Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 20.07.2016


BPatG 20.07.2016 - 28 W (pat) 65/13

Markenbeschwerdeverfahren – Löschungsverfahren - "STEVIA SWEET" – keine Unterscheidungskraft


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
28. Senat
Entscheidungsdatum:
20.07.2016
Aktenzeichen:
28 W (pat) 65/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2011 007 813

(Löschungsverfahren S 144/12 und S 235/12)

hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kortbein, die Richterin Uhlmann und den Richter Dr. Söchtig auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juli 2016

beschlossen:

Der Beschluss der Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. Juni 2013 wird aufgehoben, soweit der Antrag der Löschungsantragstellerin zu 2) auf Löschung der Eintragung der Marke 30 2011 007 813 für die Waren

Klasse 29: Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte; tiefgefrorenes, konserviertes, getrocknetes und gekochtes Gemüse; Eier, Milch; Speiseöle und -fette

zurückgewiesen worden ist. Im Umfang der genannten Waren wird die Löschung der Eintragung der Marke 30 2011 007 813 angeordnet.

Die Beschwerde der Markeninhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Wortmarke

2

STEVIA SWEET

3

ist am 22. März 2011 angemeldet und am 21. April 2011 für die folgenden Waren in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden:

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„Klasse 03: Wasch- und Bleichmittel; Putz-, Polier-, Fettentfernungs- und Schleifmittel; Seifen; Parfümeriewaren, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Haarwässer; Zahnputzmittel;

5

Klasse 05: Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; Hygienepräparate für medizinische Zwecke; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Babykost; Pflaster, Verbandmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von schädlichen Tieren; Fungizide, Herbizide; diätetische Erzeugnisse oder Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke auf der Basis von Mineralien, Mineralstoffen und Spurenelementen;

6

Klasse 29: Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte; tiefgefrorenes, konserviertes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse; Gallerten (Gelees), Konfitüren, Kompotte; Eier, Milch und Milchprodukte; Speiseöle und -fette, diätetische Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel für nicht medizinische Zwecke auf der Basis von Eiweißen oder Fetten;

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Klasse 30: Kaffee, Tee, Kakao, Zucker, Reis, Tapioka, Sago, Kaffeeersatzmittel; Mehle und Getreidepräparate, Brot, feine Backwaren und Konditorwaren, Speiseeis; Honig, Melassesirup; Hefe, Backpulver; Salz, Senf; Essig, Saucen (Würzmittel); Gewürze; Kühleis; diätetische Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel für nicht medizinische Zwecke auf der Basis von Ballaststoffen, Kohlenhydraten oder Proteinen;

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Klasse 32: Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken“.

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Gegen die Eintragung dieser Marke haben die Beschwerdeführerin zu 1) und die Beschwerdegegnerin zu 2) Löschungsanträge gestellt.

10

Die Beschwerdeführerin zu 1) hat am 6. September 2012 beim Deutschen Patent- und Markenamt Antrag auf Löschung der Eintragung der Marke 30 2011 007 813 „STEVIA SWEET“ wegen Vorliegens des Schutzhindernisses gemäß § 8 MarkenG gestellt, der unter dem Aktenzeichen S 235/12 geführt wurde. Die Markeninhaberin hat dem ihr am 17. September 2012 zugestellten Löschungsantrag am 8. Oktober 2012 widersprochen.

11

Die Beschwerdegegnerin zu 2) hat am 13. Juni 2012 beim Deutschen Patent- und Markenamt ebenfalls die Löschung der Eintragung der Marke 30 2011 007 813 „STEVIA SWEET“ beantragt und geltend gemacht, die Eintragung sei entgegen § 8 MarkenG erfolgt. Der Löschungsantrag wurde unter dem Aktenzeichen S 144/12 geführt. Die Markeninhaberin hat gegen den ihr am 25. Juni 2012 zugestellten Löschungsantrag am 24. August 2012 Widerspruch eingelegt.

