Entscheidungsdatum: 04.06.2012
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2008 016 626.6
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 18. April 2012 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Grabrucker, der Richterin Kortge und der Richterin am Landgericht Uhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
I.
Die Wortfolge
Bitterfeld Wolfen – Wir haben den Bogen raus
ist am 12. März 2008 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für nachfolgende Waren und Dienstleistungen angemeldet worden:
Klasse 9:
Datenträger jeder Art mit Bild, Ton und Informationen; Magnetaufzeichnungsträger, Compact Discs, Videos, MC's, CD-ROM's, DVD's, Schallplatten, elektronische Wert-, Geld-, Bonus- und Telefonkarten; Verkaufsautomaten; Brillen; Brillenetuis, Ferngläser, Fernrohre;
Klasse 16:
Papier, Pappe (Karton) und Waren aus diesen Materialien, soweit in Klasse 16 enthalten; Druckereierzeugnisse; Fotografien; Schreibwaren; Bücher, Bildbände, Stadtpläne, Fahrpläne, Abreißkalender, Fotokalender, Zeitschriftenmagazine, Zeitungen, Abziehbilder, Alben, Aufkleber, Stickers, soweit in Klasse 16 enthalten, Anzeigenkarten, Kalender, Kataloge, Postkarten, Prospekte, Fahnen und Wimpel aus Papier, Bierdeckel, Bilder und Plakate aus Papier und Pappe, Schreibgeräte, Schreibutensilien, Stempel;
Klasse 18:
Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit in Klasse 18 enthalten; Häute und Felle; Reise- und Handkoffer; Regenschirme, Sonnenschirme und Spazierstöcke; Peitschen, Pferdegeschirre und Sattlerwaren; Geldbörsen (nicht aus Edelmetall), Badetaschen, Campingtaschen, Schlüsseletuis aus Leder, Rucksäcke, Schuhbeutel aus Leder und Lederimitationen, soweit in Klasse 18 enthalten, Reisetaschen, Handtaschen, Sporttaschen;
Klasse 21:
Behälter und Geräte für den Haushalt und Küche; Kämme und Schwämme; Bürsten (mit Ausnahme von Pinseln); Bürstenmachermaterial; Putzzeug; Stahlwolle; rohes oder teilweise bearbeitetes Glas (mit Ausnahme von Bauglas); Glaswaren, Porzellan und Steingut, soweit in Klasse 21 enthalten; Bierkrüge, Biergläser, Flaschenöffner, Glasbehälter, Glasgefäße, Porzellanwaren, Schilder aus Porzellan oder Glas;
Klasse 25:
Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen;
Klasse 28:
Spiele, Spielzeug; Turn- und Sportartikel, soweit nicht in anderen Klassen enthalten; Christbaumschmuck; Spielbälle, Puppen (Spielwaren), Plüschtiere, Maskottchen, soweit in Klasse 28 enthalten;
Klasse 32:
Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken;
Klasse 33:
alkoholische Getränke (ausgenommen Biere);
Klasse 35:
