Entscheidungsdatum: 07.08.2013
In der Beschwerdesache
…
betreffend die angemeldete Marke 30 2010 042 985.2
hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 7. August 2013 durch die Vorsitzende Richterin Klante und die Richter Schwarz und Paetzold
beschlossen:
Die Beschlüsse des Deutschen Patent- und Markenamts, Markenstelle für Klasse 12, vom 16. März 2011 und 12. April 2012 werden aufgehoben.
I.
Das Deutsche Patent- und Markenamt hat mit Beschluss der Markenstelle für Klasse 12 vom 16. März 2011 durch ein Mitglied des gehobenen Dienstes die für die Waren
Klasse 9:
Wissenschaftliche, Schifffahrts-, Vermessungs-, fotografische, Film-, optische, elektrische Wäge-, Mess-, Signal-, Kontroll-, Rettungs- und Unterrichtsapparate und -instrumente; Apparate und Instrumente zum Leiten, Schalten, Umwandeln, Speichern, Regeln und Kontrollieren von Elektrizität; Geräte zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe von Ton und Bild; Magnetaufzeichnungsträger, Schallplatten; Verkaufsautomaten und Mechaniken für geldbetätigte Apparate; Registrierkassen, Rechenmaschinen, Datenverarbeitungsgeräte und Computer; Feuerlöschgeräte.
Klasse 12:
Kraftfahrzeuge und deren Teile (soweit in Klasse 12 enthalten)
angemeldete Bezeichnung
VOICE SCARF
nach § 37 Abs. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG als nicht unterscheidungskräftige und freihaltungsbedürftige Angabe zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die aus den zum englischen Grundwortschatz gehörenden Begriffen „VOICE“ für „Stimme“ und „SCARF“ für „Schal, Halstuch“ zusammengesetzte angemeldete Marke wiesen in einer für den angesprochenen Verkehr verständlichen Art nur darauf hin, dass die so gekennzeichneten beanspruchten Waren der Klasse 9 technische Geräte mit stimm- bzw. sprachunterstützenden Funktionen seien, die in einen Schal eingebettet seien oder die sich in einem Halstuch befänden; für die in Klasse 12 beanspruchten Kraftfahrzeuge wiederum gebe die Marke nur an, dass sie im Rahmen einer (sprach-) behindertengerechten Ausstattung über entsprechende Dialogsysteme verfügten, die mittels solcher in einem Schal oder Halstuch befindlichen Geräte bedient werden könnten. Für ein solches Verständnis spreche vor allem, dass es solche Geräte bereits gebe, wie die (dem Beschluss als Anlage beigefügte) Beschreibung eines Anwendungsprogramms („App“) für Smartphones mit dem Namen „Subtle Subtitles“ zeige, der zu Folge das Smartphone in einer eigens hierfür vorgesehenen Stelle in einem Schal eingehängt werde und die in ihm gestartete App Dysarthrie-Patienten beim Sprechen unterstütze.