12

Mit Beschluss vom 22. Juni 2013 hat die Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamts die Löschungsverfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und die Löschung der Eintragung der angegriffenen Marke für die folgenden Waren angeordnet:

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Klasse 05: Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Babykost; diätetische Erzeugnisse oder Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke auf der Basis von Mineralien, Mineralstoffen und Spurenelementen;

14

Klasse 29: tiefgefrorenes, konserviertes, getrocknetes und gekochtes Obst; Gallerten (Gelees), Konfitüren, Kompotte; Milchprodukte; diätetische Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel für nicht medizinische Zwecke auf der Basis von Eiweißen oder Fetten;

15

Klasse 30: Kaffee, Tee, Kakao, Zucker, Reis, Tapioka, Sago, Kaffeeersatzmittel; Mehle und Getreidepräparate, Brot, feine Backwaren und Konditorwaren, Speiseeis; Honig, Melassesirup; Hefe, Backpulver; Senf; Essig, Saucen (Würzmittel); Gewürze; Kühleis; diätetische Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel für nicht medizinische Zwecke auf der Basis von Ballaststoffen, Kohlenhydraten oder Proteinen;

16

Klasse 32: Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken“.

17

Im Übrigen hat sie die Löschungsanträge zurückgewiesen. Auch dem Kostenantrag der Beschwerdegegnerin zu 2) wurde nicht entsprochen.

18

Zur Begründung hat die Markenabteilung 3.4 ausgeführt, die angegriffene Marke sei für die gelöschten Waren gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG schutzunfähig. „STEVIA SWEET“ könne zwar nicht im Sinne von „mit Stevia gesüßt“ verstanden werden, habe aber die adjektivische bzw. die substantivische Bedeutung „steviasüß“ bzw. „Stevia Dessert, Stevia Nachspeise, Stevia Süße, Stevia Süßspeise“. Damit sei die Wortfolge eine unmittelbar beschreibende Sachangabe für die gelöschten Waren. Denn dabei könne es sich um solche handeln, die nicht zuckersüß, sondern steviasüß seien oder die Steviasüße enthielten. Gleichzeitig fehle dem Zeichen für alle gelöschten Waren die Unterscheidungskraft, da der angesprochene Verkehr in ihm ausschließlich einen sachbezogenen Hinweis erkenne. Dagegen sei das Zeichen für die nicht gelöschten Waren in den Klassen 3 und 5 schutzfähig, da es sich dabei nicht um verzehrbare Waren handele, bei denen sich die Frage der Süßung nicht stelle. Gleiches gelte für die Waren der Klasse 29 „Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte“, die reine Rohwaren seien, bei denen eine vorhergehende Süßung ausgeschlossen sei.

19

Hiergegen wendet sich die beschränkte Beschwerde der Löschungsantragstellerin zu 2). Sie trägt vor, die angegriffene Marke sei auch für die Waren der Klasse 29 „Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte; tiefgefrorenes, konserviertes, getrocknetes und gekochtes Gemüse; Eier, Milch, Speiseöle und -fette“ beschreibend, weil diese ebenfalls gesüßt sein könnten und der Verkehr deshalb die gegenständliche Wortfolge „STEVIA SWEET“ als Hinweis auf das enthaltene Süßungsmittel verstehen werde. Unter „Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild“ fielen auch behandelte Waren, die mariniert, gepökelt, geräuchert oder getrocknet sein könnten. Entscheidend sei, ob die ursprüngliche Produktform fortbestehe. Somit sei die Marke auch für die genannten Waren der Klasse 29 freihaltebedürftig und nicht unterscheidungskräftig. Soweit sie nicht gesüßt angeboten würden, sei die Wortkombination jedenfalls täuschend und die Eintragung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG zu löschen. Die Beschwerdeführerin zu 1) hat ergänzend Recherchebelege zur Verwendung von Stevia bzw. zur Süßung von Produkten eingereicht.

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Die Löschungsantragstellerin zu 2) und Beschwerdeführerin zu 1) stellt sinngemäß den Antrag,

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den Beschluss der Markenabteilung 3.4. vom 22. Juni 2013 aufzuheben, soweit der Löschungsantrag für die Waren „Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte; tiefgefrorenes, konserviertes, getrocknetes und gekochtes Gemüse; Eier, Milch, Speiseöle und -fette“ zurückgewiesen worden ist, und die Löschung der Eintragung der Marke 30 2011 007 813 auch für diese Waren anzuordnen.

