen Kortge und Dorn

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Wortmarke

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SANKT VITALIS

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ist am 22. September 2006 angemeldet und am 20. Februar 2007 unter der Nummer 306 58 950 als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden u. a. für die Waren der

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Klasse 3: Wasch- und Bleichmittel; Seifen; Parfümeriewaren, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Haarwässer; Zahnputzmittel; kosmetische Badezusätze; Badesalze, nicht für medizinische Zwecke;

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Klasse 5: pharmazeutische Erzeugnisse; Präparate für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke; Heilkräutertees; Heilmittelextrakte; Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke, ins-besondere Vitaminpräparate und Mineralpräparate sowie Präparate aus Fasern und Ballaststoffen für medizinische Zwecke; Luftsprays als Luftauffrischungsmittel und Luftreinigungsmittel.

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Gegen diese Marke, deren Eintragung am 23. März 2007 veröffentlicht wurde, hat die Inhaberin der älteren Wortmarke

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VITALIS

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die am 20. Oktober 1998 unter der Nummer 397 53 687 eingetragen wurde für folgende Waren der Klassen 3, 5 und 21:

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"Seifen, Parfümerien, insbesondere Desodorierungsmittel für den persönlichen Gebrauch, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege einschließlich Kosmetika, Badesalze oder Badezusätze, Dusch- oder Massagegels, Haarwaschmittel, Hautcremes oder -milch; Aromatücher (als Dufttücher), Tücher, getränkt mit kosmetischen oder pharmazeutischen Lotionen, mit einer Reinigungs- oder parfümierten Flüssigkeit getränkte Tücher, insbesondere als Erfrischungstücher, mit einer Reinigungsflüssigkeit getränkte Tücher (zum Putzen); diätetische Erzeugnisse und Nahrungsergänzungsmittel für medizinische und nichtmedizinische Zwecke, hauptsächlich bestehend aus Vitaminen und Spurenelementen in Form von Tabletten, Pulver oder Kapseln, einschließlich Multivitaminpräparate, in Form von Brausetabletten, Kautabletten, Gelatinekapseln oder Brausepulver; Arzneimittel, soweit verordnungsfrei verkäuflich, insbesondere Mittel gegen Erkältungen, Beruhigungsmittel, Heilmittel auf Pflanzenbasis; Tücher mit Insektenabwehrlotion (Mückentücher), Putztücher"

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Widerspruch erhoben, der sich allerdings nur gegen die für die angegriffene Marke eingetragenen Waren der Klassen 3 und 5 richtet.

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Mit einem am 18. Dezember 2007 beim DPMA eingegangenen Schriftsatz vom 14. Dezember 2007 (Bl. 35, 36 VA) hat die Inhaberin der angegriffenen Marke die Nichtbenutzungseinrede erhoben. Die Widersprechende hat Unterlagen zur Glaubhaftmachung der rechtserhaltenden Benutzung ihrer Marke vorgelegt.

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Die Markenstelle für Klasse 16 des DPMA hat mit Beschluss vom 10. Februar 2010 eine Verwechslungsgefahr zwischen beiden Marken verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Frage der in zulässiger Weise bestrittenen Benutzung der Widerspruchsmarke könne dahingestellt bleiben, weil selbst bei unterstellter rechtserhaltender Benutzung aller registrierten Widerspruchswaren und damit der Möglichkeit einer Markenbegegnung im Bereich identischer Waren keine Verwechslungsgefahr bestehe. Zugunsten der Widersprechenden sei von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der älteren Marke – zumindest für den Bereich der Nahrungsergänzungsmittel – auszugehen. Zwar habe "VITALIS" in Bezug auf Körper- und Gesundheitspflegeprodukte und Nahrungsergänzungsmittel beschreibende Anklänge an den lateinischen Begriff "vita" für "Leben" bzw. "vital" zur Beschreibung von deren vitalisierender Wirkung, aber diese Kennzeichnungsschwäche werde durch die glaubhaft gemachte umfangreiche Benutzung der Marke für Vitamin-, Multivitamin- und Mineralstoffpräparate kompensiert. Den im Hinblick auf den normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke bei identischen Waren einzuhaltenden weiten Abstand halte die jüngere Marke ein, die aus "SANKT" und "VITALIS" zusammengesetzt sei. Das Wort "SANKT" stehe für "heilig" und werde in dieser Bedeutung als Voranstellung bei Heiligennamen und geografischen Namen, die auf Heilige zurückgingen, verwendet. Da keine Branchenübung bekannt sei, wonach die für die angegriffene Marke in den Klassen 3 und 5 eingetragenen Waren als heilig angepriesen würden oder in einem sachlichen Bezug zu heiligen Persönlichkeiten oder nach diesen benannten Orten stünden, habe "SANKT" keinen beschreibenden Bezug zu diesen Produkten. Da der Verkehr bei pharmazeutischen, kosmetischen oder nahrungsergänzenden Produkten nicht an eine Verwendung von "Sankt" gewöhnt sei, habe er auch keine Veranlassung, sich ausschließlich an dem Wortbestandteil "VITALIS" zu orientieren und "SANKT" zu vernachlässigen. Die Praxis, wonach in der Umgangssprache bei Personen- und Ortsbezeichnungen das "Sankt" oder "Saint" regelmäßig vernachlässigt und allein der nachfolgende Eigenname zur Orientierung genutzt werde, könne nicht auf das hier betroffene Warensegment übertragen werden. Zudem verbänden sich die beiden Wortelemente in der angegriffenen Marke zu einem einheitlichen Gesamtbegriff, der nicht auf "VITALIS" verkürzt werde, weil dies zu einer den Charakter der Markenbezeichnung auflösenden Sinnänderung führen würde. Die Vergleichsmarken unterschieden sich daher in Silbenzahl und Vokalfolge, worauf es beim klanglichen Gesamteindruck maßgeblich ankomme, sowie am stärker beachteten Wortanfang. Auch beim Schriftbild und beim Sinngehalt kämen sich die beiden Marken nicht verwechselbar nahe, so dass eine unmittelbare Verwechslungsgefahr ausscheide. Wegen der Verbindung zu einem einheitlichen Gesamtbegriff komme dem Wortelement "VITALIS" der jüngeren Marke auch keine selbständig kennzeichnende Stellung zu. Auch unter dem Aspekt der Bildung einer Markenserie komme eine mittelbare Verwechslungsgefahr nicht in Betracht. Denn in der Verbindung zu einem in sich geschlossenen Gesamtbegriff trete der Wortbestandteil "VITALIS" nicht in der Art eines eigenständigen Wortstammes hervor.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, mit der sie beantragt,

