Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 29.02.2012


BPatG 29.02.2012 - 29 W (pat) 166/10

Markenbeschwerdeverfahren – Löschungsverfahren - "estatements" – kein Freihaltungsbedürfnis - Unterscheidungskraft


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
29. Senat
Entscheidungsdatum:
29.02.2012
Aktenzeichen:
29 W (pat) 166/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 306 43 373

(Löschungsverfahren S 149/09)

hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 29. Februar 2012 durch die Vorsitzende Richterin Grabrucker, die Richterin Kortge und die Richterin am Landgericht Uhlmann

beschlossen:

Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 28. April 2010 wird aufgehoben.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin der Wortmarke 306 43 373

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estatements

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die am 12. Juli 2006 angemeldet und am 19. März 2007 in das Markenregister für die Waren der

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Klasse 16:

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Druckereierzeugnisse, insbesondere Magazine, Kataloge, Broschüren und Bücher

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eingetragen worden ist.

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Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin hat am 18. Mai 2009 Antrag auf Löschung der Marke gemäß § 50 MarkenG i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG gestellt.

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Sie ist der Auffassung, der Marke fehle die Unterscheidungskraft. Der Begriff habe die Bedeutung "elektronisches Statement" und sei daher naheliegend für elektronische Zeitschriften und elektronische Dokumente, die Statements enthielten. Da das Wort Statement auch im Deutschen gebräuchlich sei, sei das Zeichen auch für gedruckte Magazine naheliegend, da diese immer Statements enthielten. Auch Druckerzeugnisse könnten elektronische Statements zum Inhalt haben. Die Markeninhaberin veröffentliche ihr unter der Marke erscheinendes Magazin auch elektronisch. Die Anmelderin habe die Worte estate und statement zu einem einheitlichen Zeichen verschmolzen. Das englische Wort estate sei dem Verkehr in seiner Bedeutung als Grundbesitz von "real estate" her bekannt. Das Zeichen enthalte daher eine Aussage über den Inhalt der Zeitschriften und Magazine, nämlich Immobiliendienstleistungen. Der Verkehr nehme es nicht als betrieblichen Herkunftshinweis wahr. Da der Begriff "estatements" auch rein beschreibend sei, sei er freihaltebedürftig.

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Die Marke ist durch Beschluss des DPMA vom 28. April 2010 wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG gelöscht worden.

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Das DPMA hat ausgeführt, die Begriffsbildung "estatements" sei zwar in deutsch- oder englischsprachigen Lexika nicht ermittelbar, werde aber in unterschiedlicher Schreibweise "E-Statements", "e-Statements", "eStatements", "Estatements", ESTATEMENTS verwendet. Sie werde entweder ausgehend von dem englischen Wort "Statement" in der Bedeutung "elektronische Verbreitung einer Erklärung" verstanden oder weise ausgehend von dem englischen Begriff "Estate" (Vermögen, Besitz, Grundstück) auf den Immobiliensektor hin. In beiden Bedeutungen sei der Begriff eine fachbegriffsähnliche Sachangabe, die bei Anbringung auf Druckereizeugnissen ohne weiteres als titelartiger Hinweis auf deren Inhalt verstanden werde. Als inhaltsbezogene Angabe sei er weder im Zeitpunkt der Eintragung als betrieblicher Herkunftshinweis geeignet gewesen, noch sei er im Zeitpunkt der Löschungsentscheidung hierzu geeignet.

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Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Markeninhaberin, mit der sie sinngemäß beantragt,

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den Beschluss des DPMA vom 28. April 2010 aufzuheben.

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Sie trägt vor, der Löschungsantrag sei unbegründet, da der Marke keine absoluten Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 MarkenG entgegenstünden.

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Es handele sich bei der Marke um ein Fantasiewort, dem ein für die Warengruppe beschreibender Inhalt nicht zukomme. Die Begriffe "estate" und "statements" gingen ineinander über, so dass ein neues und originelles Kunstwort entstanden sei.

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Soweit der Anfangsbuchstabe "e" mit elektronisch gleichgesetzt werde, sei er für die Gruppe Druckereierzeugnisse nicht beschreibend, da elektronische Statements gerade nicht in Druckform erschienen und von der Gruppe 16 nicht erfasst seien.

16

Auch Immobilienkreise, die mit den entsprechenden Fachausdrücken vertraut seien, nähmen das Zeichen nicht in seinen Einzelteilen wahr, sondern in seiner Gesamtheit als Wortneubildung und könnten den Bezug zu estate nicht ohne längere Überlegung erkennen. Der Begriff sei insbesondere wegen des letzten Buchstaben "s" ungewöhnlich, da zwar "estatement" einen fachbezogenen Inhalt haben könne, nicht aber die Pluralform "estatement s ", da diese nicht gebräuchlich sei. Der Begriff sei nicht sofort verständlich, sondern mehrdeutig und interpretationsbedürftig. Er werde vom Publikum nicht als Aneinanderreihung von Einzelbegriffen, sondern in seiner Gesamtheit als Wortneubildung verstanden. Er sei zu unbestimmt, um beschreibend zu wirken. Deshalb fehle auch das Freihaltebedürfnis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.