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Die Markeninhaberin und Beschwerdeführerin zu 2) stellt sinngemäß den Antrag,

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1. die Beschwerde der Löschungsantragstellerin zu 2) zurückzuweisen und

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2. den Beschluss der Markenabteilung 3.4. vom 22. Juni 2013 aufzuheben, soweit die Löschung der Eintragung der Marke 30 2011 007 813 angeordnet worden ist, und die Löschungsanträge auch insoweit zurückzuweisen.

25

Sie hat sich im Beschwerdeverfahren zur Sache nicht geäußert. Im Amtsverfahren hat sie vorgetragen, die Wortfolge bestehe aus dem Gesamtbegriff „STEVIA SÜß“, dies stelle aber keine unmittelbar beschreibende Angabe dar. Der Begriff könne nicht mit „STEVIA Süßungsmittel“ gleichgesetzt werden, weil der englische Begriff für „Süßungsmittel“ „sweetener“ und nicht „sweet“ sei. Auch werde der Verkehr „STEVIA“ nicht unmittelbar als Synonym für „Zucker“ wahrnehmen. Zudem sei die Wortfolge auch in den Benelux-Staaten Dänemark, Rumänien und Slowenien als Marke eingetragen worden.

26

Die Löschungsantragstellerin zu 1) und Beschwerdegegnerin zu 2) hat sich im Beschwerdeverfahren ebenfalls nicht geäußert.

27

Im Termin zur mündlichen Verhandlung sind die ordnungsgemäß geladenen Parteien entsprechend ihrer vorherigen Ankündigung nicht erscheinen.

28

Zum weiteren Vortrag wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

29

Die Beschwerde der Löschungsantragstellerin zu 2) ist zulässig und in vollem Umfang begründet, die Beschwerde der Markeninhaberin ist unbegründet.

30

1. Auf den innerhalb der seit dem 21. April 2011 laufenden Zehnjahresfrist gemäß § 50 Abs. 2 Satz 2 MarkenG gestellten Löschungsantrag der Löschungsantragstellerin zu 2) war das Löschungsverfahren durchzuführen, weil die Markeninhaberin dem Löschungsantrag gemäß § 54 Abs. 2 Satz 3 MarkenG rechtzeitig widersprochen hat. Er ist begründet, da der Eintragung der angegriffenen Marke bereits bei ihrer Anmeldung auch für die im Tenor genannten Waren das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entgegenstand und dies auch noch im jetzigen Zeitpunkt der Entscheidung über den Löschungsantrag der Fall ist (§ 50 Abs. 2 Satz 1 MarkenG). Deshalb war der Beschluss der Markenabteilung 3.4, der den Löschungsantrag insoweit zurückgewiesen hat, aufzuheben und die Löschung auch für die tenorierten Waren anzuordnen.

31

a) Gemäß §§ 50 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die Eintragung einer Marke zu löschen, wenn ihr im Hinblick auf die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, jegliche Unterscheidungskraft fehlt. Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und die Waren oder Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (BGH GRUR 2016, 934, Rdnr. 9 - OUI; GRUR 2014, 872, Rdnr. 12 - Gute Laune Drops, m. w. N.). Die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten. Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH GRUR 2009, 778, Rdnr. 11 - Willkommen im Leben; GRUR 2010, 1100, Rdnr. 10 - TOOOR!).

32

Die Unterscheidungskraft ist im Hinblick auf jede Ware oder Dienstleistung, für die die Marke Schutz beansprucht, gesondert zu beurteilen. Maßgeblich ist die Anschauung des angesprochenen Verkehrs. Dabei ist auf die mutmaßliche Wahrnehmung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen (EuGH GRUR 2008, 608, Rdnr. 67 - EUROHYPO; BGH GRUR 2009, 411, Rdnr. 8 - STREETBALL; GRUR 2013, 731, Rdnr. 11 - Kaleido). Dieser wird die Marke so wahrnehmen, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtung zu unterziehen (BGH GRUR 2012, 270, Rdnr. 12 - Link economy). Besteht eine Marke - wie im Streitfall - aus mehreren Elementen, ist bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft von der Gesamtheit der Marke auszugehen (BGH GRUR 2001, 162, 163 - RATIONAL SOFTWARE CORPORATION). Dabei hat sich die Prüfung darauf zu erstrecken, ob die Marke als solche, jedenfalls mit einem ihrer Elemente, den Anforderungen an die Unterscheidungskraft genügt (BGH GRUR 2008, 710, Rdnr. 13 - Visage).