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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 16 des DPMA vom 10. Februar 2010 aufzuheben und die Löschung der Marke anzuordnen.

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Sie vertritt die Ansicht, dem Wortbestandteil "VITALIS" in der angegriffenen Marke komme eine prägende, zumindest aber selbständig kennzeichnende Stellung zu. Das Wortelement "SANKT" trete im Gesamteindruck vollständig zurück und sei bei pharmazeutischen, kosmetischen oder nahrungsergänzenden Produkten beschreibend. Denn früher hätten vor allem kirchliche Institutionen wie Klöster und die dort lebenden Glaubensvertreter in der Bevölkerung auf dem Gebiet der Pflanzenheilkunde eine hohe Reputation genossen. Die Widerspruchsmarke besitze zumindest durchschnittliche Kennzeichnungskraft (vgl. HABM vom 18. April 2007 – R1083/2006-1 – Lapis Vitalis/VITALIS, Anlage 2, Bl. 77 – 87 VA). Der lateinische Begriff "VITALIS" sei für den Durchschnittsverbraucher eine phantasievolle Wortschöpfung, zumal er auch ein männlicher Vorname sei (BPatG 24 W (pat) 11/09). Aber selbst wenn ein beschreibender Anklang vorläge, wäre er durch die intensive Benutzung der Widerspruchsmarke kompensiert worden. Vor allem mit Multivitaminbrausetabletten und anderen Nahrungsergänzungsmitteln seien unter der Widerspruchsmarke Umsätze in Millionenhöhe erzielt worden: 2007 mindestens … Mio. €, 2008 mindestens … Mio. €, 2009 mindestens … Mio. € und 2010mindestens … Mio. € (eidesstattliche Versicherung der Prokuristin P… vom6. Oktober 2010, Bl. 51 f. GA). Wenn man berücksichtige, dass nach der AC Nielsen Studie "Der Discounter im Urteil der Verbraucher – 2003/1998" … % der Deutschen zumindest gelegentlich in einer Filiale der Unternehmensgruppe A. einkauften, könne die durchschnittliche, wenn nicht gar leicht erhöhte Kennzeichnungskraft nicht ernsthaft in Frage gestellt werden. Zum Nachweis der (leicht) erhöhten Kennzeichnungskraft hat die Widersprechende Werbeanzeigen aus den Jahren 2007 bis 2010 (Anlagenkonvolut 11, Bl. 53 – 59 GA), Kopien von Rechnungen an ihre Vertriebsgesellschaften aus dem Zeitraum 2007 bis 2010 (Anlagenkonvolut 12, Bl. 60 – 124 GA) und Verpackungsmuster mehrerer Nahrungsergänzungsmittel (Anlagenkonvolut 13, Bl. 125 GA) vorgelegt. Das einsilbige Wort "SANKT" sei visuell und klanglich deutlich kürzer als das aus drei Silben bestehende Wort "VITALIS", weshalb Letzteres eine klanglich dominierende Stellung einnehme. Wenn sich die Vergleichsmarken in den üblichen Verkaufsstätten in unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Nähe auf identischen Waren begegneten, werde ein halbwegs aufmerksames Publikum zumindest auf eine gemeinsame Produktverantwortung schließen, so dass auch die Gefahr des gedanklichen In-Verbindung-Bringens bestehe. Auch das Bundespatentgericht habe eine solche Verwechslungsgefahr zwischen den Marken "ARS VITALIS" und "VITALIS" in seiner Entscheidung vom 17. September 2009 (24 W (pat) 11/09, Anlage 10, Bl. 25 ff. GA; vgl. auch BPatG 30 W (pat) 6/10 – VITALIS/vitalis Apotheke im Elster Forum, Anlage 14, Bl. 125 ff. GA) angenommen.