Werbung, Geschäftsführung, Büroarbeiten; Dienstleistungen einer Kommune, nämlich Werbung, Geschäftsführung, Büroarbeiten, Verwaltung, nämlich Unternehmensverwaltung, soweit in Klasse 35 enthalten, kommerzielle Verwaltung der Lizenzierung von Waren und Dienstleistungen für Dritte, soweit in Klasse 35 enthalten; Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations); Fremdenverkehrswerbung; Dienstleistungen aus dem touristischen Bereich, nämlich Verteilung von Werbeprospekten und Werbemitteln aller Art sowie Verteilung von Warenmustern zu Werbezwecken; Öffentlichkeitsarbeit und Verbreitung von Werbeanzeigen über alle Medien im Zusammenhang mit allen touristischen Waren und Dienstleistungen; Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Marketing für Tourismusorganisationen und deren Dienstleistungen im Bereich Unterkunft, Reisen, Unterhaltung, Freizeit, Kultur und Gästeinformation; Werbung in gedruckter und digitaler Form und auf Internetplattformen, Werbung bei Veranstaltungen und Messen; Organisation von Ausstellungen und Messen für wirtschaftliche Zwecke; Vermietung von Werbeflächen; Merchandising-Verkaufsförderung; Stadtmarketing; Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen für die vorgenannten Waren der Klassen 09, 16, 18, 21, 25, 28, 32, 33;
Klasse 36:
Immobilienwesen; Vermietung/Verpachtung von Immobilien; Vermietung und Verpachtung von Grundstücken, Gebäuden, Wohnungen;
Klasse 38:
Telekommunikation, Bereitstellen des Zugriffs auf Informationen im Internet; Bereitstellen von Portalen im Internet; Ausstrahlung von TV- und Rundfunksendungen;
Klasse 39:
Vermietung von Parkplätzen und Parkhäusern; Transportwesen;
Klasse 41:
Erziehung; Ausbildung; Unterhaltung; sportliche und kulturelle Aktivitäten; kulturelle, touristische und sportliche Veranstaltungen, soweit in Klasse 41 enthalten; Dienstleistungen bezüglich Freizeitgestaltung, Ticketvorverkauf für sportliche Wettkämpfe und kulturelle Veranstaltungen; Betrieb von Sportanlagen; Betrieb von zoologischen Gärten, digitaler Bilderdienst; Erstellen von Ton- und Bildreportagen; Fotografieren; Organisation und Durchführung von Kultur- und Sportveranstaltungen, Großveranstaltungen (Unterhaltung) sowie Volks- und Stadtfesten; Vermietung von Stadien; Vermietung von Kultur-, Freizeit-, Sport- und Erholungsstätten;
Klasse 42:
wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen; Stadtplanung, technische Beratungsdienstleistungen, Umweltschutzberatung, Verkehrsplanung, nämlich Bauplanung und technische Planung von Verkehrssystemen, soweit in Klasse 42 enthalten, Beratung auf dem Gebiet der Energieeinsparung, Bauberatung, Dienstleistungen eines Bauträgers, nämlich technische Vorbereitung von Bauvorhaben, Dienstleistungen von Ingenieuren, Landvermessung, sozialwissenschaftliche Beratung, technische Beratung; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software; Aktualisieren von Internetseiten; Design von Homepages und Webseiten; Dienstleistungen einer Zertifizierungsstelle (Trust-Center), nämlich Ausgabe und Verwaltung von digitalen Schlüsseln und digitalen Unterschriften; elektronische Datenspeicherung; Serveradministration;
Klasse 43:
Dienstleistungen zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen, Vermittlung von Ferienunterkünften mit und ohne Verpflegung; Vermietung von Unterkünften (Gästezimmern, Ferienwohnungen, Hotelzimmern) mit und ohne Verpflegung; Dienstleistungen einer Kinderkrippe.