33

Dieser großzügige Beurteilungsmaßstab gilt auch für Wortfolgen, an deren Unterscheidungskraft grundsätzlich keine strengeren Anforderungen als an andere Wortmarken zu stellen sind (BGH GRUR 2001, 1043, 1044 - Gute Zeiten - Schlechte Zeiten; GRUR 2012, 270, Rdnr. 11 - Link economy). Von mangelnder Unterscheidungskraft ist deshalb bei einer kürzeren Wortfolge lediglich bei beschreibenden Angaben oder Anpreisungen und Werbeaussagen allgemeiner Art auszugehen. Weist die Wortfolge einen unterscheidungskräftigen Bestandteil auf, wird dies im Regelfall dazu führen, dass auch der Wortfolge in ihrer Gesamtheit die Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG nicht fehlt (BGH GRUR 2014, 565, Rdnr. 14 - smartbook).

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b) Der Wortfolge „STEVIA SWEET“ fehlte bereits im Zeitpunkt der Anmeldung am 22. März 2011 jegliche Unterscheidungskraft. „Stevia“ bezeichnet ein aus der in Südamerika beheimateten Pflanze Stevia rebaudiana gewonnenes Stoffgemisch mit hoher Süßkraft, das hauptsächlich aus Steviolglycosiden besteht und als Süßstoff verwendet wird. Die Süßkraft der Pflanze ist auch in Europa seit Jahrzehnten bekannt. Steviolglycoside sind als E 960 in der EU seit dem 2. Dezember 2011 als Lebensmittelzusatzstoffe zugelassen, nachdem die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit im April 2010 die Aufnahme von Stevioläquivalenten für unbedenklich erklärt hatte. Die Zulassung von Inhaltsstoffen der Steviapflanze in den USA und in der Schweiz als Lebensmittelzusatzstoffe war bereits im Jahr 2008 erfolgt, in Frankreich im Jahr 2009. Da Stevia nahezu kalorienfrei und zudem karieshemmend ist, gilt es als gesunde Alternative zu Zucker und wird in vielen Nahrungsmitteln und Getränken als Zuckerersatzstoff eingesetzt, worauf die Hersteller auch regelmäßig werbend hinweisen.

35

Das englische Adjektiv „Sweet“ gehört zum englischen Grundwortschatz und bedeutet „süß“. Der von den beschwerdegegenständlichen Waren der Klasse 29 angesprochene Verkehr, der sich aus den Fachkreisen sowie aus der Allgemeinheit der Verbraucher zusammensetzt, versteht die Wortfolge in der Bedeutung „Stevia süß“ und damit als beschreibende Angabe dahingehend, dass die mit ihm bezeichneten Waren mit dem Süßungsmittel Stevia gesüßt sind. Die Wortfolge ist in gleicher Weise gebildet wie die deutschen Worte „zuckersüß“, „honigsüß“ oder „saccharinsüß“ und wird deshalb ohne weitere Gedankenschritte in ihrer deutschen Übersetzung als Hinweis auf eine bestimmte Eigenschaft, d. h. auf die Art der Süße der damit bezeichneten Lebensmittel aufgefasst.

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Dies gilt auch schon für die Zeit vor der Anmeldung der angegriffenen Marke am 22. März 2011 und ungeachtet der Tatsache, dass die Zulassung des Inhaltsstoffes im Inland erst nach der Anmeldung erfolgt ist. Denn in den Medien wurde über die Zulassung des Zuckerersatzstoffes und seine positiven Eigenschaften bereits im Jahr 2010 ausführlich berichtet (vgl. http://www.oekotest.de: „25. Juni 2010 … Freispruch für Stevia … Die EFSA hat Süßungsmittel aus der Steviapflanze neu bewertet. Und damit die Tür für den europäischen Markt geöffnet.“). Seine Zulassung in Deutschland galt in den Jahren zuvor als überfällig, nachdem der Stoff in den USA und in den Nachbarländern Deutschlands bereits als Süßungsmittel auf dem Markt eingeführt war. Insofern ist davon auszugehen, dass jedenfalls der angesprochene Fachverkehr schon im Zeitpunkt der Anmeldung das Wort „Stevia“ nicht als Fantasiebegriff verstanden und um die beschreibende Bedeutung der Wortfolge gewusst hat.