16

Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

18

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und vertritt die Auffassung, dass die angegriffene Marke einen untrennbaren Gesamtbegriff, nämlich heiliger Vitalis oder heiliges Vitalis, bilde. Die originäre Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei verschwindend gering und dieser Mangel werde auch für den Bereich der Nahrungsergänzungsmittel nicht durch Benutzung kompensiert. Allein die Angabe von Umsätzen könne dafür nicht genügen. Ohne Angabe des Gesamtvolumens des Marktes, des sich hieraus ergebenden Marktanteils und der Höhe der Werbeaufwendungen könne nicht auf die Bekanntheit der Widerspruchsmarke beim angesprochenen Durchschnittsverbraucher geschlossen werden. Um von "SANKT" mit der Bedeutung "heilig" auf "heilend" zu schließen, bedürfe es mehrerer Gedankenschritte, so dass ein beschreibender Charakter dieses Wortelements nicht angenommen werden könne. Demgegenüber beschreibe "VITALIS" im Sinne von "Leben gebend" die fraglichen Waren unmittelbar und sei dem deutschen Verkehr durchaus vertraut (BPatG 30 W (pat) 6/10 - VITALIS/vitalis Apotheke im Elster Forum, Bl. 128 GA). "VITALIS" sei der glatt beschreibende Bestandteil, während "SANKT" dem Zeichen die Kennzeichnungskraft verleihe. Unter Berücksichtigung der Benutzungslage könne sich der Warenvergleich auf Seiten der Widersprechenden allenfalls auf Multivitaminpräparate in verschiedenen Darreichungsformen stützen. Die selbständig kennzeichnende Stellung des Wortelements "VITALIS" gehe durch Aufnahme in einen Gesamtbegriff unter, der auf eine fiktive heilige Person oder einen fiktiven heiligen Ort hinweise. Dies unterscheide den vorliegenden Fall von der Rechtslage in der Entscheidung des Bundespatentgerichts im Verfahren – 24 W (pat) 11/09 – ARS VITALIS/VITALIS (Anlage 10, Bl. 25 ff. GA). Dort sei ein Gesamtbegriff der Kombination "ARS VITALIS" verneint worden, weil der Durchschnittsverbraucher "ARS" im Sinne von "Kunst" nicht verstehe, während ihm hier die Bedeutung von "SANKT" im Sinne von "heilig" als Bestandteil des deutschen Wortschatzes geläufig sei. Im Gegensatz zur Entscheidung des Bundespatentgerichts im Verfahren – 30 W (pat) 6/10 - VITALIS/vitalis Apotheke im Elster Forum – seien hier gleichgewichtige Bestandteile zu einem Gesamtbegriff kombiniert.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

20

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

21

Der Senat teilt die Auffassung der Markenstelle, dass zwischen beiden Marken keine Verwechslungsgefahr im Sinne von §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht.

22

Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (BGH GRUR 2004, 865, 866 - Mustang; GRUR 2004, 598, 599 - Kleiner Feigling; GRUR 2004, 783, 784 - NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX; GRUR 2006, 60, 61 Rdnr. 12 - coccodrillo; GRUR 2006, 859, 860 Rdnr. 16 – Malteserkreuz I; MarkenR 2008, 405 Tz. 10 - SIERRA ANTIGUO; GRUR 2008, 906 - Pantohexal; GRUR 2008, 258, 260 Rdnr. 20 – INTERCONNECT/T-InterConnect; GRUR 2009, 484, 486 Rdnr. 23 – Metrobus; GRUR 2010, 235 Rdnr. 15 - AIDA/AIDU; EuGH GRUR 2006, 237, 238 – PICARO/PICASSO).

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1. Bei der Beurteilung der Warenähnlichkeit sind auf Seiten der Widerspruchsmarke nur die "Nahrungsergänzungsmittel für medizinische und nichtmedizinische Zwecke, hauptsächlich bestehend aus Vitaminen und Spurenelementen in Form von Tabletten, Pulver oder Kapseln, einschließlich Multivitaminpräparate, in Form von Brausetabletten, Kautabletten, Gelatinekapseln oder Brausepulver" zu berücksichtigen. Denn eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke hat die Widersprechende nur für Multivitaminpräpa-rate hinreichend glaubhaft gemacht.

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a) Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat mit ihrem am 18. Dezember 2007 beim DPMA eingegangenen Schriftsatz (Bl. 35, 36 VA) die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke bestritten, ohne Satz 1 oder Satz 2 des § 43 Abs. 1 MarkenG präzise zu zitieren, so dass in ständiger Rechtsprechung davon auszugehen ist, dass die Einrede beide Zeiträume umfassen soll (BGH GRUR 1998, 938 – DRAGON; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl., § 43 Rdnr. 12; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., § 43 Rdnr. 19; Fezer/Grabrucker Handbuch der Markenpraxis, Band I, Markenverfahrensrecht, 1. Teil, 2. Kap., Rdnr. 560).