Die hiergegen eingelegte Erinnerung hat das Deutsche Patent- und Markenamt mit Beschluss vom 12. April 2012 mit der Begründung zurückgewiesen, die vom Erstprüfer dargelegte Bedeutung der angemeldeten Marke ergebe sich, auch wenn die Verwendung des entsprechenden Begriffs bislang nicht nachweisbar sei, ohne Weiteres daraus, dass die Marke sprachüblich gebildet sei und sich in vergleichbare Begriffsbildungen mit dem Wort „Voice“ wie „Voice-Box“, „Voice-Cht“, „Voice-Control“, „Voice-Mail“ u.Ä. einreihe. In der genannten Bedeutung sei das Anmeldezeichen auch entgegen der Ansicht der Anmelderin für sämtliche beanspruchten Waren unmittelbar beschreibend, denn wenn bei einem entsprechenden Schal solche technischen Vorrichtungen eingebettet seien oder sonst dabei zur Anwendung kämen, könne es sich um beliebige der beanspruchten Waren in Form eines Schals oder in Gestaltung eines Schals mit den entsprechenden technischen Möglichkeiten im Hinblick auf Sprache handeln. Diese technischen Geräte könnten auch Bestandteile von Fahrzeugen sein; so liege es z. B. nahe, mit entsprechenden Voice Scarfs wesentliche Funktionen des Fahrzeugs lediglich durch die Stimme und nicht durch händische Eingriffe zu steuern o. ä.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Anmelderin weiterhin die Eintragung ihrer Marke für die angemeldeten Waren. Hierzu macht sie im Wesentlichen geltend, auch wenn die angemeldete Bezeichnung mit „Stimmschal“ übersetzt werde, könne der Verkehr ihm nicht unmittelbar und ohne weiteres Nachdenken ein beschreibendes Merkmal der beanspruchten Waren entnehmen. Mit den anderen „Voice“-Begriffen sei die Anmeldemarke nicht vergleichbar, da sie anders als diese mit dem zweiten Bestandteil nicht unmittelbar die Waren oder ihre Funktionen benenne. „SCARF“ weise aber nicht hinreichend unmittelbar und sofort ersichtlich auf ein mögliches Merkmal der beanspruchten Waren hin; solche Merkmale könnten sich dem Verkehr vielmehr allenfalls erst nach weiteren gedanklichen Schlussfolgerungen erschließen.
Die Anmelderin hat schriftlich sinngemäß beantragt,
die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 12 vom 16. März 2011 und vom 12. April 2012 aufzuheben.
An der mündlichen Verhandlung hat die Anmelderin entsprechend vorheriger Ankündigung nicht teilgenommen.
II.
Die nach § 66 MarkenG zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der angemeldeten Marke kann die Eintragung nach § 37 Abs. 1 MarkenG nicht versagt werden, da es sich bei ihr weder um eine freihaltungsbedürftige Angabe i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG handelt noch ihr die nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG erforderliche Unterscheidungskraft abzusprechen ist.
Entgegen der Ansicht des Patentamtes steht der Eintragung der angemeldeten Bezeichnung nicht das Eintragungshindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Anmeldemarke zumindest in einer ihrer möglichen Bedeutungen (vgl. EuGH, MarkenR 2004, 450, 453 [Rz 32] – DOUBLEMINT; MarkenR 2008, 160, 162 [Rz. 35] - HAIRTRANSFER) ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestünde, die im Verkehr zur Bezeichnung von Merkmalen der Waren oder Dienstleistungen dienen können, sofern es sich hierbei um für den Warenverkehr wichtige und für die umworbenen Abnehmerkreise irgendwie bedeutsame Umstände handelt (vgl. hierzu BGH GRUR 1999, 1093, 1094 – FOR YOU; GRUR 2000, 211, 232 – FÜNFER), die hinreichend eng mit einer Ware oder Dienstleistung selbst in Bezug stehen (vgl. BGH GRUR 2005, 417, 419 – Berlin Card); denn in einem solchen Fall stünde der Eintragung der angemeldeten Bezeichnung das im Allgemeininteresse liegende Ziel entgegen, dass Zeichen oder Angaben, die Merkmale der angemeldeten Waren bzw Dienstleistungen beschreiben, von allen Unternehmen frei verwendet werden und nicht aufgrund ihrer Eintragung als Marke zugunsten eines Unternehmens monopolisiert werden können (vgl. EuGH GRUR 1999, 723, 725 Rn. 25 – CHIEMSEE; GRUR 2004, 680, 681 Rn. 35, 36 – BIOMILD). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