Mit Beschlüssen vom 22. Juli 2009 und 14. Dezember 2009, letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen, hat die Markenstelle für Klasse 35 die Anmeldung gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das Zeichen setze sich aus dem Namen der am 1. Juli 2007 gegründeten Stadt "Bitterfeld – Wolfen" und dem durch Gedankenstrich verbundenen Slogan "Wir haben den Bogen raus" mit der Bedeutung "wissen, wie man etwas machen muss" zusammen. Damit handele es sich um die Kombination einer geografischen Angabe mit einem bekannten und in der Werbung häufig verwendeten Slogan (Anlagen A 1 bis A 7 zum Erstbeschluss, Bl. 35 – 41 VA), dem keine schutzbegründende Prägnanz oder Originalität zugesprochen werden könne. Eine Bezugnahme auf den Bitterfelder Bogen erfordere gedankliche Zwischenschritte, die die angesprochenen allgemeinen inländischen Verkehrskreise erfahrungsgemäß nicht vornähmen. Es sei zudem nicht davon auszugehen, dass diesen der Bitterfelder Bogen bekannt sei und sie dem Slogan aus diesem Grunde besondere Originalität zumäßen. Der Verkehr werde das angemeldete Zeichen in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen lediglich als beschreibenden Hinweis auf den Inhalt, den Herkunfts- oder Vertriebsort der Waren bzw. den Erbringungsort der Dienstleistungen mit einer üblichen werbemäßigen Anpreisung deren qualitativer Hochwertigkeit wahrnehmen. Von einer die Schutzfähigkeit begründenden geringen Bekanntheit der Stadt Bitterfeld-Wolfen sei aufgrund des den deutschen Verkehrskreisen bekannten Namensbestandteils "Bitterfeld" nicht auszugehen. Die angemeldete Wortfolge sei mit der teilweise aufgrund ihres emotionalen Appells an ein regionales Zusammengehörigkeitsgefühl für eintragungsfähig erklärten Marke "Zusammen sind wir Thüringen" (BPatG 29 W (pat) 118/06) nicht vergleichbar, da hier der Ort Bitterfeld–Wolfen im Vordergrund stehe, dem ein gebräuchlicher Werbeslogan nachgestellt werde. Die angemeldete Wortfolge sei auch mit der Marke 303 18 266 "hat den Bogen raus" nicht vergleichbar, da bei ihr das Fehlen des Subjekts im Satz ungewöhnlich sei und dem Zeichen daher Originalität verleihe. Im Übrigen könne auch aus vergleichbaren Voreintragungen kein Rechtsanspruch auf Eintragung einer Marke abgeleitet werden, da es sich bei der Frage der Eintragungsfähigkeit einer Marke um eine Rechts- und nicht um eine Ermessensfrage handele.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie beantragt,
die Beschlüsse des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 22. Juli 2009 und 14. Dezember 2009 aufzuheben.
Sie vertritt die Ansicht, das Element "Bitterfeld-Wolfen" der angemeldeten Wortfolge sei für die hier relevanten Verkehrskreise entweder eine Ortsangabe, der Name einer (neuen) Gebietskörperschaft oder die geschäftliche Bezeichnung von Unternehmungen der gleichnamigen Stadt. Es liege daher eine geteilte Verkehrsauffassung vor. Die relevanten Verkehrskreise würden im Zusammenhang mit den beanspruchten, üblicherweise von einer Stadtverwaltung oder städtischen Unternehmen erbrachten Dienstleistungen nebst den Waren einen eindeutigen Bezug zur Stadt Bitterfeld-Wolfen als Dienstleisterin und nicht zur Ortsangabe herstellen. Ferner sei die angemeldete Wortfolge für denjenigen Teil der Verkehrskreise, der das neue Wahrzeichen der Stadt Bitterfeld-Wolfen, nämlich den "Bitterfelder-Bogen" (Anlage 1, Bl. 16 GA) kenne, ein originelles Wortspiel, welches den Wiedererkennungswert steigere. Da der "Bitterfelder Bogen" auch im offiziellen Stadtlogo (Anlage 2, Bl. 17 GA) und in der entsprechenden Wort-/Bildmarke 307 19 930 "Bitterfeld-Wolfen" (Anlage 3, Bl. 20 f. GA) erkennbar sei, bestehe ein starker sachlicher Bezug zum Anmeldezeichen, der seine Kennzeichnungskraft deutlich steigere. Eine vergleichbare Eintragung neben "hat den Bogen raus" (303 18 266) sei auch die Marke (399 69 566).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
1. Der Eintragung der Wortfolge "Bitterfeld Wolfen – Wir haben den Bogen raus" als Marke gemäß §§ 33 Abs. 2, 41 MarkenG steht in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen das absolute Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entgegen, so dass die Markenstelle die Anmeldung zu Recht und mit zutreffender Begründung zurückgewiesen hat.
a) Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2008, 608, 611 Rdnr. 66 f. – EUROHYPO; BGH GRUR 2010, 825, 826 Rdnr. 13 – Marlene-Dietrich-Bildnis II; 935 Rdnr. 8 – Die Vision; GRUR 2006, 850, 854 Rdnr. 18 - FUSSBALL WM 2006). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2006, 233, 235 Rdnr. 45 - Standbeutel; 229, 230 Rdnr. 27 - BioID; a. a. O. Rdnr. 66 - EUROHYPO; BGH GRUR 2008, 710 Rdnr. 12 - VISAGE; GRUR 2009, 949 Rdnr. 10 - My World; a. a. O. - FUSSBALL WM 006; GRUR 2005, 417, 418 - BerlinCard;). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH MarkenR 2012, 19 Rdnr. 8 – Link economy; GRUR 2010, 1100 Rdnr. 10 – TOOOR!; a. a. O. - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2009, 411 Rdnr. 8 - STREETBALL; 778, 779 Rdnr. 11 - Willkommen im Leben; 949 f. Rdnr. 10 - My World; a. a. O. - FUSSBALL WM 2006).
Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411, 412 Rdnr. 24 - Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 943, 944 Rdnr. 24 - SAT 2; BGH a. a. O. – Die Vision; 825, 826 Rdnr. 13 – Marlene-Dietrich-Bildnis II; a. a. O. - FUSSBALL WM 2006). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428, 431 Rdnr. 53 - Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; MarkenR 2000, 420, 421 - RATIONAL SOFTWARE CORPORATION).
Ausgehend hiervon besitzen Wortmarken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2004, 674, 678 Rdnr. 86 – Postkantoor; BGH GRUR 2009, 952, 953 Rdnr. 10 - DeutschlandCard; a. a. O. 854 Rdnr. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417, 418 – BerlinCard; a. a. O. - marktfrisch; GRUR 2001, 1153 - anti KALK) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die – etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH a. a. O. - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050, 1051 - Cityservice; GRUR 2001, 1043, 1044 - Gute Zeiten – Schlechte Zeiten).
Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und die sich damit in einer beschreibenden Angabe erschöpfen (BGH a. a. O. 1102 Rdnr. 23 – TOOOR!; a. a. O. 855 Rdnr. 28 f. - FUSSBALL WM 2006). Dabei gilt, dass je bekannter der beschreibende Begriffsgehalt für die Waren oder Dienstleistung ist, desto eher wird er auch nur als solcher erfasst, wenn er im Zusammenhang mit der Kennzeichnung der Ware oder Dienstleistung in Erscheinung tritt (BPatG GRUR 2007, 58, 60 – BuchPartner). Hierfür reicht es aus, dass ein Wortzeichen, selbst wenn es bislang für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht beschreibend verwendet wurde oder es sich gar um eine sprachliche Neuschöpfung handelt, in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen bezeichnen kann (EuGH GRUR 2004, 146, 147 f. Rdnr. 32 - DOUBLEMINT; 674, 678 Rdnr. 97 - Postkantoor; 680, 681 Rdnr. 38 - BIOMILD; GRUR 2003, 58, 59 Rdnr. 21 - Companyline); dies gilt auch für ein zusammengesetztes Zeichen, das aus mehreren Begriffen besteht, die nach diesen Vorgaben für sich genommen schutzunfähig sind, sofern das Gesamtzeichen nicht infolge einer ungewöhnlichen Veränderung – etwa syntaktischer oder semantischer Art – hinreichend weit von der bloßen Zusammenfügung ihrer schutzunfähigen Bestandteile abweicht (EuGH MarkenR 2007, 204, 209 Rdnr. 77 f. – CELLTECH; a. a. O. Rdnr. 29 - BioID; a. a. O. Rdnr. 98 - Postkantoor; a. a. O. Rdnr. 39 f. – BIOMILD; a. a. O. Rdnr. 28 – SAT 2).