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b) Das Bestreiten der Benutzung der Widerspruchsmarke war gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG auch zulässig, nachdem die fünfjährige Benutzungsschonfrist der Widerspruchsmarke, die mit der Eintragung am 20. Oktober 1998 zu laufen begonnen hat, vor der Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke am 23. März 2007 endete. Da die Inhaberin der angegriffenen Marke die Nichtbenutzungseinrede ohne Beschränkung erhoben hat, oblag es der Widersprechenden glaubhaft zu machen, dass ihre Marke gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 MarkenG innerhalb von fünf Jahren vor der Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke, also in der Zeit von März 2002 bis März 2007 sowie gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Entscheidung über den Widerspruch im Beschwerdeverfahren, also von Oktober 2006 bis Oktober 2011, gemäß § 26 MarkenG benutzt worden ist.

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c) Die Widersprechende hat die Benutzung ihrer Marke aber nur für Multivitamin-Brausetabletten, Magnesium-Tabletten, Langzeit-Vitamin C-Kapseln plus Zink, Langzeit-Vitamintabletten A-Z Generation 50+ mit Q10, Langzeit-Vitamintabletten A-Z Balance sowie Brausetabletten mit den vorangestellten Bestandteilen "Calcium", "Magnesium" und "Vitamin C" hinreichend glaubhaft gemacht. Diese mit der Marke "VITALIS" benutzten Waren lassen sich unter den im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke enthaltenen Begriff "Nahrungsergänzungsmittel für medizinische und nichtmedizinische Zwecke, hauptsächlich bestehend aus Vitaminen und Spurenelementen in Form von Tabletten, Pulver oder Kapseln, einschließlich Multivitaminpräparate, in Form von Brausetabletten, Kautabletten, Gelatinekapseln oder Brausepulver" subsumieren. Nach der in ständiger Rechtsprechung des Bundespatentgerichts angewendeten sogenannten erweiterten Minimallösung ist es gerechtfertigt, den Kreis der zu berücksichtigenden Waren über das konkrete Produkt hinaus auch auf solche Waren auszudehnen, die der Verkehr gemeinhin als zum gleichen Warenbereich gehörend ansieht (BPatG GRUR 2004, 954, 955 f. - CYNARETTEN/Circanetten), wobei die Widersprechende insbesondere nicht auf die tatsächlich verwendete Darreichungsform oder die konkrete Zusammensetzung des mit der Widerspruchsmarke gekennzeichneten Präparats festgelegt werden darf (BPatG 30 W (pat) 6/10 – VITALIS/ vitalis Apotheke im Elster Forum).

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Die Glaubhaftmachung ist für den Zeitraum von 2002 bis 2007 bereits im Amtsverfahren erfolgt durch die eidesstattliche Versicherung der Prokuristin der Widersprechenden, Frau P…, vom 4. Februar 2008 (Bl. 88 f. VA) mit Angabe der konkreten Umsatzzahlen, durch Vorlage von Werbeanzeigen aus den Jahren 2003 bis 2007 (Bl. 90 – 95 VA), Rechnungen an Vertriebsgesellschaften der Widersprechenden (Bl. 96 – 176 VA) und Verpackungsmuster mehrerer Nahrungsergänzungsmittel (Bl. 177 – 184 VA). Ins Beschwerdeverfahren eingeführte Glaubhaftmachungsmittel für den Zeitraum von 2006 bis 2011 sind die eidesstattliche Versicherung der Prokuristin P. vom 6. Oktober 2010 (Bl. 51 f. GA), die vorgelegten Werbeanzeigen aus den Jahren 2007 bis 2010 (Anlagenkonvolut 11, Bl. 53 – 59 GA), die überreichten Rechnungen an die Vertriebsgesellschaften aus dem Zeitraum 2007 bis 2010 (Anlagenkonvolut 12, Bl. 60 – 124 GA) und Verpackungsmuster (Anlagenkonvolut 13, Bl. 125 GA).

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Für alle übrigen Waren fehlt jegliche Glaubhaftmachung.

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2. Ausgehend von den rechtserhaltend benutzten Widerspruchswaren "Nahrungsergänzungsmittel" werden die Vergleichsmarken mit Ausnahme der in Klasse 5 für die jüngere Marke eingetragenen Waren "Luftsprays als Luftauffrischungsmittel und Luftreinigungsmittel" zur Kennzeichnung teilweise identischer sowie teilweise hochgradig, durchschnittlich oder entfernt ähnlicher Waren verwendet.

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Eine Ähnlichkeit von beiderseitigen Waren oder Dienstleistungen ist dabei grundsätzlich anzunehmen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen, insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder Leistungen oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlichen Gründe so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben oder ggf. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (BGH GRUR 2001, 507, 508 – EVIAN/REVIAN, GRUR 2004, 601 - d-c-fix/CD-FIX, EuGH MarkenR 2009, 47, 53 Rdnr. 65 – Edition Albert René).