Allerdings hat die Markenstelle, was auch die Anmelderin im Beschwerdeverfahren nicht beanstandet, im Ausgangspunkt zutreffend festgestellt, dass die Anmeldemarke aus zwei zum englischen Grundwortschatz gehörenden Begriffen besteht und mit „Stimm(en)-Schal“ oder „Stimm(en)-Halstuch“ übersetzt werden kann. Mit dieser Bedeutung werden aber keine möglichen Merkmale der beanspruchten Waren beschrieben. Denn sprachlich weist die angemeldete Kennzeichnung allein auf einen - mit dem weiteren Bestandteil „VOICE“ (Stimme) näher eingegrenzten – Schal bzw. auf ein Halstuch hin. Die technischen Geräte, die mit der angemeldeten Marke gekennzeichnet werden sollen, sind aber weder ein Schal oder ein Halstuch noch sind sie unmittelbar dazu geeignet oder bestimmt, mit einem Schal oder einem Halstuch verwendet zu werden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der vom Erstprüfer zitierten Fundstelle über ein Anwendungsprogramm für Smartphones, das der Sprachunterstützung von Dysarthrie-Patienten dient. Selbst wenn man diese technische Lösung nicht nur auf ein Softwareprogramm, sondern auf alle – unter Klasse 9 im Warenverzeichnis der angemeldeten Marke fallende – technische Geräte bezieht, die eine Hilfsfunktion für Stimmbehinderungen ausüben, bezeichnet die angemeldete Kennzeichnung nicht Merkmale dieser Geräte, die mit ihnen hinreichend eng in Bezug stehen (vgl. BGH GRUR 2005, 417, 419 – Berlin Card). Denn der Ort, wo diese Geräte am menschlichen Körper getragen werden können, hängt nicht von (besonderen) Ausstattungsmerkmalen dieser Geräte ab, sondern umgekehrt von den Merkmalen des Aufbewahrungs- oder Tragegegenstandes. Soweit sie wie in dem von der Markenstelle genannten Beispiel in einem Schal getragen werden, richtet sich die technische Durchführung einer solchen Befestigung des technischen Geräts (im genannten Beispiel also des Smartphones) am oder im Schal nach dessen Machart (die im genannten Beispiel in der Anbringung einer das Smartphone aufnehmenden Einstecktasche zu sehen ist), nicht aber an technischen Merkmalen des verwendeten Geräts, das grundsätzlich an jedem an seine Form angepassten Ort aufbewahrt werden kann. Insofern vermag das von der Markenstelle genannte Beispiel keinen Hinweis darauf zu geben, dass die Anmeldemarke als Angabe möglicher Merkmale der vorliegend beanspruchten Waren ernsthaft in Betracht käme.
In ihrer Gesamtheit beschreibt die angemeldete Bezeichnung auch nicht wegen des zweiten Bestandteils „VOICE“ mögliche Merkmale der beanspruchten Waren. Allerdings könnte eine solche beschreibende Bedeutung diesem Bestandteil für sich genommen entnommen werden, weil es, wie auch das von der Markenstelle genannte Beispiel belegt, bekanntlich Hard- und Software gibt, die sprach- und stimmunterstützende Funktionen haben. Eine beschreibende Bedeutung könnte der Anmeldemarke hieraus aber nur dann entnommen werden, wenn dieser Bestandteil vom weiteren Bestandteil „SCARF“ sprachlich getrennt werden könnte und damit als eigenständiger Hinweis auf mögliche Sacheigenschaften der gekennzeichneten Waren anzusehen wäre; handelt es sich demgegenüber bei der Anmeldemarke um einen Gesamtbegriff, dessen (sprachliche) Bedeutung über die bloße Zusammenfügung ihrer Einzelbestandteile hinausgeht, scheidet ein solcher isolierter (Sach-)Bezug dieses einzelnen Bestandteils auf die