Von diesen Grundsätzen ist auch bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft von (sloganartigen) Wortfolgen auszugehen, ohne dass unterschiedliche Anforderungen an die Unterscheidungskraft von Wortfolgen gegenüber anderen Wortzeichen gerechtfertigt sind (EuGH GRUR 2010, 228, 231 Rdnr. 36 - Vorsprung durch Technik; GRUR 2004, 1027, 1029 Rdnr. 32 u. 36, 1030 Rdnr. 44 - DAS PRINZIP DER BEQUEMLICHKEIT; BGH a. a. O. Rdnr. 12 - My World; GRUR 2009, 778, 779 Rdnr. 12 - Willkommen im Leben; a. a. O. Rdnr. 9 – Die Vision). Vielmehr ist in jedem Fall zu prüfen, ob die Wortfolge einen ausschließlich produktbeschreibenden Inhalt hat oder ihr über diesen hinaus eine, wenn auch noch so geringe Unterscheidungskraft für die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen zukommt (BGH a. a. O. – My World, Willkommen im Leben u. Die Vision). Selbst wenn aber Marken, die aus Zeichen oder Angaben bestehen, die sonst als Werbeslogans, Qualitätshinweise oder Aufforderungen zum Kauf der in Bezug genommenen Waren und Dienstleistungen verwendet werden, eine Sachaussage in mehr oder weniger großem Umfang enthalten, ohne unmittelbar beschreibend zu sein, können sie dennoch geeignet sein, den Verbraucher auf die betriebliche Herkunft der in Bezug genommenen Waren oder Dienstleistungen hinzuweisen (EuGH a. a. O. Rdnr. 56 – Vorsprung durch Technik). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn diese Marken nicht nur in einer gewöhnlichen Werbemitteilung bestehen, sondern eine gewisse Originalität oder Prägnanz aufweisen, ein Mindestmaß an Interpretationsaufwand erfordern oder bei den angesprochenen Verkehrskreisen einen Denkprozess auslösen (EuGH a. a. O. Rdnr. 57 – Vorsprung durch Technik; BGH a. a. O. – My World).
b) Diesen Anforderungen an die Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG genügt die Wortfolge "Bitterfeld Wolfen – Wir haben den Bogen raus" für die angemeldeten Waren und Dienstleistungen nicht. Denn in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen ist sie weder mehrdeutig, noch regt sie zum Nachdenken an. Sie weist aus der Sicht der angesprochenen breiten inländischen Verkehrskreise vielmehr auf den Herkunfts- und Vertriebsort der in Rede stehenden Waren oder den Erbringungsort der fraglichen Dienstleistungen sowie auf deren damit verbundene besondere Qualität hin. Dieser im Vordergrund stehende, diese Waren und Dienstleistungen beschreibende Begriffsinhalt ist ohne einen besonderen gedanklichen Aufwand zu erkennen.
aa) Die angemeldete Bezeichnung setzt sich sprachüblich aus Wörtern der deutschen Alltagssprache, nämlich der geographischen Herkunftsangabe "Bitterfeld-Wolfen" sowie dem grammatikalisch korrekt gebildeten Satz "Wir haben den Bogen raus" zusammen, wobei das Wort "heraus" am Satzende umgangssprachlich verkürzt ist.
aaa) "Bitterfeld-Wolfen" ist die größte Stadt im Landkreis Anhalt-Bitterfeld, die am 1. Juli 2007 durch die Fusion der ursprünglich eigenständigen Städte Bitterfeld und Wolfen sowie der Gemeinden Greppin, Holzweißig und Thalheim entstand. Diese im Bundesland Sachsen-Anhalt 25 km nordöstlich von Halle (Saale) und 35 km nördlich von Leipzig gelegene Stadt befindet sich im Naturraum Bitterfelder Bergbaurevier (http://de.wikipedia.org/wiki/Bitterfeld-Wolfen). Bitterfeld mit seinem Bergbau und der dort angesiedelten chemischen Industrie sind auch weiten Teilen der westdeutschen Bevölkerung bekannt.