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a) Die rechtserhaltend benutzten Widerspruchswaren "Nahrungsergänzungsmittel für medizinische und nichtmedizinische Zwecke, hauptsächlich bestehend aus Vitaminen und Spurenelementen in Form von Tabletten, Pulver oder Kapseln, einschließlich Multivitaminpräparate, in Form von Brausetabletten, Kautabletten, Gelatinekapseln oder Brausepulver" sind identisch mit den für die angegriffene Marke eingetragenen "Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke, insbesondere Vitaminpräparate und Mineralpräparate sowie Präparate aus Fasern und Ballaststoffen für medizinische Zwecke".

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b) Eine hochgradige Ähnlichkeit weisen die Nahrungsergänzungsmittel zu den für die angegriffene Marke eingetragenen Waren "pharmazeutische Erzeugnisse; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke" auf (Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 4. Aufl., Seite 210 – BPatG 25 W (pat) 117/03; HABM R724/10-1; HABM Entscheidung vom 28. März 2006 über den Widerspruch Nr. B 687 907 – VITALIA/VITALIS, Anlage 19, Bl. 300 – 312 VA). Bei den aus Vitaminen und Spurenelementen bestehenden Tabletten, Pulvern, Kapseln, einschließlich der Multivitaminpräparate handelt es sich um eine Produktgruppe, die aufgrund der Gemeinsamkeiten bei der stofflichen Beschaffenheit, der Herstellung und der Verwendung auch den "pharmazeutischen Produkten" sehr angenähert ist.

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c) Eine durchschnittliche Ähnlichkeit ist zwischen den Nahrungsergänzungsmitteln der Widerspruchsmarke und "Präparate für die Gesundheitspflege; Heilkräutertees; Heilmittelextrakte" sowie den "Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege" anzunehmen, weil Annäherungen in der Anwendung und der stofflichen Beschaffenheit sowie Möglichkeiten zur gegenseitigen Ergänzung bestehen (HABM Entscheidung vom 28. März 2006 über den Widerspruch Nr. B 687 907 – VITALIA/VITALIS, a. a. O.).

34

d) Eine zumindest entfernte Ähnlichkeit weisen die Nahrungsergänzungsmittel zu den übrigen für die jüngere Marke in Klasse 3 beanspruchten Produkten "Wasch- und Bleichmittel; Seifen; Parfümeriewaren, ätherische Öle, Haarwässer; Zahnputzmittel; kosmetische Badezusätze; Badesalze, nicht für medizinische Zwecke" auf. Zwar sind sie im Gegensatz zu Nahrungsergänzungsmitteln nur zur äußeren Anwendung bestimmt, und es handelt sich um unterschiedliche Produktgruppen, die regelmäßig aus verschiedenen Unternehmen stammen (HABM Entscheidung vom 28. März 2006 über den Widerspruch Nr. B 687 907 – VITALIA/VITALIS, Anlage 19, Bl. 300 – 312 VA). Aber sie werden meist zusammen angeboten und weisen somit zumindest Ähnlichkeiten im Vertrieb auf (Richter/Stoppel, a. a. O., S. 210 "Kosmetika").

35

e) Hinsichtlich der für die angegriffene Marke in Klasse 5 eingetragenen Waren "Luftsprays als Luftauffrischungsmittel und Luftreinigungsmittel" liegt vollständige Warenunähnlichkeit vor, weil sie keinerlei Bezug zu Nahrungsergänzungsmitteln haben.

36

3. a) Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist von Hause aus - wie die Markenstelle angenommen hat - in Anbetracht der durchscheinenden schutzunfähigen Angabe "VITAL" leicht unterdurchschnittlich.

37

Das Wort "Vitalis" ist ein lateinisches Adjektiv mit den Bedeutungen "des Lebens, zum Leben gehörig, Lebens-, Leben spendend, das Leben erhaltend, lebensfähig, lebenswert" (PONS Wörterbuch für Schule und Studium Latein Deutsch 3. Aufl.). Auch wenn es sich um eine tote Sprache handelt, ist dem Verkehr jedenfalls im Zusammenhang mit Nahrungsergänzungsmitteln sowohl der hiervon abgeleitete Begriff "vital" mit seiner Bedeutung "voller Lebenskraft, im Besitz seiner vollen Leistungskraft; lebenswichtig, lebensnotwendig" (Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. 2006 [CD-ROM]) als auch das darin enthaltene lateinische Substantiv "Vita" für "Leben" geläufig. Zudem wird das Wort "Vital" gerade im Gesundheitssektor häufig verwendet, um auf eine vitalisierende, gesundheits- und lebensfördernde Wirkung hinzuweisen (BPatG 24 W (pat) 240/97 - Vital; 30 W (pat) 258/96 - VITAL PLUS; 33 W (pat) 94/05 - Vitalformel). Der erkennbar beschreibende Gehalt führt im Zusammenhang mit den Widerspruchswaren daher zu einer Kennzeichnungsschwäche der Widerspruchsmarke. Denn bei Nahrungsergänzungsmitteln kann "VITALIS" deren vitalisierende Wirkung beschreiben. Die Endung "-is" reicht nicht aus, von der beschreibenden Bedeutung wegzuführen (BPatG 28 W (pat) 54/03 - Vi-talex/VITALIS). Der Umstand, dass "Vitalis" ein alter männlicher Vorname ist (Duden – Das große Vornamenlexikon, 3. Aufl. 2007, S. 417, Bl. 146a GA; http://de.wikipedia.org/wiki/Vitalis), dürfte im Zusammenhang mit "Nahrungsergänzungsmitteln" hinter der im Vordergrund stehenden beschreibenden Bedeutung zurücktreten.