37

c) Die von der Beschwerde der Löschungsantragstellerin zu 2) erfassten Waren „Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte; tiefgefrorenes, konserviertes, getrocknetes und gekochtes Gemüse; Eier, Milch; Speiseöle und  -fette“ können ebenso wie die bereits von dem Löschungsbeschluss der Markenabteilung 3.4 betroffenen Waren gesüßt oder mit Süßungsmitteln aromatisiert sein, wie sich aus den von der Löschungsantragstellerin zu 2) als Anlage zu ihrem Schriftsatz vom 14. Februar 2014 übersandten Nachweisen und den den Beteiligten übersandten Recherchebelegen des Senats ergibt:

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Fisch, Fleisch, Geflügel und Wild können - auch als Rohwaren - in gewürzter Form angeboten werden. Bei der Würzung finden regelmäßig Süßungsmittel als Geschmacksverstärker Verwendung. Auch Fleischextrakte enthalten regelmäßig Süßungsmittel als Würze (vgl. http://www.chefkoch.de: „4 Fleisch Rezepte mit „stevia“ low carb“; „Verkaufsschlager in Japan … Ob Bonbons, Cola, Eis oder sogar gesüßter Fisch kaum ein Lebensmittel, das es nicht auch in der Stevia-Variante gibt.“). Nichts anderes gilt für verarbeitetes Gemüse. Gurken, Karotten, Erbsen und Krautgemüse werden traditionell unter Beifügung von Süßungsmitteln aufbereitet. Eier werden in Form von Flüssigei auch als gesüßtes Produkt für die Nahrungsmittelindustrie angeboten (vgl. http://eipro.de: „Alles für leckere Delikatessen! … Vollei, pasteurisiert, gezuckert (10 %, 40 %, 45 % indiv. Zuckergehalte)“). Milch gibt es als beispielsweise als Kondensmilch in gesüßter Form (vgl. http://www.milch-guide.de: „Kondensmilch - Infos über gezuckerte Dosenmilch“). Auch Speiseöle und -fette werden in gesüßter Form angeboten (vgl. https://kokku-online.de: „vegane Pflanzensahne … Leha - Schlagfix Schlagcreme gesüßt“).

39

2. Unter Zugrundelegung obiger Ausführungen ist die Beschwerde der Markeninhaberin unbegründet. Zwar hat sie der Löschung rechtzeitig gemäß § 54 Abs. 2 Sätze 2 und 3 MarkenG widersprochen, allerdings führt ihr Vorbringen nicht zur Bejahung der Schutzfähigkeit der Marke für die im Tenor des Beschlusses der Markenabteilung 3.4 vom 22. Juni 2013 genannten Waren.

40

Auch im Zusammenhang mit diesen verstehen die angesprochenen Verkehrskreise die Wortfolge „STEVIA SWEET“ als beschreibende Inhalts- und Geschmacksangabe mit der Bedeutung „steviasüß“ und nehmen sie nicht als Herkunftshinweis auf einen bestimmten Hersteller wahr. Sowohl die in Klasse 5 von der Löschung umfassten Waren „Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Babykost; diätetische Erzeugnisse oder Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke auf der Basis von Mineralien, Mineralstoffen und Spurenelementen“ als auch die in den Klassen 29, 30 und 32 gelöschten Nahrungsmittel und Getränke werden in gesüßter Form angeboten und können als Zuckerersatzstoff Stevia enthalten, wie die Löschungsantragstellerin zu 2) in ihrer Antragsbegründung vom 7. November 2012 durch eine umfangreiche Recherche (Bl. S 10/20 der Löschungsakte S 235/12) dargelegt hat. Diese Angabe stellt für den angesprochenen Verbraucher eine relevante Sachinformation dar, weil mit Stevia gesüßte Produkte als kalorienreduziert und damit gesünder im Vergleich zu zuckerhaltigen Produkten gelten. Da diese Information für ihn im Vordergrund des Verständnisses steht, hat er keine Veranlassung, in der Wortfolge einen betrieblichen Herkunftshinweis zu sehen.

41

Daher war die Beschwerde der Markeninhaberin zurückzuweisen.

42

3. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen noch ersichtlich sind.