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Die Beschwerdegegnerin stellt den Antrag,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

19

Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren Vortrag im Amtsverfahren.

20

Zum weiteren Vortrag wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

21

Die Beschwerde ist gemäß § 66 Abs. 1 und 2 MarkenG zulässig und begründet. Die Löschung der Eintragung war rechtswidrig, da der angegriffenen Marke keine Schutzhindernisse entgegenstehen.

22

Nach § 50 Abs. 1 MarkenG ist eine Marke zu löschen, wenn sie entgegen § 8 MarkenG eingetragen worden ist und Eintragungshindernisse noch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde fortbestehen (§ 50 Abs. 2 Satz 1 MarkenG).

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Dies ist hier nicht der Fall.

24

1. Die Marke war bei Eintragung im Jahr 2007 unterscheidungskräftig im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.

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a. Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, welches die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (BGH GRUR 2010, 825, 826 Rdnr. 13 - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2006, 850, 854 Rdnr. 18 - FUSSBALL WM 2006; EuGH GRUR 2008, 608, 611 Rdnr. 66 f. - EUROHYPO). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten. Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. - FUSSBALL WM 2006; a. a. O. - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2009, 411 Rdnr. 8 - STREETBALL; 778, 779 Rdnr. 11 - Willkommen im Leben; 949 f. Rdnr. 10 - My World). Wortmarken besitzen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 674, 678 Rdnr. 86 - Postkantoor; BGH GRUR 2001, 1153 - anti KALK; GRUR 2005, 417, 418 - BerlinCard; a. a. O. Rdnr. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2009, 952, 953 Rdnr. 10 - DeutschlandCard) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die - etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien - stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2001, 1043, 1044 - Gute Zeiten - Schlechte Zeiten; BGH GRUR 2003, 1050, 1051 – Cityservice).

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b. Das Einwortzeichen "estatements" ist als Begriff weder im Deutschen noch im Englischen lexikalisch oder sonst nachgewiesen. Es handelt sich um eine Wortneubildung. Im Internet finden sich ähnliche Begriffe wie "e-Statements", "e-statements" oder "E-Statements", die Bankauszüge ("statements") in elektronischer Form oder in Form einer E-Mail bezeichnen.

27

Im Zusammenhang mit Immobilien ist der Begriff nur als Eigenname nachweisbar, nämlich neben der Zeitschrift der Beschwerdeführerin als Newsletter REAL ESTATEMENTS der Sch…….

28

Außerdem existiert eine im Jahr 2008 gegründete E… GmbH mit Sitz in H…, die sich mit Immobilienentwicklung und Projektmanagement beschäftigt, daneben ein Anbieter mit Namen "estatement" bei Ebay, der Antiquitäten und Vermögensgegenstände verkauft.

29

c. Die Marke enthält das englische Wort "statement", gleichzeitig aber auch das englische Wort "estate" in Verbindung mit der Nachsilbe"–ment".

30

aa. Der Begriff "statement" stammt aus der englischen Sprache und hat die Bedeutungen "Äußerung", "Erklärung", "Stellungnahme", "Verlautbarung", "Beschreibung", "Schilderung", "Aussage" (Pons, Großwörterbuch Englisch 1. Aufl. Stuttgart 2008). Er ist auch im Deutschen bekannt in den Bedeutungen "öffentliche Erklärung", "Verlautbarung" bzw. "Befehl", "Anweisung (für den Computer)" (Duden online).

31

bb. Das Wort "estate" bedeutet im Englischen "Grundbesitz", "Anwesen", "Vermögensmasse", "Nachlass", "Siedlung", aber auch "Stand", "Berufsstand", "Klasse" (Pons, Großwörterbuch Englisch 1. Aufl. Stuttgart 2008).

32

Im Deutschen ist es als Anglizismus noch nicht so geläufig, dass es in Fließtexten auftaucht. Es findet sich lediglich als Bestandteil von Firmennamen, die sich mit Vermögensanlage oder speziell Immobilien beschäftigen, aber auch von Firmen, die Brautmoden, Pfeifen, einen Nachtclub oder Fischprodukte vertreiben, außerdem für Weingüter im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Wein.