38

b) Die Widersprechende hat aber geltend gemacht – und dies durch Vorlage aussagekräftiger Benutzungsunterlagen auch belegt –, dass die Widerspruchsmarke für einige Erzeugnisse, die unter den Oberbegriff der Nahrungsergänzungsmittel in Klasse 5 fallen, in beträchtlichem Umfang seit 2002 tatsächlich benutzt worden ist. Die (ursprüngliche) Kennzeichnungsschwäche des Wortes "VITALIS" ist von daher für die Waren in Klasse 5 als kompensiert anzusehen, so dass der Widerspruchsmarke insoweit ein durchschnittlicher Schutzumfang zukommt (BPatG 24 W (pat) 11/09 – ARS VITALIS/VITALIS).

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c) Eine – wenn auch nur leicht - gesteigerte Kennzeichnungskraft kann der Widerspruchsmarke aber nicht beigemessen werden. Für die Annahme eines wesentlich größeren Schutzbereichs der Widerspruchsmarke reichen die belegten Umsatzzahlen, auch wenn sie sich - wie hier- im Millionenbereich befinden, nicht aus, weil selbst umsatzstarke Marken häufig wenig und Marken mit geringen Umsätzen weithin bekannt sein können. Insoweit lassen nur konkrete Angaben der Widersprechenden zu ihrem Marktanteil, z. B. ermittelt durch Verkehrsbefragungen, und zu ihren Werbeaufwendungen jeweils im Vergleich zu Konkurrenzprodukten der Mitbewerber zuverlässigere Schlüsse auf die Verkehrsbekanntheit zu (EuGH MarkenR 1999, 236, 239 (Nr. 23, 24) - Lloyd; GRUR 2002, 804, 808 (Nr. 60 - 62) - Philips; BGH GRUR 2002, 1067, 1069 - DKV/OKV; GRUR 2003, 1040, 1044 – Kinder; BPatGE 44, 1, 4 - Korodin). Weder ist der für die Widerspruchsmarke getätigte Werbeaufwand konkret beziffert worden, noch sind eine Verkehrsbefragung oder sonstige Unterlagen über den Marktanteil vorgelegt worden, obwohl auch die Beschwerdegegnerin ausdrücklich auf den insoweit unzureichenden Vortrag hingewiesen hat.

40

4. Aber auch ausgehend von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und einer Benutzung für identische Waren hält die angegriffene Marke den zur Verneinung der Verwechslungsgefahr erforderlichen deutlichen Abstand noch ein.

41

Maßgebend für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken, wobei von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428, 431 Rdnr. 53 - Henkel; BGH MarkenR 2000, 420, 421 - RATIONAL SOFTWARE CORPORATION; GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch). Der Grad der Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Zeichen ist dabei im Klang, im (Schrift)Bild und im Bedeutungs-(Sinn-)Gehalt zu ermitteln. Für die Annahme einer Verwechslungsgefahr reicht dabei regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Hinsicht aus (BGHZ 139, 340, 347 - Lions; BGH MarkenR 2008, 393, 395 Rdnr. 21 - HEITEC). Zudem ist bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr grundsätzlich mehr auf die gegebenen Übereinstimmungen der zu vergleichenden Marken abzuheben als auf die Abweichungen, weil erstere stärker im Erinnerungsbild zu haften pflegen. Für den Gesamteindruck eines Zeichens ist insbesondere der Wortanfang von Bedeutung, weil der Verkehr diesem regelmäßig größere Beachtung schenkt als Endsilben (BGH GRUR 2004, 783, 784 – NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).

42

a) Die sich hier gegenüberstehenden Marken werden weder klanglich noch schriftbildlich noch begrifflich ähnlich wahrgenommen. Dabei kommen ausgehend von den relevanten Waren Verbraucher aus der gesamten Bevölkerung in Betracht, die beim Erwerb dieser Produkte mit normaler Aufmerksamkeit vorgehen.

43

aa) Eine klangliche Verwechslungsgefahr kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der in beiden Marken identisch enthaltene Bestandteil "VITALIS" keine kollisionsbegründende Stellung einnimmt. Er weist keine die jüngere Marke prägende Funktion auf, weil das Wortelement "SANKT" für die angesprochenen Verkehrskreise nicht in einer Weise zurücktritt, dass es für den Gesamteindruck vernachlässigt werden kann (EuGH GRUR 2007, 700 Rdnr. 41 –HABM/Shaker [Limoncello]; EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 28 f. – THOMSON LIFE; BGH GRUR 2006, 859 Rdnr. 18 – Malteserkreuz I; GRUR 2007, 888 Rdnr. 22 u. 31 – Euro Telekom; MarkenR 2008, 405, 406 Rdnr. 18 – SIERRA ANTIGUO; GRUR 2009, 772, 776 Rdnr. 57 – Augsburger Puppenkiste).