gekennzeichneten Waren aus (vgl. EuGH GRUR 2004, 680, 681 Rn. 35, 36 – BIOMILD). Letzteres ist hier aber der Fall, weil der Bestandteil „VOICE“ sprachlich eine Einheit mit dem nachfolgenden Begriff „SCARF“ bildet und dabei in sprachüblicher Form einer Nominalkonstruktion den nachgestellten Begriff adjektivisch eingrenzt. Um den Bestandteil „VOICE“, der sprachlich sich allein auf den nachfolgenden, mögliche Eigenschaften der gekennzeichneten Waren nicht bezeichnenden Begriff „SCARF“ bezieht, stattdessen eine Information über diese Waren entnehmen zu können, müsste also zunächst der Gesamtbegriff aufgelöst und in seine einzelnen Bestandteile isoliert werden. Da der Beurteilung der Schutzfähigkeit einer angemeldeten Bezeichnung aber nur zugrunde gelegt werden darf, in welcher Form sie dem Verkehr entgegentritt, verbietet sich eine solche sprachliche Analyse der einzelnen Bestandteile der angemeldeten Gesamtbezeichnung als Grundlage für die Annahme, ein Bestandteil beschreibe isoliert vom anderen mögliche Merkmale der beanspruchten Waren. Da die hier zu beurteilende angemeldete Bezeichnung aber sprachlich einen Schal mit Stimmenfunktion (gleich welcher Art) benennt, die beanspruchten Waren aber, wie bereits oben dargelegt wurde, weder unter den Oberbegriff Schal fallen noch aufgrund ihrer technischen Gegebenheiten dazu geeignet und bestimmt sind, zusammen mit Schals verwendet zu werden, beschreibt auch der Bestandteil „VOICE“ keine möglichen Eigenschaften der mit der Marke in ihrer Gesamtheit gekennzeichneten Waren.
Mangels eines beschreibenden Inhalts ist die angemeldete Bezeichnung für die angemeldeten Waren auch nicht nach § 37 Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG wegen Fehlens jeglicher Unterscheidungskraft von der Eintragung ausgeschlossen. Denn die Unterscheidungskraft fehlt einer Kennzeichnung nur dann, wenn sie unter Berücksichtigung des Allgemeininteresses an der nicht ungerechtfertigten Einschränkung der Verfügbarkeit der angemeldeten Kennzeichnung für die anderen Wirtschaftsteilnehmer, die entsprechende Waren oder Dienstleistungen anbieten (vgl. EuGH GRUR 2004, 943, 944 [Rz. 26] - SAT.2), nicht geeignet ist, diese Waren in der Anschauung ihrer durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen (vgl. EuGH GRUR 2003, 604, 607 [Rz. 46] – Libertel; GRUR 2004, 943, 944 [Rz. 24] – SAT.2) Abnehmer als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und sie von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH WRP 2002, 924, 930 [Rz. 35] – Philips/Remington; MarkenR 2003, 187, 190 [Rz. 41] - Gabelstapler; GRUR 2003, 58, 59 [Rz. 21] - Companyline; MarkenR 2003, 450, 453 [Rz. 32] - DOUBLEMINT; MarkenR 2004, 99, 109 [Rz. 97] - POSTKANTOOR; MarkenR 2004, 111, 115 [Rz. 38] – BIOMILD; MarkenR 2005, 22, 25 f. [Rz. 33] - Das Prinzip der Bequemlichkeit; BGH GRUR 2001, 1151, 1153 – marktfrisch; GRUR 2003, 1050, 1051 – City-Service; BGH, GRUR 2001, 162, 163 m. w. N. – RATIONAL SOFTWARE CORPORATION).; MarkenR 2004, 111, 115 [Rz. 39 f.] – BIOMILD; GRUR 2004, 943, 944 [Rz. 28] - SAT.2; GRUR 2006, 229, 230 [Rz. 29] - BioID; MarkenR 2007, 204, 209 [Rz. 77 f.] - CELLTECH). Einen solchen Eignungsmangel lässt sich aber aus den oben zu § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG dargelegten Gründen vorliegend gerade nicht feststellen, so dass der Marke in ihrer Gesamtheit die erforderliche Unterscheidungskraft nicht abgesprochen werden kann.
Da der Anmeldemarke somit im Ergebnis die Eintragung nach § 37 Abs. 1 MarkenG nicht wegen bestehender Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 MarkenG versagt werden kann, waren die anderslautenden Beschlüsse auf die Beschwerde der Anmelderin aufzuheben.