33

www.estate.de/: ESTATE – Kompetenz in Immobilien und Grundbesitz;

34

www.at-estate.net/: AT Estate steuert Vertriebsprozesse für die Immobilienprivatisierung

35

www. prime-estate-partners.de/: Prime Estate Partners

36

www.brautmodenestate.de/: Estate Brautmoden Kirchheim/Teck

37

www.estate-art-pipes.de/: Estate & Art Pipes

38

www.puls4.com/Club-Estate/Wiener-Neustadt/.../2496 - Österreich: Club Estate in Wiener-Neustadt…

39

www.eishken.at/: Eishken Estate hat sich ganz dem exzellenten Fisch…

40

www.salomonwines.com/estate/index.php: SALOMON ESTATE

41

Teilweise existiert es in Verbindung mit "real" als "real estate" für "Immobilien", "Grundbesitz". Viele Konzerne haben ihr Immobiliengeschäft in Tochtergesellschaften ausgegliedert, die den Begriff "real estate" im Namen tragen (H1…, H^2…, A……, B…).

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cc. Die englische Endung "-ment" ist im Deutschen verbreitet (Dokument, Element, Kompliment, Segment). Viele im Deutschen bekannte Begriffe mit dieser Endung stammen aus der englischen Sprache (Apartment, Management, Investment). Im Englischen dient sie der Substantiierung von Verben und bezeichnet den Vorgang oder das Ergebnis der Tätigkeit (judgement, acknowledgement); (wiktionary).

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dd. Als zusammengesetztes Wort ist die angegriffene Marke jedoch nach ihrem Gesamteindruck und nicht nach der zergliedernden Betrachtungsweise in zwei Teilen zu beurteilen. Denn das Publikum nimmt ein als Marke verwendetes Zeichen regelmäßig so auf, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer näheren analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (BGH GRUR 2001, 162 ff., RATIONAL SOFTWARE CORPORATION). Danach ist das Zeichen unterscheidungskräftig. Es enthält für Druckereierzeugnisse weder eine Sachangabe mit beschreibendem Inhalt, d. h. eine Titelangabe, noch einen unmittelbar in sonstiger Weise sofort verständlichen Begriffsinhalt, der in engem Bezug zu den beanspruchten Waren steht. Dabei ist hier für die Beurteilung der Unterscheidungskraft das allgemeine Publikum maßgeblich.

44

Diesem erschließt sich aus dem Zeichen keine auf der Hand liegende beschreibende Sachaussage für die beanspruchten Waren.

45

Die Bedeutung als "elektronische Bankauszüge" scheidet als Gegenstand des Druckereierzeugnisses aus, denn ein Bankauszug fällt nicht unter die Waren der Klasse 16.

46

Des weiteren ist das Wort "estate" in Zusammensetzung mit der Endsilbe "–ments" zusätzlich verfremdet, da nicht erkennbar ist, ob und wenn ja welche zusätzliche Bedeutung der Begriff "estate" hierdurch annehmen soll. Selbst derjenige Verbraucher, der mit dem Begriff "estate" die Bedeutung "(Immobilien)Vermögen" verbindet, erkennt auch nach näherer Überlegung nicht, ob tatsächlich das Thema "Vermögenswerte" Gegenstand der Druckereierzeugnisse ist und in welchem Zusammenhang es steht. Zahlreiche gedankliche Zwischenschritte wären von  Nöten, um zu einem Sinngehalt zu gelangen.

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2. Die angegriffene Marke ist auch nicht wegen eines absoluten Schutzhindernisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG schutzunfähig.

48

Danach sind von der Eintragung Marken ausgeschlossen, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geographischen Herkunft, der Zeit der Herstellung der Waren oder der Erbringung der Dienstleistungen oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Waren oder Dienstleistungen dienen können.

49

Die Vorschrift zielt darauf ab, dass alle Zeichen oder Angaben, die Merkmale der angemeldeten Waren oder Dienstleistungen beschreiben, von allen Unternehmen frei verwendet werden können und nicht aufgrund ihrer Eintragung als Ware einem Unternehmen vorbehalten werden. Als beschreibend in diesem Sinn können dabei auch sprachliche Neuschöpfungen angesehen werden, die aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzt sind, wenn für die Neuschöpfung selbst in ihrer Gesamtheit ein beschreibender Charakter feststellbar ist. Es genügt, wenn die fraglichen Zeichen zu diesem Zweck verwendet werden können (vgl. EuGH GRUR 1999, 723, 725 Rn. 25 - Chiemsee; GRUR 2004. 680, 681 Rn. 35,36 BIOMILD).

50

In Betracht kommen hier nur die Alternativen der Art und der Beschaffenheit. Das Zeichen hat aber für Druckereiwaren keinen beschreibenden Charakter. An einem unmittelbar beschreibenden Charakter für die körperlichen Druckereierzeugnisse fehlt es ohnehin. Es fehlt aber auch an einem inhaltsbezogenen Charakter, wie bereits bei der Frage der Unterscheidungskraft ausgeführt wurde.

51

Diese Feststellungen gelten für das Eintragungsdatum und auch für den Zeitpunkt der Entscheidung durch den Senat, § 50 Abs. 2 MarkenG.

52

Da weitere Schutzhindernisse nicht in Betracht kommen, ist der Beschwerde stattzugeben und der Beschluss der Markenstelle aufzuheben.