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aaa) Die angegriffene Marke setzt sich aus dem Bestandteil "SANKT" und dem Element "VITALIS" zusammen.

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"SANKT" stammt von dem lateinischen Adjektiv "sanctus" ab, bedeutet "heilig" und wird in Heiligennamen und auf solche zurückgehenden Ortsnamen verwendet, wie z. B. Sankt Peter, Sankt Elisabeth, Sankt Gallen, Sankt Gotthard (Duden – Das Fremdwörterbuch, 9. Aufl. 2007 [CD-ROM]; Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. 2006 [CD-ROM]).

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Die beiden Wortbestandteile "SANKT” und "VITALIS” verbinden sich in der angegriffenen Marke für den Verbraucher zu dem einheitlichen Gesamtbegriff "Heiliger Vitalis" bzw. "Heiliges Vitalis".

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Denn zum einen haben vier heilig gesprochene Männer mit dem Vornamen Vitalis gelebt, nämlich der heilige frühchristliche Märtyrer Vitalis in Bologna mit Namenstag am 4. November, der heilige Märtyrer Vitalis in Rom mit Namenstag am 10. Juli, der heilige Bischof Vitalis von Salzburg mit Namenstag am 20. Oktober und der heilige Abt Vitalis von Savigny mit Namenstag am 16. September (Duden – Das große Vornamenlexikon, a. a. O.; Wimmer/Melzer, Lexikon der Namen und Heiligen, 1988, Bl. 149 – 151 GA), so dass zumindest ein Teil stark christlich geprägter Verkehrskreise die Gesamtbezeichnung mit einem dieser vier Heiligen in Verbindung bringen könnte. Für den anderen, weitaus größeren Teil der angesprochenen Verkehrskreise wird diese Wortkombination zumindest auf eine fiktive heilige Person oder einen fiktiven heiligen Ort hinweisen. Denn mit dem Wortelement "Sankt" allein kann das angesprochene Publikum nichts anfangen, weil es nur ein Namenszusatz ist. Erst die Ergänzung mit einem Personen- oder Ortsnamen ergibt einen Sinn. Da es sich zudem nicht um einen berühmten, der Allgemeinheit be-kannten Heiligen handelt, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das vorangestellte Wort "SANKT" vernachlässigt wird und eine Orientierung allein an dem nachfolgenden Eigennamen erfolgt, wie z. B bei der St. Michaelskirche in München, dem St. Petersdom, dem St. Martinstag und dem St. Nikolaus(tag) (vgl. BPatG 30 W (pat) 271/91 – Creation Georges/Saint Georges). Dies gilt insbesondere bei dem hier betroffenen Warensegment der nahrungsergänzenden Produkte, weil der Verkehr in diesem Bereich nicht an eine Verwendung von "Sankt" gewöhnt ist. Aus diesem Grund fehlt es auch an einem beschreibenden Charakter des Gesamtbegriffs für den in Rede stehenden Produktbereich. Soweit die Widersprechende belegt hat, dass es mit "SANKT PIRMIN" (Bl. 142 GA) und "Sankt Laurenzius" (Bl. 143 GA) gekennzeichnete Nahrungsergänzungsmittel gibt, reichen diese beiden Beispiele allein nicht aus, eine Branchengewohnheit zu belegen, wonach Nahrungsergänzungsmittel regelmäßig in einen sachlichen Bezug zu heiligen Persönlichkeiten oder Orten gebracht und daher regelmäßig auf den Eigennamen verkürzt würden.

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Die vorliegende Fallgestaltung unterscheidet sich entgegen der Ansicht der Widersprechenden insoweit auch von derjenigen in der Entscheidung des BPatG 24 W (pat) 11/09 – ARS VITALIS/VITALIS (Anlage 10, Bl. 25 ff. GA), als dort "ARS VITALIS" nicht als Gesamtbegriff angesehen wurde, weil der Durchschnittsverbraucher "ARS" im Sinne von "Kunst" nicht verstehe, während ihm hier die Bedeutung von "SANKT" im Sinne von "heilig" als Bestandteil des deutschen Wortschatzes geläufig ist.

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Selbst wenn man - wie die Widersprechende - dem Begriff "SANKT" einen beschreibenden Anklang entnähme, lägen zwei gleichgewichtige schutzunfähige Wortbestandteile vor, so dass eine Prägung durch eines dieser beiden Elemente ebenfalls ausschiede.

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bbb) Die Vergleichsmarken unterscheiden sich daher durch ihre Silbenzahl und Vokalfolge sowie im Sprech- und Betonungsrhythmus. Der viersilbigen Wortkombination "Sankt VITALIS" mit der Vokalfolge A-I-A-I steht die dreisilbige Bezeichnung "VITALIS" mit der Vokalfolge I-A-I gegenüber. Ferner findet der in der Regel stärker beachtete Wortanfang "SANKT" in der Widerspruchsmarke keine Entsprechung.