bbb) Das weitere Zeichenelement "Wir haben den Bogen raus" ist ein Slogan mit der Bedeutung "wissen, wie etwas gemacht wird" bzw. "eine Sache meistern" (Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. 2006 [CD-ROM]; Duden, Das große Buch der Zitate und Redewendungen, 2002; Schemann, Hans: Deutsche Idiomatik - Wörterbuch der deutschen Redewendungen im Kontext, 2. Aufl. 2011; Köster, Rudolf, Redensarten - Herkunft und Bedeutung, 1999). Der Slogan bringt daher zum Ausdruck, dass dem Subjekt eine besondere Qualifikation zukommt. In diesem Sinne wird die Redewendung auch schon von anderen Städten verwendet, wie z. B. "DIE SOZIALE STADT BRUCHSAL Wir haben den Bogen raus" (Bl. 28 GA), "Melle – Wir haben den Bogen raus!" (http://www.xing.com/net/melle, Bl. 29 GA) und "SELB WIR HABEN DEN BOGEN RAUS." (Information der AKTIVEN BÜRGER 07/2008, Bl. 30 ff. GA). Der Ausdruck wird aber auch von zahlreichen Unternehmen verwendet, um auf ihre besondere Befähigung oder die herausgehobene Qualität ihrer Produkte hinzuweisen, wie neben der Amtsrecherche (Anlagen A 1 bis A 7 zum Erstbeschluss, Bl. 35 –41 VA) auch eine Internetrecherche des Senats ergeben hat:
- ATHESIA DRUCK. MIT HIGHTECH ZUR TOP QUALITÄT PRODUKTION – BOGENOFFSET WIR HABEN DEN "BOGEN" RAUS..." (http://www.athesiadruck.it/de, Bl. 35 GA);
- "Besser mulchen – wir haben den Bogen raus" für Mähmaschinen (Bl. 38 GA);
- "businessvitality Personalentwicklung auf den Punkt gebracht Wir haben den Bogen raus (http://www.business-vitality.eu/, Bl. 39 GA);
- "BIKAR-ALUMINIUM GmbH – Werk II ... Hier fertigen wir Präzisionsplatten für den Werkzeug-, Formen- und Modellbau Wir haben den Bogen raus. (http://www.bikar-aluminium.com/, Bl. 40 GA);
- "MESSE-DESIGN Wir haben den Bogen raus ... Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung haben wir den Bogen raus, wie sich mit ökonomischem Einsatz von Mittel und Material Ihre Ziele erreichen lassen. ..." (http://www.hasenmaile.de/messen-events/, Bl. 41 GA);
- "SAND textiles wohnen … Wir haben den Bogen raus – Individuelle Raumgestaltung …” (Bl. 42 GA);
- "Poppen-gmbH.de ... Wir haben den Bogen raus." (Bl. 43 GA);
- "Druckerei Herzig AG – Druckproduktion Voll im Druck Wir haben den Bogen raus: im Offset- und im Buchdruck ..." (Bl. 44 GA);
- "olbrich installation ... Qualität und Zuverlässigkeit interessieren Sie nicht, ... Uns schon! Innovative Heizsysteme, moderne Bäder sind unser Aufgabengebiet. ... Wir haben den Bogen raus! ..." (http://www.olbrich-installation.de, Bl. 45 GA).