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bb) Schriftbildlich unterscheiden sich die Marken schon in ihrer Wortlänge.

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cc) Auch eine begriffliche Verwechslungsgefahr ist wegen des bereits dargestellten unterschiedlichen Sinngehalts der Vergleichsmarken ausgeschlossen.

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b) Eine mittelbare Verwechslungsgefahr ist ebenfalls zu verneinen.

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Die Gefahr, dass Marken miteinander gedanklich in Verbindung gebracht werden, obwohl die beteiligten Verkehrskreise die Unter-schiede zwischen den Vergleichsmarken erkennen, liegt nur dann vor, wenn ein mit der älteren Marke übereinstimmender Bestandteil identisch oder ähnlich in eine komplexe Marke aufgenommen wird, in der er neben einem Unternehmenskennzeichen oder Serienzeichen des Inhabers der jüngeren Marke eine selbständig kennzeichnende Stellung behält, und wenn wegen der Übereinstimmung dieses Bestandteils mit der älteren Marke bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck hervorgerufen wird, dass die fraglichen Waren oder Dienstleistungen zumindest aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen (EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 28 f. - THOMSON LIFE; BGHZ 167, 322 Rdnr. 18 – Malteserkreuz I; BGH GRUR 2008, 258 Rdnr. 33 - INTERCONNECT/T-InterConnect; GRUR 2010, 646 Rdnr. 15 - OFFROAD).

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aa) Die mittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Aspekt des Serienzeichens greift unter dem Begriff des gedanklichen In-Verbindung-Bringens der jüngeren mit der älteren Marke dann ein, wenn die Zeichen in einem Bestandteil übereinstimmen, den der Verkehr als Stamm mehrerer Zeichen eines Unternehmens sieht und deshalb die nachfolgenden Bezeichnungen, die einen wesensgleichen Stamm aufweisen, demselben Inhaber zuordnet (BGH GRUR 2007, 1071 Rdnr. 40 - Kinder II).

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Abgesehen davon, dass die Widersprechende nicht vorgetragen hat, dass sie über eine auf dem Markt präsente Markenserie mit dem Stammbestandteil "VITALIS" verfügt (EuGH GRUR Int. 2007, 1009 Rdnr. 64 - Il Ponte Finanziaria/HABM [BAINBRIDGE]), tritt der gemeinsame Bestandteil "VITALIS" in der angegriffenen Marke wegen der Verbindung zu einem eigenen, in sich geschlossenen Gesamtbegriff nicht in der Art eines eigenständigen Wortstammes hervor und führt damit von der Vorstellung weg, es handele sich um eine Serienmarke ein und desselben Unternehmens.

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bb) Mittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt der Markenusurpation wird angenommen, wenn ein Zeichen, das als Bestandteil in eine zusammengesetzte Marke oder eine komplexe Kennzeichnung aufgenommen wird, neben einem Unternehmenskennzeichen oder Serienzeichen des Inhabers der jüngeren Marke eine selbständig kennzeichnende Stellung behält, ohne dass es das Erscheinungsbild der zusammengesetzten Marke oder komplexen Kennzeichnung dominiert oder prägt. Bei Identität oder Ähnlichkeit dieses selbständig kennzeichnenden Bestandteils mit einer angemeldeten oder eingetragenen Marke mit älterem Zeitrang kann das Vor-liegen von Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarenG zu bejahen sein, weil dadurch bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck hervorgerufen werden kann, dass die fraglichen Waren oder Dienstleistungen zumindest aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen (BGH GRUR 2006, 859 Rdnr. 18 –  Malteserkreuz I).

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Zwar wird die Widerspruchsmarke in der jüngeren Marke vollständig übernommen, aber "SANKT" ist weder ein Unternehmenskennzeichen noch eine bekannte Marke der Beschwerdegegnerin. Hinzu kommt, dass das gemeinsame Element "VITALIS" in der jüngeren Marke zusammen mit dem Bestandteil "SANKT" eine gesamtbegriffliche Einheit bildet, weshalb ihm keine eigenständig kennzeichnende Stellung zukommt.

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c) Auch eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne liegt nicht vor. Eine solche wird angenommen, wenn die Vergleichskennzeichnungen zwar als unterschiedlich und als solche verschiedener Unternehmen aufgefasst werden, jedoch gleichwohl aufgrund besonderer Umstände, insbesondere wegen ihrer teilweisen Übereinstimmung, geschlossen wird, dass zwischen den Unternehmen Beziehungen geschäftlicher, wirtschaftlicher oder organisatorischer Art bestehen. Von einer solchen Verwechslungsgefahr kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung regelmäßig nur dann ausgegangen werden, wenn die ältere Marke zugleich Unternehmenskennzeichen ist (BGH GRUR 2004, 598, 599 – Kleiner Feigling; GRUR 2004, 865, 867 - Mustang). Dies ist aber vorliegend nicht der Fall.