ccc) Der vom Frankfurter Architekten und Künstler Claus Bury im Jahre 2006 auf dem Bitterfelder Berg erschaffene und von weitem sichtbare 28 Meter hohe, 14 Meter breite und 81 Meter lange sog. "Bitterfelder Bogen" mit Aussichtsplattform, das Wahrzeichen der Stadt Bitterfeld-Wolfen, das an eine große Baggerschaufel aus dem Braunkohlebergbau erinnert (http://de.wikipedia.org/wiki/Bitterfeld-Wolfen; http://www.bitterfeld-wolfen.de, Bl. 47 GA) verfügt nur über einen lokal begrenzten Bekanntheitsgrad, so dass sich dem größten Teil der angesprochenen Verkehrskreise das in der Wortfolge enthaltene Wortspiel nicht erschließen kann. Das Gleiche gilt für die für die Anmelderin eingetragene Wort-/Bildmarke "Bitterfeld-Wolfen" (30719930, Bl. 21 f. GA) mit der skizzenhaften Darstellung dieses Bogens. Hinzu kommt, dass ein solches Wortspiel auch von anderen Städten und Unternehmen mit der Wortfolge "Wir haben den Bogen raus" genutzt wird, so dass auch das Wortspiel keine betriebskennzeichnende Wirkung entfalten kann. Die Stadt Bruchsal weist mit dem Slogan auf ein Jugendprojekt zum Bogenbau aus Holz hin. Die Stadt Selb verwendete den Werbespruch, weil sie im Jahre 2008 beabsichtigte, ein Stadttor in Form eines Regenbogens errichten zu lassen, und die Druckereiunternehmen "ATHESIA DRUCK" und "Druckerei Herzig AG" nehmen mit dem Slogan in anspielender Weise Bezug auf die von ihnen bedruckten Papierbögen.
bb) In seiner Gesamtbedeutung "Bitterfeld-Wolfen – Wir haben den Bogen raus" dient die angemeldete Wortfolge daher zur beschreibenden Angabe des Herkunfts- oder Betriebsortes der beanspruchten Waren, des Erbringungsortes der in Rede stehenden Dienstleistungen sowie zur Bezeichnung ihrer Beschaffenheit. Denn sie ist dahingehend zu verstehen, dass die fraglichen Waren und Dienstleistungen in der Stadt Bitterfeld-Wolfen hergestellt und/oder angeboten sowie erbracht werden und aufgrund der besonderen Befähigung bzw. des Know-Hows der in der Stadt angesiedelten Hersteller- oder Vertriebs- und Dienstleistungsunternehmen eine hohe Qualität aufweisen. Dieser Begriffsgehalt der sloganartigen Wortfolge erschließt sich dem angesprochenen breiten inländischen Publikum sofort und ohne besonderen analytischen Aufwand.
cc) Sämtliche beanspruchten Waren, nämlich Datenträger, Verkaufsautomaten und optische Hilfsmittel der Klasse 9, Druckereierzeugnisse, Papier- und Schreibwaren der Klasse 16, Leder- und Sattlerwaren, Schirme, Stöcke und Reisebedarfsartikel der Klasse 18, Haushaltsgeräte und –behälter, Glas- und Porzellanwaren, Kämme, Schwämme, Bürsten, Bürstenmachermaterial und Putzzeug der Klasse 21, Bekleidung der Klasse 25, Spielwaren und Christbaumschmuck der Klasse 28, nichtalkoholische und alkoholische Getränke der Klassen 32 und 33 können in der Stadt Bitterfeld teilweise hergestellt und/oder vollumfänglich vertrieben und deren herausgehoben Qualität angepriesen werden. Alle angemeldeten Dienstleistungen aus den Bereichen der Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung, Büroarbeiten (Klasse 35), des Immobilienwesens (Klasse 36), der Telekommunikation (Klasse 38), der Parkraumvermietung und des Transportwesens (Klasse 39), der Erziehung, Ausbildung, Unterhaltung, sportlichen und kulturellen Aktivitäten (Klasse 41), der wissenschaftlichen, technologischen, Beratungs-, Bau- und Computerdienstleistungen (Klasse 42) sowie Verpflegungs-, Beherbergungs- und Betreuungsdienstleistungen (Klasse 43) können in der Stadt Bitterfeld-Wolfen angeboten, erbracht und mit dem Hinweis auf die besondere Qualifikation und Kompetenz der Erbringer beworben werden.
dd) Die um Schutz nachsuchende Wortfolge kann mit der für eintragungsfähig erklärten Marke "Zusammen sind wir Thüringen" (BPatG 29 W (pat) 118/06) nicht gleichgestellt werden, weil hier "Bitterfeld–Wolfen" als Herkunfts-, Vertriebs- und Erbringungsort im Vordergrund steht und der nachgestellte Werbeslogan nur eine gebräuchliche Qualitätsberühmung darstellt. Der Aussagegehalt in der Wortfolge "Zusammen sind wir Thüringen" bringt in erster Linie ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zum Ausdruck, das nicht sofort einen Bezug zu Waren oder Dienstleistungen erkennen lässt.
c) Da es der angemeldeten Bezeichnung hinsichtlich der in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen an jeglicher Unterscheidungskraft mangelt, kann dahingestellt bleiben, ob ihrer Eintragung auch ein schutzwürdiges Interesse der Mitbewerber an ihrer freien Verwendbarkeit entgegen steht (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG).
2. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf die beiden eingetragenen Marken mit der übereinstimmenden Wortfolge "hat den Bogen raus" beruft, kann dies einen Eintragungsanspruch ebenfalls nicht begründen.
Zwar kann eine uneinheitliche Entscheidungspraxis des DPMA, die dazu führt, dass in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen wesentlich gleiche Sachverhalte ohne nachvollziehbaren Grund ungleich behandelt worden sind, grundsätzlich eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 GG darstellen. Dies setzt aber voraus, dass sich die bisherige Amtspraxis als willkürlich herausstellt und nicht erkennen lässt, welche der vorangegangenen Entscheidungen rechtmäßig und welche rechtswidrig waren (BPatG 29 W (pat) 43/04 – juris Tz. 15 – print24). Allein aus einer oder wenigen vorangegangenen Entscheidungen lässt sich noch nicht der Vorwurf einer willkürlichen Ungleichbehandlung ableiten, zumal es sich um rechtswidrig vorgenommene Eintragungen oder Eintragungen vor Eintritt einer Richtlinien- oder Rechtsprechungsänderung handeln kann. Niemand kann sich auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung zugunsten eines anderen berufen, um eine identische Entscheidung zu erlangen (EuGH GRUR 2009, 667, 668 Rdnr. 18 – Volks.Handy, Volks.Camcorder, Volks.Kredit und SCHWABENPOST). Für die erforderliche Bereinigung des Markenregisters sieht das Gesetz das Löschungsverfahren vor, das von jedermann eingeleitet werden kann.
Die beiden von der Anmelderin angeführten Voreintragungen sind nicht vergleichbar.
Die Wort-/Bildmarke enthält ein charakteristisches Bildelement, und ist für andere Dienstleistungen, nämlich solche der Klasse 40, eingetragen. Zudem stammt die Eintragung vom 17. März 2000 und ist daher bereits über 12 Jahre her. Auch die Wortmarke "hat den Bogen raus" weist durch das Fehlen des Subjekts eine Eigentümlichkeit auf, die der verfahrensgegenständlichen Wortfolge fehlt. Sie ist außerdem für andere Waren der Klassen 6 und 19, nämlich für Gewächshäuser aus Metall und nicht aus Metall, eingetragen, und auch ihre am 22. Juli 2003 erfolgte Eintragung liegt schon fast neun Jahre zurück.
Aber selbst wenn eine Vergleichbarkeit der beiden Marken zu bejahen wäre, ließe sich aus diesen wenigen Voreintragungen noch nicht der Vorwurf einer willkürlichen Ungleichbehandlung ableiten.